Inhalt

VG München, Urteil v. 21.07.2021 – M 26a K 19.2055
Titel:

Erteilung einer Großhandelserlaubnis für Arzneimittel

Normenketten:
AMG § 52a
VwGO § 75, § 113 Abs. 5 S. 2
Leitsätze:
1. Dass es sich zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung einer Großhandelserlaubnis für Arzneimittel und der Entscheidung über den Antrag um ein zugelassenes Arzneimittel handeln muss, lässt sich weder dem Wortlaut des § 52a Abs. 1 Nr. 1 AMG noch der Vorschrift des § 52a Abs. 4 AMG, in dem die Versagungsgründe abschließend aufgeführt sind, noch dem Sinn und Zweck der Regelungen entnehmen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar dürfen Fertigarzneimittel, die Arzneimittel iSd § 2 Abs. 1 oder Abs. 2  Nr. 1 AMG sind, im Geltungsbereich des AMG nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde (dem BfArM) zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union nach den in § 21 Abs. 1 S. 1 AMG genannten Verordnungen bzw. Richtlinien eine Genehmigung erteilt hat, sodass der Antragsteller, soweit zulassungsrechtliche Fragestellungen noch nicht abschließend geklärt sind, möglicherweise nach Erteilung der Großhandelserlaubnis von dieser noch keinen Gebrauch machen kann. Dies berechtigt die Behörde jedoch nicht, dem Antragsteller eine Entscheidung über seinen Antrag zu versagen. (Rn. 34 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Hindernis der möglicherweise fehlenden Zulassung des Arzneimittels für die Verwendung einer beantragten Großhandelserlaubnis steht dem Sachbescheidungsinteresse hinsichtlich des Erlaubnisantrags nur dann entgegen, wenn es sich „schlechthin nicht ausräumen“ ließe. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erteilung einer Großhandelserlaubnis, Medizinische Gase, Erfolgreiche auf Verbescheidung gerichtete Untätigkeitsklage, „Streckengebliebenes“ Genehmigungsverfahren, Großhandelserlaubnis, Arzneimittel, Fertigarzneimittel, Zulassung, zugelassenes Arzneimittel, medizinische Gase, Sachbescheidungsinteresse
Fundstellen:
LSK 2021, 21449
BeckRS 2021, 21449
PharmR 2021, 660

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom … September 2017 auf Erteilung einer Großhandelserlaubnis gemäß § 52a AMG für das Fertigarzneimittel „LOX medizinisch SOL“ an ihrer Betriebsstätte in A. …, …Straße, ... A. … unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
II.Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Gegenstand der Klage ist der Antrag der Klägerin, einem deutschen Schwesterunternehmen des Unternehmens A. … mit Sitz in B. …Italien, vom …September 2017 auf Erteilung einer Großhandelserlaubnis gemäß § 52a des Arzneimittelgesetzes (AMG) für das Fertigarzneimittel „LOX medizinisch SOL“ an ihrer Betriebsstätte in A. …
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Mit Bescheid vom 20. November 2007 wurde dieses Arzneimittel vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in der Darreichungsform „Gas zur medizinischen Anwendung, kälteverflüssigt, im ortsfesten Behältnis“ unter der Zulassungs-Nr. A. … zugelassen. Als Packungsgrößen wurden im Zulassungsbescheid Tankverdampferanlagen mit Volumina von 1900 Liter bis 32.000 Liter benannt. Zulassungsinhaberin ist die Firma A. ..., die zugleich die Herstellungserlaubnis „beschränkt auf die Herstellung des Fertigarzneimittels „LOX medizinisch SOL“ (Zulassungs-Nr. A. ….), Gas zur medizinischen Anwendung, kälteverflüssigt, im ortsfesten Behältnis, für die Handlungsschritte Umfüllen von „LOX medizinisch SOL“ in ortsfeste Endbehältnisse gemäß § 16 Abs. 3 der Verordnung über die Anwendung der guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und über die Anwendung der guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Produkten menschlicher Herkunft (AMWHV) und Chargenfreigabe des im Lohnauftrag hergestellten und geprüften Arzneimittels gemäß § 16 Abs. 3 AMWHV“ besitzt.
