Inhalt

VG München, Gerichtsbescheid v. 18.03.2021 – M 32 K 20.31048
Titel:

Offensichtlich unbegründete Klage gegen Ablehnung von Folgeantrag als unzulässig

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 31 Abs. 3 S. 1, § 71, § 78 Abs. 1
VwVfG § 48, § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 71 AsylG nicht vor, darf kein weiteres Asylverfahren durchgeführt werden und dem Folgekläger steht auch kein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über die Eröffnung eines neuen Asylverfahrens nach den §§ 48, 49 VwVfG zu (Anschluss an BVerwG BeckRS 9998, 169776). (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Bundesamt hat gem. § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge zusätzlich und grundsätzlich festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Dies gilt auch bei Folgeanträgen (Anschluss an BVerwG BeckRS 2016, 111567 Rn. 20). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl Nigeria, Folgeantrag, Bestandskräftiger Ablehnungsbescheid, Keine Wiederaufgreifensgründe, Keine Abschiebungsverbote, Offensichtlich unbegründete Klage, Unanfechtbarer Gerichtsbescheid, Wiederaufgreifen des Verfahrens, fehlerfreie Ermessensausübung, Nigeria
Fundstelle:
BeckRS 2021, 19907

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1
Der Kläger ist nach eigenen Angaben ein nigerianischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe Ibo zugehörig und christlichen Glaubens.
2
Eigenen Angabe zu Folge hatte er Nigeria am 1. August 2014 verlassen, war im Februar 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hatte am 6. Mai 2015 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag gestellt. Zur Begründung hatte er laut den Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 9. Januar 2019 (Az. Au 7 K 17.32411) folgendes angegeben: Er sei Mitglied in einer Gruppe von Jugendlichen gewesen, die Cultism heiße. Die Gruppe töte auch Leute; unterschiedliche Cultism-Gruppen würden sich auch gegenseitig bekämpfen. Er sei nicht in der Gruppe gewesen, um zu töten, sondern nur, weil die meisten seiner Freunde dort Mitglied gewesen seien und er nur mit seinen Freunden zusammen sein wollte. Leider sei er dann in einige üble Sachen involviert gewesen. Es sei zu spät gewesen, aus der Gruppe auszutreten. Denn dann hätten ihn seine eigenen Leute verletzt oder sogar getötet. Man leiste dort einen Eid ab, dass man im Leben und Tod zusammenhalte. Auch Parteien wie die APC oder PDP würden Cultism-Gruppen unterstützen, um an die Macht zu kommen. Er selbst habe niemanden umgebracht oder erschossen. Er sei seiner Gruppe nur gefolgt und habe auch Sachen mitgemacht. Einmal seien sie auf einer Mission gewesen und ein APC-Mitglied sei umgebracht worden. Die Polizei habe herausgefunden, dass es seine Gruppe gewesen sei und sei hinter ihnen her gewesen. Aber auch die Cultism-Gruppen der APC seien hinter ihnen her gewesen. Der Anführer ihrer Mission sei von der Polizei angeschossen und verhört worden. Er habe sie alle verraten und auch den Namen des Klägers genannt. Er, der Kläger, sei aber nur bei der Planung und nicht bei der Mission selbst dabei gewesen. Er habe dann durch einen Anruf erfahren, dass sein Name auf der Liste sei. Alle, die gehört hätten, dass sie auf dieser Liste seien, seien dann