Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 05.07.2021 – Au 9 K 20.915
Titel:

Erfolgreiche Klage gegen die Neuregelung des Gewässerunterhalts

Normenketten:
WHG § 3 Nr. 4, § 40 Abs. 1 S. 1
BayWG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 3, Art. 22 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei einem Seitenkanal iSd Art. 2 Abs. 2 BayWG handelt es sich um ein künstlich hergestelltes Gewässer (§ 3 Nr. 4 WHG). Bei der Einordnung eines Gewässers ist aber zu berücksichtigen, dass die Annahme eines Seitenkanals die gesetzliche Ausnahme darstellt, sodass die Vermutung für das Nicht-Vorliegen eines Seitenkanals gilt, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Lauf der Zeit zum Zweck der Wasserkraftnutzung vorgenommenen Ausbau- und Umgestaltungsmaßnahmen stehen der Einordnung als natürliches Seitengewässer nicht entgegen. Auch natürliche Seitengewässer müssen nicht ausschließlich von natürlichen Vorgängen abhängig sein. Soweit eine technische Aus- oder Umgestaltung erfolgte, müssen die Seitengewässer lediglich noch in einem natürlichen Zusammenhang verbleiben. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Regelung des Gewässerunterhalts, Gewässerordnung eines oberirdischen Gewässers, Träger des Regelunterhalts, Natürlicher Seitenarm oder künstlich hergestellter Seitenkanal
Fundstelle:
BeckRS 2021, 21153

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2021 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagten zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Neuregelung des Gewässerunterhalts der, insbesondere deren Einordnung als Gewässer dritter Ordnung.
2
Die * ist ein oberirdisches Gewässer, das durch das Stadtgebiet der Klägerin fließt.
3
Am 3. Juli 2009 beantragte der Eigentümer einer an der * gelegenen Triebwerksanlage die Neuregelung des Gewässerunterhalts, da es aufgrund einer bis dahin nur lückenhaften Regelung immer wieder zu Unstimmigkeiten bezüglich des Unterhalts gekommen war.
4
Am 20. Juli 2009 forderte das Landratsamt das zuständige Wasserwirtschaftsamt zur Stellungnahme und Unterbreitung eines Vorschlags für die Neuregelung der Unterhaltungspflichten an der * auf. Das Wasserwirtschaftsamt äußerte sich mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 zur Neuregelung des Gewässerunterhalts und legte der Stellungnahme die Einschätzung zugrunde, dass es sich bei der * um ein Gewässer 3. Ordnung handelt.
5
Mit Schreiben vom 20. Januar 2015 übermittelte das Landratsamt den Betroffenen den Vorschlag des Wasserwirtschaftsamts mit der Bitte um Stellungnahme.
6
Die Klägerin äußerte sich zum Vorschlag des Wasserwirtschaftsamts mit Schreiben vom 26. März 2015 und führte insbesondere aus, dass es sich bei der * um ein künstliches Gewässer handle und der daraus entstehende Vorteil nur den Triebwerksbetreibern zu Gute komme. Eine zusätzliche Beteiligung der Klägerin an der Streckenunterhaltslast sei deshalb nicht gerechtfertigt.
7
Am 15. September 2015 fand ein gemeinsamer Besprechungstermin zur geplanten Neuregelung der Unterhaltung der * statt. In der Folge konnte zwischen den Triebwerksbetreibern, der Klägerin und den Stadtwerken * ein einvernehmlicher Kompromiss erzielt werden. Abweichend vom Vorschlag des Wasserwirtschaftsamts wurde die * dabei als Gewässer 1. Ordnung eingestuft, mit der Folge, dass auch der Freistaat Bayern als Unterhaltsverpflichteter vorgesehen war.