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Daneben ist die Firma A. ... Inhaberin der Zulassung für das Fertigarzneimittel „LOX medizinisch SOL in mobilen Behältnissen“ in der Darreichungsform „Gas zur medizinischen Anwendung, kälteverflüssigt, mobiles Behältnis für kälteverflüssigte Gase“ (Zulassungs-Nr. B. ….). Als Packungsgrößen wurden im Zulassungsbescheid vom … November 2010 die Füllvolumina (bei -183° C) von 627 Liter bis 764 Liter angegeben. Die Herstellungserlaubnis für dieses Fertigarzneimittel wurde der Klägerin von der Regierung von Oberbayern am … März 2017 erteilt.
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Mit Schreiben vom … September 2017 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Großhandelserlaubnis für das Fertigarzneimittel „LOX medizinisch SOL“ an ihrer Betriebsstätte in A. …, …Straße, 8. … A. …
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Der dem Antrag beigefügten Kurzbeschreibung - Großhandelstätigkeiten vom … Mai 2017 zufolge wird das Fertigarzneimittel „LOX medizinisch SOL“ durch ein Tankfahrzeug angeliefert und in einen stationären Tank umgefüllt. Im Anschluss werden mobile Kryo-Behälter, die zur Füllung in den Fahrzeugen bleiben, mit einem Fassungsvermögen von 800 Litern befüllt. Die Belieferung von Endkunden, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen mit dem Fertigarzneimittel „LOX medizinisch SOL“ erfolgt durch einen weiteren Umfüllschritt vor Ort aus dem mobilen Fahrzeug Kryo-Behälter in Basiseinheiten mit einem Fassungsvermögen von maximal 60 Litern. In der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2021 erläuterte der Bevollmächtigte der Klägerin hierzu, dass am Standort A. … auf diese Weise derzeit Einzelhandel betrieben werde; Ziel der Klage sei, zu erreichen, mit „LOX medizinisch SOL“ auch Großhandel (Abgabe an Krankenhäuser, Ärzte etc.) am Standort A. … zu betreiben.
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Dem Antrag beigefügt waren des Weiteren u.a. ein Grundrissplan des Geländes sowie eine Kurzbeschreibung des Standortes; ebenso wurde eine verantwortliche Person für die GDP (Good Distribution Practice of medicinal products for human use) benannt und eine schriftliche Erklärung der Klägerin, die für den ordnungsgemäßen Betrieb des Großhandels geltenden Regelungen einzuhalten, vorgelegt. In einem dem Antrag vom … September 2017 beigefügten Begleitschreiben der Klägerin wird dargelegt, dass beabsichtigt sei, die bestehende Herstellungserlaubnis für die Betriebsstätte in A. … zurückzugeben, da gemäß der Neufassung des § 13 Abs. 2 Nr. 4 AMG für das Umfüllen von flüssigem Sauerstoff in mobile Kleinbehältnisse für einzelne Patienten in Krankenhäusern oder bei Ärzten einschließlich der erforderlichen Kennzeichnung eine Großhandelserlaubnis ausreichend sei, die nachfolgend beantragt werde.
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Im Rahmen einer von dem Beklagten am … Januar 2018 durchgeführten GDP-Inspektion Großhandel wurde seitens des Beklagten im GDP-Inspektionsbericht vom … Januar 2018 u.a. festgestellt, dass bei der Inspektion nicht habe abschließend geklärt werden können, wie das für den Vertrieb über den Großhandel beabsichtigte Fertigarzneimittel „LOX medizinisch SOL“ von einer Zulassung abgedeckt sei. Im Rahmen einer weiteren GDP-Inspektion Großhandel am … März 2018 wurde als Zusammenfassung und Schlussfolgerung im Bericht des Beklagten vom … Juni 2018 u.a. festgestellt, dass die Inspektion ergeben habe, dass bei der Klägerin grundsätzlich die Voraussetzungen für einen GDPkonformen Großhandel zum Handel mit medizinischen Gasen gegeben seien. Im konkreten Fall sei allerdings bislang nicht geklärt, mit welcher Zulassung das Arzneimittel „LOX medizinisch SOL“ im Rahmen des Großhandels gehandelt werden könne.