weggelaufen. Das Problem sei nicht nur die Polizei gewesen, sondern auch die APC sei hinter ihm her gewesen. Er habe seinem Bruder, der wie er bei der PDP sei, erzählt, was los sei. Er habe dann mit einem Freund in Libyen telefoniert, der ihm gesagt habe, dass er nach Libyen kommen könne. Dieser Freund habe ihm geraten, nicht ohne Pass zu kommen, weil sonst die Einreise schwieriger wäre, man keine vernünftige Arbeit bekomme und sich nicht frei bewegen könne. Er habe, obwohl er beim Bürgerbüro einiges gezahlt habe, um seinen Pass noch am selben Tag zu erhalten, noch fünf Tage warten müssen, da das Gerät kaputt gewesen sei und nach Abudja zur Reparatur habe geschickt werden müssen. Bei einem weiteren Telefonat mit diesem Freund habe der ihm gesagt, dass er viel Geld mitnehmen solle, da er dies auf dem Weg brauchen könne. Innerhalb von zwei Tagen habe er alles organisiert und sei nach Libyen ausgereist. Während dieser Zeit sei er nicht mehr zu Hause gewesen, so dass er nicht wisse, ob die Polizei da gewesen sei. Da es die Cultism-Gruppen außer im Norden im ganzen Land gebe, hätte es wenig Sinn gemacht, innerhalb von Nigeria woanders hinzugehen. Von Deutschland aus habe er mit einem Freund telefoniert, der auch bei der Cultism-Gruppe sei, und erfahren, dass sein Bruder umgebracht worden sei. Der Freund habe aber nicht gewusst, von wem oder wieso sein Bruder umgebracht worden sei. Er vermute, dass sein Bruder aus Rache umgebracht worden sei. Mit der Polizei habe er in Nigeria nie Probleme gehabt, wohl aber mit anderen Cultism-Gruppen. Auf die Frage nach dem Namen seiner Gruppe nannte der Kläger die „Eiye Confraternity“. Er sei in dieser Gruppe Mitglied (Member) gewesen, damit er geschützt werde. Seine Rolle sei die eines Informanten gewesen. Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria würde er in polizeiliche Ermittlungen verwickelt. Irgendwann mal würden sie seinen Namen sehen und sich erinnern, dass was gewesen sei. Der Fall würde neu aufgerollt werden. Außerdem würde er von den Leuten der APC verfolgt werden. Seine eigene Gruppe würde ihn zwar mit offenen Armen aufnehmen, aber dann müsste er für diese Leute töten, und er wolle nicht mehr dazu gehören.
3
Mit Bescheid vom 20. April 2017 sind sein Asylantrag sowie seine Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf subsidiären Schutz sowie auf Feststellung von Abschiebungsverboten vom Bundesamt abgelehnt worden.
4
Hiergegen ließ der Kläger Klage erheben und vortragen, dass ihm entgegen der Auffassung des Bundesamts kein ausreichender staatlicher Schutz in Nigeria zur Verfügung stünde, falls er sich von dem Kult abwende. Auf eine inländische Schutzalternative durch „Untertauchen“ - wie im Bescheid ausdrücklich vorgeschlagen - könne und müsse sich der Kläger nicht verweisen lassen, da ein menschenwürdiges Leben im Untergrund nicht möglich sei. Die Studentenkultgruppierung der Eiye Confraternity agiere überregional und sei mit Zellen selbst in verschiedenen westafrikanischen Ländern, Nordafrika, Mittleren Osten und Westeuropa verbunden. Dem Kläger könne nicht vorgehalten werden, sich einem ordentlichen Ermittlungsverfahren zu stellen, da er sich in diesem Falle sehenden Auges in die dringende Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung begeben würde.
