Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 24.02.2021 – 13 T 49/21, 113 T 498/21, 13 T 537/21
Titel:

Voraussetzungen für eine Unterbringungsgenehmigung von über einem Jahr

Normenketten:
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
FamFG § 68 Abs. 3, § 329 Abs. 1 S. 1, § 331, § 332
Leitsatz:
Wird die Unterbringungsdauer durch das Gericht länger als die nach § 329 Abs. 1 S. 1 FamFG festgesetzte Regelunterbringungsdauer von einem Jahr genehmigt, so ist dies gesondert zu begründen und nur dann geboten, wenn die Gründe für eine über ein Jahr hinaus dauernde Unterbringungsbedürftigkeit für das sachverständig beratene Gericht "offensichtlich" mithin deutlich und erkennbar hervortreten. Dabei ist besondere Zurückhaltung geboten, wenn eine erstmalige Unterbringungsanordnung erfolgt. (Rn. 63 – 66) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterbringung, Dauer, Jahresfrist, Begründung, Regelunterbringungsdauer
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 19.01.2021 – 77 XVII 481/19 (2)
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 02.06.2021 – XII ZB 126/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 18057

Tenor

1. Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 19.01.2021, Az. 77 XVII 481/19 (2) (Genehmigung der langfristigen Unterbringung), wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Unterbringung lediglich längstens bis zum 28.12.2021 genehmigt wird.
2. Die jeweils in Feststellungsanträge umgewandelten Beschwerden der Betroffenen gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Nürnberg vom 24.11.2020 bzw. 02.12.2020 und vom 30.12.2020, Az. 77 XVII 481/19 (jeweils Genehmigung der vorläufigen Unterbringung), werden zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Betroffene begehrt Feststellung der Rechtswidrigkeit ihrer vorläufigen Unterbringung und wendet sich gegen ihre langfristige Unterbringung.
2
Sie war bereits seit dem 12.08.2020 im Klinikum … aufgrund Beschlüssen des Amtsgerichts Nürnberg vom 12.08.2020 und 28.09.2020 vor dem Hintergrund einer diagnostizierten hirnorganisch bedingten Wesensänderung bei massivem Alkoholabusus im Rahmen einer Abhängigkeit und einer bipolaren Störung mit aktuell leicht manischer Episode (bis längstens 30.10.2020) geschlossen untergebracht.
3
Nachdem sich eine Oberärztin im Klinikum …, bei der es sich um eine Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie handelt, im Rahmen einer fachärztlichen Stellungnahme dafür ausgesprochen hatte, die geschlossene Unterbringung über den 30.10.2020 hinaus nicht zu verlängern und die Betroffene stattdessen in eine offen geführte Heimeinrichtung zu entlassen, wurde die geschlossene Unterbringung nicht verlängert.
4
Am 19.11.2020 wurde die Betroffene aus der stationären Behandlung entlassen. Am Nachmittag des 21.11.2020 wurde sie mit einer AAK von 2,3 Promille wieder stationär eingeliefert.
5
Auf Anträge des Klinikums … und der Betreuerin vom 23.11.2020 genehmigte das Amtsgericht Nürnberg mit (hier angegriffenem) Beschluss vom 24.11.2020 (erneut) die vorläufige Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 04.01.2021 und bestellte (erneut) einen Verfahrenspfleger.
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Noch am selben Tag wurde die Betroffene im Wege der Rechtshilfe durch das Amtsgericht Erlangen persönlich gerichtlich angehört.
7
Mit Beschluss vom 02.12.2020 erweiterte das Amtsgericht Nürnberg den Beschluss vom 24.11.2020 um die Unterbringung in einer beschützenden Heimeinrichtung.
8
Mit Schreiben vom 08.12.2020 legte die Betroffene gegen die Beschlüsse vom 24.11.2020 und 02.12.2020 Beschwerde ein, der das Amtsgericht Nürnberg mit Beschluss vom 15.12.2020 nicht abhalf und sie dem Landgericht Nürnberg-Fürth zur Entscheidung vorlegte (13 T 49/21), wo die Akte erst am 07.01.2021 einging.
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Unter dem 29.12.2020 erstattete der Facharzt für Innere Medizin und öffentliches Gesundheitswesen Dr. med. … ein psychiatrisches Gutachten zu den Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden Unterbringung.
10
Mit (hier angegriffenem) Beschluss vom 30.12.2020 genehmigte das Amtsgericht Nürnberg dann die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. einer geschlossenen soziotherapeutischen Einrichtung (weiterhin) bis längstens 09.02.2021.
11
Am 31.12.2020 wurde die Betroffene im Wege der Rechtshilfe durch das Amtsgericht Erlangen nachträglich hierzu persönlich gerichtlich angehört. Dr. und Dr. würden nur Vermutungen aufstellen. Sie habe einmal Alkohol getrunken und nun sei sie hier. Es habe nicht einmal geschmeckt. Sie trinke auch nicht, wenn andere auf dem Klinikgelände Alkohol trinken würden. Sie sei nicht in Gefahr. Dr. und Dr. würden diesen Widerstand gegen den Alkohol nicht ausreichend berücksichtigen. Es seien nur Vermutungen. In der Klinik werde sie nicht auf Alkoholkonsum kontrolliert und trinke auch nicht. Sie wolle in eine offene Einrichtung wechseln. Sie habe darauf bestanden, dass es nur ein einmaliger Alkoholversuch in der Vergangenheit gewesen sei. Die Betroffene sehe die geschilderten Gefahren nicht, so die anhörende Richterin. Das Gutachten sei diskutiert worden.
