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VG Ansbach, Urteil v. 06.07.2021 – AN 17 K 17.02106
Titel:

Erfolgreiche Nachbarklage gegen den Neubau eines Gemeinschaftshauses mit Schießständen

Normenketten:
BImSchG § 22
18. BImSchV
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsatz:
Eine Baugenehmigung kann die Rechte des Nachbarn auch dann verletzen, wenn sie entgegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen zu unbestimmt ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarrechtsverletzende Unbestimmtheit einer Baugenehmigung für ein Gemeinschaftshaus mit Schießständen in Bezug auf das Rücksichtnahmegebot., Keine Betriebsbeschreibung oder sonstige Festsetzungen zu Nutzungszeiten, -intensität und, Nachbarklage, Unbestimmtheit, Gebot der Rücksichtnahme
Fundstelle:
BeckRS 2021, 21098

Tenor

1. Die Baugenehmigung vom 29. August 2017 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Der Beigeladene zu 2) trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die jeweiligen Kostenschuldner können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Aufhebung der Baugenehmigung des Beklagten für den Neubau eines Gemeinschaftshauses mit Schießständen zur Nutzung hauptsächlich durch einen Schützenverein.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks mit der Flurnummer (FlNr.) … der Gemarkung … (Adresse: ...). Dieses ist zum unmittelbar östlich angrenzenden Grundstück mit der FlNr. … der Gemarkung … (im Folgenden stets), welches im Eigentum der Beigeladenen zu 1), der Stadt … steht, teils grenzständig bebaut. Insbesondere erstreckt sich ein in geschlossener Bauweise errichtetes und etwa mittig auf der Längsachse der FlNr. … positioniertes rechteckiges Gebäude von der West- bis zur Ostseite des klägerischen Grundstückes, wo es auf der Grundstücksgrenze zur FlNr. … zum Liegen kommt. Südlich davon schließt sich im rechten Winkel ein etwa 13,5 Meter langes und 8,3 Meter breites Gebäude an, welches nahezu grenzständig in Richtung des östlichen Nachbargrundstückes mit der FlNr. … liegt. In der südwestlich gelegenen Ausbuchtung dieses Grundstückes (FlNr....) steht mit jeweils einer schmalen Flucht nördlich und westlich zur Grenze des klägerischen Grundstücks ein ehemals als Kindergarten genutztes Gebäude mit der Adresse … …, … … Dieses plant die Beigeladene zu 1) zusammen mit dem Beigeladenen zu 2), einem ortsansässigen Schützenverein, in ein Gemeinschafts- und Schützenhaus um- und auszubauen, welches hauptsächlich durch den Beigeladenen zu 2) genutzt werden soll. Beide Grundstücke liegen im unbeplanten Innenbereich.
3
In einem Schreiben des Beigeladenen zu 2), dem Schützenverein „… …“ … …, an das Landratsamt … vom 23. April 2015 schilderte dieser, dass der bisherige Schießstand des Vereins nicht mehr wie gehabt genutzt werden könne und die Stadt … der durch den Verein angedachten Nutzung des leerstehenden ehemaligen Kindergartengebäudes und dem Schießstandbau zugestimmt habe. Auch zugestimmt hätten, allerdings mündlich, Herr Pfarrer … mit dem Kirchenvorstand sowie der angrenzende Nachbar Herr … … Am Ende des Schreibens, welches im Übrigen noch die positiven Aspekte einer Umnutzung des alten Kindergartengebäudes bewarb, bat der Beigeladene zu 2), „unsere Anfrage auf Nutzung des ehemaligen Kindergartengebäudes und Bau eines Schießstandes wohlwollend zu bearbeiten“.
