Titel:
Überwiegendes Ausweisungsinteresse bei Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit
Normenketten:
AufenthG § 53, § 54, § 55
GG Art 6
EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. (Rn. 71) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausländerrecht, Staatsangehörigkeit: ..., Ausweisung;, Gewaltdelikte;, Alkoholabhängigkeit und Drogenkonsum, Minderjähriger Sohn mit deutscher Staatsangehörigkeit, Ablehnung eines Aufenthaltstitels, Familiennachzug, Ausweisung, Montenegro, Freiheitsstrafe, Alkoholsucht, Drogensucht, Ausweisungsinteresse, Wiederholungsgefahr, Reintegration
Fundstelle:
BeckRS 2021, 22106
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland, die Untersagung der Wiedereinreise und des Aufenthalts im Bundesgebiet für die Dauer von fünf bzw. sieben Jahren ab seiner Ausreise, die Abschiebungsandrohung und die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
2
Der Kläger ist ein am … … … geborener montenegrinischer Staatsangehöriger und reiste erstmals am … … 2010 in das Bundesgebiet ein.
3
Der Kläger besuchte in … acht Jahre lang die Pflichtschule. Anschließend absolvierte er eine dreijährige Ausbildung zum Automechaniker. Im Alter von 19 Jahren zog er nach …, wo er als Sicherheitskraft arbeitete (Bl. 185 Behördenakte I).
4
Am … … … heiratete der Kläger eine in Deutschland lebende bosnische Staatsangehörige, die eine Niederlassungserlaubnis besitzt (Bl. 8, 19, 47 Behördenakte I).
5
Am … … 2010 erteilte die Beklagte dem Kläger erstmals eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG, befristet bis zum … … 2011 (Bl. 10 Behördenakte I).
6
Ab dem 1. Oktober 2010 bis zum 31. August 2012 ging der Kläger durchgehend geringfügigen, teilweise nicht versicherungspflichtigen, Beschäftigungen nach (Bl. 227 Behördenakte I, Versicherungsverlauf … v. … … 2019).
7
Am … … 2011 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG, befristet bis zum … … 2013 (Bl. 40 Behördenakte I).
8
Am … … … wurde das Kind des Klägers und seiner Ehefrau geboren, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (Bl. 67 ff., 185 Behördenakte I).
9
Am … … 2013 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, befristet bis zum … … 2016 (Bl. 81 f. Behördenakte I).
10
Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt am … … 2013 drohte der Kläger seiner damaligen Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung damit, sie umzubringen und schlug sodann mehrmals mit einem Malerpinsel auf ihren Kopf ein, bis die Ehefrau das Bewusstsein verlor und von einem Rettungswagen ins Krankenhaus verbracht werden musste. Durch die Schläge erlitt die Ehefrau eine Gehirnerschütterung sowie Hämatome an den Armen (Bl. 184 ff. Behördenakte I).
11
Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Januar 2014 schlug der Kläger seiner damaligen Ehefrau mehrfach mit der flachen Hand auf Kopf und Körper, wodurch diese Schmerzen erlitt (Bl. 184 ff. Behördenakte I).
12
Mit Strafbefehl vom 25. März 2014 verurteilte das Amtsgericht München den Kläger wegen unerlaubtem Entfernen vom Unfallort am 19. Januar 2014 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 35 EUR (Az.: Cs 412 Js 123358/14) (Bl. 88 ff. Behördenakte I).
13
Mit Strafbefehl vom 16. Juli 2014 verurteilte das Amtsgericht München den Kläger wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr am 11. April 2014 zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 40 EUR (Az.: Cs 412 Js 134008/14) (Bl. 98 ff. Behördenakte I).
14
Am 15. Dezember 2015 verurteilte das Amtsgericht München den Kläger wegen Erschleichens von Leistungen in vier Fällen, u.a. am 9. Oktober 2015 (Datum der letzten Tat), zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 30 EUR (Az.: 824 Cs 257 Js 241993/15) (Bl. 104, 156 Behördenakte I).
15
Am 4. Mai 2016 drohte der Kläger seiner damaligen Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung damit, sie umzubringen, was diese ernstnahm (Bl. 184 ff. Behördenakte I).
16
Am 18. Juli 2016 beantragte der Kläger die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug (Bl. 123 Behördenakte I) und erhielt am selben Tag eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG (Bl. 113 Behördenakte I).
17
Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Dezember 2017 bzw. Januar 2018 spuckte der Kläger seiner damaligen Ehefrau ins Gesicht, um seine Missachtung auszudrücken (Bl. 184 ff. Behördenakte I).
18
Am 14. Januar 2018 kündigte der Kläger gegenüber seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Sohn an, er werde die Familie verlassen und zurück nach … gehen (Bl. 186 Behördenakte I).
19
Am … … 2018 rief der Kläger mehrfach seine damalige Ehefrau auf dem Mobiltelefon an. Er forderte diese auf, ihm 2.500,- EUR zu bezahlen, damit er ein neues Leben in … beginnen könne. Sollte sie dieser Forderung nicht nachkommen, werde er sie und ihren Vater umbringen, er werde sie „abschlachten“ und ihr den Schädel mit einem Schlagstock einschlagen. Die Ehefrau kam der Forderung nicht nach. Der Kläger wurde in dieser Sache am selben Tag vorläufig festgenommen und befand sich ab dem … … 2018 aufgrund Untersuchungshaftbefehls des Amtsgerichts München vom 13. Februar 2018 (Gz. ER … Gs 94/18) in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt …, … … … … … (Bl. 169 Behördenakte I).
20
Am … … 2018 wurde die Ehe geschieden (Bl. 186 Behördenakte I).
21
Mit Urteil vom 24. Mai 2018 verurteilte das Amtsgericht München den Kläger wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr am 7. Januar 2018 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Rechtskraft trat am 19. Juli 2018 ein (Az.: 943 Ds 441 Js 103221/18) (Bl. 154 ff. Behördenakte I).
