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LG Bamberg, Endurteil v. 25.01.2021 – 43 O 306/20 Ver
Titel:

Keine Deckung aus einer Betriebsschließungsversicherung in der Corona-Pandemie

Normenketten:
IfSG § 6, § 7
BGB § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1
Leitsätze:
1. Verweisen die Bedingungen einer Betriebsschließungsversicherung zum Deckungsumfang auf "die folgenden im IfSG in der Fassung vom 20.7.2000 in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger" und bestimmen sie zudem, dass für die in den Bedingungen nicht namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger rotz namentlicher Benennung im IfSG kein Versicherungsschutz besteht, hat der Versicherungsnehmer keinen Leistungsanspruch bei einer wegen Covis-1ß behördlich angeordneten Betriebsschließungsversicherung (Anschluss an LG Bayreuth BeckRS 2020, 29045; entgegen LG München BeckRs 2020, 24634).  (Rn. 19 – 23und Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine analoge Anwendung der Versicherungsbedingungen auf das Corona Virus wegen dessen Neuartigkeit scheidet wegen der Analogiefeindlichkeit von Versicherungsbedingungen von vornherein aus. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, Corona, Covid, namentlich, Analogie, dynamische Verweisung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 1873

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert wird auf 18.600, -- € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung.
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Die Klägerin betreibt in … einen Restaurant- und Beherbergungsbetrieb.
3
Die Klägerin ist bei der Beklagten u.a. gegen Betriebsschließungsschäden versichert, wobei im Versicherungsfall eine Tagesentschädigung von 3,5 Promille des zuletzt gemeldeten Rohertrags von 177.000, - €, also 620, - €, für maximal 30 Tage als Versicherungsleistung vorgesehen ist.
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In den dem Versicherungsvertrag zu Grunde liegenden Versicherungsbedingungen (Anlage K 1) heißt es dabei u.a. wie folgt:
„Y.1. Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren
1.1. Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom 20.07.2000)
1.1. a) den versicherten Betrieb […] zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt […]
1.2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden im IfSG in der Fassung vom 20.07.2000 in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.
Die Aufstellung ist vollständig. Sind Krankheiten und Krankheitserreger, die im Infektionsschutzgesetz genannt sind, in der nachfolgenden Aufstellung nicht enthalten, besteht hierfür im Rahmen dieses Vertrages kein Versicherungsschutz:
1.2. a) Krankheiten
Botulismus, […], die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, - verdächtiges oder ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers
1.2. b) Krankheitserreger
Adenoviren, […], Toxoplasma gondii (Meldepflicht bei konnatzalen Infektionen)"
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Mit Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 untersagte die Landesregierung Bayern in Vollzug des IfSG den „Gastronomiebetrieb jeder Art“ unter Verweis auf das neuartige Corona-Virus bzw. die Erkrankung Covid-19 und deren weltweite Verbreitung. Inwieweit die Klägerin daraufhin ihre Tätigkeit einstellte, ist zwischen den Parteien streitig.
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Die Klägerin meldete bei der Beklagten Ansprüche an, die jedoch abgelehnt wurden (Anlage K 2 = außergerichtlicher Schriftverkehr).
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Die Klägerin begehrt nunmehr eine Entschädigung in voller tariflicher Höhe - mithin für 30 Tage je 620, - €, insgesamt also 18.600, - €.
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Die Klägerin behauptet, sie habe sich ab 17.03.2020 der Allgemeinverfügung gebeugt und bis 30.05.2020 ihren Betrieb nicht mehr geöffnet.
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Sie meint, die Wirksamkeit der Allgemeinverfügung sei ohne Belang, zudem sei es auch unerheblich, ob Liefer- und Abholservice von Speisen stattgefunden habe und Arbeiten ohne Außenkontakte weiter erlaubt gewesen seien. Schließlich sei auch eine intrinsische Gefahr nicht ausdrücklich gefordert.
