Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 25.01.2021 – RN 9 K 20.2982
Titel:

Erfolglose Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis

Normenketten:
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2, § 10 Abs. 3, § 25 Abs. 5 S. 1, § 28 Abs. 1 Nr. 3,
AufenthV § 39 S. 1 Nr. 5
Leitsätze:
1, Ein Ausländer, der ohne das erforderliche Visum eingereist ist und deshalb die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis erfüllt, steht kein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu, der eine Ausnahme von der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG begründen würde. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der von § 39 S. 1 Nr. 5 AufenthV vorausgesetzten Aussetzung der Abschiebung muss es sich folglich um eine solche handeln, die wegen anderer als familienabhängiger Abschiebungshindernisse erteilt worden ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einem Ausländer, dessen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug abgelehnt worden ist, ist ein kleines Kind regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis, Asylbewerber, Visumspflicht, strikter Rechtsanspruch, Familiennachzug, Visumsverfahren, kleines Kind
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 30.07.2021 – 19 ZB 21.738
Fundstelle:
BeckRS 2021, 22452

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG.
2
Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Sein nach Einreise in das Bundesgebiet am 25. November 2015 gestellter Asylantrag blieb erfolglos. Er wird seit 27. März 2020 geduldet (aktuell befristet bis 28.3.2021). Das Vorhandensein eines gültigen Reisepasses, ausgestellt am 13. November 2019, sowie einer beglaubigten Tazkira ist aktenkundig.
3
Am … 2019 kam in … die Tochter des Klägers zur Welt. Die vorgeburtliche Vaterschaftsanerkennung datiert vom 4. Oktober 2018. Die gemeinsame elterliche Sorge wurde am 3. Juni 2019 beurkundet. Mit der Kindsmutter deutscher Staatsangehörigkeit ist er seit 10. September 2018 religiös verheiratet. Eine standesamtliche Heirat war wohl grundsätzlich geplant, eine Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses nach einem Schreiben des Oberlandesgerichts München vom 14. Januar 2020 in Ansehung der dort vorgelegten Unterlagen allerdings noch nicht möglich.
4
Mit E-Mail vom 23. März 2020 beantragte der Kläger aufgrund seiner Vaterschaft für ein deutsches Kind eine Titelerteilung nach § 28 AufenthG. Sein Bevollmächtigter wiederholte dies mit Schreiben vom 22. April 2020. Dieser vertrat darin zusammengefasst die Auffassung, dass die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht greife und eine vorherige Durchführung des Visumverfahrens in Ansehung von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht erforderlich sei. Es liege eine gelebte Vater-Kind-Beziehung vor; die Kleinfamilie lebe zusammen. Es sei davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zum Vater und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu ihm für die persönliche Entwicklung des Kindes dringend geboten seien. Die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes würde gestört und beeinträchtigt, soweit dieser persönliche Kontakt, wenn auch nur für kurze Zeit, abbrechen würde.
5
Mit Schreiben vom 15. Mai 2020 nahm die Ausländerbehörde zu den Ausführungen des Bevollmächtigten Stellung und schlug ein einvernehmliches Vorgehen vor (Terminbuchung bei der Deutschen Botschaft durch den Kläger, bis dahin Duldung unter weiterer Gestattung einer bereits ausgeübten Beschäftigung, Vorabzustimmung durch die Ausländerbehörde). Unter dem 30. Juli 2020 entgegnete der Bevollmächtigte, dass an der Erteilung eine Aufenthaltserlaubnis außerhalb des Visumverfahrens festgehalten werde. Hilfsweise werde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG beantragt. Angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie würde die Durchführung eines Visumverfahrens zu einer vielmonatigen Trennung von Vater und Kind führen. Dies sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Hinblick auf das Alter des Kindes unzulässig. Der Äußerung des Bevollmächtigten war eine persönliche Stellungnahme der Kindsmutter beigefügt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Mit Schreiben vom 15. September 2020 legte der Bevollmächtigte eine weitere persönliche Äußerung der Kindsmutter vom 9. September 2020 vor.
