Titel:
Rechtsschutzbedürfnis für Klage vor Beantragung eines Vorbescheides
Normenketten:
BayBO Art. 71
VwGO § 42
Leitsatz:
Solange bei der Bauaufsichtsbehörde ein Vorbescheidsantrag noch nicht gestellt und eine angemessene Bescheidungsfrist nicht abgewartet wurde, ist die sofortige Inanspruchnahme des Gerichts unnötig; einer erhobenen Klage fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorbescheid, Isolierte Anfechtungsklage unzulässig, Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Vorbescheids, Kein Rechtsschutzbedürfnis bei fehlendem vorherigen Antrag bei der Behörde, isolierte Anfechtungsklage unzulässig, kein Rechtsschutzbedürfnis bei fehlendem vorherigen Antrag bei der Behörde
Fundstelle:
BeckRS 2021, 21485
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erteilung eines Vorbescheids für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr., Gemarkung *. Im Flächennutzungsplan ist der maßgebliche Bereich als Dorfgebiet (MD) dargestellt.
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Mit Antrag vom 14. September 2019, eingegangen beim Landratsamt * (im Folgenden: Landratsamt) am 28. November 2019, beantragte der Kläger die Erteilung eines Vorbescheids zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Neubaus eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage auf seinem Grundstück.
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Die Gemeinde * verweigerte mit Beschluss vom 14. Oktober 2019 das gemeindliche Einvernehmen, weil das geplante Wohnhaus in einer geringen Entfernung zum bestehenden Gewerbegebiet * errichtet werden solle und hier von einer Überschreitung der zulässigen Immissionsrichtwerte ausgegangen werden müsse.
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Der Fachbereich Immissionsschutz beim Landratsamt teilte in einer Stellungnahme vom 30. Dezember 2019 mit, dass bei Ausschöpfung der Lärmkontingente im Bebauungsplangebiet „*“ die Immissionsrichtwerte eines Dorfgebiets am bestehenden Wohnhaus auf dem Grundstück Fl.Nr. * (nordwestlich angrenzend an das Grundstück Fl.Nr. *) voll ausgeschöpft würden. Da das geplante Wohnhaus in einer geringen Entfernung zum bestehenden Gewerbegebiet errichtet werden solle, müsse hier von möglichen Überschreitungen der Immissionsrichtwerte ausgegangen werden. Der im Gewerbegebiet „*“ gelegene Betrieb der Fa. * unterliege den Grundpflichten der 12. BImSchV (Störfallverordnung). Die Zulässigkeit des Heranrückens von Wohnbebauung an einen störfallrelevanten Betrieb müsse ebenfalls detailliiert überprüft werden.
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Der Bevollmächtigte des Klägers teilte dem Landratsamt mit Schriftsatz vom 30. Juli 2020 mit, dass er mit dem TÜV Süd wegen einer möglichen Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob der Gewerbebetrieb der Fa. * in Bezug auf das Bauvorhaben des Klägers als Störfallbetrieb anzusehen sei oder nicht, Kontakt aufgenommen habe. Es sei jedoch nicht gelungen, die Fa. * zur Mitwirkung an der Erstellung des Gutachtens zu bewegen, insbesondere die erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen.
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Mit Bescheid vom 10. September 2020, dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 14. September 2020, wurde die Bauvoranfrage zum Vorhaben „Neubau eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage“ auf dem Grundstück Fl.Nr. * der Gemarkung * abgelehnt (Nr. 1 des Bescheids). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Vorhaben dem unbeplanten Innenbereich zugeordnet werde. Es füge sich nach seiner Art (faktisches Dorfgebiet) in die umgebende Bebauung grundsätzlich ein. Allerdings sei es unzulässig, weil es in einer geringen Entfernung zum bestehenden Gewerbegebiet liege, so dass hier von möglichen Überschreitungen der Immissionsrichtwerte ausgegangen werde. Das geplante Bauvorhaben sei nach den vorliegenden Immissionsrichtwerten daher Störungen und Belästigungen ausgesetzt. Zudem unterliege der Betrieb der Fa. * den Grundpflichten der Störfallverordnung. Die Zulässigkeit des Heranrückens von Wohnbebauung an einen störfallrelevanten Betrieb müsste deshalb detailliert in einem Gutachten überprüft werden. Ein solches Gutachten liege nicht vor bzw. die dafür notwendigen Angaben seien nicht geliefert worden.
