Titel:
Offensichtlich unbegründeter Asylantrag einer nigerianischen Frau mit zwei Kindern
Normenketten:
AsylG § 30, § 78 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Ausgangspunkt für die Gefahrenprognose für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände, wie einer familiären Anbindung in der Region. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufgrund der bestätigten Corona-Fälle in Nigeria bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte für eine, ein Abschiebungsverbot rechtfertigende, erhebliche Verschlechterung der humanitären Lage und der allgemeinen Lebensbedingungen durch die Covid-19-Pandemie, dass von einem ganz außergewöhnlichen Fall und zwingenden humanitären Gründen gesprochen werden könnte. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl Nigeria, Offensichtlich unbegründete Klage, Keine Abschiebungsverbote, Unanfechtbarer Gerichtsbescheid, Covid-19-Pandemie, humanitäre Lage, allgemeine Lebensbedingungen, Gesundheitsversorgung, familiäre Anbindung, Nigeria
Fundstelle:
BeckRS 2021, 19870
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
1
Die Klägerin hat zwei Söhne, die 2017 und 2019 geboren wurden. Der Asylantrag des 2019 geborenen Sohns der Klägerin ist vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - mit Bescheid vom 13. November 2019 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden; die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 11. Mai 2020 (Az. M 8 K 19.34258) abgewiesen.
2
Die Klägerin ist nach eigenen Angaben eine nigerianische Staatsangehörige, der Volksgruppe Edo zugehörig und christlichen Glaubens. Sie verließ Nigeria nach eigenen Angaben am 24. Juni 2014, reiste nach einem fast 3 Jahre langen Aufenthalt in Italien auf dem Landweg am 29. Juni 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 7. Juli 2017 einen Asylantrag. In diesem Zusammenhang gab sie - wie bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 11. Mai 2020 (Az. M 8 K 19.34258 ausgeführt wurde - unter anderem an, dass in Nigeria noch ihre Mutter und ihr Bruder lebten. Ihre wirtschaftliche Situation in Nigeria sei durchschnittlich gewesen. Sie habe die Mittelschule besucht und in einem Supermarkt als Verkäuferin gearbeitet (Bl. 50 BA-7155887-232). Außerdem gab sie an, ca. im fünften Monat schwanger zu sein (Bl. 62 BA-7155887-232). Weiterhin ist in dem o.g. Urteil zutreffend folgendes ausgeführt:
„In dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 7. Juli 2017 führte sie unter anderem aus, Nigeria am 24. Juni 2014 verlassen und über den Niger, Libyen, Italien und die Schweiz am 29. Juni 2017 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein (Bl. 21 BA-7155887-232). In Italien sei sie am 18. Juli 2014 angekommen, habe dort internationalen Schutz beantragt und sich drei Jahre in Padua in einer Asylunterkunft aufgehalten (Bl. 22 BA-7155887-232).
In ihrer Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 7. Juli 2017 erklärte sie unter anderem auf die Frage nach Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder einer Behinderung, dass sie Derartiges nicht habe. Sie sei jedoch im sechsten Monat schwanger. Der Vater ihres Kindes habe sie verlassen. Ihr Asylantrag sei in Italien endgültig abgelehnt worden. Sie habe keine staatliche Versorgung in Italien gehabt. Deshalb sei sie nach Deutschland gekommen. Schutzwürdige Belange, die bei der Entscheidung über ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu berücksichtigen seien, habe sie nicht; sie sei allein hier in Deutschland (Bl. 68 ff. BA-7155887-232).
In ihrer Anhörung gemäß § 25 Asylgesetz am 7. Juli 2017 erklärte die Klägerin nach der nur teilweise in der Akte befindlichen Niederschrift unter anderem, dass sie 30.000 Naira (= 82 Euro) für die Flucht nach Italien bezahlt habe. Für die Fahrt von Libyen nach Italien habe sie kein Geld bezahlen müssen. Sie habe das Geld in Nigeria gespart gehabt. Ihr Vater sei bereits verstorben, ihre Mutter lebe in Benin City. Außerdem lebten in Nigeria noch ein Bruder, Onkel und Tanten und die Großfamilie. Sie habe zwölf Jahre die Schule besucht. Sie habe als Verkäuferin in einem Supermarkt gearbeitet (Bl. 73 BA-7155887-232). Befragt zu ihrem Verfolgungsschicksal und den Gründen für ihren Asylantrag erklärte die Klägerin, dass sie Nigeria verlassen habe, weil sie und ihre Familie dort ein hartes Leben gehabt hätten. Ihre Mutter sei allein gewesen, ihr Bruder habe nicht in die Schule gehen können, weil sie kein Geld gehabt hätten. Sie habe Nigeria verlassen, um eine bessere Arbeit zu bekommen, damit sie ihre Familie in Nigeria unterstützen könne. Sie hätten einen Raum in einem Haus gemietet gehabt. Im Supermarkt habe sie etwa 10.000 Naira pro Monat verdient. Mit ihrer Mutter spreche sie auch derzeit noch ein bis zweimal in der Woche (Bl. 73 BA-7155887-232).