6
Der Kläger steht in Beschäftigung. Nach zwischenzeitlicher Gestattung der privaten Wohnsitznahme bei der Familie in D* … lebt er infolge "Rauswurfs" seit Januar 2020 wieder in einer Gemeinschaftsunterkunft in L* … Nach jüngsten Angaben der Kindsmutter gebe es zwischen ihr und dem Kläger keine Probleme.
7
Mit Bescheid vom 27. Oktober 2020 lehnte die Ausländerbehörde die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bzw. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ab. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG sei wegen der Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 AufenthG nicht möglich. Der zu deren Durchbrechung geforderte strikte Rechtsanspruch liege infolge fehlender Einreise mit dem erforderlichen Visum nicht vor. Ein Absehen von dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung im Ermessenswege genüge nach der Rechtsprechung nicht zur Überwindung der Titelerteilungssperre. Ein Fall des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV liege ebenfalls nicht vor, da der Kläger ausschließlich zur Führung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet bis zur Ausreise zu einem etwaigen Visumstermin geduldet wird. Weitere Duldungsgründe seien nicht ersichtlich. Eine Titelerteilung nach § 25 Abs. 5 AufenthG sei ebenfalls abzulehnen. Es liege kein absehbar dauerhaftes Ausreisehindernis vor. So werde die Tochter des Klägers mit zunehmendem Alter begreifen, dass der Kläger nur vorübergehend abwesend sei. In der Zwischenzeit könne der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft und Ausübung der Personensorge durch die Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG Rechnung getragen werden. Zudem sei er ohne das erforderliche Visum eingereist. Ein Absehen von der Visumpflicht gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG als Spezialregelung zu § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Ermessenswege komme nicht in Betracht. So könnte der Kläger über den Umweg des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV doch zu einer Titelerteilung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG kommen, womit die Wirkungen des Visumverfahrens sowie der Titelerteilungssperre bei ihm ins Leere laufen würden. Es sei aber gerade deren Sinn und Zweck, im Sinne der effektiven Steuerung des Zuzugs von Ausländern in das Bundesgebiet den Anreiz zu reduzieren, Bleiberechte nach negativem Abschluss eines Asylverfahrens zu schaffen. Das Asylverfahren könnte verstärkt zur Umgehung des Visumverfahrens genutzt werden, würde betroffenen Ausländern der Wechsel in einen anderen Aufenthaltszweck ohne vorherige Erfüllung ihrer Ausreisepflicht generell ermöglicht. Der Aufenthaltserlaubnis zu humanitären Zwecken käme die ihr vom Gesetzgeber nicht zugewiesene Funktion eines "Eingangstores" für die Verfolgung anderer Aufenthaltszwecke zu, bei deren Erteilung nicht vornehmlich humanitäre Gesichtspunkte, sondern mit starkem Gewicht auch ordnungsrechtliche Aspekte zu berücksichtigen wären. Diese Erwägung streite damit als erheblicher öffentlicher Belang gegen das Absehen vom vorgeschriebenen Visumverfahren. Es würde der Zweck des Visumverfahrens konterkariert, wenn nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG der Weg für die Erteilung der ursprünglich beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG frei wäre. Auch streite Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG nicht für das Absehen vom Visumverfahren. Dieser wertentscheidenden Grundsatznorm werde bereits durch die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG und der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis Rechnung getragen. Ein unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff liege insoweit nicht vor, zumal Art. 6 GG keinen Anspruch auf Aufenthalt vermittle. Die Verlängerung der Duldung werde zudem bis zur Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens erfolgen. Es erfolge damit auch keine Trennung auf unabsehbare Zeit, welche das Bundesverfassungsgericht bei seinen Entscheidungen im Hinblick auf die Trennung von Eltern und Kleinkindern besonders in den Blick nehme und entsprechendes Gewicht beimesse. Zwar spreche für den Kläger, dass derzeit aufgrund der unklaren weltpolitischen Lage, insbesondere vor dem Hintergrund der Corona-Krise in Indien und Pakistan, der Aufenthalt dort zur Einholung des Visums unbestimmte Zeit in Anspruch nehmen werde. Insoweit wäre auch eine längerfristige Trennung von seinem Kind möglich, welche Art. 6 GG zuwiderlaufen könnte. Einschränkend sei dabei aber zu sehen, dass von Seiten des Klägers nichts weiter unternommen worden sei, um den Sachverhalt weiter aufzuklären (Kontaktaufnahme mit der deutschen Botschaft etc.), obschon die Ausländerbehörde Hinweise für ein mögliches Vorgehen in Bezug auf die Nachholung des Visumverfahrens gegeben habe. Nach alledem gebe die Ausländerbehörde den öffentlichen Interessen an der Einhaltung der Visumpflicht den Vorzug vor den privaten Interessen des Klägers.