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Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2020, eingegangen beim Verwaltungsgericht Augsburg am 12. Oktober 2020, ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
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1. Der Vorbescheid des Beklagten vom 10. September 2020 wird aufgehoben.
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2. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Baugenehmigung für die Verwirklichung seines Bauvorhabens „Neubau eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage in, Fl.Nr. * zu erteilen.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass aufgrund der Entfernung des Betriebs der Fa., aufgrund der Beschaffenheit der Betriebsgebäude sowie aufgrund der hochwertigen technischen Beschaffenheit der Betriebs- und Geschäftsausstattung dieser Firma der Betrieb nicht mehr als „Störfallbetrieb“ im Sinne der immissionsrechtlichen Vorschriften angesehen werden könne. Der Kläger selbst habe in den letzten 30 Jahren im Zuge seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit auf dem Baugrundstück noch nie irgendwelche übermäßigen Lärmbelästigungen oder Gerüche bzw. Ausdünstungen wahrgenommen.
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Auf die weiteren Ausführungen im Schriftsatz vom 5. Oktober 2020 wird verwiesen.
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Die Gemeinde * wurde mit Beschluss vom 13. Oktober 2020 zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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Für den Beklagten hat das Landratsamt mit Schriftsatz vom 10. November 2020 beantragt,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, dass der Betrieb * aufgrund der dort vorhandenen Stoffe einen Betriebsbereich der unteren Klasse gem. § 2 Nr. 1 12. BImSchV darstelle. Im Rahmen der letzten wesentlichen Änderung gem. § 16 BImSchG im Jahr 2019 seien die störfallrelevanten Stoffmengen letztmalig ermittelt worden. Es stehe somit außer Frage, dass es sich bei dem Betrieb um einen „Störfallbetrieb“ handle. Im Rahmen eines Gutachtens (Sachverständigengutachten gem. § 29a BImSchG) sei lediglich zu prüfen, ob das Heranrücken der Wohnbebauung an diesen Betrieb zulässig sei (Ermittlung eines angemessenen Sicherheitsabstands). Das geplante Wohnhaus würde im Vergleich zur bestehenden Wohnbebauung an das Gewerbegebiet „*“ heranrücken. Aufgrund der festgesetzten Emissionskontingente sei eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte an dem geplanten Wohnhaus zu erwarten.
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Das Gericht hat am 19. April 2021 einen nichtöffentlichen Augenscheinstermin durchgeführt. Auf die Niederschrift und die hierbei gefertigten Lichtbilder wird Bezug genommen.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29. April 2021 der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
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Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2021 führte der Bevollmächtigte des Klägers zu der von der Vorsitzenden anlässlich des Ortstermins angesprochenen Frage, ob das Baugrundstück dem Außenbereich zuzurechnen sei, aus, dass davon auszugehen sei, dass das Grundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liege.
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Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2021 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers:
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1. Der Vorbescheid des Beklagten vom 10. September 2020 wird aufgehoben.
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2. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen Vorbescheid dahingehend zu erteilen, dass das Bauvorhaben des Klägers „Neubau eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage und Lärmschutztrennwand“ auf dem Grundstück Fl.Nr., Gemarkung, nach Maßgabe der Planunterlagen gemäß Anlage K 7 gestattet wird.
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Im Übrigen wurde die Klage zurückgenommen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die rechtlichen Bedenken, die das Gericht beim Augenscheinstermin hinsichtlich des (vormaligen) Klageantrags 2 geäußert habe, berechtigt seien. Der Kläger habe nunmehr eine Umplanung vornehmen lassen. Die Doppelgarage sei nach Osten verlegt worden, zudem sei eine 3,37 m hohe, durchgehende Lärmschutzwand geplant. Damit könnten die vom Gewerbegebiet verursachten Schalleistungspegel am geplanten Wohnhaus auf ein zulässiges Maß reduziert werden.
