Inhalt

LG Ingolstadt, Endurteil v. 10.06.2021 – 82 O 293/21 Die
Titel:

Schadensersatz wegen unzulässiger Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs (Audi A6 Avant 3.0 TDI quattro)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826 VO (EG) 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: OLG Brandenburg BeckRS 2021, 14845; BeckRS 2021, 14846; OLG Köln BeckRS 2020, 10284; OLG Hamm BeckRS 2020, 41423; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5656; OLG Koblenz BeckRS 2020, 34715; LG München II BeckRS 2021, 9731; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 17853; LG Landshut BeckRS 2021, 15304. (redaktioneller Leitsatz)
2. Zumindest in der vom KBA mittels Rückruf beanstandeten Aufheizstrategie ist eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen, welche für sich genommen bereits ausreicht, einen Anspruch des Käufers eines betroffenen Fahrzeugs nach § 826 BGB auf Rückabwicklung des Kaufvertrages auszulösen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch für die 3,0 Liter-Motoren ist von einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km auszugehen. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0 Liter-Motor, Audi AG, Aufheizstrategie, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Nutzungsentschädigung, Gesamtlaufleistung, Rückruf, Kraftfahr-Bundesamt
Fundstelle:
BeckRS 2021, 19616

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 33.754,24 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz ab 09.02.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 Avant 3.0 TDI quattro mit der Fahrgestellnummer ...
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Forderung seiner Prozessbevollmächtigten Dr. L. Rechtsanwälte, H-str. 16, R. wegen der vorgerichtlichen Geltendmachung seiner Schadensersatzansprüche aufgrund des streitgegenständlichen Haftungsfalles vom 01.04.2014 in Höhe von 1.474,89 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 63/100 und die Beklagte 37/100 zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Schadenersatz aus deliktischer Haftung wegen unzulässiger Manipulationen des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
2
Der Kläger schloss am 01.04.2014 einen Kaufvertrag (Anlage K1) mit einem Dritten als Privatmann über einen Audi A6 Avant 3.0 TDI mit 230 KW. Das Fahrzeug gehört der Schadstoffklasse EU5 an und hatte bei Kauf einen Kilometerstand von 28.110 km. Der Kaufpreis für den PKW betrug 72.000,00 € brutto. Das Fahrzeug verfügt über ein sog. Thermofenster und einen sog. Bi-Turbomotor. Es unterlag einem amtlichen Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes, welcher auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung gestützt ist. Das vom KBA geforderte Softwareupdate wurde zwischenzeitlich aufgespielt. Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung hatte das Kfz einen Kilometerstand von 145.976 km.
3
Mit Schriftsatz der Klägervertreter vom 29.12.2020 forderte die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten die Beklagte vergeblich zur Rückabwicklung des Kaufvertrages auf.
4
Die Klagepartei behauptet, die Beklagte hafte vor allem aus Deliktsrecht dafür, dass in dem FahrDokument unterschrieben zeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien. Um eine solche unzulässige Abschalteinrichtung handle es sich bereits bei dem unstreitig in dem Kfz verbauten Thermofenster finde auch eine unterschiedliche Emissionsbehandlung bei dem Fahrzeug statt, je nachdem, ob es sich auf dem Prüfstand befinde oder im Normalbetrieb.
5
Die Klagepartei beantragt zuletzt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 72.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4 Prozent seit dem 01.04.2014 bis Rechtshängigkeit und seither in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 Avant 3.0 TDI quattro mit der Fahrgestellnummer und Zahlung eines Nutzungsersatzes, dessen Höhe sich aus den vom Kläger gefahrenen Kilometern bis zum Tag der letzten mündlichen Verhandlung geteilt durch die am Tag des Erwerbs des Fahrzeugs gegebene Restlaufleistung des Fahrzeugs in Höhe von 72.000,00 €.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des vorbezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Forderung seiner Prozessbevollmächtigten Dr. L. Rechtsanwälte, H. straße 16, 8... R1. wegen der vorgerichtlichen Geltendmachung seiner Schadensersatzansprüche aufgrund des streitgegenständlichen Haftungsfalles vom 01.04.2014 in Höhe von 2.033,36 € gemäß der Kostennote vom 11.01.2021 freizustellen.
