Inhalt

VG München, Beschluss v. 13.07.2021 – M 26b E 21.3617
Titel:

Pflicht zur Absonderung gemäß Coronavirus-Einreiseverordnung

Normenketten:
CoronaEinreiseV § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:
Für ein Festhalten an der 14-tägigen Dauer der Einreisequarantäne für einen vollständig geimpften Rückkehrer aus einem Virusvariantengebiet besteht dann kein sachlich gerechtfertigter Grund, wenn die Einstufung des Gebiets wenige Tage nach der Einreise in Hochinzidenzgebiet geändert wird, und der Betroffene die Voraussetzungen für eine Beendigung der für Einreisende aus Hochinzidenzgebieten geltenden Quarantäne erfüllt. (Rn. 26)
1. Die Verpflichtung zur Absonderung nach der Einreise aus einem Risikogebiet ergibt sich wie die Dauer der Absonderungspflicht unmittelbar aus § 4 CoronaEinreiseV, sodass es keiner behördlichen Regelung (Verwaltungsakt) bedarf. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erfüllt der Betroffene die Voraussetzungen für eine Beendigung der für Einreisende aus Hochinzidenzgebieten geltenden Quarantäne, ist ein Festhalten an der 14-tägigen Dauer der Einreisequarantäne für einen vollständig geimpften Rückkehrer aus einem Virusvariantengebiet sachlich nicht gerechtfertigt. Dies gilt insbesondere dann, wenn nach der Einreise das Virusvariantengebiet zum Hochinzidenzgebiet herabgestuft wird. (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einreise eines zweifach gegen COVID 19 Geimpften aus einem Virusvariantengebiet, Herabstufung eines Virusvariantengebiets zum Hochinzidenzgebiet nach der Einreise, Absonderung, Quarantäne, Virusvariantengebiet, vollständig geimpft, Einreise, Umstufung, Coronavirus
Fundstelle:
BeckRS 2021, 19873

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Pflicht des Antragstellers, sich gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 CoronaEinreiseV nach der Einreise aus dem Vereinigten Königreich abzusondern, mit der Änderung der Einstufung des Vereinigten Königreichs vom Virusvariantenzum Hochinzidenzgebiet und der Vorlage eines Nachweises über die vollständige Impfung am 7. Juli 2021 geendet hat.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Pflicht zur Absonderung gemäß der Coronavirus-Einreiseverordnung (Verordnung zum Schutz vor einreisebedingten Infektionsgefahren in Bezug auf das Coronavirus SARS-CoV-2 nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag vom 12. Mai 2021 in der seit 10. Juni 2021 gültigen Fassung - CoronaEinreiseV).
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Der Antragsteller reiste am 4. Juli 2021 aus dem Vereinigten Königreich in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Vereinigte Königreich war zu diesem Zeitpunkt als Virusvariantengebiet eingestuft. Mit Wirkung zum 7. Juli 2021 wurde die Einstufung geändert und das Vereinigte Königreich nunmehr als Hochinzidenzgebiet eingestuft.
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Der Antragsteller meldete seine Einreise über das elektronische Einreiseportal an und legte nach entsprechender Aufforderung der Antragsgegnerin am 7. Juli 2021 sowohl einen negativen COVID-19-Test vom Tag der Einreise als auch einen Nachweis der vollständigen Impfung gegen COVID-19 bei der Antragsgegnerin vor.
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Mit E-Mail vom 7. Juli 2021 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, er habe sich bis zum 18. Juli 2021 (23:59 Uhr) in Quarantäne zu begeben und diese zwingend einzuhalten.
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Mit E-Mail vom gleichen Tage wies der Antragsteller die Antragsgegnerin darauf hin, das Vereinigte Königreich sei nunmehr als Hochinzidenzgebiet und nicht mehr als Virusvariantengebiet eingestuft worden, weil die Delta-Variante des SARS-CoV-2-Virus inzwischen auch in Deutschland vorherrschend sei. Da er über einen Impfnachweis verfüge und sich somit - würde er am heutigen Tage einreisen - nicht in Quarantäne begeben müsse, sei auf ihn § 4 Abs. 2 Satz 2 CoronaEinreiseV entsprechend anzuwenden. Es gehe von ihm keine andere Gefährdungslage aus als von einer heute aus dem Vereinigten Königreich einreisenden Person.