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Bereits mit E-Mail vom … März 2018 hatte sich die Klägerin an das für die Zulassung von Arzneimitteln zuständige BfArM gewandt und bekam von dort mit E-Mail vom … April 2018 die Auskunft, dass nach der EU „Guideline on Medicinal Gases: Pharmaceutical Documentation“ (CPMP/QWP/1719/00 Rev1) für mobile und ortsfeste Kyrobehältnisse jeweils separate Zulassungen erteilt werden sollten. Dementsprechend seien als Endbehältnisse nur ortsfeste Tankverdampfer-Anlagen mit verschiedenen Größen und Füllmengen als Packungsgrößen im Zulassungsverfahren von „LOX medizinisch SOL“ (Zulassungs-Nr. A. ….) festgelegt worden. Ein Umfüllen von Flüssigsauerstoff in mobile Kryobehältnisse - auch nicht aus eventuellen Zwischenlagertanks - sowie die Abgabe an Patienten in Krankenhäusern sei von dieser Zulassung nicht abgedeckt. Folgerichtig könnten derartige Behältnisse auch nicht als weitere Packungsgrößen für diese Fertigarzneimittel (Zulassungs-Nr. A. ….) „nachgemeldet“ werden. Dies gelte unabhängig davon, ob der letzte Herstellungsakt, also das Umfüllen von LOX aus einen Vorratstank in ein mobiles Patientenbehältnis, nun künftig im Rahmen einer pharmazeutischen Großhandelstätigkeit gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 4a AMG erfolgen solle. Unstrittig sei, dass der geschilderte Fall der Großhandelstätigkeit nur mit einem zugelassenen Fertigarzneimittel betrieben werden könne. Das beabsichtigte Vorgehen, d.h. das Umfüllen von LOX aus einem Vorrats- oder Zwischentank in mobile Patientenbehältnisse im Großhandel, sei grundsätzlich nur mit einer Zulassung für LOX mit der Darreichungsform „Gas zur medizinischen Anwendung, kälteverflüssigt, im mobilen Behältnis“, vereinbar.
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Daraufhin wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin mit E-Mail vom 29. Juni 2018 vom Beklagten mitgeteilt, dass um Verständnis gebeten werde, dass die beantragte Erlaubnis vor Klärung der Zulassungsfrage durch die zuständige Bundesbehörde nicht erteilt werden könne. Die vorgelegten Unterlagen seien bereits losgelöst von der Frage der Verkehrsfähigkeit von „LOX medizinisch SOL“ geprüft worden. Um im Falle einer Entscheidung der Bundesbehörde im Sinne der Klägerin eine weitere zeitliche Verzögerung zu vermeiden, könnten die dann zu erstellenden Unterlagen bereits vorbereitet werden. Eine Erlaubniserteilung ohne endgültige Entscheidung hinsichtlich der Zulassungsproblematik des in Rede stehenden Produkts sei derzeit leider nicht möglich.
