Inhalt

VG München, Urteil v. 09.06.2021 – M 18 K 17.4586
Titel:

Zur örtlichen Zuständigkeit für Kostenerstattung für selbstbeschaffte Hilfe zur Erziehung

Normenketten:
SGB VIII § 16, § 19, § 27, § 31, § 36a Abs. 3, § 86, § 86b, § 86c, § 86d, § 89e
SGB I § 30 Abs. 3, § 43 Abs. 1
VwGO § 42 Abs. 2
Leitsatz:
Jemand gibt seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf bzw. verliert diesen, wenn er seinen Aufenthaltsort tatsächlich wechselt und die konkreten Umstände erkennen lassen, dass er am bisherigen Aufenthaltsort nicht mehr bis auf Weiteres verbleiben und nicht mehr den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen haben wird (hier: durch Umzug in eine andere Einrichtung). (Rn. 71 – 72) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Örtliche Zuständigkeit, Selbstbeschaffte Leistung, Hilfe zur Erziehung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Beginn der Leistung, örtliche Zuständigkeit, Jugendhilfe, selbstbeschaffte Leistung, Beginn, Geburt, Umzug
Fundstelle:
BeckRS 2021, 19836

Tatbestand

1
Die Klägerinnen begehren vom Beklagten die Übernahme von Kosten, die für die Unterbringung und Betreuung der Klägerin zu 2), der Tochter der Klägerin zu 1), im Rahmen der Jugendhilfe in der sozialtherapeutischen Einrichtung U. in G., dessen Träger die Beigeladene zu 3) ist, angefallen sind.
2
Die Klägerin zu 1) ist am ... 1988 in H./S. geboren, wo sie bis 4. Dezember 2015 lebte. Aufgrund eines gerichtlichen Unterbringungsbeschlusses vom 14. Oktober 2016 wegen einer Suchterkrankung in Verbindung mit einer psychischen Erkrankung (verlängert mit Beschluss des Amtsgerichts Laufen vom 4. Oktober 2016 bis längstens 1. August 2017) wurde sie ab 5. Dezember 2015 im Sozialtherapeutischen Zentrum H. in B. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten untergebracht. Die Kosten hierfür trug die Beigeladene zu 2) im Rahmen der Sozialhilfeleistungen. Für die Bereiche Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrags, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme und Öffnen der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern wurde, mit - dem Gericht zuletzt vorgelegten - Beschluss des Amtsgerichts Laufen vom 7. April 2016, eine Betreuung für die Klägerin zu 1) verlängert.
3
Am 14. März 2017 wandte sich eine Mitarbeiterin des Sozialtherapeutischen Zentrums H. an den Beklagten und teilte mit, dass die Klägerin zu 1) schwanger sei, mit dem Kind aber nicht in der Einrichtung bleiben könne. Die Klägerin zu 1) wünsche, mit dem Vater des Kindes zusammen zu bleiben, der gegenwärtig auch in der Einrichtung lebe. Man habe die Einrichtung U. (Anm. des Gerichts: Die Beigeladenen zu 3)) in Gera (Anm. des Gerichts: die Beigeladene zu 1)) gefunden, die beide aufnehmen würde. Für die Klägerin zu 1) liege bereits eine Kostenübernahmeerklärung des Sozialamts in Halle (Anm. des Gerichts: Die Beigeladenen zu 2)) vor. Problematisch sei jedoch die Zuständigkeit bezüglich der Kostenübernahme für das ungeborene Kind, da dieses noch keinen Aufenthaltsort habe. Die Aufnahme der Klägerin zu 1) in die Einrichtung U. sei ab sofort möglich; sie solle noch vor der Geburt des Kindes in diese wechseln.
4
Des Weiteren nahm die Mitarbeiterin des Sozialtherapeutischen Zentrums H. auch mit der Beigeladenen zu 2) wegen der Hilfegewährung Kontakt auf. Diese teilte der Mitarbeiterin mit E-Mail vom 20. März 2017 mit, dass nach ihrer Einschätzung das Jugendamt des Beklagten gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII für das ungeborene Kind zuständig sei. Es werde daher empfohlen, dass die Klägerin zu 1) einen schriftlichen Antrag auf Hilfe zur Erziehung beim Beklagten stelle.
5
Am 28. März 2017 beantragte die Klägerin zu 1) durch ihren Betreuer beim Beklagten Hilfe zur Erziehung in Form der Unterbringung in der Einrichtung U. der Beigeladenen zu 3). Zur Begründung wurde angegeben, die Klägerin zu 1) habe seit ihrem 14. Lebensjahr illegale Substanzen konsumiert. Nach einer Intoxikation im Frühjahr 2015 habe die Klägerin zu 1) unter psychotischer Realitätsverkennung gedroht, sich umzubringen, und sei in das Universitätsklinikum Halle eingewiesen worden. Während des Klinikaufenthalts sei der Unterbringungsbeschluss für ein Jahr ausgesprochen worden, der aufgrund von Rückfällen inzwischen habe verlängert werden müssen. Der Betreuer habe sie sodann im Sozialtherapeuthischen Zentrum H. angemeldet. Die große Entfernung zu ihrer Heimat habe der Stabilisierung der Klägerin zu 1) dienen sollen, um zukünftig wieder ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Sie habe stets Kontakt zu ihrer Familie gehalten und die Rückkehr angestrebt. Nun habe sie in der Nähe ihrer Familie eine geeignete Einrichtung gefunden, die einem Paar mit Suchtproblematik die nötige Unterstützung geben könne, um sich um ein Kind kümmern zu können. Die Klägerin zu 1) habe nun bei Kostenübernahme für das ungeborene Kind jederzeit die Möglichkeit, mit ihrem Freund bei der Beigeladenen zu 3) aufgenommen zu werden. Dies sei hinsichtlich des zeitnahen voraussichtlichen Geburtstermins am 23. Mai 2017 dringlich zu behandeln.
6
Mit Schreiben vom 6. April 2017 teilte der Beklagte dem Betreuer mit, dass der Antrag vom 28. März 2017 an das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport zur Bearbeitung in eigener Zuständigkeit weitergeleitet worden sei. Eine Zuständigkeit des Beklagten nach den §§ 86 ff. SGB VIII sei nicht gegeben. Die Klägerin zu 1) habe zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, in der Therapieeinrichtung H. einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen.
7
Am 12. April 2017 stellte der Betreuer der Klägerin zu 1) beim Jugendamt der Beigeladenen zu 2) ebenfalls einen Antrag auf Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe nach § 27 SGB VIII.
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Er führte aus, dass für seine Betreute nach langer, intensiver Suche mit der Einrichtung U. eine passende Einrichtung gefunden worden sei, die die Aufnahmebereitschaft für diese erklärt habe. Es sei bereits ein Antrag zur Aufhebung des Unterbringungsbeschlusses für die Einrichtung in B. erfolgt. Da der Fachbereich Soziales der Beigeladenen zu 2) nach Prüfung der örtlichen Zuständigkeit am 21. Februar 2017 eine Kostenzusage für die Unterbringung seiner Betreuten in der Einrichtung U. erteilt habe, gehe er davon aus, dass diese auch für deren Kind örtlich zuständig sei.
