Inhalt

SG München, Endurteil v. 23.06.2021 – S 38 KA 5039/20
Titel:

Zum Leistungsinhalt der GoÄ-Nrn 2381 bzw. 2382 – Verwendung von Drainagestreifen 

Normenkette:
GOÄ 2381, 2382
Leitsätze:
1. Die Leistungen nach den GoÄNrn 2381/2382 ("einfache Hautlappenplastik; schwierige Hautalappenplastik) sind nicht Bestandteil der chirurgischen Leistungen. (Rn. 20)
2. Erfolgt zusätzlich eine Maßnahme, die dem Leistungsziel der Hautlappenplastik ganz oder im Wesentlichen zuwiderläuft, deren beabsichtigter zahnmedizinischer Behandlungserfolg mehr oder weniger gefährdet ist bzw. diesen sogar aufhebt, dann ist auch in diesem Fall die Leistungslegende als nicht erfüllt anzusehen. Das Einbringen/Wiederentfernen von Drainagestreifen, was noch dazu an einer anderen Stelle erfolgt, gefährdet weder den beabsichtigten Behandlungserfolg der Hautlappenplastik, geschweige denn hebt diesen auf. (Rn. 21 – 22)
Schlagworte:
Drainagestreifen, Leistungsbestandteil, Abrechnungsfähigkeit, Wundversorgung, Hautlappenplastiken, Leistungslegende, chirurgische Hauptleistung, Risikopatient, Wundverschluss, Zahnentfernung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 22232

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 11.09.2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2020 wird entsprechend der Antragstellung des Klägers aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Mit der zum Sozialgericht München eingelegten Klage wandte sich die klagende Gemeinschaftspraxis gegen die Entscheidung der Widerspruchsstelle aus der Sitzung vom 19.02.2020. Die Widerspruchsstelle wies den Widerspruch bis auf vier Behandlungsfälle zurück. Konkret bezog sich die Klage auf die sachlich-rechnerische Richtigstellung zunächst in 23 Behandlungsfällen, schließlich auf 17 Behandlungsfälle (Dem Widerspruch in 4 Behandlungsfällen wurde abgeholfen; außerdem bezog sich der Klageantrag nicht auf die Behandlungsfälle H. und R.), in denen neben den chirurgischen Leistungen nach den Bema-Nrn. 48, 56a und 58 die GoÄ-Nrn 2381 bzw. 2382 in Ansatz gebracht wurden.
2
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Abrechnung der Hautlappenplastik nach den GoÄ-Nrn 2381 bzw. 2382 sei nicht nachvollziehbar, da sog. Drainagestreifen eingebracht worden seien, welche zunächst einen Zugang zur Mundhöhle schaffen würden, dann aber wieder entfernt werden müssten. Dies konterkariere den Zweck des plastischen Verschlusses.
3
In der Klagebegründung wurde zunächst darauf hingewiesen, die zahnärztliche Berufsausübungsgemeinschaft sei schwerpunktmäßig in der MKG-Chirurgie und der Oralchirurgie tätig. Bei der Hautlappenplastik handle es sich um eine Operationstechnik, die das Wiederherstellen oder die Verbesserung von Form und/oder Funktion von Körperteilen zum Ziel habe. Nach der Darstellung der Klägerseite habe die Hautlappenplastik ein anderes Ziel als der chirurgische Eingriff, nämlich den Schutz anatomischer Strukturen, Blutstillung etc. Einzuräumen sei, dass die übliche Wundversorgung nicht abrechnungsfähig sei, da die methodisch notwendige Wundversorgung Bestandteil der operativen Zielleistung sei. Die Hautlappenplastik sei bei gewöhnlichen zahnärztlichen Eingriffen bei nicht Risikopatienten nicht erforderlich; anders aber bei schwereren zahnärztlichen chirurgischen Maßnahmen, aber auch bei chirurgischen Maßnahmen bei Risikopatienten.
4
Von der Klägerseite wurde auch auf die Regelungen in § 4 Abs. 2a GoÄ bzw. § 4 Abs. 2 S. 2 GOZ hingewiesen. Zu unterscheiden sei danach zwischen dem Behandlungsziel und dem Leistungsziel. Das Behandlungsziel sei das Entfernen des Zahnes, während das Leistungsziel der Hautlappenplastik darin bestehe, Nebenwirkungen zu vermeiden. Die Hauptleistung sei mit der Zahnentfernung und der primären Wundversorgung abgeschlossen. Die Hautlappenplastik gehe über die primäre Wundversorgung hinaus und werde konsekutiv bzw. nachrangig durchgeführt.
5
Allein der Umstand, in welcher Höhe Hautlappenplastiken in Relation zur Bewertung der chirurgischen Maßnahmen bewertet würden, spreche dafür, dass die Hautlappenplastik nicht Bestandteil der chirurgischen Hauptleistung sei.
6
Im Übrigen sei die Indikation für eine Hautlappenplastik nicht regelhaft bei jeder Zahnentfernung gegeben. Sie sei somit nicht unabdingbare Voraussetzung für die Hauptleistung.
7
Bei der Frage, ob eine Leistung abrechnungsfähig sei oder nicht, komme es nach gefestigter Rechtsprechung in erster Linie auf den Wortlaut der Leistungslegende an. Dass zur Abrechnungsvoraussetzung eine absolute Speicheldichtigkeit gehöre, ergebe sich aber aus dem Wortlaut der Leistungslegende eben nicht. Vielmehr handle es sich um eine „unhaltbare“ Erweiterung der Leistungsinterpretation. Durch eine Einlage von Drainagestreifen könne das Risiko für Infektionen … gesenkt werden. Die Indikation für eine Drainage sei primär durch die Osteotomie bzw. Entfernung eines Zahnes begründet. Es handle sich somit um eine halboffene Wundversorgung. Der Drainagestreifen befinde sich auch an einer anderen Stelle als die Nahtreihe der plastischen Deckung. In diesem Zusammenhang sei auf das Standard-Lehrbuch der Zahn-Mund-Kiefer-Heilkunde (Professor Dr. W.) hinzuweisen. Darin werde unter anderem ausgeführt, der Wundverschluss im Unterkiefer sei selten ohne Drainage durchzuführen. Wären die Ausführungen der Beklagten korrekt, müssten jegliche Einlagen von Drainagestreifen kontraindiziert sein. Bei der plastischen Deckung gehe es in erster Linie darum, eine unkontrollierte mechanische Alteration durch Speisereste zu vermeiden. Somit sei das Einbringen von Drainagestreifen unabhängig von der Hautlappenplastik und besitze keine deren Abrechenbarkeit zuwiderlaufende Indikation.
8
Hierzu nahm die Beklagte Stellung. Es wurde ausgeführt, durch die sog. „Dochtwirkung“ des Drainagestreifens entstehe die Gefahr, dass Keime in die Wunde „einwandern“. Der herbeizuführende Wundverschluss könne bei Entnahme des eingebrachten Drainagestreifens nicht aufrechterhalten werden, selbst wenn dieser auf der anderen Seite des OP-Gebietes eingebracht werde. Denn der zu verschließende Hautdefekt sei derselbe.
9
Im Übrigen wiederholte die Beklagte ihre Auffassung, der Leistungsinhalt der GoÄ-Nrn 2381 bzw. 2382 werde bereits durch die chirurgische Leistung abgegolten. Die Verwendung von Drainagestreifen stehe dem Leistungsinhalt des Wundverschlusses entgegen. Es wäre erforderlich gewesen, dass das Einbringen des Drainagestreifens in der Leistungslegende mit enthalten wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall.
10
In der mündlichen Verhandlung am 23.06.2021 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert.
11
Der Kläger beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 11.09.2019 in der Fassung des Bescheides der Widerspruchsstelle aus der Sitzung vom 19.02.2020 aufzuheben, soweit die sachlich-rechnerische Richtigstellung nicht die Behandlungsfälle H. und R. betrifft.
12
Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.
13
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 23.06.2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

14
Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet. Die angefochtenen Bescheide sind, soweit sie im Klagewege angefochten werden, rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Unrecht die Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen GoÄ 2381 bzw. 2382 neben den chirurgischen Leistungen nach den Bema-Nrn. 48, 56a und 58 sachlich-rechnerisch berichtigt. Bei den Leistungen nach den GoÄ 2381 bzw. 2382 handelt es sich um Hautlappenplastiken.
15
Zu klären ist zum einen das Verhältnis dieser Leistungen zu den chirurgischen Leistungen und zum anderen auch, ob die Abrechnung der Leistungen nach den GoÄ 2381 bzw. 2382 dadurch gehindert ist, dass Drainagestreifen eingebracht und wieder entfernt wurden.
16
Zunächst ist festzustellen, dass weder in den Leistungslegenden für die chirurgischen Leistungen, noch in den Leistungslegenden für die Leistungen nach den GoÄ 2381 bzw. 2382 explizit gegenseitige Ausschlüsse aufgeführt sind. Dies schließt jedoch nicht aus, dass trotzdem die eine Leistung Leistungsbestandteil der anderen Leistung sein kann und deshalb keine zusätzliche Abrechnungsfähigkeit besteht. So enthalten die Allgemeinen Bestimmungen zur BEMA unter Ziffer 2.die Regelung, eine Leistung als selbstständige Leistung sei dann nicht abrechnungsfähig, wenn sie Bestandteil einer anderen abrechnungsfähigen Leistung ist. In Konkretisierung hierzu hat insbesondere die obergerichtliche Rechtsprechung der Sozialgerichte (BSG, Urteil vom 05.11.2008, Az B 6 KA 1/08 R; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 05.03.2008, Az L 12 KA 5008/06) entschieden, „eine Leistung sei dann Bestandteil einer anderen Leistung, wenn diese im Zuge der anderen typischerweise mit erbracht wird und der für die sie erforderliche Aufwand im Regelfall hinter dem für die andere Leistung - die Hauptleistung - zurücktritt“.
17
Gegen die Auffassung der Beklagten, die Leistungen nach der GoÄ 2381/2382 seien mit den chirurgischen Leistungen bereits abgegolten sprechen nach der Überzeugung der mit zwei Zahnärzten fachkundig besetzen Kammer mehrere Gründe. So trifft es zwar zu, dass chirurgische Maßnahmen die übliche Wundversorgung mit einschließen. Wie die Klägerseite zutreffend ausführt, ist die chirurgische Maßnahme mit der Zahnentfernung und der primären Wundversorgung abgeschlossen. Von der primären Wundversorgung ist aber der Wundverschluss durch Hautlappenplastik nach der GoÄ 2381/2382 zu unterscheiden. Letzterer geht als konsekutive bzw. nachrangige Maßnahme über die primäre Wundversorgung hinaus. Hinzu kommt, dass Hautlappenplastiken grundsätzlich nicht bei einfachen chirurgischen Maßnahmen stattfinden, sondern nur dann, wenn dies zahnmedizinisch indiziert ist, sei es aufgrund der Schwere des chirurgischen Eingriffs oder wenn der Eingriff bei Risikopatienten vorgenommen wird. Dementsprechend steht der für die Hautlappenplastik erforderliche Aufwand auch in zeitlicher Hinsicht vielfach nicht hinter dem Aufwand für die chirurgische Leistung zurück. Bei der Hautlappenplastik handelt es sich somit nicht um eine solche regelhafte Wundversorgung.
18
Ferner ist zu unterscheiden zwischen dem Behandlungsziel, beispielsweise der Entfernung eines Zahnes und dem Leistungsziel der Hautlappenplastik. Die Hautlappenplastik dient dem Schutz anatomischer Strukturen, auch der Blutstillung, der Vermeidung des Eindringens von Keimen und dem Entgegenwirken einer unkontrollierten mechanischen Alteration durch Speisereste.