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Die Antragsgegnerin entgegnete ebenfalls per E-Mail, für den Antragsteller gelte trotz der geänderten Einstufung unverändert die 14-tägige Absonderungspflicht nach § 4 Abs. 2 Satz 5 CoronaEinreiseV für Einreisende aus Virusvariantengebieten, da im maßgeblichen Zeitpunkt der Einreise am 4. Juli 2021 das Einreiseland als Virusvariantengebiet eingestuft gewesen sei. Sie halte daher an der Auffassung fest, dass sich der Antragsteller bis 18. Juli 2021 in Quarantäne begeben müsse. Eine Verkürzung der Quarantänedauer sei nicht möglich.
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Am 8. Juli 2021 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes:
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„Die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2021 gegen den Antragsteller, bis zum 18. Juli 2021, 23:59 Uhr, in Quarantäne zu verbleiben, wird aufgehoben.“
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Die Quarantäneverfügung der Antragsgegnerin sei rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen Rechten. Sie sei rechtswidrig, da seit dem 7. Juli 2021 das Vereinigte Königreich unstreitig als Hochinzidenzgebiet und nicht mehr als Virusvariantengebiet gelte. Der Grund dafür sei, dass die dortige Delta-Variante auch in Deutschland vorherrschend sei. Bei der Einreise aus einem Hochinzidenzgebiet müsse ein Reisender in Deutschland nicht in Quarantäne, wenn er der zuständigen Gesundheitsbehörde einen Impfnachweis übermittle. Zwar sei er schon am 4. Juli 2021 eingereist; jedoch müsse ab dem 7. Juli 2021 zumindest in entsprechender Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 2 CoronaEinreiseV seine Quarantänepflicht entfallen, da von ihm keine andere Gefährdungslage ausgehe als von einer ab dem 7. Juli 2021 aus dem vereinigten Königreich einreisenden Person.
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Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2021 beantragte die Antragsgegnerin:
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Der Antrag wird abgelehnt.
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Die 14-tägige Absonderungspflicht für Einreisende aus Virusvariantengebieten ergebe sich aus § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 4 und 5 CoronaEinreiseV. Ausdrücklich normierte Ausnahmen zugunsten des Antragstellers seien nicht ersichtlich, insbesondere mit Blick auf § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 CoronaEinreiseV. Maßgeblicher Zeitpunkt für die sich aus der CoronaEinreiseV ergebenden Rechte und Pflichten sei die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland. Entscheidend sei nach dem Wortlaut der Verordnung, ob ein Land, in dem sich eine Person binnen 10 Tagen vor der Einreise aufgehalten habe, zum Zeitpunkt der Einreise als Risikogebiet, Hochinzidenzgebiet oder Virusvariantengebiet eingestuft werde. Nachträgliche Änderungen in der Einstufung seien nicht erheblich und weder hinsichtlich des Endes der Absonderungspflicht nach § 4 Abs. 2 CoronaEinreiseV noch als Grund für eine nachträgliche Ausnahme nach § 6 CoronaEinreiseV beachtlich. Die Absonderungspflicht entfalle auch nicht in analoger Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 2 CoronaEinreiseV. Es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke für eine analoge Anwendung, da es sich bei der Regelung um eine bewusste Entscheidung des Verordnungsgebers handele, dem die Problematik der Änderung eine Einstufung eines Einreiselandes bekannt gewesen sei. Es bestehe auch keine vergleichbare Interessenlage, da die Gefahrenlage bei Einreise aus einem bestimmten Land zu unterschiedlichen Zeitpunkten nicht ohne weiteres vergleichbar sei. Laut Robert Koch-Institut sei das Ansteckungsrisiko in Virusvariantengebieten besonders hoch. Um eine zusätzliche Belastung des hiesigen Gesundheitssystems durch den unkontrollierten Eintrag neuer Virusvarianten zu verhindern, sei der Eintrag neuer Infektionen weiterhin zu limitieren. In der CoronaEinreiseV seien für die Kreisverwaltungsbehörde keine Möglichkeiten vorgesehen, nach pflichtgemäßem Ermessen Einzelfallentscheidungen zu treffen. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass sich die Quarantäneverpflichtung bereits unmittelbar aus der CoronaEinreiseV ergebe und es keines gesonderten Verwaltungsaktes bedürfe. Ein solcher sei auch nicht Gegenstand der E-Mail der Antragsgegnerin gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat Erfolg.
