Titel:
Offensichtlich unbegründete Asylklage (Nigeria)
Normenketten:
AsylG § 30, § 78 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Es besteht für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit, ökonomisch eigenständig zu leben und ohne Hilfe Dritter zu überleben, weshalb nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot bestehen kann. (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die COVID-19-Pandemie und die befürchteten wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ändern an dieser Beurteilung nichts. (Rn. 28 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vor dem Hintergrund des asylrechtlichen Beschleunigungsgebots meint Unanfechtbarkeit iSd § 84 Abs. 1 S. 3 VwGO iVm § 78 Abs. 1 AsylG auch den Ausschluss des Antrags auf mündliche Verhandlung nach der ansonsten geltenden allgemeinen Vorschrift des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl Nigeria, Offensichtlich unbegründete Klage, Keine Abschiebungsverbote, Unanfechtbarer Gerichtsbescheid, Nigeria, offensichtliche Unbegründetheit, Abschiebungsverbot, Existenzminimum, COVID-19, Gerichtsbescheid, Unanfechtbarkeit
Fundstelle:
BeckRS 2021, 19892
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
1
Die Klägerin zu 1) ist nach eigenen Angaben eine nigerianische Staatsangehörige, der Volksgruppe Bini bzw. Edo zugehörig und christlichen Glaubens. Sie ist seit 2012 traditionell verheiratet und hat eine 2018 in Fürstenfeldbruck geborene Tochter, die Klägerin zu 2) sowie ein weiteres, 2019 geborenes Kind. Ihre Eltern leben im Dorf Obosobe-Ville in Nigeria; sie hat nach ihren Angaben im Heimatland zahlreiche Brüder, Schwestern und Onkel - aber „nur einen Bruder ihres Blutes“. Die Klägerin zu 1) verließ Nigeria nach eigenen Angaben am 15. Januar bzw. April 2016 und reiste über Niger, Libyen, Italien und Österreich am 20. Januar bzw. Februar 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 27. Februar 2018 stellte die Klägerin zu 1) für sich und die Klägerin zu 2) Asylanträge.
2
Ihr Mann, der Vater der Klägerin zu 2) hat nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in Italien am 27. Februar 2018 bei dem Bundesamt einen Zweitantrag gestellt, der mit Bescheid vom 18. Februar 2019 als unzulässig abgelehnt worden ist; die hiergegen erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 6. Juni 2019 (Az. M 28 K 19.30790) abgewiesen.
3
Am 27. Februar 2018 erfolgte die Befragung der Klägerin zu 1) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und die persönliche Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags. Dabei gab die Klägerin zu 1) an, sie habe in Italien internationalen Schutz beantragt; es seien ihr Fingerabdrücke abgenommen worden. Bei der Befragung zur Identitätsklärung am 22. Februar 2018 gab die Klägerin zu 1) an, sie sei in Benin City geboren worden, habe 6 Jahre die Schule besucht und ein Jahr Schneiderin gelernt. Bis zu ihrer Ausreise habe sie in Benin City mit ihrem Ehemann, mit dem sie traditionell verheiratet sei, zusammen gewohnt. Bei ihrer Anhörung gem. § 25 AsylG am 21. März 2018 führte sie aus, sie habe 6 Monate die Schule besucht und sei Modedesignerin. Ihr Mann habe Probleme mit seinem Arbeitgeber gehabt und sei schließlich - aus Sicherheitsgründen - nach Ghana gegangen. Nach einer Zeit habe ihr eine Frau geholfen, nach Moskau zu reisen, damit man sich dort um ihren Bauch kümmern könne. In Moskau habe sie sich aber prostituieren sollen. Da sie sich geweigert habe, sei ihr ein Ticket zurück nach Nigeria gekauft worden. Nach zwei oder drei Jahren habe ihr dieselbe Frau einen Mann vermittelt, mit dem sie nach Libyen gereist sei. Sie sei dann nach Italien weitergereist und habe ihren Mann per Facebook wiedergefunden. Dann seien sie zusammen nach Deutschland gereist. Auf Frage erklärte sie, ihre Tochter niemals beschneiden zu lassen.