8
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger mit am 2. Dezember 2020 eingegangenem Schriftsatz Klage erheben und zugleich Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung stellen. Zwar werde zutreffen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Titelerteilung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegenstehen würde. Allerdings könne der Kläger vorliegend gemäß § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet erhalten. Die Voraussetzung dieser Regelung lägen vor. Der Kläger sei in Besitz einer Duldung gemäß § 60a AufenthG und habe durch die Geburt seines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erworben. Aus der Duldungsbescheinigung ergebe sich nicht, aufgrund welcher Erwägungen der Ausländerbehörde diese erteilt worden sei. Die Führung der familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Kind im Bundesgebiet sei nicht der einzige Duldungsgrund. Nach der derzeitigen Weisungslage komme beim Kläger eine Rückführung nach Afghanistan auch deshalb nicht in Betracht, da nur alleinstehende Straftäter und Identitätsverweigerer einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung zugeführt würden. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach bei der Rückkehr von Personen mit minderjährigen Kindern nach Afghanistan, wovon nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auszugehen sei, unter den dort herrschenden Rahmenbedingungen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen sei. Als weiterer Duldungsgrund komme hinzu, dass eine Abschiebung des Klägers nach Afghanistan wegen der derzeitigen Corona-Pandemie und der damit im Zusammenhang stehenden Weigerung der afghanischen Behörden, Rückführungen zuzustimmen, nicht in Betracht komme. Auch ohne Führung der familiären Lebensgemeinschaft wäre dem Kläger daher eine Duldung gemäß § 60a AufenthG zu erteilen. Die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV lägen damit vor, unabhängig von der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BayVGH. Hilfsweise seien die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG gegeben. Insoweit sei von eine Ermessensreduzierung auf Null auszugehen. Auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur persönlichen Verbundenheit zwischen Elternteil und Kind und die hieraus abzuleitende erforderliche Einzelfallprüfung der Folgen einer endgültigen oder auch nur vorübergehenden Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl werde hingewiesen. Vorliegend sei ein sehr kleines Kind betroffen, welches den vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung nicht begreifen könne und diese rasch als endgültigen Verlust erfahre. Der persönliche Kontakt des Kindes zum Vater und der damit verbundene Aufbau wie die Kontinuität emotionaler Bindungen zu diesem seien für die persönliche Entwicklung des Kindes dringend geboten. Die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes würde gestört und beeinträchtigt, soweit dieser persönliche Kontakt, wenn auch nur für kurze Zeit, abbrechen würde. Ein Verlassen des Bundesgebiets sei weder dem minderjährigen Kind noch dessen Mutter zumutbar. Von der Durchführung des Visumverfahrens sei im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht für nicht zulässig angesehene (auch kurzfristige) Trennung eines Vaters von seinem Kleinkind abzusehen. Auf Stellungnahmen der Kindsmutter sowie deren Mutter werde verwiesen. Der Kläger habe große Angst, dass er im Hinblick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie über viele Monate in Afghanistan festgehalten würde. Hieran würde auch die von Beklagtenseite angebotene Vorabzustimmung nichts ändern können.
