Inhalt

LSG München, Urteil v. 10.05.2021 – L 7 BK 2/21
Titel:

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Zinssatz für Kinderzuschlag bei Nachzahlung

Normenketten:
BKGG § 6a
GG Art. 3
SGB I § 44
Leitsatz:
Die Nachzahlung von Kinderzuschlag ist unter den Voraussetzungen des § 44 SGB I mit einem Zinssatz von 4 von Hundert zu verzinsen. (Rn. 14 und 21)
Schlagworte:
Kinderzuschlag, Zinsen, Verzinsung
Vorinstanz:
SG Bayreuth, Urteil vom 30.06.2020 – S 9 BK 2/20
Fundstellen:
NWB 2021, 2419
BeckRS 2021, 18862
LSK 2021, 18862

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 30. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob den Klägern und Berufungsklägern (in der Folge: Kläger) für die Nachzahlung von Kinderzuschlag für den Zeitraum November 2011 bis April 2012 um 436,96 Euro höhere Zinsen zustehen.
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Die Beklagte und Berufungsbeklagte (in der Folge: Beklagte) lehnte den Antrag des Klägers auf Kinderzuschlag vom 30.11.2011 ab (Bescheid vom 17.1.2012, Widerspruchsbescheid vom 17.4.2012). Auf die hiergegen erhobene Klage verurteilte das Sozialgericht die Beklagte, dem Kläger Kinderzuschlag für November 2011 iHv 215 Euro, für Dezember 2011 iHv 235 Euro, für Januar 2012 iHv 255 Euro und für die Zeit von Februar bis April 2012 iHv 230 Euro monatlich zu gewähren (Urteil vom 15.11.2017 - S 17 BK 14/12). Am 29.12.2017 informierte die Beklagte den Kläger, dass die hieraus resultierende Nachzahlung iHv 1.395 Euro zur Auszahlung an ihn angewiesen werde.
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Mit Bescheid vom 7.5.2018 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger für die Nachzahlung iHv 1.395 Euro Zinsen iHv 331,04 Euro fest und legte dar, dass die Verzinsung mit Ablauf von sechs Monaten nach Eingang des Leistungsantrags (1.6.2012 bis 7.5.2018) beginne. Der Leistungsantrag sei am 30.11.2011 eingegangen. Der Zinssatz betrage vier von Hundert (4%). Die Auszahlung erfolge in Kürze. Mit E-Mail vom 14.5.2018 bedankte sich der Kläger bei der Beklagten für das Schreiben vom 7.5.2018 und bat, ihm die Zinsberechnung im Detail zukommen zu lassen. Bereits erlaube er sich den Hinweis, dass die Verzinsung grds den Vorschriften des BGB unterliege und 5 Prozentpunkte statt der von der Beklagten veranschlagten 4 Prozentpunkte betrage. Obgleich die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 23.5.2018 die Zinsberechnung übermittelte, wiederholte der Kläger sein Anliegen vom 14.5.2018 mit E-Mail vom 21.6.2018 und vom 28.6.2018.
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Am 9.2.2020 wandten sich die Kläger an das Sozialgericht Bayreuth. Da die Beklagte auf mehrere Anträge, insbesondere Überprüfungsanträge, nicht reagiert habe, werde nunmehr Feststellungs- und Leistungsklage gegen den Bescheid vom 7.5.2018 erhoben. Vermutlich sei nur die „einfache Verzinsung“ angewandt worden. Die Kläger seien auf insgesamt gerundet 768 Euro Gesamtverzinsung gekommen (Verzinsung aus § 44 SGB I und § 291 BGB, jeweils mit Zinseszinsberechnung). Der Differenzbetrag iHv 436,96 Euro sei noch nachzubezahlen. Es werde beantragt, die Beklagte dazu zu verpflichten. Unter dem 17.3.2020 erhoben die Kläger ergänzend Untätigkeits-, Feststellungs- und Leistungsklage. Unabhängig davon ‚ergehe auch Verpflichtungsklage'.