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Jeweils mit Schreiben vom 19. Juni 2018 stellte das Bundesamt an die Republik Italien und die Republik Österreich Informationsersuchen nach Art. 34 der VO (EU) Nr. 604/2013 (sog. Info-Request). Die Republik Italien beantwortete auch das Erinnerungsschreiben vom 26. Juli 2018 nicht; die Republik Österreich teilte mit, dass Österreich unzuständig sei und eine „Anordnung zur Außerlandesbringung nach Italien“ erlassen habe, die in 2. Instanz rechtskräftig sei.
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Mit Bescheid vom 5. März 2019, ausgehändigt gegen Empfangsbestätigung am 13. März 2019, lehnte das Bundesamt die Anträge der Klägerinnen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asylanerkennung und Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus als offensichtlich unbegründet ab (Ziffern 1-3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen (Ziffer 4), forderte die Klägerinnen auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, drohte ihnen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, an (Ziffer 5) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigte gem. § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich nicht vorlägen. Die Ausreise der Klägerin zu 1) sei aufgrund von Bauchschmerzen erfolgt, die die Klägerin zu 1) in Europa behandeln lassen wollte. Da sich die Klägerin zu 1) erfolgreich gegen die von ihr geforderte Prostitution gewehrt habe, drohe ihr bei Rückkehr nach Nigeria weder eine (Re-)Viktimisierung, noch eine Sekundärviktimisierung. Eine sonstige konkrete Verfolgungshandlung sei von der Klägerin zu 1) nicht vorgetragen worden. Auch drohe den Klägerinnen in Nigeria keine Genitalbeschneidung, zumal beide Elternteile Gegner der Genitalbeschneidung seien. Im Übrigen stünde den Klägerinnen interner Schutz zur Verfügung. Die Klägerinnen seien offensichtlich keine Flüchtlinge im Sinne des § 3 AsylG. Den Klägerinnen drohe ebenfalls offensichtlich kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz. Nach Ablehnung des internationalen Schutzes als offensichtlich unbegründet lägen auch die engeren Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigte offensichtlich nicht vor. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor.
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Gegen diesen Bescheid erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen am 18. März 2019 bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage und beantragte gleichzeitig nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Ehemann der Klägerin zu 1) die Vaterschaft für die Klägerin zu 2) sowie für das damals zum 6. Mai 2019 erwartete zweite Kind der Klägerin zu 1) anerkannt und die gemeinsame Sorge beantragt habe. Die Klägerinnen würden „einem besonderen familiären Schutz“ unterliegen.
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Mit Beschluss vom 1. Dezember 2020 lehnte das Gericht den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ab; auf die Gründe des Beschlusses wird verwiesen (Az. M 32 S 19.31029).
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Mit Schreiben vom 19. Februar 2021 hörte das Gericht die Parteien zum Erlass eines Gerichtsbescheides an und gab ihnen auch Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme zur Streitsache. Eine Äußerung erfolgte nicht.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage bleibt ohne Erfolg.
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Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO.
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Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt ergänzend aus:
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1. Die Klägerinnen haben (offensichtlich) keinen Anspruch auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz.
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Ein Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 20.9.2001 - 2 BvR 1392/00 - juris Rn. 17). Aus den Gründen muss sich klar ergeben, weshalb dieser Ausspruch in Betracht kommt, insbesondere, warum der Asylantrag nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 3.9.1996 - 2 BvR 2353/95 - juris Rn. 13; BVerfG, B.v. 27.9.2007 - 2 BvR 1613/07 - juris Rn. 17 m.w.N.). Dieser Maßstab muss entsprechend auch für die behördliche Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 AsylG gelten. Es kommt also darauf an, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung in Bezug auf die geltend gemachten Asylgründe mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann. Gemäß § 30 Abs. 2 AsylG ist ein Asylantrag insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.
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Nach den Umständen des Einzelfalls ist offensichtlich, dass weder die Voraussetzungen für die Anerkennung der Klägerinnen als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG und für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG, noch die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG vorliegen.