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Die Klägerin vertritt schließlich die Auffassung, dass die Versicherungsbedingungen schon gar nicht Bestandteil des Vertrages seien, zudem ergebe eine Auslegung der Versicherungsbedingungen unter Berücksichtigung des Transparenzgebotes, dass auch das Auftreten einer unter die Generalklausel in § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG fallenden „bedrohlichen übertragbaren Krankheit“ - zu der auch die neue Erkrankung Covid-19 gehöre - und ein darauf beruhendes Handeln der Behörden nach dem IfSG vom Versicherungsschutz umfasst sei bzw. dass die Regelung als „dynamische Verweisung“ auf das IfSG anzusehen sei.
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Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 18.600, - € zu zahlen nebst 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 07.05.2020.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hält die Allgemeinverfügung für unwirksam, sieht nur betriebsinterne Gefahren als versichert und bestreitet eine vollständige Schließung, weil sämtliche Arbeiten ohne Außenkontakt sowie Außer-Haus-Verkauf nebst Liefer- und Abholservice weiter erlaubt waren.
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Die Beklagte meint weiter, es handele sich um eine Schadensversicherung, wobei der Betrag von 620, - € allenfalls eine feste Taxe im Sinne von § 76 VVG darstelle, die aber nicht bindend sei, wenn sie „erheblich“ von dem tatsächlichen Schaden abweicht. Hier liege aber der tatsächliche Schaden - schon wegen der Hilfen der öffentlichen Hand - deutlich unterhalb des eingeklagten Tagessatzes. Zudem bestehe ein Vorrang der Inanspruchnahme öffentlichrechtlicher Ansprüche nach Ziff. 174 AVB sowie eine diesbezügliche Schadensminderungsobliegenheit nach § 82 VVG.
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Die Beklagte meint weiter, die Auslegung der Versicherungsbedingungen ergebe, dass lediglich die in den Versicherungsbedingungen genannten Krankheitserreger versichert seien und nicht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gänzlich unbekannte Viren. Zudem würde auch nach der klägerischen Argumentation kein Versicherungsschutz bestehen, weil sich die Beklagte dann auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
A.
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Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von 18.600, - € nach § 1 VVG i.V.m. dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag i.V.m. Ziff. Y.1.1, Y.1.2 der Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung zu.
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Die Voraussetzungen dieser Normen liegen schon deshalb nicht vor, weil eine Betriebsschließung wegen Auftretens der neuartigen Krankheit Covid-19 bzw. deren neuartigen Krankheitserreger SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsumfang der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung umfasst ist. Die Kammer folgt insoweit der herrschenden Judikatur, insb. den Ausführungen im Urteil des LG Bayreuth vom 15.10.2020 - 22 O 207/20 = zitiert nach juris, dessen Darlegungen in weitem Maße übernommen werden können. Im Einzelnen:
I.
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Der Versicherungsfall ist im Versicherungsschein selbst typischerweise selbst nur allgemein als „Betriebsschließung (Schließungsschaden)“ grob umrissen.
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Die nähere Konkretisierung des Vertragsinhalts einschließlich der unter den Versicherungsschutz fallenden Betriebsschließungen erfolgt erst durch die
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Versicherungsbedingungen. Dass dies im konkreten Fall anders sein soll, weil im - nicht vorgelegten - Versicherungsschein bereits eine offensichtlich abschließende Umschreibung des Versicherungsfalles enthalten ist, hat die Klägerin, die lediglich pauschal anzweifelt, die AGB seien nicht Vertragsbestandteil geworden, nicht vorgetragen. Es ist auch absolut fernliegend.
II.
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Der Versicherungsumfang wird sodann in Ziff. „Y.1. - Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren“ der Bedingungen zur Betriebsschließungsversicherung (im Folgenden: Bedingungen) definiert. Danach fällt eine Betriebsschließung wegen des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 nicht in unter den vertraglichen Versicherungsschutz.
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1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung entsprechend den Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse auszulegen, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen aufmerksam liest sowie vollständig unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges würdigt. Dabei kommt es auf den betreffenden Versicherungszweig an. Spricht der Versicherungsvertrag üblicherweise einen bestimmten Personenkreis an, so kommt es auf die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises an. Maßgeblich für die Auslegung ist in erster Linie der Klauselwortlaut. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind dabei „aus sich heraus“, also ohne Heranziehung anderer Texte, auszulegen. Die vom Versicherer verfolgten Zwecke sind maßgeblich, sofern sie in den Versicherungsbedingungen Ausdruck gefunden haben, sodass sie dem aufmerksamen und verständigen Durchschnittsversicherungsnehmer erkennbar sind. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (st. Rspr. vgl. etwa BGH, Urteil vom 22.01.2020, Az: IV ZR 125/18; BGH, Urteil vom 06.03.2019, Az.: IV ZR 72/18).