6
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
7
Die Beklagte bestreitet eine deliktische Haftung auf allen Ebenen. Es liege bereits keine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Insbesondere das Thermofenster stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Die Beklagte habe den Kläger daher nicht sittenwidrig getäuscht oder falsche Prospektangaben gemacht. Die Klagepartei habe sich bewusst für ein stark motorisiertes Fahrzeug entschieden, es werde daher bestritten, dass Umweltaspekte beim Kauf eine wesentliche Rolle gespielt hätten. Im übrigen sei der Klagepartei nach der Differenzhypothese kein Schaden entstanden.
8
Bezüglich des übrigen Vortrags wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat mündlich zur Sache verhandelt am 06.05.2021 und dabei den Kläger informatorisch zum Sachverhalt angehört. Bezüglich des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 06.05.2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

9
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Klagepartei steht ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung durch die Beklagte aus § 826 BGB zu. Allerdings muss sie sich eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 38.245,76 € abziehen lassen. Sie unterliegt ferner mit den geltend gemachten Deliktszinsen, was sich in der Kostenquote nach Bildung eines fiktiven Streitwerts auswirkt. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs war ab Rechtshängigkeit begründet. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten konnten aus dem obsiegenden Betrag verlangt werden.
I.
10
Die Klagepartei hat einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages aus § 826 BGB.
11
1. Unstreitig liegt für das Fahrzeug ein amtlicher und bestandskräftiger Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes vor, welcher dem Gericht im übrigen bekannt ist. Der Rückruf bezieht sich explizit auf die Entfernung von unzulässigen Abschalteinrichtungen aus dem Emissionskontrollsystem. Das KBA ordnete mit dem genannten Bescheid die Umrüstung der betroffenen Fahrzeuge an, was von der Beklagten in der Klageerwiderung auch eingeräumt wurde. Vor diesem Hintergrund ist das Bestreiten der Beklagten, in dem Fahrzeug der Klagepartei sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, nicht ausreichend und ist rechtlich unerheblich.
12
Das Kraftfahrbundesamt hat mit Tatbestandswirkung festgestellt, dass zumindest die in dem streitgegenständlichen PKW zum Einsatz kommende Aufheizstrategie eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt. Denn hier wird zum Starten der Aufheizstrategie eine Vielzahl von Initialisierungsparametern verwendet, die über eine UND-Verknüpfung miteinander verknüpft sind. Das heißt, alle Bedingungen müssen gleichzeitig vorliegen, damit die Aufheizstrategie genutzt wird. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) sind dabei so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Schon kleine Abweichungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Die Kammer sieht in der beschriebenen Wirkungsweise auch aufgrund eigener Überzeugung eine unzulässige Abschalteinrichtung. Denn durch Erfassung und Auswertung verschiedener physikalischer Größen wird die Aufheizstrategie im Emissionskontrollsystem alternativ betrieben oder abgeschaltet. Wird sie (im Realbetrieb) abgeschaltet, verschlechtert sich zwangsläufig das Stickoxidemissionsverhalten. Ausnahmetatbestände des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a)-c) der VO (EG) Nr. 715/2007 sind nicht ersichtlich.
13
Nach alledem kommt es auf den übrigen Vortrag der Klagepartei zum Vorliegen weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen bereits nicht an, da zumindest in der beschriebenen Aufheizstrategie eine solche Abschalteinrichtung zu sehen ist, welche für sich genommen bereits ausreicht, einen Anspruch der Klagepartei auf Rückabwicklung des Kaufvertrages auszulösen.
14
2. Die Herstellung und das Inverkehrbringen von Dieselmotoren unter Verwendung einer Motorsteuerungssoftware, durch welche Stickoxidwerte im Vergleich zwischen Prüfstandlauf und realem Fahrbetrieb verschlechtert werden und damit das Emissionsverhalten des Motors auf dem Prüfstand im Normzyklus anders gesteuert wird als im regulären Fährbetrieb, erfüllt bei einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles die Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung der jeweiligen Käufer derartiger Fahrzeuge im Sinne von § 826 BGB.
15
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verhalten sittenwidrig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (BGH NJW 2014, 1098).
16
Das Verhalten der Beklagten ist deshalb als sittenwidrig anzusehen, da als Beweggrund für das Inverkehrbringen der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motorsteuerung nur eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung in Betracht kommt, außerdem die Beklagte die EG-Typengenehmigung für alle mit der Motorsteuerungssoftware ausgestatteten Kfz von den dafür zuständigen Erteilungsbehörden erschlichen hat, ohne dass die materiellen Voraussetzungen dafür vorlagen und zudem den Käufern eines mit einer derart erschlichenen EG-Typengenehmigung versehenen Fahrzeugs die Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs droht und das Fahrzeug insoweit auch bemakelt ist. Bei Würdigung dieser Umstände ist das Verhalten der Beklagten als Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zu werten.