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Nach Aktenlage wurde von den Klägerinnen nichts vorgetragen, was auch nur ansatzweise als eine individuelle Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG, § 3 AsylG gewertet werden könnte. Der tragende Grund für die Ausreise der Klägerin zu 1) aus Nigeria war der Wunsch, ihre Bauchschmerzen in Europa behandeln zu lassen - ein Grund, der für eine Asylanerkennung oder für die Zuerkennung internationalen Schutzes nicht geeignet ist. Soweit die Klägerin zu 1) darüber hinaus vorgebracht hat, sie habe sich in Russland prostituieren sollen, ist keine irgendwie geartete Verfolgung erkennbar, weil die Klägerin zu 1) nach ihrer Weigerung mit dem Flugzeug nach Nigeria zurückgeschickt wurde, zu keinem Zeitpunkt irgendwie bedroht wurde und somit keine Gefahr einer (Re-)Viktimisierung oder Sekundärviktimisierung erkennbar ist. Soweit sich die Klägerin zu 1) auf Probleme ihres Mannes mit seinem früheren Chef berufen hat, ist nicht erkennbar, dass dies Auswirkungen auf die Klägerin zu 1) habe. Denn eine Verfolgungshandlung durch den Ex-Chef ihres Mannes wurde nicht vorgetragen Es ist auch nicht ansatzweise erkennbar geworden, dass den Klägerinnen die Gefahr einer Beschneidung drohen könne, zumal beide Eltern einer Beschneidung ablehnend gegenüberstehen. Abgesehen davon stünde den Klägerinnen - wie vom Bundesamt zutreffend ausgeführt wurde - die Möglichkeit offen, internen Schutz zu suchen und ihren Wohnsitz in einer nigerianischen Großstadt zu nehmen, in deren Anonymität es vernünftigerweise auszuschließen ist, dass sie in den Einflussbereich von inner- und außerfamiliären Akteuren gelangen könnten (§ 3e Abs. 1 AsylG). Ebenso wenig droht den Klägerinnen in Nigeria ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG.
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Nach diesen Umständen ist es im Sinn von § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Klägerinnen als Asylberechtigte und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes nicht vorliegen.
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2. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).
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a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 25).
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Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
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Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (BVerwG, U.v. 13.06.2013 - 10 C 13.12 - Rn. 24 f.; VGH BW, U.v. 24.07.2013 - A 11 S 697/13 - juris Rn. 79 ff.).
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Außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale können auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden.
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Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist - wie im Rahmen von §§ 3 ff. und § 4 Asylgesetz - der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich aber auch ausreichend, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Es ist allerdings keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 13). Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 23 ff) macht letztlich deutlich, dass bei „nichtstaatlichen“ Gefahren für Leib und Leben ein sehr hohes Gefahrenniveau erforderlich ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 27 m.w.N.). Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche) - vgl. zu den Überschneidungen des Art. 3 EMRK mit dem internen Schutz nach § 3e AsylG (aber auch zu den Unterschieden) ausführlich Marx, ZAR 2017, 304) - Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen.
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Ausgangspunkt für die Gefahrenprognose ist eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation. Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat (zum Ganzen vgl. VG München, B.v. 29.5.2019 - M 32 S 18.30208 - Rn. 20 ff, noch nicht veröffentlicht). Bei der Prüfung, ob der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegenstehen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris Rn. 16). Von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband ist für die Rückkehrprognose in der Regel auch dann auszugehen, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris Rn. 19).
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Zwar sind die allgemeinen Lebensbedingungen in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas mit ca. 200 Millionen Einwohnern, schwierig. Es besteht aber dennoch für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit, ökonomisch eigenständig zu leben und ohne Hilfe Dritter zu überleben. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen ca. 70% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2019, S. 8, 21), der größte Teil der Bevölkerung hat nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zu Wasser und Strom, es existiert kein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Bedürftige und Leistungen der allgemeinen Kranken- und Rentenversicherung kommen nur Beschäftigen im formellen Sektor und damit schätzungsweise nur 10% der Bevölkerung zugute. Die medizinische Versorgung ist zudem gerade auf dem Land mangelhaft und liegt auch in den Großstädten in der Regel unter europäischem Standard (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2019, S. 22). Darüber hinaus werden die Rechte des Kindes in Nigeria nur unzureichend gewährleistet; zwei Drittel der Kinder werden nicht richtig oder unterernährt. Die staatlichen Schulen sind im Allgemeinen in einem schlechten Zustand und Gewalt und sexuelle Übergriffe gegenüber Schülerinnen und Schülern sind an den meisten Schulen Alltag. Schließlich besuchen nur gut 60% der Kinder die Primarschule und nur 40% die Sekundarstufe. Kinderarbeit und -prostitution, Vernachlässigung und Aussetzung von Kindern sind verbreitet (Auswärtiges Amt, Stand: September 2017, S. 15 sowie Stand: September 2019, S. 14). Ferner ist die Situation für alleinstehende Frauen in Nigeria - und damit auch für deren Kinder - nach den vorliegenden Erkenntnismitteln besonders schwierig. So ist davon auszugehen, dass sie trotz der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung von Mann und Frau in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt und diskriminiert werden. Da es in Nigeria keine staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die (Groß-)Familie, Nachbarn oder Freunde abhängig. Jedoch ist es auch für den Personenkreis der alleinstehenden Frauen nicht unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen und ohne Hilfe Dritter zu überleben, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2017, S. 16 f. sowie Stand: September 2019, S. 14 f.). Auch insoweit kann nur in besonders gelagerten Einzelfällen ein Abschiebungsverbot bestehen (vgl. VG Aachen, U.v. 24.5.2012 - 2 K 2051/10.A - juris Rn. 32).