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Zusätzlich ist bei der Auslegung von Ausschlussklauseln zu berücksichtigen, dass das Versicherteninteresse bei Risikoausschlussklauseln in der Regel dahin geht, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck einer Klausel dies gebietet. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Deshalb sind Risikoausschlussklauseln nach ständiger Rechtsprechung des BGH eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert (vgl. nur Senatsurteile vom 8. Mai 2013 - IV ZR 233/11, r+s 2013, 382 Rn. 41; vom 11. Dezember 2002 - IV ZR 226/01, BGHZ 153, 182, 187 f. [juris Rn. 24]; vom 17. März 1999 - IV ZR 89/98, VersR 1999, 748 unter 2 a [juris Rn. 10]; jeweils m.w.N.).
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Betriebsschließungsversicherungen werden dabei ausschließlich von gewerblich tätigen Versicherungsnehmern abgeschlossen, insbesondere von Betrieben, die mit der Lebensmittelherstellung oder -verarbeitung zu tun haben (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 IfSG). Bei solchen Unternehmen besteht die Gefahr, dass eine Behörde den Betrieb aufgrund von Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) schließt. Dabei handelt es sich regelmäßig um Betriebe, die einen kaufmännisch eingerichteten Gewerbebetrieb erfordern, weshalb man von den Inhabern oder Geschäftsführern jeweils entsprechende kaufmännische Kenntnisse und Sorgfalt bei dem Durchlesen eines Vertragsformulars erwarten kann. Im Regelfall besitzen die Inhaber oder Geschäftsführer dieser Betriebe jedoch keine vertieften Kenntnisse medizinischer oder rechtlicher Art im Zusammenhang mit dem Inhalt des IfSG.
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2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist Ziff. 1.1. der Bedingungen hier dahingehend auszulegen, dass die neuartige Erkrankung Covid-19 ebenso wenig von den Versicherungsbedingungen erfasst ist wie das neuartige Coronavirus, weil die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in Ziff. 1.2 der Bedingungen abschließend ist.
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a) Nach der mit „Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren“ überschriebenen Klausel Ziff. Y.1 der Bedingungen leistet der Versicherer Entschädigung, „wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG in der Fassung vom 20.07.2000) den versicherten Betrieb […] zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt“.
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Schon durch die Systematik der Bedingungen wird dabei für den verständigen Versicherungsnehmer nachvollziehbar deutlich, dass die Regelung in Ziff. Y.1.1 mit der Regelung in Ziff. Y.1.2 zusammengelesen werden muss und dort die angesprochenen „meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger“, die eine Einstandspflicht des Versicherers auslösen sollen, definiert sind - d.h. die Regelung insgesamt als Konkretisierung und inhaltliche Definition des Versicherungsumfangs und nicht als eine Einschränkung anzusehen ist.
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b) Die Regelung in Ziff. Y.1.2 enthält schon dem Wortlaut nach („meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind“) sowie aufgrund des systematischen Zusammenhangs erkennbar eine Definition jener Krankheiten und Erreger, für welche im Falle einer behördlichen Betriebsschließung Versicherungsschutz besteht.
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Diese Definition erfolgt unter Voranstellung der Formulierung „die folgenden, im IfSG in der Fassung vom 20.07.2000 [Anmerkung: die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages gültige Fassung] in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ mittels Aufzählung von Krankheitserregern. Diese Aufzählung beinhaltet unstreitig weder die Krankheit Covid-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2. c) Entscheidend kommt es daher darauf an, ob die Aufzählung in Ziff. Y.1.2 als abschließend zu verstehen sind oder aber der Einbeziehung neu aufgetretener Krankheiten und Erreger gegenüber offen ist. Diese Frage ist im erstgenannten Sinne zu entscheiden.