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Mit Schriftsatz vom 30. April 2019 erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Untätigkeitsklage mit dem Antrag,
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den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom … September 2017 auf Erteilung einer Großhandelserlaubnis gemäß § 52a AMG für das Fertigarzneimittel „LOX medizinisch SOL“ an ihrer Betriebsstätte in A. …, …Straße, 8. … A. … unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
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Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass eine Prüfung zulassungsrechtlicher Fragen im Verfahren über die Erteilung einer Großhandelserlaubnis nicht stattfinde. Die Erlaubnis sei vielmehr bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 52a Abs. 2 AMG zu erteilen. Die Auffassung des Beklagten, dass die Großhandelserlaubnis nicht erteilt werden könne, wenn von dieser im Hinblick auf die nach Auffassung des Beklagten bestehende Rechtslage gar kein Gebrauch gemacht werden könne, gehe fehl. Die beantragte Großhandelserlaubnis dürfe ausschließlich aus den in § 52a Abs. 4 AMG genannten Gründen versagt werden. Unabhängig davon treffe die Auffassung des Beklagten, dass die von der Klägerin für die Versorgung mit Patienten mit abgefülltem medizinischen Sauerstoff verwendeten mobilen Behältnisse in der maßgeblichen arzneimittelrechtlichen Zulassung des medizinischen Sauerstoffs aufzuführen seien, nicht zu, was im Weiteren unter Hinweis auf § 21 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. f AMG näher ausgeführt wurde.
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Der Beklagte beantragte mit Schreiben vom 29. Juli 2019,
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die Untätigkeitsklage abzuweisen.
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Die Untätigkeitsklage sei bereits unzulässig, da ein zureichender Grund i.S.d. § 75 VwGO dafür, dass der Antrag auf Erteilung einer Großhandelserlaubnis noch nicht verbeschieden worden sei, in der immer noch ausstehenden Klärung der Zulassungsfrage, deren Beantwortung die Klägerin beim zuständigen BfArM erreichen müsse, liege. Jedenfalls sei die Untätigkeitsklage unbegründet, da dem Antrag auf Erteilung der Großhandelserlaubnis zum jetzigen Zeitpunkt bereits das Sachbescheidungsinteresse als materiell-rechtliche Voraussetzung im Verwaltungsverfahren fehle. Die streitgegenständliche Tätigkeit des Inverkehrbringens von Fertigarzneimitteln - jedenfalls soweit das geplante Umfüllen des Flüssiggases für einzelne Patienten in Krankenhäusern oder bei Ärzten erfolgen solle, sei als Großhandel i.S.d. § 4 Abs. 22 AMG erlaubnispflichtig. Im Geltungsbereich des AMG dürften Fertigarzneimittel nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie gemäß § 21 Abs. 1 AMG zugelassen sind. Gegenstand der Zulassung seien auch die Packungsgrößen als erforderliche Angaben gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 13 AMG. Da die vorliegend zu handelnden Einheiten nicht mehr von der Zulassung abgedeckt seien, müsste der Großhandel der Klägerin unmittelbar nach Ausstellung der Großhandelserlaubnis wieder untersagt werden, da die einzige antragsgegenständliche Handelsware nicht verkehrsfähig sei.
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Hierauf erwiderte der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom … August 2019, auf den der Beklagte mit Schreiben vom 9. Oktober 2019 replizierte. Mit Schriftsatz vom … März 2020 wurde seitens der Klagepartei angeregt, einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, da die Sache nunmehr ausreichend schriftlich erörtert worden sei.
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Am 21. Juli 2021 wurde die Verwaltungsstreitsache mündlich verhandelt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vom Beklagten vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.
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1. Die Klage ist als Untätigkeitsklage in Form der Verbescheidungsklage zulässig (§ 42 Abs. 1 Alt. 3, § 75, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1.1. Nach § 75 VwGO ist die Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig, wenn über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden wurde. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist (§ 75 Satz 1 und Satz 2 VwGO).
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1.2. Eine Sachentscheidung über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Großhandelserlaubnis vom … September 2017 ist seitens des Beklagten bislang nicht ergangen. Zwar wurde der Klägerin mit E-Mail vom 29. Juni 2018 mitgeteilt, dass die beantragte Erlaubnis vor Klärung der Zulassungsfrage durch die zuständige Bundesbehörde nicht erteilt werden könne. Dieser Nachricht kommt allerdings weder aufgrund der Form noch des Inhalts Entscheidungscharakter zu. Auch im Rahmen der Klageerwiderung vom 29. Juli 2019 hat sich der Beklagte nicht darauf berufen, über den Antrag bereits entschieden zu haben, sondern vielmehr dargelegt, dass er zu keinem Zeitpunkt von Entscheidungsreife ausgegangen sei.
