Inhalt

VG München, Urteil v. 22.07.2021 – M 10 K 20.3771
Titel:

Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsachen

Normenketten:
VwGO § 57 Abs. 2, § 60, § 74 Abs. 1 S. 1, § 173
ZPO § 173, § 182 Abs. 1 S. 2, § 222 Abs. 1, § 418
BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1
Leitsatz:
Der Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen gem. § 418 Abs. 2 ZPO erfordert den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine objektive Falschbeurkundung belegt. Notwendig ist der volle Beweis des Gegenteils in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr niedergelegten Tatsachen ausgeschlossen ist (BVerfG BeckRS 2002, 21273; BGH BeckRS 2005, 13991). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klage unzulässig, Klagefrist nicht gewahrt, Beweiskraft der Postzustellungsurkunde, Zustellungsurkunde, Fehlverhalten des Zustellers, Einwurf in den Hausbriefkasten des Gerichts, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Ersatzzustellung, Niederlegung im Briefkasten, Protokoll einer Telefonanlage, Kostenrechnung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 22098

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.   
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich im Wesentlichen gegen einen Bescheid über Wassergebühren sowie gegen eine Kontopfändung.
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Mit Bescheid der Beklagten zu 2 vom 16. Januar 2019 wurde der Kläger für sein Anwesen zu einer Wassergrundgebühr in Höhe von 18 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von 1,26 EUR herangezogen. Der gegen diesen Bescheid gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid des Beklagten zu 1 vom 13. Juli 2020 zurückgewiesen. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der Widerspruchsbescheid am 17. Juli 2020 durch Einlegen in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten zugestellt. Ferner stellte der Beklagte zu 1 unter dem 13. Juli 2020 eine Kostenrechnung über 13,07 EUR aus, die sich aus einer Widerspruchsgebühr in Höhe von 10 EUR sowie Auslagen in Höhe von 3,07 EUR zusammensetzt.
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Der Kläger hat mit Schreiben vom 17. August 2020, eingegangen per Fax bei dem Verwaltungsgericht München am 18. August 2020, Klage gegen den Beklagten zu 1 und die Beklagte zu 2 erhoben und beantragt zuletzt,
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1. Der Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2020 wird durch Gerichtsurteil vollumfänglich als unbegründet festgestellt und zurückgewiesen.
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2. Die Kostenrechnung der Beklagten vom 13. Juli 2020 wird als unbegründet zurückgewiesen und außer Kraft gesetzt.
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3. Es wird gemäß der durch den Kläger erfolgten Antragstellung im Widerspruch vom 6. Februar 2019 an den Beklagten zu 1 entschieden und dabei der Bescheid der Beklagten zu 2 über die Abrechnung der Wasser- und Kanalgebühren vom 16. Januar 2019 für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2018 für die Verbrauchsstelle …straße 13 in der Gemeinde … als unbegründet festgestellt und außer Kraft gesetzt.
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4. Eine trotz erfolgter Zahlung fortgesetzte „ZV Kontopfändung“ der Beklagten zu 2 wird als rechtswidrig festgestellt.
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5. Die Beklagten werden zur Neuerstellung der angegriffenen Bescheide in korrekter Fassung verurteilt.
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Zur Begründung wird vorgetragen, die Bescheide seien unrichtig und daher als unbegründet festzustellen.
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Mit Schriftsatz vom 28. September 2020 beantragt die Beklagte zu 2,
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die Klage als unzulässig abzuweisen.
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Die Klage sei verfristet erhoben worden.
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Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2020 beantragt der Beklagte zu 1,
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die Klage abzuweisen.
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Im Wesentlichen wird auf die Unzulässigkeit der Klage verwiesen, da die Klagefrist nicht eingehalten worden sei. Auf den Inhalt des Schriftsatzes wird im Übrigen Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 16. November 2020 hat das Gericht insbesondere darauf hingewiesen, dass die in erster Linie als Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten zu 2 vom 16. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten zu 1 vom 13. Juli 2020 verstandene Klage unzulässig sei, da die Klagefrist nicht gewahrt worden sei. Im Hinblick auf die vom Kläger gerügte Kontopfändung sei bereits nicht ersichtlich, um welche Pfändung es gehe. Der Klageantrag sei insoweit unklar.