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Die Beigeladene zu 2) lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 24. April 2017 mit der Begründung ab, dass sie örtlich nicht zuständig sei und auch Bedenken gegen die Geeignetheit der Hilfe bestünden.
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Nach einem Aktenvermerk des Beklagten über ein Gespräch mit der Klägerin zu 1) am 25. April 2017 habe diese geäußert, nie einen Verbleib im Kreisgebiet des Beklagten angedacht zu haben. Sie wolle zumindest in die Nähe ihrer alten Heimat zurück. Des Weiteren wurde festgehalten, dass 16 Einrichtungen bezüglich der Aufnahme der Klägerin angefragt worden seien, aber nur die Einrichtung U. der Beigeladenen zu 3) zugesagt habe.
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Am 2. Mai 2017 wurde die Klägerin zu 1) in der Einrichtung U. aufgenommen.
12
Mit Bescheid vom 11. Mai 2017 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin vom 28. März 2017 mit der Begründung ab, dass diese keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Landkreis begründet habe, da sie seit ihrer Unterbringung das Ziel verfolgt habe, wieder in Heimatnähe nach Halle zurückzukehren. Dort sei auch ihre Mutter wohnhaft, zu der sie regelmäßigen Kontakt habe und von der sie laufend unterstützt werde.
13
Am ... 2017 wurde das Kind der Klägerin zu 1) - die Klägerin zu 2) - geboren. Die Vaterschaft wurde vom Partner der Klägerin zu 1) am 26. Juli 2017 anerkannt.
14
Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2017 beantragte die Klägerin zu 1) durch ihren Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin Hilfe zur Erziehung gemäß dem Antrag vom 28. März 2017 zu gewähren.
15
Im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer der Klägerin zu 1) im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seit ca. 18 Monaten sei festzustellen, dass von einem bloß vorübergehenden Aufenthalt in B. nicht auszugehen sei. Die Kontakte zur Familie der Klägerin zu 1) fänden nicht in Halle statt, da sich die Klägerin zu 1) bis zu ihrem Umzug in die Einrichtung der Beigeladenen zu 3) seit der Unterbringung ausschließlich in B. aufgehalten habe.
16
Ebenfalls am 16. Mai 2017 legte die Klägerin zu 1) durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 11. Mai 2017 ein.
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Mit Beschluss vom 19. Juni 2017 (M 18 E 17.2190) wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Beklagten abgelehnt. In den Gründen des Beschlusses wurde ausgeführt, dass der Beklagte für die Gewährung der Jugendhilfemaßnahmen örtlich nicht zuständig sei. Die Klägerin zu 1) habe zum maßgeblichen Zeitpunkt des Beginns der Leistung in dessen Zuständigkeitsbereich weder einen gewöhnlichen noch einen tatsächlichen Aufenthalt gehabt.
18
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2017 wurde der eingelegte Widerspruch zurückgewiesen. Es wurde ausgeführt, dass der Beklagte örtlich für die Leistung nicht zuständig sei. Die örtliche Zuständigkeit richte sich nach § 86 SGB VIII, wonach derjenige Träger zuständig sei, in dessen Bereich die Eltern bzw. die Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten. Dabei sei zeitlich auf den Beginn der Leistung abzustellen, welche hier frühestens mit der Geburt des Kindes hätte beginnen können. Die Klägerin zu 1) und demzufolge auch ihre Tochter hätten im Kreisgebiet des Beklagten keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Es habe an dem Willen der Klägerin zu 1) gefehlt, im Zuständigkeitsbereich des Beklagten bis auf weiteres, d.h. im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs, einen gewöhnlichen Aufenthalt und den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen begründen zu wollen. Letztlich könne jedoch dahinstehen, ob die Klägerin zu 1) einen gewöhnlichen Aufenthalt in B. begründet habe, da die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts stets die tatsächliche Aufenthaltsnahme voraussetze. Zum Zeitpunkt des frühestens möglichen Leistungsbeginns mit der Geburt der Klägerin zu 2) habe sich die Klägerin zu 1) jedoch nicht mehr in B., sondern bei der Beigeladenen zu 3) in Gera aufgehalten.
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Der Betreuer der Klägerin zu 1) wandte sich sodann mit Schreiben vom 14. September 2017 an die Beigeladene zu 1) und beantragte die Übernahme der Kosten der Hilfen zur Erziehung für die Klägerin zu 2). Die Beigeladene zu 1) teilte ihm darauf mit Schreiben vom 18. September 2017 mit, dass die Kosten der Jugendhilfeleistung wegen Unzuständigkeit nicht übernommen werden könnten. Für die Gewährung der Jugendhilfeleistung sei der örtliche Träger zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich die Klägerin zu 1) vor Beginn der Maßnahme ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Einschlägig sei wohl § 86 SGB VIII.
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Am 25. September 2017 erhoben die Klägerinnen zu 1) und zu 2) durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragten,
21
Der Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. August 2017 wird aufgehoben und den Klägerinnen Hilfe zur Erziehung gemäß § 31 SGB VIII gewährt.
22
Zur Begründung verwies der Bevollmächtigte auf die Ausführungen im Verfahren M 18 E 17.2190. Er führte ergänzend aus, dass die Klägerinnen und der Kindsvater seit der Geburt der Klägerin zu 2) am 16. Mai 2017 in verschiedenen Räumen in der Einrichtung U. der Beigeladenen zu 3) in Gera wohnten, sodass § 31 SGB VIII als zu gewährende Hilfe in Betracht komme.
23
Mit Beschluss vom 27. September 2017 wurde sowohl die Stadtverwaltung Gera (Beigeladene zu 1) als auch die Stadt H. (Beigeladene zu 2) zum Verfahren beigeladenen.
24
Mit Schreiben vom 20. November 2017 nahm der Beklagte zur Klage Stellung und verwies auf die eigene Stellungnahme zum Widerspruch, den Beschluss des Gerichts im Verfahren M 18 E 17.2190 und auf den Widerspruchsbescheid. Ein Antrag wurde nicht gestellt.
25
Die Beigeladene zu 1) führte mit Schriftsatz vom 29. November 2017 aus, dass der Beklagte gemäß § 86d SGB VIII die Leistungen für die Klägerin zu 1) vorläufig hätte bewilligen können, da sich diese vor Beginn der Leistung in dessen Zuständigkeitsbereich aufgehalten habe. In diesem Fall wäre die Beigeladene zu 2) kostenerstattungspflichtig gewesen. Ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit hätte dann gegenüber der Beigeladenen zu 1) mit der dazugehörigen Fallübergabe angezeigt werden können. Jedoch wäre auch dann die Beigeladene zu 2) zur Kostenerstattung nach § 89e SGB VIII verpflichtet gewesen, da die Klägerin zu 1) vor Aufnahme in der Einrichtung H. ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 2) gehabt habe. Die Beigeladene zu 1) sei bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen grundsätzlich bereit, den Hilfefall in eigener Zuständigkeit fortzuführen. Es gelte dann zu klären, welcher örtliche Träger der Beigeladenen zu 1) in der Folge zur Kostenerstattung verpflichtet wäre.