12
Am 19.01.2021 wurde die Betroffene zur langfristigen Unterbringung gerichtlich persönlich angehört: Dem ausführlichen Anhörungsvermerk ist ua. zu entnehmen, dass die Betroffene wütend gewesen sei. Sie habe 45 Jahre lang nur ein paar Tage im Jahr Alkohol konsumiert. Im letzten Sommer habe sie sich dann innerhalb von 5 Monaten dreimal auf der Straße wiedergefunden. Die fristlose Kündigung sei ohne Grund erfolgt. Aufgrund dessen habe sie dann die Nerven verloren.
13
Die Ärzte und wolle sie anzeigen. Sie sei nicht krank. Sie habe keine psychischen oder geistigen Krankheiten. Sie habe nunmehr beschlossen, nicht mehr zu trinken. Sie sei keine Alkoholikerin. Ihre Blutwerte seien immer okay gewesen. Sie habe also keine gesundheitlichen Schäden. Dies gebe es bei Alkoholikern so nicht. Sie habe auch ihren Hausarzt von der Schweigepflicht entbunden. Herr Dr. habe es aber dennoch nicht für nötig befunden, etwas nachzuprüfen. Sie habe selbst Psychologie studiert, auch wenn sie nicht promoviert habe. Herr … sei nicht nach Fakten gegangen. So gehe das nicht. Nach ihrer Entlassung am 19.11.2020 habe sie 4 Tetrapacks bei sich gehabt. 2 davon habe sie getrunken. Es sei ein Test gewesen.
14
Nach diesem Test habe sie beschlossen, keinen Alkohol mehr zu konsumieren. Unrichtig sei die Behauptung des Arztes, sie habe im Heim randaliert. Sie habe nur geschwankt. Auch eine medizinische Versorgung sei nicht notwendig gewesen. Herr habe alles einfach falsch übernommen.
15
Die anhörende Richterin merkte an, dass die Betroffene insgesamt aufgebracht gewirkt habe. Sie sei sehr bestimmend aufgetreten und in ihrem Redefluss kaum zu stoppen gewesen. Sie sei eloquent. Eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem Trinkverhalten sei ihr aber nicht möglich. Sie habe darauf beharrt, dass sie unmittelbar nach ihrer Entlassung aus der Klinik lediglich versuchsweise Alkohol konsumiert habe. Ein Alkoholproblem habe sie nicht. Nach ca. 45 Minuten sei das Gespräch von der Richterin beendet worden, da die Betroffene nur immer wieder auf dieselben Punkte eingegangen sei (Unvermögen der Dr. … und …).
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Mit (hier ebenfalls angegriffenem) Beschluss vom 19.01.2021 genehmigte das Amtsgericht Nürnberg die Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. einer soziotherapeutischen Einrichtung oder der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 28.06.2022.
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Gegen diesen Beschluss legte die Betroffene mit bei Gericht am 20.01.2021 eingegangenem Schreiben Beschwerde ein und beantragte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse vom 24.11.2020 und 02.12.2020.
18
Zuvor hatte sie bereits mit Schreiben vom 19.01.2021 Beschwerde gegen den Beschluss vom 30.12.2020 eingelegt.
19
Mit Beschluss vom 21.01.2021 half das Amtsgericht Nürnberg den Beschwerden gegen die Beschlüsse vom 30.12.2020 und 19.01.2021 nicht ab und legte sie dem Landgericht Nürnberg-Fürth zur Entscheidung vor.
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Die Betreuerin und der Verfahrenspfleger nahmen am 02.02.2021 zur Beschwerde Stellung.
21
Mit Fax vom 03.02.2021 beantragte die Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit auch des Beschlusses vom 30.12.2020. Weitere Schreiben der Betroffenen gingen am 10.02.2021 und 12.02.2021 ein.
22
Unter dem 11.02.2021 konkretisierte der Sachverständige sein Gutachten vom 21.12.2020.
23
Die Betroffene kündigte weitere Stellungnahmen an, welche auch eingingen, zuletzt ein Schreiben vom 22.02.2021. Diesen heftete sie teilweise Artikel aus Zeitschriften an.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
II.
25
Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss vom 19.01.2021 ist zulässig, aber weitgehend unbegründet.
26
Die jeweils in Feststellungsanträge umgewandelte Beschwerden gegen die Beschlüsse vom 24.11.2020 bzw. 02.12.2020 und vom 30.12.2020 waren zurückzuweisen.
27
Die Voraussetzungen für die Genehmigung der (vorläufigen) Unterbringung liegen bzw. lagen jeweils im Zeitpunkt der Erledigung vor, §§ 331, 332 FamFG, 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB.