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Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2021 hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, er habe vom Widerspruchsbescheid erst am 18. Juli 2020 Kenntnis erlangt. Für den Beginn der Klagefrist komme es auf die Kenntniserlangung vom Bescheid an. Die Klageschrift sei bereits am 17. August 2020 erstellt worden und noch an diesem Tag im Original in den Briefkasten des Verwaltungsgerichts München eingeworfen worden. Vorsorglich werde insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zudem habe der Kläger möglicherweise parallel zur Widerspruchseinlegung bereits Klage beim Verwaltungsgericht München erhoben. Im Hinblick auf die vom Gericht angefragte Kontopfändung wird vorgetragen, dass dem Kläger zurzeit keine Dokumente hierzu vorlägen. Der Kläger beantragt daher ergänzend (wörtlich):
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Das Gericht wird ersucht, die Beklagte zu 2 durch Gerichtsbeschluss zu veranlassen, dem Kläger Auskunft zu von dieser gegen den Kläger beauftragten Zwangsvollstreckung einschließlich der zugehörigen Aktenzeichen, einschließlich des Stands des/der betreffenden Vollstreckungen zu erteilen.
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Bereits mit Beschluss vom 6. Mai 2021 hat das Gericht den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Die vom Kläger erhobene Klage ist im Wesentlichen als Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten zu 2 vom 16. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten zu 1 vom 13. Juli 2020 zu verstehen.
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Die so verstandene Klage ist bereits unzulässig, da die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht gewahrt worden ist. Die einmonatige Klagefrist beginnt mit der Zustellung des Widerspruchsbescheids. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers kommt es für den Fristbeginn nicht auf den Zeitpunkt der Kenntnis vom Widerspruchsbescheid an.
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Im vorliegenden Fall wurde der Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2020 dem Kläger am 17. Juli 2020 zugestellt. Dies wird durch die in der Akte befindliche Postzustellungsurkunde gemäß § 173 VwGO, §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 Zivilprozessordnung (ZPO) bewiesen. Eine Postzustellungsurkunde ist eine öffentliche Urkunde mit der sich aus § 418 Abs. 1 ZPO ergebenden vollen Beweiskraft.
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Diese Beweiskraft hat der Kläger vorliegend nicht zur Überzeugung des Gerichts erschüttert. Der Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen gemäß § 418 Abs. 2 ZPO erfordert den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine objektive Falschbeurkundung belegt. Notwendig ist der volle Beweis des Gegenteils in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr niedergelegten Tatsachen ausgeschlossen ist (BVerfG, B.v. 20.2.2002 - 2 BvR 2017/01 - NJW-RR 2002, 1008; BGH, U.v. 10.11.2005 - 3 ZR 104/05 - NJW 2006, 150).
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Hierfür hat der Kläger nichts vorgetragen. Der Kläger hat lediglich behauptet, dass der Postzusteller nicht vorrangig versucht habe, den Widerspruchsbescheid dem Kläger unmittelbar auszuhändigen. Die Ersatzzustellung durch Niederlegung im Briefkasten sei daher unwirksam. Dies hat der Kläger jedoch weder glaubhaft begründet noch bewiesen. Er hat letztlich zugegeben, dass er nicht aus eigener Beobachtung festgestellt haben kann, dass der Postzusteller am fraglichen Tag nicht an der Haustür geklingelt habe. Denn er hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, sich am 17. Juli 2020 den ganzen Tag - mit Ausnahme eines kurzen Zeitraums, zu dem der Briefträger üblicherweise bereits da war - nicht an seiner Wohnadresse aufgehalten zu haben. Der Kläger hat lediglich behauptet, er könne anhand eines Protokolls seiner Telefonanlage, die auch aufzeichne, wenn jemand an der Haustür klingle, nachweisen, dass an diesem Tag niemand geklingelt habe. Abgesehen von der Frage, welcher Beweiswert einem derartigen Protokoll zukommen würde, hat der Kläger dieses Protokoll dem Gericht jedenfalls nicht vorgelegt.
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Die Klagefrist begann damit aufgrund der am 17. Juli 2020 erfolgten Zustellung des Widerspruchsbescheids am 18. Juli 2020 zu laufen (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) und endete am 17. August 2020, einem Montag (§ 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB).