5
Mit Urteil des VG Augsburg vom 9. Januar 2019 (Az. Au 7 K 17.32411) wurde die Klage als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung hätten gezeigt, dass der Kläger sowohl seine Verfolgungsgeschichte als auch die Angaben zu seinen Lebensumständen in Nigeria frei erfunden habe. Er habe maßgebende Punkte seiner Verfolgungsgeschichte beim Bundesamt anders dargestellt als in der mündlichen Verhandlung. Im Einzelnen führte das VG Augsburg im Urteil folgendes aus: „Beim Bundesamt gab der Kläger zur Ermordung eines APC-Mitglieds/Politikers durch „seine“ Gruppe (Eiye Kult) an, er sei nur bei der Planung, aber nicht bei der „Mission“ selbst dabei gewesen… In der mündlichen Verhandlung erwähnte er eine derartige Beteiligung (Dabeisein bei der Planung) nicht mehr, sondern gab vielmehr an, er habe von der Ermordung eines APC-Politikers durch seine Gruppe erst dadurch erfahren, dass er so gegen Ende Juli 2014 festgestellt habe, dass die meisten seiner Freunde nicht mehr da, sondern weggelaufen seien und ihm jemand erzählt habe, dass seine Freunde wegen der Ermordung eines Politikers auf der Flucht seien … Beim Bundesamt trug der Kläger vor, dass die Polizei den Anführer dieser „Mission“ angeschossen und verhaftet und dieser dann andere Kultmitglieder, unter anderem ihn, den Kläger, beschuldigt und verraten habe. Weil er durch einen Anruf erfahren habe, dass auch sein Name auf der Liste gestanden sei, sei er auf den Rat eines Freundes hin weggelaufen und nach Libyen geflohen … In der mündlichen Verhandlung erwähnte er einen solchen Sachverhalt mit keinem Wort, sondern gab zu den Gründen, warum er Nigeria verlassen und nach Libyen gereist sei, lediglich an, jemand habe ihm damals erzählt, dass Mitglieder seines Kults einen Politiker getötet haben, deswegen alle auf der Flucht seien und Racheaktionen des gegnerischen Kults zu erwarten seien. Er habe dann gehört, dass viele Mitglieder seines Kults erschossen worden seien, habe deswegen Angst bekommen und sei nach Libyen gereist, weil auch viele Kultmitglieder, die etwas angestellt hätten, nach Libyen gehen … Zudem hat der Kläger die Umstände, wie er sich seinen Pass beschafft haben will, unterschiedlich dargestellt … Die unterschiedliche Darstellung hinsichtlich der Passbeschaffung ist daher ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass der Kläger seine Verfolgungsgeschichte frei erfunden hat. Insbesondere zeigt aber auch der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er wolle wegen der schlechten Infrastruktur und der mangelnden Aussicht auf einen Job, da er ja keine Ausbildung habe, nicht nach Nigeria zurückkehren, dass er sein Heimatland nicht aus Angst vor Verfolgung, sondern aus wirtschaftlichen Gründen verlassen hat…Die Unglaubwürdigkeit des Klägers zeigt sich überdies darin, dass er zur Überzeugung des Gerichts bereits zu seinen Lebensumständen in Nigeria die Unwahrheit gesagt hat …“
6
Mit Schreiben vom 10. Januar 2020 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, sein Mandant, der Kläger, sei zur Mitgliedschaft in der Eiye confraternity gezwungen worden. Er habe diese Gruppe verlassen wollen; dies hätte die cultist group nicht akzeptiert. Die cultist group seien Akteure i.S.v. § 3c AsylG.
7
Am 28. Februar 2020 stellte der Kläger bei dem Bundesamt einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Zur Begründung führte er aus, er habe sich seit dem Abschluss des ersten Asylverfahrens nicht in seinem Herkunftsland aufgehalten. Er sei katholischer Christ und komme aus dem Gebiet Biafra. Alle Biafra-Leute würden bei einer Rückkehr nach Nigeria durch die neue moslemische Regierung verfolgt und unterdrückt werden. Er sei kein Mitglied in der BIAFRA gewesen. Er sei für die Gruppe Eiye Confrontanity als Informant tätig gewesen. Er sei aufgefordert worden, jemanden umzubringen, was er aber nicht tun habe wollen. Daraufhin sei ihm gesagt worden, wer nicht jage, werde selber zum Gejagten. Er sei jetzt ein Verräter und werde umgebracht. Im Übrigen habe er nur 4 Jahre die Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Er würde in Nigeria keine Arbeit finden.
8
Mit Bescheid vom 4. März 2020, als Einschreiben am 9. März 2020 zur Post gegeben, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids); ebenso wurde der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 20. April 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgelehnt (Nr. 2 des Bescheids). Der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Die für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG erforderliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten der Klägerin sei nicht gegeben. Es lägen auch keine Abschiebungsverbote vor; infolgedessen sei auch insoweit kein Wiederaufgreifen eröffnet.
9
Hiergegen wurde für den Kläger mit dem Hinweis, dass der Bescheid am 13. März 2020 zugegangen sei, am 27. März 2020 bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erhoben und gleichzeitig vorläufiger Rechtsschutz beantragt.