17
Die maßgebliche Schädigungshandlung der Beklagten liegt im Inverkehrbringen des Dieselmotors mit der gesetzeswidrigen Motorsteuerung. Dabei setzte sich die Beklagte gezielt über die einschlägigen Rechtsvorschriften hinweg. Anders als gezielt ist der Einbau der geschilderten Motorsteuerung auch nicht denkbar, da bereits nach der Begründung des KBA die Schaltbedingungen so eng bedatet sind, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im NEFZ und den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Eine solche Bedatung kann nur bewusst vorgenommen worden sein.
18
Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motors kommt vorliegend allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Ein anderer Grund ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht ersichtlich und die Beklagte trägt hierzu auch keinen anderen konkreten Grund vor.
19
Zwar ist Gewinnstreben als Motiv des Handelns eines Wirtschaftsunternehmens an sich nicht verwerflich; im Gegenteil ist es der in einer Marktwirtschaft anerkannte Zweck eines Unternehmens, wirtschaftliche Gewinne zu erzielen und zu mehren. Allerdings führen die Tragweite der Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp, der in einer hohen Zahl von Fahrzeugen verbaut wird, die Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlichrechtlichen Genehmigungsverfahrens sowie die in Kauf genommenen drohenden erheblichen Folgen für die Käufer in Form der Stilllegung der erworbenen Fahrzeuge zur Sittenwidrigkeit der Entscheidung der Beklagten im Sinne des § 826 BGB. Vorliegend hat sich die Beklagte in diesem Gewinnstreben nicht nur gezielt über zwingende Rechtsvorschriften hinweggesetzt und damit deren dem Schutz der Allgemeinheit vor Luftverschmutzung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen dienenden Zweck missachtet. Vielmehr hat sie zugleich dadurch die Interessen einer großen Zahl an Käufern derartiger Fahrzeuge und damit auch der Klagepartei verletzt. Der zum Einsatz gebrachte Dieselmotor wurde in Großserie produziert und in hohen Stückzahlen verkauft. Die Beklagte hat durch ihr Verhalten bewirkt, dass eine unübersehbare Vielzahl an Kunden, die um die Hintergründe der Motorsteuerung weder wussten noch wissen konnten, weil diese erst später bekannt wurden, Fahrzeuge erhielten, die wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung den einschlägigen Zulassungsvorschriften nicht entsprachen und die erforderliche Typgenehmigung und Eingruppierung in die entsprechende Schadstoffnorm nur erhalten hatten, weil die Beklagte die Funktionsweise der Motorsteuerung im Genehmigungsverfahren nicht offengelegt hatte. Die Käufer trugen damit das Risiko, dass den mit diesem Motor ausgestatteten Fahrzeugen die Typgenehmigung entzogen werden könnte. Diese Möglichkeit war nicht fernliegend und zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages im Grad ihres Risikos nicht abschätzbar. Dies ergibt sich aus der Anordnung seitens des Kraftfahrt-Bundesamtes zur Entwicklung von Nachrüstungsmaßnahmen für die betroffenen Fahrzeuge durch die Beklagte, damit die betroffenen Fahrzeuge letztlich die behördliche Freigabe erhielten und damit einen Entzug der Typgenehmigung verhinderten. Diese Entwicklung war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages jedoch nicht absehbar, insbesondere deshalb, weil die infolge der Einstufung der Abschalteinrichtung als unzulässig durch das Kraftfahrt-Bundesamt erforderlich gewordenen Nachrüstungsmaßnahmen durch die Beklagte erst - aufwändig - entwickelt werden mussten. Den Käufern eines betroffenen Fahrzeugs drohte damit zunächst ein Schaden in Form der Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs.