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Am 17. Juni 2021 fand die mündliche Verhandlung vor Gericht statt.
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Ergänzend wird auf die vorgelegte Behördenakte, die Gerichtsakte und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage bleibt ohne Erfolg, weil sie in beiden, zuletzt gestellten Klageanträgen, unzulässig ist.
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1. Die Klage ist unzulässig, soweit in Klageantrag Nr. 1 die Aufhebung des Vorbescheids vom 10. September 2020 begehrt wird.
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Bei diesem Klageantrag handelt es sich um eine isolierte Anfechtungsklage gegen den versagenden Bescheid des Landratsamts vom 10. September 2020. Für eine derartige isolierte Anfechtungsklage fehlt jedoch das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger sein Rechtsschutzziel, die Erteilung des beantragten Vorbescheids nach Art. 71 BayBO, damit nicht erreichen kann. Wenn der Kläger jedoch ebenso gut sogleich eine Verpflichtungsklage erheben kann, fehlt es für die isolierte Anfechtungsklage am Rechtsschutzbedürfnis (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, vor § 40 Rn. 15; Schenke in Kopp, VwGO, 26. Aufl. 2020, vor § 40 Rn. 51e). Vorliegend wurde der Antrag des Klägers auf Erteilung eines Vorbescheids vom Landratsamt auch nach vorhergehender Sachprüfung abgelehnt, sodass die isolierte Anfechtungsklage auch nicht ausnahmsweise zulässig ist (vgl. hierzu Rennert, a.a.O. Rn. 15). Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob die Anfechtungsklage gegen den ablehnenden Bescheid vom 10. September 2020 auch mangels Sachbescheidungsinteresse unzulässig ist, weil der Kläger mit der mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 14. Juni 2021 vorgelegten Umplanung zu erkennen gegeben hat, dass er an der ursprünglichen Planung, die Gegenstand des ablehnenden Bescheids war, nicht mehr festhalten will.
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2. Die Klage ist auch unzulässig, soweit der Kläger zuletzt die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines Vorbescheids nach Maßgabe der mit Schriftsatz vom 14. Juni 2021 bei Gericht als Anlage K 7 vorgelegten Planunterlagen beantragt hat (Klageantrag Nr. 2).
30
Sowohl der Kläger als auch die Vertreter des Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Vorbescheidsantrag auf Grundlage der geänderten Planung, wie sie mit Schriftsatz vom 14. Juni 2021 als Anlage K 7 dem Gericht vorgelegt worden war, beim Landratsamt noch nicht gestellt worden war. Solange ein derartiger Antrag aber bei der Bauaufsichtsbehörde noch nicht gestellt wurde und eine angemessene Bescheidungsfrist nicht abgewartet wurde, ist die sofortige Inanspruchnahme des Gerichts unnötig (Rennert, a.a.O. Rn. 13; Schenke, a.a.O. Rn. 51), es fehlt am Rechtsschutzbedürfnis (s. hierzu auch BayVGH, B.v. 29.5.2018 - 1 ZB 16.532 - juris Rn. 10; OVG NRW, U.v. 29.6.2009 - 12 A 1638/07 - juris Rn. 49 m.w.N). Die Klage ist deshalb auch insoweit unzulässig.
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Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Frage, ob der Kläger auch keinen Anspruch auf den beantragten Bauvorbescheid hat, weil das Baugrundstück im bauplanungsrechtlichen Außenbereich i.S. des § 35 Abs. 1 BauGB liegt und das Bauvorhaben öffentliche Belange beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 BauGB), nicht mehr in entscheidungserheblicher Weise an.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht nach § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich somit nicht am Prozesskostenrisiko beteiligt hat.
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4. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).