Inhalt

FG Nürnberg, Urteil v. 22.06.2021 – 3 K 695/20
Titel:

Rückzahlung von Kindergeld auf Grund eines  Abzweigungsbescheids

Normenketten:
EStG §§ 32 Abs. 1, 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Nr. 1, 66, 74 Abs. 1 S. 4
FGO § 60 Abs. 1 S. 1
AO §§ 37 Abs. 2, 122 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. Dies gilt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AO auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einer Rückforderung steht auch nicht entgegen, dass der Leistungsempfänger sich aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation nicht zur Rückzahlung in der Lage sieht. Der Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB ist im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO nicht anwendbar. Es besteht auch kein allgemeiner Rechtsgedanke, der bei einer Rückforderung des Kindergeldes zu berücksichtigen ist.  (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kindergeld, Rückforderung, Abzweigungsbescheid, Bekanntgabe
Fundstelle:
BeckRS 2021, 22125

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1
Streitig ist die Rückforderung von Kindergeld für B, das für den Zeitraum von Februar 2015 bis August 2017 an den Kläger ausbezahlt wurde.
2
Bei B liegt nach dem Schwerbehindertenausweis des Zentrums Bayern Familie und Soziales, Stadt Y, vom 23.11.2011 ein Grad der Behinderung von 50 und ab 11.12.2012 von 70 v.H. vor.
3
B ist seit 2011 in einer Einrichtung des Bezirks X untergebracht. Sie erhält Eingliederungshilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt.
4
Mit Bescheid vom 30.11.2011 zweigte die Familienkasse das Kindergeld für B nach § 74 Abs. 1 EStG für den Monat Oktober 2011 in Höhe von 131,04 € und ab November 2011 in Höhe von 129,04 € auf Antrag des Bezirks X an diesen ab.
5
Mit Bescheid vom 01.08.2012 zweigte die Familienkasse das Kindergeld für B ab August 2012 in Höhe von 129,04 € an den Bezirk X ab.
6
Zur Begründung führte die Behörde aus, dass der Kläger dem Kind nicht in vollem Umfang Unterhalt gewähre und die Abzweigung in dieser Höhe angemessen sei.
7
Der Bezirk X beantragte mit Schreiben vom 31.01.2014 weiterhin das Kindergeld nach § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG in zulässiger Höhe an den Bezirk abzuzweigen und teilte mit Schreiben vom 07.03.2014 mit, dass der Kläger seit November 2012 keinen Unterhaltsbeitrag mehr leiste.
8
Daraufhin zweigte die Familienkasse mit Bescheid vom 26.03.2014 das Kindergeld für B ab November 2013 in voller Höhe (184 €) an den Bezirk X ab.
9
Zur Begründung führte die Behörde aus, dass der Kläger dem Kind keinen Unterhalt gewähre und die Abzweigung in dieser Höhe angemessen sei.
10
Mit Verfügung vom 26.03.2014 wurde die Abzweigung intern zunächst bis Januar 2015 befristet.
11
Ab März 2014 zahlte die Familienkasse dem Kläger monatlich Kindergeld nur noch in Höhe von 151 € für das Kind C aus.
12
Ab Februar 2015 zahlte die Familienkasse monatlich Kindergeld in Höhe von 335 € an den Kläger und 33 € an den Bezirk aus. Der Betrag von 335 € setzte sich aus 184 € für B und 151 € für C zusammen. Es war jedoch kein geänderter Bescheid oder ein Widerruf der Abzweigung für B erlassen worden.
13
Der Bezirk X richtete mit Schreiben vom 20.06.2017 an die Beklagten die Anfrage, ob und ggf. wem und in welcher Höhe Kindergeld für B gewährt werde.
14
Mit Schreiben vom 27.07.2017 machte der Bezirk X die Beklagte darauf aufmerksam, dass entsprechende Zahlungen für das Kind B seit Dezember 2015 fällig seien.
15
Die Familienkasse zweigte sodann mit Bescheid vom 05.10.2017 das Kindergeld für B ab September 2017 in voller Höhe (192 €) nach § 74 Abs. 1 EStG an den Bezirk X ab.
16
Den Einspruch gegen den Bescheid vom 05.10.2017 wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 31.08.2018 als unbegründet zurück.
17
Die Familienkasse forderte mit Bescheid vom 27.01.2020 zu Unrecht ausgezahltes Kindergeld für den Zeitraum von Februar 2015 bis einschließlich August 2017 in Höhe von 5.884 € vom Kläger zurück. Dies wurde damit begründet, dass die Auszahlung von Kindergeld ohne Rechtsgrund erfolgt sei.
