Titel:
Zulässigkeit eines Beherbergungsbetriebes im Industriegebiet
Normenkette:
BauNVO § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz:
Im Regelfall ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtung davon auszugehen, dass ein Beherbergungsbetrieb der Zweckbestimmung eines Industriegebietes nicht entspricht. Dies kann im Einzelfall aber anders zu beurteilen sein, wenn der konkrete Betrieb Besonderheiten aufweist, die ihn vom „üblichen Beherbergungsbetrieb“ unterscheiden. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gebietserhaltungsanspruch, faktisches Industriegebiet, bestimmen der näheren Umgebung, Industriegebiet, Beherbergungsbetrieb, nähere Umgebung, störender Gewerbebetrieb
Fundstelle:
BeckRS 2021, 17472
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2020 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine dem Beigeladenen für „Umbau und Nutzungsänderung einer bestehenden Asylunterkunft mit Büroetage in einen Beherbergungsbetrieb“ erteilte Baugenehmigung.
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Der Beigeladene ist Eigentümer des westlich der … gelegenen Vorhabensgrundstücks …, Gemarkung … Die Klägerin ist ein Industrieunternehmen der Automobilzulieferungsbranche und betreibt am Standort … seit Juli 2011 zwei Werke zur Produktion von Getriebeteilen mit insgesamt rund 1.000 Industriearbeitsplätzen. Das Werk 2 der Klägerin liegt wie das Grundstück des Beigeladenen westlich der … …*) und grenzt unmittelbar südlich an dieses und an die darauf befindlichen Gebäude an. Das Werk 1 liegt vom Vorhabengrundstück ca. 300 bis 400 m in östlicher Richtung entfernt auf den FlNrn. …, …, … und …, jeweils Gemarkung … Mit Bescheid vom 11. Mai 2016 war dem Beigeladenen bezüglich des grenzständig zum Grundstück der Klägerin gelegenen zweigeschossigen Gebäudes die bauaufsichtliche Genehmigung zur „Umnutzung des Bürogebäudes in Asylsuchendenunterkunft mit 61 Betten für die Dauer von drei Jahren“ erteilt worden. Mit Bescheid vom 11. Januar 2017 wurde dem Beigeladenen die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung von Lager zur Unterkunft für Asylbewerber (42 Personen, befristet auf drei Jahre) und zur Aufstockung zur Büronutzung bezüglich des westlich auf dem Beigeladenengrundstück gelegenen, zuvor als Lager genutzten eingeschossigen Gebäudes erteilt. Gegen die Baugenehmigungen wurden unter den Az.: AN 9 K 17.00173 und AN 9 K 16.00991 Klagen erhoben.
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Mit Schreiben vom 2. September 2016 teilte der damalige Oberbürgermeister der Beklagten der Klägerin mit, dass es sich bei den gewerblichen Flächen in … um ein Industriegebiet nach § 9 BauNVO handele. An dieser Einschätzung änderten auch punktuelle „gebietsfremde Nutzungen“ wie Flüchtlingsunterkünfte, die aufgrund des Sonderrechtes nur ausnahmsweise und nur auf maximal drei Jahre genehmigt würden, selbst wenn diese direkt an das Werk angrenzten, nichts. ZF und Federal-Mogul wirkten allein aufgrund ihrer Ausdehnung in dem Gebiet derart prägend, dass dies zur Sicherung des Gebietscharakters völlig ausreiche. Solange ZF und Federal-Mogul in der jetzigen Ausdehnung im Industriegebiet … fortbestünden, bleibe auch der Industriecharakter des Gebiets erhalten. Es wurde ein Plan mit Gebietsumgriff bezüglich des industriell geprägten Bereiches übersandt, der westlich durch die Bahnlinie, südlich durch die …, östlich durch den … und nördlich durch eine ca. auf halber Strecke zwischen dem ehemaligen Industriegleis und der … verlaufende Strecke begrenzt wird.
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Mit am 27. November 2019 bei der Beklagten eingegangenem Antrag beantragte der Beigeladene die Baugenehmigung für das Vorhaben „Umbau und Nutzungsänderung einer bestehenden Asylunterkunft mit Büroetage in einen Beherbergungsbetrieb“. Der Bauantrag erfasst das Vordergebäude und das rückwärtige Gebäude auf dem Flurstück …, Gemarkung … Einer Betriebsbeschreibung vom 25. November 2019 ist zu entnehmen, dass es sich um eine Beherbergungsstätte für den kurzfristigen Aufenthalt von Personen und Personengruppen handele. Innerhalb der täglichen Betriebszeit zwischen 8:00 Uhr und 20:00 Uhr seien schichtweise ca. 10 Mitarbeiter auf dem Gelände beschäftigt. Die Herberge könne maximal mit 77 Betten belegt werden. Der generelle Betriebsablauf beginne am frühen Morgen. Anschließend erfolge der Check-In bzw. Check-Out der Kundschaft. Die Grundreinigung der Gästezimmer erfolge in den Vormittagsstunden. Der Betrieb sei nur für einen Kurzaufenthalt seiner Gäste konzipiert. Bei der an den Frühstücksraum angeschlossenen Küche handele es sich lediglich um eine Teeküche. Diese sei nur für das Aufwärmen von Getränken und Speisen geeignet. Mit Betriebsbeschreibung vom 3. Februar 2020 wurde erläutert, dass das geplante Gebäude als Hotelbetrieb geführt werden solle. Die Aufenthaltsdauer der Übernachtungsgäste liege in der Regel bei ca. 1 bis 4 Tagen. Der generelle Betriebsablauf sehe eine morgendliche Frühstücksbewirtung ab ca. 7:00 Uhr vor, die Gäste könnten während des Vormittags auschecken. Ab Nachmittag sei dann ein Check-In der neuen Gäste möglich. Zwischenzeitlich werde die Zimmerreinigung durchgeführt. Die Hotelrezeption sei zu den normalen Tageszeiten (ca. 8:00 Uhr bis 20:00 Uhr) besetzt. Ein Nachweis von Reisebusstellflächen sei nicht erforderlich.
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Einer Stellungnahme des Umweltamtes der Beklagten vom 7. Januar 2020 ist zu entnehmen, dass unmittelbar an den künftigen Beherbergungsbetrieb das Werk 2 der Klägerin ohne räumliche Trennung angrenze. Das Werk 2 werde für die Herstellung von Gussteilen aus NE-Metallen genutzt und bestehe aus Anlagen zum Schmelzen, Gießen und Bearbeiten von Gussteilen. Das Werk 2 werde für industrielle Anlagen typisch im 3-Schicht-Betrieb, d.h. auch nachts genutzt. Durch die Nutzung des zur Klägerin angrenzenden künftigen Beherbergungsbetriebs entstünden erhebliche Nachteile für die Klägerin, da es sich bei dem Beherbergungsbetrieb um keine industrielle Nutzung handle. Die Gießerei der Klägerin sei nur im Industriegebiet zulässig. Durch den Nachtbetrieb der Klägerin könnten die zulässigen Immissionsrichtwerte, insbesondere nachts im Beherbergungsbetrieb, für diese sensiblere Nutzung möglicherweise nicht mehr eingehalten werden.
