Inhalt

VG München, Urteil v. 29.06.2021 – M 4 K 19.3116
Titel:

Abschiebung eines Straftäters nach Bosnien-Herzegowina

Normenkette:
AufenthG § 54 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ist anzunehmen, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Stellung als „faktischer Inländer“ verhindert die Ausweisung nicht von vornherein, sondern erfordert lediglich eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall. (Rn. 74) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger, Diebstahl in 17 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit versuchtem Diebstahl in 22 tatmehrheitlichen Fällen, Wiederholungsgefahr, Politoxikomanie, faktischer Inländer, Bosnien-Herzegowina, Straftaten, öffentliches Interesse, öffentliche Sicherheit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.09.2021 – 10 ZB 21.2180
Fundstelle:
BeckRS 2021, 19858

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.  
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Kostenentscheidung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit leistet. 

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Aufhebung des Bescheids der Beklagten, mit dem die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland auswies, ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot von fünf Jahren anordnete und die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina androhte.
2
Der Kläger ist bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger und am … … … in … geboren. Die Ausländerbehörde der Stadt … erteilte dem Kläger ab … … … eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, die einmal bis zum … … … verlängert wurde (Behördenakte Band I (im Folgenden: I), Bl. 15 ff., 24). Am … … … zog der Kläger mit seinen Eltern nach … (I, Bl. 19). Die Stadt … erteilte dem Kläger am … … … eine Niederlassungserlaubnis (I, Bl. 44).
3
Im Alter von elf Jahren wurde beim Kläger die Diagnose ADHS gestellt. Er absolvierte eine Therapie, nahm jedoch keine Medikamente ein (I, Bl. 103). Ausweislich der Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - … vom … … … gab der Kläger gegenüber der Jugendgerichtshilfe an, dass er von 2010 bis 2012 täglich Cannabis konsumiert habe. Im Sommer 2014 betrieb der Kläger schädlichen Alkoholgebrauch (I, Bl. 103).
4
Der Kläger bestand im Sommer 2012 die mittlere Reife mit einem Notendurchschnitt von 4,0 und begann im Mai 2013 eine Ausbildung zum Fachverkäufer (I, Bl. 72). Der Kläger kündigte das Ausbildungsverhältnis am … … … (I, Bl. 103). Anschließend war der Kläger arbeitslos, wobei er bis Februar 2015 von Leistungen nach dem SGB II lebte, anschließend seinen Lebensunterhalt u.a. von seinen Eltern bestreiten ließ (I, Bl. 103).
5
Strafrechtlich ist der Kläger zunächst wie folgt in Erscheinung getreten:
1. Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - … vom 11. November 2013 (I, Bl. 71 ff.) Az. 4a Ds 410 Js 31671/13 jug (2)) wegen Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung Verurteilung zu einer Woche Dauerarrest.
6
2. Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - … vom 1. Dezember 2014 (I, Bl. 95 ff.) Az. 4a Ds 450 Js 27520/14 wegen Erschleichens von Leistungen in Tateinheit mit Beleidigung Weisungen: 80 Stunden gemeinnützige Arbeit bis 28. Februar 2015; Teilnahme an fünf Alkoholpräventionskursen.
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3. Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - … vom … … … (I, Bl. 102 ff.) Az. 4a Ds 150 Js 37817/14 jug; wegen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln unter Einbezug des Urteils vom 1. Dezember 2014: zusätzlich zu den dortigen Weisungen vier bis achtmal jährlich Drogenurinuntersuchungen; Entscheidung über Verhängung einer Jugendstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt; ergänzt durch Urteil vom 22. April 2015 (I, Bl. 173 ff.): Verhängung einer Jugendstrafe von sieben Monaten wegen fehlender Befolgung der Weisungen aus Urteilen und Bewährungsbeschluss.
8
Von einer Strafverfolgung wegen Unterschlagung eines Mobiltelefons am 16. August 2014 sah das Amtsgericht … mit Beschluss vom 16. März 2015 nach § 154 Abs. 1 StPO ab (I, Bl. 109 ff., 125). Von einer Strafverfolgung wegen Fundunterschlagung von Ende des Jahres 2014 wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Traunstein vom 27. März 2015 nach § 154 Abs. 1 StPO abgesehen (I, Bl. 126 ff.; 136 f.).
9
Am 15. Juli 2015 trat der Kläger die Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - … vom 14. Januar 2015, ergänzt mit Urteil vom 22. April 2015 in der Justizvollzugsanstalt Laufen-Lebenau an (I, Bl. 186).
10
Mit Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Laufen vom 13. Oktober 2015 (Az. 4 Ls 330 Js 6703/15 jug; I, Bl. 207 ff.) wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung in drei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt und unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts - Jugendgericht - … vom … … … in der Fassung vom 22. April 2015 eine Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verhängt. Auf die Begründung des Urteils wird Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
11
Mit Beschluss des Amtsgerichts Laufen vom 28. Januar 2016 (Az. 4 Ls 330 Js 6703/15 jug, Bl. 123 f.) wurde die Vollstreckung der Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sieben Monaten zur Durchführung einer Drogentherapie in der … für die Dauer von zwei Jahren nach § 35 Abs. 1 BtMG zurückgestellt und dem Kläger mit Bescheid des Amtsgerichtes Laufen vom 2. Februar 2016 weitere Auflagen aufgegeben (Vollstreckungsheft zum Verfahren Az. 4 Ls 330 Js 6703/15 jug, Bl. 29 f.).
12
Der Kläger verließ daraufhin am … … … die Justizvollzugsanstalt Laufen-Lebenau (Vollstreckungsheft zum Verfahren 4 Ls 330 Js 6703/15 jug, Bl. 26) und unterzog sich vom … … … bis … … … einer sechsmonatigen stationären Drogentherapie in der … (Vollstreckungsheft Amtsgericht Laufen zu Az. 4 Ls 330 Js 6703/15 jug, Bl. 32). Am 2. September 2016 meldete der Kläger sich erneut in der Stadt … an (I, Bl. 224).
13
Mit Beschluss des Amtsgerichts Laufen vom 21. Oktober 2016 setzte dieses den Rest der Jugendstrafe nach § 88 JGG zur Bewährung aus und erteilte dem Kläger diverse Weisungen (Vollstreckungsheft zum Verfahren Az. 4 Ls 330 Js 6703/15 jug, Bl. 32 ff.).