20
Darüber hinaus hat sich die Beklagte über die Interessen einer Vielzahl von Kraftfahrzeug-Verkäufern hinweggesetzt, denen die Motorsteuerung der Dieselmotoren zunächst ebenso wenig bekannt war und bekannt sein konnte wie den Käufern. Die Verkäufer, unter denen vor allem eigene Vertragshändler der Beklagten waren, hafteten den Käufern gegenüber verschuldensunabhängig aus kaufrechtlicher Gewährleistung, weil die Ausstattung eines Fahrzeugs mit der rechtswidrigen Motorsteuerung eine Abweichung von der üblicherweise zu erwartenden Beschaffenheit eines Fahrzeugs ist und damit einen Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB begründet. Die Beklagte hat so eine Vielzahl von gutgläubigen Verkäufern, insbesondere solche, mit denen sie selbst langfristig vertraglich verbunden ist, verschuldensunabhängigen Gewährleistungsrechten der Käufer ausgesetzt.
21
Dem Schadensersatzanspruch der Klägerin aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB steht nicht entgegen, dass die rechtlichen Regelungen für die Typgenehmigung, insbesondere die Verordnung (EG) 715/2007, nicht primär dem Individualschutz dienen, sondern Belangen der Allgemeinheit. Der relevante Schutzzweckzusammenhang zwischen der deliktischen Handlung der Beklagten und dem eingetretenen Vermögensschaden ist gegeben.
22
Zum einen sind die Vorschriften über die Übereinstimmungserklärung zumindest insoweit individualschützend, als sie den Schutz des Interesses des einzelnen Käufers eines Pkws daran bezwecken, ein ohne Weiteres zulassungsfähiges und auch ohne weiteres Zutun dauerhaft zulassungsfähiges Fahrzeug zu erhalten. Die Überstimmungserklärung stellt insoweit eine Erklärung des Fahrzeugherstellers dar, in der er dem Fahrzeugkäufer versichert, dass das von ihm erworbene Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmte.
23
Zum anderen beruht die Annahme einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung durch die Beklagte nicht primär und ausschließlich auf einem Verstoß gegen diese Rechtsnormen, sondern, wie vorstehend dargestellt, auf einer Gesamtwürdigung einer Vielzahl von Umständen. Ein zentraler die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten begründender Gesichtspunkt ist dabei die geschilderte Verletzung von Interessen der Käufer. Das sittenwidrige Verhalten der Beklagten berührt damit auch die Rechtssphäre der Klagepartei.
24
Der Klagepartei ist durch den Abschluss des Kaufvertrags des streitgegenständlichen Fahrzeugs auch ein Schaden entstanden.
25
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch bei objektiver Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eine Verpflichtung zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB gegeben, wenn ein getäuschter Vertragspartner den Vertrag ohne das haftungsauslösende Verhalten, also hier die Ausstattung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit der oben beschriebenen Software, nicht eingegangen wäre (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; BGH NJW 2010, 2506; VersR 2012, 1237). Voraussetzung ist lediglich, dass der Geschädigte die erfolgte Vertragsbindung nicht willkürlich als Schaden ansieht, sondern dass sie sich auch nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als unvernünftig erweist (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW 2005, 1579). Hierfür genügt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, dass die Leistung des anderen Vertragspartners, obwohl objektiv werthaltig, für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht vollumfänglich brauchbar ist (BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; VersR 2012, 1237; NJW-RR 2014, 277). Der Schaden besteht dann allein in dem durch das haftungsauslösende Verhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen (BGH NJW 2010, 2506) und in der Entstehung einer ungewollten Verpflichtung aus diesem Vertragsverhältnis (BGH NJW-RR 2005, 611).
26
Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall an, kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass ein Fahrzeugerwerber, wie die Klagepartei hier, infolge des der Beklagten zur Last fallenden Fehlverhaltens eine zweckwidrige Vertragsbindung eingegangen ist, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führt. Hätte die Beklagte offengelegt, dass das in Verkehr gebrachte Fahrzeug mit der oben beschriebenen Software ausgestattet ist, hätte die Klagepartei davon abgesehen, dieses Fahrzeug zu erwerben. Dabei spielt es keine Rolle, welches konkrete Motiv für den einzelnen Erwerber bestimmend ist. Ein Teil der Käufer mag besonderen Wert darauf gelegt haben, im Interesse des Umweltschutzes ein Fahrzeug zu nutzen, das die geltenden Grenzwerte für Abgasemissionen einhält, ein anderer Teil nicht. Aber nach Ansicht des Gerichts waren zumindest alle Erwerber interessiert daran, ein Fahrzeug zu erwerben, dessen Produktion und Inverkehrgabe keinen rechtlichen Bedenken unterlag. Dies hat der Kläger im vorliegenden Fall auch in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts selbst erklärt.