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Am 20. Mai 2015 reichte die Beigeladene zu 1) einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids nach Art. 71 BayBO für den „Bau eines Gemeinschaftshauses mit Schießständen“ bei dem Beklagten ein. Daraufhin erließ der Beklagte durch das Landratsamt … zunächst mit Bescheid vom 22. Januar 2016 den beantragten Vorbescheid, gegen den der Kläger Klage erhob (AN 17 K 17.02559). Im Ortstermin mit mündlicher Verhandlung am 15. Oktober 2020 hob der Beklagte diesen Vorbescheid wieder auf, woraufhin das Klageverfahren AN 17 K 17.02559 nach beidseitiger Erledigungserklärung mit Beschluss vom 15. Oktober 2020 eingestellt wurde.
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Am 20. Juli 2016 reichten die Beigeladene zu 1) und der Beigeladene zu 2) über die Stadt … einen Antrag auf Baugenehmigung beim Landratsamt … ein (Antrag vom 17. Juli 2016). Das Vorhaben war mit „Bau eines Gemeinschaftshauses mit Schießständen“ bezeichnet. In den beigefügten und schließlich mit Genehmigungsstempel des Landratsamtes … vom 28. August 2017 versehenen Bauvorlagen ist ein sich lückenlos an das bestehende Gebäude des vormaligen Kindergartens anschließender und sich länglich nach Norden erstreckender Anbau vorgesehen, der zur westlichen Seite nahezu grenzständig zum in diesem Bereich ebenfalls teilweise grenzständig bebauten Klägergrundstück mit der FlNr. … errichtet werden und auf der der … Kirche … … zugewandten Ostseite auf einer Länge von 22 Metern parallel, in einem Abstand von 3 m zur westlichen Außenwand der Kirche stehen soll. Der Anbau des Schützenhauses überragt dabei das auf dem Klägergrundstück parallel und nahezu grenzständig stehende Gebäude in südlicher Richtung um etwa sieben Meter bevor es in das alte Gebäude des Kindergartens mündet. Die Breite des Anbaus beträgt im Norden 8,56 m, am südlichen Ende hingegen 7,96 m, die Länge ist auf der dem klägerischen Grundstück zugewandten Westseite mit etwa 21 m angegeben. Die Firsthöhe des Anbaus beträgt über zwei Stockwerke (Erdgeschoss und Obergeschoss mit Spitzboden) 7,22 m und die Dachneigung 45°. Das Dach ist mit den Traufseiten in Richtung des klägerischen Grundstücks auf der Westseite und in Richtung der … … auf der Ostseite ausgerichtet. Im Erdgeschoss des Anbaus ist in dessen nördlich gelegener Hälfte der Schießstand mit acht „Bahnen“ vorgesehen. In der südlich gelegenen Hälfte befindet sich, abgetrennt vom Schießstand durch eine Glaswand mit zwei öffenbaren Türen, ein Raum für wartende Schützen sowie der Aufsichtsraum. Die westliche Außenmauer des Anbaus zum klägerischen Grundstück hin ist durchweg öffnungslos im Standard F60 ausgebildet. An den Warteraum schließt sich südlich - und nun nichtmehr mit der Außenwand auf der Grundstücksgrenze zum Kläger liegend - ein Windfang mit Garderobe an, der sich weiter nach Süden zu einem Zugang zum sich an den neu zu errichtenden Anbau anschließenden Bestandsgebäude des alten Kindergartens verlängert. Das Bestandsgebäude des vormaligen Kindergartens soll im Erdgeschoss die Damen- und die Herrenumkleide, zwei Toiletten sowie Küche und Heizung beherbergen. Im Obergeschoss ist ein „Landjugendraum best.“ eingezeichnet.
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Die Beigeladene zu 1) erteilte am 20. Juli 2016 das gemeindliche Einvernehmen zum beschriebenen Bauvorhaben.