9
Nach der beigefügten Stellungnahme der Kindsmutter vom 18. November 2020 bestätigt die diese, dass der Kläger der gemeinsamen Tochter und ihr sehr verbunden sei. Er zeige großes Interesse und nehme an der Erziehung ihrer Tochter teil. Es habe sich an den bisherigen Stellungnahmen nichts geändert. Vater und Tochter dürften nicht getrennt werden. Sonst führe es zu einer Katastrophe, da die zwei sehr aneinander hingen.
10
Die Mutter der Kindsmutter äußerte sich ebenfalls unter dem 18. November 2020. Der Kläger sei ihr Sohn, ohne ihn überlebe sie nicht. Sie sei eine kranke Frau und er helfe ihr bei allem (Einkaufen, Putzen, Kochen, Anziehen). Ohne den Kläger gehe sie zugrunde. Ihre Tochter sei auch krank und habe dazu noch das kleine Kind. Da habe sie nicht viel Zeit für sie. Sie bitte darum, dass man ihr den Kläger nicht wegnehme. Er habe niemanden in Afghanistan. Sie sei seine Mutter. Der Kläger sei ein sehr braver Mensch und habe sich nichts zu Schulden kommen lassen. Er sei nicht straffällig gewesen. Auf ihn könne sie sich hundertprozentig verlassen. Ihre Tochter und sie bräuchten den Kläger, seine Tochter könne auch nicht ohne ihren Papa. Jenes solle nicht leiden und ohne Vater groß werden.
11
Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2020 wird weiter geltend gemacht, dass in Ansehung der Schließung der Deutschen Botschaft Kabul nach Ziff. 5.2.3 AVwV-AufenthG im Ermessenswege von der Nachholung des Visumverfahrens abgesehen werden könne, da im Herkunftsland keine deutsche Auslandsvertretung existiere. Im Rahmen der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass die Deutsche Botschaft in Indien aktuell geschlossen sei und afghanische Staatsangehörige für die Einreise nach Pakistan zur Deutschen Botschaft in Islamabad zwei pakistanische Bürgen benötigten. Solche könne der Kläger nicht stellen.
12
Unter dem 21. Januar 2021 teilt der Klägervertreter mit, dass die Botschaft zwar offensichtlich offen sei. Jedoch betrage nach einem entsprechenden E-Mail-Verkehr mit der Botschaft die aktuelle Wartezeit bis zu einer bloßen Terminvergabe derzeit deutlich mehr als ein Jahr. Wann ein Termin zugewiesen werde, könne nicht vorhergesagt werden. Die Terminvergabe erfolge aus Gründen der Fairness und Gleichbehandlung in chronologischer Reihenfolge. Mit einer bevorzugten Terminvergabe, selbst bei dringenden humanitären oder medizinischen Gründen, könne nicht gerechnet werden, da nach Auskunft der Botschaft fast alle Antragsteller dringende Gründe geltend machten. Unter den gegebenen Umständen sei es dem Kläger unzumutbar, dass Visumverfahren zu bescheiden.
13
Der Kläger lässt beantragen,
1.
Der Bescheid des Landratsamts Dingolfing-Landau vom 27.10.2020 wird aufgehoben.
2.
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, hilfsweise eine solche nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zu erteilen.
14
Der Beklagte beantragt im Wesentlichen unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid sowie auf die Ausführungen im gerichtlichen Hinweisschreiben vom 18. Dezember 2020,
die Klage abzuweisen.
15
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass laut Mitteilung des Landesamtes für Asyl und Rückführungen vom 17. Dezember 2020 bei gewissen coronabedingten Einschränkungen Abschiebungen nach Afghanistan möglich und bereits auch durchgeführt worden seien. Zudem sei der Ausländerbehörde bereit, eine Vorabzustimmung gemäß § 31 Abs. 3 AufenthV in dem Umfang auszustellen, wie im gerichtlichen Schreiben vom 18. Dezember 2020 dargestellt.
16
Die Einzelrichterübertragung datiert vom 14. Januar 2021. Die Beteiligten stimmten mit Schriftsätzen vom 4. und 21. Januar 2021 einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO zu.