27
Vorliegend ist allerdings nicht ersichtlich, dass im Fall einer Rückkehr der Klägerinnen nach Nigeria die zu erwartende Situation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer derartig erheblichen Gefahrensituation verbunden wäre, aufgrund derer ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vorläge, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ wären. Bei einer Gesamtschau der Lebensverhältnisse der Klägerinnen ist auch unter Berücksichtigung der zweifellos schwierigen wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Bedingungen, die für den Großteil der Bevölkerung Nigerias bestehen, die Befürchtung nicht gerechtfertigt, der Klägerin zu 1) werde es mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen, für sich und ihre beiden Kinder in Nigeria den existentiellen Lebensunterhalt zu sichern, ein Obdach zu finden und Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung zu erhalten. Die Klägerin zu 1) ist jung, gesund, arbeitsfähig und hat den Beruf der Modedesignerin gelernt. Sie hat in der Vergangenheit während der Reise nach Deutschland über einen langen Zeitraum ihren Lebensunterhalt trotz widriger Umstände sicherstellen können. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sie auch in Zukunft durch Arbeitsaufnahme als Modedesignerin, durch Gelegenheitsjobs, ungelernte Tätigkeiten oder als Tagelöhner für den Lebensunterhalt ihrer Familie sorgen und die Existenz ihrer Familie sicherstellen kann. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass es in Nigeria nicht unüblich ist, dass Eltern ihre Kinder zur Berufsausübung - jedenfalls teilweise - mitnehmen. Hinzu kommt, dass in Nigeria eine Vielzahl von Hilfsorganisationen existieren, die die Klägerin zu 1) für ihre Kinder und sich in Anspruch nehmen kann. Abgesehen davon kann sie auch noch auf Unterstützung durch ihre Verwandten in Nigeria hoffen. Hinzu kommt, dass es auch nicht unwahrscheinlich erscheint, dass auch ihr Mann mit nach Nigeria zurückkehren wird und dann zur Sicherung des gemeinsamen Lebensunterhalts durch Arbeit beitragen kann.
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Die COVID-19 Pandemie und die befürchteten wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ändern an dieser Beurteilung nichts.
29
Laut den allgemein zugänglichen Quellen gibt es gegenwärtig in Nigeria 67.412 bestätigte Corona-Fälle (Deutschland: 1.042.700), davon 4.357 aktuelle Fälle (Deutschland: 304.300) und 1.173 Todesfälle (Deutschland: 16.123), Stand: 29.11.2020;
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siehe etwa Nigeria Centre for Disease Control, https://www.ncdc.gov.ng/;
31
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-07-14-de.pdf? blob=publicationFile),
32
was angesichts einer Gesamtbevölkerung von ca. 200 Millionen (Deutschland: 83 Millionen) einem Prozentsatz von etwa 0,000337 (Deutschland: 0,012563) entspricht).