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1. Der Antrag auf einstweilen Rechtsschutz ist nach § 123 VwGO zulässig.
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1.1. Der als „Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung“ bezeichnete und im wohlverstandenen Interesse des Antragstellers gem. §§ 88, 122 VwGO auszulegende Antrag ist als Antrag nach § 123 VwGO statthaft, da in der Hauptsache eine Feststellungsklage zu erheben wäre.
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Der Antrag zielt nach dem erkennbaren Begehren des Antragstellers darauf ab, festzustellen, dass er zur Absonderung nach § 4 CoronaEinreiseV nicht verpflichtet ist.
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Es besteht keine gemäß § 123 Abs. 5 VwGO vorrangige Möglichkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO, da es sich bei der vom Antragsteller als „Quarantäneanordnung“ bezeichneten E-Mail der Antragsgegnerin nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Die Antragsgegnerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Verpflichtung zur Absonderung nach der Einreise aus einem Risikogebiet ebenso wie die Dauer der Absonderungspflicht unmittelbar aus § 4 CoronaEinreiseV ergibt, sodass es einer behördlichen Regelung nicht bedarf. Mit einer „Aufhebung“ der E-Mail der Antragsgegnerin, mit der diese den Antragsteller auf die Dauer der Absonderungspflicht hingewiesen hat, wäre dem Antragsteller ebenfalls nicht gedient, nachdem sich die zwischen den Parteien streitigen Pflichten unmittelbar aus der Verordnung ergeben.
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Der auf Feststellung gerichtete Antrag ist auch nicht etwa wegen des Vorrangs eines spezielleren Rechtsbehelfs unzulässig. Insbesondere kommt einstweiliger Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO im vorliegenden Fall nicht in Betracht, da es sich bei der CoronaEinreiseV um eine Bundesverordnung handelt, die nicht Gegenstand einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO sein kann.
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1.2. Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein Feststellungsbegehren sind gegeben. Insbesondere besteht ein streitiges Rechtsverhältnis, da zwischen Parteien Streit über die Fortgeltung der Absonderungspflicht des Antragstellers besteht. Es bestehen auch keine Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis, da sich der Antragsteller mit seinem Anliegen zunächst an die für die Anwendung der streitigen Norm zuständige Behörde gewandt hat.
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2. Der Antrag nach § 123 VwGO ist auch begründet.
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Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch -grund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (BayVGH, B.v. 16.8.2010 - 11 CE 10.262 - juris Rn. 20 m.w.N.). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
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Das Gericht kann grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen, es sei denn, dass eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG) schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für die Antragspartei unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein Obsiegen der Antragspartei in der Hauptsache offensichtlich oder doch zumindest überwiegend wahrscheinlich ist.
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2.1. Im vorliegenden Fall ist ein Anordnungsgrund im Sinne einer Dringlichkeit ohne Zweifel gegeben, da die von der Antragsgegnerin behauptete Absonderungspflicht des Antragstellers erheblich in die Rechte des Antragstellers eingreift und ihm mit einer nachträglichen Feststellung, dass eine Absonderungspflicht nicht bestanden hat, nach Ablauf der behaupteten Absonderungsdauer (18. Juli 2021) nicht mehr gedient ist.
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2.2. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch auf Feststellung, dass die Absonderungspflicht nicht besteht, glaubhaft gemacht.
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Wegen der Herabstufung des Vereinigten Königreichs vom Virusvariantengebiet in ein Hochinzidenzgebiet drei Tage nach der Einreise des Antragstellers ist die Fortdauer der Absonderungspflicht im konkreten Einzelfall rechtswidrig, weil sie zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung gegenüber solchen Personen führt, die nach erfolgter Herabstufung zum Hochinzidenzgebiet eingereist sind.