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Mit Bescheid vom 28. Juli 2020 wurde für das Vorhaben „Umbau und Nutzungsänderung einer bestehenden Asylunterkunft mit Büroetage in einen Beherbergungsbetrieb“ auf den FlNrn. 96/32, 98/1 und 101/2, jeweils Gemarkung …, unter Hinweis darauf, dass die in der Bau- bzw. Betriebsbeschreibung gemachten Angaben gelten, die Baugenehmigung erteilt.
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Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 11. August 2020 ließ die Antragstellerin Klage erheben. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 7. Oktober 2020 ließ sie Antrag nach §§ 80 Abs. 5, 80a Abs. 3 VwGO stellen.
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Zur Begründung wird auch mit Schriftsatz vom 18. November 2020 im Wesentlichen ausgeführt, dass das hier maßgebliche einheitliche Baugebiet durch die Zäsuren … im Süden, Bahnlinien im Westen, … im Osten und ehemaliger Gleisanschluss im Norden begrenzt werde. Dass ein Gebiet von einer topografischen Zäsur zerschnitten werde und dass dies auch eine stillgelegte Bahnstrecke sein könne, sei anerkannt. Dieses Baugebiet sei eindeutig und ganz überwiegend durch erheblich belästigende Gewerbebetriebe geprägt. Dominiert werde das Baugebiet durch insgesamt sechs Anlagen nach Art. 10 i.V.m. Anhang 1 der RL 2010/75/EU (Industrieemissionsrichtlinie). Ferner befinde sich in dem Baugebiet die Betriebsstätte einer erheblich störenden Schreinerei. Diese Betriebe dominierten das Baugebiet nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ von ihrer Flächeninanspruchnahme her. Es verblieben in dem Baugebiet maximal 20% an Restflächen, die nicht erheblich störungsintensiv Industrie- und Gewerbebetrieb nutzen. Das Baugebiet sei eindeutig als faktisches Industriegebiet einzustufen. Dass sich in dem Baugebiet in geringem Umfang auch einige wenige nicht störungsintensive Gewerbebetriebe ansiedelt, stehe seiner Qualifizierung als Industriegebiet nicht entgegen. Denn das Industriegebiet diene ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben und davon vorwiegend solchen Betrieben, die in anderen Baugebieten unzulässig seien. Wenig störende Gewerbebetriebe seien im Industriegebiet zulässig, dürften aber das Gebiet nicht überwiegend prägen. Auch der BayVGH habe in seiner Entscheidung vom 9. September 2020 (Az.: …*) das maßgebliche Geviert als durch die … im Süden, die … im Westen, den … im Osten sowie die ehemalige … im Norden begrenzt angesehen.
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Dem diagonal verlaufenden Gleisanschluss sei hinsichtlich des Bebauungszusammenhangs eine trennende Wirkung beizumessen. Die Gleise seien zum Teil auch noch vorhanden. Entlang des ehemaligen Gleisanschlusses sei ein Fußgängerweg/Radweg errichtet, der eine zusätzlich optisch wahrnehmbare Zäsur darstelle und die vorhandene Zäsur perpetuiere. Sogar die Gebäudeform sei an den Trassenverlauf angelehnt.
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Spätestens am 17. März 2020 sei die Baugenehmigung des Beigeladenden vom 11. Mai 2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 6. Dezember 2016 für die vordere Unterkunft für Asylbewerber erloschen. Der Bevollmächtigte des Beigeladenen habe gegenüber der Antragsgegnerin einen Verzicht auf diese Baugenehmigung erklärt und diese habe mit Schreiben vom 13. März 2020 das Erlöschen der Baugenehmigung bestätigt.
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Die Baugenehmigung sei nicht hinreichend bestimmt, da die Bauvorlagen widersprüchlich seien. Vormals genehmigte Nutzung sei allein die Asylunterkunft gewesen. Der Bauvorlage lasse sich auch nicht entnehmen, wo konkret sich in dem Gebäude die sogenannte Büroetage befinden solle. Insoweit seien die Bauvorlagen erkennbar unvollständig. Falsch sei die Bezugnahme auf die Vornutzung auch in der Baugenehmigung. Denn im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung am 27. Juli 2020 sei der letzte geltende Genehmigungstatbestand nicht (mehr) derjenige einer Asylunterkunft.
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Die Klägerin habe einen Gebietserhaltungsanspruch. Die von der Beklagten genehmigte Nutzungsart Hotel sei in dem hier bestehenden faktischen Industriegebiet gebietswidrig. In Industriegebieten seien Beherbergungsbetriebe nicht regelmäßig zulässig. Es lägen auch keine Besonderheiten des Einzelfalls vor, die eine andere Betrachtungsweise geböten. Die in der Betriebsbeschreibung angegebene Regelverweildauer von bis zu vier Tagen sei nicht so kurz, dass Störungen der Gäste durch die Industrieimmissionen ausgeschlossen wären. Vor allem zeigten die Worte „in der Regel“, dass es nach der Betriebsbeschreibung auch solche Hotelgäste geben werde, die länger als vier Tage dort wohnten. Denkbar sei auch, dass weiterhin ein Wohnheim betrieben werde. Hierfür sprächen die Ausstattungsmerkmale des Gebäudes, die für eine wohnähnliche Nutzung charakteristische Elemente auswiesen. Zudem schließe die Lage des Hotels mitten im Industriegebiet Aufenthalte zum Zwecke des Erholungsurlaubs oder touristisch motivierte Aufenthalte aus.
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Der Gebietserhaltungsanspruch bestehe unabhängig von etwaigen tatsächlichen Störungen durch die gebietsfremde Nutzung. Auf die Lärmthematik käme es vor diesem Hintergrund nicht an. Jedenfalls sei das durch die Beklagte vorgelegte Gutachten vom 24. Januar 2018 untauglich und vollkommen veraltet.
