Titel:
Unzulässige Klage gegen die Erhöhung von Gebühren für eine Obdachlosenunterkunft
Normenkette:
VwGO § 42 Abs. 1, § 43 Abs. 1, § 88, § 155 Abs. 4
Leitsätze:
1. In Fällen, in denen der Betroffene eine Gebühr für überhöht hält, ist eine (Teil-)Anfechtungsklage gegen den Gebührenbescheid zu erheben; eine allgemeine Leistungsklage auf Änderung der Gebührennorm ist grundsätzlich nicht statthaft. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch eine Feststellungsklage ist in derartigen Konstellationen grundsätzlich nicht statthaft, weil es dem Betroffenen zuzumuten ist, den Erlass eines ihn belastenden Gebührenbescheids abzuwarten und dann gegen diesen im Wege der Anfechtungsklage vorzugehen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Von der Kostenregelung des § 155 Abs. 4 VwGO wird auch vorprozessuales Verschulden erfasst, das bei Behörden etwa in einer unzureichenden oder irreführenden Begründung eines Verwaltungsakts oder einer unzureichenden Sachaufklärung liegen kann. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gebühren für die Benutzung einer Obdachlosenunterkunft, Unzulässige Klage, Auslegung des Klageantrags, Subsidiarität der Feststellungsklage, Fehlender Gebührenbescheid, Versand einer Rechnung, Benutzungsgebühr, Obdachlosenunterkunft, statthafte Klageart, Anfechtungsklage, Feststellungsklage, vorprozessuales Verschulden
Fundstelle:
BeckRS 2021, 20584
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich im Wesentlichen gegen die Erhöhung von Gebühren für die Nutzung einer Obdachlosenunterkunft des Beklagten.
2
Der Beklagte betreibt auf Grundlage seiner Satzung über die Benutzung der Obdachlosenunterkunft des Marktes … vom 28. April 2020 eine Obdachlosenunterkunft als öffentliche Einrichtung. Auf Grundlage seiner Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung der Obdachlosenunterkunft des Marktes … vom 28. April 2020 erhebt er von den Benutzern Gebühren (Obdachlosenunterkunftsgebührensatzung - ObUGebS), wobei der Gebührensatz nach Angaben des Klägers im Vergleich zur Vorgängerfassung erhöht wurde. Nach § 5 Abs. 1 ObUGebS wird die Benutzungsgebühr durch Gebührenbescheid festgesetzt. Nach § 3 Abs. 1 ObUGebS beträgt die Gebühr für Durchreisende 5,00 EUR je Übernachtung, nach § 3 Abs. 2 Satz 1 ObUGebS für sonstige Benutzer 10,00 EUR pro Nacht.
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Mit Bescheid vom 1. Juli 2020 wies der Beklagte den Kläger ab 1. Juli 2020 bis einschließlich 31. Juli 2020 in die Räume der Obdachlosenunterkunft in den … 17 ein (Nrn. 1 und 2 des Bescheids). Nach Nr. 3 des Bescheids erhebt der Beklagte für die Unterbringung nach Nr. 1 ein Nutzungsentgelt. In der Begründung des Bescheids wird ausgeführt, dass der Beklagte für die Unterbringung in der Obdachlosennotunterkunft ein Nutzungsentgelt gemäß der Satzung über die Benutzung der Obdachlosenunterkunft und der Obdachlosenunterkunftsgebührensatzung erhebe. Die Benutzungsgebühr sei mittels beiliegender Rechnung monatlich auf das Konto des Beklagten zu überweisen oder in bar bei der Gemeindekasse einzuzahlen. Mit Rechnung vom 1. Juli 2020 wurde dem Kläger ein Nutzungsentgelt für die Nutzung der Obdachlosenunterkunft im Juli 2020 i.H.v. 300 EUR, fällig am 10. Juli 2020, in Rechnung gestellt.
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Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2020 erhob der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 1. Juli 2020 und beantragt zuletzt wörtlich:
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I. Der Beklagte wird verpflichtet, die Nutzungsgebühr für Langzeitbewohner von 10 EUR pro Tag auf 8 EUR pro Tag herabzusetzen.
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II. Der Beklagte wird verpflichtet, zu definieren, welcher Bewohner ab welchem Nutzungszeitraum Langzeitbewohner ist.
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Zur Begründung der Klage führte er zusammengefasst aus, dass die Gebührenhöhe von 10,00 EUR pro Nacht im Verhältnis zum Zustand und der Lage der Unterkunft außer Verhältnis stehe. Im Übrigen wird auf die Begründung Bezug genommen.
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Der Beklagte äußerte sich nicht zu Sache.
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Mit Schreiben vom 4. Februar 2021 wurden der Kläger und der Beklagte zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
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Hinsichtlich des übrigen Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte, auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (M 10 S 20.3966), Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig.