Gegenüber der Regierung von Oberbayern erklärte die Klägerin am 18. Juli 2017 unter anderem, dass sie in Nigeria in Edo State, LGA Oredo, Stadt Benin City geboren sei. Sie gehöre der Volksgruppe der Edo an (Bl. 100 f. BA-7155887-232). Ihre letzte offizielle Adresse in Nigeria sei in Edo State, LGA Oredo, Benin City gewesen. Dort habe sie sich bis zu ihrer Ausreise aufgehalten. Sie habe dort mehr als zehn Jahre mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder gewohnt. Diese lebten immer noch dort (Bl. 102 BA-7155887-232). Sie habe auch jetzt noch telefonischen Kontakt zu ihrer Mutter. Sie sei nicht verheiratet, aber im sechsten Monat schwanger. Sie habe keine Verwandten in Deutschland. Sie habe insgesamt zwölf Jahre in Benin die Schule besucht (Bl. 103 f. BA-7155887-232). Sie habe im Verkauf gearbeitet; einen offiziellen Beruf habe sie nicht gehabt. Sie habe Nigeria am 24. Juni 2014 verlassen und sei erst auf dem Landweg in den Niger gereist. Dort sei sie drei Tage geblieben und weiter nach Libyen gereist, wo sie sich eine Woche und noch ein paar Tage aufgehalten habe. Dann sei sie auf dem Seeweg nach Italien gereist. Im März seien sie gerettet und nach Sizilien gebracht worden. Dort sei sie nur drei Tage geblieben und sei danach nach Grosseto in ein Camp transferiert worden. Dort sei sie neun Monate geblieben. Dann sei sie nach Faenza zu einer Freundin umgezogen. Dort sei sie mehr als ein Jahr geblieben. Danach sei sie nach Padua umgezogen; da habe sie ein Zimmer gemietet und sei dort bis zu ihrer Ausreise nach Deutschland geblieben. Von dort sei sie mit dem Zug nach Mailand gefahren und dann über die Schweiz nach Deutschland. Für die Schleusung habe sie niemandem etwas bezahlt, sie habe alles selbst organisiert (Bl. 104 f. BA-7155887-232).“
3
Ein sog. Info-Request nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 22. Februar 2018 und 4. April 2018 wurde von der Republik Italien nicht beantwortet.
4
In der ergänzenden Anhörung gemäß § 25 Asylgesetz am 18. Mai 2018 führte die Klägerin, nochmals befragt zu ihrem Verfolgungsschicksal und den Gründen für ihren Asylantrag, aus, dass sie in Nigeria zu dritt gewesen seien. Sie habe einen Bruder und ihre Mutter. Ihre Mutter sei krank. Sie habe Nigeria verlassen und habe nach Libyen gehen wollen, um ihren Bruder zu unterstützen, damit dieser in die Schule gehen könne. Das Straßenleben in Nigeria sei nicht einfach, deswegen habe sie nach Libyen gehen wollen. Dort in Libyen sei das Leben aber genauso schwer gewesen. Mithilfe eines Freundes habe sie dann nach Italien weggehen können. Selbst habe sie kein Geld mehr gehabt. Sie habe noch Kontakt zu ihrer Mutter. Auf Frage, wie es ihrer Familie momentan gehe, gab die Klägerin an, dass ihre Mutter Brustschmerzen habe. Sie habe Probleme. Ihrem Bruder gehe es gut. Ihre Mutter und ihr Bruder lebten inzwischen an einer anderen Adresse in Benin City. Die genaue Adresse wisse sie aber nicht. Sie lebten zusammen. Sonst wohne niemand bei ihnen (Bl. 200 f. BA-7155887-232). Auf Frage, was sie im Fall einer Rückkehr nach Nigeria erwarten würde, erklärte die Klägerin, dass es nicht einfach für sie wäre. Sie sei lange nicht mehr in Nigeria gewesen. Wenn ihre Mutter erfahren würde, dass sie nicht freiwillig wieder zurück nach Hause komme, wäre ich sie nicht erfreut. Auf Frage, weshalb ihre Mutter nicht erfreut wäre, führte die Klägerin aus, dass ihre Mutter, wenn man mit Papieren zum Beispiel zu Besuch kommen würde, erfreut wäre. Es sei aber etwas anderes, wenn man nicht freiwillig kommen und abgeschoben werden würde. Dann wäre sie nicht erfreut. Auf Nachfrage gab die Klägerin an, dass sie für ihren 2017 geborenen Sohn keine eigenen, weitergehenden Gründe geltend mache. Sie wolle nicht, dass ihr (erster) Sohn in Nigeria auf der Straße leben müsste. Im Übrigen verwies sie auf ihre bereits getätigte Stellungnahme zu den Asylgründen ihres (ersten) Sohnes. Auf Nachfrage, wer der Vater ihres ersten Sohnes sei, antwortete die Klägerin, dass er nicht hier sei. Sie seien zusammen in Italien gewesen, hätten aber keinen Kontakt mehr (Bl. 201 BA-7155887-232).
