Inhalt

VG München, Beschluss v. 17.06.2021 – M 1 S 20.43
Titel:

Örtliche Bauvorschriften über Werbeanlagen

Normenkette:
BayBO Art. 81 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Gemeinden können durch Satzung örtliche Bauvorschriften erlassen über besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung von Werbeanlagen, die senkrecht zur Außenwand baulicher Anlagen angebracht werden, nicht jedoch über eine generelle Genehmigungspflicht für alle Werbeanlagen. (Rn. 27 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Beseitigungsanordnung, Nasenschilder, Verstoß gegen örtliche Bauvorschriften, Nasenschild, Werbeanlage, örtliche Bauvorschrift, Genehmigungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2021, 17989

Tenor

I. Soweit der Antrag übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt; im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtschutzes gegen die Anordnung der Antragsgegnerin, für die Errichtung zweier Eingangswerbeanlagen einen Bauantrag einzureichen sowie gegen die Anordnung zur Beseitigung von 15 Nasenschildern.
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Das Baugrundstück (Flurnummern 1715/16 und 1715/19 Gemarkung …) befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 101 A „… …“ vom 17. Dezember 1999, der zunächst für den Bereich des Fachmarktzentrums ein Allgemeines Wohngebiet festgesetzt hatte. Mit Aufstellungsbeschluss vom 10. April 2013 beschloss die Antragsgegnerin, den Bebauungsplan im streitgegenständlichen Bereich zu ändern und dort ein Sondergebiet für ein Einkaufszentrum und Kino auszuweisen. Am 9. April 2014 wurde der Satzungsbeschluss gefasst; der Bebauungsplan trat schließlich am 12. Januar 2021 in Kraft. Die Antragstellerin hat hiergegen einen Normenkontrollantrag zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erhoben (1 N 21.918).
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Des Weiteren befindet sich das Baugrundstück im Geltungsbereich der Satzung über die Anforderungen an die Errichtung, Aufstellung, Anbringung, wesentliche Änderung, den Betrieb und die Gestaltung von Anlagen der Außenwerbung einschließlich Automaten („Werbeanlagensatzung“ - im Folgenden: WAS) der Stadt … vom 9. Juni 2000.
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Mit Bescheid vom 2. Juni 2015 und Tekturbescheid vom 11. Juli 2018 wurde der Antragstellerin auf Grundlage von § 33 Abs. 1 BauGB die Baugenehmigung zum Neubau eines Fachmarktzentrums erteilt.
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Unter dem 2. Mai 2019 beantragte die Antragstellerin die bauaufsichtliche Genehmigung zur Errichtung zweier Eingangswerbeanlagen für die Mieteinheiten 4 und 14 sowie zur Errichtung von 15 beleuchteten Nasenschildern an den Gebäuden 3 und 4 des Fachmarktzentrums. Ausweislich der Baubeschreibung sollen die Nasenschilder eine maximale Höhe von 1,19 m und eine maximale Breite von 1,80 m aufweisen. Nach den Feststellungen der Antragsgegnerin waren die Werbeanlagen zu diesem Zeitpunkt bereits errichtet.
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Mit Bescheid vom 28. November 2019, der Antragstellerin zugestellt mittels Postzustellungsurkunde am 4. Dezember 2019, lehnte die Antragsgegerin nach Anhörung der Antragstellerin den Bauantrag ab (Nr. 1). Unter Nr. 2 wurde die Antragstellerin aufgefordert, bis zum 10. Januar 2020 einen Bauantrag für die Errichtung der Eingangswerbeanlagen zu stellen. Hinsichtlich der 15 Nasenschilder wurde die Beseitigung bis zum 3. Januar 2020 angeordnet (Nr. 3). Hinsichtlich beider Anordnungen wurde der Sofortvollzug angeordnet (Nr. 5). Unter Nr. 4 des Bescheids wurde für den Fall der Nichterfüllung der Nr. 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro, für den Fall der Nichterfüllung der Nr. 3 ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro angedroht.