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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2020 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wird mit Schriftsätzen vom 28. Oktober 2020, 30. November 2020 und 10. Mai 2020 unter anderem ausgeführt, Gegenstand der Baugenehmigung sei ein hotelähnlicher Beherbergungsbetrieb und keine wohnähnliche Nutzung. Das Bundesverwaltungsgericht habe mit Beschluss vom 29. April 1992 (Az.: 4 C 43/89) ausgeführt, dass Betriebe des Beherbergungsgewerbes im Gewerbegebiet zulässig sein könnten, wenn ihren Gästen die typischen Belästigungen eines solchen Gebietes zugemutet werden könnten. Das streitgegenständliche Vorhaben sei kein Wohnheim. Die Bauvorlagen machten deutlich, dass absolut hoteltypisch ein Frühstück serviert werde und weder in den Zimmern noch sonst wo die Möglichkeit bestehe, sich selbst zu versorgen. Die Übernachtungsräume sollen nicht über eine Küchenzeile verfügen. In den Gebäuden werde es auch keine Waschküchen mit Waschmaschinen und Ähnliches geben. Es werde dort auch keine Gemeinschaftsräume geben, vorgesehen seien zwei Aufenthaltsräume. Es könne offenbleiben, ob die in der Betriebsbeschreibung beschriebene kurze Verweildauer von in der Regel ca. 1 bis 4 Tagen allein ausreiche, um annehmen zu können, dass ein Beherbergungsbetrieb mit kurzer Verweildauer genehmigt worden sei. Entscheidend sei, dass die Gestaltung der Unterkünfte nicht auf einen längeren Aufenthalt hin ausgerichtet sei.
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Hinsichtlich der Bestimmtheit sei völlig klar, um welche Büroetage es gehe. Mit Bescheid vom 11. Januar 2017 sei dem Beigeladenen die Aufstockung des an die westliche Grundstücksgrenze angrenzenden, rückwärtigen Gebäudes für eine Büronutzung erteilt worden.
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Ein Gebietserhaltungsanspruch sei nicht gegeben, weil sich die Betriebsgebäude der Klägerin und das Vorhabensgrundstück des Beigeladenen nicht in demselben Baugebiet befänden. Ein baugebietsübergreifender Gebietserhaltungsanspruch komme nicht in Betracht, da es sich um ein faktisches Baugebiet handele. Die Werke der Klägerin lägen unzweifelhaft in einem faktischen Industriegebiet. Dieses entfalte gleichzeitig keine prägende Wirkung für die an das Gebiet nördlich angrenzende Bebauungen und Nutzungen. Das Vorhabensgrundstück … gehöre nicht zu diesem Industriegebiet. Es sei bereits vor der Nutzung als Asylbewerberunterkunft als sonstiger „nicht erheblich belästigender Gewerbebetrieb“ genutzt worden. Auch die nördlich und östlich an das Vorhabensgrundstück angrenzenden Grundstücke nutzten nicht störungsintensive Betriebe. Nördlich des Industriekomplexes gebe es keine störungsintensiven Betriebe. Es werde ein kleinteilig strukturiertes, durch nicht erheblich störende Gewerbebetriebe geprägtes Gewerbegebiet gebildet. Das Vorhabensgrundstück und die weiteren Grundstücke südlich und nördlich des ehemaligen Industriegleises verfügten über eine andere Bau- und Nutzungsstruktur als das Industriegebiet. Es stießen zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedener Bau- und Nutzungsstruktur aneinander. Die Grenze des faktischen Industriegebiets sei an der Grundstücksgrenze zwischen dem Vorhabensgrundstück und dem Betriebsgrundstück der Klägerin zu ziehen. Immissionen, die von einem Industriebetrieb ausgingen, stellten keinen Grund dar, benachbarte Grundstücke zur näheren Umgebung zu ziehen. Die Abgrenzung der näheren Umgebung werde von der vorhandenen Bebauung bestimmt und knüpfe damit an mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten an. Es liege in der Natur der Sache, dass die Grenze zwischen zwei Baugebieten auch entlang von Grundstücksgrenzen verlaufen könne.
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An dem mit Schreiben des damaligen Oberbürgermeisters vom 2. September 2016 übermittelten Lageplan mit dem Gebietsumgriff könne die Beklagte nicht festhalten. Ohne förmliche Bauleitplanung könnten den Grundstückseigentümern im bezeichneten Umgriff bestehende Baurechte nicht genommen werden. Das Unstreitigstellen eines Industriegebiets durch die Beklagte in den vorhergehenden Verfahren sei nur für das jeweilige Verfahren erfolgt. Auch der BayVGH habe sich in seinem Urteil vom 9. September 2020 nur dahingehend geäußert, dass „vieles dafür spreche“, dass die nähere Umgebung des damaligen Vorhabensgrundstückes die eines Industriegebiets sei. Es sei letztlich unerheblich, ob das Vorhabensgrundstück des Beigeladenen tatsächlich in einem Gewerbegebiet liege. Entscheidend sei allein, dass es in einem anderen Gebiet zur Ausführung kommen solle.
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Ob das ehemalige Industriegleis geeignet sei, eine Zäsur mit einer trennenden Wirkung zu bilden, könne im Ergebnis offenbleiben. Die Fläche südlich des ehemaligen Gleises, die nach Auffassung der Bekalgten als eigenes Gewerbegebiet einzustufen sei, habe eine Fläche von überschlägig 2,5 ha und sei für ein eigenes Baugebiet groß genug. Somit könne die ehemalige Gleisstraße diese Fläche auch nicht zum Industriegebiet hineinziehen. Das ehemalige Gleis habe auch nicht die Wirkung einer Zäsur. Die Gleise seien entfernt worden und die Flächen erschienen bei einer Betrachtung vor Ort wie Grundstückszufahrten.
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Eine Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht möglich. In dem Verfahren AN 9 K 16.00991 sei dem Beigeladenen auferlegt worden, dafür zu sorgen, dass in den Unterkunftsräumen der Asylbewerberunterkunft die Lärmwerte von tags 40 dB(A) und nachts 30 dB(A) eingehalten werden. Mit gutachterlichem Bericht der … vom 24. Januar 2018 sei aufgezeigt worden, dass nach Lärmmessungen die Mittelungspegel Lm in den Räumen der vormaligen Flüchtlingsunterkunft sich zwischen 25 und 26 dB(A) bewegten. Lediglich im Raum 6 sei es zu Überschreitungen gekommen, denen aber durch Anbringen einer Vorsatzschale begegnet worden sei.