5
Gegenüber der Regierung von Oberbayern erklärte die Klägerin am 5. Juni 2018 unter anderem, dass sie in Nigeria in Kalaba State, Cross River Town, geboren, jedoch nicht aufgewachsen sei (Bl. 215 BA-7155887-232). Sie gehöre dem Stamm der Edo-Benin an. Sie habe noch telefonischen Kontakt zu ihrem Bruder in Nigeria (Bl. 216 BA-7155887-232). An ihrer letzten offiziellen Adresse in Nigeria habe sie gewohnt, seitdem sie ein Teenager gewesen sei. Sie habe dort mit ihrer Mutter und ihrem Bruder gewohnt. Diese Personen wohnten immer noch dort (Bl. 217 BA-7155887-232). Über ihren Bruder habe sie auch noch Kontakt zu ihrer Mutter. Sie sei nicht verheiratet. Sie habe auch keinen Kontakt zum Vater ihres ersten Sohnes; er lebe noch in Italien. Sie habe zwölf Jahre die Schule besucht, aber nicht abgeschlossen. Sie sei zwei Jahre lang Verkäuferin gewesen und habe im Monat 10.000 Naira verdient (Bl. 218 BA-7155887-232). Für die Reise von Nigeria nach Libyen habe sie 40.000 Naira bezahlen müssen. Eine Freundin habe ihr geholfen, nach Italien zu kommen; sie habe nichts bezahlen müssen. Es sei ihr eigenes Geld gewesen (Bl. 219 BA-7155887-232).
6
Mit Bescheid vom 9. Juli 2018 lehnte das Bundesamt die Anträge der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asylanerkennung und Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus als offensichtlich unbegründet ab (Ziffern 1-3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen (Ziffer 4), forderte die Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, drohte ihr für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, an (Ziffer 5) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Bl. 231 BA-7155887-232). Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigte offensichtlich nicht vorlägen. Gemäß § 30 Abs. 2 Asylgesetz sei ein Asylantrag insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich sei, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhalte. Die Klägerin sei offensichtlich kein Flüchtling im Sinne des § 3 Asylgesetz. Aus ihrem Sachvortrag sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Eine Verletzung der Rechte in Bezug auf wirtschaftliche und soziale Rechte stelle grundsätzlich keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung dar. Nur, wenn ein Staat seiner Bevölkerung vorsätzlich den Zugang zu diesen Gütern begrenze oder sogar nur einer bestimmten Gruppe der Bevölkerung den Zugang bewillige, könnten diese Handlungen Verfolgung darstellen. Anhaltspunkte für eine solche Benachteiligung seien von der Klägerin nicht vorgetragen worden und lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamtes nicht vor. Auch der Wunsch der Klägerin, durch die Ausreise ihrer Familie in Nigeria helfen zu wollen, sei flüchtlingsrechtlich unbeachtlich. Das Asyl- und Flüchtlingsrecht habe die Aufgabe, politisch Verfolgten Schutz und Zuflucht zu bieten, und nicht, all denen Aufnahme zu gewähren, die mit einem Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik Deutschland andere Wünsche und Hoffnungen verbinden würden als den Schutz vor politischer Verfolgung, wie vorliegend die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lebenssituation. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Asylgesetz sei somit abzulehnen gewesen. Für den Asylantrag seien von der Klägerin lediglich wirtschaftliche Gründe und das Bestreben, einer allgemeinen Notsituation im Heimatland zu entgehen, vorgetragen worden. Da neben den in § 30 Abs. 2 Asylgesetz genannten Aufenthaltsmotiven keine asylrechtlich relevanten Gründe vorgetragen oder sonst ersichtlich seien, sei der Antrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen gewesen (Bl. 232 f. BA-7155887-232). Der Klägerin drohe ebenfalls offensichtlich kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz. Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe sei weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich. Die Klägerin habe auch keine individuell durch einen konkret handelnden Täter drohende Gefahr der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung in Nigeria vorgetragen. Die Klägerin müsse auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit befürchten, weil sie als Zivilperson nicht von willkürlicher Gewalt im Rahmen eines in ihrem Herkunftsland bestehenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts betroffen sei. Zwar bestehe im gesamten Bundesstaat Borno, in den östlichen Local Government Areas des Bundesstaates Yobe sowie in den nördlichen LGAs des Bundesstaates Adamawa ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Form von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen nigerianischen Sicherheitskräften, unterstützt von örtlichen Bürgerwehren, einerseits und der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram andererseits. Die Vorkommnisse erreichten derzeit jedoch nicht allgemein für alle Personen in diesen Regionen ein Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit, dass Angehörige der Zivilbevölkerung infolge der Gefahrenverdichtung einer erheblichen individuellen und willkürlichen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären. Schließlich habe die Klägerin auch keine persönlichen Umstände vorgetragen, die die Gefahr für sie so erhöhten, dass von individuellen konfliktbedingten Gefahren gesprochen werden könne. Nach Ablehnung des internationalen Schutzes als offensichtlich unbegründet lägen auch die engeren Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigte offensichtlich nicht vor (Bl. 234 BA-7155887-232).
7
Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Wie bereits im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Asylgesetz festgestellt, drohe der Klägerin in Nigeria keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. In Bezug auf Gefahren einer Verletzung des Art. 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohten, sei daher keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar. Darüber hinaus komme nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise auch dann in Betracht, wenn die Klägerin im Fall ihrer Abschiebung tatsächlich Gefahr laufen würde, im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellte. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten jedoch nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung der Klägerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorläge. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt (Bl. 235 BA-7155887-232). Für die Klägerin könne aufgrund ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria keine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende besondere - außergewöhnliche - Gefahrenlage angenommen werden. Sie habe nach eigenen Angaben zwölf Jahre lang die Schule besucht. Ihre Schulbildung erweise sich damit für nigerianische Verhältnisse als überdurchschnittlich. Hinzu komme, dass die Klägerin bereits Berufserfahrung als Verkäuferin in einem Supermarkt erworben habe. Zudem könne sie in Nigeria auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen. Bei Rückkehr in den durch starken Zusammenhalt geprägten Familienverband sei zumindest die Grundversorgung im Rahmen von deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gesichert. Auch unter Berücksichtigung ihrer Unterhaltspflicht für ein minderjähriges Kind sei nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria in eine existenzielle Notlage geraten würde (Bl. 236 BA-7155887-232). Der Klägerin drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz führen würde (Bl. 237 BA-7155887-232).“
8
Gegen diesen Bescheid erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 19. Juli 2018 bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage und beantragte gleichzeitig nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
9
Zur Begründung wurde auf die Ausführungen der Klägerin im Rahmen ihrer Anhörungen vor dem Bundesamt verwiesen und vorgebracht, die Anträge seien jedenfalls keinesfalls offensichtlich unbegründet.
10
Mit Beschluss vom 25. November 2020 lehnte das Gericht den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ab; auf die Gründe des Beschlusses wird verwiesen (Az. M 32 S 18.32870).
11
Mit Schreiben vom 19. Februar 2021 hörte das Gericht die Parteien zum Erlass eines Gerichtsbescheides an und gab ihnen auch Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme zur Streitsache. Eine Äußerung erfolgte nicht.
12
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
13
Die Klage bleibt ohne Erfolg.
14
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO.