7
Mit Bescheid vom 29. August 2017 erteilte das Landratsamt … den Beigeladenen zu 1) und zu 2) die bauaufsichtliche Genehmigung für den „Neubau eines Gemeinschaftshauses mit Schießständen“ nach Maßgabe der dem Bauantrag beigefügten und mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen sowie der unten aufgeführten Bedingungen und Auflagen (Ziffer I.). Ziffer III. des Bescheids lässt eine Abweichung von Art. 6 BayBO nach Norden, Westen und Osten zu. Unter V. - Bedingungen und Auflagen - ist festgelegt, dass die Wand zum Flurstück 145 hin (klägerisches Grundstück) als Brandwandersatz gemäß Art. 28 BayBO bis unter die Dachhaut auszubilden ist (Ziffer 2.).
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Unter VII. - Gründe - ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die im Rahmen des Art. 63 BayBO zugelassene Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO zu erteilen gewesen sei, weil sie unter Berücksichtigung der Anforderungen der abstandsflächenrechtlichen Vorschriften und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen (Belichtung, Belüftung und Brandschutz) vereinbar sei.
9
Die Baugenehmigung wurde dem Kläger am 8. September 2017 zugestellt.
10
Gegen die Baugenehmigung vom 29. August 2017 hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte am 9. Oktober 2017 Klage erhoben (AN 17 K 17.02106, das ursprünglich auch gegen den Vorbescheid angestrengte Klageverfahren AN 17 K 17.02559 wurde mit Beschluss vom 15. Oktober 2020 eingestellt). Zur Begründung wird ausgeführt, dass sowohl der Vorbescheid als auch die Baugenehmigung bereits unbestimmt und formell rechtswidrig seien, da es an den erforderlichen Festsetzungen im Hinblick auf zulässige Lärmwerte, Nutzungszeiten und den Umfang der Nutzung fehle. Angesichts dessen sei davon auszugehen, dass die maßgeblichen Immissionsgrenzwerte der 18. BImSchV überschritten würden. Sie seien auch materiell rechtswidrig, da das Bauvorhaben die Abstandsflächen nicht einhalte. Bereits jetzt halte das bestehende grenznahe Gebäude der Beigeladenen die Abstandsflächen zum klägerischen Grundstück nicht ein. Eine weitere Manifestation dieses Zustandes durch einen Anbau sei nicht genehmigungsfähig. Auch sei die durch den Beklagten erteilte Abweichung von den Abstandsflächen rechtswidrig, es fehle schon an einem Antrag auf Erteilung einer Befreiung. Zudem lägen die Voraussetzungen einer Befreiung nicht vor, die öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange der ausreichenden Belichtung und Belüftung sowie des sozialen Wohnfriedens würden nicht gewahrt und es fehle an einer atypischen Grundstückssituation. Das Landratsamt habe in seinen Bescheiden und in den Verwaltungsvorgängen die Betroffenheit des klägerischen Grundstückes nicht einmal vermerkt. Davon abgesehen fehle es an sicherheitsrechtlichen Anforderungen bezüglich der Nutzung des Schießstandes. Ferner gefährde das Bauvorhaben rechtswidrig die Erschließung des Klägergrundstücks. Schließlich sei das Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Durch den Neubau und die beabsichtigte Nutzung komme es zu einer massiven Lärmbelästigung des Klägers, insbesondere da die Schießgeräusche eine besondere Impulshaftigkeit und Lästigkeit aufwiesen. Es bestehe keine zeitliche Begrenzung für die Vereinsmitglieder auf dem Schießstand Schießübungen abzuhalten. Weiter werde nicht berücksichtigt, dass durch den beabsichtigten Gemeinschaftsraum eine Nutzung für externe Zwecke mit einer Vielzahl von Besuchern geplant sei. Auch diesbezüglich finden sich im Genehmigungsverfahren keine Hinweise.
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Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Landratsamtes … vom 29. August 2017 aufzuheben.
12
Der Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen.