8
Mit Schreiben vom 4. Januar 2016 wandte sich das Landratsamt deshalb an die Regierung von * und bat um Zustimmung zur beabsichtigten Übertragung der Regelunterhaltungslast auf den Freistaat Bayern. Am 7. Januar 2016 teilte die Regierung von * mit, dass an der Einordnung der * als Gewässer 1. Ordnung erhebliche fachliche Bedenken bestünden. Es sei vielmehr von einem Gewässer 3. Ordnung auszugehen. Eine Zustimmung zur vorgesehenen Neuregelung der Unterhaltung der * unter Einbeziehung des Freistaats Bayerns sei daher nicht möglich.
9
Mit Schreiben vom 11. Januar 2016 wandte sich das Landratsamt an die Klägerin und bat um Übernahme der bislang für den Freistaat Bayern vorgesehenen Regelunterhaltungslast. Mit Schreiben vom 18. Januar 2016 stimmte die Klägerin der Übernahme der Regelunterhaltungslast für die * als Gewässer 3. Ordnung zu.
10
Mit E-Mail vom 3. Februar 2016 äußerte der Eigentümer einer weiteren Triebwerksanlage unter Verweis auf einen Ausschnitt aus der Rauch´schen Karte aus dem Jahr 1613 Bedenken an der Einstufung der * als Gewässer 3. Ordnung. Daraufhin bat das Landratsamt mit E-Mail vom 15. März 2016 die Regierung von * erneut um Prüfung der Einordnung der *.
11
Das von der Regierung von * erneut zur Stellungnahme aufgeforderte Wasserwirtschaftsamt teilte mit E-Mail vom 28. November 2016 mit, dass es sich ausweislich der vorgelegten Karten im Ergebnis um ein Gewässer 3. Ordnung handle. Dieser Einschätzung schloss sich die Regierung von * mit E-Mail vom 17. Januar 2017 an. Daraufhin bat das Landratsamt die Klägerin erneut um Zustimmung zur Übernahme der Regelunterhaltungslast.
12
Mit E-Mail vom 11. Mai 2018 wurden von einem Eigentümer einer an der * gelegenen Triebwerksanlage weitere Schriftstücke vorgelegt, die die Einstufung der * als Gewässer 1. Ordnung bestätigen sollten. Hierauf bezugnehmend wandte sich das Landratsamt mit Schreiben vom 22. Mai 2018 erneut an die Regierung von * und bat um nochmalige Prüfung unter Einbeziehung der nunmehr vorliegenden Schriftstücke. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2018 teilte die Regierung von * mit, dass an der ursprünglichen rechtlichen Beurteilung, d.h. an der Einordnung der * als Gewässer 3. Ordnung, festgehalten werde. Eine Regelunterhaltungslast des Freistaats Bayern komme nicht in Betracht.
13
Am 6. Dezember 2018 teilte die Klägerin dem Landratsamt mit, dass unter Berücksichtigung der von den Triebwerkseigentümern vorgelegten weiteren Unterlagen entgegen der Erklärung vom 18. Januar 2016 das Einverständnis zur Übernahme der Regelunterhaltungspflicht nicht (mehr) erteilt werde. Das ursprünglich erklärte Einverständnis mit der beabsichtigten Neuregelung habe auf der irrtümlichen Auffassung beruht, dass es sich bei der * um ein Gewässer 3. Ordnung handle. Aufgrund der seither vorgelegten Unterlagen könne hieran nicht festgehalten werden. Die * sei vielmehr ein Gewässer 1. Ordnung, sodass der Freistaat Bayern die Regelunterhaltungspflicht zu tragen habe.
14
Das Landratsamt erarbeitete daraufhin ausgehend von dem ursprünglichen Vorschlag des Wasserwirtschaftsamts, dem bisher erzielten Kompromiss und dem Ergebnis der Prüfung der Regierung von * einen neuen Vorschlag für die Neuregelung des Gewässerunterhalts der * und übersandte den Entwurf am 8. Januar 2019 den Beteiligten zur Stellungnahme.