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(1) Im konkreten Fall ergibt sich der abschließende Charakter der Regelung bereits daraus, dass ihr abschließender Charakter sogar ausdrücklich klargestellt wird mit der Formulierung „Die Aufstellung ist vollständig. Sind Krankheiten und Krankheitserreger, die im Infektionsschutzgesetz genannt sind, in der nachfolgenden Aufstellung nicht enthalten, besteht hierfür im Rahmen dieses Vertrages kein Versicherungsschutz.“. Deutlicher kann der abschließende Charakter der folgenden Aufzählung und das Bestehen von Abweichungen zu §§ 6, 7 IfSG für den Vertragspartner kaum klargestellt werden.
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Unabhängig davon, ergibt sich der abschließende Charakter aber - selbst bei unterstelltem Fehlen der zitierten Sätze in den Versicherungsbedingungen - auch aus folgenden Überlegungen:
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(2) Bereits der Umstand einer namentlichen Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern legt nahe, dass der Versicherer nur für diese besonderen aufgezählten und vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen will (tendenziell weitergehend LG Ellwangen, COVuR 2020, 639 Rn. 34 und Schreier, VersR 2020, 513 (515)). Zugleich wird der Versicherungsnehmer durch die Aufzählung der Krankheiten und Erreger in die Lage versetzt, im Falle einer behördlichen Anordnung schnell feststellen zu können, ob ein potentieller Versicherungsfall vorliegt.
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Gerade die wörtliche Wiedergabe einer Vielzahl im Einzelnen genannter Krankheiten und Krankheitserreger spricht gegen die Annahme einer Identität mit dem Gesetzeswortlaut, weil sonst ein einfacher Verweis auf das Gesetz völlig ausreichend gewesen wäre. Die katalogartige Aufzählung suggeriert folglich gerade nicht eine Vollständigkeit und Deckungsgleichheit mit dem IfSG (so etwa LG München I, Urteil vom 01.10.2020 - 12 O 5895/20 = zitiert nach juris) - sondern begründet bei einem verständigen Versicherungsnehmer gerade Grund zur Annahme von Unterschieden.
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(3) Die eigentliche Auslegung der Regelung hat indes vom Wortlaut auszugehen. Bereits dieser macht durch die Voranstellung der Formulierung „sind die folgenden“ vor der Aufzählung an Krankheiten und Krankheitserreger deutlich, dass letztere definitorischabschließend aufgelistet werden (ebenso Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 62; Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250 (253); a.A. Fortmann, VersR 2020, 1073 (1075)). Diese erkennbare Zielrichtung der Formulierung, dass nämlich gerade nur die nachfolgend aufgeführten Krankheiten bzw. Krankheitserreger erfasst sein sollen.
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(4) Auch das Fehlen von Zusätzen wie entweder einerseits „nur“ bzw. „beispielweise / im Wesentlichen“ vor den Wörtern „die folgenden“, führt nicht zu einer Mehrdeutigkeit des Wortlauts (so aber LG Hamburg, Urteil vom 04.11.2020 - 412 HK O 83/20 = zitiert nach juris). Solange ergänzende Worte fehlen, muss der Text so verstanden werden, wie er eben abschließend formuliert ist, wobei die gewählte Formulierung - ohne das damit ein eigenes Vorverständnis an den Text herangetragen würde - eben keine Einschränkungen dahingehend enthält, dass die Aufzählung nicht abschließend sein soll und das Fehlen des Wortes „nur“ den Sinn nicht verändert. Gerade aus Sicht eines verständigen Verbrauchers wäre aber zu erwarten, dass für den Fall, dass bestimmte Krankheiten enumerativ aufgezählt werden, für die der Versicherungsfall gelten soll, es ausdrücklich klargestellt würde, wenn diese Aufzählung nicht abschließend sein soll, etwa durch Verwendung der Wörter „insbesondere“, „beispielsweise“ oder „etwa“ (ähnlich LG Ellwangen, a.a.O. Rn. 36).