18
Der Kläger erhob Einspruch gegen den Rückforderungsbescheid. Im Einspruchsverfahren gab er an, einen von der Familienkasse erwähnten Abzweigungsbescheid vom 26.03.2014 nicht erhalten zu haben. Er habe sich nach dem Verhalten der Familienkasse darauf verlassen dürfen, dass ihm das Kindergeld zustehe und er dieses nicht mehr zurückzahlen müsse. Jedenfalls sei die Familienkasse nach den Grundsätzen des Schutzes von Treu und Glauben daran gehindert, eine Rückzahlung geltend zu machen.
19
Die Familienkasse erläuterte mit Schreiben vom 26.03.2020 die Zusammensetzung des Rückforderungsbetrages und dass es Kindergeld für B betreffe. Weiter führte sie aus, dass mit Bescheid vom 26.03.2014 das Kindergeld für B an den Bezirk abgezweigt und erst jetzt erkannt worden sei, dass der monatliche Kindergeldbetrag von Februar 2015 bis einschließlich August 2017 zu Unrecht an den Kläger ausgezahlt worden sei.
20
Den Einspruch gegen den Rückforderungsbescheid vom 27.01.2020 wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 07.05.2020 als unbegründet zurück.
21
Die Prozessbevollmächtigten haben Klage erhoben.
22
Das Gericht hat mit Beschluss vom 31.03.2021 über den für den Kläger gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe entschieden.
23
Die Familienkasse hat der Begründung des PKH Beschlusses vom 31.03.2021 und einer Anregung des Gerichts folgend mit Änderungsbescheid vom 12.05.2021 den angefochtenen Bescheid vom 27.01.2020 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 07.05.2020 dahin geändert, dass der zu erstattende Betrag auf 4.000,24 € reduziert wird und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
24
Der Änderungsbescheid wurde nach § 68 Finanzgerichtsordnung Gegenstand des Klageverfahrens.
25
Die Prozessbevollmächtigten beantragen zuletzt die Aufhebung des Rückforderungsbescheids vom 27.01.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.05.2020 und des Änderungsbescheids vom 12.05.2021.
26
Zur Begründung der Klage tragen sie vor, dass die Familienkasse zwar mit Bescheid vom 05.10.2017 das Kindergeld für B ab September 2017 an den Bezirk X abgezweigt habe. Bis einschließlich August 2017 stehe das Kindergeld aber dem Kläger zu. Der Kläger kenne keinen Abzweigungsbescheid aus dem Jahr 2014 und habe für seine Tochter B bis August 2017 immer das Kindergeld erhalten.
27
Im gesamten früheren Einspruchsverfahren sei zu keinem Zeitpunkt von einem älteren, existierenden Abzweigungsbescheid als dem Bescheid vom 05.10.2017 die Rede gewesen. Es überrasche auch, dass der behauptete Abzweigungsbescheid vom 26.03.2014 für fünf Monate rückwirkend erlassen worden sein soll.
28
Der Kläger habe einen Abzweigungsbescheid vom 26.03.2014 nie erhalten und er sei auch nicht vor dessen Erlass angehört worden. Ohne Bekanntgabe an den Kläger habe der Bescheid auch nicht wirksam werden können. Wenn überhaupt könne für den streitigen Zeitraum nur der Bescheid vom 11.08.2012 (richtig wohl: 01.08.2012) relevant sein, mit welchem 129,04 € an den Bezirk abgezweigt worden seien. Indem die Beklagte ab April 2014 bis Januar 2015 jedoch monatlich 184,00 € statt 129,04 € an den Bezirk abgezweigt habe, habe die Beklagte im genannten Zeitraum zehn Monate 54,96 € rechtsgrundlos an den Bezirk gezahlt (549,60 €), die jedenfalls dem Kläger zugestanden hätten. Dieser Betrag sei in Abzug zu bringen.