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Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2017 nahm die Beigeladene zu 2) zur Klage Stellung. Nach § 86 Abs. 1 SGB VIII sei dasjenige Jugendamt örtlich zuständig, in dessen territorialem Bereich die Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten. An die Stelle der Eltern trete die Kindsmutter, wenn die Vaterschaft - so wie es vorliegend der Fall sei - nicht anerkannt worden sei. Die Klägerin zu 1) habe weder zum Zeitpunkt der Antragstellung noch zum Zeitpunkt des möglichen Leistungsbeginns, festgelegt durch die Geburt des Kindes, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Halle gehabt. Im vorliegenden Fall liege seit dem 4. Dezember 2015 ein Aufenthalt der Klägerin zu 1) in der Einrichtung in B. vor, der nicht nur vorübergehend und zukunftsoffen sei. Zumindest erscheine es unstrittig, dass die Klägerin zu 1) im Jahr 2017 keinen tatsächlichen Aufenthalt in Halle begründet habe. Ein gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin zu 1) in Halle komme aus diesem Grund nicht in Betracht. Die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2) scheide somit in jedem Falle aus. Soweit es auf den tatsächlichen Aufenthalt der Kindesmutter bzw. des Kindes vor Beginn der Leistung ankomme, sei wohl das Jugendamt Gera zuständig. Aus der Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2) für Sozialhilfeleistungen könne nicht auf eine Zuständigkeit für jugendhilferechtliche Leistungen geschlossen werden; insoweit werde auf die unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen bei der Feststellung der örtlichen Zuständigkeit verwiesen.
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Mit Schreiben vom 10. Januar 2018 nahm der Klägerbevollmächtigte unter Berufung auf die Ausführungen im Verfahren M 18 E 17.2190 erneut Stellung. Danach sei der Beklagte für den Hilfefall örtlich zuständig, da die Klägerin zu 1) im Gebiet des Beklagten ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Den Klägerinnen gehe es im Wesentlichen darum, zeitnah eine Entscheidung mit Bindungswirkung für alle Verfahrensbeteiligten zur Zuständigkeit zu erhalten.
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Auf Anfrage des Gerichts teilte der Bevollmächtigte der Klägerinnen mit Schreiben an das Gericht vom 19. August 2018 mit, dass die Klägerin zu 2) bisher keine Jugendhilfeleistungen von einem der beteiligten Jugendämter erhalten habe. Es würden lediglich Leistungen zum Lebensunterhalt und Leistungen für Bildung und Teilhabe durch das Sozialamt H. gezahlt werden.
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Mit Schreiben vom 24. September 2018 bat das Gericht des Weiteren die (im Folgenden) Beigeladene zu 3) um Auskunft u.a. hinsichtlich der erbrachten Hilfeleistungen für die Klägerinnen und deren Abrechnung. Die Beigeladene zu 3) teilte sodann mit Schreiben vom 29. Oktober 2018 mit, dass die Klägerin zu 1) mit ihrer Tochter nach wie vor in der Einrichtung lebe. Für den Partner der Klägerin zu 1), welcher zu Beginn der Hilfe mit dieser in die Einrichtung (in ein separates Zimmer) eingezogen sei, sei die Hilfe zum 5. Dezember 2018 (sic) beendet worden. Für diesen bestünde derzeit ein Hausverbot. Seither wohne die Klägerin zu 1) allein mit ihrer Tochter in der Einrichtung.
30
Seit dem Einzug der Familie leiste die Einrichtung sozialpädagogische Erziehungshilfe nach § 31 SGB VIII und sozialtherapeutische Hilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII. Die Leistungen für die Eingliederungshilfe der Klägerin zu 1) würden gegenüber dem Sozialamt H. aktuell mit täglich 5 Fachleistungsstunden abgerechnet werden. Die Hilfeleistung für das Kind werde derzeit nicht vergütet. Vor Aufnahme der Klägerin zu 1) sei aufgrund des hohen Bedarfs mit dem Jugendamt des Beklagten ein Betreuungsumfang von 60 Fachleistungsstunden pro Woche vereinbart worden. Diese Zusage sei jedoch zurückgenommen worden.
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Der wirtschaftliche Verlust für die Einrichtung als Träger sei signifikant. Die Einrichtung hätte damals die Möglichkeit gehabt, wegen fehlender Kostenzusage die Maßnahme zu beenden. Dies habe sie mit Rücksicht auf die Familie unterlassen, da sich die Klägerin zu 1) in den letzten Tagen der Schwangerschaft befunden habe und keine andere geeignete Einrichtung vorhanden gewesen sei. Würde man die vereinbarte Stundenzahl von 60 Fachleistungsstunden pro Woche ansetzen, ergebe sich für den Zeitraum 2. Mai 2017 bis 30. November 2018 ein Zahlungsrückstand von insgesamt 177.653,83 EUR.
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Insbesondere bei der Hygiene und Versorgung ihrer Tochter benötige die Klägerin zu 1) die Unterstützung der Mitarbeiter der Einrichtung. Beide Elternteile würden sich träge und inaktiv zeigen; oft würden sie versuchen, sich Verpflichtungen zu entziehen. Es falle ihnen schwer, die Bedürfnisse ihrer Tochter genau zu erkennen. Aufgaben und Verantwortung habe die Klägerin zu 1) des Öfteren an den Kindsvater abgegeben. Trotz der Entwicklung der Klägerin zu 1) bestehe aus Sicht der Einrichtung die Gefahr, dass einige der erworbenen Kompetenzen wieder rückläufig werden könnten, wenn sie aus der Einrichtung aus- und mit ihrem Partner zusammenziehe, da sie dann vermutlich erneut wichtige Verantwortung an ihn abgeben würde. Innerhalb der Einrichtung habe sie einen glaubwürdigen Abstinenzwillen zeigen können und sei innerhalb des geschützten Raumes clean geblieben. Dennoch müsse sie beweisen, dass sie dies auch außerhalb der Einrichtung aufrechterhalten könne.
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Ergänzend wurde das Konzept der Einrichtung zur sozialpädagogischen Familien- und Erziehungshilfe nach § 31 SGB VIII vorgelegt.
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Mit Schriftsatz vom 24. November 2018 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, dass die Klägerin zu 1) am 15. November 2018 die Einrichtung U. verlassen habe und zum Kindsvater gezogen sei. Die Klägerin zu 2) sei in Absprache mit dem Jugendamt der Beigeladenen zu 1) in einer Einrichtung in G. untergebracht worden.
