Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 17.03.2021 – Au 6 K 20.1030
Titel:

Ausgleichsverpflichtung des Bundes auf Bahnübergänge

Normenketten:
FStrG § 5 Abs. 2
AEG § 16 Abs. 1a, Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a
GG Art. 104a ff.
Leitsatz:
Für die Auslegung, die Ausgleichsverpflichtung des Bundes auf Bahnübergänge an Bundesstraßen zu beschränken, die in der Straßenbaulast des Bundes liegen, findet sich in § 16 Abs. 1a und Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a AEG keine Stütze. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausgleichsleistungen für Aufwendungen für die Unterhaltung und den Betrieb höhengleicher Kreuzungen mit Bundesstraßen, Ausgleichsverpflichtung des Bundes, Bahnübergänge an Bundesstraßen, Straßenbaulast des Bundes
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 30.11.2021 – 8 ZB 21.1285
Fundstelle:
BeckRS 2021, 21492

Tenor

I.Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 14. Januar 2020 verpflichtet, der Klägerin die mit Schreiben vom 3. Juli 2019 beantragten Ausgleichsleistungen für Aufwendungen für die Unterhaltung und den Betrieb höhengleicher Kreuzungen mit Bundesstraßen in Höhe von 100.477,08 Euro zu leisten.
II.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