28
1. Das Gericht kann gem. § 331 FamFG durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme anordnen oder genehmigen, wenn (1) dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung oder Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht, (2) ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen und über die Notwendigkeit der Maßnahme vorliegt;-in den Fällen des § 312 Nummer 1 und 3 muss der Arzt, der das ärztliche Zeugnis erstellt, Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie haben und soll Arzt für Psychiatrie sein, (3) im Fall des § 317 ein Verfahrenspfleger bestellt und angehört worden ist und (4) der Betroffene persönlich angehört worden ist. Eine Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe ist abweichend von § 319 Abs. 4 FamFG dabei zulässig.
29
Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die freiheitsentziehende Unterbringung durch den Betreuer nur zulässig, wenn auf Grund der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. In diesem Zusammenhang müssen objektivierbare, konkrete Anhaltspunkte für eine akute Suizidgefahr oder den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens bestehen (BGH NJW-RR 2010, 291; 2010, 1370 (1370, 1371); OLG München BeckRS 2005, 11854). Nicht erfasst sind dagegen grundsätzlich Schäden oder Gefährdungen anderer Rechtsgüter als Leben und Gesundheit des Betroffenen, wie z.B. Vermögensschäden. Ferner muss die Ursache für die bestehende Selbstschädigungsgefahr in der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen liegen. Hiermit soll klargestellt werden, dass Gesundheitsgefährdungen oder -schädigungen, die auch bei Nichtbetreuten üblich sind, keine freiheitsentziehende Unterbringung des Betroffenen rechtfertigen (BT-Drucks. 11/4528, S. 146). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung setzt die Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes weiterhin voraus, dass der Betroffene auf Grund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BayObLG, FamRZ 1993, 600; NJW-RR 1998, 1014 (1015); NJWE-FER 2001, 150 (150)).
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Eine freiheitsentziehende Unterbringung des Betroffenen kann nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zudem erfolgen, wenn eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig sind. Die ärztlichen Maßnahmen i.S.v. § 1904 BGB, die durchgeführt werden sollen, können sowohl die Anlasskrankheit (insbesondere diejenige, die zur Betreuerbestellung geführt hat) betreffen, als auch andere Krankheiten, die nicht Grundlage der Betreuerbestellung waren. Weiterhin ist erforderlich, dass die beabsichtigte Maßnahme nicht ohne Unterbringung des Betroffenen durchgeführt werden kann und der Betroffene auf Grund seiner psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Maßgeblich ist folglich nicht die Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen, sondern das Fehlen der natürlichen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit in Bezug auf die Notwendigkeit der Unterbringung, sowie die Notwendigkeit der durch die Unterbringung möglichen medizinischen Behandlung (vgl. BGH, NJW 2006, 1277 (1279, 1280); MüKo/BGB-Schwab, BGB, Kommentar, 6. Auflage 2012, § 1906 Rn. 22 m.w.N.).
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2. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. leidet die Betroffene an einer submanischen Episode bei bekannter bipolarer Störung bzw. einer hirnorganisch bedingten Wesensänderung durch massiven Alkoholabusus im Rahmen einer Alkoholabhängigkeitserkrankung (hirnorganisches Psychosyndrom) und mit deutlichen Hirnleistungsstörungen und erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (ICD-10 F 06.9 bzw. F 10.24 bzw. F 31.6).
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Eine freiheitsentziehende Unterbringung zu ihrem Wohle sei erneut erforderlich, weil aufgrund der beschriebenen psychischen Erkrankungen mit Impulskontrollverlust, Vermeidungsverhalten, Bagatellisierungsneigung und Realitätsverleugnung bei ihr die Gefahr bestehe, dass sie sich bei fehlender Steuerungsfähigkeit durch erneute gesundheitsgefährdende, lebensbedrohliche (Alkoholihtoxikation!) häusliche Verwahrlosung inklusive fehlender Versorgung mit Nahrungsmitteln und Gefahr eines schweren lebensbedrohlichen Entzugsdelirs mit Bewusstlosigkeit und Tod bei Alkoholmangel bzw. gravierende soziale Anpassungs- und Impulskontrollstörungen und sekundären strafrechtlich-forensischen Maßnahmen erheblichen gesundheitlich-seelischen Schaden zufüge.
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Sie habe sich zuletzt in der ambulanten Betreuung lange Zeit einer therapeutischen Betreuung bzw. einer medikamentösen Behandlung ihrer Erkrankungen entzogen. Medikamente würden teilweise zwar regelmäßig ärztlicherseits verordnet, jedoch nicht von der Betroffenen eingenommen werden. Eigeninitiierte therapeutische Kontakte würden nur bedarfs- bzw. impulsweise gesucht werden oder entstünden allein durch äußeren Einfluss. Eine kontinuierliche Krankheitseinsicht, die zu einer nachhaltigen psychiatrischen Behandlungsmaßnahme führen würde, bestehe auch jetzt in keiner Weise. Sie bedürfe einer regelmäßigen medizinischen Behandlung, der Einnahme von Medikation und einer therapeutischen Strukturierung. Ansonsten seien Krankheitszustände mit drohender weiterer Chronifizierung der bipolaren Störung bzw. lebensgefährlichem selbstschädigendem Verhalten zu erwarten. Dies könne nur im Rahmen einer beschützenden Unterbringung aufrechterhalten werden. Weniger einschneidende Maßnahmen seien nicht erkennbar.