27
Zudem werden von der Vorschrift des § 826 BGB, die Auffangcharakter hat, ohnehin alle vermögens- und nichtvermögensrechtlichen Beeinträchtigungen umfasst (BeckOGK/Spindler, 1.8.2019, BGB § 826 Rn. 19).
28
Der Umstand, dass sich das Risiko eines Entzugs der Typgenehmigung in der Folge nicht verwirklichte, weil es der Beklagten gelang, eine solche Maßnahme der zuständigen Behörden durch die Entwicklung - insoweit streitig - geeigneter Nachrüstungsmaßnahmen zu verhindern, steht der Annahme eines Schadens nicht entgegen. Denn für den Eintritt eines Schadens kommt es auf den Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses und damit hier auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Der Schaden ist auch nicht nachträglich entfallen. Denn der Schaden liegt, dies ist die Konsequenz der Abweichung von einer strengen Anwendung der Differenzhypothese, nicht in einem Minderwert oder einer konkreten Funktionsbeeinträchtigung des Fahrzeugs, sondern im Abschluss des Vertrages als solchem. Die Bindung an den Vertrag, deren Beseitigung die Klagepartei im Rahmen des Schadensersatzes beanspruchen kann, würde auch mit der Nachrüstung des Fahrzeugs nicht entfallen.
29
3. Die oben genannte Entscheidung der Beklagten war auch kausal für den der Klagepartei entstandenen Schaden.
30
Es ist anerkannt, dass es bei täuschendem bzw. manipulativem Verhalten für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung ausreichend ist, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten und nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (vgl. BGH vom 12.05.1995, Az. V ZR 34/94, NJW 1995, 2361). Diese Grundsätze sind nach Ansicht des Gerichts auch auf die hier vorliegende Situation zu übertragen.
31
Es ist bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass der Käufer ein Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er von der oben beschriebenen Software gewusst hätte. Denn bei Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung drohen Maßnahmen der zuständigen Behörden bis hin zur Stilllegung. Hauptzweck des Autokaufs ist, wie auch im vorliegenden Fall, grundsätzlich das Führen des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr.
32
Daran ändert auch der Grundsatz nichts, dass bei Ansprüchen aus unerlaubten Handlungen die Ersatzpflicht auf solche Schäden beschränkt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen (Voraussetzung des Schutzzweckzusammenhangs zur Vermeidung einer ausufernden Haftung bei sittenwidrigem Verhalten, vgl. MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 826 Rn. 46 ff.). Allerdings war vorliegend bereits die Entscheidung der Beklagten, die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Motoren in den betroffenen Fahrzeugen zu verbauen, sittenwidrig und die entsprechenden Erwerber der Fahrzeuge auch unmittelbar von diesem Verhalten betroffen. Selbst wenn man der Vorschrift des § 27 EG-FGV lediglich einen öffentlichrechtlichen Schutzcharakter zusprechen will, ist dies unschädlich (siehe OLG Karlsruhe, OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Juli 2019 - 17 U 160/18).
33
4. Auch die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB, nämlich Schädigungsvorsatz und Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen, liegen vor. Es ist zwar nicht klar, wer konkret die entsprechenden Entscheidungen bei der Beklagten getroffen hat. Derjenige, der diese getroffen hat, wusste aber sowohl von den oben dargelegten, den Sittenverstoß begründenden Umständen, als auch von den Folgen dieser Entscheidung einschließlich des Schadens für die Erwerber der betroffenen Fahrzeuge.
34
Dieser Vorsatz ist der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeugs über eine entsprechende Anwendung von § 31 BGB zuzurechnen.
35
Dabei bedarf es nicht explizit einer Zurechnung an die Organe im aktienrechtlichen Sinne. Vielmehr muss im Rahmen der Rechtsprechung zur Repräsentantenhaftung auch denjenigen Personen das deliktische Handeln der Mitarbeiter nach § 31 BGB zugerechnet werden, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob diese Personen satzungsgemäß oder (nur) im Rechtsverkehr die juristische Person vertreten, da letztere nicht selbst darüber entscheiden soll (durch die eigene Satzung), für welche Personen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will (vgl. BGH III ZR 296/11).
36
Es bedarf keiner konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich handelte. Dies festzustellen ist der Klagepartei, die keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten hat, nicht dezidiert möglich. Sie hat jedoch - im Rahmen ihrer Möglichkeiten - substantiiert vorgetragen, so dass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen. Beides ist nicht erfolgt.