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Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2019 teilte die Beigeladene zu 3) mit, dass bisher keine Vergütung ihrer Hilfeleistungen erfolgt sei. Der Ausfall der Leistungsvergütung über einen Zeitraum von 18,5 Monaten sei für sie als kleiner Träger nur schwer zu kompensieren. Hinzu komme die Befürchtung, dass im Falle der gerichtlichen Festlegung einer Leistungsvergütung diese eventuell nicht an die Beigeladene zu 3) als Leistungserbringerin, sondern an die Mutter erfolgen könnte. Es sei fraglich, ob diese dann die Vergütung an die Beigeladene zu 3) weiterreichen würde. Es werde gebeten, zu prüfen, ob die Beigeladene zu 3) als Verfahrensbeteiligte beigeladen werden könne.
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Mit Schriftsatz vom 19. November 2019 nahm die Beigeladene zu 1) ergänzend Stellung. Sie führte aus, dass diese an der Entscheidung, die Klägerin zu 1) in der Einrichtung U. unterzubringen, nicht beteiligt gewesen sei. Das Jugendamt des Beklagten habe damals die Entscheidung zur Unterbringung getroffen und der Leiterin der Einrichtung U. - laut deren telefonischer Auskunft - eine mündliche Kostenzusage erteilt. Nach § 86b SGB VIII sei für die Erbringung der Jugendhilfeleistungen derjenige örtliche Träger zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Leistungsempfänger vor Beginn der Leistung seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Im Hinblick auf die Beteiligung der Beigeladenen zu 1) könne letztlich dahinstehen, ob die Klägerin in der Einrichtung in B. ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe oder ob es sich um einen tatsächlichen Aufenthalt gehandelt habe. Soweit die Klägerin keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hätte, würde diese Einrichtung dem Schutz der Einrichtungsorte gemäß § 89e SGB VIII unterliegen. Maßgeblich für die Feststellung der örtlichen Zuständigkeit wäre in diesem Fall der gewöhnliche Aufenthalt der Leistungsempfängerin vor Beginn dieser Leistung, welche in der Stadt H. gelegen habe.
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Nach Anhörung der Beteiligten wurde der Träger der Einrichtung U. mit Beschluss vom 9. Dezember 2019 zum Verfahren beigeladen (Beigeladene zu 3).
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Mit Schreiben vom 9. Juli 2020 bat der Klägerbevollmächtigte um eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren. Auf Nachfrage des Gerichts teilten der Beklagte und die Beigeladenen zu 1), 2) und 3) sodann mit, auf mündliche Verhandlung zu verzichten.
39
Die Beigeladene zu 2) führte mit Schriftsatz vom 20. Juli 2020 ergänzend aus, dass die Klägerin zu 1) zum für die örtliche Zuständigkeit maßgeblichen Zeitpunkt der Geburt der Klägerin zu 2) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Einrichtung U. in Gera gehabt habe. Die Zuständigkeit liege folglich bei der Beigeladenen zu 1).
40
Mit Schriftsatz vom 11. September 2020 teilte der Klägerbevollmächtigter mit, dass der Vater der Klägerin zu 2) die Vaterschaft für diese anerkannt habe und legte eine Kopie der standesamtlichen Anerkennungsurkunde vom 26. Juni 2017 vor.
41
Mit Hinweisschreiben vom 1. März 2021 teilte das Gericht den Beteiligten seine vorläufige rechtliche Einschätzung zur Auslegung des Klageantrags, der fehlenden Klagebefugnis der Klägerin zu 2) sowie in der Sache mit und gab erneut Gelegenheit zu Stellungnahme.
42
Die Beigeladene zu 1) führte sodann mit Schriftsatz vom 24. März 2021 u.a. ergänzend aus, dass maßgeblicher Zeitraum für die Beantragung der Hilfe zur Erziehung gemäß § 31 SGB VIII die Zeit vor der Geburt des Kindes sei. Auch werdende Mütter/Eltern hätten einen entsprechenden Anspruch auf Hilfe zur Erziehung gemäß § 31 SGB VIII, wenn der Bedarf bestehe und die Hilfe notwendig und geeignet sei. Die sozialpädagogische Familienhilfe gemäß § 31 SGB VIII, welche der Klägerin zu 1) in der Einrichtung U. gewährt worden sei, komme oftmals bereits vorgeburtlich zum Einsatz, um die werdende Mutter/Eltern bei den Vorbereitungen auf die Geburt und ein Leben mit dem Kind zu unterstützen und zum Zeitpunkt der Geburt bereits die für eine gelingende Hilfe notwendige Arbeitsbeziehung hergestellt zu haben. Dies sei langjährige und bewährte Praxis der Jugendämter und vom Gesetzgeber auch so vorgesehen (vgl. Artikel 1 § 1 Abs. 4 Bundeskinderschutzgesetz). Bereits seit dem Tag des Einzugs der Klägerin zu 1) in die Einrichtung U. sei - über die ebenfalls in Anspruch genommene Sozialhilfeleistung nach §§ 53 ff. SGB XII hinaus - eine sozialpädagogische Familienhilfe nach § 31 SGB VIII erbracht worden.
43
Die Klägerin zu 1) habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Halle gehabt. Seit dem 5. Dezember 2015 sei sie in der Einrichtung in B. untergebracht gewesen. Diese Einrichtung unterliege dem Schutz der Einrichtungsorte gemäß § 89e SGB VIII. Demzufolge sei die Beigeladene zu 2) örtlich zuständig. Auch nach dem Umzug der Klägerin zu 1) nach Gera habe die örtliche Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2) fortbestanden, da es sich bei dieser Einrichtung ebenfalls um eine geschützte sonstige Wohnform handle. Soweit die Klägerin zu 1) später, anders als ursprünglich beabsichtigt, einen gewöhnlichen Aufenthalt in Gera begründet hätte, hätte die Beigeladene zu 2) der Beigeladen zu 1) nach § 89c SGB VIII einen Zuständigkeitswechsel bzw. eine Fallabgabe anzeigen müssen, was jedoch nicht geschehen sei. Auch nach Fallabgabe wäre die Beigeladenen zu 2) dann zur Kostenerstattung nach § 89e SGB VIII verpflichtet gewesen.
44
Mangels Klärung der örtlichen Zuständigkeit zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen zu 2) vor Leistungsbeginn hätte der Beklagte gemäß § 86d SGB VIII tätig werden müssen, da sich in dessen Zuständigkeitsbereich das Kind (in diesem Fall die schwangere Klägerin zu 1)) vor Beginn der Leistung tatsächlich aufgehalten habe. Der Gesetzgeber habe das Vorgehen bei strittigen Zuständigkeitsfragen hierdurch konkret geregelt.
45
Des Weiteren liege der Beigeladenen zu 1) kein Antrag für die Jugendhilfeleistung vor. Der Antrag des Betreuers der Klägerin zu 1) vom 14. September 2017 könne einen rechtlich korrekten Antrag der Leistungsberechtigten nicht ersetzen, siehe auch § 6 SGB VIII. Im Übrigen hätte zu diesem Zeitpunkt für ein vorläufiges Tätigwerden der Beigeladenen zu 1) nach § 86d SGB VIII schon kein Handlungsdruck mehr bestanden, da die Klägerin bereits vier Monate in der Einrichtung U. untergebracht gewesen sei und die notwendigen Leistungen erhalten habe.