13
Zur Begründung führt er aus, dass die Klage gegen die Baugenehmigung unbegründet sei. Die zu erwartenden Lärmimmissionen seien durch den Beklagten geprüft worden (Verweis auf die Stellungnahme des Sachgebiets … - technischer Immissionsschutz vom 19.9.2016) mit dem Ergebnis, dass eine Festlegung von Nutzungszeiten oder anderer Nebenbestimmungen nicht notwendig gewesen sei. Die geplanten Schießstände befänden sich in einem abgetrennten, geschlossenen Schießraum, von dem lediglich zwei Türen in der östlichen, vom Kläger abgewandten Gebäudeseite, direkt ins Freie führten. Neben der Tatsache, dass das Schützenhaus durch Zwischengebäude vom Wohnhaus des Klägers als Immissionsort abgeschirmt sei, müssten die beiden ins Freie führenden Türen allein aus sicherheitstechnischen Gründen gemäß der Nummer 3.1.2.3 der Richtlinie für die Errichtung, die Abnahme und das Betreiben von Schießständen (Schießstandrichtlinien) entsprechend ausgestattet sein bzw. während des Schießbetriebs mit entsprechenden schallmindernden Blenden abgedeckt sein. Im Übrigen seien Schießanlagen in geschlossenen Räumen anders als offene Schießanlagen aus gutem Grund nicht von der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht erfasst (Nr. 18.18 Anhang 1 zur 4. BImSchV). Was sicherheitsrechtliche, konkret waffenrechtliche Anforderungen angehe, seien diese im Rahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens weder nötig noch möglich.
14
Die Beigeladene zu 1) beantragte mit Schriftsatz vom 22. März 2021,
die Klage abzuweisen.
15
Zur Begründung führt sie aus, dass die Abweichung von den Abstandsflächen zurecht erteilt worden sei. Der Ortskern von … sei nicht überplant und nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO als Dorfmischgebiet zu beurteilen, in dem Anlagen für sportliche Zwecke nach § 5 Abs. Nr. 7 BauNVO grundsätzlich zulässig seien. In Dorfmischgebieten seien für Nachbarn von Anlagen für sportliche Zwecke sogar höhere Lärmeinwirkungen und sonstige Störungen zumutbar. Die Einhaltung des Lärmschutzes sei durch das Landratsamt ausreichend geprüft worden. … sei ein Dorf, in dem die geschlossene Bauweise typisch sei. Grenzbebauungen, insbesondere durch Drei- und Vierseithöfe seien zahlreich vorhanden. Außerdem berechtige den Kläger die Tatsache, dass er widerrechtlich fremden Grund für seine Ableitungen nutze, nicht zur Klage. Eine dingliche Absicherung dieser Leitungen, etwa durch eine Grunddienstbarkeit, würde das Bauvorhaben erschweren, wenn nicht unmöglich machen, weswegen diese zu verlegen seien.
16
Der Beigeladene zu 2) schließt sich den Ausführungen der Beigeladenen zu 1) an und stellt keinen Antrag.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten, auch die der Verfahren AN 17 K 17.02559, AN 17 K 17.02066 und AN 17 K 17.02666, Bezug genommen. Hinsichtlich des Verlaufs des Ortstermins und der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2020 wird auf die gefertigten Lichtbilder sowie das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

18
Das Gericht kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne (weitere) mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dem zu Protokoll der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2020 allseitig zugestimmt haben.
19
Die Klage ist zulässig und begründet.
20
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht erhoben.
21
Der streitgegenständliche Baugenehmigungsbescheid vom 29. August 2017 wurde dem Kläger am 8. September 2017 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt. Die am 9. Oktober 2017 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangene Klage liegt gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 2 ZPO noch im Rahmen der einmonatigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO, weil der 8. Oktober 2017 ein Sonntag war.
22
2. Die zulässige Klage ist auch begründet.
23
Der Baugenehmigungsbescheid vom 29. August 2017 ist rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist damit aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
24
a) Eine Anfechtungsklage hat nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO dann Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dafür genügt bei der Drittanfechtungsklage nicht die objektive Verletzung einer Rechtsnorm. Die Rechtsverletzung muss sich aus einer Norm ergeben, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, s. BayVGH, B.v. 23.6.2017 - 15 ZB 16.920 - BayVBl 2018, 596 Rn. 8). Zudem müssen die als verletzt gerügten Normen Teil des Prüfprogramms im Baugenehmigungsverfahren sein, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 141. EL März 2021, Art. 66 Rn. 537).