37
Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die jeweiligen Repräsentanten Kenntnis zur Zeit der Software-Entwicklung hatten. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge. Eine Kenntnis der entsprechenden Repräsentanten zu diesem Zeitpunkt ist für das Gericht jedoch nicht anzuzweifeln, da insoweit ein eigenmächtiges Handeln von Mitarbeitern, die nicht als Repräsentanten im obigen Sinne zu sehen sind, zur Überzeugung des Gerichts nicht vorstellbar ist.
38
Die Programmierung der hier in Rede stehenden Software setzt eine aktive und ergebnisorientierte präzise Programmierung der Motorsteuersoftware voraus. Die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes ist daher zur Überzeugung des Gerichts ausgeschlossen, sodass es keiner weiteren Beweisaufnahme hierzu bedurfte, § 291 ZPO. Ist eine solche Einstellung, wie hier ausnahmslos bei jedem Motor dieser Serie auffindbar, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Entscheidung dafür, die Motoren mit dieser Einstellung planvoll und absichtlich zu produzieren und in den Verkehr zu bringen angesichts der Tragweite und Risiken für die Gesamtgeschicke des Konzerns durch die Geschäftsleitung selbst getroffen wurde und damit gemäß § 31 BGB zurechenbar ist (vgl. auch LG Krefeld, Urteil vom 12.07.2017, Az. 7 O 159/16).
39
Der Vorstand hat das Unternehmen den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu organisieren und zu führen. Es ist im Hinblick auf die gesetzlichen Bestimmungen davon auszugehen, dass bei den Beklagten organisatorische Maßnahmen etwa durch Einrichtung einer Innenrevision oder Controlling in der Weise getroffen wurden, dass Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen auch gewährleistet ist.
40
Hierbei sind auch folgende Punkte zu beachten: Zum einen war zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Einbaus des Motors das Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel möglichst geringer Kohlendioxidemission und der Begrenzung der Stickoxidemissonen allgemein bekannt und hätte Anlass zu einer sehr genauen Prüfung geben müssen, als aus Sicht der für die Motorenentwicklung zuständigen Mitarbeiter die Auflösung dieses Zielkonflikts angeblich gelungen war; zum anderen nahm zum damaligen Zeitpunkt der europäische Gesetzgeber den Erlass eines Verbots von verbotenen Abschalteinrichtungen in Artikel 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG vor und wies daher auf dieses Problem in besonderer Weise hin. Die Repräsentanten mussten wegen dieser Warnwirkung also ohne Weiteres mit der Möglichkeit rechnen, dass eine solche Einrichtung verwendet würde. Dadurch, dass sie trotz der durch die Verordnung offenkundig gemachten Möglichkeit, dass eine solche Einrichtung verwendet werden könnte, nicht eingriffen und dennoch die Übereinstimmungsbescheinigung ausstellten bzw. deren Ausstellung nicht verhinderten, ist auch ihnen zumindest ein bedingter Vorsatz durch Unterlassen zur Last zu legen.
41
Gemäß § 31 BGB ist die juristische Person für Schäden verantwortlich, die ein Organ oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.
42
Zu den unter § 31 BGB fallenden Repräsentanten der Fahrzeughersteller gehören unabhängig davon, ob sie deren verfassungsmäßige Vertreter sind oder nicht, auch über den Wortlaut der Norm hinaus, diejenigen Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sein, sodass auch sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (vgl. BGHZ 49, 19; BGH NJW 1998, 1854; BGH WM 2005, 701).
43
Zu den unter § 31 BGB fallenden Repräsentanten gehören damit also auch diejenigen Angestellten, denen die Motor- und Softwareentwicklung bzw. die Entscheidung über die verwendeten Motoren oblag. Daneben kommen als Personen, für die eine Haftung nach § 31 BGB bejaht werden muss, auch alle weiteren Repräsentanten der Hersteller in Betracht, die in irgendeiner Form auf diese Entscheidungen hätten Einfluss nehmen können.
44
5. Der deliktische Schadensersatz ist auf das negative Interesse gerichtet, sodass im vorliegenden Fall nur eine Rückabwicklung, also Zahlung des Kaufpreises durch die Beklagte an die Klagepartei Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei in Betracht kommt.
45
Im Rahmen dieser Rückabwicklung muss sich die Klagepartei den Abzug einer Nutzungsentschädigung gefallen lassen.