15
Die Klägerin beauftragte daraufhin im Februar 2019 eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Prüfung der Gewässerordnung der *. Die Kanzlei kommt in ihrem Gutachten vom 13. Februar 2019 zu dem Ergebnis, dass die Einordnung der * als Gewässer 3. Ordnung rechtsfehlerhaft ist und rät von der Übernahme der Regelunterhaltslast durch die Klägerin ab.
16
Aufgrund der seitens der Klägerin vorgebrachten Bedenken gegen den Bescheidsentwurf erfolgte Anfang des Jahres 2020 eine erneute Abstimmung mit dem Wasserwirtschaftsamt und der Regierung von, die jedoch erfolglos verlief.
17
Mit Bescheid vom 11. Mai 2020 legte der Beklagte die Unterhaltung der * neu fest. Dabei wird nach Ziffer I. davon ausgegangen, dass es sich bei der * um ein Gewässer 3. Ordnung handelt. Im Bescheid wurde der Klägerin als Regelunterhaltsverpflichtete deshalb die Unterhaltungslast für die Gewässerstrecke von der * Brücke der Kreisstraße * bis zum ehemaligen Überlaufbauwerk „*“ (Ziffer I.2.2.1) und für das linke Ufer der * im Bereich der Grundstücke Fl.-Nr. * der Gemarkung, * der Gemarkung * (Ziffer I.2.3.2), der nördlichen Grenze des Grundstücks Fl.-Nr. * der Gemarkung * und dem südlichen Grenzpunkt des Grundstücks Fl.-Nr. * der Gemarkung * (Ziffer I.2.4.2) übertragen. Des Weiteren wurden in Ziffer I.4 Kostenerstattungsansprüche der Unterhaltungspflichtigen gegenüber der Klägerin für Entlandungsmaßnahmen festgelegt.
18
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, es sei bei der * entsprechend der rechtlichen Würdigung der Regierung von * von einem Gewässer 3. Ordnung auszugehen. Der Umstand, dass die * nicht in der Anlage zum Bayerischen Wassergesetz (BayWG) aufgeführt sei, spreche dafür, dass von einem Seitenkanal im Sinn von Art. 2 Abs. 2 BayWG auszugehen sei. Auch die Tatsache, dass zwischen der * und der * ein erheblicher Höhenunterschied bestehe, spreche für die Einstufung der * als eigenständiger Seitenkanal. Ein weiteres Indiz für die Einstufung der * als Seitenkanal und damit als Gewässer 3. Ordnung finde sich in der historischen Uraufnahme von Bayern (1808-1864). Hier sei die * als Mühlbach bezeichnet und der Wasserlauf der * als „Fluß *“. Die * sei zwar ursprünglich ein Gerinne der * gewesen. Der heutige Verlauf der * habe sich jedoch durch Hochwasserereignisse als eigener Hauptstrom etabliert. Dies deute darauf hin, dass der alte Gewässerarm von den Triebwerksbetreibern zu einem Mühlbach umfunktioniert wurde, um die Wasserkraft unbeschadet von Hochwassereinwirkungen nutzen zu können. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die * ohne die Errichtung der Mühlen anders verlaufen, wenn nicht sogar mit der Zeit verlandet wäre. Der heutige Bestand der * sei durch die Triebwerksnutzung zumindest erheblich beeinflusst und geprägt worden.
19
Entsprechend dem Vorschlag des Wasserwirtschaftsamts vom 3. Dezember 2014 sei den betroffenen Triebwerkbetreibern die Unterhaltung übertragen worden, soweit in den Stau- und Unterwasserbereichen der Triebwerke die Unterhaltung weitestgehend deren Interessen diene und auch der Aufwand der Unterhaltung, z.B. durch vermehrte Ablagerungen infolge der Stauhaltung, durch sie verursacht werde. Es sei auch berücksichtigt worden, dass nach den Erfahrungen der letzten Jahre erhöhte Unterhaltungsaufwendungen zum Schutz der nahen Bebauung vor Vernässungen nötig seien. Es erscheine deshalb unbillig, ausschließlich den Triebwerksbetreiber zu direkten Unterhaltungsarbeiten zu verpflichten. Aus diesem Grund sei die Unterhaltungslast für diesen Gewässerabschnitt der Klägerin als Trägerin des öffentlichen Regelunterhalts auferlegt und deren eigener Kostenanteil höher bemessen worden.