15
Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt ergänzend aus:
16
1. Die Klägerin hat (offensichtlich) keinen Anspruch auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz.
17
Ein Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 20.9.2001 - 2 BvR 1392/00 - juris Rn. 17). Aus den Gründen muss sich klar ergeben, weshalb dieser Ausspruch in Betracht kommt, insbesondere, warum der Asylantrag nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 3.9.1996 - 2 BvR 2353/95 - juris Rn. 13; BVerfG, B.v. 27.9.2007 - 2 BvR 1613/07 - juris Rn. 17 m.w.N.). Dieser Maßstab muss entsprechend auch für die behördliche Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 AsylG gelten. Es kommt also darauf an, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung in Bezug auf die geltend gemachten Asylgründe mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann. Gemäß § 30 Abs. 2 AsylG ist ein Asylantrag insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.
18
Nach den Umständen des Einzelfalls ist offensichtlich, dass weder die Voraussetzungen für die Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG und für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG, noch die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG vorliegen.
19
Nach Aktenlage wurde von der Klägerin nichts vorgetragen, was auch nur ansatzweise als eine individuelle Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG, § 3 AsylG gewertet werden könnte. Vielmehr gab sie ausdrücklich an, sie sei nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, aus Nigeria ausgereist. Ebenso wenig droht der Klägerin in Nigeria ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG.
20
Nach diesen Umständen ist es im Sinn von § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes nicht vorliegen.
21
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).
22
a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 25).
23
Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
24
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (BVerwG, U.v. 13.06.2013 - 10 C 13.12 - Rn. 24 f.; VGH BW, U.v. 24.07.2013 - A 11 S 697/13 - juris Rn. 79 ff.).
25
Außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale können auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden.
26
Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist - wie im Rahmen von §§ 3 ff. und § 4 Asylgesetz - der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich aber auch ausreichend, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Es ist allerdings keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 13). Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 23 ff) macht letztlich deutlich, dass bei „nichtstaatlichen“ Gefahren für Leib und Leben ein sehr hohes Gefahrenniveau erforderlich ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 27 m.w.N.). Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche) - vgl. zu den Überschneidungen des Art. 3 EMRK mit dem internen Schutz nach § 3e AsylG (aber auch zu den Unterschieden) ausführlich Marx, ZAR 2017, 304) - Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen.
27
Ausgangspunkt für die Gefahrenprognose ist eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation. Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat (zum Ganzen vgl. VG München, B.v. 29.5.2019 - M 32 S 18.30208 - Rn. 20 ff, noch nicht veröffentlicht). Bei der Prüfung, ob der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegenstehen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris Rn. 16). Von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband ist für die Rückkehrprognose in der Regel auch dann auszugehen, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris Rn. 19).
28
Zwar sind die allgemeinen Lebensbedingungen in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas mit ca. 200 Millionen Einwohnern, schwierig. Es besteht aber dennoch für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit, ökonomisch eigenständig zu leben und ohne Hilfe Dritter zu überleben. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen ca. 70% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2019, S. 8, 21), der größte Teil der Bevölkerung hat nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zu Wasser und Strom, es existiert kein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Bedürftige und Leistungen der allgemeinen Kranken- und Rentenversicherung kommen nur Beschäftigen im formellen Sektor und damit schätzungsweise nur 10% der Bevölkerung zugute. Die medizinische Versorgung ist zudem gerade auf dem Land mangelhaft und liegt auch in den Großstädten in der Regel unter europäischem Standard (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2019, S. 22). Darüber hinaus werden die Rechte des Kindes in Nigeria nur unzureichend gewährleistet; zwei Drittel der Kinder werden nicht richtig oder unterernährt. Die staatlichen Schulen sind im Allgemeinen in einem schlechten Zustand und Gewalt und sexuelle Übergriffe gegenüber Schülerinnen und Schülern sind an den meisten Schulen Alltag. Schließlich besuchen nur gut 60% der Kinder die Primarschule und nur 40% die Sekundarstufe. Kinderarbeit und -prostitution, Vernachlässigung und Aussetzung von Kindern sind verbreitet (Auswärtiges Amt, Stand: September 2017, S. 15 sowie Stand: September 2019, S. 14). Ferner ist die Situation für alleinstehende Frauen in Nigeria - und damit auch für deren Kinder - nach den vorliegenden Erkenntnismitteln besonders schwierig. So ist davon auszugehen, dass sie trotz der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung von Mann und Frau in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt und diskriminiert werden. Da es in Nigeria keine staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die (Groß-)Familie, Nachbarn oder Freunde abhängig. Jedoch ist es auch für den Personenkreis der alleinstehenden Frauen nicht unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen und ohne Hilfe Dritter zu überleben, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2017, S. 16 f. sowie Stand: September 2019, S. 14 f.). Auch insoweit kann nur in besonders gelagerten Einzelfällen ein Abschiebungsverbot bestehen (vgl. VG Aachen, U.v. 24.5.2012 - 2 K 2051/10.A - juris Rn. 32).