22
Mit Urteil vom 6. Dezember 2018 (Az.: 831 Ls 234 Js 1167/18) verurteilte das Amtsgericht München den Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung vom 15. August 2013 in Tatmehrheit mit Körperverletzung vom Januar 2014 in Tatmehrheit mit Bedrohung vom 4. Mai 2016 in Tatmehrheit mit Beleidigung vom Dezember 2017 bzw. Januar 2018 in Tatmehrheit mit versuchter räuberischer Erpressung vom 12. Februar 2018 unter Einbeziehung der Verurteilung vom 24. Mai 2018 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Zudem wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Rechtskraft trat am 8. Januar 2019 ein. Das Gericht ging von folgenden Einzelstrafen aus: zehn Monate Freiheitsstrafe für die gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, sechs Monate Freiheitsstrafe für die Körperverletzung, vier Monate Freiheitsstrafe für die Bedrohung, vier Monate Freiheitsstrafe für die Beleidigung, ein Jahr und zwei Monate für die versuchte räuberische Erpressung. Der Kläger war zu allen Tatzeitpunkten nicht ausschließbar infolge vorangegangenen Alkoholkonsums, am 12. Februar 2018 nicht ausschließbar zusätzlich infolge vorangegangenen Konsums von Kokain, enthemmt. Das Amtsgericht München folgte dem vom Gericht beauftragten Sachverständigen bei seiner Einschätzung, dass sowohl ein Alkoholabhängigkeitssyndrom als auch ein schädlicher Gebrauch von Kokain vorlagen. Bei der Strafzumessung wurden zugunsten des Klägers unter anderem sein umfassendes Geständnis, die lange Zeit der erlittenen Untersuchungshaft, die Entschuldigung bei seiner damaligen Ehefrau im Rahmen der Hauptverhandlung und die Enthemmung aufgrund vorangegangenen Alkohol- bzw. Kokainkonsums berücksichtigt. Zulasten des Klägers wurde berücksichtigt, dass die Taten sowohl für die damalige Ehefrau als auch für das gemeinsame Kind erhebliche belastende Folgen gehabt hätten. Die damalige Ehefrau leide immer noch erheblich unter den Vorfällen; sie ringe immer noch mit der Frage, ob ihre Entscheidung, die Polizei hinzuzuziehen, richtig gewesen sei. Sie habe auch dargelegt, dass der gemeinsame Sohn unter dem Verhalten seines Vaters erheblich gelitten habe und auch psychologische Hilfe habe in Anspruch nehmen müssen. Das Strafgericht führte aus, der Kläger habe sich immer und immer wieder dazu hinreißen lassen, Alkohol in großen Mengen zu konsumieren, obwohl ihm durch die vorangegangenen Vorfälle bereits nachdrücklich habe klar gewesen sein müssen, dass er unter Alkohol zu erhöhter Aggressivität gegenüber seiner damaligen Ehefrau geneigt habe. Diese habe auch dargelegt, dass sie immer wieder versucht habe, den Kläger, wenn er nüchtern gewesen sei, dazu zu bewegen, eine Therapie zu absolvieren, was der Kläger über all die Jahre abgelehnt habe. Das Gericht folgte dem Sachverständigen dahingehend, dass bei dem Kläger ein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliege, alkoholische Getränke und Kokain, im Übermaß zu sich zu nehmen. Der Kläger habe eine „eingewurzelte“, auf eine psychische Disposition zurückgehende und durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel, nämlich Alkohol und Kokain, im Übermaß zu konsumieren. Er sei dadurch psychisch abhängig, sozial gefährdet und gefährlich. Zudem gingen die verfahrensgegenständlichen Taten klar auf den Hang zurück. Sämtliche Taten seien zumindest im Rahmen einer alkohol- und/oder drogenbedingten Enthemmung begangen worden. Der Sachverständige habe fundiert und nachvollziehbar dargelegt, dass die Gefahr vergleichbarer rechtswidriger Taten in zukünftigen Beziehungen des Klägers aufgrund seines bestehenden Hangs gegeben sei (Bl. 184 ff. Behördenakte I).
23
Daraufhin hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 15. Januar 2019 zur beabsichtigten Ausweisung an (Bl. 213 f., 224 f. Behördenakte I).
24
Ebenfalls mit Schreiben vom 15. Januar 2019 hörte die Beklagte die ehemalige Ehefrau des Klägers zur beabsichtigten Ausweisung an (Bl. 217 Behördenakte I).
25
Der Kläger trat seinen Maßregelvollzug am … … 2019 im … … an (Bl. 238 Behördenakte I).
26
Mit Schreiben vom 28. Februar 2019 nahm der Bevollmächtigte des Klägers zur beabsichtigten Ausweisung Stellung. Der Kläger verkenne nicht, dass er in Deutschland strafrechtlich nicht unerheblich in Erscheinung getreten sei, mache hierfür aber seine Betäubungsmittel- und Alkoholabhängigkeit verantwortlich. Demgemäß sei auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden, die der Kläger mit großer Ernsthaftigkeit wahrnehme. Im Bundesgebiet lebe sein Kind, das mittlerweile siebeneinhalb Jahre alt sei, und zu dem er über das Jugendamt Kontakt aufbaue. Aufgrund der sozialen Bindung zu seinem Kind und des langen Aufenthalts in Deutschland werde daher gebeten, von einer Ausweisungsverfügung abzusehen und dem Kläger zu ermöglichen, die Therapie erfolgreich abzuschließen (Bl. 243 Behördenakte I).
27
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 2. April 2019 wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom … … 2016 ab (Nr. 2), erließ, unter der Bedingung, dass Drogen-, Straf- und Alkoholfreiheit nachgewiesen werden, ein auf fünf Jahre befristetes, mit der Ausreise beginnendes, bei Nichterfüllung dieser Bedingungen auf sieben Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot (Nr. 3). Weiterhin wurde die Abschiebung nach … aus der Haft verfügt und der Kläger für den Fall der Haftentlassung vor Durchführbarkeit der Abschiebung unter Fristsetzung zum Verlassen des Bundesgebietes aufgefordert; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung nach … oder einen anderen Staat, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 4). Insbesondere angesichts der mit Urteil vom 6. Dezember 2018 abgeurteilten Straftaten überwiege das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Der Kläger sei massiv straffällig geworden. Die Ausländerbehörde sehe im Fall des Klägers die konkrete Gefahr weiterer schwerer Straftaten nach der Entlassung aus der Haft bzw. aus der Unterbringung. Die konkrete Gefahr weiterer ähnlich gelagerter Straftaten ergebe sich vor allem aus der seit mindestens 2013 bestehenden massiven Alkoholabhängigkeit in Verbindung mit einer Abhängigkeit von Kokain seit dem Jahr 2017. Der Kläger befinde sich erst seit etwa zwei Monaten in der Unterbringung, ein erfolgreicher Abschluss könne hier keinesfalls vorweggenommen werden. Einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels habe der Kläger nicht, da er neben den Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 27 ff. AufenthG wegen Vorliegen eines Ausweisungsinteresses einen Versagungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfülle. Selbst wenn er nicht ausgewiesen worden wäre, hätte die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Ermessenserwägungen zu erfolgen. Die Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an der Versagung und den persönlichen Interessen des Klägers führe zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Ablehnung des Antrags überwiege. Darüber hinaus stehe der Erteilung der absolute Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen, § 117 Abs. 3 VwGO.