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Schädliche Umwelteinwirkungen durch Erschütterungen seien nicht zu erwarten. In den Baugenehmigungsverfahren zu den Asylbewerberunterkünften sei der Beigeladene zur Einhaltung von Erschütterungsimmissionsschutzrichtwerten nach der DIN 4150-2 verpflichtet worden. Das Büro … habe in seinem Bericht erläutert, dass an beiden „kritischen“ Messorten die Anhaltswerte eingehalten werden könnten. Es gehe um eine Nutzung der Gebäude als Beherbergungsbetrieb. Für Hotelgäste seien höhere Belastungen durch Erschütterung zumutbar als für ein dauerhaftes oder längeres Wohnen. Den Immissionsrichtwerten der DIN 4150 komme somit nur eine verminderte Aussagekraft zur Zumutbarkeit der Erschütterungsimmissionen in den Gebäuden zu. Eine Überschreitung der Anhaltswerte könne bei einem Aneinandergrenzen zweier Gebiete unterschiedlichen Schutzcharakters wegen der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme hinzunehmen sein. Die Anhaltswerte der Zeile 2 der Tabelle 2 der DIN 4150 am damaligen Messort 1 seien nur geringfügig überschritten. Die Messergebnisse spiegelten eine Gesamtbelastung wider. Die Gebäude lägen in unmittelbarer Nähe einer S-Bahnlinie. Somit seien bei den Messungen eventuell auch Erschütterungsimmissionen und Geräuschimmissionen infolge von vorbeifahrenden Zügen erfasst und berücksichtigt worden. Die baulichen Änderungen in den Gebäuden seien nur geringfügiger Natur. Deshalb sei eine prognostische Neubeurteilung der Erschütterungsimmissionen im Genehmigungsverfahren nicht veranlasst. Die Erschütterungsimmissionen bewegten sich im vorderen Gebäude in einem Bereich zwischen den Immissionsrichtwerten für ein Industriegebiet und ein Gewerbegebiet. Im rückwärtigen Gebäude seien die Erschütterungsimmissionsrichtwerte für ein Gewerbegebiet eingehalten.
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Die Einwände der Klägerin bezüglich des Gutachters seien bereits im Verfahren AN 9 K 16.00991 entkräftet worden.
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Es werde zu entscheiden sein, ob die Frage der Gebietseinstufung nicht deshalb offen bleiben könne, weil für die planungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens in einem Industriegebiet die gleichen Voraussetzungen gälten wie für die Zulässigkeit in einem Gewerbegebiet. Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO und § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO seien in beiden Gebieten regelhaft Gewerbebetriebe aller Art zulässig. Die BauNVO unterscheide nicht zwischen Industrie- und Gewerbegebieten, es werde der gleiche Begriff des Gewerbebetriebs verwendet. Industrie- und Gewerbegebiete unterschieden sich darin, dass die Erheblichkeit der Nachteile und Belästigungen der Maßstab dafür sei, ob der Gewerbebetrieb noch im Gewerbegebiet oder nur im Industriegebiet zulässig sei. Somit seien im Industriegebiet nicht solche Gewerbebetriebe von vornherein ausgeschlossen, die den zulässigen Störgrad „erheblich belästigend“ nicht erreichten. Ein Widerspruch zum Gebietscharakter des Industriegebiets könne nur bestehen, wenn in dem betreffenden Industriegebiet bereits nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe vorhanden seien und es mit dem Vorhaben des Beigeladenen zu einem Umkippen des Industriegebietes kommen könne. Auch in der Kommentarliteratur werde die Ansiedlung eines Beherbergungsbetriebs im Industriegebiet für zulässig erachtet, sofern es sich um eine hotelähnliche Unterbringung und nicht um eine wohnähnliche Nutzung handele.
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Der Beigeladene beantragt,
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Zur Begründung schließt der Beigeladenenbevollmächtigte sich den Ausführungen der Beklagten im Eilverfahren AN 9 S 20.02107 an.
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Am 2. Juni 2021 wurde das streitgegenständliche Grundstück und dessen nähere Umgebung durch die Berichterstatterin in Augenschein genommen. Auf die Niederschrift und die angefertigten Lichtbilder wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2021 wies der Klägerbevollmächtigte unter anderem darauf hin, dass es in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt sei, dass auch eine stillgelegte Bahnstrecke eine topographische Zäsur bilden könne.
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Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2021 teilte die Beklagte mit, dass für die Fl.Nrn. …, … und …, jeweils Gemarkung …, keine Widmung bestehe.
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Mit Schriftsatz vom 9. Juni 2021 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, dass die Beklagte sich durch notariellen Vertrag ein „Geh- und Fahrtrecht zugunsten der Stadt …“ für einen Rad- und Fußweg an dem Grundstück Fl.Nr. …, Gemarkung … einräumen habe lassen. Den beigefügten Grundbuchauszügen sowie der beigefügten Kopie der notariellen Urkunde ist neben der Bestellung des Geh- und Fahrtrechtes zugunsten der Stadt … am Grundstück Fl.Nr. … auch die Bestellung eines Geh- und Fahrtrechtes zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstückes Fl.Nr. … zur Errichtung und Unterhaltung einer Privatstraße für betrieblichen Lastenverkehr an dem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück Fl.Nr. …, Gemarkung …, zu entnehmen.
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Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte in den Verfahren AN 9 S 20.02107, AN 9 K 16.00991 und AN 9 K 17.00173 und die beigezogenen Behördenakten. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Streitgegenstand ist die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 28. Juli 2020 erteilte Baugenehmigung.
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2. Die Klage ist zulässig und begründet.
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2.1 Die Klägerin wird durch die streitgegenständliche Baugenehmigung in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt.
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Der aus § 15 Abs. 1 BauNVO abgeleitete Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet (§ 9 Satz 1 Nr. 1 BauGB, § 1 Abs. 3 BauNVO) das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung in diesem Gebiet nicht zulässige Vorhaben unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung zur Wehr zu setzen (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 - 4 C 28/91 - juris Rn. 13; B.v. 27.8.2013 - 4 B 39/13 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 10.8.2016 - 9 ZB 16.944 - juris Rn. 11; B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 29; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 2020, § 15 BauNVO Rn. 37). Der identische Nachbarschutz besteht auch im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung als faktisches Baugebiet i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 - 4 C 28/91 - BVerwGE 94,151).
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Der Anspruch wird allein durch die Zulassung eines mit dem (faktischen) Gebietscharakter unvereinbaren Vorhabens ausgelöst; eine tatsächlich spürbare und nachweisbare Beeinträchtigung des jeweiligen Nachbarn ist gerade nicht erforderlich. Dies ist damit zu begründen, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben (faktischen) Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG hat jeder Eigentümer - unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung - das Recht, sich gegen eine „schleichende Umwandlung des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 29; B.v. 22.1.2020 - 15 ZB 18.2547 - juris Rn. 6). Eine Verletzung des nachbarlichen Rechts auf Gebietserhaltung kann dabei nur vorliegen, wenn auch die Voraussetzungen der ausnahmsweisen Zulässigkeit des Vorhabens nicht gegeben sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2008 - 15 ZB 07.2914 - juris Rn. 10).
37
Das Grundstück der Klägerin sowie das Grundstück des Beigeladenen liegen in einem einheitlichen (faktischen) Plangebiet (siehe 2.1.1). Dieses entspricht als faktisches Industriegebiet auch einem der in der BauNVO aufgeführten Gebietstypen (siehe 2.1.2). Das streitgegenständliche Vorhaben ist nach der Art der genehmigten Nutzung in diesem Gebiet unzulässig (siehe 2.1.3).