25
Diese Voraussetzungen erfüllt der Bescheid des Beklagten vom 29. August 2017, weil er in Bezug auf eine nachbarschützende Vorschrift nicht hinreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ist.
26
b) Eine Baugenehmigung kann die Rechte des Nachbarn nämlich auch dann verletzen, wenn sie entgegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen zu unbestimmt ist. Unbestimmtheit in diesem Sinne liegt unter anderem dann vor, wenn mangels konkretisierender Inhalts- oder Nebenbestimmungen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und in Folge eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 23.2.2021 - 15 CS 21.403 - juris Rn. 69; B.v. 30.7.2019 - 15 CS 19.1227 - juris Rn. 16 m.w.N.; Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, Vorbm. zu §§ 29-38 Rn. 35 m.w.N.). Maßgeblich für den Rechtsschutz des Nachbarn ist dabei, dass er feststellen können muss, ob und in welchem Umfang er durch das Bauvorhaben betroffen ist (BayVGH, B.v. 5.7.2017 - 9 CS 17.603 - juris Rn. 13).
27
Aus der Baugenehmigung vom 29. August 2017 zum „Neubau eines Gemeinschaftshauses mit Schießständen“ geht nicht im obigen Sinne bestimmt genug hervor, inwieweit der Kläger im Gebot der Rücksichtnahme, welches Teil der gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO vorzunehmenden bauplanungsrechtlichen Prüfung ist, durch mögliche Lärmimmissionen betroffen ist.
28
Das Gebot der Rücksichtnahme findet seine rechtliche Grundlage in § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO und § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, da es sich bei dem Ortsteil … (Stadt...), wie von der Beigeladenen zu 1) unwidersprochen vorgetragen, um ein faktisches Dorfgebiet handeln dürfte. Andernfalls wäre auf § 34 Abs. 1 BauGB zurückzugreifen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind die in den §§ 2-14 BauNVO aufgeführten baulichen Anlagen nämlich im Einzelfall unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets unzumutbar sind. Im Allgemeinen gilt, dass das Maß der gebotenen Rücksichtnahme von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängt. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem das Rücksichtnahmegebot im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 20.3.2018 - 15 CS 17.2523 - juris Rn. 25). Dabei sind bei störenden Nutzungen auch die Anforderungen des Immissionsschutzes nach § 22 Abs. 1 BImSchG zu beachten, also dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG) bzw. nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG). Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen und materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts zurückzugreifen (BayVGH, B.v. 4.8.2008 - 1 CS 07.2770 - juris Rn. 21; Wolf in Busse/Kraus, BayBO, 141. EL März 2021, Art. 59 Rn. 54 f.). Im Falle von nicht immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Sportanlagen ist zur Konkretisierung der Zumutbarkeitsgrenze auf § 23 Abs. 1 BImSchG i.V.m. der Achtzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Sportanlagenlärmschutzverordnung - 18. BImSchV) zurückzugreifen, die in deren § 2 Immissionsrichtwerte gegliedert nach dem Gebietscharakter und Tag-, Nacht- und Ruhezeiten, in § 3 Maßnahmen zu Verminderung der Lärmbelastung und in § 5 Regelungen zu Nebenbestimmungen und Anordnungen im Einzelfall enthält.