29
Vorliegend ist allerdings nicht ersichtlich, dass im Fall einer Rückkehr der Klägerin mit ihren beiden Kindern nach Nigeria die zu erwartende Situation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer derartig erheblichen Gefahrensituation verbunden wäre, aufgrund derer ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vorläge, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ wären. Bei einer Gesamtschau der Lebensverhältnisse der Klägerin ist auch unter Berücksichtigung der zweifellos schwierigen wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Bedingungen, die für den Großteil der Bevölkerung Nigerias bestehen, die Befürchtung nicht gerechtfertigt, der Klägerin werde es mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen, für sich und ihre beiden Kinder in Nigeria den existentiellen Lebensunterhalt zu sichern, ein Obdach zu finden und Zugang zu eiern medizinischen Basisbehandlung zu erhalten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ausweislich der von ihr geschilderten Fluchtgeschichte, der zu Folge sie Nigeria am 24. Juni 2014 verlassen hat und bereits am 18. Juli 2014 in Europa angekommen ist, ihre Flucht durch ihre Ersparnisse in Nigeria selbst finanziert und alles selbst organisiert hat, in Italien nach neun Monaten das Flüchtlingscamp verlassen hat und zu einer Freundin gezogen ist und im Anschluss daran in Italien selbst ein Zimmer angemietet hat, bewiesen hat, dass sie selbständig und ohne Unterstützung durch ihre Familie - sogar in völlig fremder Umgebung - für sich selbst zu sorgen vermag. Ferner hat die Klägerin durch ihre Flucht aus Nigeria, die sie in relativ kurzer Zeit und zudem in sehr jungen Jahren und trotz fehlender, eine Flucht wesentlich erleichternder finanzieller Unterstützung durch ihre Familie sowie trotz fehlenden eigenen finanziellen Polsters zielstrebig nach Europa führte, gezeigt, dass sie sich den Problemen ihres Lebens selbständig zu stellen weiß und in der Lage ist, eigenständig und ohne Rückgriff auf ihre Familie sogar in fremder Umgebung erfolgreiche Lösungen zu finden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass es der Klägerin im Fall einer Rückkehr nach Nigeria in die ihr grundsätzlich vertraute Stadt Benin City zusammen mit ihren beiden Söhnen nicht gelingen wird, jedenfalls unter Rückgriff auf die Unterstützung zumindest ihrer Mutter und ihres Bruders wenigstens als erste Anlaufstelle und gegebenenfalls auch bei der Betreuung ihrer Kinder, das Existenzminimum für sich und ihre kleine Familie selbst zu beschaffen - etwa durch ihre bereits ausgeübte Tätigkeit, Gelegenheitsjobs oder ungelernte Tätigkeiten. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass es in Nigeria nicht unüblich ist, dass Eltern ihre Kinder zur Berufsausübung - jedenfalls teilweise - mitnehmen. Dies gilt insbesondere für die beispielsweise von der Großmutter ausgeübte Tätigkeit als Straßenhändlerin, die auch von der Klägerin aufgenommen werden könnte und bei der sie zudem von ihren bereits gesammelten Erfahrungen im Verkauf profitieren könnte.
30
Die COVID-19 Pandemie und die befürchteten wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ändern an dieser Beurteilung nichts.
31
Laut den allgemein zugänglichen Quellen gibt es gegenwärtig in Nigeria 65.457 bestätigte Corona-Fälle (Deutschland: 815.746), davon 4.120 aktuelle Fälle (Deutschland: 285.546) und 1.163 Todesfälle (Deutschland: 12.814), Stand: 17.11.2020; siehe etwa Nigeria Centre for Disease Control, https://www.ncdc.gov.ng/; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-07-14-de.pdf? blob=publicationFile), was angesichts einer Gesamtbevölkerung von ca. 200 Millionen (Deutschland: 83 Millionen) einem Prozentsatz von etwa 0,000327 (Deutschland: 0,009828) entspricht).