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2.1.1 Hinsichtlich der Bestimmung der näheren Umgebung ist der Bereich heranzuziehen, innerhalb dessen sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und der seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder jedenfalls beeinflusst (BVerwG, U.v. 26.5.1978 - 4 C 9.77 - juris Rn. 33; B.v. 14.10.2019 - 4 B 27.19 - juris Rn. 7.) Bezüglich der Frage, ob sich das jeweilige Vorhaben einfügt, ist grundsätzlich auf die tatsächlich vorhandene Bebauung abzustellen (siehe BVerwG, B.v. 6.6.2019 - 4 C 10.18 - juris Rn. 15), dabei sind auch Immissionen einzubeziehen (vgl. hierzu z.B. BVerwG B.v. 19.7.2018 - 4 B 27/18 - juris Rn. 3; BVerwG B.v. 15.11.2017 - 4 B 2/18 - juris Rn. 5 f.)
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Die Grenzen der näheren Umgebung sind nicht schematisch festzulegen, sondern nach der tatsächlich gegebenen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in welche das Baugrundstück eingebettet ist (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 2020, § 34 Rn. 36).
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Grundsätzlich können Straßen oder Schienenstränge eine Abgrenzung der näheren Umgebung darstellen, wobei die Frage der trennenden oder verbindenden Wirkung jeweils unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch unter Betrachtung der auf der jeweiligen Seite der Straße oder des Schienenstranges vorhandenen Bebauung, festzustellen ist (vgl. vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 2020, § 34 Rn. 36)
41
In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. August 2003 (Az. …*) ausgeführt, dass der Grenzverlauf der näheren Umgebung nicht davon abhängig sei, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennung (Straße, Schienenstrang, Gewässerverlauf, Geländekante, usw.) entkoppelt sei. Eine solche Linie habe bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion, es führe aber ihr Fehlen auch nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen seien und insgesamt die nähere Umgebung ausmachten. Die Grenze der maßgeblichen näheren Umgebung könne auch so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen sei, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedener Bau- und Nutzungsstruktur aneinanderstießen.
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Vorliegend ist unter Heranziehung des Akteninhaltes, insbesondere der Lagepläne, sowie unter Berücksichtigung der beim Augenschein gewonnenen Erkenntnisse davon auszugehen, dass sowohl das streitgegenständliche Grundstück, als auch das klägerische Grundstück in einem einheitlichen faktischen Baugebiet liegen. Dieses wird im Süden durch die …, im Westen durch die …, im Osten durch den … und im Norden durch die ehemalige Gleistrasse begrenzt. Geht man im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Abgrenzung der näheren Umgebung zunächst vom streitgegenständlichen Grundstück aus, so vermag sich dieses aufgrund der dort befindlichen und auch der künftig beantragten, nicht wesentlich störenden gewerblichen Nutzung wohl nicht über den gesamten Bereich des maßgeblichen faktischen Baugebiets auszuwirken; der Wirkungsbereich auf die nähere Umgebung dürfte sich als wesentlich enger darstellen. Allerdings gilt es insoweit zu berücksichtigen, dass sich im maßgeblichen Gebiet Betriebe mit einem erheblichen Störpotential (6 IE-Anlagen sowie eine Bautischlerei und Schreinerei mit Sägewerk) befinden und dass schon vor diesem Hintergrund der Bereich der näheren Umgebung einen größeren Umfang aufweisen muss. Sowohl die baulichen Anlagen der Klägerin, als auch die der Federal Mogul treten optisch stark in Erscheinung, es handelt sich um massive industrielle Bebauung. Die vorhandenen industriellen Betriebe weisen somit schon aufgrund ihrer baulichen Dominanz, die von weitem erkennbar und sichtbar ist, eine prägende Wirkung auf, die sich über das gesamte maßgebliche Gebiet erstreckt und auch auf das streitgegenständliche Grundstück auswirkt. Der bodenrechtliche Charakter des streitgegenständlichen Grundstücks wird durch die industriellen Nutzungen im Umgriff mitgeprägt.
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Die Grenzziehung durch …, … und … war bereits in den vorausgegangenen Verfahren mit den Aktenzeichen AN 9 K 16.00991 und AN 9 K 17.00173 stets zwischen den Parteien unstreitig; sie fällt schon bei Ansicht der Lagepläne ins Auge und wurde durch die beim Augenschein gewonnenen Erkenntnisse bestätigt. Sowohl die … als auch der … weisen schon aufgrund ihrer Frequentierung und des mehrspurigen Ausbaus eine trennende Wirkung auf, eine solche ist auch der … zuzugestehen, an die sich im Westen eine völlig anders geartete Bebauungsstruktur anschließt.
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Als nördliche Begrenzung der maßgeblichen näheren Umgebung ist nach Einschätzung des Gerichtes unter Berücksichtigung der Lagepläne und der beim Augenschein gewonnenen Erkenntnisse die ehemalige … heranzuziehen. Diese stellt sich als optisch wahrnehmbare Zäsur dar, die die nähere Umgebung abzugrenzen vermag.
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Der Entscheidung des BVerwG vom 28. August 2003 (Az. 4 B 74.03) ist gerade kein dahingehender Automatismus zu entnehmen, dass der Grenzverlauf der näheren Umgebung nicht an künstlichen oder natürlichen Trennlinien festgemacht werden kann. Es ist vielmehr im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse vor Ort festzustellen, ob sich entsprechende Linien finden lassen, ob diese im Falle ihres Vorhandenseins eine trennende Funktion haben oder nicht bzw., ob im Falle ihres Fehlens von einer Verzahnung der benachbarten Bebauungen auszugehen ist oder nicht.
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Die ehemalige … erweist sich als geeignete Trennlinie zur Begrenzung der näheren Umgebung. Sie ist in den Lageplänen in ihrem Verlauf deutlich erkennbar (zur Einbeziehung von Lageplänen vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 - 4 B 38.13 - juris Rn. 13). Auch im Rahmen des Augenscheins konnte sie als optische Zäsur klar wahrgenommen werden (zur Einordnung als optische Zäsur siehe bereits BayVGH, U.v. 9.9.2020 - 9 BV 17.2417 - juris Rn. 18). So sind Teile der Schienen nach wie vor vorhanden. Weiterhin nehmen die Gebäude entlang der ehemaligen … deren Rundung in ihren Verlauf auf und perpetuieren diese somit in die Dreidimensionalität.
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Mit Ausnahme der Zufahrt auf das Grundstück Fl.Nr. …, Gemarkung …, gehen von der ehemaligen … keine Zugangsmöglichkeiten zu den nördlich und südlich anliegenden Grundstücken ab. Der Charakter eines abgeschlossenen Elementes bleibt somit erhalten und bestärkt die trennende Funktion.