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(5) Eine solche Klarstellung kann entgegen Stimmen in der Literatur (Rolfes, VersR 2020, 1021 (1023); Korff, COVuR 2020, 246 (248); Reiff, COVuR 2020, 536 (537)) bzw. der Rechtsprechung (LG München I - Urteil vom 01.10.2020 - 12 O 5895/20 = zitiert nach juris; LG Hamburg, Urteil vom 04.11.2020 - 412 HK O 83/20 = zitiert nach juris) insbesondere nicht in der Verwendung des Wortes „namentlich“ in Ziff. Y.1.2 der Bedingungen gesehen werden.
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Das Wort „namentlich“ findet in der deutschen Sprache zwei Verwendungen:
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Als Adverb (Umstandswort, das ein im Satz genanntes Verb, Substantiv, Adjektiv oder ein anderes Adverb seinem Umstand nach näher bestimmt) verwendet hat es die Bedeutung „besonders, vor allem, hauptsächlich“ - beispielweise in dem Satz: „Der Weg ist kaum passierbar, namentlich nach Regen.“.
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Als Adjektiv (Eigenschaftswort, das ein Wesen oder Ding, ein Geschehen, eine Eigenschaft oder einen Umstand als mit einem bestimmten Merkmal, mit einer bestimmten Eigenschaft versehen kennzeichnet) verwendet, hat es die Bedeutung „mit Namen [geschehend, genannt], nach Namen geordnet“. (Quelle:https://www.duden.de/)
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Der Gebrauch des Wortes „namentlich“ kann also nur in dem Kontext seiner Verwendung interpretiert werden. Aus diesem Kontext erschließt sich, dass „namentlich“ vorliegend gerade nicht als Synonym anstelle von „insbesondere“ o.ä. verwendet wurde. So spricht Ziff. Y.1.2 der Bedingungen von „die folgenden, in §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“. Die Kombination des bestimmten Artikels „die“, die kumulative Verwendung von „namentlich“ und „folgende“ sowie die Bezugnahme auf §§ 6 und 7 IfSG machen hierbei deutlich, dass das Wort „namentlich“ im Sinne von „mit ihrem Namen benannt“ gebraucht wird, also jene Krankheiten und Krankheitserreger gemeint sind, die (auch) in §§ 6 und 7 IfSG mittels ihrer Namensbezeichnung aufgeführt werden (so im Ergebnis auch Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 63, LG Bayreuth - Urteil vom 15.10.2020 - 22 O 207/20 = zitiert nach juris sowie die überwiegende Judikatur). Umgekehrt wäre, wenn „namentlich“ tatsächlich als Synonym für „insbesondere“ hätte verwendet werden sollen, von der Satzstellung her zu erwarten gewesen, dass das Wort zu Beginn der Satzkonstruktion stehen würde, beispielsweise also formuliert worden wäre: „Namentlich die folgenden Krankheiten“. Dass allein die hier vorgenommene Auslegung des Wortes „namentlich“ überzeugen kann, zeigt sich letztlich ganz einfach, wenn man „namentlich“ im verwendeten Kontext schlicht durch „insbesondere“ ersetzt: Der Satz „die folgenden, in den §§ 6 und 7 [IfSG] insbesondere genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ ergibt schlichtweg keinen Sinn.
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Insoweit kann auch nicht argumentiert werden, dass im Hinblick auf die Verwendung des Begriffes „namentlich“ in §§ 6, 7 IfSG - dort betreffend die namentliche Meldung von Krankheiten - zur Verwirrung bei dem überobligationsmäßig diesen Text heranziehenden Versicherungsnehmer führt, schon weil dies dem Grundsatz widersprechen würde, dass Versicherungsbedingungen aus sich heraus auszulegen sind.
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(6) Ein verständiger Versicherungsnehmer bezieht schließlich auch mit in die Betrachtung ein, dass Versicherer ihren Versicherungsbedingungen eine Risikoanalyse zu Grunde legen und hierbei insbesondere den Umfang der versicherten Risiken in Relation zur Höhe der zu zahlenden Prämie setzen. Einem solchen verständigen Versicherungsnehmer muss es sich geradezu aufdrängen, dass einerseits aufgrund der Diskrepanz der Versicherungsprämie von wenigen hundert Euro im Jahr zur Leistungspflicht im Versicherungsfall im fünfstelligen Bereich und andererseits schon wegen fehlender Kalkulierbarkeit des Risikos im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unbekannte Krankheiten nicht vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen.