20
Die Klägerin hat gegen den Bescheid mit Schriftsatz vom 3. Juni 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2020 (Az. *) aufzuheben.
21
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, es handle sich bei der * um ein Gewässer 1. Ordnung, für welches dem Freistaat Bayern die reguläre Unterhaltungslast obliege. Im Bescheid werde die * in rechtswidriger Weise als Gewässer 3. Ordnung klassifiziert. Diese Einschätzung halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Bei der * handle es sich um ein sog. Nebengewässer der, das gemäß Art. 2 Abs. 2 BayWG zu der Gewässerordnung des Hauptgewässers gehöre. Diese Einordnung entspreche auch der gesetzlichen Regelung. Die Einordnung eines Gewässers als Seitenkanal und damit als Gewässer eigener Ordnung sei die gesetzliche Ausnahme. Diese lasse sich vorliegend jedoch nicht beweisen. Die im Verfahren von der Regierung vertretene Rechtsauffassung, welche sich das Landratsamt im streitgegenständlichen Bescheid wortgleich zu eigen mache, belege die Eigenschaft der * als Seitenkanal nicht im Ansatz. Ein Seitenkanal müsse ein vollständig künstlich hergestelltes Bett besitzen. Es reiche nicht aus, wenn die Ufer lediglich streckenweise beidseitig befestigt wurden. Dem Gewässerverzeichnis komme auch keine negative Publizität zu. Aus dem Umstand, dass die * nicht ausdrücklich als Gewässer erster Ordnung aufgeführt ist, könne daher nicht geschlossen werden, dass die * als Gewässer 3. Ordnung einzuordnen ist. Die Höhenverhältnisse von * und * seien ebenfalls nicht ausschlaggebend. Auch die historische Bezeichnung der * als Mühlbach sei nicht entscheidungserheblich. Die Annahme des Beklagten, dass die * infolge der Triebwerksnutzungen nahezu vollständig in ein neues künstliches Bett verlegt worden sei, erscheine lebensfremd und werde durch keinerlei weitere Tatsachen belegt. Für die Einordnung eines Gewässers als Nebengewässer sei es unerheblich, wenn technische Aus- und Umgestaltungen erfolgt seien. In der Gesamtschau seien die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen, geschweige denn das Gegenteil zu beweisen. Den Beklagten treffe bezüglich der Einordnung der * als Seitenkanal jedoch die Darlegungs- und Beweislast. Infolge der falschen Einordnung der * als Gewässer 3. Ordnung sei der gesamte Bescheid rechtswidrig und aufzuheben.
22
Das Landratsamt ist der Klage für den Beklagten mit Schriftsatz vom 9. Februar 2021 entgegengetreten und beantragt,
die Klage abzuweisen.
23
Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
24
Am 5. Juli 2021 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf das hierüber gefertigte Protokoll verwiesen.
25
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

26
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
27
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin klagebefugt im Sinn von § 42 Abs. 2 VwGO. Sie kann geltend machen, infolge der Übertragung des Regelunterhalts für die * durch den angefochtenen Bescheid möglicherweise in ihrer kommunalen Finanzhoheit verletzt zu sein, die besonderer Ausfluss des als grundrechtsähnlichem Recht gewährleisteten Selbstverwaltungsrechts aus Art. 28 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG), Art. 10 Abs. 1 Bayerische Verfassung (BV) ist.
II.