17
Zur Ergänzung der Sachverhaltswiedergabe wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die gewechselten Schriftsätze, sowie der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18
Die Klage, über die mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO entschieden wird, hat keinen Erfolg. Der Kläger hat weder Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG noch hilfsweise nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO).
19
1. Einer Titelerteilung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG steht die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Dabei kommt dem Kläger nicht die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG zugute, wonach im Falle eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG keine Anwendung findet. Denn ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in diesem Sinne setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben muss. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 27 m.w.N.).
20
1.1 Ein solcher strikter Rechtsanspruch steht dem Kläger aber nicht zur Seite, da er ohne das erforderliche Visum eingereist ist und demzufolge die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt (BayVGH, B.v. 30.8.2018 - 10 C 18.1497 - juris Rn. 19). Zwar kann hiervon gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Da diese Entscheidung aber im Ermessenswege zu treffen ist, liegt kein gebundener Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vor (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2014 - 1 C 15/14 - juris Rn. 19 zu § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG; BayVGH, B.v. 3.9.2019 - 10 C 19.1700 - juris Rn. 2 m.w.N.).
21
Auch Asylbewerber unterliegen nach Abschluss ihres Asylverfahrens bei Beantragung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck der Visumpflicht (BayVGH, B.v. 24.9.2019 - 10 C 19.1849 - juris Rn. 7 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 3.5.2019 - 13 PA 97/19 - juris Rn. 16 m.w.N.). Kommt eine Befreiung vom Erfordernis der Einreise mit dem entsprechenden Visum nur im Ermessenswege in Betracht, greift auch in diesen Fällen die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, es sei denn der Betreffende kann gem. § 39 AufenthV seinen Aufenthaltstitel vom Inland aus beantragen (BayVGH, B.v. 4.5.2020 - 10 ZB 20.666 - juris Rn. 7; B.v. 16.3.2020 - 10 CE 20.326 - juris Rn. 15, 17).
22
Erst in jüngerer Zeit (U.v. 26.5.2020 - 1 C 12/19 - Rn. 47, 50) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG die Erteilung solcher Aufenthaltstitel sperrt, die nicht in Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes normiert sind. Er steht daher grundsätzlich einer Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug vom Inland aus entgegen. Ausländer, die, ohne zuvor das Visumverfahren beschritten zu haben, im Bundesgebiet Asyl oder internationalen Schutz beantragt haben, sollen im Falle der Erfolglosigkeit der Antragstellung im Grundsatz für die Verfolgung eines nicht humanitären Aufenthaltszwecks auf das gesetzlich vorgesehene Zuzugsverfahren verwiesen werden. Ferner bestätigt das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsprechung, wonach zur Durchbrechung der Titelerteilungssperre allein gesetzliche strikte Rechtsansprüche führen (a.a.O., Rn. 52). Schließlich sah das Bundesverwaltungsgericht im entschiedenen Fall allein wegen der Anwendbarkeit des § 39 AufenthV von der Erfüllung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ab (a.a.O., Rn. 53 u. 55).
23
Nach alledem hilft ein Verweis der Klägerseite auf die Ermessensnorm des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG dem Kläger nicht weiter.
24
1.2 Eine für den Kläger günstigere Rechtsfolge ergibt sich nicht aus § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV. Diese die Titeleinholung im Bundesgebiet gestattende Bestimmung erfordert, dass die Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und der Ausländer auf Grund einer Eheschließung, der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Diese Regelung soll nur diejenigen Ausländer privilegieren, die sich mit einer Duldung im Bundesgebiet aufhalten und sodann (u.a.) Eltern werden, nicht aber diejenigen, denen eine Duldung nur erteilt wird, um ihnen (u.a.) die Führung einer familiären Lebensgemeinschaft zu ermöglichen. Bei der von § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV vorausgesetzten Aussetzung der Abschiebung muss es sich folglich um eine solche handeln, die wegen anderer Abschiebungshindernisse als der (hier) Vaterschaft erteilt worden ist (BayVGH, B.v. 4.5.2020 - 10 ZB 20.666 - juris Rn. 10; B.v. 30.8.2018 - 10 C 18.1497 - juris Rn. 20 m.w.N.). Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV ist auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung bzw. in einem sich anschließenden Klageverfahren auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen (BayVGH, B.v. 6.12.2020 - 19 CE 20.2905). Aktuelle "familienunabhängige" Duldungsgründe sind indes nicht ersichtlich.