12
I. Soweit der Kläger wörtlich beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die Gebühr für Langzeitbewohner auf 8 EUR pro Nacht herabzusetzen, ist der Antrag unzulässig. Ein Anspruch des Klägers auf eine bestimmte Satzungsregelung, vorliegend auf Änderung von § 3 Abs. 2 Satz 1 ObUGebS besteht nicht. Eine allgemeine Leistungsklage auf Änderung einer bestimmten untergesetzlichen Rechtsnorm kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, etwa dann wenn der Betroffene keine Möglichkeit hat, die bestehende Regelung durch ein Verfahren gegen einen Vollzugsakt überprüfen zu lassen (vgl. hierzu Sodan in ders./Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 46). Deshalb ist in den Fällen, in denen der Betroffene - wie vorliegend - eine Gebühr für überhöht hält, eine (Teil-)Anfechtungsklage gegen den Gebührenbescheid zu erheben. Eine dahingehende Auslegung des Antrags nach § 88 VwGO scheidet jedoch aus. Eine Anfechtungsklage wäre vorliegend ebenfalls nicht statthaft. Voraussetzung für eine Anfechtungsklage ist das Vorliegen eines nicht bestandskräftigen Verwaltungsakts, vgl. § 42 Abs. 1 VwGO. Einen Gebührenbescheid, mit dem gegenüber dem Kläger Gebühren für die Nutzung der Obdachlosenunterkunft festgesetzt würden, hat der Beklagte nach Aktenlage jedenfalls für den vorliegend in Streit stehenden Zeitraum ab Juli 2020 nicht erlassen. Der Einweisungsbescheid vom 1. Juli 2020 enthält keine Gebührenfestsetzung. Soweit in Nr. 3 des Bescheidstenors ausgeführt wird, dass für die Unterbringung nach Nr. 1 ein Nutzungsentgelt erhoben werde, ist dies als Hinweis auf die durch die Begründung des öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnisses aus §§ 1 ff. ObUGebS folgende Gebührenschuld zu verstehen. Um einen Verwaltungsakt handelt es sich dabei schon deshalb nicht, weil eine Festsetzung der Gebührenhöhe und damit eine Regelung i.S.v. Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b) Kommunalabgabengesetz (KAG) i.V.m. § 118 Satz 1 AO fehlt. Auch die Rechnung, die der Beklagte dem Einweisungsbescheid beigefügt hat, ist mangels Regelungswirkung kein Verwaltungsakt i.S.v. Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b) KAG i.V.m. § 118 Satz 1 AO.
13
Auch eine Auslegung des klägerischen Begehrens als Feststellungsantrag nach § 43 Abs. 1 VwGO kommt nicht in Betracht. Da sich der Kläger nach seinen Ausführungen im Wesentlichen gegen die Gebührenerhöhung wenden möchte, wäre etwa ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Gebührenerhöhung denkbar. Jedoch steht einem solchen die Subsidiarität der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO entgegen. Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Dem Kläger ist es zuzumuten, den Erlass eines ihn belastenden Gebührenbescheids abzuwarten und dann gegen diesen im Wege der Anfechtungsklage vorzugehen (vgl. VG Würzburg, U.v. 8.11.2017 - W 2 K 17.760 - juris Rn. 42 ff.; vgl. Pietzcker in Schoch/Schneider, VwGO, Werkstand: 39. EL Juli 2020, § 43 Rn. 39).
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II. Soweit der Kläger zudem wörtlich beantragt, den Beklagten zu verpflichten, zu definieren, welcher Bewohner ab welchem Nutzungszeitraum Langzeitbewohner ist, ist der Antrag ebenfalls unzulässig. Auch insoweit ist eine Leistungsklage auf Änderung einer bestehenden Rechtsnorm unstatthaft. Auch hier ist der Kläger darauf zu verweisen, die derzeitige Formulierung der Gebührensatzung im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen einen Gebührenbescheid überprüfen zu lassen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 4 VwGO.
16
Nach § 155 Abs. 4 VwGO können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Sofern ein Beteiligter die Einleitung des Verfahrens durch sein Verschulden veranlasst hat, können ihm die gesamten Kosten des Verfahrens auferlegt werden (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 155 Rn. 10). Erfasst wird dabei auch vorprozessuales Verschulden, das bei Behörden etwa in einer unzureichenden oder irreführenden Begründung eines Verwaltungsakts oder einer unzureichenden Sachaufklärung liegen kann (Rennert a.a.O. Rn. 13). Das vorliegende Verfahren beruht in erster Linie auf einem Verschulden des Beklagten. Durch die Formulierung des Einweisungsbescheids vom 1. Juli 2020 und der dem Bescheid beigefügten Rechnung hat der Beklagte gegenüber dem Kläger den Rechtsschein erzeugt, die Gebührenforderung sei bereits fällig und müsse vom Kläger entrichtet werden, ohne dass es eines Gebührenbescheids bedürfe. Insbesondere durch die in der Begründung enthaltene Formulierung „Die Benutzungsgebühr ist mittels beiliegender Rechnung monatlich auf das Konto des Marktes … zu überweisen oder in bar bei der Gemeindekasse einzuzahlen“ musste der Kläger nicht davon ausgehen, dass er einen Gebührenbescheid erhalten würde, gegen den er unabhängig von der Einweisungsverfügung Rechtsschutz suchen und sich so gegen die Gebührenerhöhung wenden könnte. Dass der Kläger bereits den Einweisungsbescheid zum Anlass für seine Klage genommen hat, ist daher dem Beklagten zuzuschreiben. Es ist deshalb ermessensgerecht, ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.