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Bei diesen Zahlen fehlen zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt greifbare Anhaltspunkte für eine ein Abschiebungsverbot rechtfertigende so erhebliche Verschlechterung der humanitären Lage und der allgemeinen Lebensbedingungen durch die Covid-19 Pandemie, dass von einem ganz außergewöhnlichen Fall und zwingenden humanitären Gründen gesprochen werden könnte. Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert hat (vgl. Bundesamt für ..., Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; EASO Special Report: Asylum Trends on COVID-19 vom 11.6.2020, S. 15; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.), hält es das Gericht zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann. Hierzu führte bereits das Verwaltungsgericht Würzburg mit Gerichtsbescheid vom 1.7.2020, Az. W 8 K 20.30151 - juris Rn. 35 folgendes aus: „Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein Gegensteuern des nigerianischen Staates erkennbar ist. So wurde ein Notfallfonds für das „Nigeria Centre for Disease Control“ eingerichtet, ebenso wie Konjunkturpakete, um die Auswirkungen für Haushalte und Betriebe zu lindern; außerdem wurden Nahrungsmittel verteilt (Bundesamt für ..., Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.; https://reliefweb.int/report/nigeria/nigeria-humanitarian-fund-allocation-covid-19-and-humanitarian-response, vom 16.6.2020; https://www.theafricareport.com/26444/coronavirus-recession-in-nigeria-likely-despite-measures-in-place/, vom 20.4.2020). Darüber hinaus hat der internationale Währungsfonds Soforthilfen für Nigeria in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar gewährt (https://www.imf.org/en/News/Articles/2020/04/28/pr20191-nigeria-imf-executive-board-approves-emergency-support-to-address-covid-19, vom 28.4.2020)“. Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht an.
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Dass die Klägerin zu 1) an dem Virus erkranken könnte und die Erkrankung einen so schweren Verlauf nehmen könnte, dass insoweit das Existenzminimum der Klägerin zu 1) und ihrer Kinder von ihr nicht mehr sichergestellt werden könnte, ist angesichts der derzeitigen Kenntnisse somit nicht beachtlich wahrscheinlich.
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Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK kann angesichts des Vortrags der Klägerinnen und der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel nicht festgestellt werden.
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b. Ebenso wenig sind die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich.
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Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht. Für die Annahme einer „konkreten“ Gefahr im Sinne dieser Vorschrift genügt aber nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die geschützten Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist insoweit der Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzuwenden und zwar unabhängig davon, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. „Konkret“ ist die Gefahr, wenn die Verschlechterung „alsbald“ nach der Rückkehr des Betroffenen in den Heimatstaat einträte, weil er dort auf unzureichende Möglichkeiten der Behandlung seiner Leiden träfe und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - juris Rn. 13; U.v. 22.3.2012 - 1 C 3/11 - juris Rn. 34; OVG Münster, U.v. 18.1.2005 - 8 A 1242/03.A - juris Rn. 53; BayVGH, B.v. 23.5.2017 - 9 ZB 13.30236 - juris Rn. 28). Zudem muss eine auf den Einzelfall bezogene, individuell bestimmte und erhebliche, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretende Gefährdungssituation vorliegen und es muss sich um Gefahren handeln, die dem Ausländer landesweit drohen, denen er sich also nicht durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann.
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Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppen allgemein ausgesetzt ist bzw. sind, werden indes allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG kann ein Ausländer daher in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn besteht. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 zu gewähren. Die Abschiebung muss somit ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden.
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Somit gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also - wie hier - die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
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Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen liegen nicht vor. Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst also nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist also nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen, kurz bei existentiellen Gesundheitsgefahren (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2015 - 11 ZB 15.30054 - juris Rn. 10; OVG Münster, B.v. 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A - juris Rn. 56). Dabei ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
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Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (Satz 2). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (Satz 3). Ergänzend zu den in § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG genannten Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung sind auch weiterhin die Kriterien heranzuziehen, die das Bundesverwaltungsgericht als Mindestanforderungen an ein qualifiziertes fachärztliches Attest herausgearbeitet hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 - 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251 ff.). Danach muss sich aus dem fachärztlichen Attest nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, etwa mit Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden, deren Behandlungsbedürftigkeit, der bisherige Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) sowie im Fall einer auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützten PTBS, deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, in der Regel auch eine Begründung dafür, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht wurde.
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Gemessen hieran liegen dem Gericht schon mangels Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerinnen an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leiden, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
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Dasselbe gilt unter Berücksichtigung der derzeitigen COVID-19 (sog. Corona-) Pandemie. Die Gefahr, an einer Corona-Infektion zu erkranken, ist auch in Nigeria eine Gefahr, der die dortige Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist. Derartige Gefahren werden allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG kann ein Ausländer daher in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn besteht. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 zu gewähren. Die Abschiebung muss somit ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden.