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Bei diesen Zahlen fehlen zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt greifbare Anhaltspunkte für eine ein Abschiebungsverbot rechtfertigende so erhebliche Verschlechterung der humanitären Lage und der allgemeinen Lebensbedingungen durch die Covid-19 Pandemie, dass von einem ganz außergewöhnlichen Fall und zwingenden humanitären Gründen gesprochen werden könnte. Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert hat (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; EASO Special Report: Asylum Trends on COVID-19 vom 11.6.2020, S. 15; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.), hält es das Gericht zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann. Hierzu führte bereits das Verwaltungsgericht Würzburg mit Gerichtsbescheid vom 1.7.2020, Az. W 8 K 20.30151 - juris Rn. 35 folgendes aus: „Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein Gegensteuern des nigerianischen Staates erkennbar ist. So wurde ein Notfallfonds für das „Nigeria Centre for Disease Control“ eingerichtet, ebenso wie Konjunkturpakete, um die Auswirkungen für Haushalte und Betriebe zu lindern; außerdem wurden Nahrungsmittel verteilt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.; https://reliefweb.int/report/nigeria/nigeria-humanitarian-fund-allocation-covid-19-and-humanitarian-response, vom 16.6.2020; https://www.theafricareport.com/26444/coronavirus-recession-in-nigeria-likely-despite-measures-in-place/, vom 20.4.2020). Darüber hinaus hat der internationale Währungsfonds Soforthilfen für Nigeria in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar gewährt (https://www.imf.org/en/News/Articles/2020/04/28/pr20191-nigeria-imf-executive-board-approves-emergency-support-to-address-covid-19, vom 28.4.2020)“. Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht an.
33
Dass die Klägerin an dem Virus erkranken könnte und die Erkrankung einen so schweren Verlauf nehmen könnte, dass insoweit das Existenzminimum der Klägerin und ihrer Kinder von ihr nicht mehr sichergestellt werden könnte, ist angesichts der derzeitigen Kenntnisse somit nicht beachtlich wahrscheinlich.
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Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK kann angesichts des Vortrags der Klägerin und der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel nicht festgestellt werden.
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b. Ebenso wenig sind die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich.
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Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht. Für die Annahme einer „konkreten“ Gefahr im Sinne dieser Vorschrift genügt aber nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die geschützten Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist insoweit der Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzuwenden und zwar unabhängig davon, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. „Konkret“ ist die Gefahr, wenn die Verschlechterung „alsbald“ nach der Rückkehr des Betroffenen in den Heimatstaat einträte, weil er dort auf unzureichende Möglichkeiten der Behandlung seiner Leiden träfe und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - juris Rn. 13; U.v. 22.3.2012 - 1 C 3/11 - juris Rn. 34; OVG Münster, U.v. 18.1.2005 - 8 A 1242/03.A - juris Rn. 53; BayVGH, B.v. 23.5.2017 - 9 ZB 13.30236 - juris Rn. 28). Zudem muss eine auf den Einzelfall bezogene, individuell bestimmte und erhebliche, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretende Gefährdungssituation vorliegen und es muss sich um Gefahren handeln, die dem Ausländer landesweit drohen, denen er sich also nicht durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann.
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Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppen allgemein ausgesetzt ist bzw. sind, werden indes allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG kann ein Ausländer daher in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn besteht. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 zu gewähren. Die Abschiebung muss somit ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden.
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Somit gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also - wie hier - die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
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Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen liegen nicht vor. Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst also nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist also nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen, kurz bei existentiellen Gesundheitsgefahren (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2015 - 11 ZB 15.30054 - juris Rn. 10; OVG Münster, B.v. 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A - juris Rn. 56). Dabei ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
40
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (Satz 2). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (Satz 3). Ergänzend zu den in § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG genannten Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung sind auch weiterhin die Kriterien heranzuziehen, die das Bundesverwaltungsgericht als Mindestanforderungen an ein qualifiziertes fachärztliches Attest herausgearbeitet hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 - 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251 ff.). Danach muss sich aus dem fachärztlichen Attest nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, etwa mit Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden, deren Behandlungsbedürftigkeit, der bisherige Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) sowie im Fall einer auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützten PTBS, deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, in der Regel auch eine Begründung dafür, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht wurde.
41
Gemessen hieran liegen dem Gericht schon mangels Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
42
Dasselbe gilt unter Berücksichtigung der derzeitigen COVID-19 (sog. Corona-) Pandemie. Die Gefahr, an einer Corona-Infektion zu erkranken, ist auch in Nigeria eine Gefahr, der die dortige Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist. Derartige Gefahren werden allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG kann ein Ausländer daher in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn besteht. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 zu gewähren. Die Abschiebung muss somit ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden.