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1.3. Ein zureichender Grund dafür, dass über den Antrag nicht entschieden wurde, liegt ebenfalls nicht vor, insbesondere stellt das vom Beklagten angeführte fehlende Sachbescheidungsinteresse der Klägerin aufgrund der fehlenden Zulassung des Arzneimittels, für das die Großhandelserlaubnis beantragt wurde, keinen solchen zureichenden Grund dar. Denn - ungeachtet dessen, ob es im Rahmen der Erlaubniserteilung nach § 52a AMG auf die Frage der Zulassung überhaupt ankommt, wie im Rahmen der Begründetheit noch ausgeführt wird, - würde selbst bei fehlendem Sachentscheidungsinteresse dies allenfalls einen Grund für die Ablehnung der beantragten Erlaubnis, jedoch keinen Grund dafür, über den Antrag nicht zu entscheiden, darstellen (vgl. bspw. Hessischer VGH, B.v. 1.10.2010 - 4 A 1907/10.Z - juris Rn. 12 m.w.N), da der jeweilige Antragsteller anderenfalls nie eine gerichtliche Überprüfung seines Anliegens erreichen könnte.
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1.4. Da seit der Antragstellung vom … September 2017 bis zur Klageerhebung am 30. April 2019 mehr als 1 Jahr und 7 Monate bzw. bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung am 21. Juli 2021 mehr als 3 Jahre und 10 Monate vergangen sind, ist auch die in § 75 Satz 2 VwGO für den Regelfall angeführte Frist von drei Monaten ab Antragstellung als angemessene Frist unzweifelhaft überschritten.
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1.5. Die Klage ist auch als Verbescheidungsklage im Sinne von § 42 Abs. 1 Alt. 3,
§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO im Übrigen zulässig, auch wenn der Behörde bei der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung einer Großhandelserlaubnis nach § 52a AMG kein Ermessen zusteht. Bei gebundenen Entscheidungen besteht nämlich dann eine Ausnahme von der grundsätzlich bestehenden Verpflichtung des Gerichts, die Sache spruchreif zu machen, wenn die Behörde z.B. die Genehmigung eines Vorhabens, ohne seine Vereinbarkeit mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften umfassend zu prüfen, wegen eines bestimmten Rechtsverstoßes ablehnt und im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren erschöpfend geprüft werden müssten (sog. „steckengebliebenes Genehmigungsverfahren“, vgl. BayVGH, B.v. 30.03.2021 - 22 ZB 20.1972 - juris Rn. 16 m.w.N.). So verhält es sich hier, da der Beklagte über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Großhandelserlaubnis nach § 52a AMG aufgrund - seiner Auffassung nach - offener Zulassungsfragen im Hinblick auf das nach § 52a Abs. 2 Nr. 1 AMG zu benennende Arzneimittel nicht entschieden hat, ohne die anderen in § 52a AMG genannten Erteilungsvoraussetzungen abschließend geprüft zu haben.
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2. Die zulässige Klage ist begründet. Der Beklagte ist verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom … September 2017 auf Erteilung einer Großhandelserlaubnis gemäß § 52a AMG für das Fertigarzneimittel „LOX medizinisch SOL“ an ihrer Betriebsstätte in A. …, …Straße, 8. … A. … unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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2.1. Nach § 52a Abs. 1 Satz 1 AMG bedarf derjenige, der Großhandel mit Arzneimitteln im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG (…) betreibt, einer Erlaubnis. Mit dem Antrag hat der Antragsteller nach § 52a Abs. 2 AMG die bestimmte Betriebsstätte sowie die Tätigkeiten und die Arzneimittel zu benennen, für die die Erlaubnis erteilt werden soll (Nr. 1), Nachweise darüber vorzulegen, dass er über geeignete und ausreichende Räumlichkeiten, Anlagen und Einrichtungen verfügt, um eine ordnungsgemäße Lagerung und einen ordnungsgemäßen Vertrieb und, soweit vorgesehen, ein ordnungsgemäßes Umfüllen, Abpacken und Kennzeichnen von Arzneimitteln zu gewährleisten Nr. 2, eine verantwortliche Person zu benennen, die die zur Ausübung der Tätigkeit erforderliche Sachkenntnis besitzt (Nr. 3), und eine Erklärung beizufügen, in der er sich schriftlich verpflichtet, die für den ordnungsgemäßen Betrieb eines Großhandels geltenden Regelungen einzuhalten (Nr. 4).