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Die Klageerhebung per Fax am 18. August 2020 erfolgte daher verspätet. Der Kläger hat auch nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass er die Klageschrift im Original bereits am 17. August 2020 in den Hausbriefkasten des Verwaltungsgerichts München eingeworfen habe. In der Akte befindet sich keine Originalklageschrift, sondern lediglich das Fax vom 18. August 2020. Der Kläger kann den Einwurf in den Hausbriefkasten des Gerichts am 17. August 2020 auch nicht nachweisen. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich aus dem Umstand, dass die Klageschrift bereits am 17. August 2020 verfasst worden ist, nichts herleiten. Gegen die Behauptung des Klägers, die Originalklageschrift am 17. August 2020 in den Briefkasten des Gerichts geworfen zu haben, spricht vielmehr, dass der übrige Vortrag des Klägers sowie die Umstände in sich stimmig sind: Der Kläger übermittelte die Klageschrift „zur sicheren Fristwahrung per Fax“ (vgl. die Formulierung in der Klageschrift), was bereits nicht für eine zeitlich vorgehende Übermittlung der Originalklageschrift spricht. Zudem ging der Kläger nach seinem Vortrag im Schriftsatz vom 21. Juli 2021 davon aus, dass die Klagefrist erst mit seiner Kenntniserlangung vom Bescheid am 18. Juli 2020 zu laufen begonnen hatte. Dies als zutreffend unterstellt, wäre die Frist tatsächlich erst am 18. August 2020 abgelaufen und damit das „zur Fristwahrung“ übersandte Fax vom 18. August 2020 fristgerecht.
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Der Kläger hat, anders als er im Schriftsatz vom 21. Juli 2021 vermutet, auch nicht unmittelbar gegen den Ausgangsbescheid der Beklagten zu 2 vom 16. Januar 2019 Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben.
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Gründe für die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO sind demgemäß weder substantiiert vorgetragen bzw. glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich.
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2. Die Klage gegen die Kostenrechnung des Beklagten zu 1 vom 13. Juli 2020 hat keinen Erfolg. Unabhängig von diesbezüglichen Zulässigkeitsfragen ist die Kostenrechnung jedenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Erhebung einer Widerspruchsgebühr resultiert aus der bestandskräftigen Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2020, dass der Widerspruchsführer die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat. Da vorliegend lediglich die Mindestgebühr nach Art. 9 Abs. 1 Satz 6 Kostengesetz sowie die Auslagen für die Postzustellungsurkunde angesetzt worden sind, sind Rechtsfehler nicht ersichtlich. Sie sind auch vom Kläger nicht gerügt worden. Im Übrigen wird insoweit auf die Ausführungen des Beklagten zu 1 im Schriftsatz vom 2. Oktober 2020 Bezug genommen.
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3. Soweit sich der Kläger darüber hinaus gegen eine Zwangsvollstreckung in Form der Kontopfändung wendet, hat diese Klage bereits deshalb keinen Erfolg, da nicht klar ist, gegen welche Kontopfändung sich der Kläger richtet. Trotz Aufforderung des Gerichts mit Schreiben vom 16. November 2020 hat der Kläger seinen Vortrag insoweit nicht präzisiert. Die Behauptung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er sei über Monate nicht an die dafür notwendigen Unterlagen herangekommen, erklärt jedenfalls nicht schlüssig, dass der Kläger bereits seit 16. November 2020 durchgehend keinen Zugriff auf seine Unterlagen hatte. Dies ergibt sich auch nicht aus den zahlreichen Schreiben des Klägers, mit denen er um eine Fristverlängerung im Hinblick auf die Beantwortung des gerichtlichen Schreibens vom 16. November 2020 gebeten hat. Vielmehr hat der Kläger in diesen zunächst mehrfach krankheitsbedingt um Fristverlängerung gebeten. Angesichts dessen ist dem Kläger auf seinen diesbezüglichen Antrag in der mündlichen Verhandlung auch keine Schriftsatzfrist eingeräumt worden. Der Kläger hatte seit November 2020 ausreichend Zeit, jedenfalls ohne Vorlage von Unterlagen vorzutragen, gegen welche Kontopfändung er sich richtet. Auch dem mit Schriftsatz vom 21. Juli 2021 begehrten diesbezüglichen Auskunftsersuchen gegenüber der Beklagten zu 2 ist nicht nachzugeben. Es ist Aufgabe des Klägers, die im Klagewege geltend gemachten Anträge klarzustellen und zu konkretisieren.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.