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Die CoronaEinreiseV differenziert bei den Risikogebieten zwischen Hochinzidenzgebiet und Virusvariantengebiet (§ 2 Nr. 3 CoronaEinreiseV) und knüpft unterschiedliche Rechtsfolgen an die Einreise vollständig geimpfter Personen aus solchen Gebieten. Im Ausgangspunkt sind Personen, die in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind und sich zu einem beliebigen Zeitpunkt in den letzten zehn Tagen vor der Einreise in einem zum Zeitpunkt der Einreise als Risikogebiet eingestuften Gebiet aufgehalten haben, gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 CoronaEinreiseV verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf eigene Kosten für einen Zeitraum nach § 4 Abs. 2 CoronaEinreiseV abzusondern. Der Begriff des Risikogebiets umfasst gemäß § 2 Nr. 3 CoronaEinreiseV auch Hochinzidenzgebiete und Variantengebiete. Die jeweilige Einstufung wird vom Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat festgelegt und vom Robert Koch-Institut im Internet veröffentlicht. Bei der Einreise aus einem Virusvariantengebiet beträgt die Absonderungsdauer unabhängig davon, ob die einreisende Person genesen, geimpft oder negativ getestet ist, 14 Tage ohne Möglichkeit einer Verkürzung (§ 4 Abs. 2 Satz 5 CoronaEinreiseV). Die Anwendung von Ausnahmevorschriften ist größtenteils ausgeschlossen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 CoronaEinreiseV). Weniger streng sind die Vorgaben für die Absonderungsdauer bei der Einreise aus einem Hochinzidenzgebiet. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 Corona Einreise V endet die Pflicht zur Absonderung für genesene oder geimpfte Personen dann, wenn diese den Genesenennachweis oder den Impfnachweis an die zuständige Behörde übermitteln. Außerdem ist im Falle der Einreise aus einem Hochinzidenzgebiet das „Freitesten“ durch Übermittlung eines negativen Testnachweises möglich, wenn die zugrundeliegende Testung frühestens fünf Tage nach der Einreise erfolgt ist (§ 4 Abs. 2 Satz 3 CoronaEinreiseV).
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Maßgeblich für die Einstufung eines Gebietes im Ausland als Virusvariantengebiet ist die Verbreitung einer Virusvariante, die nicht zugleich in Deutschland ähnlich stark verbreitet auftritt und von der anzunehmen ist, dass von ihr ein besonderes Risiko aufgrund geänderter Viruseigenschaften ausgeht. Die Einstufung als Virusvariantengebieten wird in der Regel beendet, wenn eines dieser Kriterien zur Einstufung wegfällt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn etwa nach einem gewissen Zeitablauf die Variante auch in Deutschland entsprechend vergleichbar verbreitet auftritt (Begründung zur CoronaEinreiseV, Seite 27, abgerufen am 13.7.2021 unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Verordnungen/Coron...21.pdf).
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Nachdem die Delta-Variante des SARS-CoV-2 Virus zwischenzeitlich auch in der Bundesrepublik Deutschland vorherrscht, konnte nicht mehr von einer unterschiedlich starken Verbreitung der Delta-Variante im Vereinigten Königreich und der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden, sodass die Einstufung als Virusvariantengebiet durch die zuständigen Bundesministerien beendet und das Vereinigten Königreich wegen der derzeit wieder stark ansteigenden Infektionszahlen stattdessen als Hochinzidenzgebiet eingestuft. Die Änderung der Einstufung wurde vom Robert Koch-Institut veröffentlicht (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete_neu.html/).
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Der Antragsgegnerin ist zuzugestehen, dass die CoronaEinreiseV nach ihrem Wortlaut strikt darauf abstellt, ob ein Gebiet im Zeitpunkt der Einreise als Risikogebiet, Virusvariantengebiet oder Hochinzidenzgebiet eingestuft war und daran die entsprechenden Quarantänefolgen knüpft. Übergangsregelungen für die „Umstufung“ von Gebieten sind in der Verordnung nicht vorgesehen.
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Dies führt jedoch im konkreten Fall des vollständig geimpften Antragstellers zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber solchen Personen, die ab dem 7. Juli 2021 aus dem Vereinigten Königreich in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und ebenfalls vollständig geimpft sind. Denn für diese Personen endet mit der Übermittlung des Impfnachweises an die zuständige Behörde die Pflicht zur Absonderung (§ 4 Abs. 2 Satz 2 CoronaEinreiseV). Der Antragsteller ist diesen Personen gegenüber schlechter gestellt, da er bei wörtlicher Anwendung der Verordnung ohne jede Möglichkeit der Verkürzung zu einer 14-tägigen Absonderung verpflichtet ist.
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Dies verstößt gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Dieser gebietet, wesentlich gleiche Sachverhalte gleich und wesentlich ungleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln. Differenzierende Regelungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angemessen sind (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 24. März 2015 - 1 BvR 2880/11 -, juris, Rn. 38 f., m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 8 C 6.15 -, juris, Rn. 76).