29
Es werde beantragt,
den Bezirk X zum Verfahren beizuziehen. Es ergebe sich aus der Kindergeldakte der Beklagten nichts zu einer Prüfung, in welcher Höhe eine Abzweigung überhaupt gesetzlich zulässig gewesen wäre. Zur Prüfung eines etwaigen materiell-rechtlichen Abzweigungsanspruchs sei daher die Beiziehung der Akte des Bezirks erforderlich - bzw. wäre bereits im Verwaltungsverfahren erforderlich gewesen. Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Abzweigung vorliegen, obliege allein der Beklagten. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO habe die Beklagte Bescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Die Beklagte sei daher gehalten, den Abzweigungsbescheid aus dem Jahr 2012 aufzuheben, da dessen Voraussetzungen nicht mehr vorgelegen hätten. Da die Beklagte Kindergeld sowohl an den Kläger als auch an den Bezirk ausgezahlt habe, bestehe möglicherweise ein Anspruch der Beklagten gegen den Bezirk. Dieser sei daher beizuladen. Im Übrigen könne ein Bescheid über die Abzweigung von Kindergeld nicht länger wirken, als der Bescheid über die Gewährung von Kindergeld selbst.
30
Der Kläger habe zudem im streitgegenständlichen Zeitraum Aufstockungsleistungen nach dem SGB II erhalten. Er gehe davon aus, dass das Kindergeld für B bei ihm als Einkommen berücksichtigt worden sei.
31
Die Familienkasse beantragt
Klageabweisung.
32
Zur Begründung führt sie aus, dass das Kindergeld für das Kind B nicht erstmals mit Bescheid vom 26.03.2014 oder im Jahr 2017 an den Bezirk X abgezweigt worden sei, sondern bereits mit Bescheiden vom 30.11.2011 und vom 01.08.2012.
33
Bereits mit Bescheid vom 30.11.2011 sei das Kindergeld für B für den Monat Oktober 2011 in Höhe von 131,04 € und ab November 2011 in Höhe von 129,04 € an den Bezirk X abgezweigt worden. Mit Bescheid vom 01.08.2012 sei das Kindergeld für B ab August 2012 in Höhe von 129,04 € an den Bezirk X abgezweigt worden. Bis Oktober 2013 sei dem Kläger monatlich Kindergeld in Höhe von 205,96 € für die Kinder C und B ausgezahlt worden. 33 € (C) und 129,04 € (B) seien an den Bezirk abgezweigt worden.
34
Nachdem der Bezirk mit Schreiben vom 07.03.2014 mitgeteilt habe, dass der Kläger seit November 2012 keinen Unterhaltsbeitrag mehr leiste, sei mit Bescheid vom 26.03.2014 das Kindergeld für B in voller Höhe (184 €) an den Bezirk X abgezweigt worden. Seit diesem Zeitpunkt sei dem Kläger monatlich nur noch Kindergeld in Höhe von 151 € für das Kind C ausgezahlt worden.
35
Es erscheine nicht glaubhaft, dass der Kläger den Bescheid vom 26.03.2014 nicht erhalten habe. Zumindest die Änderung der Höhe der Kindergeldzahlungen auf sein Konto hätte er feststellen müssen.
36
Mit Verfügung vom 26.03.2014 sei die Abzweigung intern zunächst bis Januar 2015 befristet worden. Die Abzweigung sei jedoch weder widerrufen worden, noch sei eine geänderte Entscheidung über die Abzweigung des Kindergeldes ergangen.
37
Offenbar sei es versäumt worden, die interne Befristung für die Abzweigung zu verlängern, sodass ab Februar 2015 versehentlich laufend monatlich jeweils 335,00 € (184 € x 2 = 368 € - 33 €) an den Kläger und nur noch 33,00 € an den Bezirk ausgezahlt worden seien. Erst mit Schreiben des Bezirks X vom 27.07.2017 sei die Familienkasse darauf aufmerksam gemacht worden, dass entsprechende Zahlungen für das Kind B fällig seien. Mit Bescheid vom 05.10.2017 sei daher zunächst ab September 2017 das Kindergeld für das Kind B wieder laufend in voller Höhe an den Bezirk abgezweigt worden.
38
Wenn der Kläger den Bescheid vom 26.03.2014 tatsächlich nicht erhalten haben sollte, habe zumindest die mit Bescheid vom 01.08.2012 geregelte Abzweigung des Kindergeldes für B in Höhe von 129,04 € monatlich bestanden.
39
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 27.01.2020 sei im Nachgang das für den Zeitraum von Februar 2015 bis einschließlich August 2017 zu Unrecht an den Kläger ausgezahlte Kindergeld zurückgefordert worden. Mit dem hier angefochtenen Abrechnungsbescheid vom 27.01.2020 sei keine neue Abzweigungsentscheidung ergangen. Es sei lediglich das versehentlich an den Kläger ausgezahlte Kindergeld zurückgefordert worden. Der Kläger habe keinen Rechtsanspruch auf Auszahlung des Kindergeldes für B ab Februar 2015, da das Kindergeld an den Bezirk abgezweigt wurde. Der Kläger habe daher auch keinen Anspruch darauf, fälschlich an ihn ausgezahltes Kindergeld behalten zu dürfen.