48
Unterstützt wird dieser Eindruck auch durch die Nutzung, wie sie auch während des Augenscheintermins beobachtet werden konnte, als Zufahrt zu einem der klägerischen Grundstücke; ebendiese Nutzung ist nach dem vorgelegten Grundbuchauszug, dessen Gültigkeit durch die Beklagte nicht bestritten wurde, mittels eines Geh- und Fahrtrechts zugunsten der Klägerin am Grundstück der Beklagten abgesichert.
49
Auch ist nördlich und südlich der ehemaligen … eine unterschiedliche Siedlungsstruktur erkennbar. Störende Industriebetriebe sind nördlich der … nach den beim Augenschein gewonnenen Erkenntnissen nicht vorhanden, während sie südlich davon einen großen Umfang aufweisen. So führt auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 9. September 2020 - 9 BV 17.2417- juris aus, dass sich die Bebauung und Nutzung nördlich im Anschluss an die ehemalige … ohne industrielle Ausprägung bis hin zu einem Riegel Wohnbebauung südlich der … abstufe.
50
Eine Abgrenzung der näheren Umgebung, wie von der Beklagten vorgeschlagen, direkt an der Grenze zwischen klägerischem und Beigeladenengrundstück erscheint hingegen willkürlich. Dies gilt schon im Hinblick darauf, dass sich die ansässigen Industrieunternehmen in einem weiter anzusetzenden Bereich auswirken können und schon daher wohl eine Grenzziehung direkt an der Grundstücksgrenze ausscheidet. Das Baugrundstück wird jedenfalls durch die Industrienutzungen mitgeprägt, weshalb es auch mit diesen zu einer einheitlichen näheren Umgebung gehört (vgl. hierzu auch VG Ansbach, U.v. 16.2.2012 - AN 3 K 11.00947).
51
Es liegen insbesondere unter Auswertung der Lagepläne und Berücksichtigung der beim Augenschein gewonnenen Erkenntnisse auch keine einheitlich geprägten Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedener Bau- und Nutzungsstruktur vor. Die von der Beklagten angeführten Nutzungen, die nach deren Auffassung ein eigenes Gewerbegebiet bilden sollen, stellen keinen im Vergleich zur Struktur des von Klägerin und Beklagter eindeutig als Industriegebiet angesehenen grundsätzlich verschiedenen Bereich dar. Im gesamten faktischen Baugebiet finden sich neben den massiven industriellen Nutzungen, die insbesondere durch die Klägerin und die … ausgeübt werden, auch andere Nutzungen, wie etwa nicht störende Gewerbebetriebe. Diese Durchmischung betrifft gerade nicht nur den nordwestlichen Teil, sondern auch Teile der östlichen Seite der …, den südlichen Teil des Baugebietes, wo sich ein Reifenhändler mit Werkstatt sowie ein Imbisslokal finden, und Teile der östlichen Seite der … Ein Aneinanderstoßen verschiedener Bereiche, die jeweils für sich einheitliche Strukturen aufweisen, wie es dem Beschluss des OVG Münster vom 4. Juni 2003 (Az. 7 A 3557/02) zu entnehmen ist, der der Entscheidung des BVerwG vom 28. August 2003 (Az. 4 B 74.03) vorausging, ist damit gerade nicht gegeben.
52
Als maßgebliche nähere Umgebung ist somit der im Westen durch die …, im Süden durch die …, im Osten durch den … und im Norden durch die ehemalige … begrenzte Umgriff anzusehen.
53
Dies entspricht auch der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 9. September 2020 (Az: 9 BV 17.2417).
54
Die maßgebliche nähere Umgebung ist als ein faktisches Industriegebiet gem. § 34 BauGB i.V.m. § 9 BauNVO einzustufen. Die vorhandenen industriellen Nutzungen prägen das Gebiet in erheblichem Ausmaß. So finden sich dort sechs Anlagen nach Art. 10 i.V.m. Anhang I der RL 2010/75/EU (Industrieemissions-Richtlinie), die als besonders störungsintensiv einzuordnen sind. Dem Lageplan ist zu entnehmen, dass diese Betriebe große Bereiche des maßgeblichen Gebietes einnehmen. Auch der Augenschein bestätigt eine massive Prägung des Gebiets durch die industriellen Nutzungen. Die industrielle Bauweise fällt sofort ins Auge und geht einher mit entsprechender Ausstattung durch große Lüftungs- und Kühlungsanlagen. Hinzu kommt eine Schreinerei mit einem Sägewerk; dieser ist ebenfalls ein hohes Störpotential zuzugestehen. Bei den weiteren im maßgeblichen Umgriff anzutreffenden gewerblichen Betrieben handelt es sich vornehmlich um nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe.
55
Dies führt das Gericht zur Annahme eines Industriegebietes. In einem Industriegebiet gem. § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO sind Gewerbebetriebe aller Art zulässig. Einschränkungen ergeben sich im Hinblick auf den im Industriegebiet zulässigen Störgrad. Gem. § 9 Abs. 1 BauNVO sind im Industriegebiet vorwiegend solche Betriebe unterzubringen, die in anderen Baugebieten unzulässig sind. Der Störgrad überschreitet daher den in anderen Gebieten zulässigen Grad „nicht erheblich belästigend“ und kann somit für das Industriegebiet als „erheblich belästigend“ eingeordnet werden. Diese erheblich belästigenden Betriebe stellen die Hauptnutzung im Industriegebiet dar. Jedoch können im Industriegebiet grundsätzlich auch nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe zugelassen werden, sofern diese das Gebiet nicht vorwiegend oder überwiegend prägen. Somit können im Industriegebiet auch solche Gewerbebetriebe zulässig sein, die z.B., weil sie nicht erheblich belästigend sind, auch im Gewerbegebiet zulässig sind (vgl. zum Ganzen Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger,BauGB, Stand 2020, § 9 BauNVO Rn. 8a m.w.N.; BayVGH U.v. 9.9.2020 - 9 BV 17.2417 - juris).
56
Vorliegend ist angesichts der (auch flächenmäßigen) Dominanz und weitreichenden Sichtbarkeit der vorhandenen industriellen Nutzungen, die erheblich belästigend sind, eine überwiegende Prägung durch diese Nutzungen gegeben. Die nicht störenden gewerblichen Nutzungen erreichen im Vergleich dazu kein derartiges Gewicht, dass sie das Gebiet überwiegend prägen können. Eine vergleichbare Situierung der Nutzungen könnte sich auch in einem Plangebiet ergeben, wenn der Plangeber, insbesondere auch um dem Gebot der Konfliktbewältigung Rechnung zu tragen, am Rand des Industriegebietes die weniger störenden Nutzungen unterbringt, um so das Störpotential für die sich anschließenden Gebiete zu verringern.