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Zur Begründung des Bescheids wird ausgeführt, das Vorhaben liege im Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans Nr. 101 A „… … …“ 2. Änderung Teil B: S* …hallenareal mit Kino und Grünordnungsplan. Da Planreife vorliege, beurteile sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 33 BauGB. Diese sei sowohl hinsichtlich der Eingangswerbeanlagen als auch hinsichtlich der Nasenschilder gegeben. Allerdings begründeten die Nasenschilder aufgrund ihrer Größe, Anbringung quer zur Fassade und insbesondere ihrer Summenwirkung unter Einbeziehung der bereits vorhandenen Anlagen der Außenwerbung eine störende Häufung und stellten damit einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 Nr. 1 WAS und gegen Art. 8 Satz 2 und 3 BayBO dar. Maßgeblich sei nach diesen Regelungen, ob die konkrete Umgebung die Häufung von Werbeanlagen vertrage oder diese Anlagen nach ihrem Gesamteindruck im Verhältnis zur Umgebung störend wirke. Zwar liege hier eine gewerbliche Nutzung vor, die regelmäßig mit Werbeanlagen einhergehe, doch käme dem sog. S* …hallenareal eine besondere städtebauliche Bedeutung zu. Das Fachmarktzentrum schließe sich unmittelbar an die denkmalgeschützten S* …hallen an. Aufgrund der städtebaulich bedeutenden Lage und zur Wahrung des Erscheinungsbildes des Denkmals sei bei der Aufstellung des Bebauungsplans ein hoher Wert auf die Gestaltung des gesamten Fachmarktzentrums und des Platzbildes gelegt und entsprechende Festsetzungen getroffen worden. Die Werbeanlagen der ebenfalls als Einkaufszentrum genutzten S* …hallen nähmen sich wesentlich gegenüber dem Gebäude zurück. An den Gebäuden 3 und 4 des Fachmarktzentrums befänden sich je Nutzungseinheit bereits eine Werbeanlage. Durch die zusätzlichen Nasenschilder werde das Erscheinungsbild des Gebäudekomplexes mit Werbeanlagen überhäuft. Jede Nutzungseinheit verfüge damit über zwei Werbeanlagen, die in enger räumlicher Beziehung zueinander angebracht seien. Dies übe auch auf einen sachkundigen Durchschnittsbetrachter eine störende optische Wirkung aus. Hinzukomme, dass durch die Nasenschilder das Erscheinungsbild des unmittelbar angrenzenden Einzelbaudenkmals erheblich gestört werde. Damit stünden dem Vorhaben auch denkmalfachliche Belange entgegen.
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Die Eingangswerbung sei genehmigungsfähig, der Bauantrag in der vorliegenden Form jedoch nicht teilbar, sodass für diese bereits errichteten Werbeanlagen gemäß Art. 76 Satz 3 BayBO ein Bauantrag einzureichen sei.
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Hinsichtlich der Nasenschilder werde die Beseitigung angeordnet, da diese formell rechtswidrig errichtet und nicht genehmigungsfähig seien. Eine Beseitigung sei zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände geeignet. Sie sei auch angemessen, da es keinen ungewöhnlich hohen wirtschaftlichen Aufwand erfordere, die Nasenschilder zu beseitigen.
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Die Anordnungen wurden jeweils gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt. Ein sofortiges Einschreiten sei erforderlich, um rechtmäßige Zustände herzustellen. Ein weiteres Hinauszögern würde vollendete Tatsachen schaffen und einen Anreiz für andere darstellen, gleichermaßen rechtswidrig zu verfahren.
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Die Antragstellerin hat durch ihren Prozessbevollmächtigten am *. Januar 2020 Klage gegen vorbenannten Bescheid erhoben (M 1 K 20.46). Mit am 2. Januar 2020 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz sucht sie zudem vorläufigen Rechtschutz und beantragt,
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hinsichtlich Ziff. 2 und Ziff. 3 des Bescheids vom 28. November 2019 die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.