46
Mit Schriftsatz vom 30. März 2021 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, dass sich das Klageziel auf die Kostenerstattung für die Unterbringung in der Einrichtung U. für den Zeitraum vom 16. Mai 2017 bis 15. November 2018 richte. Die Klägerin zu 1) übe gemeinsam mit dem Kindsvater das Sorgerecht für die Klägerin zu 2) aus. Der Kindsvater sei mit der Geltendmachung der Kostenerstattung einverstanden.
47
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte - auch im Verfahren M 18 E 17.2109 - und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
49
Die nach § 88 VwGO auszulegende Klage ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen unbegründet.
50
Der Klageantrag ist nach sachgerechter Auslegung gemäß § 88 VwGO und entsprechender Bestätigung des Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 31. März 2021 dahingehend zu verstehen, dass von den Klägerinnen der Ersatz von Kosten begehrt wird, die im Rahmen einer in der Einrichtung U. der Beigeladenen zu 3) erbrachten Jugendhilfeleistung vom 16. Mai 2017 bis 15. November 2018 angefallen sind. Für in der Vergangenheit liegende Maßnahmen scheidet eine rückwirkende Bewilligung einer Jugendhilfemaßnahme aus, da Maßnahmen der Jugendhilfe der Deckung eines aktuellen Bedarfs des Hilfeempfängers dienen. Dementsprechend kann sich ein Anspruch für die Vergangenheit ausschließlich auf Erstattung der Kosten einer selbstbeschafften Maßnahme gemäß § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII richten (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2014 - 12 ZB 13.2025 - juris Rn. 12). Der auf eine Sachleistung gerichtete Primäranspruch hat sich insoweit in einen sekundären Anspruch auf Kostenerstattung gewandelt (vgl. Stähr in: Hauck/Noftz, SGB, 12/14, § 36a SGB VIII, Rn. 43).
51
Soweit ein Anspruch der Klägerin zu 2) auf Ersatz der angefallenen Betreuungskosten geltend gemacht wird, ist die Klage bereits mangels Klagebefugnis unzulässig. Der Anspruch nach § 36a Abs. 3 SGB VIII steht dem Inhaber des ursprünglichen (Primär-)Anspruchs zu (vgl. SächsOVG, B.v. 22.10.2020 - 3 A 477/20 - juris Rn. 9; Kunkel/Pattar in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 36a Rn. 3 m.w.N.), hier also bei dem geltend gemachten Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII dem Personensorgeberechtigten. Ein Anspruch des Kindes auf die Leistung besteht hingegen nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 27 Abs. 1 SGB VIII nicht (vgl. auch Tammen/Trencek in Münder/Meysen/Trenczek, SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 27 Rn. 33), so dass auch keine Klagebefugnis der Klägerin zu 2) gemäß § 42 Abs. 2 VwGO gegeben ist.
52
Die zulässige Klage der Klägerin zu 1) bleibt in der Sache ohne Erfolg.
53
Ein Anspruch der Klägerin zu 1) auf Kostenerstattung gemäß § 36a Abs. 3 SGB VIII gegen den Beklagten besteht nicht.
54
Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für den Fall, dass Hilfen abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII vom Leistungsberechtigten selbst beschafft werden, zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn (1.) der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, (2.) die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und (3.) die Deckung des Bedarfs bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII sichert mit diesen Tatbestandsvoraussetzungen die Steuerungsverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe; dieser soll die Leistungsvoraussetzungen sowie mögliche Hilfemaßnahmen unter Zubilligung eines angemessenen Prüfungs- und Entscheidungszeitraums jeweils pflichtgemäß prüfen können und nicht nachträglich als bloße Zahlstelle für selbstbeschaffte Maßnahmen fungieren (BayVGH, B.v. 25.6.2019 - 12 ZB 16.1920 - juris Rn. 35).
55
Die Klägerin zu 1) hat ihren Bedarf durch unmittelbare Inanspruchnahme der Beigeladenen zu 3) ohne vorherige positive Entscheidung über die Hilfegewährung durch einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe gedeckt und sich daher die Leistung im Sinne des § 36a Abs. 3 SGB VIII selbst beschafft (vgl. zu dieser Definition der Selbstbeschaffung Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 36a Rn. 42).
56
Der Aufwendungsersatzanspruch nach § 36a Abs. 3 SGB VIII setzt zudem denknotwendig voraus, dass dem Leistungsberechtigten auch tatsächlich Aufwendungen entstanden sind, deren Ersatz vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe verlangt werden kann. Grundsätzlich kann alternativ zu der Entschädigung in Geld jedoch auch die Befreiung von der gegenüber dem Leistungserbringer eingegangenen Verbindlichkeit verlangt werden, vorausgesetzt, die Kosten sind von dem Leistungsberechtigten geschuldet (Stähr in: Hauck/Noftz, SGB VIII, 12/14, § 36a Rn. 44). Vorliegend ist die Klägerin zu 1) mit ihrem Einzug in die Einrichtung U. mit Einverständnis ihres Betreuers - zumindest konkludent - einen zivilrechtlichen Vertrag über Betreuungsleistungen mit dem Leistungserbringer, der Beigeladenen zu 3), eingegangen und schuldet demnach die hierfür fällige Vergütung. Nach Angaben der Beigeladenen zu 3) im Schriftsatz vom 29. Oktober 2018 hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits ein Zahlungsrückstand von 177.653,83 EUR ergeben. Wenngleich auf eine konkrete Rechnungstellung der Klägerin zu 1) gegenüber mangels Solvenz möglicherweise verzichtet wurde, hat die Beigeladene zu 3) deutlich gemacht, einen entsprechenden Zahlungsanspruch für erbrachte Leistungen jedenfalls gegenüber dem zuständigen Jugendhilfeträger geltend machen zu wollen.
57
Ein Anspruch nach § 36a Abs. 3 SGB VIII scheitert vorliegend allerdings daran, dass zumindest gegenüber dem Beklagten im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Leistung kein Anspruch auf die Gewährung der Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII bestand.
58
Allerdings erlaubt sich das Gericht den Hinweis, dass unabhängig von einer abschließenden rechtlichen Zuständigkeit zumindest eine vorläufige Leistung (ggf. mit nachfolgender Klärung der Zuständigkeit und Kostenerstattungsansprüchen) sei es durch den Beklagten oder die Beigeladenen zu 1) bzw. 2) zu erwarten und angemessen gewesen wäre. Eine Abwälzung des Kostenrisikos auf die - unstreitig hilfebedürftige - Leistungsempfängerin bzw. die Beigeladene zu 3) als freier Träger der Jugendhilfe wie vorliegend widerspricht hingegen den Grundprinzipien der Jugendhilfe.