10
Zur Begründung wurde auf die vorgetragenen Gründe im Asylfolgeverfahren Bezug genommen und ausgeführt, dass ein Wiederaufnahmegrund vorliege, weil sich die Auskunftslage zur Biafra-Problematik und zur Gefährdung durch Mitgliedschaften bei cultist groups geändert hätte und daher vom Verwaltungsgericht Augsburg nicht berücksichtigt werden konnte. Cultist groups seien Akteure i.S.v. § 3c AsylG. Es bedürfe einer Neubewertung der Gefährdung des Klägers im Falle seiner Rückkehr.
11
Mit Beschluss vom 10. Dezember 2020 lehnte das Gericht den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ab; auf die Gründe des Beschlusses wird verwiesen (Az. M 32 S 20.31049).
12
Mit Schreiben vom 19. Februar 2021 hörte das Gericht die Parteien zum Erlass eines Gerichtsbescheides an und gab ihnen auch Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme zur Streitsache. Die Klageseite trug vor, der Kläger wolle seine aktuelle Situation im Rahmen einer mündlichen Verhandlung darlegen. § 71 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG verstoße gegen Gemeinschaftsrecht.
13
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

14
Die Klage bleibt ohne Erfolg.
15
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO.
16
1. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gemäß §§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 31 Abs. 3 AsylG ist (offensichtlich) rechtmäßig. Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt ergänzend aus:
17
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt sind (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG müsste sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). Außerdem ist der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt hat.
18
§ 71 AsylG geht von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Asylfolgeanträgen aus (BVerfG, B.v. 3.3.2000 - 2 BvR 39/98 - juris Rn. 30 ff.). Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst - im ersten Prüfungsschritt - darum, festzustellen, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides erfüllt sind. § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (dazu BVerfG, B. v. 3.3.2000 - 2 BvR 39/98 - juris Rn. 32).
19
Liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens dagegen nicht vor, darf kein weiteres Asylverfahren durchgeführt werden und dem FolgeKläger steht - weil § 71 Abs. 1 AsylG den § 51 Abs. 5 VwVfG nicht in Bezug nimmt - auch kein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über die Eröffnung eines neuen Asylverfahrens nach den §§ 48, 49 VwVfG zu (BVerwG; U.v. 15.12.1987 - 9 C 285.86 - juris Rn. 21). In diesem Fall ist - wie vorliegend geschehen - der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen.
20
Der Kläger hat zur Begründung seines Folgeantrags keine in diesem Sinne rechtlich relevanten neuen Gründe soweit vorgetragen, dass eine für ihn günstigere Entscheidung zumindest möglich erscheint. Sein Vortrag erschöpft sich in der Kurzfassung seiner Angaben im Asylerstverfahren und damit in Ereignissen, die sich bereits vor seiner Ausreise aus Nigeria zugetragen haben und deshalb von ihm bereits im Rahmen des Asylerstverfahrens vorgetragen wurden, werden konnten bzw. hätten vorgetragen werden können und müssen. Eine nachträglich zu Gunsten des Klägers eingetretene Änderung der Sachlage i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG kann diesem Vorbringen nicht entnommen werden. Darüber hinaus wurden weder neue Beweismittel i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorgelegt, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, noch ist eine nachträglich zugunsten des Betroffenen eingetretene Veränderung der Rechtslage erkennbar (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers behauptet, dass sich die Auskunftslage zur Biafra-Problematik und hinsichtlich cultist groups geändert habe, ergibt sich daraus kein Grund zum Wiederaufgreifen des Verfahrens, weil auch die Zugrundelegung der behaupteten veränderten neuen Auskunftslage im Asylerstverfahren keinerlei Auswirkungen auf die Entscheidung gehabt hätte. Denn der Erstantrag des Klägers ist nicht aufgrund einer ursprünglich anderen Auskunftslage abgelehnt worden, sondern in Hinblick auf die Unglaubhaftigkeit der Angaben des Klägers. Das Verwaltungsgericht führte nämlich ausdrücklich aus, es sei davon überzeugt, dass der Kläger sowohl seine Verfolgungsgeschichte als auch die Angaben zu seinen Lebensumständen in Nigeria frei erfunden habe. Ebenso wenig sind Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO ersichtlich (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG).