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Auf den klageabweisenden Gerichtsbescheid vom 21.4.2020 beantragten die Kläger mündliche Verhandlung. Im Rahmen der in der Folge angesetzten mündlichen Verhandlung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klage der Klägerin sei unzulässig, nachdem für die Zeit ab Oktober 2008 der Kläger Kinderzuschlag beantragt habe. Daher sei auch nur über einen solchen Antrag/Anspruch bzw Zinsanspruch zu entscheiden. Auch die Klage des Klägers sei unzulässig (Urteil vom 30.6.2020, den Klägern zugestellt am 3.7.2020).
6
Auf die am 9.7.2020 zum Landessozialgericht erhobene Beschwerde hat der Senat die Berufung gegen das Urteil vom 30.6.2020 zugelassen (Beschluss vom 2.3.2021 - L 7 BK 14/20 NZB) und das Verfahren als das vorliegende Berufungsverfahren fortgeführt. Die Rechtsbehelfsstelle der Beklagten hat auf einen entsprechenden Hinweis des Senats die E-Mail des Klägers vom 14.5.2018 als Widerspruch gewertet und zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 14.4.2021).
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Die Kläger beantragen nach Erlass des Widerspruchsbescheides noch sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.6.2020 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 7.5.2018 idG des Widerspruchsbescheides vom 14.4.2021 zu verurteilen, die Nachzahlung des Kinderzuschlags für den Zeitraum November 2011 bis April 2012 iHv 1.395 Euro mit insgesamt 768 Euro zu verzinsen.
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Die Beklagte hat im Berufungsverfahren von einer Antragstellung abgesehen.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Unterlagen verwiesen, auch soweit diese vom Sozialgericht Bayreuth und der Beklagten beigezogen wurden.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist nicht abzuändern, da der Bescheid der Beklagten vom 7.5.2018 idG des Widerspruchsbescheides vom 14.4.2021 nicht zu beanstanden ist. Dem Kläger stehen für die Nachzahlung des Kinderzuschlags für die Zeit von November 2011 bis April 2012 höhere Zinsen nicht zu, als ihm von der Beklagten im Rahmen der angefochtenen Bescheide bereits bewilligt wurden. Die von der Klägerin erhobene Klage ist bereits unzulässig. Insoweit wird die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (vgl § 153 Abs. 2 SGG).
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Der Senat konnte in Abwesenheit der Beteiligten entscheiden, da diese ordnungsgemäß über die mündliche Verhandlung informiert worden waren und ihnen mitgeteilt worden war, dass im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann (vgl § 110 Abs. 1 SGG).
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1. Die Klage des Klägers ist zulässig als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG). Nachdem es sich hierbei - nach Erlass des Widerspruchsbescheides - um die Klageart handelt, mit der der Kläger effektiven Rechtsschutz gegen die aus seiner Sicht zu gering bemessene Verzinsung erreichen kann, wird davon ausgegangen, dass die im Übrigen erhobenen Klagen nicht weiterverfolgt werden. Ergänzend ist darauf hinweisen, dass diese Klagen unzulässig wären. Die Feststellungsklage ist gegenüber der (gleichzeitig) erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage subsidiär. Welches von der Leistungsklage abweichende Ziel der Kläger mit einer Verpflichtungsklage erzielen möchte, ist nicht ersichtlich. Für eine Untätigkeitsklage besteht nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 14.4.2021 kein Raum (mehr).
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2. Die Klage ist unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf weitere Zinsen besitzt.
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a) Ansprüche auf Geldleistungen sind nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Die Verzinsung beginnt frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger (…) (§ 44 Abs. 1 und 2 SGB I).
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aa) Kinderzuschlag wird auf (schriftlichen) Antrag bewilligt (§ 9 Abs. 1 S. 1 BKGG). Der Kläger beantragte Kinderzuschlag für die Zeit ab November 2011 am 30.11.2011. Es kann dahinstehen, ob dieser Antrag bereits vollständig war (vgl dazu zuletzt BSG, Urteil vom 3.7.2020 - B 8 SO 15/19 R - RdNr. 12 mwN), nachdem die Beklagte bei der streitigen Zinsberechnung letztlich hiervon ausgegangen ist. So geht die streitige Zinsberechnung von einem Verzinsungsbeginn ab 1.6.2012, und damit nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des Leistungsantrags am 30.11.2011 vom frühestmöglichen Zeitpunkt, aus.
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bb) Die Verzinsung endet nach § 44 Abs. 1 SGB I mit dem Kalendermonat der „Zahlung“. Bedient sich die Behörde - wie hier - einer Überweisung, ist unter „Zahlung“ im Sinne der Vorschrift der Tag der Gutschrift auf dem Konto des Leistungsberechtigten zu verstehen (BSG, Urteil vom 3.7.2020 - B 8 SO 15/19 R - RdNr. 13 mwN). Es kann letztlich dahinstehen, ob die von der Beklagten am 29.12.2017 angekündigte Anweisung der Kinderzuschlagnachzahlung iHv 1.395 Euro noch im Dezember 2017 dem Konto des Klägers gutgeschrieben wurde, nachdem die Beklagte der streitigen Zinsberechnung eine Verzinsung bis zum Tag ihrer Entscheidung über den Zinsanspruch am 7.5.2018 zugrunde gelegt hat. Dass die der streitigen Verzinsung zugrundeliegende Nachzahlung dem Kläger bis dorthin nicht gutgeschrieben worden war, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
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cc) Die angefochtene Verzinsung hat mit 4% schließlich den „richtigen“ Zinssatz angewandt. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz.
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dd) Auf dieser Grundlage ergeben sich Zinsen aus einem Betrag von 1.395 Euro für die Zeit von Juni 2012 bis April 2018 iHv 330,15 Euro.
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ee) Nachdem dieser Betrag (wenngleich geringfügig) hinter den von der Beklagten in der angefochtenen Entscheidung festgesetzten Zinsen zurückbleibt, kann der Kläger seine Forderung nach höheren Zinsen nicht auf § 44 Abs. 1 SGB I stützen. Dass ein „Zinseszins“ nicht beansprucht werden kann, folgt bereits aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 SGB I, nach dem lediglich Ansprüche auf „Geldleistungen“ zu verzinsen sind, zu denen Zinsen nicht gehören (BSG, Urteil vom 18. März 2008 - B 2 U 32/06 R - RdNr. 14).
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b) § 27 SGB IV (Verzinsung und Verjährung des Erstattungsanspruchs), auf den der Kläger bisweilen seine Zinsforderung stützt, findet bereits seinem Wortlaut nach keine Anwendung. Darüber hinaus ergäbe sich auch hier ein Zinssatz iHv 4%.
21
c) Eine andere Rechtsgrundlage für die streitige Zinsforderung findet sich nicht. So besteht insbesondere kein Anspruch auf die vom Kläger geltend gemachten Prozesszinsen bzw Zinsen nach § 291 BGB (vgl Mrozynski, SGB I, Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil, 6. Aufl 2019, § 44 RdNr. 14). Die Verzinsung von Ansprüchen des Leistungsberechtigten gegenüber dem Leistungsträger ist in § 44 abschließend geregelt (Lilge in: Lilge/Gutzler, SGB I, 5. Aufl 2019, § 44 RdNr. 8). Die Regelung des § 44 Abs. 1 SGB I, wonach Ansprüche auf sozialrechtliche Geldleistungen mit einem festen Zinssatz von 4% verzinst werden, verstößt schließlich nicht gegen Grundrechte, insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG (BVerfG, Beschluss vom 3.12.1987 - 1 BvR 1172/87).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht ersichtlich.