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Im vorliegenden Fall hat die Ungleichbehandlung erhebliches Gewicht, sodass an die rechtfertigenden Sachgründe hohe Anforderungen zu stellen sind. Die Pflicht zur Aussonderung greift empfindlich in die Bewegungsfreiheit, die allgemeine Handlungsfreiheit und - auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit von zu Hause aus zu arbeiten - in die Berufsausübungsfreiheit dar. Hinreichende sachliche Gründe, die eine Ungleichbehandlung des Antragstellers gegenüber Personen, die ab dem 7. Juli 2021 vom Vereinigten Königreich in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, rechtfertigen würden, hat die Antragsgegnerin nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
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Die 14-tägige strikte Absonderungspflicht für Einreisende aus Virusvariantengebieten dient dem Zweck, den Eintrag von besorgniserregenden Virusvarianten, die im Ausland, jedoch noch nicht in der Bundesrepublik Deutschland verbreitet sind, möglichst effektiv einzudämmen. Je geringer der Unterschied im Ausbreitungsgrad einer besorgniserregenden Virusvarianten im In- und Ausland ist, desto weniger lässt sich die strikte Absonderungspflicht rechtfertigen. Mit der Umstufung des Vereinigen Königreichs von Virusvariantengebiet zum Hochinzidenzgebiet ab dem 7. Juli 2021 steht fest, dass die Gefährdungssituation nicht mehr in dem Eintrag besorgniserregender Varianten besteht, sondern nunmehr in der generell hohen Inzidenz, welche dort herrscht. Der Antragsteller hat darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die Ausbreitung der besorgniserregenden Delta-Variante zwischen dem Vereinigten Königreich und der Bundesrepublik Deutschland kein signifikanter Unterschied mehr bestand. Dies konnte auch der Tagespresse so entnommen werden und wird von der Antragsgegnerin nicht bestritten. Besondere Anforderungen an die Glaubhaftmachung sind daher nicht zu stellen.
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Die besondere Gefährdungssituation durch den Eintrag besorgniserregender Virusvarianten, die in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht verbreitet sind, ist somit beendet, weil die besorgniserregenden Delta-Variante bereits auch in Deutschland vorherrscht. Es ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich, dass vom Antragsteller, welcher am 4. Juli 2021 und damit nur wenige Tage vor der Aufhebung der Einstufung als Virusvariantengebiet eingereist ist, eine größere Gefahr für das Infektionsgeschehen ausgehen sollte als von einer Person, die am 7. Juli 2021 eingereist ist. Der mit der strikten 14-tägigen Absonderungspflicht verfolgte Zweck, den Eintrag der besorgniserregenden Delta-Variante in die Bundesrepublik Deutschland möglichst effektiv einzudämmen, ist schlicht nicht mehr zu erreichen, wenn diese Variante auch hierzulande bereits überwiegt. Dies verkennt die Antragsgegnerin, wenn sie meint, auch wenn sich die Einstufung mittlerweile geändert habe, lasse sich die Gefährdungslage nicht ohne weiteres retrospektiv gleichsetzen.
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Die strikte Anwendung der 14-tägigen Quarantänedauer auf den vorliegenden Fall stellt einen verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) dar, der dadurch aufgelöst werden kann, dass auf den Antragsteller mit dem Zeitpunkt der Umstufung zum Hochinzidenzgebiet die Regelungen für Einreisende aus Hochinzidenzgebieten angewendet werden. Dies bedeutet für den Antragsteller, dass seine Absonderungspflicht gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 CoronaEinreiseV durch Übermittlung eines Nachweises der vollständigen Impfung endet.
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Es war daher festzustellen, dass die Quarantäne des Antragstellers mit der Umstufung zum Hochinzidenzgebiet und der Vorlage des Impfnachweises am 7. Juli 2021 geendet hat.
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2.3. Die mit der gerichtlichen Entscheidung verbundene Vorwegnahme der Hauptsache ist im vorliegenden Fall zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) notwendig, da der Antragsteller andernfalls nicht gerechtfertigten unzumutbaren Grundrechtseingriffe ausgesetzt wäre, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. dem Streitwertkatalog. Von einer Reduzierung des Streitwerts (Nr. 1. 5 des Streitwertkatalogs) wurde in Anbetracht der Vorwegnahme der Hauptsache abgesehen.