46
Die Nutzungsentschädigung, die die Klagepartei an die Beklagte im Wege der Zugum-Zug-Rückabwicklung zu entrichten hat, ist nach Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Fall auf 38.245,76 € festzusetzen.
47
Der tagesaktuelle Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs betrug zum Schluss der mündlichen Verhandlung unstreitig 145.976 km. Das Gericht geht weiter im Rahmen einer Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 250.000 km aus, sodass sich die Nutzungsentschädigung wie folgt berechnet:
48
Das Verhältnis zwischen der durch die Klagepartei mit dem Fahrzeug zurückgelegten Strecke und der Strecke, die erwartungsgemäß mit dem Fahrzeug zukünftig noch zurückgelegt werden kann, entspricht dem Verhältnis zwischen dem Nutzungsersatz, also dem Wert, den das Fahrzeug durch die vom Kläger zurückgelegte Strecke eingebüßt hat, und dem vom Kläger gezahlten Kaufpreis.
Nutzungsersatz in € =
49
Mithin verbleibt ein klägerischer Anspruch auf Zahlung in Höhe von 33.754,24 €.
II.
50
Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises ist ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
51
Zinsen nach § 849 BGB ab Kaufvertragsschluss bzw. Bezahlung des Kaufpreises schuldet die Beklagte nicht, vgl. BGH VI ZR 354/19.
III.
52
Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten folgt der Anspruch aus §§ 826, 249 BGB. Der entsprechende Anspruch auf Verzinsung ergibt sich aus §§ 291 Abs. 1 BGB. Die Gebühren berechnen sich dabei aus der obsiegenden Klagesumme.
53
Es war bei der Berechnung der Rechtsanwaltskosten von einem Verfahrenswert von 33.754,24 € auszugehen. Danach ergeben sich 1.474,89 € einschließlich Mehrwertsteuer und Pauschale.
IV.
54
Die Klagepartei hatte keinen Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten. Der Antrag ist zulässig, das Feststellungsinteresse ergibt sich aus § 256 I ZPO. Die materiellen Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 293 ff. BGB lagen jedoch nicht vor, da der Kläger sich mit seinen Anträgen keine Nutzungsentschädigung hat anrechnen lassen und damit erheblich zuviel von der Beklagten verlangt hat. Annahmeverzug setzt aber voraus, dass der Gläubiger die Leistung dem Schuldner so anbietet, wie sie zu bewirken ist, § 294 BGB. Es muss so vorgenommen werden, dass der Gläubiger nichts weiter zu tun braucht, als zuzugreifen und die Leistung anzunehmen (vgl. MüKo-Ernst BGB, 8.A. § 294 Rn 2 unter Verweis auf BGH NJW 1984, 1679). Bei einer Zug um Zug zu erbringenden Leistung tritt damit bezüglich der Gegenleistung Annahmeverzug nicht ein, wenn der Gläubiger eine deutlich zu hohe Leistung fordert (BGH VIII ZR 275/04). Es wäre unbillig, die unter Umständen weitreichenden Folgen des Annahmeverzugs dem Gläubiger aufzubürden, wenn der Schuldner sich seinerseits nicht zu der ihm selbst gegen Erhalt der ihm zustehenden Leistung obliegenden Leistung bereit erklärt.
V.
55
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO. Allerdings war hier zu berücksichtigen, dass die Klagepartei ein erhebliches Zuviel an deliktischen Zinsen seit dem Kaufzeitpunkt gefordert hatte und insoweit unterlegen ist. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH und verschiedener Obergerichte (vgl. z. B. BGH VIII ZR 222/59, BGH NJW 1988, 2173, BGH III ZR 143/12, OLG Koblenz 5 U 52/08 und KG 8 U 258/11), sowie einschlägiger Kommentierungen zu § 92 ZPO (z. B. Zöller ZPO, 32. Aufl. § 92 Rz. 11) war hier ein fiktiver Streitwert unter Hinzurechnung des geltend gemachten Zinsbetrags für den Zeitraum ab Kauf bis zum Eintritt des Verzugszinsanspruchs zu bilden, und die Kosten waren im Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens auch in Ansehung der Zuvielforderung an Deliktszinsen zu verteilen. Da sich die behaupteten Zinsen nach § 849 BGB auf 19.765,48 € beliefen, war der fiktive Streitwert auf 91.765,48 € festzusetzen (72.000,00 € + 19.765,48 €).
VI.
56
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 709 S. 2 ZPO.