28
Mit Schriftsatz vom 4. April 2019, bei Gericht am 8. April 2019 eingegangen, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage gegen den Bescheid vom 2. April 2019 und beantragte unter Ankündigung einer gesonderten Klagebegründung,
29
den Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
30
Mit Schriftsatz vom 18. April 2019 legte die Beklagte die Behördenakte vor und beantragte,
32
Im September 2019 nahm das Jugendamt den Sohn des Klägers in Obhut und brachte ihn in einer Pflegefamilie unter. Dem lag unter anderem zugrunde, dass die Mutter des gemeinsamen Kindes und ehemalige Ehefrau des Klägers psychisch erkrankt war (Bl. 402 Behördenakte I).
33
Am 20. September 2019 entwich der Kläger aus dem … … beim unbegleiteten Geländeausgang. Am 27. September 2019 griff die Polizei den Kläger in der Wohnung seiner ehemaligen Ehefrau auf, wo er sich laut eigenen Angaben während der Flucht überwiegend aufgehalten hatte (Bl. 291 ff. Behördenakte I).
34
Ab dem 27. September 2019 befand sich der Kläger wieder auf der hochgesicherten Aufnahmestation des … (Bl. 291 ff. Behördenakte I).
35
Am 24. Oktober 2019 „beschloss“ das multiprofessionelle Team des … … einstimmig die „Erledigung der Maßregel“ wegen fehlender Aussicht auf Erfolg (Bl. 291 ff. Behördenakte I).
36
Am 27. Oktober 2019 berichtete das Sozialreferat der Beklagten dem … …, dass das Kindeswohl gefährdet und der Sohn des Klägers seit der erneuten Kontaktaufnahme traumatisiert sei. Es sei wohl zu Übergriffen seitens des Klägers gekommen (Bl. 291 ff. Behördenakte I).
37
Mit Stellungnahme vom … … 2019 empfahl das … die Erledigung der angeordneten Maßregel (Bl. 291 ff. Behördenakte I).
38
Das Landgericht München I hörte den Kläger am 10. Dezember 2019 zur beabsichtigten Erledigung der Maßregel an. Dieser räumte die Rückfälle und seine Entweichung ein und erklärte, der Bericht der Klinik vom … … 2019 sei inhaltlich richtig, sprach sich aber gegen die Erledigung der Maßregel aus (Bl. 291 ff. Behördenakte I).
39
Mit Beschluss vom 12. Dezember 2019 erklärte das Landgericht München I die Unterbringung in der Entziehungsanstalt für erledigt. Der Antrag des Verteidigers auf Anordnung der Fortdauer der Unterbringung wurde zurückgewiesen. Die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der verhängten Freiheitsstrafe wurde abgelehnt. Das Landgericht München I begründete den Beschluss im Wesentlichen damit, dass nach der ärztlichen Stellungnahme der Unterbringungszweck nicht mehr zu erreichen sei. Der Kläger habe an den therapeutischen Gruppen meist lediglich passiv teilgenommen. Verständigungsschwierigkeiten hätten ausgeschlossen werden können. Der Kläger habe sich als weniger kriminell und süchtig angesehen und versucht, sich von den übrigen Patienten abzuheben; hierdurch sei die durchgängige Bagatellisierung seiner eigenen Delikte deutlich geworden. Auch im Rahmen von Einzelgesprächen habe der Kläger lange Zeit seine Indexdelikte überwiegend verleugnet, im Übrigen bagatellisiert und rationalisiert. Er habe angegeben, dass seine „Exfrau“ die Delikte erfunden habe. Erst eine intensive gemeinsame Bearbeitung der Ermittlungsakten und der Vernehmungsprotokolle habe subtile Fortschritte in Richtung Akzeptanz der eigenen Täterschaft erbracht. Die familiäre Situation habe den Kläger beunruhigt und deutlich belastet. Während der Flucht sei der Kläger laut eigener Aussage mindestens zweimal mit Alkohol rückfällig geworden. Er habe jeweils mindestens fünf bis sechs Bier getrunken, möglicherweise auch mehr. Zudem habe er Kokain gekauft. Gegenüber dem Pflegepersonal habe der Kläger von Traurigkeit und Hilflosigkeit, die er aufgrund des „Sorgerechtsentzugs“ sowie der inkognito-Unterbringung seines Sohnes empfinde, berichtet. Der Kläger habe sich erschüttert über die Anschuldigungen des Sozialreferats gezeigt; er sei seinem Sohn gegenüber noch nie handgreiflich geworden, allerhöchstens habe er sich mit seiner Frau gestritten. Er werde auch künftig dafür kämpfen, sein „Sorgerecht zurückzuerhalten“. Der Kläger habe keine Bereitschaft zu einer ehrlichen therapeutischen Auseinandersetzung mit sich selbst gezeigt. Er sei durchgehend nicht dazu in der Lage gewesen, zahlreiche therapeutische Hilfsangebote anzunehmen und für sich zu nutzen. Er habe durch sein Verhalten vor seiner Entweichung (klare Distanzierung von jeglichen Fluchtgedanken im therapeutischen Gespräch) klar und deutlich das Fehlen jeglicher Absprachefähigkeit gezeigt. Dem Kläger sei es trotz seiner verhältnismäßig langen Unterbringung im Maßregelvollzug von fast acht Monaten nicht gelungen, aus seinen alten Verhaltensmustern auszubrechen und in Krisensituationen auf neu erlernte alternative Strategien zurückzugreifen, um Probleme zu lösen und mit Krisen funktionaler umzugehen. Überdies habe er während seiner Entweichung mehrfach Alkohol konsumiert und sei somit zusätzlich rückfällig geworden. Der Kläger sei bezüglich seines weiteren Therapiewunsches rein extrinsisch motiviert, um das „Sorgerecht für seinen Sohn wieder zu bekommen“. Die Ziele des § 64 StGB erschienen nicht mehr erreichbar. Alle therapeutischen Möglichkeiten seien ausgeschöpft. Die Kammer schloss sich der Einschätzung der behandelnden Ärzte des … an, wonach keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg mehr bestünde. Als Folge dieser Entscheidung sei nunmehr der noch offene Rest aus erkannten Freiheitsstrafe zu vollstrecken. Für eine Aussetzung des Vollzugs der Reststrafe zur Bewährung fehle es angesichts der nach wie vor bestehenden Suchterkrankungen an jeglichen Anhaltspunkten (Bl. 291 ff. Behördenakte I).
