Titel:
Kostenfolge verspätet gewährter Akteneinsicht im Konkurrentenstreitverfahren
Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 33 Abs.2
VwGO § 123, § 155 Abs. 4
Leitsätze:
1. Einem in einem beamtenrechtlichen Stellenbesetzungsverfahren unterlegenen Bewerber ist nicht nur der Name des ausgewählten Bewerbers bekanntzugeben, sondern es sind ihm jedenfalls auf sein Verlangen hin die für die Auswahlentscheidung wesentlichen Erwägungen mitzuteilen oder zumindest im Wege der Akteneinsicht zugänglich zu machen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Sicherung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes ist der Dienstherr verpflichtet, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird dem unterlegenen Bewerber pflichtwidrig verspätet Akteneinsicht gewährt und zieht er seinen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz daraufhin zurück, so sind dem Dienstherrn die Verfahrenskosten aufzuerlegen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostentragung wegen Verschulden (bejaht), Akteneinsicht bei Konkurrentenstreitverfahren, Beamter, Bewerbung, Bewerbungsverfahrensanspruch, Auswahlverfahren, Auswahlentscheidung, Dokumentation, Konkurrent, Akteneinsicht, vorläufiger Rechtsschutz, effektiver Rechtsschutz, Rücknahme, Einstellung des Verfahrens, Kostentragung, Veschulden
Fundstelle:
BeckRS 2021, 22569
Tenor
1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Streitwert wird auf 8.961,54 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Antragsteller begehrte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, dass eine von der …, ausgeschriebene Stelle einstweilen nicht besetzt wird, bis über die Bewerbung des Antragstellers rechtskräftig entschieden ist.
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Der am … geborene Antragsteller steht seit Oktober 2017 als technischer Beamter an der Wehrtechnischen Dienststelle … in … (technischer Regierungshauptsekretär, Besoldungsgruppe A 8) im Dienst der Bundesrepublik Deutschland.
3
Der am … geborene Beigeladene war zuletzt als Microsoft-System Engineer in der freien Wirtschaft tätig.
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Mit Bewerbungsfrist zum 31. März 2021 schrieb der Antragsgegner eine Stelle für Beamte der 2. Qualifikationsebene im technischen Dienst oder vergleichbare Tarifbeschäftigte aus. Zu den Aufgaben gehörte die Betreuung der IT-Infrastruktur.
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Auf die Stellenausschreibung gingen fünf Bewerbungen ein, darunter die des Antragstellers sowie des Beigeladenen.
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Gemäß einem undatierten Aktenvermerk fanden am 4. und 6. Mai 2021 online Teams-Bewerbungsgespräche mit vier Bewerbern statt.
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Zusammenfassend wurde festgestellt, dass der Beigeladene auf den ersten Platz gesetzt werde. Der Antragsteller wurde an die vierte Stelle eingereiht.
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Daraufhin teilte der Antragsgegner dem Antragsteller in einem Schreiben vom 20. Mai 2021, das per E-Mail übermittelt wurde, mit, dass man sich für eine andere Person entschieden habe, die dem Anforderungsprofil besonders gut entsprochen habe.
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Mit E-Mail vom 20. Mai 2021 erklärte der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner, dass er gegen den Bescheid Widerspruch einlegen wolle und Akteneinsicht beantrage.
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Der Antragsgegner teilte daraufhin in einer E-Mail vom 21. Mai 2021 mit, dass um Mitteilung gebeten werde, warum das Auswahlverfahren nicht rechtmäßig abgelaufen sein solle. Man könne keine Verfahrensfehler feststellen und sehe keine Veranlassung, das Auswahlverfahren anzuzweifeln. Demnach bestehe kein berechtigtes Interesse an einer Akteneinsicht.
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Daraufhin wandte sich der Antragsteller mit E-Mail vom 24. Mai 2021 erneut an den Antragsgegner und bat um weitere Informationen, insbesondere inwieweit er bezüglich Eignung, fachlicher Leistung und Befähigung übertroffen werde.
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Der Antragsgegner antwortete daraufhin in einer E-Mail vom 26. Mai 2021, dass die Besetzung der Stelle mit einem Tarifbeschäftigten erfolge, der eine umfangreichere Berufserfahrung sowie umfassende Kenntnisse und Qualifikationen in den geforderten Bereichen vorweisen könne. Auf aktuelle Zertifizierungen in den Bereichen Netzwerkdokumentation und Microsoft Windows, Zusatzqualifikationen als Azure-Administrator, Azure-Consultant, Microsoft Certified Solutions Expert und Associate sowie die Zertifizierung als Docusnap-Profi wurde explizit hingewiesen.
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Mit Schreiben vom 27. Mai 2021 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers Widerspruch bei dem Antragsgegner ein und beantragte nochmals Akteneinsicht. Zudem bat er bis zum 28. Mai 2021, 10:00 Uhr um schriftliche Bestätigung, dass bis einen Monat nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens von einer Stellenbesetzung abgesehen werde.