14
Im Zeitraum vom 27. September 2016 bis 28. März 2017 trat der Kläger erneut strafrechtlich in Erscheinung. Er verschaffte sich in diesem Zeitraum in insgesamt 39 Fällen gewaltsam Zutritt zu verschiedenen gewerblich genutzten Objekten und Geschäften in und im Umkreis der Stadt … Durch das gewaltsame Verschaffen des Zutritts zu den jeweiligen Geschäftsräumen entstand zudem jeweils Sachschaden. ln allen Fällen war es die Absicht des Angeklagten und seiner Mittäter, in den besagten Objekten nach Diebesgut zu suchen und auf Dauer für sich zu behalten, was in 17 Fällen gelang und in 22 Fällen erfolglos blieb. Durch die Tatbegehung verschaffte sich der Kläger eine Einnahmequelle von nicht nur unerheblichem Gewicht und nicht nur unerheblicher Dauer bzw. handelte in der Absicht, sich eine derartige Einnahmequelle zu erschließen. Der Gesamtwert der entwendeten Diebesbeute belief sich auf mindestens 18.764,89 Euro. Durch die Taten entstand zudem ein Sachschaden in einer Gesamthöhe von mindestens 42.928,51 Euro. Zudem wurde gegen den Kläger wegen zwei gefährlichen Körperverletzungsdelikten im Oktober 2016 und November 2016 ermittelt (Az. 490 Js 100581/16; s. Vollstreckungsheft AG Laufen zum Verfahren Az. 4 Ls 330 Js 6703/15 jug, Bl. 64 ff. sowie 78 ff.).
15
Mit Beschluss vom 16. Februar 2017 widerrief das Amtsgericht … die gewährte Aussetzung der Restjugendstrafe zur Bewährung vom 21. Oktober 2016 wegen beharrlicher und gröblicher Verstöße gegen Bewährungsauflagen (Vollstreckungsheft Amtsgericht Laufen Az. II VRJs 91/17, Bl. 25 ff.).
16
Am 29. März 2017 wurde der Kläger wegen des dringenden Verdachts des besonders schweren Diebstahls in einer Vielzahl von Fällen (Az. 420 Js 9645/17) in die Justizvollzugsanstalt München in Untersuchungshaft genommen (I, Bl. 239 ff.) und am 4. April 2017 in die Justizvollzugsanstalt Traunstein überführt (I, Bl. 241). Er verbüßte vom 12. April 2017 bis 23. Oktober 2017 seine Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 13. Oktober 2015. Daran schloss sich vom 24. Oktober 2017 bis zum 29. November 2017 erneut Untersuchungshaft an. Am 29. November 2017 wurde der Kläger aus der Justizvollzugsanstalt Traunstein entlassen (I, Bl. 247 f., Bl. 288).
17
Mit Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - … vom 28. November 2017 (Az. Ls 420 Js 9645/17), rechtskräftig am selben Tag, wurde der Kläger wegen Diebstahls in 17 tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit versuchtem Diebstahl in 22 tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie die Einziehung des Werts der Taterträge in Höhe von 18.764,89 Euro angeordnet (I, Bl. 292 ff.). Die Taten wurden ausweislich der Gründe des Strafurteils auch zur Beschaffung von finanziellen Mitteln zum Kauf von Betäubungsmitteln begangen. Trotz des im gerichtlichen Verfahren festgestellten, bestehenden Abhängigkeitssyndroms des Klägers war bei Begehung der Taten die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Klägers nicht beeinträchtigt. Beim Kläger wurde im Rahmen des Strafverfahrens ein Abhängigkeitssyndrom in Bezug auf Cannabinoide und Psychostimulanzien diagnostiziert. Zudem finde sich beim Kläger eine Störung der Persönlichkeitsentwicklung mit vorrangig dissozialen Zügen - wohl vor dem Hintergrund einer hyperkinetischen Störung. Das Amtsgericht ordnete daher wegen eines Hangs, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt an. Bei den gegenständlichen Straftaten handelte es sich nach Auffassung des Strafgerichts um indirekte Beschaffungskriminalität.
18
Vom 29. November 2017 bis zum 30. August 2018 wurde der Kläger nach § 64 StGB in der … untergebracht. Der Maßregelvollzug wurde nach anfänglich guter Mitarbeit des Klägers auf Empfehlung der … wegen mehrfacher disziplinarischer Ahndungen und Suchtmittelrückfälle abgebrochen (I, Bl. 311, 345; III, Bl. 39; Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Traunstein zu Az. Ls 420 Js 9645/17, Band I Bl. 20, 23, 56 ff., 70 ff., 80 ff.). Am 31. August 2018 trat der Kläger die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts … vom 28. November 2017 in der Justizvollzugsanstalt Bernau an (I, Bl. 320).
19
Mit Schreiben der Beklagten vom … … 2019 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ausweisung angehört (I, Bl. 331). Der Bevollmächtigte des Klägers führte mit Schreiben vom … … 2019 (I, Bl. 338) und … … 2019 (I, Bl. 343 ff.) unter anderem aus, dass der Kläger in Deutschland geboren sei, seine Familie, darunter zwei Schwestern im Alter von elf und 27 Jahren und ein Bruder im Alter von 17 Jahren, und sein gesamter Lebensmittelpunkt sich in Deutschland befänden und der grundsätzlich gewährleistete Schutz der Familie eine Abschiebung verbiete. Eine Strafhöhe, die per se eine Abschiebung zur Folge hätte, liege nicht vor. Der Kläger verfüge lediglich über marginale Kenntnisse der bosnischen Sprache und es gebe in Bosnien-Herzegowina lediglich „weitschichtige“ Verwandtschaft in Form eines Großcousins, zu dem kein Kontakt bestehe. Im Jahr 2016 habe der Kläger in der … in … eine sechsmonatige Therapie gemäß § 35 BtMG erfolgreich abgeschlossen und sei betäubungsmittelfrei entlassen worden. Er habe sich ab Oktober 2019 für eine erneute Therapie dort beworben.