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Zudem bestehe bei verwahrloster Episode die Gefahr, dass sie sich im Rahmen von Impulskontroll-Defiziten und durch psychische Spannungszustände in zwischenmenschliche Konflikte begebe, die unter Umständen für sie mit gewalttätigen selbstgefährdenden Anfeindungen ausgehen könnten.
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Sie könne krankheitsbedingt aufgrund ihrer impulsiv-gereizten Grundstimmung und ihres massiven Alkoholkonsums mit sekundären kognitiven Defiziten gesundheitliche Gefahren weder ausreichend erkennen noch ihr Verhalten darauf einstellen. Sie könne ihren Gesundheitszustand nicht kritisch reflektieren und ihre Defizite nicht abwägend erkennen bzw. kompensieren.
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Um eine nachhaltige Stabilisierung zu erreichen, sollte die freiheitsentziehende Unterbringung 18 Monate lang in einer soziotherapeutischen Einrichtung oder einer Pflegeeinrichtung beschützend erfolgen. Die Betroffene benötige aufgrund der Schwere und der erheblichen Chronifizierung ihres Krankheitsbildes eine lang dauernde strukturierende soziotherapeutische Maßnahme mit stabilisierender Alkoholentwöhnungsbehandlung, wofür eine Dauer von 12 Monaten nicht ausreichend erscheine.
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Eine etwaige Einwilligung in die freiheitsentziehende Unterbringung wäre nicht mehr von hinreichendem natürlichem Willen getragen, da die Betroffene im Rahmen ihres bipolaren Erlebens und der alkoholtoxisch bedingten hirnorganischen Schäden keine dauerhafte Einsichtsfähigkeit in die Notwendigkeit der freiheitsentziehenden Unterbringung leisten könne, im Willen ambivalent-instabil bzw. realitätsverleugnend sei und dementsprechend ein natürliches Einverständnis mit dieser Maßnahme nicht von nachhaltiger Natur wäre.
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Die Betroffene werde derzeit ambulant haus- bzw. fachärztlich versorgt. Aktuell sei aufgrund einer lebensbedrohlichen Verwahrlosung eine geschlossene Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik erforderlich. Darüber hinausgehende Rehabilitationsnotwendigkeiten oder Behandlungsoptionen bestünden aktuell nicht.
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Das Gutachten stützt sich auf die durch persönliche Exploration gewonnene Vertrautheit mit dem Krankheitsfall der Betroffenen, übersandte Auszüge aus der Gerichtsakte, insbesondere den darin enthaltenen Antrag auf vorläufige Genehmigung der Freiheitsentziehung vom 23.11.2020 durch den Oberarzt Dr. med. …, dessen persönliche Angaben und den vorläufigen Entlassungsbericht des Klinikums vom 19.11.2020. Die Betroffene sei erneut am 15.12.2020 aufgesucht und exploriert worden.
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Zur medizinischen Vorgeschichte werde auf das psychiatrische Fachgutachten des Dr. med. … aus …, auf das Schreiben des Sachverständigen an das Amtsgericht Nürnberg vom 29.07.2020 und die eigenen Vorgutachten vom 26.08.2020 bzw. 30.09.2020 verwiesen.
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Zur Exploration berichtet der Sachverständige, er habe die Betroffene in deren Patientenzimmer angetroffen. Sie sei korrekt gekleidet gewesen und habe gepflegt gewirkt. Spontan habe sie berichtet, dass sie dieses Mal „ohne Grund“ untergebracht worden sei. Im Sommer sei es eine Geschichte mit Alkohol gewesen. Damals sei ihr Alkoholgenuss falsch gewesen. Sie habe mit dem Sachverständigen aber bisher nicht darüber gesprochen. Die Oberärztin habe zuletzt gemeint, dass sie stabil sei. Sie sei auch stabil und gut drauf. Der Alkohol sei bei ihr „ein abgeschlossenes Kapitel“. Sie habe nach ihrer letzten Entlassung einmalig Alkohol getrunken. Das sei nun abgeschlossen, weil sie ab jetzt keinen Alkohol mehr trinke. Das Pflegeheim, in dem sie zuletzt gewesen sei, und ihre Umgebung hätten es nicht verstanden. Das Pflegeheim habe ihr dann auch ihr Zimmer gekündigt. Sie sei hier vor 3 Wochen eingeliefert worden.
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Der Oberarzt Dr. habe sie nicht untersucht. Er habe nur mit ihr gesprochen und habe sie für ein Jahr untergebracht. Er habe von der Vergangenheit einfach abgeschrieben. Sie habe nun kein Alkoholverlangen mehr, sei im Gleichgewicht. Seit Tagen habe sie Ausgang, trinke aber keinen Alkohol. Dr. … würde nach der Vergangenheit und nicht nach der Gegenwart gehen. Was die Oberärztin zuletzt geschrieben habe, das interessiere Herrn Dr. … nicht. Sie könne sich hier problemlos Alkohol beschaffen. Das würde hier niemandem auffallen. Sie mache es aber nicht.