28
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
29
Die Regelung des Unterhalts der * mit Bescheid vom 11. Mai 2020 ist rechtswidrig, weil sie auf der rechtsfehlerhaften Annahme beruht, dass es sich bei der * um einen künstlich geschaffenen Seitenkanal und damit um ein Gewässer 3. Ordnung handelt, für welches die Klägerin den Regelunterhalt zu tragen hat. Zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist die * als natürliches Seitengewässer der * jedoch als Gewässer 1. Ordnung einzustufen, mit der Folge, dass der Freistaat Bayern der Träger des Regelunterhalts ist. Bei der Neureglung des Gewässerunterhalts der * ist der Beklagte daher bereits im Ausgangspunkt von einer unzutreffenden Annahme bezüglich der Gewässerklassifizierung ausgegangen und hat der Klägerin dadurch in ungerechtfertigter Weise die Regelunterhaltungspflicht für die * auferlegt. Da die Festlegung des Regelunterhaltsverpflichteten untrennbar mit der konkreten Verteilung der Unterhaltslast zwischen diesem und etwaigen Sonderunterhaltsverpflichteten verknüpft ist, ist der angegriffene Bescheid damit im Ergebnis auch insgesamt rechtswidrig und deshalb aufzuheben.
30
1. Die angegriffene Regelung des Unterhalts der * stützt sich auf § 40 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz - WHG) i.d.F. d. Bek. vom 31. Juli 20019 (BGBl. I S. 2585) zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juni 2020 (BGBl.
I. S. 1408) i.V.m. Art. 22 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 des Bayerischen Wassergesetzes (BayWG) vom 25. Februar 2010 (GVBl. S. 66, 130) zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2019 (GVBl. S. 737). Nach Art. 22 Abs. 1 BayWG obliegt die Unterhaltung der Gewässer 1. Ordnung dem Freistaat Bayern, den Unterhalt der Gewässer 3. Ordnung tragen hingegen die Gemeinden als eigene Aufgabe.
31
2. Die * ist als ein Gewässer 1. Ordnung anzusehen, für das der Freistaat Bayern die Regelunterhaltslast trägt.
32
a) Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 BayWG sind Gewässer der 1. Ordnung die Bundeswasserstraßen und die in der Anlage 1 zum BayWG aufgeführten Gewässer. Bei den Gewässern, die in das nach Art. 3 BayWG aufzustellende Verzeichnis eingetragen sind, handelt es sich nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 BayWG um Gewässer der 2. Ordnung. Alle anderen Gewässer werden nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 BayWG als Gewässer 3. Ordnung qualifiziert. Für Seitengewässer wie Altarme, Nebenarme, Flutmulden, Hafengewässer und ähnliche Verzweigungen eines Gewässers legt Art. 2 Abs. 2 BayWG fest, dass diese zu der Ordnung des Hauptgewässers gehören, von dem das Seitengewässer abzweigt. Ausgenommen hiervon sind lediglich Seitenkanäle, die im Hinblick auf die Einteilung in die Gewässerordnung rechtlich selbständig zu beurteilen sind. Es ist damit begrifflich zwischen den Seitenkanälen und den übrigen Seitengewässern zu unterscheiden.
33
Bei der Einordnung eines Gewässers ist zu berücksichtigen, dass die Annahme eines Seitenkanals die gesetzliche Ausnahme darstellt, sodass die Vermutung für das Nicht-Vorliegen eines Seitenkanals gilt, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist (vgl. hierzu Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Art. 2 Rn. 12, Stand: September 2014). Bei einem Seitenkanal im Sinn des Art. 2 Abs. 2 BayWG handelt es sich um ein künstlich hergestelltes Gewässer (§ 3 Nr. 4 WHG). Abzustellen ist damit allein darauf, ob ein völlig neues Gewässer entstanden ist und selbständig für sich besteht (vgl. hierzu Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Art. 2 Rn. 12, Stand: September 2014). Im Gegensatz hierzu handelt es sich bei den anderen Seiten- oder Nebengewässern um Gewässerbestandteile, die von Natur aus bestehen. Dabei ist jedoch nicht erforderlich, dass sie auch in ihrem derzeitigen Bestand ausschließlich von natürlichen Vorgängen abhängig sind (vgl. Knopp in Siedler/Zeitler, Bayerisches Wassergesetz, Band I, Stand Februar 2019, Art. 2 Rn. 21).