19
Weiteres Indiz dafür, dass die Hautlappenplastik nicht Bestandteil der chirurgischen Leistung ist, ist darin zu sehen, dass die Leistungen nach den GoÄ 2381/2382 relativ hoch bewertet sind, nämlich mit 42 BEMA Bewertungspunkten bzw. 83 BEMA Bewertungspunkten. Aus der Relation zu den Bewertungen der Leistungen nach den BEMA-Nrn 47a, 48, 56a und 58 (Bewertung: 58 Punkte, 78 Punkte, 120 Punkte, 48 Punkte) wird deutlich, dass es sich bei den Leistungen nach den GoÄ 2381/2382 um selbstständige Leistungen handelt, die eine Nebeneinanderabrechnung mit chirurgischen Leistungen nicht ausschließen.
20
Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die Leistungen nach den GoÄ 2381/2382 nicht Bestandteil der chirurgischen Leistungen sind.
21
Die weitere, zu klärende Fragestellung ist, ob durch das zusätzliche Einbringen und Wiederentfernen von Drainagestreifen die Hautlappenplastik nach den GoÄ 2381/2382 nicht mehr abrechenbar ist. Nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte kommt es in erster Linie auf den Wortlaut der jeweiligen Leistungslegende an, da das Regelwerk Bema dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Zahnärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des Bema ist, Unklarheiten zu beseitigen (BSG, Urteil vom 11.12.2013, Az B 6 KA 14/13 R). In den Leistungslegenden der GoÄ 2381/2382 „einfache Hautlappenplastik“, „schwierige Hautlappenplastik“ ist nicht näher beschrieben, welche Leistungsschritte zur Erfüllung der Leistungslegende erforderlich sind. Es ist den Leistungslegenden auch nicht zu entnehmen, ob das Einbringen/Wiederentfernen von Drainagestreifen dem Ansatz der GoÄ 2381/2382 entgegensteht. Wenn allerdings zusätzlich eine Maßnahme erfolgt, die dem Leistungsziel der Hautlappenplastik ganz oder im Wesentlichen zuwiderläuft, deren beabsichtigter zahnmedizinischer Behandlungserfolg mehr oder weniger gefährdet ist bzw. diesen sogar aufhebt, dann ist auch in diesem Fall die Leistungslegende als nicht erfüllt anzusehen.
22
Nach Auffassung der mit zwei Zahnärzten fachkundig besetzten Kammer wird durch das Einbringen/Wiederentfernen von Drainagestreifen, was noch dazu an einer anderen Stelle erfolgt, der beabsichtigte Behandlungserfolg der Hautlappenplastik weder gefährdet, geschweige denn aufgehoben. Vielmehr handelt es sich um Maßnahmen mit unterschiedlichen Zielsetzungen, die sich sinnvoll ergänzen können. So dient die Hautlappenplastik, wie bereits oben ausgeführt, dem Schutz anatomischer Strukturen, auch der Blutstillung, der Vermeidung des Eindringens von Keimen und dem Entgegenwirken einer unkontrollierten mechanischen Alteration durch Speisereste. Die Funktion des Drainagestreifens besteht darin, Wundsekret aus der Wunde abzuleiten und auch die Bildung von Hämatomen zu verhindern. Insofern haben die Hautlappenplastik und das Einbringen/Wiederentfernen von Drainagestreifen unterschiedliche Zielsetzungen. Dass durch das Einbringen/Wiederentfernen von Drainagestreifen die Hautlappenplastik konterkariert werde, erschließt sich dem Gericht nicht. Dafür spricht auch die einschlägige Literatur, die von der Klägerseite zitiert wird. So steht im Standardlehrbuch der Zahn-Mund-Kiefer-Heilkunde (Professor Dr. W.) zu lesen, dass der Wundverschluss im Unterkiefer nur selten ohne Drainage durchzuführen sei.
23
Aus den genannten Gründen war der Klage statt zu geben.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.