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Es sei unerhört, wegen eines einmaligen Vorfalls eingesperrt worden zu sein. Oberarzt Dr. … habe zu ihr gemeint, dass sie ein Jahr in eine Einrichtung gehen solle, obwohl sie keinen Alkohol trinke und obwohl sie sich hier auch problemlos hätte betrinken können.
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Sie wolle, dass ihre gesetzliche Betreuung aufgehoben werde. Sie habe alles voll im Griff. Wozu brauchte sie denn eine Betreuung? Oberarzt Dr. habe nur 10 Sekunden mit ihr gesprochen. Die Betroffene sei gefragt worden, wie viel Alkohol sie zuletzt im Heim getrunken habe und habe erwidert, dass es zwei Flaschen Wein gewesen seien. Der Rest von 2 Flaschen Wein sei ihr weggenommen worden. Sie habe dann 2,3 Promille gehabt. Sie habe einfach einmalig ausprobieren wollen, wie Alkohol schmecke. Es sei „ein Test“ gewesen. Sie habe festgestellt, dass ihr Alkohol nicht schmecke. Jetzt trinke sie keinen Alkohol mehr. Das beweise sie jeden Tag mit Ausgang. Sie werde dann nicht wegen Alkohol kontrolliert. Das gefalle ihr nicht.
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Sie sei nun nach August 2020 das zweite Mal eingesperrt, weil sich Dr. … nach der Vergangenheit richte. Den Heimplatz habe sie sich selbst besorgt. Ihre letzte Wohnung sei von ihrer Betreuerin aufgelöst worden. Die Wohnung sei ihr nicht wegen Alkohol und Saustall gekündigt worden, sondern erst danach. Sie habe nicht im Heim randaliert. Sie sei im Heim nicht aufgefallen, auch im Krankenhaus nicht. Sie wolle keinen Alkohol mehr. Sie habe auch nicht überall hingepinkelt. Sie sei im Bett gelegen und habe geschlafen. Die Pfleger hätten dann den Rettungsdienst geholt und sie aufgeweckt. Diese hätten nicht gewollt, dass sie im Heim bleibe. Es mache doch keinen Sinn, die Sachen zu verschleiern. Man solle bei der Wahrheit bleiben: „Warum denken Sie, dass ich hier bin?“, habe die Betroffene hinzugefügt. Sie sei geistig absolut klar und nicht betrunken. Der Sachverständige und Dr. würden Dinge behaupten, die gar nicht stimmten. Der Sachverständige würde Sachen im Gutachten schreiben, die nicht wahr seien: „Ich weiß nicht, warum ich eingesperrt bin!“
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Die Betroffene sei dann gefragt worden, welche Krankheiten sie habe und habe hier einen „kleinen Diabetes mellitus“ genannt. Sonst habe sie keine Erkrankungen. Sie lebe gesund: „Von nichts kommt nichts!“, habe sie hinzugefügt.
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Sie sei dann gefragt worden, welche Medikamente sie einnehme und habe erwidert, dass sie Psychopharmaka bekomme. Sie wisse aber nicht welche. Das mache die Station. Mehrmals im Begutachtungsgespräch habe sie erwähnt, dass der Oberarzt Dr. … sich nach der Vergangenheit richte und nicht nach der Gegenwart. Sie habe aber aktuell kein Verlangen nach Alkohol. Der Sachverständige habe erklärt, dass er auch noch ein Gespräch mit dem behandelnden Oberarzt Dr. … führen würde. „Meinen Sie, er gibt es zu, dass er vom Sommer abgeschrieben hat? Er hat mich nicht untersucht, er kann mich nicht einfach unterbringen. Im aktuellen Gutachten müsste drinstehen, dass Alkohol einmalig war und dass ich keinen Alkohol mehr trinke!“
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Die Oberärztin habe zuletzt gesagt, dass sie stabil sei. Warum sollte sich daran etwas geändert haben?
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In einem Telefonat mit dem zuständigen Oberarzt Dr. med. am 17.12.2020 habe dieser berichtet, dass es mit der Betroffenen nach ihrer letzten Entlassung nach außen nicht funktioniert habe und aktuell auch nicht mehr funktionieren werde. Es käme immer wieder zu Alkoholexzessen. Sie habe zuletzt mehr als 2 Promille Blutalkohol gehabt. Die Entlassung in ein offenes Heim sei daher nicht möglich, weil sie an einem durch Alkoholeinwirkung verursachten hirnorganischen Psychosyndrom leide und deshalb nicht mehr steuerungsfähig sei. Eine geschlossene Unterbringung in einem Pflegeheim oder einer soziotherapeutischen Einrichtung für zunächst 18 Monate sei daher unbedingt erforderlich.