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Der Antragsgegner teilte daraufhin in einer E-Mail vom 28. Mai 2021, 8:29 Uhr, mit, dass eine Begründung der Auswahlentscheidung nachgereicht würde. Der Aufforderung, bis zu einem Monat nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens von einer Stellenbesetzung abzusehen, werde nicht nachgekommen.
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Eine Äußerung zu der beantragten Akteneinsicht enthielt diese E-Mail nicht.
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Am 28. Mai 2021 ging um 12:56 Uhr ein Antrag nach § 123 VwGO bei dem Bayerischen Verwaltungsrecht Ansbach per Fax ein. Zudem wurde Akteneinsicht in die Behördenakten beantragt.
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Das Gericht übermittelte dem Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 17. Juni 2021 die Behördenakten, die von dort mit Schreiben vom 23. Juni 2021 an das Gericht zurückgegeben wurden.
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Daraufhin wurde der Antrag mit Schreiben vom 25. Juni 2021 zurückgenommen.
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Nachdem das Gericht auf § 155 Abs. 4 VwGO hingewiesen hat, beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom 30. Juni 2021, dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens gemäß § 155 Abs. 4 VwGO aufzuerlegen. Um Informationen zu der getroffenen Auswahlentscheidung zu erhalten, sei der Antrag nach § 123 VwGO erforderlich gewesen. In einem weiteren Schreiben vom 7. Juli 2021 wurde ergänzt, dass erst durch die über das Gericht gewährte Akteneinsicht die Angaben des Antragsgegners hätten überprüft werden können.
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Der Antragsgegner trat dem mit Schreiben vom 1. Juli 2021 entgegen und verwies darauf, dass durch die E-Mail vom 26. Mai 2021 alle aufgeworfenen Fragen des Antragstellers beantwortet worden seien. Der Antragsteller hätte unproblematisch erkennen können, dass der Beigeladene besser qualifiziert sei. Darüber hinaus sei kein berechtigtes Interesse an einer Akteneinsicht begründet worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Gründe
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Der Antragsteller hat den Antrag vom 28. Mai 2021 mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 25. Juni 2021 zurückgenommen. Das Verfahren ist daher gem. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO durch Beschluss einzustellen (Rennert in: Eyermann, VwGO, § 92 Rn. 3). Dabei entscheidet das Gericht auch über die Kosten.
23
Die Kostenentscheidung ergibt sich vorliegend nicht aus § 155 Abs. 2 VwGO, sondern aus § 155 Abs. 4 VwGO, der eine abweichende Kostenentscheidung bei Vorliegen eines Verschuldens eines Beteiligten ermöglicht (Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 155 Rn. 77).
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Gemäß § 155 Abs. 4 VwGO können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Dabei kann die Rechtsfolge des § 155 Abs. 4 VwGO auch aufgrund eines vorprozessualen Verhaltens des Beklagten bzw. Antragsgegners ausgesprochen werden, so z.B. bei einer unzureichenden oder irreführenden Begründung eines Verwaltungsaktes (Rennert in: Eyermann, VwGO, § 155 Rn. 13) oder wenn durch ein vorprozessuales Verhalten die Erhebung einer an sich vermeidbaren Klage verursacht wurde (Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 155 Rn. 84).
25
Insbesondere in beamtenrechtlichen Stellenbesetzungsverfahren hat ein Bewerber nach ständiger Rechtsprechung einen Anspruch auf verbindliche Information durch den Dienstherrn über das Ergebnis des Auswahlverfahrens, denn ein unterlegener Bewerber ist gehalten, vor der Ernennung des ausgewählten Bewerbers seinen Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG in der grundrechtlich gebotenen Weise gerichtlich geltend zu machen. Damit der Bewerber nicht Gefahr läuft, ein Rechtsmittel auf ungesicherter tatsächlicher oder rechtlicher Grundlage zu ergreifen oder mit dem Rechtsmittel zu spät zu kommen, ist ihm nicht nur der Name des ausgewählten Bewerbers bekanntzugeben, sondern es sind ihm jedenfalls auf sein Verlangen hin die für die Auswahlentscheidung wesentlichen Erwägungen mitzuteilen oder zumindest im Wege der Akteneinsicht zugänglich zu machen. Die Mitteilung soll den unterlegenen Bewerber in die Lage versetzen, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er daher gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen will (BVerwG, U.v. 13.12.2018 - 2 A 5/18 - juris Rn. 35).
26
Zur Sicherung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes folgt aus Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG auch die Verpflichtung, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er daher gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen will. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen auch dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen (BVerfG, B.v. 20.9.2016 - 2 BvR 2453/15 - juris Rn. 20).
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Dies berücksichtigend liegt ein Verschulden des Antragsgegners im Sinne des § 155 Abs. 4 VwGO vor.