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Es mangele bereits an der in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO geforderten schriftlichen Begründung. Es seien die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen darzulegen, die im konkreten Fall die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung begründeten. Die Begründung sei demgegenüber formularmäßig und völlig allgemein gehalten. Zudem stelle sich der Bescheid als rechtwidrig dar, weil die Nasenschilder sich nicht als verunstaltend darstellten. An eine störende Häufung in schon stark durch Reklame beherrschten bzw. gewerblich geprägten Baugebieten seien nämlich höhere Anforderungen zu stellen als beispielsweise in einem allgemeinen Wohngebiet oder Mischgebiet. Die Nasenschilder seien allesamt gleichgestaltet und fügten sich ausweislich der beigefügten Lichtbilder harmonisch in den Charakter des durch Einzelhandel geprägten Gebiets ein. Ferner bedürfe die Errichtung der Nasenschilder keiner denkmalrechtlichen Erlaubnis, die angeführte Beeinträchtigung der S* …hallen sei nicht gegeben. Die Nasenschilder befänden sich auf der dem Parkplatz zugewandten Seite des Fachmarktzentrums und damit im rückwärtigen Bereich der historischen S* …hallen. Sie befänden sich also außerhalb der Sichtachse auf die historischen Hallen. Dazwischen lägen Stellplatzanlagen, von denen man genauso behaupten könne, dass sie das denkmalgeschützte Erscheinungsbild beeinträchtigten. Bereits mit der Erteilung der Baugenehmigung zur Errichtung des Fachmarktzentrums habe die Antragsgegnerin zum Ausdruck gebracht, dass das neu errichtete Fachmarktzentrum das Erscheinungsbild der S* …hallen nicht oder nur unwesentlich beeinträchtige bzw. denkmalrechtliche Aspekte auch in einem gewissen Umfang zurücktreten könnten/müssten, um für die S* …hallen und deren Erhalt ein wirtschaftlich tragbares Gesamtkonzept realisieren zu können. Zu berücksichtigen seien im Übrigen auch zivilrechtliche Ansprüche der Mieter der Einzelhandelsgeschäfte gegen die Antragstellerin, deren Höhe und Entstehung noch nicht vorhersehbar seien, die jedoch die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch insoweit unverhältnismäßig werden ließen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Nasenschilder widersprächen öffentlichen Vorschriften, da sie formell und materiell rechtswidrig seien. Sie stellten in Zusammenwirkung mit den bereits bestehenden Werbeanlagen eine nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 WAS unzulässige Häufung von Werbeanlagen dar und stünden im Widerspruch zu Art. 8 Satz 3 BayBO. Diesbezüglich werde auf den angefochtenen Bescheid verwiesen. Zudem beeinträchtigten die Nasenschilder auch das Erscheinungsbild und das Wesen des Einzeldenkmals „S* …hallen“ erheblich, insbesondere durch ihre nächtliche Beleuchtung. Schließlich sei der Sofortvollzug ausreichend begründet. Das Fachmarktzentrum stehe im besonderen Fokus der Öffentlichkeit, vor allem auch der Gewerbetreibenden in der …er Innenstadt, die aufgrund ihrer Lage im denkmalgeschützten Ensemble erhebliche Einschränkungen hinnehmen müssten und das Fachmarktzentrum als problematischen Konkurrenzstandort ansähen. Ein weiteres Hinauszögern würde damit einen Anreiz für viele andere Gewerbetriebe auch außerhalb der Innenstadt darstellen, gleichermaßen rechtswidrig zu handeln. Als einfache bauliche Anlagen könnten die Nasenschilder ohne größeren Aufwand und ohne Substanzeinbuße entfernt und ohne hohe Kosten eingelagert werden. Mit der Beseitigung werde der Antragstellerin auch die Möglichkeit nicht genommen, diese wieder anzubringen, sollte sich die streitgegenständliche Beseitigungsanordnung als rechtswidrig erweisen. Ergänzend sei noch darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin im Rahmen der Errichtung des Fachmarktzentrums verschiedenste Planabweichungen zu verantworten habe und insofern mehrere Ordnungswidrigkeitenverfahren anhängig seien. Auch deshalb bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Beseitigungsanordnung. Der Vortrag der Antragstellerin zu zivilrechtlichen Ansprüchen erschließe sich nur schwer, da im Hinblick auf die bereits vorhandene Eingangswerbung sich aus dem Fehlen der Nasenschilder keine Umsatzverluste ergeben könnten. Zivilrechtliche Ansprüche könnten sich insoweit nur dann ergeben, wenn die Mieter selbst die Kosten der Werbeanlagen getragen hätten; insofern sei darauf hinzuweisen, dass die Beseitigung mit keinen Kosten verbunden sei und kein Substanzverlust drohe.