20
In Führungsberichten der Justizvollzugsanstalt Bernau vom 23. Mai 2019 (I, Bl. 345) und vom 16. Dezember 2019 (Führungsheft der Staatsanwaltschaft Traunstein, Band I, Bl. 153 ff.) wird über den Kläger im Wesentlichen berichtet, dass er am … … 2018 nach Abbruch der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom …ums der hiesigen Anstalt zugeführt worden sei. Er verfüge nach eigenen Angaben über gute Kenntnisse der bosnischen Sprache. Er komme seiner Arbeitspflicht derzeit unverschuldeterweise nicht nach, da er ab Oktober 2019 in Ermangelung ausreichender Arbeitsleistung von der Tätigkeit abgelöst und eine neue Arbeitsstelle noch nicht zugeteilt worden sei. Der besserwisserische, aber kontaktfreudige und geschäftige Gefangene werde als angepasst, offen und freundlich erlebt, gelte aber als Einzelgänger. Es habe mehrmals Anlass zu Beanstandungen und disziplinarrechtlichem Einschreiten bestanden, da er unerlaubterweise ein Fernsehgerät im Besitz gehabt und viermal den ihm zugeteilten Haftraum verweigert habe. Beim Zugangsgespräch am … … 2018 habe der Kläger regelmäßigen, polytoxen Betäubungsmittelkonsum seit dem 14. Lebensjahr eingeräumt. In der Justizvollzugsanstalt stehe der Kläger regelmäßig in persönlichen Kontakt mit der externen Suchtberatung und strebe eine stationäre Drogentherapie in der … in … an. Die Suchtmittelkontrollen seien bisher negativ gewesen. Der Kläger erhalte regelmäßig Privatbesuche von seinen Eltern, Geschwistern und zwei Cousins. Trotz der vorhandenen sozialen Bindungen, der scheinbar gesicherten Unterkunft nach Haftentlassung bei seinen Eltern und des Therapieinteresses könne dem Verurteilten unter Berücksichtigung der zum Teil erheblichen strafrechtlichen Vorbelastung, des früheren Bewährungsversagens, der Vielzahl an gegenständlichen Taten über einen längeren Zeitraum, des erheblichen Gesamtschadens, des gezeigten erheblichen vollzuglichen Fehlverhaltens, der langjährigen und ungelösten Suchtproblematik, der mehrfachen Suchtmittelrückfälle sowie des Abbruchs der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keine ausreichend günstige Sozialprognose gestellt werden. Einem Wegfall der Führungsaufsicht werde entschieden entgegengetreten.
21
Mit Bescheid vom 31. Mai 2019 (II, Bl. 3 ff.), dem Bevollmächtigten des Klägers am 3. Juni 2019 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt (II, Bl. 58), wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf fünf Jahre ab dem Tag der Abschiebung bzw. der Ausreise (Nr. 2). Der Kläger wird unmittelbar aus der Haft heraus nach Bosnien und Herzegowina oder in einen anderen Staat, der zu seiner Aufnahme verpflichtet ist, abgeschoben. Sollte eine Abschiebung aus der Haft heraus nicht möglich sein, so ist er aufgefordert, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von sieben Tagen nach seiner Entlassung aus der Haftanstalt zu verlassen. Sollte er der Verpflichtung nicht fristgerecht nachkommen, wird er nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben. Die Abschiebung wird angedroht (Nr. 3). Auf die Gründe des Bescheids wird Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
22
Der Klägerbevollmächtigte erhob im Namen des Klägers mit Schriftsatz vom 1. Juli 2019, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag, Klage und beantragte,
den Bescheid der Beklagten vom 31. Mai 2019 aufzuheben.
23
Der Klägerbevollmächtigte begründete die Klage im Wesentlichen dahingehend, dass die Gefahrenprognose von der Beklagten falsch vorgenommen worden sei und die Interessen des Klägers am Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland überwögen. Die Ausweisung stelle sich als unverhältnismäßig dar. Beim Kläger bestehe eine Suchterkrankung, die zu einem erheblichen Teil zu den Straftaten geführt habe. Es werde von der Beklagten verkannt, dass der Kläger Maßnahmen gegen seine Erkrankung unternommen habe. Der Bevollmächtigte verwies auf die erfolgreich abgeschlossene Betäubungsmitteltherapie in der … im Jahr 2016. Rückfälle seien in diesem Bereich nichts Ungewöhnliches. Der Kläger beabsichtige eine zweite Therapie in der … ab Oktober 2019 durchzuführen. Aus den strafrechtlichen Verurteilungen in der Vergangenheit lasse sich nicht folgern, dass vom persönlichen Verhalten des Klägers in der Zukunft eine Gefahr für die Gesellschaft ausgehe. Die Beklagte habe insoweit lediglich isolierte Rechtsverstöße angeführt, ohne konkrete Anhaltspunkte zu benennen, dass in Zukunft bedeutsame Gefahren für ein wichtiges Schutzgut durch neue Verfehlungen des Klägers ernsthaft drohten. Darüber hinaus überwögen die Gründe für einen Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland. Der Klägerbevollmächtigte erläuterte im Folgenden die bereits im Verwaltungsverfahren dargestellten sozialen und familiären Bindungen des Klägers in Deutschland bzw. fehlenden Bindungen nach Bosnien und Herzegowina.
24
Die Beklagte legte mit Schriftsatz vom 21. August 2019 die Behördenakten Teil I und Teil II in elektronischer Form vor und beantragte,
die Klage abzuweisen.
25
Die Beklagte begründete den Antrag damit, dass der Bescheid rechtmäßig sei. Die Suchterkrankung des Klägers könne, gerade wegen der fehlenden Erfolge der Drogentherapie aus dem Jahr 2016 (Rückfälle) und dem Abbruch des Maßregelvollzugs zur Begründung für die Prognose zukünftig zu erwartender Straftaten herangezogen werden. Eine Straftat könne nicht als weniger „schwerwiegend“ bewertet werden, weil im Hintergrund eine Suchterkrankung vorhanden sei. Vielmehr erhöhe die aktuell nicht therapierte Suchterkrankung die Wahrscheinlichkeit von daraus mündenden Straftaten erheblich. Der Gutachter im Strafverfahren sowie das Urteil gingen davon aus, dass die abgeurteilten Straftaten indirekte Beschaffungskriminalität darstellten und aufgrund des diagnostizierten Hanges des Klägers die Gefahr hoch sei, dass er erneut straffällig werde. Die vom Klägerbevollmächtigten angeführten Bleibeinteressen des Klägers seien bereits im streitgegenständlichen Bescheid berücksichtigt worden und reichten nicht aus, um das erhebliche Ausweisungsinteresse zu überwiegen.
26
Das Vollstreckungsgericht entschied mit Beschluss vom 5. Februar 2020, dass eine Führungsaufsicht bis zum 25. März 2025 nicht entfalle und bestellte einen Bewährungshelfer (III, Bl. 29; Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Traunstein, Band I Bl. 168 ff.).
27
Der Kläger wurde am 26. März 2020 aus der Haft entlassen (III, Bl. 14). Es bestehen aus dem letzten Strafverfahren Schulden in Höhe von 44.526,02 € (Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Traunstein, Band I, Bl. 185).
28
Laut dem Erstbericht des Bewährungshelfers vom 30. September 2020 ist der Kläger mit seiner Freundin zusammengezogen, hat im September 2020 eine Ausbildung als Spengler begonnen und hält ausreichenden Kontakt zur Bewährungshilfe. Er habe beim Erstgespräch von sich aus darüber informiert, dass er mit einer geringen Menge „weicher Drogen“ erwischt worden sei und dass vor kurzem eine Hausdurchsuchung bei ihm stattgefunden habe.