57
Auch die vormals auf dem streitgegenständlichen Grundstück ausgeübte Nutzung führt zu keinem anderen Ergebnis; die Nutzung als Asylbewerberunterkunft war von vornherein befristet auf drei Jahre genehmigt und vermag schon dadurch keinerlei prägende Wirkung zu entfalten. Die mit Bescheid vom 11. Mai 2016 erteilte Baugenehmigung für die „Umnutzung des Bürogebäudes in Asylsuchendenunterkunft“ ist spätestens mit Wirkung zum 17. März 2020 erloschen. Zudem wurde eine mit Bescheid vom 11. Januar 2017 erteilte Baugenehmigung für die „Nutzungsänderung von Lager zur Unterkunft für Asylbewerber und zur Aufstockung zur Büronutzung“ aufgehoben (VG Ansbach, U.v. 23.10.2018 - AN 9 K 17.00173). Auch bei der derzeit ausgeübten Nutzung als Transportunternehmen handelt es sich um einen nicht störenden Gewerbebetrieb. Obige Ausführungen gelten somit auch diesbezüglich.
58
Hinsichtlich der im Rahmen des Augenscheins festgestellten Wohnnutzungen sind Verfahren bezüglich eines Anspruchs auf Erlass einer Nutzungsuntersagung anhängig. Von einem abschließenden Zustand der Duldung durch die Beklagte kann somit nicht ausgegangen werden, weshalb diese Nutzungen den Gebietscharakter gegenwärtig nicht mitprägen (vgl. hierzu Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 2020, § 34 Rn. 35).
59
Vor diesem Hintergrund verbleibt es bei der Einordnung als faktisches Industriegebiet.
60
Das streitgegenständliche Vorhaben ist von der Art der genehmigten Nutzung in diesem Gebiet unzulässig.
61
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt zur Zulässigkeit von Vorhaben in einem faktischen Industriegebiet mit Urteil vom 9. September 2020 (Az. 9 BV 17.2417) zunächst aus:
„Industriegebiete dienen ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben, und zwar vorwiegend solcher Betriebe, die in anderen Baugebieten unzulässig sind (§ 9 Abs. 1 BauNVO). Zulässig sind Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) sowie Tankstellen (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO).
Nach seinem Hauptzweck ist dem Industriegebiet die Unterbringung erheblich störender Gewerbebetriebe vorbehalten (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2010 - 4 C 10.09 - juris Rn. 20). Industriegebiete liegen typischerweise getrennt von Wohngebieten und sollen allenfalls den durch die Gewerbebetriebe ausgelösten Besucherverkehr bewältigen; für Erholung und Vergnügen sind sie nicht bestimmt (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 - 4 C 23.98 - juris Rn. 12). Demgegenüber ist es die Zweckbestimmung von Gewerbegebieten, solchen Betrieben einen Standort zu bieten, die im Hinblick auf ihre spezifischen Standortanforderungen und ihre Auswirkungen zu Unzuträglichkeiten in Gebieten führen würden, in denen auch oder sogar vorwiegend gewohnt werden soll (BVerwG, U.v. 25.11.1983 - 4 C 21.83 - juris Rn. 11). Industrie- und Gewerbegebiete unterscheiden sich darin, daß die Erheblichkeit der Nachteile und Belästigungen der Maßstab dafür ist, ob der Gewerbebetrieb noch im Gewerbegebiet oder nur im Industriegebiet zulässig ist (BVerwG, U.v. 25.11.1983 a.a.O. Rn. 12).“
62
Das streitgegenständliche Vorhaben stellt sich in seiner Ausgestaltung als Beherbergungsbetrieb als nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb dar, der generell in der Lage ist, sich in ein faktisches Industriegebiet einzufügen.
63
Jedoch richtet sich die Zulässigkeit eines Vorhabens innerhalb eines Baugebietes nicht allein nach der Einordnung des Vorhabens in eine bestimmte Nutzungs- oder Anlagenart, sondern auch nach der Zweckbestimmung des jeweiligen Gebiets (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 2.2.2012 - 4 C 14.10 - juris Rn. 16; U.v. 24.2.2000 - 4 C 23.98 - juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 19.10.2015 - 1 B 15.886 - juris Rn. 23).
64
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt mit Entscheidung vom 19. Oktober 2015 (Az. 1 B 15.886) diesbezüglich aus:
„Die Prüfung der Gebietsverträglichkeit rechtfertigt sich aus dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung, die durch die Zuordnung von Nutzungen zu den einzelnen Baugebieten die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die Bodennutzung zu einem schonenden Ausgleich im Sinn einer sachgerechten Städtebaupolitik bringen will. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die von der Baunutzungsverordnung dem jeweiligen Baugebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den Charakter des Gebiets eingrenzend bestimmt (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.2012 - 4 C 14.10 - BayVBl 2012, 571). Dabei besteht zwischen der Zweckbestimmung des Baugebiets und den jeweils zugeordneten Nutzungsarten ein funktionaler Zusammenhang, der für die Auslegung und Anwendung jeder tatbestandlich normierten Nutzungsart maßgeblich ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2002 - 4 C 1.02 - BVerwGE 116, 155). Von entscheidender Bedeutung für die Frage, welche Vorhaben mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Baugebiets unverträglich sind, sind die Anforderungen des jeweiligen Vorhabens an ein Gebiet, die Auswirkungen des Vorhabens auf ein Gebiet sowie die Erfüllung eines spezifischen Gebietsbedarfs. Entscheidend ist, ob ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, ein bodenrechtlich beachtliches Störpotential zu entfalten, das sich mit der Zweckbestimmung des Baugebiets nicht verträgt (vgl. BVerwG, U.v.2.2.2012 a.a.O.).“
65
Dieses bodenrechtlich beachtliche Störpotential, das sich mit der Zweckbestimmung des Baugebiets nicht verträgt, kann dabei nicht nur im Störgrad, sondern auch in der Störempfindlichkeit eines Vorhabens liegen (vgl. BVerwG U.2. 2.2.2012 - 4 C 14.10 - juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 19.10.2015 - 1 B 15.886 - juris Rn. 26).
66
Es gilt insoweit zunächst zu berücksichtigen, dass das streitgegenständliche Vorhaben keinesfalls auf die Unterbringung in einem Industriegebiet angewiesen ist. Als Beherbergungsbetrieb ist jedenfalls eine grundsätzliche, ausdrücklich in der BauNVO geregelte Zulässigkeit in Gebieten gem. §§ 4a, 5, 6, 6a und 7 BauNVO gegeben, hinzu kommt eine ausnahmsweise Zulässigkeit im allgemeinen Wohngebiet. Der Beherbergungsbetrieb stellt insoweit eine eigene Nutzungskategorie mit eigenem Zulässigkeitsregime dar. Möglich erscheint zudem unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles eine Unterbringung als nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb in einem Gewerbegebiet. Abermals ist darauf hinzuweisen, dass der Hauptzweck des Industriegebietes die Unterbringung von erheblich störenden Gewerbebetrieben ist. Weiterhin weisen Beherbergungsbetriebe, zu deren essentiellen Zwecken es gehört, den Gästen eine Übernachtungsmöglichkeit anzubieten, eine besondere (Stör-)Empfindlichkeit gegenüber den industrietypischen Störungen (Lärm und sonstige Immissionen) auf.