40
Eine Beiladung des Bezirk X werde nicht beantragt. Von der hier angefochtenen Entscheidung sei der Bezirk X auch nicht betroffen. Gegenstand des hiesigen Verfahrens sei es auch nicht zu überprüfen, ob das Kindergeld zu Recht an den Bezirk abgezweigt worden sei. Die entsprechenden Entscheidungen seien bestandskräftig. Da der Bezirk X im Streitzeitraum sowie auch in der Zeit davor und danach laufend sämtliche Kosten für die vollstationäre Unterbringung des Kindes getragen habe und der Kläger selbst keinen Unterhalt für das Kind geleistet habe, bestünden zudem auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vollen Abzweigung des Kindergeldes an den Bezirk.
41
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis dazu erklärt, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung und der zum Berichterstatter bestellte Richter anstelle des Senats entscheidet (§§ 90 Abs. 2, 79 a Abse. 3 und 4 FGO).
42
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die von der Familienkasse vorgelegte elektronisch geführte Kindergeldakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

43
Die Klage hat keinen Erfolg.
44
Der Rückforderungsbescheid vom 27.01.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.05.2020 und des Änderungsbescheids vom 12.05.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
45
Die monatliche Überweisung von Kindergeld für B an den Kläger ist für den Zeitraum von Februar 2015 bis August 2017 hinsichtlich eines monatlichen Betrages in Höhe von 129,04 € ohne Rechtsgrund, da in Höhe dieses Betrages eine Abzweigung des Kindergeldes für B an den Bezirk X vorliegt. Die Rückforderung dieses Betrages ist für alle Monate des Klagezeitraumes rechtmäßig.
46
1. Das Gericht konnte ohne Beiladung des Bezirk X entscheiden.
47
a) Das Finanzgericht kann nach § 60 Abs. 1 Satz 1 FGO von Amts wegen oder auf Antrag andere beiladen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden, insbesondere solche, die nach den Steuergesetzen neben dem Steuerpflichtigen haften. Hierbei ist es ausreichend für eine Beiladung, wenn die rechtlichen Interessen des Beigeladenen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden können. So reicht es aus, wenn durch Anwendung der Änderungsnorm des § 174 Abs. 4 AO eine Änderungsmöglichkeit des Bescheids gegenüber dem potentiell Beizuladenden besteht; die Beiladung kann nur unterbleiben, wenn die Interessen Dritter durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits eindeutig nicht berührt sein können (BFH-Beschlüsse vom 22.09.2016 X B 42/16, BFH/NV 2017, 146; und vom 09.04.2008 V B 143/07, BFH/NV 2008, 1339; Brandis bei Tipke/Kruse, AO/FGO, § 60 Tz. 17; Gräber/Levedag, FGO 9. Auflage, § 60 Rn. 17). Die Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO setzt voraus, dass die Finanzbehörde sie beantragt oder veranlasst hat (BFH-Beschluss vom 22.09.2016 X B 42/16, BFH/NV 2017, 146 Rn. 15; Gräber/Levedag, FGO 9. Auflage, § 60 Rn. 8b). Die einfache Beiladung steht im Ermessen des Gerichts (Gräber/Levedag, FGO 9. Auflage, § 60 Rn. 20). Die Ablehnung der Beiladung kann im Urteil ausgesprochen werden (Gräber/Levedag, FGO 9. Auflage, § 60 Rn. 35 m.w.N.).
48
b) Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO beizuladen (notwendige Beiladung). Die unterbliebene notwendige Beiladung ist ein Verfahrensmangel und stellt trotz der Regelung in § 123 Abs. 1 FGO einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar (BFH-Beschluss vom 08.05.2008 IV B 138/07, BFH/NV 2008, 1499 Rn. 9; Gräber/Levedag, FGO 9. Auflage, § 60 Rn. 151).