29
Nach einem Polizeibericht im Rahmen einer gegenseitigen Anzeigenerstattung vom 28. Oktober 2020 leben der Kläger und seine ehemalige Lebensgefährtin mit deren Kleinkind gemeinsam in einer Wohnung in … Es komme häufig zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den (mittlerweile) Ex-Partnern (III, Bl. 17 ff.). Ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen gegenseitiger Beleidigungen und Körperverletzungen zwischen dem Kläger und seiner Ex-Freundin … … …ar 2021 stellte die Staatsanwaltschaft Traunstein mit Beschluss vom 10. Februar 2021 nach § 170 Abs. 2 StPO mangels gestellter Strafanträge ein (III, Bl. 62 f.). Im Rahmen des Verfahrens erklärte die Ex-Freundin des Klägers, von diesem in der 10. Schwangerschaftswoche schwanger zu sein; jedoch sei sie noch nicht entschieden, ob sie das Kind behalten wolle (III, Bl. 33 ff.).
30
Am 8. Januar 2021 beleidigte der Kläger anlasslos in … zwei Polizisten. Mit Entscheidung des Amtsgerichts … vom 23. März 2021, rechtskräftig seit dem 13. April 2021 (Az. 258 Js 433/21 744 Cs 83/21), wurde der Kläger wegen Beleidung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu zehn Euro verurteilt (Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Traunstein, Band II, 216).
31
Mit Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - … vom 4. März 2021 (6 Ls 140 Js 15871/20) wurde der Kläger wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt (III, Bl. 25 ff.). Der vollumfänglich geständige Kläger erwarb im Zeitraum vom 26. März 2020 bis zum 25. April 2020 viermal jeweils vier Gramm Marihuana zum Eigenkonsum. Nach dem im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachten vom 3. Februar 2021, dem das Strafgericht folgte, lagen die Voraussetzungen für eine erneute Unterbringung nach § 64 StGB mangels Erfolgsaussichten nicht vor. Es könne bei weiterer süchtiger Fehlhaltung befürchtet werden, dass ähnliche strafrechtlich relevante Verhaltensmuster erneut auftreten. Eine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg im Rahmen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt könne aufgrund der fehlgeschlagenen Maßnahme in der Vergangenheit und dem Nichtvorliegen eines therapeutischen Interesses nicht angenommen werden. Der Kläger wirkte bei der Gutachtenserstellung nicht mit. Der Kläger legte nach Auskunft des Bevollmächtigten im Strafverfahren beim Landgericht Traunstein gegen das Urteil Berufung mit dem Ziel ein, eine Unterbringung nach § 64 StGB zu erreichen.
32
Mit Schriftsatz vom … … 2021 teilte die Beklagte mit, dass sich der Kläger wegen des Verdachts mehrerer besonders schwerer Diebstähle seit dem 17. Februar 2021 in Untersuchungshaft befindet (III, Bl. 64) und bat um priorisierte Behandlung des Verfahrens. Aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Traunstein vom 21. April 2021 geht hervor, dass der Kläger beschuldigt wird, sich zwischen dem 8. und dem 18. Oktober 2020 in zwei tatmehrheitlichen Fällen gewaltsam Zugang zu gewerblichen Objekten verschafft zu haben und im ersten Fall 400 Euro Bargeld erbeutet zu haben, wobei in beiden Fällen zusammen durch die Einbrüche ein Sachschaden von circa 1.100 Euro entstanden sei. Den ersten angeklagten Vorfall räumte der Kläger ein, im zweiten Vorfall führt die Staatsanwaltschaft DNA-Spuren des Klägers am Einstiegsfenster des Objekts als Beweismittel an.
33
Auf gerichtliche Anfrage übersandte die Staatsanwaltschaft Traunstein am 29. April 2021 und am 12. Mai 2021 diverse Strafakten (Az. 330 Js 6703/15, Az. 360 Js 21859/15 sowie Vollstreckungshefte). Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2021 wurde dem Gericht elektronisch die Restakte der Beklagten übersandt.
34
Die Staatsanwaltschaft … beschuldigt den Kläger mit Anklageschrift vom 11. Mai 2021 des gemeinschaftlichen Vortäuschens einer Straftat (Az. 120 Js 269/21; III 59 ff.). Am 9. Januar 2021 habe der Mittäter des Klägers in … einen Ford Mustang mit einer Selbstbeteiligung von 5.000 Euro im Schadensfall angemietet. Das Fahrzeug sei nach einer Zeugenaussage verunfallt. Ein Zeuge habe gehört, wie der Kläger und der Mittäter verabredeten, das Fahrzeug als gestohlen zu melden, da der Schaden viel zu hoch sei. Am selben Tag seien der Mittäter und der Kläger auf der Polizeistation erschienen und hätten Anzeige gegen Unbekannt wegen angeblichen Raubes gestellt, wobei die Aussagen sehr widersprüchlich und unglaubhaft gewesen seien.
35
Mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31. Mai 2021 beantragte dieser, den Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2021 wegen einer Terminkollision zu verlegen. Das Gericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 15. Juni 2021 ab.
36
Das Landgericht Traunstein legte am 8. Juni 2021, die Staatsanwaltschaft … am 15. Juni 2021 und die Beklagte am 21. Juni 2021 ergänzende Unterlagen vor.
37
Das Gericht hat am 29. Juni 2021 mündlich verhandelt. Auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen.
38
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegten Behördenakten und die beigezogenen Strafakten (Az. 330 Js 6703/15; Az. 360 Js 21859/15; Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Traunstein zu Az. 420 Js 9645/17; Vollstreckungsheft des Amtsgerichts Laufen zu Az. I VRJs 2/16 jug; Vollstreckungsheft des Amtsgerichts Laufen zu Az. II VRJs 3/16; Vollstreckungsheft des Amtsgerichts Laufen zu Az. II VRJs 91/17) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

39
Die Klage hat keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist.
I.
40
Der Bescheid der Beklagten ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
41
Das Gericht verweist auf die zutreffenden Ausführungen im ausführlich begründeten Bescheid und sieht insoweit von der Darstellung eigener Entscheidungsgrade ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
42
Darüber hinaus gilt ergänzend folgendes:
43
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig: Das Gericht hat die behördliche Entscheidung der Beklagten unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts am 29. Juni 2021 zu überprüfen.
44
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
45
Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil der Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet (1.) und das öffentliche Interesse an der Ausweisung das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib überwiegt (2.).
46
1. Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung, weil von ihm nach wie vor die Gefahr der Begehung schwerer Straftaten ausgeht.
47
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr zu treffen, ohne dass sie an die Feststellungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Tat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18). Der Rang des bedrohten Rechtsguts bestimmt dabei die mögliche Schadenshöhe, wobei jedoch keine zu geringen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt werden dürfen (BVerwG, U.v. 10.7.2012, a.a.O.).