40
Am 16. Dezember 2019 trat der Kläger seine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt … … … an, mit voraussichtlichem Haftende am … … 2020 (Bl. 304, 308, 345 Behördenakte I).
41
Mit Beschluss vom 9. März 2020 entzog das Amtsgericht München - Familiensachen - dem Kläger das Sorgerecht hinsichtlich seines Sohnes und übertrug dieses mit Wirkung vom … … 2020 der Kindsmutter (Az.: … 19). Ausweislich der Stellungnahme des Sozialbürgerhauses … vom … … 2021 wurde dem Kläger in der Anhörung beim Familiengericht am „9. März 2021“ (sic!) mitgeteilt, dass sein Sohn keinen Kontakt zu ihm wünsche. Das „Familienwohl“ habe sich als „sehr problematisch“ dargestellt, sodass von „den Fachkräften“ kein Umgang zwischen Vater und Sohn befürwortet habe werden können. Im März 2020 kehrte der gemeinsame Sohn des Klägers zu seiner Mutter, der ehemaligen Ehefrau des Klägers wieder aus der Betreuung durch das Jugendamt zurück, da sich deren gesundheitlicher Zustand verbessert hatte (Bl. 401 Behördenakte I).
42
Auf gerichtliche Nachfrage teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 3. Juli 2020 mit, dass der Kläger seit Februar 2018 von seiner Frau getrennt lebe und das gemeinsame Kind bei dieser geblieben sei. Kontakt zum Kind habe bis zum 5. April 2019 nicht bestanden. An diesem Tag habe ein „Gerichtsverfahren über das Sorgerecht“ stattgefunden, „wo beide Elternteile das gemeinsame Sorgerecht erhalten“ hätten. Danach habe der Kläger regelmäßig Kontakt zu seinem Kind gehabt und dieses auch besucht. Das Jugendamt habe dem Kläger versichert, dass er nach wie vor ein Umgangsrecht habe, und es bestehe regelmäßig Kontakt mit dem Jugendamt. Aufgrund der Corona-Pandemie hätten seit März 2020 keine Besuche stattfinden können. Der Kläger werde in Kürze aus der Haft entlassen. Sollte sich der gesundheitliche Zustand der ehemaligen Ehefrau wieder verschlechtern, würde er das Kind nehmen (Bl. 401 f. Behördenakte I).
43
Mit Beschluss vom 11. Juli 2020 ordnete das Landgericht Augsburg - Strafvollstreckungskammer - an, dass die Führungsaufsicht nicht entfällt und die Höchstdauer von fünf Jahren nicht abgekürzt wird. Der Kläger wurde für den Fall des Verbleibs in der Bundesrepublik Deutschland oder der Wiedereinreise unter anderem strafbewehrt angewiesen, jegliche Kontaktaufnahmen zum Tatopfer (ehemalige Ehefrau) zu unterlassen, Kontakt zum gemeinsamen Sohn ausschließlich nach Vereinbarung mit dem Jugendamt aufzunehmen und jegliche selbstständige Kontaktaufnahme zu unterlassen, keinen Alkohol oder illegale Drogen zu sich zu nehmen, dies nachzuweisen und sich im Zwei-Wochen-Turnus bei der Fachambulanz für Gewaltstraftäter … bis zum Antritt einer Therapie vorzustellen. Außerdem wurde er angewiesen, sich unverzüglich nach Entlassung Suchtberatungsgesprächen bezogen auf Alkohol und Drogen zu unterziehen, die Beratungsgespräche für die Dauer mindestens eines Jahres durchzuführen und sich unverzüglich nach Entlassung bei der psychotherapeutischen Fachambulanz einer ambulanten Psychotherapie bezogen auf die Gewaltproblematik (insbesondere häusliche Gewalt bei geringer psychischer Belastbarkeit) zu unterziehen. Der Beschluss wurde im Wesentlichen damit begründet, dass beim Kläger weiterhin bei wenig psychischer Belastbarkeit eine ungelöste Alkohol- und Drogenproblematik bestehe, die erneute Straftaten, insbesondere Gewalttaten befürchten lasse. Eine positive Sozialprognose könne nicht gestellt werden. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Beschluss verwiesen (Az.: 2 LL StVK 50/20) (Bl. 347 ff. Behördenakte I).
44
Mit Schriftsatz vom 16. August 2020, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München per Telefax am selben Tag, beantragte der Bevollmächtigte des Klägers im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Bescheid vom 2. April 2019 wiederherzustellen bzw. anzuordnen (Az.: M 4 S 20.3741). Der Kläger habe ein deutsches Kind. Nach Auskunft der Justizvollzugsanstalt … sei der Kläger letzte Woche in die Justizvollzugsanstalt … verschubt worden und werde am … … 2020 nach … abgeschoben
45
Mit Beschluss vom 19. August 2020 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht München den Antrag vom 16. August 2020 ab (Az.: M 4 S 20.3741). Wegen der Begründung wird auf den Beschluss Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO).
46
Mit Beschluss vom 20. August 2020 ordnete das Amtsgericht Aschaffenburg nach der Haftentlassung des Klägers am selben Tag Sicherungshaft für die Dauer von sieben Tagen an (Az.: … … … (B)) (Bl. 413 ff. Behördenakte II).
47
Am 26. August 2020 wurde der Kläger aus angeordneter Sicherungshaft (Az.: … … … (B)) nach … abgeschoben (Bl. 413 ff., 447 Behördenakte II).
48
Mit Beschluss vom 1. Dezember 2020 erweiterte das Landgericht Augsburg - Strafvollstreckungskammer - den Beschluss vom 11. Juli 2020 in Ziffer 3.d. und 3.e. (Az.: 2 LL StVK 50/20) strafbewehrt gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 3 StGB dahingehend, dass die genannten Kontaktverbote (Tatopfer und Sohn) auch für jegliche Kontakte aus dem Ausland gelten und insgesamt auch für entsprechende Kontakte zum Vater des Tatopfers. Dem lag zugrunde, dass der Kläger aus dem Ausland weiterhin Bedrohungen über verschiedene Medien gegenüber den genannten Personen geäußert hatte (Bl. 471 Behördenakte II).
49
Der Kläger reiste spätestens am … … 2021 erneut in das Bundesgebiet ein und befand sich aufgrund des Untersuchungshaftbefehls des Amtsgerichts München vom 22. März 2021 (Gz. ER XIV Gs 228/21) ab dem 22. März 2021 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt … Bei der Festnahme ergab ein durchgeführter Atem-Alkoholtest beim Kläger einen Wert von 0,87 mg/l (Bl. 642 Behördenakte II).
50
Am 1. April 2021 klagte die Staatsanwaltschaft München I den Kläger wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet ab Februar 2021 sowie Beleidigung, Bedrohung und vorsätzlicher Körperverletzung am 22. März 2021 an (Az.: … … …21) (Bl. 642 ff Behördenakte II).
51
Ausweislich des Schreibens der Justizvollzugsanstalt München vom 8. Juni 2021 hat der Kläger dort keinen privaten Besuch empfangen.
52
Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2021 verzichtete der Bevollmächtigte des Klägers auf mündliche Verhandlung.
53
Am 9. Juni 2021 legte die Beklagte die Behördenakte in elektronischer Form vor und
„ verzichtete mit Schriftsatz vom 16. Juni 2021 ebenfalls auf mündliche Verhandlung.
54
Mit Schreiben vom 18. Juni 2021 informierte das Sozialbürgerhaus … die Beklagte, dass ein Umgang des Klägers mit seinem Kind zunächst „zum Wohl des Kindes überprüft werden“ müsse. Hierzu sei zur weiteren Abklärung ein familienpsychologisches Gutachten zu erstellen, wenn der weitere Aufenthalt des Klägers geklärt sei und er in Deutschland bleibe.
55
Mit Schreiben vom 23. Juni 2021, eingegangen bei Gericht am 28. Juni 2021, bestätigte die Mutter des Kindes und geschiedene Ehefrau des Klägers dem Sozialbürgerhaus …, dass der Sohn seinen Vater nicht benötige und keinen Kontakt wünsche.
56
Mit Schreiben vom 24. Juni 2021, eingegangen bei Gericht am 29. Juni 2021 nach Fällung des Urteils, übersandte die Staatsanwaltschaft München I die Strafakten (Az.: … Js …18; … Ls … Js …18).
57
Mit Schreiben vom 28. Juni 2021, eingegangen per Telefax bei Gericht am selben Tag, teilte das Sozialbürgerhaus … dem Gericht mit, dass es nicht bestätigen könne, dass eine so große Verbundenheit zwischen dem Kläger und seinem Sohn bestehe, dass der Sohn zu seinem Wohl darauf angewiesen sei, dass der Kläger, weiterhin in Deutschland lebe. Die Beziehung sei seitens des Sohns von großer Unsicherheit und zum Teil von Ängsten geprägt.
58
Am 29. Juni 2021 fällte das Gericht unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter ohne mündliche Verhandlung seine Entscheidung.
59
Mit Telefax vom 30. Juni 2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, übersandte das Amtsgericht München - Familiensachen - den Beschluss vom 9. März 2020 (Az.: … 19). Mit Schriftsätzen vom 2. Juli 2021 und einem Schriftsatz vom 6. Juli 2021 ergänzte die Beklagte die Behördenakte.
60
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichts-, die vorgelegte Behördenakte und die beigezogenen Strafakten.
Entscheidungsgründe
61
Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
62
Die Entscheidung konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
63
Die nach Fällung des Urteils eingegangenen Schriftsätze der Beklagten vom 2. Juli und vom 6. Juli 2021, die übersandten Strafakten, eingegangen bei Gericht am 29. Juni 2021 nach Fällung der Entscheidung, sowie der Beschluss des Amtsgerichts München vom 9. März 2020, eingegangen bei Gericht am 30. Juni 2021, hat das Gericht zur Kenntnis genommen. Aus ihrem Inhalt ergab sich nichts, was eine abweichende, positive Entscheidung zugunsten des Klägers hätte bewirken können, im Gegenteil. Es handelt sich um Stellungnahmen des psychologischen Fachdiensts und andere Berichte des Sozialreferats der Beklagten zur Situation der Familie, insbesondere des Sohnes des Klägers seit dem Jahr 2019, um einen Vermerk zur nichtöffentlichen Sitzung des Amtsgerichts München - Familiengericht - vom 9. März 2020 sowie um die Gründe des Beschlusses des Familiengerichts vom 9. März 2020 und um die Strafakten sowie das Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft München I zum Verfahren des Klägers wegen u.a. Räuberischer Erpressung (Az.: … … …18). Da das Gesetz für Urteile ohne mündliche Verhandlung die Übergabe einer von den mitwirkenden Richtern unterschriebenen Urteilsformel an die Geschäftsstelle nach § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO nicht vorsieht, ist die Entscheidung in einem solchen Verfahren erst getroffen, wenn das vollständig abgesetzte Urteil von der Geschäftsstelle zum Zweck der Zustellung zur Versendung gebracht wurde (Geiger in: Eyermann, VwGO, § 102 Rn. 11 m.w.N.). Eine erneute Beratung und Urteilsfällung war jedoch nicht veranlasst, (§ 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog). Es liegt kein beachtliches Vorbringen vor. Sowohl der Inhalt des Strafverfahrens, zu dem die Strafakten vorgelegt wurden, als auch der Beschluss des Amtsgerichts München vom 9. März 2020 waren dem Gericht inhaltlich schon im Zeitpunkt seiner Entscheidung bekannt. Aus den nachträglich vorgelegten Teilen der Behördenakte ergaben sich im Übrigen auch keine Umstände, die sich überhaupt, geschweige denn entscheidungserheblich, zugunsten des Klägers hätten auswirken können.
64
Die Klage ist unbegründet. Die Ausweisung erweist sich als rechtmäßig (1.). Gleiches gilt für die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (2.). Die Abschiebungsandrohung begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken (3.). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (4.).
65
Das Gericht verweist auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid, folgt der Begründung und sieht insoweit von der Darstellung eigener Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
66
Darüber hinaus gilt ergänzend folgendes:
67
1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
68
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der Nr. 1 des Bescheids vom 2. April 2019, weil dieser im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 - 1 C 9.12 - juris Rn. 8; U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 12) rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO).
69
Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung (1.1.). Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG) und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist (1.2.).
70
1.1. Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG dar, da mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut straffällig werden wird.
71
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (BayVGH, B.v. 8.4.2019 - 10 ZB 18.2284 - juris Rn. 10).
72
Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 8.4.2019 - 10 ZB 18.2284 - juris Rn. 12).
73
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass vom Kläger bei einem Verbleib im Bundesgebiet die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten ausgeht. Sein persönliches Verhalten stellt gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar.
74
Das Verhalten des Klägers in der Vergangenheit, aus dem hinsichtlich der Wiederholungsgefahr Rückschlüsse zu ziehen sind, legt eine hohe Rückfallgefahr nahe. So hat der Kläger seit dem Jahr 2014 überwiegend unter Alkoholeinfluss zahlreiche Straftaten begangen (1.1.1.), reiste unerlaubt erneut in das Bundesgebiet ein (1.1.2.) und beendete eine Entzugstherapie ohne Erfolg (1.1.3.). Zudem bestehen generalpräventive Gründe für eine Ausweisung (1.1.4.).
75
1.1.1. Anlass für die Ausweisung ist die Verurteilung des Klägers zu zwei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe durch das Amtsgericht München mit Urteil vom 6. Dezember 2018 (Az.: … … … … …18) wegen räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung. Die festgestellten Taten ereigneten sich über einen längeren Zeitraum von 2013 bis 2018 und richteten sich sämtlich gegen die Ehefrau des Klägers, mit der dieser in einem Haushalt lebte. Es lässt sich ein verfestigtes Verhaltensmuster beim Kläger erkennen, der gegenüber seiner Ehefrau mehrfach alkoholisiert gewalttätig wurde oder dieser mit der Anwendung von Gewalt drohte. Gemäß den Feststellungen des Amtsgerichts war der Kläger nicht ausschließbar zu allen Tatzeitpunkten alkoholisiert bzw. stand unter Einfluss von Kokain und war deswegen besonders aggressiv gegenüber der Geschädigten. Das Amtsgericht begründete seine Entscheidung unter Bezugnahme auf die Einschätzung des gerichtlich bestellten Sachverständigen, der beim Kläger die Gefahr der Begehung weiterer, durch den Hang zu Alkohol und Kokain bedingter, erheblicher rechtswidriger Taten bejahte.
76
Bereits zuvor wurden gegen den Kläger mit Urteilen des Amtsgerichts München vom 25. März 2014, 16. Juli 2014 und 15. Dezember 2015 zunächst Geldstrafen, im Rahmen der Verurteilung vom 24. Mai 2018 dann auch eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt. Den Verurteilungen vom 25. März 2014 und 24. Mai 2018, jeweils wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, lag jeweils, wie in der Anlasstat, eine Alkoholisierung zugrunde. Der Kläger ließ sich keines der Urteile zur Warnung dienen, sondern blieb weiterhin straffällig.
77
1.1.2. Trotz erfolgter Abschiebung am 26. August 2020 und des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die Dauer von fünf bzw. sieben Jahren durch Bescheid vom 2. April 2019 reiste der Kläger wieder in das Bundesgebiet ein und wurde am 22. März 2021 in München im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen in Untersuchungshaft genommen. Nach eigenen Angaben im Ermittlungsverfahren war der Kläger ca. 1,5 Monate vor dem Zeitpunkt seiner Festnahme unter anderem Namen in das Bundesgebiet eingereist, obwohl er wusste, dass gegen ihn mit Bescheid vom 2. April 2019 ein Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt worden war, dessen Aufhebung er im vorliegenden Verfahren begehrt.
78
1.1.3. Zudem hat der Kläger eine Drogen- oder Alkoholtherapie ohne positives Resultat abgeschlossen. Eine Entzugstherapie im Rahmen des Maßregelvollzugs im … … blieb erfolglos. Nach ärztlichem Bericht vom 5. November 2019 wurde die Erledigung des Maßregelvollzugs übereinstimmend von Seiten der Klinik mangels ausreichender Therapiemotivation, Absprachefähigkeit und Mitarbeit des Klägers beschlossen. Der Kläger bagatellisierte seine Straftaten und war rein extrinsisch motiviert. Zudem entwich der Kläger vom 20. September 2019 bis zum 27. September 2019 für mehrere Tage aus der Klinik, bis ihn die Polizei in der Wohnung seiner ehemaligen Ehefrau aufgriff. Während dieser Zeit konsumierte der Kläger nach seinen eigenen Angaben mehrfach Alkohol und kaufte Kokain. Das Landgericht München I erklärte die Unterbringung in der Entziehungsanstalt mit Beschluss vom 12. Dezember 2019 auf Empfehlung der behandelnden Ärzte für erledigt. Das Landgericht ging davon aus, dass der Zweck der Maßregel nicht mehr zu erreichen ist. Bei seiner erneuten Festnahme am 22. März 2021 in München wurde beim Kläger im Rahmen eines Atem-Alkoholtests ein Alkoholwert von 0,87 mg/l gemessen.
79
Auch das Landgericht Augsburg ging in seinem Beschluss vom 11. Juli 2020 davon aus, dass beim Kläger eine positive Sozialprognose nicht gestellt werden könne. Dabei nimmt das Gericht auf den Reststrafenaussetzungsbeschluss vom 18. März 2020 Bezug, nach dem eine Entlassung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden könne. Beim Kläger bestehe aufgrund geringer psychischer Belastbarkeit eine ungelöste Alkohol- und Drogenproblematik, die erneute Straftaten befürchten lasse.
80
Insgesamt geht vom Kläger nach Auffassung des Gerichts, insbesondere auch mangels erfolgreich abgeschlossener Therapie seiner deliktsfördernden Alkohol- und Drogenabhängigkeit eine hinreichende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus.
81
1.1.4. Überdies liegen auch erhebliche generalpräventive Gründe für die Ausweisung vor. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt nach seinem Wortlaut nur, dass der weitere „Aufenthalt“ des Ausländers eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt. Vom weiteren Aufenthalt eines Ausländers kann auch dann eine solche Gefahr ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Verstöße zu begehen (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 1 C 21.18 - juris Rn. 17). Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Heranziehung generalpräventiver Gründe bei einer Ausweisungsentscheidung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.1985 - 2 BvR 1642/83 - juris Rn. 24; B.v. 17.1.1979 - 1 BvR 241/77 - juris Rn. 37; B.v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 - juris Rn. 23 ff.). Es liegt vorliegend im öffentlichen Interesse, die vom Kläger begangenen Verstöße mit dem Mittel der Ausweisung zu bekämpfen, um auf diese Weise andere Ausländer von der Nachahmung eines solchen Verhaltens abzuschrecken. Es soll anderen Ausländern vor Augen geführt werden, dass derartige Verstöße, hier insbesondere gegen die körperliche und psychische Unversehrtheit von Familienmitgliedern im häuslichen Bereich, zur Aufenthaltsbeendigung und einem damit einhergehenden Aufenthaltsverbot führen. Diesem Zweck wird durch eine einheitlich verlässliche Verwaltungspraxis der Ausländerbehörden Rechnung getragen. Die konsequente Ahndung ist geeignet, unmittelbar auf das Verhalten anderer Ausländer einzuwirken und damit künftigen Vergehen generalpräventiv vorzubeugen.
82
1.2. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an eine Ausreise überwiegt und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist, § 53 Abs. 1 AufenthG.