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(7) Aus der Inbezugnahme der §§ 6 und 7 IfSG ergibt sich nichts anderes. Der in Teilen der Literatur gezogene Schluss, dass es der Nennung der §§ 6 und 7 IfSG nicht bedurft hätte, wenn die Aufzählung einen abschließenden Katalog darstelle, weshalb die Inbezugnahme der §§ 6, 7 IfSG als dynamische Verweisung verstanden werden müsse (Armbrüster, VersR 2020, 577 (583); Fortmann, VersR 2020, 1073 (1075); Reiff, COVuR 2020, 536 (538); im Ergebnis ebenso Rolfes, VersR 2020, 1021 (1023) und Korff, COVuR 2020, 4246 (2048)), ist nicht zwingend, lässt er doch die bereits vom Wortlaut der Klausel her naheliegende Möglichkeit, dass lediglich für beide Vertragsparteien aus Gründen der Klarstellung und Transparenz wiederholend die bereits in §§ 6, 7 IfSG namentlich benannten Krankheiten aufgezählt werden, völlig außer Betracht. Eine solche Interpretation wiederholende Erwähnung fügt sich in den Gesamtkontext der Norm (kumulative Verwendung mit der definitorischen Einschränkung „folgende“, Syntax der Regelung; vgl. oben, während eine dynamische Verweisung im Gegensatz zur vorangehenden Formulierung „die folgenden“ stünde.
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Gegen eine dynamische Verweisung auf §§ 6, 7 IfSG spricht ferner, dass die an die fragliche Formulierung anschließende Aufzählung gerade nicht die gesamte, zum Zeitpunkt der Verwendung der Bedingungen geltende Regelung der §§ 6 und 7 IfSG a. F. in Bezug nimmt, sondern nur die dort seinerzeit explizit in § 6 I Nr.1-4 IfSG a.F. aufgeführten Krankheiten weitestgehend wiederholend aufzählt, während der Auffangtatbestand des § 6 I Nr. 5 IfSG („Auftreten a) einer bedrohlichen Krankheit oder b) von zwei oder mehr gleichartigen Erkrankungen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird“) in Ziff. Y.1.2 gerade keinen Widerhall findet (ebenso LG Ellwangen, a.a.O. Rn. 35). Anders gesagt findet gerade der der dynamischen Entwicklungen Rechnung tragende Teil des § 6 IfSG (vgl. hierzu BeckOK-Infektionsschutzrecht/Thiery, 1. Ed. Stand 01.07.2020, § 6 IfSG Rn. 17; Kießling/Müllmann, IfSG, 1. Aufl. 2020, § 6 Rn. 15) in Ziff. Y.1.2 keine Entsprechung. Hieraus ist zu folgern, dass die Verweisung gerade keinen dynamischen Charakter haben soll, jedenfalls keinen solchen, der auf die jeweils geltenden Normen in ihrer Gesamtheit Bezug nimmt. Auch der Umstand, dass die Aufzählung in Ziff. Y.1.2 jedenfalls insofern eigenständigen definitorischen Charakter hat, als sie - wenn auch geringfügig - hinter §§ 6, 7 Abs. 1 IfSG zurückbleibt, spricht gegen das Vorliegen einer dynamischen Verweisung auf §§ 6 und 7 IfSG in der jeweils gültigen Fassung. Wenn eine dynamische Verweisung gewollt gewesen wäre, hätte es schließlich nahegelegen, gänzlich auf eine Aufzählung zu verzichten und allgemein auf die Regelungen der §§ 6 und 7 IfSG zu verweisen (so etwa in dem der Entscheidung LG Mannheim, BeckRS 2020, 7522 zugrunde liegenden Fall („sind die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“)).