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Diese Voraussetzungen einer solchen landesweiten Extremgefahr sind in Nigeria auch im Hinblick auf die COVID-19 Pandemie nicht erfüllt. Eine individuelle, außergewöhnliche Gefahrenlage in diesem Sinne, welche die Schwelle der allgemeinen Gefährdung übersteigt, ist für die Klägerinnen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch bei Berücksichtigung der oben ausgeführten Verbreitung des Corona-Virus nicht erkennbar.
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Die Klägerinnen müssen sich überdies genauso wie bei anderen Erkrankungen gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria behelfen (vgl. VG Würzburg, GB.v. 1.7.2020 - W 8 K 20.30151 - juris Rn. 29ff, 36ff m.w.N.).
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3. Die Ausreiseaufforderung mit der einwöchigen Ausreisefrist und die gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung nach §§ 71a Abs. 4, 34, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG begegnen - auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Juni 2018 - C-181/16 (Gnandi) - sowie des Beschlusses des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 5. Juli 2018 - C-269/18 (PPU) - keinen rechtlichen Bedenken. Das Gericht schließt sich hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit der einwöchigen Ausreisefrist gem. § 36 Abs. 1 AsylG mit dem Unionsrecht den überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Arnsberg im Urteil vom 9. Januar 2019 - 10 K 4187/18.A - (juris Rn. 40 ff., insbesondere 54 ff.) und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 13. Mai 2019 - 11 A 610/19.A - (juris Rn. 50 ff.) an. Denn die einwöchige Ausreisefrist wird durch das gerichtliche Eilverfahren unterbrochen und beginnt entsprechend der gebotenen unionsrechtkonformen Auslegung des § 36 Abs. 1 AsylG (durch entsprechende Anwendung von § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG) mit Bekanntgabe dieser Entscheidung neu zu laufen (vgl. OVG NW, U.v. 13.5.2019 - 11 A 610/19.A - juris Rn. 53, 68 ff.).
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4. Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Klage gegen die Entscheidung über den Asylantrag war sogar als offensichtlich unbegründet abzuweisen, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG unanfechtbare Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 7.11.2008 - 2 BvR 629/06 - juris m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG). Aus den Entscheidungsgründen muss sich klar ergeben, weshalb das Gericht zu einem Urteil nach § 78 Abs. 1 AsylG kommt, warum also die Klage nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen wird (BVerfG a.a.O.). Diese Grundsätze gelten nicht nur für Verfahren, die das Asylgrundrecht betreffen oder in denen es um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus geht, sondern auch für die Abweisung der nur auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gerichteten Klage (vgl. BVerfG a.a.O.; Redeker in BeckOK MigR, 7.Ed. 1.10.2020, AsylG § 78 Rn. 7-9). Da die qualifizierte Klageabweisung nach § 78 Abs. 1 AsylG für alle Rechtstreitigkeiten nach dem AsylG, z.B. auch für die Anfechtungsklagen gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamts nach den §§ 29 und 31 Abs. 3 AsylG, eröffnet ist, dürften die Grundsätze auch insoweit gelten.
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Die Voraussetzungen einer qualifizierten Klageabweisung sind vorliegend gegeben. Aus den obigen Ausführungen und auch aus den Gründen der Eilentscheidung ergibt sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage (siehe oben Nr. 1).
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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6. Dieser Gerichtsbescheid ist unanfechtbar, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 AsylG. Vor dem Hintergrund des asylrechtlichen Beschleunigungsgebots (vgl. BT-Drs. 12/4450 S. 14) meint Unanfechtbarkeit im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 AsylG auch den Ausschluss des Antrags auf mündliche Verhandlung nach der ansonsten geltenden allgemeinen Vorschrift des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (dazu Redeker in BeckOK MigR, 7. Ed. 1.10.2020, AsylG § 78 Rn. 64; ausführlich hierzu VG München, GB.v. 6.2.2006 - M 22 K 07.50600 - juris Rn. 23; GB.v. 8.2.2008 - M 22 K 07.51094 - juris Rn. 33; GB.v. 11.10.2018 - M 1 K 17.42573 - juris Rn. 15; GB.v. 28.2.2019 - M 32 K 17.42655).