83
1.2.1. Beim Kläger liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Danach wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts München vom 6. Dezember 2018 (Az.: 831 Ls 234 Js 116717/18) wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung in Tateinheit mit Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit versuchter räuberischer Erpressung unter Einbeziehung der Verurteilung vom 24. Mai 2018 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.
84
Es besteht auch ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a. b) AufenthG, da die dem Strafurteil vom 6. Dezember 2018 zugrundeliegenden Einzelstrafen für eine vorsätzliche Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit von zehn und sechs Monaten addiert eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr ergeben. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a. b) AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit. Auch wenn die verhängten Einzelstrafen jeweils nicht das Strafmaß von einem Jahr erreicht haben, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach die wegen der Körperverletzungsdelikte verhängten Strafen mindestens ein Jahr betragen müssen, dass der Tatbestand der Norm verwirklicht ist, wenn durch mehrere Einzelstrafen die Summe von einem Jahr erreicht wird. Das Gesetz spricht von einer oder mehreren Straftaten (BayVGH, B.v. 18.7.2019 - 10 ZB 19.776 - juris Rn. 18; BeckOK, AuslR/Fleuß AufenthG § 54 Rn. 40). Vorliegend bildete das Strafgericht im Urteil vom 6. Dezember 2018 eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten (s.o.). Jedoch richteten sich nicht alle dem Urteil zugrundeliegenden Straftaten gegen das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit, sondern nur die beiden Einzelstrafen für die Taten vom 15. August 2013 zu zehn Monaten Freiheitsstrafe und vom Januar 2014 zu sechs Monaten Freiheitsstrafe (Abschnitt V., Ziffer 1 und 2. der Gründe des Urteils vom 6. Dezember 2018). Bei Addierung dieser beiden Einzelstrafen ergeben sich in der Summe 16 Monate, womit das Mindestmaß von einem Jahr überschritten ist.
85
Es besteht weiter ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, da der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts München vom 6. Dezember 2018 zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde (Az.: … … … … …18).
86
Beim Kläger liegt ferner ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor, da dieser, insbesondere festgestellt durch Urteil vom 6. Dezember 2018 (Az.: … … … … …18) und durch seine unerlaubte Wiedereinreise unter falschen Namen nach seiner Abschiebung im August 2020, nicht nur vereinzelt oder geringfügig gegen Rechtsvorschriften und behördliche Entscheidungen verstoßen hat.
87
1.2.2. Auf ein gesetzlich normiertes Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG kann sich der Kläger nicht berufen. Insbesondere sind § 55 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 5 AufenthG nicht einschlägig.
88
Ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG kommt nicht in Betracht, da der Kläger zum einen spätestens seit Antritt der Untersuchungshaft am 12. Februar 2018 nicht mehr in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem Kind lebt. Zum anderen hat der Kläger sein Personensorgerecht für seinen minderjährigen Sohn durch Beschluss des Amtsgerichts München - Familiengericht vom 9. März 2020 verloren. Überdies übt der Kläger sein Umgangsrecht mit seinem Sohn ausweislich der Besuchsliste der Justizvollzugsanstalt München nicht aus. Im Übrigen ist der Kläger durch Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 11. Juli 2020 angewiesen, Kontakt zu seinem Sohn ausschließlich nach Vereinbarung mit dem Jugendamt aufzunehmen und jegliche selbständige Kontaktaufnahme zu unterlassen.
89
Ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG scheidet ebenfalls aus. Das Gericht geht nicht davon aus, dass eine persönliche Verbundenheit des Kindes zu seinem Vater besteht, auf deren Aufrechterhaltung es zu seinem Wohl angewiesen ist. Die Belange oder das Wohl eines Kindes sind bzw. ist nur zu berücksichtigen, wenn zwischen dem Ausländer und dem Kind eine sozial-familiäre Bindung oder eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind angewiesen ist (BeckOK, AuslR/Fleuß AufenthG § 55 Rn. 115). Der Kläger hat derzeit weder das Sorgerecht noch ein Umgangsrecht mit seinem Sohn. Gemäß der Stellungnahme des Sozialbürgerhauses … vom … … 2021 besteht keine persönliche Verbundenheit des Sohnes zu seinem Vater, dem Kläger, auf deren Aufrechterhaltung der Sohn des Klägers angewiesen ist. Die Beziehung seitens des Sohns ist von Angst und Unsicherheit geprägt. Ausweislich des Schreibens des Sozialbürgerhauses vom … … 2021 muss zunächst ein familienpsychologisches Gutachten erstellt werden, um die Auswirkung eines Umgangs des Klägers mit seinem Sohn auf das Kindswohl zu prüfen. Der Sohn benötigt, nach Angaben seiner Mutter vom … … 2021, den Kläger als Vater weiterhin nicht und wünscht keinen Kontakt. Nach alledem geht das Gericht nicht davon aus, dass zwischen dem Kläger und seinem Sohn derzeit eine schützenswerte Bindung besteht, auf deren Aufrechterhaltung der Sohn zu seinem Wohl angewiesen ist.
90
1.2.3. Unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Klägers und der Rechte aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK überwiegt das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Die Entscheidung wahrt im Übrigen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
91
Die aus spezialpräventiven Gründen für das Überwiegen des Ausweisungsinteresses sprechenden Gesichtspunkte sind gemeinsam mit den generalpräventiven Gründen so gewichtig, dass die Abwägung zu Lasten des Klägers erfolgt. Die Beklagte hat die privaten Interessen des Klägers umfassend und zutreffend dargestellt und mit ausführlicher Begründung, der sich das Gericht anschließt, gegen die für die Ausreise sprechenden Gründe abgewogen.
92
Für den weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet sprach bei dieser Abwägung, dass er im Zeitraum vom Februar 2010 bis zum August 2020 für zehn Jahre im Bundesgebiet lebte und Vater eines minderjährigen deutschen Kindes ist, mit dem er zumindest in der Zukunft wieder ein Umgangsrecht erlangen könnte. Der Kläger lebte sieben Jahre lang mit dem Sohn in häuslicher Gemeinschaft und betreute diesen überwiegend. Jedoch hat sich der Kläger nicht derart irreversibel in die deutschen Lebensverhältnisse integriert, dass ihm ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit unzumutbar wäre. Er reiste erst im Alter von 30 Jahren im Wege des Ehegattennachzugs in das Bundesgebiet ein. Der Kläger ist in … geboren, absolvierte dort eine Schul- und Berufsausbildung und lebte dort auch wieder nach seiner Abschiebung am 26. August 2020. Den Kläger erwarten im Fall seiner Rückkehr nach … weder unüberbrückbare sprachliche, noch kulturelle Hürden, sodass ihm insoweit eine Reintegration möglich sein wird.