48
1.1. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass vom Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin eine Gefahr ausgeht, so dass eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt ist.
49
Der Kläger ist seit 2013 straffällig, politoxikoman und hat sich weder durch jugendstrafrechtliche Maßnahmen, noch durch mehrere Inhaftierungen zum Positiven beeinflussen lassen. Eines der abgeurteilten Körperverletzungsdelikte richtete sich gegen einen unbeteiligten Dritten, der grundlos und überraschend von hinten vom Kläger niedergeschlagen wurde. Eine Persönlichkeitsfehlentwicklung mit dissozialen Zügen ist neben einer polyvalent anmutenden süchtigen Fehlhaltung im Sachverständigengutachten vom … … 2021 diagnostiziert worden. Die Effekte der sechsmonatigen Therapie in der … im Frühjahr/Sommer 2016 hielten nicht lange vor, da der Kläger bereits ab Oktober 2016 schwerer, gewerbsmäßiger Beschaffungskriminalität nachging. Eine weitere Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde trotz anfänglich guten Erfolgen nach mehrfachen Suchtmittelrückfällen wegen fehlender Mitarbeit des Klägers im August 2017 abgebrochen. Ausweislich der eigenen Angaben des Klägers im forensischen Gutachten vom … … 2017 konsumierte er während der Therapie in der … und der Haftzeiten „Spice“, da dies in Urinkontrollen nicht nachweisbar sei, so dass ernsthaft verfolgte Therapien der Politoxikomanie des Klägers bisher nicht vorliegen. Im psychiatrischen Gutachten vom … … 2021 wird von einem Hang, weitere Straftaten zu begehen, ausgegangen. Allerdings fehlt es mangels ernsthafter Therapiemotivation an den Erfolgsaussichten einer Therapie. Dieser Einschätzung ist auch das Amtsgericht … im noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 4. März 2021 gefolgt. Bereits am Tag seiner Haftentlassung im April 2020 erwarb der Kläger erneut Cannabis zum Eigenkonsum, beging im Herbst 2020 nach einer geständigen Einlassung wieder einen mittäterschaftlichen Einbruchsdiebstahl in einem gewerblichen Objekt, wurde wegen anlassloser Beleidigung von Polizisten rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt und ist wegen eines gemeinschaftlichen Vortäuschens einer Straftat derzeit am Amtsgericht … angeklagt. Eine enorme Rückfallgeschwindigkeit, fehlende Einsicht und Therapiemotivation sowie die erheblichen, breit gefächerten und auch Körperverletzungsdelikte umfassenden Vorstrafen lassen auf konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr schließen.
50
Auch soweit man zugunsten des Klägers unterstellt, dass die Motivation, eine Therapie durchzuführen, vorliegt und nicht allein auf den ausländerrechtlichen Maßnahmen gründet, ändern auch die Therapiebestrebungen des Klägers nichts am Bestehen der Wiederholungsgefahr, denn zum Zeitpunkt der Entscheidung liegt noch nicht ansatzweise eine abgeschlossene Therapie vor, die jedoch Voraussetzung für das Entfallen einer Wiederholungsgefahr wäre (vgl. BayVGH, B.v. 21.5.2021 - 19 CS 20.2977 - juris Rn. 21; B.v. 31.1.2019 - 10 ZB 18.1534 - juris Rn. 13); im Gegenteil besteht aufgrund des Abbruchs der früheren Behandlung in einer Entziehungsanstalt sowie der fehlenden Kooperation des Klägers nach Ansicht der damals behandelnden Ärzte und des psychiatrischen Gutachters vom … … 2021 keine hinreichende Aussicht auf einen Behandlungserfolg.
51
Die ausweislich des forensisch-psychiatrischen Gutachtens vom … … 2017 möglicherweise bestehende Erkrankung an ADHS in der Kindheit des Klägers ist nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr entscheidungserheblich zu verringern. Das Gegenteil ist der Fall; sie rechtfertigt weder die Straftaten noch die Drogensucht des Klägers. Es war und ist dem Kläger zumutbar und möglich, entsprechende ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, insbesondere erforderliche Medikamente einzunehmen bzw. Therapien aufzunehmen. Seit seiner Kindheit ist die mögliche Erkrankung jedoch nicht mehr diagnostiziert bzw. behandelt worden.
52
2. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt.
53
2.1. Der Kläger verwirklichte durch sein Verhalten eine Vielzahl besonders schwerwiegender bzw. schwerwiegender Ausweisungsinteressen.
54
Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist. Dies ist beim Kläger durch die Freiheitsstrafe von drei Jahren der Fall.
55
Darüber hinaus wiegt das Ausweisungsinteresse vorliegend auch deshalb besonders schwer, weil der Kläger wegen einer vorsätzlichen Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit (§ 54 Abs. 1 Nr. 1a b) AufenthG) und serienmäßig begangener Straftaten gegen das Eigentum (§ 54 Abs. 1 Nr. 1a d) AufenthG) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde. Der Kläger wurde mit Urteil vom 13. Oktober 2015 rechtskräftig wegen gefährlicher Körperverletzungen in Tatmehrheit mit Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sieben Monate Freiheitsstrafe verurteilt. Weiter wurde er mit Urteil vom 28. November 2017 wegen besonders schweren Diebstahls nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 StGB verurteilt. So beging der Kläger ausweislich des Urteils des Amtsgerichts … vom 28. November 2017 die 39 verurteilten Straftaten innerhalb eines halben Jahres, d.h. im gewerbsmäßigen Umfang innerhalb kürzester Zeit, um sich eine Einnahmequelle zu verschaffen und damit serienmäßig. Ob der Begriff der serienmäßig begangenen Straftat strafrechtlich zu verstehen ist (als „gewerbsmäßige“ oder „fortgesetzte“ Begehung nach den §§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder einer eigenständigen öffentlich-rechtlichen Begriffsauslegung bedarf, nach der auf die Begehung mehrfacher, gleicher oder ähnlicher Straftaten in einer annähernd regelmäßigen zeitlichen Abfolge abgestellt wird, kann vorliegend dahinstehen (vgl. Katzer in: BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 7. Edition Stand 1.1.2021, § 54 AufenthG, Rn. 15 f.; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 54 AufenthG, Rn. 19 f.; VGH Mannheim, U.v. 15.11.2017 - 11 S 1555/16 - juris Rn. 39 ff.). Beide Auslegungen des Begriffs „serienmäßig“ sind durch die strafrechtlich festgestellten Taten erfüllt.
56
Ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ist anzunehmen, da der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts … vom 28. November 2017 wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde.