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Im ärztlichen Aufnahmebefund des Klinikums vom 23.11.2020 seien als Diagnosen genannt: Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol mit Abhängigkeitssyndrom bei akuter Intoxikation, bipolare affektive Störung gegenwärtig remittiert, Diabetes mellitus Typ 2 ohne Komplikationen. Bezüglich der Aufnahmeumstände durch eine Information des Pflegeheims werde erläutert, dass die Betroffene Alkohol getrunken habe und jetzt in der Einrichtung nicht mehr führbar sei, da sie unkontrolliert wanke. Sie sei am Vortag von der Station B3 Süd entlassen worden. Sie sei dann im Bett liegend und eher ablehnend angetroffen worden, habe etwas verlangsamt gewirkt und man habe 2,3 Promille Atemalkoholkonzentration festgestellt. Sie sei aber nicht einsichtig, dass sie betrunken sei. Sie habe sich schließlich darauf eingelassen, hier zu entgiften, wolle aber danach wieder zurück in die Einrichtung. Sie habe berichtet, dass sie noch nie ein AIkoholproblem gehabt habe und dass sie auch jetzt nüchtern sei. Ein stationärer Aufenthalt im Klinikum … (Psychiatrie) und im Bezirksklinikum von März bis Mai 2020 seien bekannt. Suchtanamnestisch werde beschrieben, dass die Betroffene seit dem Vortag mehrere Tetrapacks Weißwein getrunken habe. Die genaue Menge sei nicht zu erfahren gewesen, da sie massiv-bagatellisiere und eine Alkoholabhängigkeit verneint habe. Sozialanamnestisch sei zu erfahren, dass sie ledig und kinderlos sei. Sie habe zuletzt allein in einer Mietwohnung gelebt, habe Abitur und ein abgeschlossenes Psychologie- und Astrologiestudium. Bis 2014 sei sie als selbständige Astrologin für Zeitschriften und Fernsehen tätig gewesen.
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In einem Entlassungsbericht des Klinikums … vom 19.11.2020 würden folgende Diagnosen genannt: bipolare affektive Störung gegenwärtig manische Episode ohne psychotische Symptome, Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol mit Abhängigkeitssyndrom und akuter Intoxikation, Diabetes mellitus Typ 2, Verdacht auf Penicillinallergie.
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Zu den Aufnahmeumständen werde erläutert, dass die Betroffene mit Sanitätern und bestehendem Unterbringungsbeschluss bis zum 23.09.2020 durch das Amtsgericht Nürnberg zur stationären Aufnahme gekommen sei, weil sie laut dem Gutachter zu massiver Verwahrlosung tendieren würde und erheblich alkoholabhängig sei. Bei bekannter bipolarer Störung bestehe eine leichte manische Episode. Die Betroffene sei alkoholisiert gewesen, aber orientiert, geordnet und habe angegeben, sie komme in der Wohnung ohne Strom und Wasser nicht zurecht und erhalte auch keine Hilfe.
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Psychisch krank sei sie nicht. Sie würde auch wieder in ein Heim oder betreutes Wohnen gehen wollen. In der psychiatrischen Anamnese sei ein stationärer Voraufenthalt im Klinikum … bzw. im Bezirksklinikum … von März bis Mai 2020 bekannt. Die Entlass-Medikation sei damals bei fehlender Krankheitseinsicht von der Betroffenen abgesetzt worden. Suchtanamnestisch werde ein Alkohol- oder Drogengebrauch von der Betroffenen verneint. Sie sei mit 2,7 Promille Atemalkoholkonzentration akut alkoholisiert gewesen.
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Im Verlauf werde berichtet, dass sie bei Aufnahme alkoholisiert und in einem verwahrlosten Zustand gewesen sei. Psychopathologisch habe sie ein manisches Zustandsbild geboten, sei beschleunigt und assoziativ gelockert gewesen. Im Kontakt habe sich die Betroffene ablehnend und wenig krankheitseinsichtig gezeigt. Sie habe die bekannte Alkoholabhängigkeit bagatellisiert, sich aber schließlich auf eine medikamentöse Eindosierung mit Psychopharmaka einlassen können. Das formale Denken sei hier geordneter geworden. Der weitere Verlauf habe sich im Rahmen der fehlenden Behandlungs- und Krankheitseinsicht schwierig gestaltet. Zudem habe es bei zu niedrigen Medikamentenspiegeln den dringenden Verdacht gegeben, dass die Betroffene ihre Medikation nicht eingenommen habe. So seien Medikamente der Vorwoche in ihrem Zimmer gefunden worden, weswegen diese zunächst auf Tropfen umgestellt worden sei.
55
Die Unterbringung sei bis zum 30.10.2020 verlängert worden. Unter der Medikation habe sich die Betroffene insgesamt freundlicher, im Gespräch begrenzbar, behandlungseinsichtig gezeigt und habe die Medikation zuverlässig und regelmäßig eingenommen, sodass auf eine weitere Unterbringung habe verzichtet werden können. Am 04.11.2020 sei sie auf die offene allgemein-psychiatrische Station verlegt worden. Dort habe sie sich freundlich im Kontakt, phasenweise fordernd, jedoch gut lenkbar und im formalen Denken geordnet gezeigt. Die Medikamentenspiegel-Kontrollen seien im therapeutischen Bereich gewesen, sodass die Tropfen wieder auf Tablettenform hätten umgestellt werden können. Die Betroffene selbst habe eine weitere Unterbringung in einem offenen Pflegeheim gewünscht. Gemäß ihrem Wunsch habe ein Platz im Pflegezentrum … gefunden werden können. Bis zuletzt sei Krankheitseinsicht fraglich geblieben. Auch die regelmäßige Einnahme der Medikation sei fraglich gewesen, sodass regelmäßige Kontrollen unter anderem mit Medikamentenspiegeln und regelmäßige Atemalkoholkontrollen zu empfehlen seien. Während des Stationsaufenthalts sei die Betroffene durchgehend abstinent geblieben. Man habe sie am 19.11.2020 in einem gebesserten und stabilisierten Zustand nach Rücksprache mit der Betreuerin in das Pflegezentrum … entlassen können. Zu diesem Zeitpunkt sei sie von akuter Suizidalität glaubhaft distanziert gewesen. Es hätte keinerlei Anzeichen für eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung gegeben.