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Nach § 52a Abs. 4 AMG darf die Erlaubnis nur versagt werden, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 2 nicht vorliegen (Nr.1), Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller oder die verantwortliche Person nach Absatz 2 Nr. 3 die zur Ausübung ihrer Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt (Nr. 2) oder der Großhändler nicht in der Lage ist, zu gewährleisten, dass die für den ordnungsgemäßen Betrieb geltenden Regelungen eingehalten werden (Nr. 3).
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Großhandel mit Arzneimitteln ist nach § 4 Abs. 22 AMG jede berufs- oder gewerbsmäßige zum Zwecke des Handeltreibens ausgeübte Tätigkeit, die in der Beschaffung, der Lagerung, der Abgabe oder Ausfuhr von Arzneimitteln besteht, mit Ausnahme der Abgabe von Arzneimitteln an andere Verbraucher als Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte oder Krankenhäuser.
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2.2. Für die von der Klägerin beabsichtigte Tätigkeit der Beschaffung, Lagerung und Abgabe von medizinischen Gasen an Ärzte und Krankenhäuser bedarf es, was zwischen den Parteien unstreitig ist, einer Großhandelserlaubnis nach § 52a AMG.
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2.3. Nach § 52a Abs. 2 Nr. 1 AMG hat der Antragsteller mit dem Antrag neben der bestimmten Betriebsstätte und den Tätigkeiten die Arzneimittel zu benennen, für die die Erlaubnis erteilt werden soll.
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Diese Voraussetzung wurde von der Klägerin im Rahmen der Antragstellung vom … September 2017 erfüllt; als Arzneimittel, für das die Großhandelserlaubnis beantragt wurde, wurde „LOX medizinisch SOL“ benannt.
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Dass es sich zum Zeitpunkt der Antragstellung und der Entscheidung über den Antrag um ein zugelassenes Arzneimittel handeln muss, lässt sich hingegen weder dem Wortlaut des § 52a Abs. 1 Nr. 1 AMG noch der Vorschrift des § 52a Abs. 4 AMG, in dem die Versagungsgründe abschließend aufgeführt sind, noch dem Sinn und Zweck der Regelungen entnehmen. Auch in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2021 konnte seitens des Beklagten nicht dargelegt werden, aus welcher Vorschrift es sich ergibt oder aus welchem sachlichen Grund es erforderlich sein soll, im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Großhandelserlaubnis nach § 52a AMG auch die Prüfung zulassungsrechtlicher Fragen vorzunehmen. Vielmehr ist für die Zulassung eines Arzneimittels ein gesondertes Verfahren nach §§ 21ff. AMG vor einer gesonderten Behörde (dem BfArM) vorgesehen, das jedoch nicht zwingend dem streitgegenständlichen Erlaubnisverfahren zeitlich vorangehen muss.
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Zwar dürfen Fertigarzneimittel, die Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2
Nr. 1 AMG sind, im Geltungsbereich des AMG nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde (dem BfArM) zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union nach den in § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG genannten Verordnungen bzw. Richtlinien eine Genehmigung erteilt hat, so dass die Klägerin, soweit zulassungsrechtliche Fragestellungen noch nicht abschließend geklärt sind, möglicherweise nach Erteilung der Großhandelserlaubnis von dieser noch keinen Gebrauch machen kann.