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Da der Antragsteller Beamter (technischer Regierungshauptsekretär) ist, musste grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass er die geforderte Laufbahnbefähigung besitzt und somit dem Grunde nach als für die Stelle geeignet angesehen werden kann. Vor diesem Hintergrund war es für den Antragsteller unerlässlich, Akteneinsicht in den Auswahlvorgang zu erhalten, damit er anhand der schriftlich niedergelegten Auswahlerwägungen die Erfolgsaussichten eines Antrages nach § 123 VwGO einschätzen und die Ausführungen des Antragsgegners nachprüfen kann.
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Hierfür ist jedoch die Kenntnis des Inhalts der Behördenakte erforderlich, da nur so eine umfassende Würdigung der Rechtslage möglich ist, insbesondere auch, ob formelle Fehler bestehen, ob weitere Bewerber vorhanden sind, die bei dem Leistungsvergleich berücksichtigt wurden, auf welcher Grundlage der Leistungsvergleich erfolgte und inwieweit die Bewerbungsgespräche Eingang in die Entscheidung gefunden haben.
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Diesbezüglich muss sich der Antragsgegner aber vorwerfen lassen, dass er trotz des wiederholten Antrages des Bevollmächtigten des Antragstellers auf Akteneinsicht mit Schreiben vom 27. Mai 2021 keine Akteneinsicht gewährte, sondern diese sogar mit E-Mail vom 28. Mai 2021, 8:29 Uhr, jedenfalls erneut konkludent verweigerte, da er lediglich auf eine Nachreichung einer Begründung der Auswahlentscheidung verwies, sich jedoch zu der begehrten Akteneinsicht nicht äußerte.
31
Der Umstand, dass der Antragsgegner auch weiterhin der Auffassung ist, dass dem Antragsteller keine Akteneinsicht gewährt zu werden brauche, wird für das Gericht auch dadurch belegt, dass in dem Schreiben vom 1. Juli 2021 ausgeführt wurde, dass kein berechtigtes Interesse an einer Akteneinsicht begründet worden sei.
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Das Gericht hat bei seiner Entscheidung auch gewürdigt, dass der Antragsgegner zwar in der Konkurrentenmitteilung vom 20. Mai 2021 weder den Namen des ausgewählten Bewerbers noch die maßgeblichen Gründe für die Auswahlentscheidung angab, jedoch in der E-Mail vom 26. Mai 2021 ergänzende Ausführungen machte. Zwar wurde auch hier der Name des Beigeladenen nicht genannt, zumindest wurde aber der wesentliche Grund für die Nichtberücksichtigung des Antragstellers, namentlich die umfassenderen Kenntnisse und Qualifikationen in den geforderten Bereichen des Beigeladenen, aufgeführt.
33
Jedoch konnte der Antragsteller auch auf dieser Grundlage keine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs vornehmen, zumal auch weiterhin der Name des Beigeladenen nicht angegeben wurde.
34
Vor diesem Hintergrund war es zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes aus Sicht des Antragstellers nötig, einen Antrag nach § 123 VwGO bei Gericht zu stellen, da andernfalls eine Verwirkung der Rechte des Antragstellers gedroht hätte, da auch bei Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages eine Rückgängigmachung nicht mehr ohne weiteres möglich wäre (OVG SH, B.v. 11.12.2014 - 2 MB 28/14 - juris Rn. 5; (VG Ansbach, B.v. 25.11. 2020 - AN 1 E 20.01504 - juris Rn. 193).
35
Der Bevollmächtigte des Antragsstellers hat die beantragte Akteneinsicht erst im gerichtlichen Verfahren erhalten. Er hat nach Erlangung der Akteneinsicht im Rahmen des gerichtlichen Eilverfahrens das Verfahren umgehend und vorbehaltlos beendet (VG Würzburg, B.v. 17.5.2019 - W 1 E 19.489 - juris Rn. 37), sodass davon ausgegangen werden kann, dass das Verschulden des Antragsgegners kausal für die entstandenen Verfahrenskosten ist.
36
Dabei ist es unschädlich, dass der Antrag nicht bereits in dem Schreiben vom 23. Juni 2021, sondern erst zwei Tage später mit Schreiben vom 25. Juni 2021 zurückgenommen wurde. Ein derart kurzer Zeitraum steht einer umgehenden Antragsrücknahme nicht entgegen, da diesbezüglich zu berücksichtigen ist, dass der Bevollmächtigte des Antragstellers insbesondere die materielle Rechtslage zu prüfen und auch mit dem Antragsteller zu besprechen hat, was vorliegend innerhalb einer Woche nach Versand der Behördenakte erfolgt ist.
37
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG. Danach beträgt der Streitwert ein Viertel der für ein Kalenderjahr in dem angestrebten (funktionellen oder statusrechtlichen) Amt zu zahlenden Bezüge, ausgehend von einem funktionellen Amt der Besoldungsgruppe A 8, mithin 8.961,54 EUR (1/4 von 35.846,14 EUR; vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2018 - 3 CE 17.2188 - juris; B.v. 24.10.2017 - 6 C 17.1429 - juris).