25
1.2.1 Soweit sich die Klägerseite hierzu zunächst auf eine "aktuelle Weisungslage" beruft, wonach nur bestimmte Personengruppen vollziehbar ausreisepflichtiger afghanischer Staatsbürger einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung zugeführt würden, ist dem Gericht eine solche nicht bekannt. Vielmehr ergibt sich etwa aus einem Beschluss des BayVGH vom 30. Januar 2019 (19 CE 18.1725 - juris Rn. 21), dass eine derartige Einschränkung allenfalls im Zeitraum 2017/2018 bestanden hatte.
26
1.2.2 Das Gericht geht nicht davon aus, dass von einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan mit einem minderjährigen Kind auszugehen ist. Unabhängig davon, dass es sich dabei allenfalls um ein zielstaatsbezogenes Argument handeln würde, welches nicht duldungsbegründend wirkt, verlangt die Ausländerbehörde nicht die dauerhafte Ausreise des Klägers. Ihr geht es allein um die Durchführung des Visumverfahrens. Demgemäß liegt es tatsächlich fern, von einer "Rückkehr" nach Afghanistan zu sprechen, noch dazu mit einem minderjährigen Kind. Ungeachtet dessen muss dem Kläger bekannt sein, dass das erforderliche Visumverfahren entweder an der Deutschen Botschaft Islamabad oder an der Deutschen Botschaft Neu-Delhi durchzuführen ist. Auch deshalb kann dieses Argument nicht tragen.
27
1.2.3 In Ansehung der am 16. Dezember 2020 durchgeführten Sammelabschiebung nach Afghanistan entfällt die Annahme fehlender Übernahmebereitschaft Afghanistans.
28
1.2.4 Schließlich ist im Lichte des Schreibens des Oberlandesgerichts München vom 14. Januar 2020 nicht von einer im Sinne der Rechtsprechung (vgl. dazu etwa BayVGH, B.v. 30.6.2020 - 10 CS 20.1390 - juris) unmittelbar bevorstehenden Eheschließung mit der Kindsmutter auszugehen. Dass sich die Bewertung des Oberlandesgerichts München zwischenzeitlich geändert hat, hat die Klägerseite nicht vorgetragen.
29
2. Was die hilfsweise im Raum stehende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG angeht, ist in der Rechtsprechung nach wie vor offen, ob diese Anspruchsgrundlage überhaupt als "Auffangtatbestand" dienen kann. Ungeachtet dessen ist eine Abschiebung des Klägers im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG rechtlich möglich:
30
2.1 Zunächst ist der Verweis auf das Visumverfahren auch in Würdigung des Schutzes von Ehe und Familie aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig.
31
Mit der in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm ist es grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer, dessen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG abgelehnt worden ist, weil er nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist ist, auf die Einholung dieses Visums zu verweisen (vgl. BVerfG, B.v. 17.5.2011 - 2 BvR 2625/10 - juris Rn. 14). Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik begehrt, regelmäßig hinzunehmen. Daher ist ein kleines Kind regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (BayVGH, B.v. 16.3.2020 - 10 CE 20.326 - juris Rn. 20).