34
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die * nach Ansicht der Kammer als Gewässer 1. Ordnung einzustufen, mit der Folge, dass nicht die Klägerin, sondern der Freistaat Bayern Träger der Regelunterhaltslast ist.
35
(1) Vorliegend greift die gesetzliche Regel des Art. 2 Abs. 2 BayWG, wonach Seitengewässer grundsätzlich zu der Ordnung des Hauptgewässers gehören. Diese konnte vom Beklagten nicht widerlegt werden. Es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei der * um einen künstlich geschaffenen Seitenkanal der * handelt, der im Hinblick auf die Gewässerordnung rechtlich selbständig zu bewerten wäre. Weder das im Verfahren vorgelegte Kartenmaterial, noch die weiteren vom Beklagten im Verfahren vorgebrachten Argumente sind in der Lage, das Vorliegen eines künstlich geschaffenen Seitenkanals zu belegen.
36
(aa) Den vorgelegten historischen Karten (Bl. 101, 185, 186, 234 der Akte sowie Anlage K4 und K7) kann nicht entnommen werden, dass die * ursprünglich künstlich geschaffen wurde. Die verschiedenen Darstellungen lassen vielmehr auf eine natürliche Entstehung der * schließen. Den Karten ist zu entnehmen, dass der ursprünglich kurvige Verlauf der * - wohl insbesondere zum Zweck der Wasserkraftnutzung - im Laufe der Zeit stellenweise begradigt wurde. Die nachträglich vorgenommenen Begradigungen der * sprechen jedoch gegen ihre künstliche Entstehung. Wenn die * tatsächlich zum Zweck der Wasserkraftnutzung künstlich hergestellt worden wäre, so wäre damit zu rechnen gewesen, dass sie bereits in ihrem ursprünglichen Verlauf so gerade wie möglich festgelegt worden wäre und spätere Begradigungen nicht erforderlich geworden wären. Der frühere kurvige Verlauf der, spricht deshalb vielmehr dafür, dass es sich um ein natürlich entstandenes Seitengewässer handelt, das lediglich im Lauf der Zeit den jeweiligen Bedürfnissen der Anlieger angepasst wurde.
37
(bb) Dieser Einschätzung steht auch nicht entgegen, dass die * in der historischen Karte der Uraufnahme von Bayern der Jahre 1808-1864 (Bl. 234 d. Akte) als „Mühlbach“ und in Altbescheiden des Landratsamts (Bl. 144 ff. d. Akte) und des ehemaligen Straßen- und Flussbauamts (Bl. 159 d. Akte) als „Werkkanal“ bzw. „*mühlkanal“ bezeichnet wird. Die Bezeichnung legt zwar nahe, dass die * in besonderem Maße der Wasserkraftnutzung diente, beweist aber nicht deren künstliche Entstehung. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass dem Kartenmaterial ebenfalls entnommen werden kann, dass die * als westlicher Arm der * - jedenfalls zeitweise - auch selbst als „(die) *“ bezeichnet wurde (vgl. bspw. Bl. 186 d. Akte).
38
Die unbestrittene Tatsache, dass der heutige Verlauf der * maßgeblich durch die Wasserkraftnutzung beeinflusst wurde, rechtfertigt nicht den Rückschluss darauf, dass es sich bei der * um einen vollständig künstlich geschaffenen Seitenkanal handelt. Die an der * im Lauf der Zeit zum Zweck der Wasserkraftnutzung vorgenommenen Ausbau- und Umgestaltungsmaßnahmen stehen der Einordnung als natürliches Seitengewässer der * nicht entgegen. Denn auch natürliche Seitengewässer müssen nicht ausschließlich von natürlichen Vorgängen abhängig sein. Soweit eine technische Aus- oder Umgestaltung erfolgte, müssen die Seitengewässer lediglich noch in einem natürlichen Zusammenhang verbleiben (Knopp in Sieder/Zeitler, BayWG, Art. 2 Rn. 21). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Trotz der in der Vergangenheit an der * zum Zweck der Wasserkraftnutzung vorgenommenen Veränderungen ist sie im natürlichen Zusammenhang zum Hauptgewässer verblieben. Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich insoweit auch nicht durch die aktuell zwischen * und * bestehenden Höhenunterschiede. Zwar kann die * aufgrund der heutigen Höhenverhältnisse nur mit Hilfe eines Wasserkraftwerks Wasser führen, doch lässt dies letztendlich keinen Rückschluss auf die ursprünglichen Gegebenheiten im Zeitpunkt der Entstehung der * zu. Vielmehr sind bei der Beurteilung der Situation auch die über Jahrhunderte erfolgenden natürlichen Veränderungen eines Flusslaufs in den Blick zu nehmen.
39
Der Umstand, dass die * nicht selbst in der Anlage 1 zum BayWG aufgeführt ist, schließt die Einordnung als Gewässer 1. Ordnung ebenfalls nicht aus. Natürliche Seitengewässer gehören nach der gesetzlichen Regelung des Art. 2 Abs. 2 BayWG kraft Gesetzes zur Gewässerordnung des jeweiligen Hauptgewässers, sodass es einer selbständigen Nennung der Seitengewässer in den Gewässerverzeichnissen darüber hinaus nicht bedarf. Es genügt vielmehr, dass das Hauptgewässer - hier die * - in das Verzeichnis der Gewässer 1. Ordnung aufgenommen ist.
40
(2) Nach alledem ist das Vorliegen eines künstlich geschaffenen Seitenkanals nicht belegt. Nach der gesetzlichen Regel des Art. 2 Abs. 2 BayWG gehört die * damit als natürliches Seitengewässer zur Gewässerordnung der des Hauptgewässers. Nachdem die * in Anlage 1 lfd. Nr. 13 zum BayWG (Verzeichnis der Gewässer erster Ordnung) als Gewässer 1. Ordnung aufgeführt ist, gehört auch die * als Seitengewässer der * zu den Gewässern 1. Ordnung.
41
Damit ist aber nicht die Klägerin, sondern der Freistaat Bayern der Regelunterhaltsverpflichtete, sodass die Neuregelung des Gewässerunterhalts der * mit Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2020 bereits im Ausgangspunkt auf falsche Tatsachen gestützt wurde. Dieses hat zur Folge, dass der Bescheid im Ergebnis insgesamt rechtswidrig und damit aufzuheben ist. Mit der fehlerhaften Einstufung der * als Gewässer 3. Ordnung wurde der Klägerin zu Unrecht der Regelunterhalt für das Gewässer übertragen. Da die Übertragung von Regel- und Sonderunterhaltungslasten jedoch in Wechselwirkung zueinanderstehen, beruht im Ergebnis auch die Gesamtverteilung der Verantwortlichkeiten für den Gewässerunterhalt auf einer falschen Tatsachengrundlage. Nachdem der Beklagte unzutreffend davon ausgegangen ist, dass die Klägerin zum Regelunterhalt verpflichtet ist, dieser jedoch dem Freistaat Bayern obliegt, können auch die weiteren, hierauf fußenden Zuweisungen von Unterhaltspflichten keinen rechtlichen Bestand haben. Diese sind inhaltlich - insbesondere auch im Hinblick auf die geregelten wechselseitigen Kostenerstattungsansprüche - an die Regelunterhaltspflicht der Klägerin geknüpft und können damit nicht isoliert fortbestehen. Vielmehr bedarf es für die * als Gewässer 1. Ordnung aufgrund der untrennbaren inhaltlichen Verknüpfung von Regel- und Sonderunterhaltungslast ausgehend von der Regelunterhaltspflicht des Freistaats Bayern einer einheitlichen Neubewertung der Verantwortlichkeiten und einer dementsprechenden Neuregelung des Gewässerunterhalts der *.
III.
42
Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Als im Verfahren Unterlegener hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).