35
Dies berechtigt die Beklagte jedoch nicht, der Klägerin eine Entscheidung über ihren Antrag vom … September 2017 zu versagen. Soweit vom Beklagten das fehlende Sachbescheidungsinteresse der Klägerin angeführt wurde, trägt dies nicht. Es entspricht zwar der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung, dass derjenige, der den Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes beantragt, ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten behördlichen Entscheidung haben muss. Dieses Interesse fehlt, wenn die begehrte Verwaltungsentscheidung für den Antragsteller ohne ersichtlichen Nutzen ist, weil sie ihm offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile zu verschaffen vermag. Dieses Sachbescheidungsinteresse ist eine allgemeine, d. h. unabhängig von ausdrücklicher gesetzlicher Normierung geltende verwaltungsverfahrensrechtliche Sachentscheidungsvoraussetzung, welche die Behörde berechtigt, den Antrag selbst bei Bestehen eines materiellen Anspruchs abzulehnen. Es entspricht dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis als Sachentscheidungsvoraussetzung im Verwaltungsprozess (vgl. OVG NRW, B.v. 11.05.2021 - 19 A 236/21 - juris Rn. 4 - 5 m.w.N., BVerwG, U.v. 29.08.2019 - 7 C 33.17 - juris, Rn. 32 m.w.N.).
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Das Hindernis der möglicherweise fehlenden Zulassung des Arzneimittels für die Verwendung der von der Klägerin beantragten Großhandelserlaubnis steht dem Sachbescheidungsinteresse der Klägerin hinsichtlich ihres Erlaubnisantrags allerdings nur dann entgegen, wenn es sich „schlechthin nicht ausräumen“ ließe (vgl. BayVGH, B.v. 30.03.2021 - 22 ZB 20.1972 - juris Rn. 12). Dafür, dass dies vorliegend der Fall wäre, ist jedoch nichts ersichtlich. Vielmehr hat sich der Bevollmächtigte der Klägerin bereits mit E-Mail vom … März 2018 an das für die Zulassung von Arzneimitteln zuständige BfArM gewandt; dem darauf bezogenen Antwortschreiben des BfArM vom 10. April 2018 lässt sich nicht entnehmen, dass eine Zulassung schlechterdings ausgeschlossen sein würde. Da seitens der Klagepartei die Auffassung vertreten wird, dass eine Zulassung für medizinische Gase aufgrund der entsprechenden Anwendung von § 21 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. f AMG auf den Großhandel überhaupt nicht erforderlich ist, hat sie sich zudem - den Darlegungen des Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2021 zufolge - an das Bundesgesundheitsministerium gewandt, um eine - aus ihrer Sicht klarstellende - Gesetzesänderung anzustoßen.
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Dass die parallel dazu beantragte Großhandelserlaubnis für die Klägerin ohne ersichtlichen Nutzen wäre, wird von dieser auch in Abrede gestellt und ist für das Gericht auch nicht ersichtlich.
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2.4. Nach alledem steht die zwischen der Klägerin und dem Beklagten streitige Frage der Zulassung des Arzneimittels, für das die Großhandelserlaubnis nach § 52a AMG beantragt wurde, einer Entscheidung über den Antrag nicht entgegen.
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Da seitens des Beklagten wegen dieser streitigen Zulassungsfrage die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften bislang noch nicht umfassend geprüft hat (vgl. hierzu oben unter Nr. 1.5. zum „steckengebliebenen“ Genehmigungsverfahren), besteht für das Gericht keine Verpflichtung, die Sache spruchreif zu machen. Im Übrigen hat die Klägerin auch nur Verbescheidung nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO beantragt, so dass eine gerichtliche Entscheidung nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO aufgrund § 88 VwGO („ne ultra petita“) vorliegend nicht in Betracht kommt.
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3. Da der Klage vollumfänglich stattgegeben wurde, hat der Beklagte als unterlegener Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
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4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung (ZPO).