32
Davon ausgehend, dass die Ausländerbehörde dem Kläger bereits im Verwaltungsverfahren und erneut im gerichtlichen Verfahren unter dem 4. Januar 2021 schriftsätzlich angeboten hat, ihn nach unverzüglicher Vorlage einer Terminbuchung bei der zuständigen Auslandsvertretung bis zur freiwilligen Ausreise anlässlich eines entsprechenden Botschaftstermins zu dulden sowie ihm unmittelbar vor zeitgerechter freiwilliger Ausreise eine Vorabzustimmung zum begehrten Visum zum Familiennachzug zu erteilen, ist es ausschließlich am Kläger, die auf diese Weise maßgeblich verkürzte Abwesenheitszeit durch entsprechende Eigeninitiative und Vorbereitung effektiv zu nutzen. Dass der bei gehöriger Mitwirkung durch den Kläger sodann anzunehmende Abwesenheitszeitraum von wenigen Wochen gleichwohl in einer für sein Kind unzumutbaren Art und Weise überschritten werden könnte, ist nicht erkennbar. Eine Zusicherung der Ausländerbehörde in der vorstehend beschriebenen Gestalt ermöglicht ihm eine ordnungsgemäße Rückkehr in das Bundesgebiet bei außerordentlich kurzer Abwesenheit. Ein Verzicht auf die Durchführung des Visumverfahrens scheidet hiernach auch in Ansehung der Belange des Kindes aus. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Ausführungen der Klägerseite im Schriftsatz vom 21. Januar 2021. Denn in Ansehung des behördlicherseits unterbreiteten Angebots einer Duldung des Klägers bis zur freiwilligen Ausreise anlässlich eines Botschaftstermins ist es unter dem Blickwinkel des Art. 6 GG, Art. 8 EMRK unerheblich, dass die aktuelle Wartezeit bis zu einer bloßen Terminvergabe derzeit deutlich mehr als ein Jahr beträgt. Denn er kann diese Zeit bei und mit seinem Kind verbringen und muss nur zum konkreten Botschaftstermin ausreisen.
33
Demgemäß liegt fern, eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG anzunehmen. Der Kläger kann in zumutbarer Weise das erforderliche Visumverfahren zum Familiennachzug durchführen. Aufgrund der genannten Erklärungen der Ausländerbehörde kann er bis zum Botschaftstermin im Bundesgebiet bleiben und muss dieses nur zu dessen Durchführung verlassen. Eine Abwesenheit von dann allenfalls wenigen Wochen ist auch in Würdigung der geltend gemachten familiären Belange zumutbar. Dies gilt erst recht, wenn nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass ein aktuell etwa 1 ½-jähriges Kind kognitiv noch keine eigene gefestigte Vorstellung über die tatsächliche Bedeutung eines Zeitraums von wenigen Wochen entwickelt hat. Etwaige Nachfragen des Kindes in dieser Zeit können beispielsweise durch Nutzung von Fernkommunikationsmitteln wie etwa Videotelefonie überbrückt und ihm damit das Gefühl gegeben werden, dass der Kläger in den wenigen Wochen seiner nicht körperlichen Anwesenheit weiterhin im Leben des Kindes präsent ist. Dabei ist mit zu berücksichtigen, dass die Eltern die in der Vergangenheit bereits an einem gemeinsamen Wohnsitz in D* … bestehende familiäre Lebensgemeinschaft aus eigenem Entschluss wieder beendet hatten und der Kläger auf seinen Wunsch hin bereits seit 8. Januar 2020 erneut in einer Gemeinschaftsunterkunft in L* … lebt. Das gemeinsame Kind ist es also schon seit längerem gewohnt, seinen Vater nicht als dauerhaften Teil der häuslichen Lebensgemeinschaft zu begreifen, selbst wenn er täglich stundenweise dort anwesend sein mag und am Wochenende dort übernachtet. Zudem können die Eltern schon im Vorfeld in Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgabe das Kind auf die Abwesenheit des Klägers vorbereiten und ihm altersgerecht vermitteln, dass dessen Abwesenheit nicht mit einem endgültigen Verlust seiner Person verbunden ist. Hierfür haben sie nach Lage der Akten mindestens ein Jahr Zeit. Daher erschließt sich nicht, weshalb sich eine Abwesenheit von wenigen Wochen maßgeblich etwa von der Lage in Familien, in denen ein Elternteil beispielsweise berufsbedingt für einige Wochen nicht am Familienwohnsitz präsent sein kann, relevant unterscheiden soll. Dass damit gleichsam regelhaft eine Kindeswohlgefährdung verbunden sein soll, erscheint nicht naheliegend. Vielmehr ist es eben auch Aufgabe der Eltern im Rahmen ihrer Erziehungsverantwortung, das Ihre dafür zu tun, dass das - aus heutigem Blickwinkel bei entsprechender Mitwirkung - zum Ausreisezeitpunkt voraussichtlich etwa dreijährige Kind diese Situation als vorübergehend begreift.