49
c) Im Streitfall liegen weder die Voraussetzungen einer einfachen noch einer notwendigen Beiladung vor. Der Bezirk ist durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits eindeutig nicht berührt. Weder ist er an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, dass die Entscheidung ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann noch besteht auch durch Anwendung der Änderungsnorm des § 174 Abs. 4 AO eine Änderungsmöglichkeit des Bescheids gegenüber dem Bezirk. Gegenstand des streitigen Verfahrens ist der Rückforderungsanspruch, den die Familienkasse mit Bescheid vom 27.01.2020 gegenüber dem Kläger geltend gemacht hat. Es ist in diesem Gerichtsverfahren hingegen nicht zu überprüfen, ob das Kindergeld zu Recht an den Bezirk abgezweigt worden ist. Die entsprechenden Entscheidungen sind zudem bereits bestandskräftig. Die hier angefochtene Entscheidung berührt keine rechtlichen Interessen des Bezirks X. Der Zweck einer Beiladung, nämlich die Bindungswirkung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung gegenüber dem Beigeladenen, kann im Streitfall nicht erreicht werden. Die Familienkasse hatte im Streitfall zudem eine Beiladung des Bezirk X nicht beantragt.
50
2. Aus dem Abzweigungsbescheid vom 26.03.2014 über den vollen Kindergeldbetrag ergeben sich gegenüber dem Kläger keine rechtlichen Auswirkungen, da dieser ihm gegenüber nicht wirksam bekannt gegeben wurde. Damit fehlt insoweit eine Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO.
51
a) Der Kläger ist im Klagezeitraum grundsätzlich kindergeldberechtigt für seine Tochter B. Anspruch auf Kindergeld haben nach §§ 32 Abs. 1 i.V.m. 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Nr. 1 EStG die Eltern für ihre mit ihnen im ersten Grad verwandten Kinder. So wird für den Kläger zum Beispiel mit dem Bescheid vom 30.11.2011 Kindergeld festgesetzt. Jedoch kann das Kindergeld an eine andere Person oder Stelle abgezweigt werden. Das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Absatz 1 kann an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt (§ 74 Abs. 1 Satz 1 EStG). Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt (§ 74 Abs. 1 Satz 4 EStG).
52
b) Im Streitfall ist das Kindergeld für B gegenüber dem Kläger nicht durch den Abzweigungsbescheid vom 26.03.2014 an eine andere Stelle abgezweigt worden. Ein Verwaltungsakt ist nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Wird ein schriftlicher Verwaltungsakt durch die Post übermittelt, gilt er nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Bestreitet ein Steuerpflichtiger, den Verwaltungsakt überhaupt bekommen zu haben, obliegt dem FA der volle Beweis über den Zugang. Ein Anscheinsbeweis kommt ihm hierbei nicht zugute. Anders als im Falle der Behauptung eines verspäteten Zugangs des Verwaltungsakts kann von dem Adressaten des Verwaltungsakts, wenn dieser dessen Zugang bestreitet, auch nicht verlangt werden, er müsse dies substantiiert darlegen, weil er hierzu nicht in der Lage ist (BFH-Urteil vom 29.04.2009 X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777 Rn. 20; Seer bei Tipke/Kruse, AO/FGO, § 122 Tz. 58). Der Kläger trägt vor, den Abzweigungsbescheid vom 26.03.2014 nicht erhalten zu haben. Die Familienkasse konnte keinen Nachweis dafür führen, dass der Bescheid dem Kläger zugegangen ist. Zudem trägt nach dem vorgelegten Ausdruck der elektronisch geführten Kindergeldakte der Bescheid vom 26.03.2014 keinen Versendevermerk.
53
3. Jedoch sind die monatlichen Überweisungen von Kindergeld für B an den Kläger für den Zeitraum von Februar 2015 bis August 2017 hinsichtlich eines monatlichen Betrages in Höhe von 129,04 € ohne Rechtsgrund ergangen, da in Höhe dieses Betrages eine Abzweigung des Kindergeldes für B an den Bezirk X vorlag.
54
a) Mit Bescheid vom 01.08.2012 hatte die Familienkasse das Kindergeld für B ab August 2012 in Höhe von 129,04 € an den Bezirk X abgezweigt. Der Kläger trägt zwar vor, den Abzweigungsbescheid vom 26.03.2014 nicht erhalten zu haben. Dann war aber gegenüber dem Kläger der Abzweigungsbescheid vom 01.08.2012 noch gültig. Dieser sah für den Zeitraum von Februar 2015 bis August 2017 eine Abzweigung eines monatlichen Betrages in Höhe von 129,04 € vor. Diesen Bescheid muss der Kläger gegen sich gelten lassen, denn nach seinen Angaben war ihm kein anderer Bescheid zugegangen.