21
2. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Das Gericht folgt im Ergebnis der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt ergänzend aus:
22
Die erneute Prüfung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG davon abhängig zu machen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 Verwaltungsverfahrensgesetz vorliegen, ist zwar fehlerhaft. Denn das Bundesamt hat gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge zusätzlich und grundsätzlich festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 - juris Rn. 18 und 20). In Bezug auf § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat sich das Bundesamt somit anlässlich einer Entscheidung über einen Folgeantrag in jedem Fall sachlich mit dem Schutzbegehren zu befassen (BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 - juris Rn. 20). Es darf sich nicht mit der Prüfung begnügen, ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. Vielmehr hat es - so ausdrücklich § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG - „festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen“. Die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2000 (9 C 41/99 - juris Rn. 9) und 15. Januar 2011 (9 B 475.00 - juris Rn. 5) sind wegen § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG als überholt anzusehen.
23
Dieser Fehler wirkt sich vorliegend aber nicht aus, weil das Bundesamt dennoch im streitgegenständlichen Bescheid eine volle Sachprüfung vorgenommen hat, ob Abschiebungsverbote vorliegen und das Vorliegen von Abschiebungsverboten - wie oben ausgeführt - zu Recht verneint hat.
24
Die COVID-19 Pandemie und die befürchteten wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ändern an der bisherigen Beurteilung nichts.
25
Laut den allgemein zugänglichen Quellen gibt es gegenwärtig in Nigeria 101.331 bestätigte Corona-Fälle (Deutschland: 1.921.024), davon 20.840 aktuelle Fälle (Deutschland: 334.800) und 1.361 Todesfälle (Deutschland: 40.686), Stand: 11.01.2021;
26
siehe etwa Nigeria Centre for Disease Control, https://www.ncdc.gov.ng/; https://www.rki.de/DE/Home/homepage_node.html,
27
was angesichts einer Gesamtbevölkerung von ca. 200 Millionen (Deutschland: 83 Millionen) einem Prozentsatz von etwa 0,000507 (Deutschland: 0,023145) entspricht).
28
Bei diesen Zahlen fehlen zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt greifbare Anhaltspunkte für eine ein Abschiebungsverbot rechtfertigende so erhebliche Verschlechterung der humanitären Lage und der allgemeinen Lebensbedingungen durch die Covid-19 Pandemie, dass von einem ganz außergewöhnlichen Fall und zwingenden humanitären Gründen gesprochen werden könnte. Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert hat (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2020, S. 23; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 - aktuelle Lage vom 9.7.2020, S. 12 ff; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; EASO Special Report: Asylum Trends on COVID-19 vom 11.6.2020, S. 15; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.), hält es das Gericht zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann. Zwar wirken sich die Maßnahmen der Regierung zur Pandemiebekämpfung insbesondere auf den informellen Sektor aus; es werden aber Anstrengungen unternommen, dem entgegenzuwirken. So hat die nigerianische Zentralbank Hilfspakete eingeführt, mit welchen den am härtesten getroffenen Haushalten und Betrieben geholfen werden soll. Hierzu führte bereits das Verwaltungsgericht Würzburg mit Gerichtsbescheid vom 1.7.2020, Az. W 8 K 20.30151 - juris Rn. 35 folgendes aus: „Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-​19-​Pandemie ein Gegensteuern des nigerianischen Staates erkennbar ist. So wurde ein Notfallfonds für das „Nigeria Centre for Disease Control“ eingerichtet, ebenso wie Konjunkturpakete, um die Auswirkungen für Haushalte und Betriebe zu lindern; außerdem wurden Nahrungsmittel verteilt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation COVID-​19-​Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-​10-​Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-​19 - aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.; https://reliefweb.int/report/nigeria/nigeria-​humanitarian-​fund-​allocation-​covid-​19-​and-​humanitarian-​response, vom 16.6.2020; https://www.theafricareport.com/26444/coronavirus-​recession-​in-​nigeria-​likely-​despite-​measures-​in-​place/, vom 20.4.2020). Darüber hinaus hat der internationale Währungsfonds Soforthilfen für Nigeria in Höhe von 3,4 Milliarden US-​Dollar gewährt (https://www.imf.org/en/News/Articles/2020/04/28/pr20191-​nigeria-​imf-​executive-​board-​approves-​emergency-​support-​to-​address-​covid-​19, vom 28.4.2020)“. Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht an.