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(7) Selbst wenn man eine dynamische Verweisung der Ziff. Y.1.2 der Bedingungen auf §§ 6, 7 IfSG in der jeweils gültigen Fassung unterstellt, könnte der Kläger hierauf seine Ansprüche - jedenfalls nicht in voller Höhe - nicht stützen. Die Coronavirus-Krankheit 2019 (Covid-19) und der Erreger SARS-CoV-2 wurden erst zum 23.05.2020 unter lit. t) in § 6 I 1 Nr. 1 IfSG bzw. unter Nr. 44a in § 7 I 1 IfSG aufgenommen. Dass Covid-19 unter § 6 I 1 Nr. 5 IfSG i.d.F. vom 01.03. - 22.05.2020 („einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, die nicht bereits nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig ist“) subsumiert werden konnte (siehe dazu BeckOK-Infektionsschutzrecht/Thiery, 1. Ed. Stand 01.07.2020, § 6 IfSG Rn. 18-20; Rolfes, VersR 2020, 1021 (1022)), führt zu keinem anderen Ergebnis. Aufgrund der nachvollziehbaren Aussparung einer dynamischen Entwicklungen Rechnung tragenden Auffangklausel (siehe dazu bereits oben) und dem Kriterium der definitorischen Einschränkung auf die „folgenden, namentlich“ genannten Krankheiten in Ziff. Y.1.2 könnte sich eine dynamische Verweisung hinsichtlich ihrer Reichweite allenfalls auf die jeweils in der jeweils aktuellen Fassung der §§ 6, 7 IfSG namentlich bezeichneten Krankheiten und Erreger beziehen.
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(8) Insgesamt ergibt sich für einen verständigen Versicherungsnehmer aus dem Gesamtbild der Regelung der Ziff. Y.1.2 im relevanten Zeitpunkt des Vertragsschlusses ohne hinreichenden Zweifel, dass der Versicherer nicht für im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannte Infektionskrankheiten einstandspflichtig sein wollte, sondern eben nur hinsichtlich jener Krankheiten und Erreger, die bereits bekannt waren und explizit im Rahmen der Aufzählung aufgeführt wurden. Gerade im Zeitpunkt des Vertragsschlusses liegt auch der grundlegende, wesentliche Unterschied zur Entscheidung LG München I vom 01.10.2020, COVuR 2020, 640, auf welche die Klägerseite teils Bezug nimmt. Im dortigen Fall wurde ausweislich des Versicherungsbeginns am 01.03.2020 der Versicherungsvertrag bereits in Kenntnis der neuartigen Krankheit bzw. des neuartigen Coronavirus geschlossen.
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d) Da Ziff. Y.1.2 der Bedingungen als Teil der Definition und gerade nicht als Einschränkung des Leistungsumfangs zu verstehen ist, stellt sich die Frage einer überraschenden oder den Versicherten unangemessen benachteiligenden Klausel überhaupt nicht. Der klägerische Verweis auf §§ 305c II, 307 I BGB geht mithin fehl (für eine Vereinbarkeit der Klausel mit beiden Normen indessen Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250 (253)).
50
e) Eine analoge Anwendung der Ziff. Y.1.2 der Bedingungen wegen der Neuartigkeit des Coronavirus bzw. der von ihm ausgelösten Krankheit Covid-19 auf den Versicherungsvertrag scheidet von vornherein aus. Versicherungsbedingungen sind einer Analogie grundsätzlich nicht zugänglich (BGH, NJW 2006, 1876 Rn. 8; Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 17; vgl. auch BGH, NJW 1992, 753). Auch unvorhergesehene pandemische Ausbrüche zuvor unbekannter Krankheitserreger und damit die Coronavirus-Pandemie als Großschadensereignis ändern daran nichts (ebenso Rixecker, a.a.O. Rn. 18 u. 62; Rolfes, VersR 2020, 1021 (1022)). Ließe man eine Analogie zu, würde das Risiko des Versicherers trotz Verwendung eines abschließenden Katalogs (siehe b) bb)) für diesen im Ergebnis unkalkulierbar (Rixecker, a.a.O. Rn. 62).
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3. Da jedenfalls kein versicherter Fall einer Betriebsschließung vorliegt, kann dahinstehen, ob die Allgemeinverfügungen vom 16./17.03.2020 wirksam waren, ob der Betrieb der Klägerin vollständig oder nur teilweise geschlossen war und ob vorliegend eine Summen- oder eine Schadensversicherung abgeschlossen wurde.
B.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
C.
53
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 11, 711 S. 1, 2 ZPO.
D.
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Die Höhe des Streitwertes folgt aus der Höhe der Klageforderung.
Verkündet am 25.01.2021