67
Somit ist im Regelfall bei der gebotenen typisierenden Betrachtung davon auszugehen, dass ein Beherbergungsbetrieb der Zweckbestimmung eines Industriegebietes nicht entspricht; dies kann im Einzelfall aber anders zu beurteilen sein, wenn der konkrete Betrieb Besonderheiten aufweist, die ihn vom „üblichen Beherbergungsbetrieb“ unterscheiden (siehe hierzu auch VGH Mannheim, B.v. 30.7.2009 - 5 S 973/09 - juris Rn. 5; VG Hamburg, U.v. 24.6.2020 - 9 K 9673/17 - juris Rn. 54).
68
Zur Bestimmung dieser Besonderheiten kann grundsätzlich auf die Kriterien zurückgegriffen werden, die für die Frage der Zulässigkeit von Beherbergungsbetrieben in einem Gewerbegebiet herangezogen werden. Diesbezüglich werden als relevante Abgrenzungskriterien neben der Dauer des Aufenthaltes der Zweck der Unterkünfte, die Zielgruppe und die Ausstattung der Räume genannt (siehe hierzu BVerwG, U.v. 29.4.1991 - 4 C 43/89 - juris Rn. 20; VG München, U.v. 24.11.2020 - M 1 K 18.279 - juris Rn. 31). Allerdings gilt es im Rahmen der jeweiligen Einzelfallbetrachtung zu berücksichtigen, dass die im Industriegebiet primär ansässigen Betriebe im Vergleich zu den im Gewerbegebiet primär ansässigen Betrieben über einen höheren Störgrad verfügen. Die Störempfindlichkeit des Beherbergungsbetriebs muss daher im Vergleich zur Zulassung im Gewerbebetrieb in größeren Ausmaß vermindert sein, um der Zweckbestimmung des Industriegebietes entsprechen zu können.
69
Das streitgegenständliche Vorhaben weist keine derart verminderte Störempfindlichkeit auf.
70
In der ursprünglichen Betriebsbeschreibung vom 25. November 2019, ergänzt am 3. Februar 2020, war die Aufenthaltsdauer aufgrund der verwendeten Begrifflichkeiten nicht eindeutig bestimmt und deshalb auch ein längerer, wohnartiger Aufenthalt von Gästen möglich, was eine wohnähnliche Nutzung erlaubt hätte. Nach der durch zu Protokoll gegebenen Erklärung des Beigeladenenvertreters in der mündlichen Verhandlung am 9. Juni 2021 wird die Betriebsbeschreibung des streitgegenständlichen Vorhabens dahingehend geändert, dass die maximale Aufenthaltsdauer 2 Monate beträgt. Aber auch bei einer maximalen Aufenthaltsdauer von 2 Monaten ist von einer wohnähnlichen Nutzung auszugehen. Auch die Ausstattung der Räume, die nicht über Küchenzeilen verfügen, und die Tatsache, dass lediglich ein Frühstücksraum mit angeschlossener Teeküche für das Aufwärmen von Getränken und Speisen vorhanden ist, führt zu keiner anderen Einschätzung. So ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch wenn die konkrete Ausgestaltung der Räumlichkeiten für sich nicht den Begriff des Wohnens erfüllt, doch eine wohnähnliche Nutzung gegeben sein kann, die sich insbesondere mit der Dauer der Unterbringung begründen lässt (siehe hierzu BayVGH, U.v. 16.2.2015 - 1 B 13.648 - juris Rn. 26).
71
Ungeachtet dessen neigt das Gericht der Auffassung zu, dass ein nächtliches Ruhebedürfnis auch bei nur wenige Tage andauernden Aufenthalten zu bejahen ist. Aufgrund des im Vergleich zum Gewerbegebiet deutlich höheren Störgrades der im Industriegebiet primär ansässigen Betriebe kann die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Gebietsverträglichkeit eines Beherbergungsbetriebes im Gewerbegebiet gerade nicht ohne weiteres übertragen werden.
72
Die streitgegenständliche Nutzung erweist sich jedenfalls als gebietsunverträglich und der Zweckbestimmung des (faktischen) Industriegebietes zuwiderlaufend, weshalb der Klägerin, da auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme nicht gegeben sind, ein Gebietserhaltungsanspruch zusteht.
73
2.2 Es kommt somit nicht darauf an, ob auch ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliegt. Ein solcher könnte sich daraus ergeben, dass anders als in den bislang mit Bescheid vom 11. Mai 2016 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 7. Juni 2016 und 6. Dezember 2016 und des Ergänzungsbescheids vom 1. August 2017 sowie Bescheid vom 11. Januar 2017 erteilten Baugenehmigungen für die Asylbewerberunterkünfte sich in der nunmehr streitgegenständlichen Genehmigung keine Auflagen zur Einhaltung von Lärmwerten und zur Einhaltung der Erschütterungsimmissionsschutzrichtwerte durch passive Schutzmaßnahmen des Bauherrn finden. Nach Angaben des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung wurde vom Erlass dieser Auflagen abgesehen, da es sich bei der Hotelnutzung nur um einen kurzfristigen Aufenthalt handele. Im Zusammenhang mit der Erklärung des Beigeladenenvertreters, dass die Betriebsbeschreibung dahingehend abgeändert werde, dass die maximale Aufenthaltsdauer 2 Monate betrage, erklärte der Beklagtenvertreter, dass ein Ergänzungsbescheid mit den entsprechenden Auflagen erlassen werde.
74
2.3 Weiterhin kann an dieser Stelle offenbleiben, ob die Baugenehmigung im Hinblick auf die Vorhabensbezeichnung dem Bestimmtheitserfordernis genügt. So wird im Bescheid die Vorhabensbezeichnung mit „Umbau und Nutzungsänderung einer bestehenden Asylunterkunft mit Büroetage in einen Beherbergungsbetrieb“ angegeben. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung ist aber jedenfalls für einen Teil der Asylbewerberunterkunft die Baugenehmigung infolge der Rückgabe durch den Bauherrn bereits erloschen; hinsichtlich der Büroetage ist schon zweifelhaft, ob diese überhaupt genehmigt ist, da die diesbezüglich erteilte Baugenehmigung mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. Oktober 2018 (AN 9 K 17.00173) aufgehoben wurde und im zugehörigen Berufungsverfahren (9 BV 19.171) die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde.
75
3. Nach alledem war die Klage abzuweisen.
76
Die Entscheidung über die Kosten folgt gem. 154 Abs. 1 VwGO. Da der Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, ihn an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
77
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt gem. § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
78
4. Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).