57
Ebenso ist § 54 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG als schwerwiegendes Ausweisungsinteresse wegen der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, anzunehmen. Mit Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Laufen vom 13. Oktober 2015 (Az. 4 Ls 330 Js 6703/15 jug; I, Bl. 207 ff.) wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung in drei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt und unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts - Jugendgericht - … vom … … … in der Fassung vom 22. April 2015 eine Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verhängt. Die erst nachträglich erfolgte Bildung einer Einheitsjugendstrafe von über einem Jahr ist hierbei unschädlich (BeckOK AuslR/Fleuß, 29. Ed. v. 1.4.2021, AufenthG, § 54, Rn. 178). Die erfolgte Zurückstellung der Strafe nach § 35 BtMG und die erst nachträglich mit Beschluss des Amtsgerichts Laufen vom 21. Oktober 2016 erfolgte Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe nach § 88 JGG gilt nicht als Aussetzung der Vollstreckung der Strafe in diesem Sinne (Bergmann/Dienelt/Bauer, Ausländerrecht, 13. Auflage, § 54 Rn. 68). Die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe wurde ebenso wegen beharrlicher und gröblicher Verstöße gegen fast alle erteilten Bewährungsauflagen und Weisungen bereits mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 16. Februar 2017 und damit lange vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids wieder widerrufen. Die abgeurteilten Straftaten sind unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Verjährungsfristen nach §§ 78 ff StGB und Tilgungsfristen nach den §§ 46, 51 BZRG noch aktuell und können daher als Ausweisungsgrund herangezogen werden (BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16/17 - juris Rn. 23 ff.).
58
Der Kläger verwirklicht durch sein Verhalten weiter ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG, da er als Täter den Tatbestand des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG verwirklichte. Dies ergibt sich aus dem Urteil des Amtsgerichts … vom 4. März 2021, in dem der Kläger wegen viermaligen Erwerbs von vier Gramm Marihuana nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG schuldig gesprochen wurde. Dass noch keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt, ist hierbei nicht relevant, da allein aufgrund konkreter Anhaltspunkte die rechtswidrige Tatbegehung verlässlich feststehen muss (Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 54 AufenthG, Rn. 45). Vorliegend hat der Kläger den unerlaubten Besitz und Erwerb von je vier Gramm Marihuana in vier Fällen vor Gericht gestanden. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung zielt auf eine beabsichtigte Unterbringung nach § 64 StGB und richtet sich nicht gegen die durch das Amtsgericht … festgestellten Tatsachen des Betäubungsmittelerwerbs.
59
Ebenfalls sind schwerwiegende Ausweisungsinteressen wegen nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstöße gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen und Verfügungen durch den Kläger anzunehmen, § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Der Kläger entzog sich bisher beharrlich fast jeder Auflage oder Weisung eines Jugendstraf- bzw. Vollstreckungsgerichts, sein vollzugliches Verhalten in Haft war teilweise zu beanstanden und er beging, seit er am … … 2020 aus der letzten Haft entlassen wurde, vier Betäubungsmittelstraftaten, gestand einen weiteren Einbruchsdiebstahl in ein gewerbliches Objekt und wurde wegen Beleidigung von Polizeibeamten zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Konflikte mit der Lebensgefährtin führten zu mehreren Polizeieinsätzen, die jedoch mangels Strafantragsstellungen nicht zu Ermittlungsverfahren führten.
60
2.2. Dem steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG gegenüber, da der Kläger bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids eine Niederlassungserlaubnis besaß und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt.
61
Ein Interesse des Klägers am Verbleib in Deutschland ergibt sich nach § 53 Abs. 2 AufenthG aus seinen familiären Bindungen zu seinen in Deutschland lebenden Eltern und Geschwistern sowie der entfernteren Familie. Weiter lebt der Kläger seit seiner Geburt in Deutschland, hat deutsche Sprachkenntnisse und verfügt über einen Schulabschluss der mittleren Reife. Weiter ist die - nach Angaben des Klägers angebliche - Lebensgefährtin derzeit schwanger und entbindet voraussichtlich am 28. August 2021. Das ungeborene Kind stammt nach Angaben des Klägers und der damals noch ehemaligen Lebensgefährtin gegenüber der Polizei vom Kläger.
62
2.3. Bei der Abwägung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG überwiegt unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien sowie aller sonstigen Umstände des Einzelfalls vorliegend das öffentliche Interesse an der Ausreise das private Bleibeinteresse des Klägers. Die Ausweisungsentscheidung erweist sich auch mit Blick auf die Anforderungen des Art. 8 EMRK und des Art. 6 GG als verhältnismäßig.
63
2.3.1. Für den weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet sprach bei dieser Abwägung, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland geboren wurde und sein ganzes Leben hier verbracht hat, er erfüllt damit (wohl) die Kriterien eines faktischen Inländers. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht jedoch auch für sogenannte „faktische Inländer“ kein generelles Ausweisungsverbot (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn.19). Bei der Ausweisung im Bundesgebiet geborener Ausländer ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen. Auch nach der Rechtsprechung des EGMR bietet Art. 8 EMRK bei sogenannten „Zuwanderern der zweiten Generation“ keinen absoluten Schutz vor einer Aufenthaltsbeendigung (vgl. EGMR [Große Kammer], U.v. 18.10.2006 - 46410/99 Rn. 54 - Üner, NVwZ 2007, 1279).
64
Im Rahmen der Ermittlung der privaten Belange ist bei faktischen Inländern in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Als Gesichtspunkte für das Vorhandensein von anerkennenswerten Bindungen können Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung sein, der rechtliche Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer des Aufenthalts und Kenntnisse der deutschen Sprache. Diese Bindungen des Ausländers im Inland sind in Beziehung zu setzen zu den (noch vorhandenen) Bindungen an seinen Heimatstaat. Hierzu gehört die Prüfung, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und seiner familiären Anbindung im Heimatland von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist.
65
Der Kläger ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, hielt sich mithin 26 Jahre in Deutschland auf, durchlief hier eine reguläre Schulbildung bis zum Abschluss der mittleren Reife. Eine wirtschaftliche Integration in die Lebensverhältnisse des Klägers ist seitdem nicht ersichtlich. Eine Ausbildung brach der Kläger nach etwas über einem Jahr am 8. August 2014 ab und ging seither einer regulären Arbeitstätigkeit nicht nach. Der Kläger bezog von September 2014 bis Februar 2015 Sozialleistungen und finanzierte seinen Lebensunterhalt anschließend teilweise durch seine Eltern sowie nach eigenen Angaben durch „Dealen“ und seine Straftaten, wenn er sich nicht in staatlichen oder klinischen Einrichtungen aufhielt. Eine reguläre Eingliederung in die Arbeitswelt in Deutschland ist bis zum aktuellen Zeitpunkt nicht erfolgt. Die im Bericht des Bewährungshelfers vom 30. September 2020 erwähnte Ausbildung zum Spengler konnte nach Aktenlage im Strafverfahren vor dem Amtsgerichts … nicht bestätigt werden, wurde nicht substantiiert vorgetragen und ist spätestens seit der erneuten Inhaftierung am 17. Februar 2021 wohl inzwischen nicht mehr bestehend.