29
Diesen Maßstab zugrunde gelegt ist die Baugenehmigung vom 29. August 2017 entgegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG zu unbestimmt, weil der Kläger aus ihr den Umfang der genehmigten Nutzung und damit eine mögliche Beeinträchtigung im Gebot der Rücksichtnahme nicht adäquat einschätzen kann. Die streitgegenständliche Baugenehmigung enthält weder eine Betriebsbeschreibung des Gemeinschaftshauses mit Schießständen noch etwaige Nebenbestimmungen oder Auflagen im Sinne des Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG, die den zulässigen Nutzungsumfang in irgendeiner Weise konkretisieren oder einschränken, insbesondere was die Art der neben dem Schießsport zulässigen Nutzung - genehmigt ist ein „Gemeinschaftshaus mit Schießständen“ - sowie zeitliche und personenmäßige Begrenzungen anbelangt. Soweit der Beklagte darauf verweist, dass in den Bauvorlagen bei der Berechnung der auszuweisenden Stellplätze eine Personenanzahl von 24 ausgewiesen sei, führt dies nicht zu der geforderten Konkretisierung der Baugenehmigung, weil für die Frage der erforderlichen Stellplätze nach Art. 47 BayBO zwar je nach Art der Anlage auch die Nutzerzahl eine Rolle spielen kann, jedoch damit angesichts des Regelungszwecks des Art. 47 BayBO - der Freihaltung der öffentlichen Verkehrsflächen - keine (konkludente) bauaufsichtliche Begrenzung des personenmäßigen Nutzungsumfanges einhergeht.
30
Zwar ist auch nach Ansicht der Kammer eine Verletzung des Klägers im Gebot der Rücksichtnahme im Ergebnis unwahrscheinlich, weil dessen Wohnhaus als Immissionsort durch landwirtschaftliche Zwischengebäude vom Bauvorhaben abgeschirmt ist und zumindest der Schießstand mit angeschlossenem Warteraum nur Tür- und Fensteröffnungen nach Osten hin, also zur vom Klägergrundstück abgewandten Seite hin, aufweist. Jedoch ist eine Verletzung im nachbarschützenden Gebot der Rücksichtnahme nicht „eindeutig ausgeschlossen“ (BayVGH, B.v. 23.2.2021 - 15 CS 21.403 - juris Rn. 69), eben weil sich der Baugenehmigung für das Gemeinschaftshaus mit Schießständen keine Einzelheiten hinsichtlich zulässiger Nutzungsarten und vor allem der Nutzungsintensität entnehmen lassen. Daran vermag auch die Stellungnahme des technischen Immissionsschutzes des Landratsamtes … im Baugenehmigungsverfahren vom 19. September 2016 (Blatt 15 d. Behördenakte) nichts zu ändern, in dem dieser lediglich das Feld „Keine Bedenken“ angekreuzt hatte, ohne weitere Ausführungen zu machen. Sie ist in dieser Form zu unspezifisch, weil schon nicht klar wird, worauf sie sich bezieht. Einerseits könnte ihr eine „worst case“ - Betrachtung dergestalt zugrunde gelegen haben, dass grundsätzlich und unbeschadet sonstiger gesetzlicher Vorschriften wie dem Feiertagsgesetz ein Betrieb an 365 Tagen rund um die Uhr auch für nicht im engeren Sinne sportliche Veranstaltungen wie Vereinsfeste etc. unterstellt wurde. Andererseits könnte auch ein wie von dem Beklagten in den Klageerwiderungsschriftsätzen beschriebener beschränkter Betrieb, etwa durch eine zulässige Höchstnutzerzahl von 24 (s.o.) oder den „bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Schützenhauses“ (Schriftsatz vom 19.5.2021) unterstellt worden sein.
31
Nach alldem ist die Baugenehmigung vom 29. August 2017 wegen nachbarrechtsrelevanter Unbestimmtheit rechtswidrig und damit aufzuheben.
32
3. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Kostentragungspflicht des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) zu je 1/2 aus § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Beigeladene zu 1) hat mit Schriftsatz vom 22. März 2021 Klageabweisung beantragt und sich damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO dem Kostenrisiko ausgesetzt. Da der Beigeladene zu 2) keinen eigenen Antrag gestellt hat, wird er nicht zur Kostenerstattung herangezogen, kann aber auch keine eigenen Kosten geltend machen, weil er ebenfalls unterlegen ist, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.