59
§ 27 Abs. 1 SGB VIII gewährt dem Personensorgeberechtigten bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Gemäß § 27 Abs. 2 SGB VIII wird die Hilfe insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt und richtet sich hinsichtlich Art und Umfang nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall. Ein Erziehungsdefizit, wie es § 27 Abs. 1 SGB VIII voraussetzt, ist bei der Klägerin zu 1) angesichts ihrer Suchterkrankung in Verbindung wohl auch mit einer psychischen Erkrankung und der Schilderungen der Beigeladenen zu 3) in ihrem Schriftsatz vom 29. Oktober 2018 wohl gegeben. Dies dürfte zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit stehen. Ob sich sodann die Betreuung in der Einrichtung U., wie vom Klägerbevollmächtigten vorgetragen, als konkrete Hilfeform im Rahmen der Hilfe zur Erziehung unter § 31 SGB VIII einordnen lässt oder ob möglicherweise angesichts der stationär erfolgenden Hilfe eine andere, eventuell auch unbenannte Hilfeform vorliegt, kann letztendlich jedoch dahinstehen, da der Wortlaut des § 27 Abs. 2 SGB VIII, wonach Hilfe zur Erziehung „insbesondere“ nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt wird und sich Art und Umfang der Hilfe nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall richten, auch Raum für die Berücksichtigung neuer atypischer Hilfeformen lässt, auf die bei entsprechendem erzieherischen Bedarf ein Anspruch besteht (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.2002 - 5 C 48/01 - juris Rn. 29 f; Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 27 Rn. 29).
60
Eine von der Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII - insbesondere auch bezüglich der Zuständigkeitsregeln zu unterscheidende - Hilfeleistung nach § 19 SGB VIII (in der damals maßgeblichen Fassung) scheidet vorliegend - anders als noch im Eilbeschluss angenommen - hingegen aus.
61
Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sollen Mütter oder Väter, die allein für ein Kind unter sechs Jahren zu sorgen haben oder tatsächlich sorgen, gemeinsam mit dem Kind in einer geeigneten Wohnform betreut werden, wenn und solange sie auf Grund ihrer Persönlichkeitsentwicklung dieser Form der Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes bedürfen. Voraussetzung der Hilfe ist demnach, dass ein Elternteil - faktisch - alleine für ein kleines Kind sorgt, unabhängig von dem bürgerlich-rechtlichen Sorgerechtsstatus. Das Zusammenwohnen der leiblichen Eltern schließt eine Hilfe nach § 19 SGB VIII danach aus (vgl. Telscher in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl, Stand: 4.3.2020, § 19 Rn. 34). Vorliegend wohnte der Lebensgefährte der Klägerin zu 1) ebenfalls (zumindest für einen beträchtlichen Teil des Hilfezeitraums) in der Einrichtung U. - wenngleich in einem separaten Zimmer - und kümmerte sich gemeinsam mit der Klägerin zu 1) um das Kind. § 19 SGB VIII ist daher nicht einschlägig.
62
Ein Anspruch der Klägerin zu 1) auf Hilfe zur Erziehung kommt in zeitlicher Hinsicht frühestens ab der Geburt der Klägerin zu 2) am 16. Mai 2017 in Betracht.
63
In der Regel sind die Leistungen und Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII nur für Kinder, Jugendliche und junge Volljährige sowie Eltern und andere Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen vorgesehen, Schwangere und das ungeborene Kind sind hingegen grundsätzlich nicht Leistungsadressaten. Auch der Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung ist daher an die Inhaberschaft der Personensorge für ein - bereits geborenes - Kind gebunden (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten v. 20.9.2018, JAmt 2019, 146; DIJuF-Rechtsgutachten v. 14.9.2018, JAmt 2018, 505). Ausnahmen von diesem Grundsatz stellen Leistungen nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII (Aufnahme einer Schwangeren in eine gemeinsame Wohnform für Mütter/Väter und Kinder), u.U. Leistungen für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII sowie Angebote der vorgeburtlichen Förderung der Erziehungskompetenzen nach § 16 Abs. 3 SGB VIII dar (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten v. 20.9.2018, JAMt 2019, 146). Diese Ausnahmen sind vorliegend jedoch nicht einschlägig. Eine Leistung nach § 19 SGB VIII kommt entsprechend den obigen Ausführungen mangels Alleinsorge der Klägerin zu 1) vorliegend nicht in Betracht. Auch Leistungen für junge Volljährige scheiden in Hinblick auf die Altersgrenze nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII aus.
64
Ebenfalls nicht einschlägig ist eine sog. „frühe Hilfe“ (vgl. zum diesem Begriff § 1 Abs. 4 BKiSchG) nach § 16 Abs. 3 SGB VIII, die - so versteht das Gericht die Ausführungen der Beigeladenen zu 1) in ihrem Schriftsatz vom 24. März 2021 - bereits im Vorfeld der sozialpädagogischen Familienhilfe nach § 27 Abs. 1 i.V.m. § 31 SGB VIII entweder vom Beklagten oder von der Einrichtung U. geleistet worden wäre. Eine Hilfe nach § 16 Abs. 3 SGB VIII kann allgemeine Informationen für Schwangere und werdenden Väter, aber auch erste praktische Unterstützung wie z.B. Beratung oder ggf. ambulante Hilfen beinhalten; im Bedarfsfall kann sich dabei auch die Einleitung von weiterführenden Hilfen zur Erziehung ergeben (vgl. Telscher in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl (Stand: 04.03.2020), § 16 Rn. 90; DIJuF-Rechtsgutachten v. 20.9.2018, JAmt 2019, 146). Eine solche Hilfe wurde vom Beklagten - wenngleich dieser, als die Klägerin zu 1) sich noch im Zuständigkeitsbereich des Beklagten aufhielt, hierfür zweifelsohne zuständig gewesen wäre - jedenfalls nicht erbracht. Auch hat die Klägerin zu 1) dem Beklagten gegenüber keinerlei Bedürfnis bezüglich einer vorgeburtliche Beratung o.Ä. zum Ausdruck gebracht. So ist auch in dem Antrag der Klägerin zu 1) an den Beklagten vom 28. März 2017 nicht zu erkennen, dass bereits vorgeburtliche Jugendhilfemaßnahmen benötigt werden würden. Vielmehr wandte sich die Klägerin zu 1) bzw. die Einrichtung H. erst an den Beklagten, als ein Platz bei der Beigeladenen zu 3) bereits gefunden wurde und sich damit eine Beratung oder Unterstützung hinsichtlich möglicher nachfolgenden Hilfen bereits erübrigt hatte. Von einem Übergang einer Hilfe nach § 16 Abs. 3 SGB VIII in eine Hilfe zur Erziehung nach § 27 Abs. 1 i.V.m. § 31 SGB VIII im Sinne einer einheitlichen Hilfeleistung des Beklagten kann daher nicht ausgegangen werden. Offenbleiben kann vorliegend daher, ob auch bei einer von Hilfen zur Erziehung gefolgten Leistung nach § 16 Abs. 3 SGB VIII von einer zuständigkeitsrechtlich einheitlichen Leistung auszugehen ist, die zu einer weiter bestehenden örtlichen Zuständigkeit des zunächst leistenden Jugendhilfeträgers führt (vgl. dazu grundlegend BVerwG, U.v. 29.1.2004 - 5 C 9/03 - juris; BayVGH, U.v. 2.12.2019 - 12 BV 19.1737 - juris Rn. 27 ff. m.w.N.; Lange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 86 SGB VIII (Stand: 12.04.2021), Rn. 54 ff.). Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 3) dürfte vorliegend von der Einrichtung U. ebenfalls keine „frühe“ (jugendhilferechtliche) Hilfe geleistet worden sein. Vielmehr dürfte die Tätigkeit der Beigeladenen zu 3) bis zu der Geburt des Kindes abschließend über die Leistungen durch das Sozialamt H. im Rahmen der Eingliederungshilfe abgegolten worden sein. Im Übrigen käme eine solche Hilfe frühestens ab dem Einzug der Klägerinnen in die Einrichtung U. in Betracht; zu diesem Zeitpunkt bestand - wie im Folgenden auszuführen ist - jedoch keine Zuständigkeit des Beklagten.