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Im Befund berichtet der Sachverständige, dass die Betroffene in gutem Allgemein- und erkennbar übergewichtigem Ernährungszustand gewesen sei. Sie sei wach im Bewusstsein, zeitlich und örtlich bzw. situativ vollständig, zur eigenen Person jedoch nicht ausreichend orientiert gewesen. Der formale Gedankengang habe sich erneut sehr beschleunigt und beginnend ideenflüchtig gezeigt. Inhaltliche Denkstörungen, eine Ich-Störung oder Wahrnehmungsdefizite hätten nicht gefunden werden können. Kognitiv seien leichte Defizite im abstrakten Denkvermögen, in der Konzentration und im Altgedächtnis aufgetreten. Sie habe zudem wiederum erhebliche Zeichen der Selbstüberschätzung und Bagatellisierung gezeigt. Eine tiefergehende Krankheitseinsicht sei weiterhin nicht vorhanden. Sie verkenne die Realität und zeige erhebliche Verleugnung und Vermeidungsverhalten. Die Steuerungsfähigkeit sei deutlich eingeschränkt. Es bestehe deshalb keine Kritik- und Urteilsfähigkeit hinsichtlich der eigenen Situation. Eine realitätsadäquate Einschätzung der eigenen Lebensumstände seit der Betroffenen weiterhin nicht möglich. Die Stimmung sei leicht erregt, läppisch-distanzlos, teilweise auch etwas reizbar. Die affektive Schwingungsfähigkeit habe vermindert gewirkt, der Antrieb gesteigert.
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Die Kammer schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen, der als Facharzt für Innere Medizin, Öffentliches Gesundheitswesen und Sozialmedizin auch über die erforderliche Sachkunde verfügt, nach eigener kritischer Würdigung überwiegend an und macht sich diese soweit zu eigen. Diese decken sich auch mit dem weiteren Akteninhalt, insbesondere im Wesentlichen mit dem Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. … vom 07.04.2020, welcher schon damals die Voraussetzungen der freiheitsentziehenden Unterbringung für gegeben ansah, und der ärztlichen Zeugnisse des Klinikums … vom 23.11.2020 und 27.11.2020 (Ärzte Dr. und), aufgrund derer die Beschlüsse vom 24.11.2020 und 02.12.2020 erlassen wurden.
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Die Betreuerin sprach sich für die Zurückweisung der Beschwerde aus:
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Die Betroffene zeige keinerlei Fähigkeit zu einer realistischen Einschätzung und Auseinandersetzung mit ihrer Erkrankung. Vielmehr würden die überzeugenden Aussagen des Sachverständigen sowie des behandelnden Arztes von der Betroffenen als „Fehldiagnosen und Verleumdung“ bezeichnet werden. Mit ihrem angeblichen Psychologiestudium, das sich lediglich, ohne Abschluss, auf vier Semester beschränke, wolle sie ihre Kompetenz in Bezug auf vermeintlich vorhandene, medizinische Kenntnisse behaupten. In ihrer völlig falschen Selbsteinschätzung würden ihr Umgang mit dem Alkoholkonsum sowie die Verwahrlosungstendenzen in der Vergangenheit erheblich bagatellisiert bzw. andere Personen hierfür verantwortlich gemacht. Trotz des letzten, über 3-monatigen stationären Krankenhausaufenthalts, in dem die Betroffene immer wieder beteuert habe, sich nach ihrer Entlassung jeglichem Alkoholkonsum zu entziehen, sei sie bereits nach einem Tag in der stationären Einrichtung rückfällig geworden. Die längerfristige Unterbringung in der beschützenden Einrichtung werde daher dringend zu ihrem Wohl befürwortet, da die Vergangenheit gezeigt habe, dass, mangels fehlender Krankheitseinsicht, ansonsten weiterhin die Gefahr eines erheblichen selbstschädigenden Verhaltens bestehe.
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Auch der Verfahrenspfleger sprach sich für die Zurückweisung der Beschwerde aus. Der Sachverständige schildere den Zustand der Betroffenen, wie ihn der Verfahrenspfleger mehrfach bei seinen Anhörungen derselben und in Telefonaten mit ihr persönlich erlebt habe.
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Die schriftlichen Ausführungen der Betroffenen hat die Kammer zur Kenntnis genommen, soweit sie leserlich sind. Sie ändern nichts an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Es handelt sich um Kopien handschriftlicher Schreiben der Betroffenen, auf welchen sie einzelne Wörter mit einem blauen Stift überzeichnet hat. Sie geben keinen Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der sachverständigen Einschätzung.