93
Seit seiner Einreise im Jahr 2010 ist dem Kläger eine wirtschaftliche Integration nicht gelungen. Er verfügt über keine gesicherte berufliche Position. Vom … … 2010 bis zum … … 2012 ging er geringfügigen, teilweise nicht versicherungspflichtigen Beschäftigungen nach. Der Kläger lebte, abgesehen von einer versicherungspflichtigen Tätigkeit am … … 2014, vom Einkommen seiner Ehefrau, ohne eigenes Einkommen zu erzielen.
94
Dagegen wiegen die vom Kläger verübten Straftaten schwer. Der Kläger hat zum Ausdruck gebracht, dass er nicht willens oder jedenfalls nicht in der Lage ist, sich an die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu halten. Der Kläger beging über Jahre hinweg Straftaten, inklusive Körperverletzungen, vor allem gegenüber seiner Ehefrau. Dabei demonstrierte er eine erhebliche Gewaltbereitschaft und schreckte nicht davor zurück, seine Ehefrau mehrfach zu schlagen, sie durch Spucken zu demütigen und sie massiv zu bedrohen. Besonders negativ ins Gewicht fällt, dass der Kläger, trotz erfolgter Abschiebung in sein Heimatland …, weiterhin Bedrohungen über verschiedene Kommunikationsmedien gegenüber seiner Frau äußerte und nach einigen Monaten unter anderem Namen, entgegen des Einreise- und Aufenthaltsverbots, erneut in die Bundesrepublik einreiste, wo er kurz nach seiner Einreise erneut wegen des Verdachts auf alkoholbedingte Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit einer Frau inhaftiert wurde.
95
Vor diesem Hintergrund, insbesondere unter Berücksichtigung der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr, sowie des erheblichen generalpräventiven Interesses, fällt - selbst wenn man ein normiertes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG annehmen sollte - die nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG zu treffende Gesamtabwägung zu Lasten des Klägers aus. Das Ausweisungsinteresse überwiegt das Bleibeinteresse. Die Ausweisung steht auch mit Art. 8 EMRK im Einklang, da sie gesetzlich vorgesehen ist (§ 53 AufenthG) und einen in dieser Bestimmung aufgeführten legitimen Zweck, nämlich den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Verhinderung von Straftaten, verfolgt. Die Ausweisung ist die geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme, um den beabsichtigten Zweck durchzusetzen. Durch ein anderes, milderes Mittel kann der mit ihr verfolgte Zweck vorliegend nicht erreicht werden. Im Ergebnis ist die Ausweisung des Klägers daher zur Wahrung des mit ihr verfolgten Interesses verhältnismäßig.
96
2. Die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots beruht auf § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot in Nr. 3 des angegriffenen Bescheids auf fünf bzw. sieben Jahre ist nicht zu beanstanden.
97
Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist von Amts wegen zu befristen. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden. Die Frist darf gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur in den Fällen der Abs. 5 bis 5b überschreiten. Gemäß § 11 Abs. 5 AufenthG, der hier einschlägig ist, soll im Falle der Ausweisung wegen einer strafrechtlichen Verurteilung die Frist zehn Jahre nicht überschreiten. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen; es bedarf einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d. h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8. EMRK, zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen; dieses normative Korrektiv bietet den Ausländerbehörden und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 - 10 B 13.715 - juris Rn. 56).
98
Gemessen an diesen Vorgaben ist eine Befristung auf fünf bzw. sieben Jahre nicht zu beanstanden. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, § 114 VwGO. Die behördliche Entscheidung hält sich in dem von § 11 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 AufenthG festgelegten Rahmen. Die Beklagte hat zutreffend das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit Ausweisung verfolgten Zwecke sowie die privaten Interessen des Klägers berücksichtigt. Ausgehend von der bestehenden Gefahr weiterer Straftaten durch den Kläger erscheint auch unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Bedingungen des Klägers zum Bundesgebiet eine Frist von fünf bzw. sieben Jahren nicht unverhältnismäßig, sondern erforderlich, um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Begehung weiterer Straftaten zu begegnen.
99
3. Die Abschiebungsandrohung und die dem Kläger zur freiwilligen Ausreise gesetzte Frist in Nr. 4 des Bescheids entsprechen den gesetzlichen Vorschriften (§ 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 und 2, § 59 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AufenthG) und sind nicht zu beanstanden.
100
4. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Der Bescheid der Beklagten vom 2. April 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
101
Das Gericht verweist auf die zutreffenden Ausführungen im ausführlich begründeten Bescheid, folgt der Begründung und sieht insoweit von der Darstellung eigener Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
102
Darüber hinaus gilt ergänzend folgendes:
103
4.1. Der Kläger hat bereits keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, da dem die Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegensteht. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG darf einem Ausländer, der ausgewiesen wurde, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt werden.
104
Die Ausweisung des Klägers ist noch nicht bestandskräftig oder vollziehbar, weil die dagegen gerichtete Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung entfaltet (§ 80 Abs. 1 VwGO). Sie ist aber trotz der gegen sie gerichteten Anfechtungsklage wirksam (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Dies genügt für die Auslösung der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG (vgl. BVerfG, B. v. 29.3.2007 - 2 BvR 1977/06 - juris Rn. 26). Im Übrigen ist die Ausweisung rechtlich nicht zu beanstanden (s.o.).
105
4.2. Unabhängig davon hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zum Zweck des Familiennachzugs, da bereits die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.
106
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zum Zweck des Familiennachzugs als Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge scheitert bereits daran, dass der Kläger die Personensorge nicht innehat. Mit Beschluss vom 9. März 2020 entzog das Amtsgericht München - Familiengericht - dem Kläger das Sorgerecht hinsichtlich seines Sohnes und übertrug dieses der Mutter (Az.: … 19).
107
Eine Ausnahme vom Erfordernis der Personensorge gemäß § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht, da der Kläger nicht mit seinem Sohn in häuslicher Gemeinschaft lebt. Abgesehen davon ist eine Ermessensreduzierung auf Null nicht ersichtlich.
108
4.3. Ferner sind die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt, da mehrere Ausweisungsinteressen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. §§ 54 Abs. 1 Nr, 1, Nr. 1a. b.), Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 9 AufenthG bestehen.
109
Von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist auch nicht wegen eines Ausnahmefalls abzusehen.
110
Die Klage war somit insgesamt abzuweisen.
111
Der Kläger trägt als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO).
112
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 704 ff., 708 Nr. 11 ZPO.