65
Für den erst ab dem 16. Mai 2017 in Betracht kommenden Anspruch auf Hilfe zur Erziehung war der Beklagte vorliegend örtlich unzuständig. Eine örtliche Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich weder aus der speziellen Zuständigkeitsregelungen des § 86b SGB VIII noch aus der allgemeinen Regelung des § 86 SGB VIII. Auch begründet § 86d SGB VIII keine vorläufige Zuständigkeit des Beklagten. § 86c SGB VIII ist ebenfalls nicht einschlägig.
66
Als der allgemeinen Zuständigkeitsnorm des § 86 SGB VIII vorgehende Sonderzuständigkeit (vgl. Loos in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 86 Rn. 1) scheidet § 86b SGB VIII vorliegend aus. Eine von § 86b SGB VIII vorausgesetzte Leistungserbringung nach § 19 SGB VIII liegt nicht vor, s.o.
67
Eine Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aber auch nicht aus § 86 SGB VIII, welcher als Grundnorm die Zuständigkeit für Jugendhilfemaßnahmen nach § 2 Abs. 2 SGB VIII und damit auch für die hier streitgegenständliche Hilfe zur Erziehung regelt.
68
Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB VIII grundsätzlich der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Nach Satz 2 tritt an die Stelle der Eltern die Mutter, wenn und solange die Vaterschaft nicht anerkannt oder gerichtlich festgestellt ist.
69
Die Vaterschaft für die Klägerin zu 2) wurde erst am 26. Juni 2017 vom Kindsvater anerkannt. Zu Beginn des Zeitraums, für den ein Anspruch der Klägerin zu 1) vorliegend in Betracht kommt - ab Geburt ihrer Tochter am 16. Mai 2017 - war daher gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII allein auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin zu 1) abzustellen.
70
Nach der von der Rechtsprechung als allgemeine Legaldefinition auch in der Jugendhilfe herangezogenen Begriffsbestimmung des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich; es genügt vielmehr, dass der Betreffende an dem Ort oder in dem Gebiet tatsächlich seinen Aufenthalt genommen hat, sich dort „bis auf Weiteres“ im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2010 - 5 C 21/09 - juris Rn. 14, 21 f. m.w.N.).
71
Aus diesen Maßstäben folgt zugleich, dass jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt aufgibt bzw. verliert, wenn er seinen Aufenthaltsort tatsächlich wechselt und die konkreten Umstände erkennen lassen, dass er am bisherigen Aufenthaltsort nicht mehr bis auf Weiteres verbleiben und nicht mehr den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen haben wird (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 22).
72
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze hat die Klägerin zu 1) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Kreisgebiet des Beklagten - sofern ein solcher dort überhaupt bestand - jedenfalls zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung U. aufgegeben. Mit dem Umzug am 2. Mai 2017 hat zum einen der tatsächliche Aufenthalt der Klägerin zu 1) vom Kreisgebiet des Beklagten hin zur Beigeladenen zu 1) gewechselt. Zum anderen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin zu 1) am bisherigen Aufenthaltsort in B. nicht mehr verbleiben wollte. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zu 1) nach dem Umzug in die Einrichtung U. nach B. oder - angesichts der Tatsache, dass ein Verbleib der Klägerin zu 1) gemeinsam mit ihrer neugeborenen Tochter in der alten Einrichtung wohl nicht möglich gewesen wäre - auch zu einem anderen Ort im Kreisgebiet des Beklagten zurückkehren wollte, bestehen nicht. Der Aufenthalt in der Einrichtung H. war letztlich auf das Zutun des Betreuers der Klägerin zu 1) zurückzuführen, der in der Entfernung der Klägerin zu 1) zu ihrer Heimat eine Chance für deren psychische Stabilisierung sah. Die Klägerin zu 1) hatte jedoch, wie mehrfach dokumentiert, seit Bekanntwerden ihrer Schwangerschaft den ausdrücklichen Willen geäußert, in ihre Heimatstadt Halle oder zumindest in deren Nähe zurückzukehren, um - gerade auch in Hinblick auf die bevorstehende Mutterschaft - Unterstützung von ihrer Familie zu erfahren. Alles in allem kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass im Kreisgebiet des Beklagten der Lebensmittelpunkt der Klägerin aufrechterhalten werden sollte. Eine örtliche Zuständigkeit des Beklagten begründet § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII daher nicht.
73
Auch § 86d SGB VIII, bei dem es sich nicht um eine Zuständigkeitsregelung im engeren Sinne, sondern um eine Leistungspflicht zum vorläufigen Tätigwerden handelt (vgl. OVG NW, B. v. 16.7.2014 - 12 A 717/14 - juris Rn. 9), führt nicht zu einer Zuständigkeit des Beklagten.
74
Steht die örtliche Zuständigkeit nicht fest oder wird der zuständige örtliche Träger nicht tätig, so ist nach § 86d SGB VIII der örtliche Träger vorläufig zum Tätigwerden verpflichtet, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche, der junge Volljährige oder bei Leistungen nach § 19 SGB VIII der Leistungsberechtigte vor Beginn der Leistung tatsächlich aufhält. Maßgebliches Anknüpfungskriterium ist danach der tatsächliche Aufenthalt des Kindes vor Beginn der Leistung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist „Beginn der Leistung“ i.S.v. § 86 SGB VIII das Einsetzen der Hilfegewährung und damit grundsätzlich der Zeitpunkt, ab dem die konkrete Hilfeleistung tatsächlich gegenüber dem Hilfeempfänger erbracht wird (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.2011 - 5 C 25/10 - juris Rn. 18). Bei selbstbeschafften Leistungen nach § 36a Abs. 3 SGB VIII, bei denen die Hilfe nicht vom Jugendhilfeträger gewährt, sondern ohne dessen Zustimmung direkt vom Leistungserbringer bezogen wird, ist analog dazu ebenfalls auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Leistungsempfänger die Leistung tatsächlich erhält (vgl. OVG BW - B. v. 25.5.2020 - 12 S 3395/19 - juris Rn. 22; VG Freiburg (Breisgau), U.v. 12.3.2015 - 4 K 1734/14 - juris Rn. 30; Kunkel/Kepert, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 86 Rn. 10; a.A. Lange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. (Stand: 21.12.2020), § 86 Rn. 53). Wie bereits dargestellt, kommt ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung und damit auch die Selbstbeschaffung der Leistung erst ab Geburt der Klägerin zu 2) in Betracht. Die Klägerin zu 2) hatte ihren tatsächlichen Aufenthalt im Sinne einer physischen Anwesenheit jedoch nie im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Eine Zuständigkeit des Beklagten nach § 86d SGB VIII bestand daher ebenfalls nicht.