62
Nach alledem ist die Kammer der Überzeugung, dass die Betroffene an einer submanischen Episode bei bekannter bipolarer Störung bzw. an einer hirnorganisch bedingten Wesensänderung durch massiven Alkoholabusus im Rahmen einer Alkoholabhängigkeitserkrankung (hirnorganisches Psychosyndrom) und mit deutlichen Hirnleistungsstörungen und erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz leidet und aufgrund des mit dieser Krankheit einhergehenden Impulskontrollverlusts, Vermeidungsverhaltens, der Bagatellisierungsneigung und Realitätsverleugnung bei ihr die Gefahr besteht, dass sie sich erheblichen gesundheitlich-seelischen Schaden zufügt, indem sie lebensbedrohlich häuslich verwahrlost, sich insbesondere nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt. Außerdem besteht die Gefahr eines schweren lebensbedrohlichen Entzugsdelirs mit Bewusstlosigkeit und Tod bei Alkoholmangel bzw. gravierender sozialer Anpassungs- und Impulskontrollstörungen. Die Betroffene musste bereits einen Tag nach ihrer letzten stationären Entlassung erneut in stark alkoholisiertem Zustand stationär eingeliefert werden. Eine Krankheits- und Behandlungseinsicht ist nicht gegeben, was auch durch ihre Äußerungen im Rahmen der gerichtlichen Anhörungen belegt wird. Sie selbst ist derzeit zu einer freien Willensbestimmung nicht in der Lage.
63
Anders als vom Sachverständigen empfohlen, war die Unterbringungsdauer auf ein Jahr zu verkürzen.
64
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (sh. BGH, Beschluss vom 06.04.2016, Az. XII ZB, 575/15) ist eine Unterbringungsdauer, die die Regelunterbringungsdauer von einem Jahr (§ 329 Abs. 1 FamFG) überschreitet, ausreichend zu begründen. Die Befristung auf längstens ein Jahr stelle eine gesetzliche Höchstgrenze für die Dauer der Unterbringung dar, die nur unter besonderen Voraussetzungen überschritten werden darf. Wird über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung von einem Jahr hinaus eine Unterbringung genehmigt oder angeordnet, ist diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen (vgl. ebd. m.w.N.).
65
Solche Gründe können sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben. Dabei erfordert das im Gesetz (§ 329 Abs. 1 FamFG) genannte Merkmal der „Offensichtlichkeit“, dass die Gründe für eine über ein Jahr hinaus währende Unterbringungsbedürftigkeit für das sachverständig beratene Gericht deutlich und erkennbar hervortreten. Besondere Zurückhaltung ist geboten, wenn für den Betroffenen eine erstmalige Unterbringungsanordnung oder -genehmigung erfolgt (BGH NJW 2017, 1958, NJW 2016, 1960).
66
So hat der BGH in der in NJW 2017, 1958 zugrunde liegenden Entscheidung bemängelt, dass das dortige Sachverständigengutachten keine anhand eines konkreten Therapieplaris aufgestellte oder sonst wissenschaftlich fundierte Prognose einer voraussichtlichen Heilungsdauer von mehr als einem Jahr enthielt. Insbesondere sei aus den Ausführungen der Sachverständigen nicht zu entnehmen gewesen, warum durch Therapiemaßnahmen während einer zunächst auf ein Jahr begrenzten Unterbringung eine Verbesserung des Krankheitsbildes der Betroffenen nicht zu erwarten ist. Dies vermöge die vom Gesetz geforderte „offensichtlich“ lange, mindestens zwei Jahre währende Unterbringungsbedürftigkeit nicht zu rechtfertigen.
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Der Sachverständige hat in seiner konkretisierenden Stellungnahme vom 11.02.2021 insoweit lediglich ausgeführt, die Betroffene benötige aufgrund der Schwere und der erheblichen Chronifizierung ihres Krankheitsbildes eine lang dauernde strukturierende soziotherapeutische Maßnahme mit stabilisierender Alkoholentwöhnungsbehandlung, wofür eine Dauer von 12 Monaten nicht ausreichend erscheine.
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Alleine diese sachverständigen Ausführungen können vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Unterbringungsdauer von über einem Jahr nicht begründen.
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Die Beschwerde gegen den Beschluss vom 19.01.2021 war daher weitgehend zurückzuweisen. Die in Feststellungsanträge umgewandelten Beschwerden gegen die Beschlüsse vom 24.11.2020 bzw. 02.12.2020 und vom 30.12.2020 waren zurückzuweisen, da die Voraussetzungen der Genehmigung der vorläufigen Unterbringung jeweils vom Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses bis zum Außerkrafttreten gegeben waren.
70
3. Die Kammer hat von einer erneuten Anhörung der Betroffenen abgesehen, da sie bereits im ersten Rechtszug angehört worden war und aufgrund der Kürze der inzwischen verstrichenen Zeit und ihrer Erkrankung keine neuen Erkenntnisse aus einer weiteren Anhörung zu erwarten gewesen wären, § 68 Abs. 3 FamFG.