66
Auch war im Rahmen des Bleibeinteresses des Klägers zu würdigen, dass ein Großteil seiner Familie, vor allem seine Eltern und Geschwister, im Bundesgebiet leben und er in Bosnien-Herzegowina nach Angaben des Klägers nur noch über einen Großcousin, zu dem er keinen Kontakt hat, verfügt.
67
Der Umstand, dass der Kläger möglicherweise der leibliche (nicht rechtliche) Vater eines noch ungeborenen Kindes sein könnte, führt selbst bei Wahrunterstellung nicht zu einem Überwiegen der Bleibeinteressen des Klägers gegenüber den Ausweisungsinteressen. Weder Art. 6 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewähren einen unmittelbaren Anspruch des Ausländers auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde und das Gericht, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 13 f.; BayVGH, B.v. 12.11.2020 - 10 ZB 2257 - juris Rn. 6).
68
Das Gericht sieht es bereits als fraglich an, ob der Schutzbereich des Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK bereits eröffnet ist. Der Kläger trug erst am Vortag der mündlichen Verhandlung vor, dass seine Lebensgefährtin von ihm schwanger sei und das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit haben werde. Zum Nachweis legte der Kläger einen Auszug des Mutterpasses der Lebensgefährtin vor, wonach Entbindungstermin am 28. August 2021 ist.
69
Ein substantiierter Vortrag, geschweige denn Nachweis einer leiblichen bzw. rechtlichen Vaterschaft des Klägers zum noch ungeborenen Kind ist daraus nicht ersichtlich. Nach Aktenlage musste die Polizei mehrfach beim Kläger und seiner (jedenfalls im Oktober 2020 und ebenfalls im Januar 2021 ehemaligen) Lebensgefährtin wegen heftiger Streitigkeiten und häuslicher Gewalt ermitteln (III, Bl. 17 ff., 33 ff.). Die angebliche Lebensgefährtin erwirkte am 28. Januar 2021 ein gerichtliches Kontaktverbot beim Amtsgericht … gegen den Kläger. Die Vaterschaft des Klägers steht derzeit nicht fest; es ist noch nicht einmal vorgetragen, dass der Kläger die Vaterschaft zum ungeborenen Kind anerkennen möchte bzw. die (ehemalige) Lebensgefährtin einer Vaterschaftsanerkennung überhaupt zustimmen würde, § 1595 Abs. 1 BGB. Außerdem ist das Kind noch nicht geboren.
70
Doch selbst bei Annahme der Eröffnung des Schutzbereiches des Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK ist fraglich, ob beim Kläger tatsächlich mit der Übernahme elterlicher Verantwortung und der gemeinsamen Erziehung des Kindes gerechnet werden kann. Eine derzeit gelebte, schützenswerte Vater-Kind-Beziehung ist mit Blick auf den voraussichtlichen Geburtstermin Ende August 2021 derzeit nicht existent. Ob eine solche schützenswerte Beziehung zum Kind durch den Kläger aufgebaut werden kann, ist fraglich. Eine besondere Hilfsbedürftigkeit der Kindsmutter ist nicht ersichtlich, eine Beziehung besteht nach Aktenlage frühestens seit der Haftentlassung des Klägers im Mai 2020 und stellt sich nach derzeitiger Aktenlage als zumindest instabil dar. Weiter ist der Kläger derzeit in Untersuchungshaft und wurde bereits (noch nicht rechtskräftig) zu einer weiteren Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, die nach dem Berufungsziel des Klägers in eine mehrmonatige Unterbringung in einer Entziehungsanstalt umgewandelt werden soll, so dass ein häufiger Kontakt nach der Geburt zunächst nicht zu erwarten ist.
71
2.3.2. Für das Überwiegen der Ausweisungsinteressen sprechen die Art und Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten. Die aus spezialpräventiven Gründen für das Überwiegen des Ausweisungsinteresses sprechenden Gesichtspunkte sind gemeinsam mit den generalpräventiven Gründen so gewichtig, dass die von der Beklagten vorgenommene Entscheidung nicht zu beanstanden ist.
72
Die Beklagte hat die privaten Belange des Klägers zutreffend dargestellt und mit sehr ausführlicher Begründung, der sich das Gericht anschließt, gegen die für die Ausreise sprechenden Gründe abgewogen.
73
Besonders fiel negativ ins Gewicht, dass der Kläger nicht zum ersten Mal straffällig wurde, sondern im Gegenteil bereits vielfach vorbestraft ist und sich die Straftaten mit der Zeit in ihrer Intensität auch deutlich steigerten. Die Geringschätzung der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums anderer durch den Kläger ist den Straftaten des Klägers zu entnehmen. Dem § 54 Abs. 1a AufenthG ist die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen, dass es beim Ausweisungsinteresse entsprechend negativ zu gewichten ist, wenn Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum unter den dortigen Voraussetzungen begangen wurden. Der Kläger hat durch die Vielzahl der Eigentumsdelikte, Körperverletzungsdelikte und sonstiger Delikte gezeigt, dass er die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht respektiert. Der der vorliegenden Klage zugrundeliegende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger bereits spätestens im Alter von 14 Jahren begonnen hat, illegale Betäubungsmittel zu konsumieren. Die mit seiner Drogensucht einhergehende Kriminalität hat sich nicht nur auf den Erwerb und den Besitz von Betäubungsmitteln bezogen, sondern bestand wiederholt in Körperverletzungs- und Eigentumsdelikten. Auch die bislang nicht geglückte wirtschaftliche Integration des Klägers, der keine abgeschlossene Ausbildung hat und seinen Lebensunterhalt noch nie selbst erwirtschaftete, spricht dafür, dass er wieder zu Drogen greifen wird und seinen Lebensunterhalt mit unlauteren Mitteln bestreiten wird. Auch ist es sehr negativ zu bewerten, dass der Kläger eine Vielzahl von Chancen und Therapien, die ihm ermöglicht wurden - trotz anfänglich vorgetragener Motivation - nicht genutzt hat, nach seinen eigenen Angaben auch während Therapien „Spice“ nahm und im Rahmen der gewährten Strafaussetzungen zur Bewährung beharrlich und gröblich gegen die Bewährungen verstößt. Die Familie des Klägers konnte ihn auch in der Vergangenheit nicht von der Begehung von Straftaten abhalten. Vor dem dargestellten Hintergrund sieht das Gericht eine vom Kläger ausgehende ernsthafte Gefahr für bedeutsame Schutzgüter durch die Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten.