34
Die Nachholung des Visumverfahrens im oben beschriebenen zeitlichen Umfang von wenigen Wochen unterbricht daher den erstrebten Familienzusammenhang nicht in erheblicher Weise. Nach dessen Durchführung ist ein Zusammenleben als Familie im Bundesgebiet möglich.
35
Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass das Verfahren bei der Botschaft selbst trotz ordnungsgemäßer Vorbereitung durch den Kläger unangemessen verzögert würde oder gar eine Ablehnung des Visumantrags zu befürchten stünde, sind bei ordnungsgemäß gebuchtem Termin und Mitführung aller erforderlicher Unterlagen einschließlich der Vorabzustimmung nicht ersichtlich. Auch wenn eine Vorabzustimmung der hiesigen Ausländerbehörde die Entscheidung der Botschaft nicht formell bindet, so ist doch der materielle Prüfungsraum identisch. Belastbare Anhaltspunkte dafür, weshalb die Botschaft zu einem anderen inhaltlichen Prüfungsergebnis kommen sollte als die Ausländerbehörde, sind nicht aufgezeigt, zumal die Sicherung des Lebensunterhalts nicht erforderlich ist und die Ausübung der Personensorge als solche nicht in Streit steht.
36
2.2 Der Verweis auf die aktuelle Pandemielage führt ebenfalls nicht weiter. Durch die Corona-Pandemie verursachte Reisebeschränkungen sind vorübergehender Natur und haben allenfalls auf den Zeitpunkt, zu dem das Visumverfahren nachgeholt werden muss, Einfluss. Eine Zusicherung in obigem Sinne setzt dabei denklogisch voraus, dass der Kläger einerseits nach Pakistan bzw. Indien bzw. andererseits wieder nach Deutschland einreisen kann. Visa zur Familienzusammenführung werden jedenfalls auch aktuell wieder ausgestellt (vgl. etwa Informationen des Bundesinnenministeriums zum Stichpunkt "What special conditions apply to entry into Germany by family members who are nationals of a third-country that is not on the "safe" list?" (vgl. https://t1p.de/jza3; Shortlink durch Gericht, zuletzt aufgerufen am 25.1.2021).
37
2.3 Einer etwaigen Angst vor Einreise nach Pakistan kann der Kläger dadurch begegnen, indem er das Visumverfahren an der Deutschen Botschaft Neu-Delhi durchführt, deren Visastelle geöffnet ist (vgl. https://india.diplo.de/in-de/vertretungen/botschaft/-/2409610, zuletzt aufgerufen am 25.1.2021). Belastbare Indizien dafür, dass er sich in Indien nicht (vorübergehend) aufhalten kann, sind nicht aufgezeigt. Insbesondere muss er sich in eigener Zuständigkeit darum kümmern, das entsprechende Einreisevisum zu erhalten. Die möglicherweise gehegte Befürchtung, in Pakistan oder Indien von den dortigen Behörden festgehalten zu werden, ist in keiner Weise substantiiert.
38
2.4 Soweit sich die Großmutter des Kindes für den Kläger verwendet, führt das von ihr beschriebene Angewiesensein auf den Kläger im Lichte rechtlich nicht bestehender Verwandtschaft gleichermaßen nicht zu einer aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK abzuleitenden rechtlichen Unmöglichkeit. Im Übrigen ist auch an dieser Stelle nochmals hervorzuheben, dass es nicht um eine dauerhafte Fernhaltung des Klägers vom Bundesgebiet geht, sondern im Kern ausschließlich und allein um die Nachholung des Visumverfahrens an der Deutschen Botschaft Islamabad oder Neu-Delhi.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.