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Am 7. Januar 2020 reichte die Antragstellerin einen Bauantrag zur Errichtung der beiden Eingangswerbeschilder ein, der mit 20. Januar 2020 antragsgemäß verbeschieden wurde. Die Antragstellerin erklärte daraufhin mit Schriftsatz vom *. Februar 2020 das Klage- und das Eilverfahren insoweit für erledigt. Die Antragsgegnerin hat dem mit Schriftsatz vom 18. Februar 2020 zugestimmt.
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Zum weiteren Vortrag und den übrigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, auch im Verfahren M 1 K 20.46, sowie die Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Soweit der Antrag bezogen auf Nr. 2 des Bescheids - Aufforderung zur Einreichung eines Bauantrages für die Eingangswerbung - übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, war er in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
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Im Übrigen bleibt der zulässige Antrag ohne Erfolg, da er unbegründet ist.
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Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Hierbei prüft das Gericht zunächst, ob die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gegeben sind. Im Übrigen entscheidet das Gericht auf Grundlage einer eigenen, originären Ermessensentscheidung, in welcher das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung abgewogen wird. Im Rahmen dieser Abwägung kommt den Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs eine entscheidende Bedeutung zu. Ergibt sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen und auch ausreichenden summarischen Überprüfung, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache keinen Erfolg haben wird, weil sich der angegriffene Verwaltungsakt als voraussichtlich rechtmäßig erweist, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts. Erweist sich der Rechtsbehelf bei summarischer Überprüfung demgegenüber als erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse des Adressaten des Verwaltungsakts, von dessen Vollziehung vorerst verschont zu bleiben. Stellen sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs hingegen als offen dar, so ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erforderlich, bei der in Rechnung zu stellen ist, welche Gründe bei bestehender Unsicherheit im Hinblick auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs für und gegen eine Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes sprechen.
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Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht vorliegend Überwiegendes dafür, dass die Beseitigungsanordnung rechtmäßig ist, die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt und dementsprechend die Hauptsache voraussichtlich erfolglos ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Interessenabwägung fällt damit zulasten der Antragstellerin aus.
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1. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist in formaler Hinsicht ausreichend begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Es reicht hierbei jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die anordnende Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet. Die Begründung muss kenntlich machen, dass sich die Behörde bewusst ist, von einem rechtlichen Ausnahmefall Gebrauch zu machen. Auf die inhaltliche Richtigkeit der Begründung kommt es nicht an (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 55). Die Begründung kann zwar durchaus knapp gehalten sein. Aus ihr muss jedoch hervorgehen, dass und warum die Verwaltung konkret dem sofortigen Vollziehbarkeitsinteresse Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt; bei gleichartigen Tatbeständen können allerdings auch gleiche oder typische Begründungen ausreichen. Auch müssen zur Begründung des besonderen Vollziehungsinteresses regelmäßig andere Gründe angeführt werden, als sie zur Rechtfertigung des zu vollziehenden Verwaltungsakts herangezogen werden (Decker in Simon/Busse, BayBO, 141. EL März 2021, Art. 76 Rn. 330).