75
Auch § 43 Abs. 1 SGB I kann nicht zu einer Verpflichtung des Beklagten führen. Dieser ist von § 86d SGB VIII als lex specialis verdrängt, wenn - wie hier - ausschließlich die örtliche Zuständigkeit zwischen verschiedenen Jugendhilfeträgern streitig ist (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2007 - 12 CE 07.1443 - juris Rn. 19; Lange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. (Stand: 17.08.2020), § 86d Rn. 5 m.w.N.; Loos in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 86d Rn. 1).
76
Der Beklagte ist des Weiteren auch nicht nach § 86c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zuständig. Wechselt die örtliche Zuständigkeit für eine Leistung, so bleibt nach dieser Vorschrift der bisher zuständige örtliche Träger so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt. Selbst wenn man vorliegend von einer grundsätzlichen Einheit zwischen der Leistung nach § 16 Abs. 3 und einer sich anschließenden Hilfe zur Erziehung ausgehen würde (vgl. hierzu obige Ausführungen), scheidet eine Zuständigkeit des Beklagten hiernach aus, da § 86c Abs. 1 Satz 1 eine laufende Leistungserbringung voraussetzt (vgl. Lange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. (Stand: 17.08.2020), § 86c Rn. 18). Eine Leistung wurde vom Beklagten - sowie von den sich ebenfalls nicht in der Zuständigkeit gesehenen Beigeladenen zu 1) und 2) - vorliegend jedoch gerade nicht erbracht.
77
Des Weiteren lässt sich auch aus einer anfänglichen „Kostenzusage“, die der Beklagte der Beigeladenen zu 3) nach deren Aussage in ihrem Schriftsatz vom 29. Oktober 2018 vor Einzug der Klägerinnen in die Einrichtung U. gegeben und anschließend wieder zurückgenommen habe, keine Verpflichtung des Beklagten ableiten. Eine solche Zusage ist bereits weder in der vorgelegten Behördenakte dokumentiert noch von der Beigeladenen zu 3) anderweitig belegt worden, so dass hieran erhebliche Zweifel bestehen. Zudem scheidet eine Bindungswirkung des Beklagten diesbezüglich aus. Eine Kostenzusage des öffentlichen Jugendhilfeträgers gegenüber dem Leistungserbringer bezieht sich - den zum sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis aufgestellten Prämissen folgend (vgl. zur Übertragbarkeit auf das SGB VIII: BGH, U.v. 18.2.2021 - III ZR 175/19 - juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 19.6.2018 - 12 C 18.313 - juris Rn. 4) - lediglich auf den Inhalt des im Grundverhältnis (Jugendhilfeträger - Leistungsempfänger) ergangenen Verwaltungsaktes mit Drittwirkung, sprich die Bewilligung einer konkreten Jugendhilfeleistung. Eine solche Leistung wurde der Klägerin zu 1) vom Beklagten jedoch gerade nicht gewährt, was auch eine etwaige Kostenzusage gegenüber dem Einrichtungsträger hinfällig macht. Dafür, dass der Beklagte mit einer möglicherweise zunächst abgegebenen Kostenzusage einen vom Grundverhältnis losgelösten abstrakten Schuldgrund habe schaffen wollen, bestehen keine Anhaltspunkte. Zudem dürfte alleiniger Schuldner eines so entstandenen Zahlungsanspruches allein die Beigeladene zu 3), nicht jedoch die Klägerin zu 1) sein.
78
Der Beklagte war demnach für die Leistung einer Hilfe zur Erziehung an die Klägerin zu 1) örtlich nicht zuständig. Dementsprechend hat die Klägerin zu 1) auch keinen Anspruch auf Aufwendungsersatz gegen den Beklagten. Die Klage war daher abzuweisen.
79
Ohne dass es darauf noch in entscheidungserheblicher Weise ankommen würde, merkt das Gericht an, dass die Zuständigkeit für den Hilfefall gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII wohl bei der Beigeladenen zu 1) lag, in deren Zuständigkeitsbereich die Klägerin zu 1) mit Zuzug in die Einrichtung U. ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben dürfte. Dort, in der Nähe ihrer Heimat, beabsichtigte die Klägerin zu 1) wohl mit ihrer Tochter und dem Kindsvater bis auf Weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs zu verweilen. Auch nach § 86d SGB VIII hätte sich eine Zuständigkeit der Beigeladenen zu 1) ergeben, da sich die Klägerin zu 2) dort tatsächlich aufhielt. Die Verweise der Beigeladenen zu 1) auf § 89e SGB VIII gehen offensichtlich fehl, da es sich bei dieser Norm nicht um eine Bestimmung zur örtlichen Zuständigkeit, sondern ausschließlich um eine nachgeschaltete Regelung zur Kostenerstattung handelt. Insoweit teilt das Gericht jedoch die Ansicht der Beigeladenen zu 1), dass es sich sowohl bei der Einrichtung H. als auch der Einrichtung U. der Beigeladenen zu 3) um geschützte Einrichtungsorte handeln dürfte, so dass dem Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1) gegenüber eine Kostenerstattungspflicht der Beigeladenen zu 2) gegeben sein dürfte. Hingegen enthält § 89e SGB VIII keine Durchgriffsregelung, die zu einem Anspruch der Klägerin zu 1) unmittelbar gegen die Beigeladene zu 2) führen kann. Die Ausführungen der Beigeladenen zu 1) im Schriftsatz vom 24. März 2021 zu einem angeblich nicht korrekten Antrag der Klägerin zu 1) durch ihren Betreuer unter Verweis auf § 6 SGB VIII können ebenfalls nicht nachvollzogen werden. Gerade eine solche Antragstellung sollte die vom Amtsgericht Laufen angeordnete Betreuung umfassen (vgl. den Beschluss vom 7. April 2016: „Die Betreuung umfasst nunmehr folgende Aufgabenkreise: […] Abschluss, Änderung, Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages“). Anhaltspunkte dafür, dass der bei der Beigeladenen zu 1) gestellte Antrag auf Hilfe zur Erziehung vom 14. September 2017 nicht wirksam gestellt worden wäre, liegen darüber hinaus nicht vor.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2, 1. Halbsatz VwGO gerichtskostenfrei.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.