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Die Klägerin ist ein privates Eisenbahnverkehrsunternehmen und betreibt Güterverkehr im Stadtgebiet *. Die Klägerin unterhält die höhengleichen Kreuzungen ihrer Gleise mit öffentlichen Straßen und begehrt mit ihrer Klage von der Beklagten den Ausgleich für die von ihr hierfür getragenen Aufwendungen nach § 16 Abs. 1a, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AEG (Allgemeines Eisenbahngesetz vom 17.12.1993 i.d.F. vom 3.12.2020, BGBl. I S. 2694).
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Mit Schreiben vom 3. Juli 2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, ihr Aufwendungen für den Unterhalt genau bezeichneter höhengleicher Kreuzungen im Umfang von 50% des ausgleichsfähigen Aufwands, also 100.477,08 Euro, zu leisten. Hierzu fügte sie nähere Nachweise bei.
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Nach Anhörung der Klägerin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Januar 2020 den begehrten Aufwendungsersatz mit der Begründung ab, hierfür sei das Land, also der Beigeladene, zuständig, denn die Straßenbaulast für die höhengleichen Kreuzungen - obgleich Bundesstraßen - liege nach § 5 Abs. 2 FStrG (Bundesfernstraßengesetz vom 6.8.1953 i.d.F. vom 3.12.2020, BGBl. I S. 2694) bei der Stadt * und nicht bei der Beklagten, weil die Kreuzungen zugleich Ortsdurchfahrten dieser Stadt mit mehr als 80.000 Einwohnern darstellten.
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Am 14. Februar 2020 erhob die Klägerin entsprechend der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung:Klage zum Verwaltungsgericht Berlin, welches die Klage mit Beschluss vom 16. Juni 2020, berichtigt mit Beschluss vom 15. Juli 2020, an das Bayer. Verwaltungsgericht Augsburg verwies. Die Klägerin beantragt,
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Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Januar 2020 verpflichtet, der Klägerin Ausgleichsleistungen für die im Jahr 2018 entstandenen Aufwendungen für die Unterhaltung und den Betrieb höhengleicher Kreuzungen mit Bundesstraßen in Höhe von 100.477,08 Euro zu leisten.
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Zur Begründung führte sie aus, der Anspruch auf Ausgleichsleistungen ergebe sich aus § 16 Abs. 1a, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AEG. Eine teleologische Reduzierung sei nicht gerechtfertigt. Der Wortlaut des § 16 AEG sei auch nach der Novelle insoweit eindeutig und die Grenze der Auslegung. Die von der Beklagten gewünschte Anpassung könne nur durch eine Gesetzesänderung vorgenommen werden.
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Die Beklagte trat der Klage entgegen und beantragt
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Klageabweisung
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mit der Begründung, im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung sei die Ausgleichsverpflichtung des Bundes auf solche Bahnübergänge an Bundesstraßen zu beschränken, die in der Straßenbaulast des Bundes lägen. Aus Art. 104a ff. GG ergebe sich die Konnexität von Verwaltung, Aufgabe und Finanzierung, wobei die Eisenbahnverkehrsverwaltung für die nicht bundeseigenen Eisenbahnen bei den Ländern liege, ebenso die Verwaltung der Bundesfernstraßen in der Auftragsverwaltung der Länder. Umgekehrt hätten die Kommunen mit der Straßenbaulast für die Ortsdurchfahrten nach § 5 Abs. 2 FStrG neben der Sachaufgabe auch die Finanzierungsverantwortung, nicht aber der Bund. Auch in der Novelle des § 16 AEG sei an der Grundstruktur festgehalten worden. Gleichwohl werde der „verfassungsrechtliche Bogen“ überspannt, wenn der Bund auch für Ortsdurchfahrten in kommunaler Straßenbaulast die Ausgleichsleistung zu erbringen hätte. In der Novellierung des § 16 AEG habe wegen der Dringlichkeit keine entsprechende Änderung vorgenommen werden können.
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Der mit Beschluss vom 17. Februar 2021 beigeladene Freistaat Bayern trat der Klage ohne förmliche Antragstellung entgegen und verwies ebenfalls auf den Wortlaut des § 16 AEG. Die von der Beklagten gewünschte Anpassung könne nur durch eine Novellierung des § 16 AEG erfolgen, der insoweit lex specialis zu § 5 Abs. 2 FStrG sei. Maßgeblich für die Kostentragungspflicht des Bundes sei die Widmung als Bundesstraße, nicht die Straßenbaulast.
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Die Beteiligten verzichteten mit Schreiben vom 16. September 2020, 9. März 2021 und 26. Februar 2021 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die wegen des allseitigen Verzichts ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Aufwendungsersatz nach § 16 Abs. 1a, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AEG in Höhe von 100.477,08 Euro (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
I.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte den geltend gemachten Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 16 Abs. 1a, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AEG.
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Nach § 16 Abs. 1a, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AEG sind den öffentlichen Eisenbahnen Belastungen und Nachteile auszugleichen, die sich aus Aufwendungen für die Erhaltung und den Betrieb von höhengleichen Kreuzungen ergeben, wenn die Eisenbahn für mehr als die Hälfte der Aufwendungen aufkommt. Den Ausgleich gewährt, soweit die nichtbundeseigenen Eisenbahnen betroffen sind, der Bund, wenn es sich um höhengleiche Kreuzungen mit Bundesstraßen handelt, in allen anderen Fällen das Land, in dessen Gebiet die Kreuzung liegt.
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Die Beklagte stellt nicht die vorhandenen Kreuzungen oder Höhe und Umfang der von der Klägerin getragenen und anteilig geltend gemachten Aufwendungen in Abrede, sondern ist der Auffassung, die Anspruchsgrundlage des § 16 Abs. 1a, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AEG müsse von Verfassungs wegen teleologisch reduziert angewandt werden. Daher sei die Ausgleichsverpflichtung des Bundes auf Bahnübergänge an Bundesstraßen zu beschränken, die in der Straßenbaulast des Bundes lägen. Hierfür findet sich in § 16 Abs. 1a, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AEG jedoch keine Stütze:
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1. Die grammatikalische Auslegung des Wortlauts zeigt keinen gesetzlichen Vorbehalt für eine reduzierte Anwendbarkeit der Norm auf. Der Wortlaut ist vielmehr eindeutig und differenziert trennscharf zwischen einer Verpflichtung des Bundes für den Aufwendungsersatz für höhengleiche Kreuzungen mit Bundesstraßen wie hier und einer Verpflichtung des Landes in allen anderen Fällen.
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2. Auch die historische Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass der Gesetzgeber eine Anspruchseinschränkung geschaffen, aber unvollständig im Wortlaut zum Ausdruck gebracht hätte, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil räumen Beklagte und Beigeladener ein, dass eine entsprechende Neufassung der Norm zuletzt gar nicht versucht worden sei - erst recht fehlt also ein Hinweis für einen entsprechenden früheren, aber textlich nur unvollkommen zum Ausdruck gelangten Regelungswillen des Bundes.
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3. Auch die systematische Auslegung führt zu keiner reduzierenden Anwendbarkeit. Vielmehr unterscheidet der Bund als Gesetzgeber im Allgemeinen Eisenbahngesetz systematisch nachvollziehbar zwischen höhengleichen Kreuzungen mit Bundesstraßen, für welche der Bund und damit die Beklagte Aufwendungsersatz zu leisten hat, und höhengleichen Kreuzungen mit allen anderen Straßen, für welche das Land Aufwendungsersatz zu leisten hat, in dessen Gebiet die Kreuzung liegt. Ein ausdrücklicher Verweis auf § 5 Abs. 2 FStrG als weiteres Differenzierungsmerkmal - Straßenbaulast des Landes oder einer Kommune - findet sich gerade nicht; für ein solches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal fehlt es an einer auslegungsbedürftigen wie auslegungsfähigen Norm (vgl. zu I.1.).
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4. Auch die teleologische Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm bietet keinen hinreichenden Anhaltspunkt für die Sichtweise der Beklagten.
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§ 16 Abs. 1a, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AEG ist das unter I.3. beschriebene Aufteilungsmodell zu entnehmen, in welchem der Bund die Aufwendungen für Kreuzungen mit seinen Bundesstraßen und das jeweilige Bundesland die Aufwendungen für Kreuzungen mit seinen Landes- oder gemeindlichen Straßen zu tragen hat. Das Straßennetz des Bundes und das Straßennetz des Landes bzw. der Gemeinden sind trotz vielfältiger tatsächlicher Verflechtungen rechtlich klar getrennt. Dieser Trennung nach der Widmung - und nicht nach der Straßenbaulast wie in § 5 Abs. 2 FStrG - entspricht die Aufteilung für den Aufwendungsersatz. Ein Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Finanzverfassung nach Art. 104a ff. GG als Grundlage einer etwa teleologisch reduzierenden Auslegung der Norm ist nicht erkennbar.
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Hätte die Beklagte hingegen ein anderes Modell einführen wollen, hätte sie dies im Novellierungsverfahren des Allgemeinen Eisenbahngesetzes einbringen können, was aber offenbar nicht geschehen ist. Somit gilt der Wille des demokratisch legitimierten parlamentarischen Gesetzgebers, der o.g. nach Wortlaut und Systematik eindeutige und nicht auslegungsbedürftige Regelung getroffen hat.
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5. Da die weiteren tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen von der Beklagten nicht bestritten werden und an der Erfüllung auch sonst keine Zweifel ersichtlich sind, steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch in voller Höhe zu.
II.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für die Kosten sowie § 170 VwGO für die Hauptforderung.