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Die Anordnung des Sofortvollzugs wurde hier schriftlich begründet. Das überwiegende öffentliche Interesse daran, dass die Beseitigung der Nasenschilder ehestmöglich erfolgt, wurde damit begründet, dass der Verbleib formell und materiell rechtwidrig errichteter Werbeanlagen für andere Gewerbetreibende einen Anreiz zu einem ebensolchen Vorgehen biete und vollendeten Tatsachen schaffe. In der Antragserwiderung vom 23. Januar 2020 hat die Antragsgegnerin hierzu vertiefend auf die Konkurrenzsituation zur denkmalgeschützten …er Innenstadt hingewiesen. Die gegebene knappe Begründung genügt gerade noch den vorgenannten Erfordernissen, weil sie erkennen lässt, dass sich die Behörde des Ausnahmefalls der Anordnung des Sofortvollzugs bewusst ist, aus ihr die angenommene besondere Dringlichkeit der Regelung i. S. v. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO hervorgeht und die von der Bauaufsichtsbehörde getroffene Interessenabwägung erkennbar ist. Ferner erschöpft sie sich nicht in der bloßen Annahme der Rechtswidrigkeit der Anlage, sondern argumentiert darüber hinaus mit der Bezugsfallwirkung.
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2. Nach summarischer Prüfung erweist sich die Beseitigungsanordnung als rechtmäßig. Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung anordnen, wenn bauliche Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
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Die Werbeanlagen stehen materiell-rechtlich im Widerspruch zu § 2 Abs. 3 WAS. Danach dürfen Werbeanlagen, die senkrecht zur Außenwand baulicher Anlagen angebracht werden, insbesondere Nasenschilder, je Seite eine Ansichtsfläche von 0,50 qm und eine Gesamtausladung von 0,90 m nicht überschreiten; für Werbeanlagen mit besonderer künstlerischer Gestaltung können Ausnahmen zugelassen werden.
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Bei § 2 Abs. 3 WAS handelt es sich um eine örtliche Bauvorschrift im Sinne von Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO (Art. 91 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1998). Danach können Gemeinden durch Satzung im eigenen Wirkungskreis örtliche Bauvorschriften erlassen über besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung von Ortsbildern. § 2 Abs. 3 WAS trifft eine Regelung zur Gestaltung von Werbeanlagen, die senkrecht zur Außenwand baulicher Anlagen angebracht werden. Die Regelung begrenzt ihre Ansichtsfläche auf 0,50 qm und ihre Ausladung auf 0,90 m. Demgegenüber weisen die streitgegenständlichen Nasenschilder eine Ansichtsfläche von ca. 2 qm auf und sind 1,90 m breit. Eine besondere künstlerische Gestaltung ist nicht vorhanden.
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Die Ermessensausübung der Antragsgegnerin begegnet keinen Bedenken. Sie hat zutreffend dargelegt, dass weniger einschneidende Maßnahmen zur Herstellung rechtmäßiger Zustände nicht denkbar sind und ausgeführt, dass es keinen ungewöhnlich hohen Aufwand erfordert, die Nasenschilder zu beseitigen.
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Die streitgegenständliche Beseitigungsanordnung erweist sich bereits danach als voraussichtlich rechtmäßig.
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3. Es bedarf damit zumindest im Rahmen des Eilverfahrens keiner Klärung, ob zu dem der Entscheidung als maßgeblich zugrunde zu legenden Zeitpunkt auch eine formelle Rechtswidrigkeit gegeben ist. Die Vereinbarkeit der Anlage mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften beurteilt sich grundsätzlich nach der Rechtslage, die im Zeitpunkt der Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde über die Beseitigungsanordnung gilt (vgl. BayVGH, U.v. 17.10.2006 - 1 B 05.1429 - juris Rn. 22). Möglicherweise ist jedoch wegen der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG die mit dem zwischenzeitlichen Inkrafttreten des Bebauungsplans eingetretene Rechtsänderung zu berücksichtigen (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 76 Rn. 133 m.w.N.), sodass die Errichtung der Werbeanlagen sich nunmehr gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. g BayBO als verfahrensfrei darstellen könnte.
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Anderes ergäbe sich nach erster Einschätzung auch nicht aus Festsetzung Nr. 8 des Bebauungsplans Nr. 101 A „… … …“ 2. Änderung Teil B: S* …hallenareal mit Kino und Grünordnungsplan. Nach dessen Satz 1 sind abweichend von der WAS Anlagen der Außenwerbung an allen Gebäuden nur bis zu einer Schriftgröße von max. 0,5 m zulässig; eine Genehmigung ist für alle Werbeanlagen erforderlich. Es spricht einiges dafür, dass es an einer Rechtsgrundlage für die Festsetzung einer generellen Genehmigungspflicht fehlt. Ermächtigungsgrundlage für Gemeinden zum Erlass örtlicher Bauvorschriften bildet grundsätzlich Art. 81 BayBO. Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO ermächtigt zum Erlass örtlicher Bauvorschriften über besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung von baulichen Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung des Ortsbildes, insbesondere zur Begrünung. Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO erweitert dies um ein Verbot der Errichtung von Werbeanlagen. Die Einführung einer zusätzlichen Genehmigungspflicht für Werbeanlagen, zu der die Vorgängervorschrift des Art. 91 Abs. 2 Nr. 1 BayBO 1998 ermächtigte, sieht Art. 81 Abs. 1 BayBO jedoch nicht vor (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 81 Rn. 5).
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Gleiches dürfte im Ergebnis für die Statuierung einer Genehmigungspflicht für die Errichtung, Anbringung, Aufstellung und Änderung von Werbeanlagen in durch Bebauungsplan festgesetzten Gewerbe-, Industrie- und vergleichbaren Sondergebieten ab einer Größe von 2 qm gelten, wie sie § 5 Abs. 1 Nr. 2 WAS vorsieht, wobei zunächst zu klären wäre, ob die Nasenschilder diese Größe tatsächlich überschreiten. Jedenfalls erscheint fraglich, ob sich die Regelung für Gewerbe-, Industrie und vergleichbaren Sondergebiete tatsächlich auf Art. 91 Abs. 2 Nr. 1 BayBO 1998 stützen kann, der die Gemeinden zum Erlass örtlicher Bauvorschriften ermächtigte, welche in besonders schutzwürdigen Gebieten eine Genehmigungspflicht für Werbeanlagen einführen. Im Übrigen erscheint fraglich, ob eine solche Regelung nach Wegfall der Ermächtigungsgrundlage des Art. 91 Abs. 2 Nr. 1 BayBO 1998 weiter Geltung beanspruchen könnte (verneinend: Decker in Busse/Kraus, BayBO, 141. EL, März 2021, Art. 81 Rn. 37).
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4. Des Weiteren bedarf es zumindest im Rahmen des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung, ob hinsichtlich der Nasenschilder eine störende Häufung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 WAS bzw. Art. 8 Satz 3 BayBO gegeben ist. Auf Grundlage der vorgelegten Lichtbilder neigt die Kammer der Ansicht zu, dass eine störende Häufung durch die Nasenschilder zu verneinen ist. Insoweit hat der Vertreter der Antragstellerin zu Recht darauf hingewiesen, dass es stets auf die Wirkung der Werbeanlage am Anbringungsort ankommt. Dabei ist insbesondere auf die Funktion und den Charakter des Baugebietes abzustellen, weil letztlich das Gesamtbild der Umgebung für die Beurteilung der Wirkung der Anlagen von ganz entscheidender Bedeutung ist (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 8 Rn. 199). Angesichts der starken gewerblichen Prägung des Areals, an der die ihrerseits als Einkaufszentrum genutzten S* …hallen teilnehmen, liegt eine störende Häufung nicht auf der Hand. Hinzukommt, dass diese nur von den großflächigen Parkplatzanlagen aus einsehbar sind, die ihrerseits das Platzbild erheblich prägen.
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5. Zur Beurteilung der denkmalschutzrechtlichen Auswirkungen hingegen bedürfte es gegebenenfalls weiterer Aufklärung.
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6. Gleiches gilt für die Frage, ob die Nasenschilder bauplanungsrechtlich zulässig sind. Hier hegt das Gericht zum derzeitigen Zeitpunkt insoweit Zweifel, als die Nasenschilder, ebenso wie das Vordach, zumindest augenscheinlich die im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen überschreiten. Möglicherweise käme jedoch die Erteilung einer Befreiung gemäß § 23 Abs. 5 BauNVO in Betracht.
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7. Im Übrigen dürfte auch bei offenen Erfolgsaussichten vorliegend das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse der Antragstellerin an der Beibehaltung der Nasenschilder überwiegen. Der Abbau der Nasenschilder ist zum einen unschwer zu bewerkstelligen, zum anderen mit keinem Substanzverlust verbunden. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang etwaige Schadensersatzansprüche seitens ihrer Mietparteien befürchtet, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Nasenschilder zumindest bei deren Errichtung formell rechtswidrig waren, was die Antragstellerin auch nie bestritten hat. Errichtet der Bauherr dennoch ohne Genehmigung eine Anlage, so ist sein Vertrauen auf deren Bestand nicht schutzwürdig. Es ist daher nicht erkennbar, weshalb sie ein berechtigtes Interesse an der wirtschaftlichen Nutzung der Anlagen bis zur Klärung in der Hauptsache haben soll.
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8. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils des Antrags entspricht es billigem Ermessen, die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand zeigen sich die Erfolgsaussichten insofern als gering. Die streitgegenständliche Aufforderung, einen neuen Bauantrag für die Eingangswerbung zu stellen, erweist sich insbesondere vor dem Hintergrund des unter dem 2. Mai 2019 gestellten Bauantrags als wohl rechtmäßig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 6.2.3013 - 4 B 39.12 - juris Rn. 11) ist es Sache des Bauherrn, durch seinen Genehmigungsantrag den Inhalt des Vorhabens festzulegen. Ob ein Bauherr ein Gesamtvorhaben oder mehrere Einzelbauvorhaben zur Genehmigung gestellt hat, beurteilt sich nach dem jeweiligen Genehmigungsantrag, der unter Umständen der Auslegung bedarf. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin unter Nr. 2 des Bauantrags das Bauvorhaben wie folgt bezeichnet: „Tektur zur Errichtung von Werbeanlagen (Eingangswerbung) ME 4 + 14 im EG sowie Errichtung von Nasenschildern“. Die Formulierung ist hinsichtlich der Frage, ob die Antragstellerin die Werbeanlagen als Gesamtvorhaben genehmigt haben wollte oder es sich hier nur um eine verfahrensökonomische Zusammenfassung zweier Einzelbauvorhaben handelt, nicht aussagekräftig. Allerdings hat die Antragstellerin weder auf die Anhörung im Baugenehmigungsverfahren hin noch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens vorgetragen, dass sie von zwei Einzelbauvorhaben ausgegangen ist und die Genehmigung für die Eingangswerbeanlagen unabhängig von den Nasenschildern hätte erteilt werden können. Es ist daher anzunehmen, dass die Antragstellerin selbst vom Vorliegen eines Gesamtvorhabens ausgegangen ist und keine Teilgenehmigung hätte erfolgen können.
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9. Die Festsetzung des Streitwertes beruht bezüglich beider streitgegenständlicher Anordnungen jeweils auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.