29
Dass der Kläger an dem Virus erkranken könnte und die Erkrankung einen so schweren Verlauf nehmen könnte, dass insoweit das Existenzminimum des Klägers von ihm nicht mehr sichergestellt werden könnte, ist angesichts der derzeitigen Kenntnisse somit nicht beachtlich wahrscheinlich.
30
Die Covid-19 Pandemie führt auch zu keinem Abschiebverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
31
Die Gefahr, an einer Corona-Infektion zu erkranken, ist auch in Nigeria eine Gefahr, der die dortige Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist. Derartige Gefahren werden allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG kann ein Ausländer daher in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn besteht. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 zu gewähren. Die Abschiebung muss somit ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden.
32
Diese Voraussetzungen einer solchen landesweiten Extremgefahr sind in Nigeria auch im Hinblick auf die COVID-19 Pandemie nicht erfüllt. Eine individuelle, außergewöhnliche Gefahrenlage in diesem Sinne, welche die Schwelle der allgemeinen Gefährdung übersteigt, ist für den Kläger im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch bei Berücksichtigung der oben ausgeführten Verbreitung des Corona-Virus nicht erkennbar.
33
Der Kläger muss sich überdies genauso wie bei anderen Erkrankungen gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria behelfen (vgl. VG Würzburg, GB.v. 1.7.2020 - W 8 K 20.30151 - juris Rn. 29ff, 36ff m.w.N.).
34
3. Die Ausreiseaufforderung mit der einwöchigen Ausreisfrist und die gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung nach §§ 71 Abs. 4, 34, 36 Abs. 1 AsylG begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
35
4. Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Klage gegen die Entscheidung über den Asylantrag - hier in der speziellen Form des Folgeantrags nach § 71 Abs. 1 AsylG - war sogar als offensichtlich unbegründet abzuweisen, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG unanfechtbare Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 7.11.2008 - 2 BvR 629/06 - juris m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG). Aus den Entscheidungsgründen muss sich klar ergeben, weshalb das Gericht zu einem Urteil nach § 78 Abs. 1 AsylG kommt, warum also die Klage nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen wird (BVerfG a.a.O.). Diese Grundsätze gelten nicht nur für Verfahren, die das Asylgrundrecht betreffen oder in denen es um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus geht, sondern auch für die Abweisung der nur auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gerichteten Klage (vgl. BVerfG a.a.O.; Redeker in BeckOK MigR, 7.Ed. 1.10.2020, AsylG § 78 Rn. 7-9). Da die qualifizierte Klageabweisung nach § 78 Abs. 1 AsylG für alle Rechtstreitigkeiten nach dem AsylG, z.B. auch für die Anfechtungsklagen gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamts nach den §§ 29 und 31 Abs. 3 AsylG, eröffnet ist, dürften die Grundsätze auch insoweit gelten.
36
Die Voraussetzungen einer qualifizierten Klageabweisung sind vorliegend gegeben. Aus den obigen Ausführungen und auch aus den Gründen der Eilentscheidung ergibt sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage.
37
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
38
5. Dieser Gerichtsbescheid ist unanfechtbar, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 AsylG. Vor dem Hintergrund des asylrechtlichen Beschleunigungsgebots (vgl. BT-Drs. 12/4450 S. 14) meint Unanfechtbarkeit im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 AsylG auch den Ausschluss des Antrags auf mündliche Verhandlung nach der ansonsten geltenden allgemeinen Vorschrift des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (dazu Redeker in BeckOK MigR, 7. Ed. 1.10.2020, AsylG § 78 Rn. 64; ausführlich hierzu VG München, GB.v. 6.2.2006 - M 22 K 07.50600 - juris Rn. 23; GB.v. 8.2.2008 - M 22 K 07.51094 - juris Rn. 33; GB.v. 11.10.2018 - M 1 K 17.42573 - juris Rn. 15; GB.v. 28.2.2019 - M 32 K 17.42655).