55
b) Seit dem Abzweigungsbescheid vom 01.08.2012 war für den Klagezeitraum kein Bescheid ergangen, der die Abzweigung aufgehoben, widerrufen oder eingeschränkt hätte. Der Kläger musste also im gesamten Klagezeitraum von Februar 2015 bis August 2017 davon ausgehen, dass von dem an ihn für B ausgezahlten Kindergeld ein Betrag i.H.v. 129,04 € ihm nicht zusteht.
56
c) Eine abweichende Entscheidung über die Auszahlung des Kindergelds für B ergibt sich auch nicht aus dem Bescheid der Familienkasse vom 06.07.2016. Nach diesem Bescheid wird das Kindergeld für C auf 190 € festgesetzt und davon werden 33 € an den Bezirk abgezweigt. Dieser Bescheid betrifft ausschließlich den Sohn C. Aus dem Bescheid ergibt sich nichts für das hier streitige Kindergeldverhältnis von B und insbesondere die Abzweigung an den Bezirk. Die Tochter des Klägers wird nur bezüglich der Benennung der Ordnungszahl der Kinder angeführt.
57
d) Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. Dies gilt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AO auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt. Die Familienkasse hatte an den Kläger monatliche Kindergeldzahlungen für B in Höhe von 188 € von Februar bis Dezember 2015, 190 € von Januar bis Dezember 2016 und 192 € von Januar bis August 2017 vorgenommen. Damit war für 31 Monate in Höhe eines monatlichen Betrages von 129,04 € eine Leistung an den Kläger ohne Rechtsgrund ergangen (129,04 € x 31 = 4.000,24 €).
58
e) Entscheidend für das vorliegende Klageverfahren gegen den Rückforderungsbescheid ist hierbei die Frage, ob an den Kläger Kindergeldleistungen erbracht wurden, für die keine Rechtsgrundlage bestand. Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist es nicht zu überprüfen, ob das Kindergeld hier zu Recht an den Bezirk abgezweigt wurde. Die entsprechenden Entscheidungen sind bestandskräftig. Damit ist hier nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 74 EStG oder einer Änderungsnorm wie § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegen und welche Stelle dem Kind Unterhalt gewährt hat. Auch ist es ohne Bedeutung für den Rückzahlungsanspruch, ob die Sozialleistungen des Klägers im Klagezeitraum wegen des dem Kläger vermeintlich zustehenden Kindergelds geringer ausgefallen sind.
59
f) Gegen die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides spricht auch nicht das Schreiben der Familienkasse an die Betreuerin D vom 10.06.2015. In dem Schreiben teilt die Familienkasse der Betreuerin mit, dass „das Kindergeld für B derzeit an den Kindergeldberechtigen A in Höhe von monatlich 184 abzüglich 33 € an den Bezirk X auf das Konto von C überwiesen“ werde. Dieses Schreiben ist zwar inhaltlich unrichtig, es trifft jedoch keine Regelung zur Gewährung von Kindergeld. Es ist damit kein Verwaltungsakt. Aufgrund dieses Schreibens wurden auch keine Zahlungen oder Änderungen von Zahlungen vorgenommen.
60
g) Einer Rückforderung steht auch nicht entgegen, dass der Kläger sich aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation nicht zur Rückzahlung in der Lage sieht. Der Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB ist im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO nicht anwendbar. Es besteht auch kein allgemeiner Rechtsgedanke, der bei einer Rückforderung des Kindergeldes zu berücksichtigen ist. Ein Wegfall der Bereicherung führt daher nicht zum Wegfall des abgabenrechtlichen Rückzahlungsanspruchs (BFH-Beschlüsse vom 16.11.2010 VI B 120/10, BFH/NV 2011, 405; und vom 28.03.2001 VI B 256/00, BFH/NV 2001, 1117).
61
h) Für einen Ausschluss des Erstattungsanspruchs der Familienkasse wegen Verstoßes nach Treu und Glauben bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte. Der Grundsatz von Treu und Glauben (Verwirkung) steht nach ständiger Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteil vom 22.09.2011 III R 82/08, BStBl. II 2012, 734, Rz 26 m.w.N.) einer Rückforderung des Kindergeldes nur dann entgegen, wenn sich der Rückzahlungsschuldner nach dem gesamten Verhalten der Familienkasse darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass diese das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde. Hierfür liegen im Streitfall keine Anhaltspunkte vor.
62
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.