43
Diese Voraussetzungen einer solchen landesweiten Extremgefahr sind in Nigeria auch im Hinblick auf die COVID-19 Pandemie nicht erfüllt. Eine individuelle, außergewöhnliche Gefahrenlage in diesem Sinne, welche die Schwelle der allgemeinen Gefährdung übersteigt, ist für die Klägerin im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch bei Berücksichtigung der oben ausgeführten Verbreitung des Corona-Virus nicht erkennbar.
44
Die Klägerin muss sich überdies genauso wie bei anderen Erkrankungen gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria behelfen (vgl. VG Würzburg, GB.v. 1.7.2020 - W 8 K 20.30151 - juris Rn. 29ff, 36ff m.w.N.).
45
3. Die Ausreiseaufforderung mit der einwöchigen Ausreisefrist und die gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG begegnen - auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Juni 2018 (C-181/16, Gnandi) sowie des Beschlusses des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 5. Juli 2018 (C-269/18, PPU - keinen rechtlichen Bedenken. Das Gericht schließt sich hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit der einwöchigen Ausreisefrist gem. § 36 Abs. 1 AsylG mit dem Unionsrecht den überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Arnsberg im Urteil vom 9. Januar 2019 - 10 K 4187/18.A - (juris Rn. 40 ff., insbesondere 54 ff.) und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 13. Mai 2019 - 11 A 610/19.A - (juris Rn. 50 ff.) an. Denn die einwöchige Ausreisefrist wird durch das gerichtliche Eilverfahren unterbrochen und beginnt entsprechend der gebotenen unionsrechtkonformen Auslegung des § 36 Abs. 1 AsylG (durch entsprechende Anwendung von § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG) mit Bekanntgabe dieser Entscheidung neu zu laufen (vgl. OVG NW, U.v. 13.5.2019 - 11 A 610/19.A - juris Rn. 53, 68 ff.).
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4. Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Klage gegen die Entscheidung über den Asylantrag war sogar als offensichtlich unbegründet abzuweisen, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG unanfechtbare Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 7.11.2008 - 2 BvR 629/06 - juris m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG). Aus den Entscheidungsgründen muss sich klar ergeben, weshalb das Gericht zu einem Urteil nach § 78 Abs. 1 AsylG kommt, warum also die Klage nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen wird (BVerfG a.a.O.). Diese Grundsätze gelten nicht nur für Verfahren, die das Asylgrundrecht betreffen oder in denen es um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus geht, sondern auch für die Abweisung der nur auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gerichteten Klage (vgl. BVerfG a.a.O.; Redeker in BeckOK MigR, 7.Ed. 1.10.2020, AsylG § 78 Rn. 7-9). Da die qualifizierte Klageabweisung nach § 78 Abs. 1 AsylG für alle Rechtstreitigkeiten nach dem AsylG, z.B. auch für die Anfechtungsklagen gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamts nach den §§ 29 und 31 Abs. 3 AsylG, eröffnet ist, dürften die Grundsätze auch insoweit gelten.
47
Die Voraussetzungen einer qualifizierten Klageabweisung sind vorliegend gegeben. Aus den obigen Ausführungen und auch aus den Gründen der Eilentscheidung ergibt sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der gegen die Entscheidung über den Asylantrag gerichteten Klage. Nach Aktenlage wurde von der Klägerin nichts vorgetragen, was auch nur ansatzweise als eine individuelle Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG, § 3 AsylG gewertet werden könnte. Vielmehr gab sie ausdrücklich an, sie sei nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, aus Nigeria ausgereist. Ebenso wenig droht der Klägerin in Nigeria ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG. Nach diesen Umständen ist es im Sinn von § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes nicht vorliegen.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
49
6. Dieser Gerichtsbescheid ist unanfechtbar, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 AsylG. Vor dem Hintergrund des asylrechtlichen Beschleunigungsgebots (vgl. BT-Drs. 12/4450 S. 14) meint Unanfechtbarkeit im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 AsylG auch den Ausschluss des Antrags auf mündliche Verhandlung nach der ansonsten geltenden allgemeinen Vorschrift des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (dazu Redeker in BeckOK MigR, 7. Ed. 1.10.2020, AsylG § 78 Rn. 64; ausführlich hierzu VG München, GB.v. 6.2.2006 - M 22 K 07.50600 - juris Rn. 23; GB.v. 8.2.2008 - M 22 K 07.51094 - juris Rn. 33; GB.v. 11.10.2018 - M 1 K 17.42573 - juris Rn. 15; GB.v. 28.2.2019 - M 32 K 17.42655).