74
Die Beklagte hat eine Rechtsstellung des Klägers als „faktischer Inländer“ zutreffend gewürdigt. Diese Position führt nämlich nicht dazu, dass eine Ausweisung unzulässig wäre. Als „faktischer Inländer“ wird ein Ausländer bezeichnet, der sich lange im Bundesgebiet aufgehalten und seine wesentliche Prägung und Entwicklung hier erfahren hat (BayVGH, B.v. 13.05.2016 - 10 ZB 15.492 - juris Rn. 21). Jedoch verhindert die Stellung als „faktischer Inländer“ die Ausweisung nicht von vornherein, sondern erfordert lediglich eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall (vgl. EGMR, U.v. 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris Rn. 53; BayVGH, B.v. 26.01.2015 - 10 ZB 13.898 - juris Rn. 37). Diese Abwägung hat die Beklagte fehlerfrei vorgenommen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sieht das Gericht den 26-jährigen Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet, stellt aber zugleich fest, dass er sich offensichtlich nicht integriert hat, keine besonders schützenswerten persönlichen Beziehungen im Bundesgebiet besitzt und ihm eine Rückkehr in das Land seiner Staatsangehörigkeit zuzumuten ist. Dem Kläger ist während seines langjährigen Aufenthalts eine wirtschaftliche und soziale Integration in die Gesellschaft nicht gelungen; er ist seit fast acht Jahren permanent straffällig, drogensüchtig und nahm keinerlei Hilfsangebote mit Erfolg an.
75
Die Ausweisung verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris). Der Kläger ist Bewährungsversager und mehrfacher Therapieversager und befindet sich in Untersuchungshaft. Seine Stellung als faktischer Inländer sowie seine Bindungen zur Familie und zum Herkunftsland wurden in die Verhältnismäßigkeitsprüfung eingestellt und ausreichend gewichtet.
76
Dem Kläger ist zuzumuten, sich eine eigene Existenz in Bosnien-Herzegowina aufzubauen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass der Kläger nach eigenen Aussagen nur zu Urlaubszwecken in Bosnien-Herzegowina war und vorträgt, die bosnische Sprache eher schlecht zu sprechen. Es ist dem Kläger jedoch zuzumuten, seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger ausweislich des Vollzugsberichts in der Justizvollzugsanstalt vom 23. Mai 2019 und 16. Dezember 2019 über gute Kenntnisse der bosnischen Sprache verfügt. Auch verkennt das Gericht nicht, dass sich nach eigener Aussage des Klägers ein Großteil der Familie in Deutschland befindet. Jedoch hat der Kläger in Bosnien und Herzegowina noch Verwandte. Als Volljähriger ist der Kläger nicht mehr auf den Beistand seiner Eltern angewiesen; zum Entscheidungszeitpunkt ist der Kläger bereits 25 Jahre alt. Der Kläger ist gesund, daher ist es ihm zuzumuten, sich in seinem Heimatland mit der Unterstützung seiner hier lebenden und unter Kontaktaufnahme zu den noch dort lebenden Verwandten eine neue Existenz aufbauen. Es wäre ihm sogar zuzumuten, sich ohne Kontaktperson zurechtzufinden.
77
Eine eigene Kernfamilie hat der Kläger nicht gegründet, der instabilen Beziehung zu seiner (ehemaligen) Lebensgefährtin ist wenig Gewicht beizumessen. Die Beziehung ist in Kenntnis der unsicheren aufenthaltsrechtlichen Position des Klägers geschlossen worden und dauert mit erheblichen Unterbrechungen und Konflikten längstens etwas über ein Jahr. Wegen der fehlenden Darlegung einer tragfähigen Zukunftsperspektive kommt der Geburt des Kindes der Lebensgefährtin - selbst bei Annahme einer nicht nachgewiesenen, jedoch angestrebten Vaterschaft des Klägers - eine nur geringe Bedeutung zu, da prognostisch unklar ist, ob der Kläger selbst bei einem Verbleib in Deutschland zeitnah die Möglichkeit erhält, eine schützenswerte Beziehung zu dem Kind aufzubauen.
78
2.3.3. Zusammenfassend kommt das Gericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wie die Beklagte zum Ergebnis, dass die Ausweisung nicht gegen höherrangiges Recht verstößt und dem Kläger eine Rückkehr in das Land seiner Staatsangehörigkeit zuzumuten ist.
79
3. Die von der Beklagten verfügten Befristung der Ausweisung auf fünf Jahre ist rechtlich nicht zu beanstanden.
80
Nach der ab dem 21. August 2019 anwendbaren Neufassung des § 11 Abs. 1 AufenthG entsteht - anders als in der vorhergehenden Fassung - aufgrund der Ausweisung kein durch Gesetz angeordnetes Einreise- und Aufenthaltsverbot mehr, das die Behörde als Einzelfallentscheidung befristet. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot ist nunmehr behördlich anzuordnen. Mangels Übergangsregelung und in Anbetracht des maßgeblichen Entscheidungszeitpunktes der mündlichen Verhandlung ist vorliegend die neue Gesetzesfassung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG anzuwenden (vgl. OVG NRW, B.v. 16.12.2020 - 19 A 555/19.A - juris Rn. 19). Wegen einer möglichen richtlinienkonformen Auslegung bestehen wegen des Wortlauts der Anordnung in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids keine Bedenken, da die dort vorgenommene Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbot die Existenz desselben voraussetzt (BVerwG, U.v. 21.8.2018 - 1 C 21/17 - juris Rn. 26 ff.; OVG NRW, B.v. 16.12.2020 - 19 A 555/19.A - juris Rn. 20).
81
Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegen vor, da der Kläger ausgewiesen wird.
82
Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf fünf Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise stellt sich als ermessensfehlerfrei dar. Die Voraussetzungen für die Überschreitung der Fünfjahresgrenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG lagen vor. Die gewählten fünf Jahre sind wegen der massiven Rückfallgefahr und -geschwindigkeit, der persistierenden, nicht therapierten Drogensucht und des Rangs der beeinträchtigten Rechtsgüter auch unter Berücksichtigung der familiären Bindungen des Klägers sowie seines Status als faktischer Inländer angemessen. Die am Vorabend der mündlichen Verhandlung vorgetragene Schwangerschaft der (ehemaligen) Lebensgefährtin des Klägers nahm der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis und erklärte, dass auch unter Berücksichtigung der Schwangerschaft eine Fristverkürzung nicht erfolge. Ermessensfehler der Beklagten sind insofern nicht ersichtlich.
83
Im Übrigen kann der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von der Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG stellen, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Kriterien nachträglich ändern sollten.
84
4. Die Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
II.
85
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
86
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 173 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung.