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VG München, Urteil v. 14.04.2021 – M 23 K 19.4483
Titel:

Keine Löschung personenbezogener Daten beim Bayerischen Landeskriminalamt nach Einstellung eines Strafverfahrens

Normenketten:
PAG Art. 54 Abs. 2 S. 2, Art. 62 Abs. 2 S. 1
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO lässt den Tatverdacht nicht entfallen, so dass eine Eintragung im Kriminalaktennachweis (KAN) nach Art. 54 Abs. 2 S. 2 PAG wegen des bestehenden Restverdachts nicht unverzüglich zu löschen ist. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die polizeiliche Prüfkompetenz und -pflicht beschränkt sich bei einer begehrten Löschung von im Rahmen präventiver polizeilicher Aufgaben gespeicherten personenbezogener Daten  auf prognostische Aspekte einer Erforderlichkeit präventiver Gefahrenabwehr. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Löschung personenbezogener Daten (KAN IGVP), Löschung personenbezogener Daten, Kriminalaktennachweis (KAN), Integrationsverfahren Polizei (IGVP), Bayerisches Landeskriminalamt, typisierte Aufbewahrungsfrist, Restverdacht, Verfahrenseinstellung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.12.2022 – 10 ZB 21.1998
Fundstelle:
BeckRS 2021, 17022

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 

Tatbestand

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Der Kläger beantragt die umgehende Löschung über ihn gespeicherter polizeilicher Eintragungen.
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Der von dem Beklagten geführte Kriminalaktennachweis (KAN) enthält den Eintrag:
Im Bereich der Kriminalpolizeiinspektion R … - …2016, … Uhr Körperverletzung (StGB § 223), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (StGB § 113).
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Im Integrationsverfahren Polizei (IGVP) findet sich dieser Eintrag unter der hier einschlägigen Personengruppe „B“ mit dem Aktenzeichen … …
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Dieser Eintragung lag zugrunde, dass es am …2016 zu dem angegebenen (Tat) zeitpunkt anlässlich eines Suizidversuchs der Ehefrau des Klägers auf der B bei R … zu einem Aufeinandertreffen zwischen Kläger und hinzukommenden Polizisten gekommen war, dessen Ablauf zwischen Kläger und den damals beteiligten Polizeibeamten POW B. und PHM H. in Teilen unterschiedlich bzw. abweichend geschildert wurde.
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In Folge des Antrags der Staatsanwaltschaft R … vom 5.10.2016 auf Erlass eines Strafbefehls gegen den Kläger sah das Amtsgericht R … weiteren Klärungsbedarf im Sachverhalt und bestimmte, nachdem die Staatsanwaltschaft R … ihrerseits die Zustimmung zu einer Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 StPO am 20.12.2016 und 12.1.2017 verweigerte, am 13.2.2017 die Hauptverhandlung auf den 1.3.2017. Ausweislich der Niederschrift der Verhandlung des Amtsgerichts R … (Az. 29 Cs 125 Js 23948/16) wurden u.a. drei Zeugen, die beiden vorgenannten Polizeibeamten sowie der Rettungssanitäter E., einvernommen. Der Wortlaut deren Aussagen ist in der Niederschrift nicht enthalten. Als Folge der Hauptverhandlung wurde das Verfahren mit Zustimmung der Verteidigung, des Klägers/ Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.
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Der Kläger erhob hierauf Strafanzeige gegen PHM H. wegen Falschaussage, woraufhin gegen diesen durch die Staatsanwaltschaft R … ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Das Staatsministerium des Innern und für Integration teilte dem Kläger am 5.10.2018 mit, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei.
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Am 23.7.2019 beantragte der Kläger Auskunft und Löschung der gespeicherten personenbezogenen Daten über ihn beim Bayerischen Landeskriminalamt.
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Durch Bescheid vom 8.8.2019 erteilte das Bayerische Landeskriminalamt dem Kläger die beantragte Auskunft über die ihn betreffenden Eintragungen und wies darauf hin, dass entsprechend der gesetzlichen Regelungen die Aussonderung Ende 2026 vorzunehmen sei, sollten keine weiteren polizeilichen Ermittlungen notwendig werden. Der Antrag auf vorzeitige Löschung der Daten wurde abgelehnt.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass eine zeitlich vor der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist liegende Löschung nicht in Betracht käme, da einer Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO immanent sei, dass das Strafgericht die Schuld des Täters festgestellt, wenn auch als gering angesehen habe. Hierdurch sei der polizeiliche Tatverdacht (im Fall des Klägers die direkten polizeilichen Erkenntnisse vor Ort) aber bestätigt worden und habe weiter Bestand. Die Speicherung erfolge zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und sei ein geeignetes Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung, insbesondere zur Vermeidung weiterer Aggressionsdelikte. Es sei nicht davon auszugehen, dass die polizeiliche Speicherung die persönliche Lebensführung des Klägers unverhältnismäßig einschränke. Auf die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen.
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Durch Schreiben vom 29.8.2019, eingegangen am 2.9.2019, erhob der Kläger hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte,
den Bescheid vom 8.8.19 aufzuheben und seine personenbezogenen Daten zu löschen.
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Die Einträge beruhten einzig und allein auf den Bezichtigungen eines einzelnen Polizisten. Bei der Hauptverhandlung am 1.3.2017 am Amtsgericht R … seien diese Anschuldigungen von den anderen geladenen Zeugen nicht bestätigt worden.
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Am 28.11.2019 zeigte der Bevollmächtigte seine Vertretung an und begründete die Klage, auch in weiteren Schriftsätzen, im Wesentlichen damit, dass der Einstellung im Strafverfahren nach § 153 Abs. 2 StPO keine Tatbestandswirkung wie ein Urteil zukomme. Der Kläger habe diese Einstellung notgedrungen hingenommen, zu der es durch die falsche Aussage des PHM H. - was im Einzelnen ausgeführt wurde - gekommen sei. Da dessen Aussage falsch und gegen ihn Strafanzeige gestellt worden sei, sei auch die Datenspeicherung rechtswidrig. Für den Kläger seien die Aussagen des POW B. und des damals beteiligten Sanitäters E. zum Tathergang von Bedeutung, weswegen man beantrage, beim Amtsgericht R … zumindest handschriftliche Aufzeichnungen dieser Aussagen zu erlangen.
Auf die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen.
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Der Beklagte nahm durch Schriftsatz vom 5.11.2019 zur Klage Stellung, beantragte Klageabweisung
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und begründete dies im Wesentlichen unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid damit, dass es lediglich zu einer Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO gekommen sei, wodurch belegt sei, dass der Tatverdacht nicht ausgeräumt habe werden können. Dies rechtfertige die Eintragung, da ein Restverdacht fortbestehe.
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Mit Schriftsatz vom 29.3.2021 nahm der Beklagte ergänzend Stellung und führte im Wesentlichen aus, dass im umfangreich geführten Schriftwechsel auch von Seiten des Beklagten bestätigt worden sei, dass die Tat in einer persönlichen Ausnahmesituation begangen worden sei, was sich in der Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 2 StPO widerspiegele. Man habe den Fall zum Anlass einer erneuten datenschutzrechtlichen Prüfung genommen. Insbesondere da über den Kläger keine weiteren polizeilichen Erkenntnisse existieren/hinzukamen und die Tat in einer persönlichen Ausnahmesituation begangen wurde, habe eine eingehende Einzelfallüberprüfung zu dem Ergebnis geführt, dass in dem konkreten Fall eine Speicherdauer von 5 Jahren als ausreichend erachtet werde, so dass die automatisierte Aussonderungsprüfung der Kriminalakte mit Ablauf dieses Jahres erfolgen werde, sollten keine weiteren polizeilichen Ermittlungen notwendig werden. Die Löschung werde spätestens im 1. Quartal des Folgejahres durchgeführt.
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Von Klageseite wurde hierauf am 31.3.2021 ausgeführt, dass der Vorschlag des LKA inakzeptabel sei und daher abgelehnt werde. Der Kläger sei unschuldig, die Daten seien sofort zu löschen.
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Die gerichtliche Anfrage im Hinblick auf das Vorhandensein weiterer Aufzeichnungen zu dem Inhalt der Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung des Amtsgerichts R … wurde von der Staatsanwaltschaft R … dahingehend beantwortet, dass es keine weiteren Aufzeichnungen über den Inhalt der Zeugenaussagen gebe, lediglich das verkürzte Protokoll.
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Am 14.4.2021 fand die mündliche Verhandlung statt. Der Beklagtenvertreter erklärte, der Beklagte stelle sicher, dass auf Basis des Schreibens vom 29.3.2021 die Bereinigung der Daten/die Löschung zum 31.12.2021 abgeschlossen wird.
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Mit Schriftsatz vom 19.4.2021 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, die Klage bleibe aufrechterhalten, worauf der Tenor dieser Entscheidung der Geschäftsstelle übergeben wurde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die übermittelte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf umgehende Löschung personenbezogener Daten aus KAN und IGVP nicht zu; auch der hierin enthaltene individuelle Anspruch auf ermessensfehlerfreien Gebrauch wurde nunmehr rechtsfehlerfrei erfüllt (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 VwGO).
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Es kann dahinstehen, ob - wofür einiges spricht - die Verpflichtungsklage ursprünglich zumindest im Rahmen eines Anspruchs auf individuelle Abwägung, gleichsam ermessensfehlerfreien Gebrauch, teilweise erfolgreich gewesen wäre. Bei der vorliegenden Verpflichtungsklage kommt es maßgeblich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Zu diesem Zeitpunkt bestand die verbindliche Zusage des Beklagten, die Datenlöschung mit Ende des laufenden Jahres abzuschließen. Da sowohl der Erklärungsinhalt des Schriftsatzes vom 29.3.2021 wie auch die Zusicherung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung eindeutig und unmissverständlich sind, hat sie das Gericht bei der aufrechterhaltenen Verpflichtungsklage zu berücksichtigen. Hierdurch erfuhr auch der Bescheid vom 8.8.2019 seine individuelle Ergänzung und seine letztverbindliche Fassung.
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Nach Art. 62 Abs. 2 Satz 1 PAG sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, wenn (Nr. 1) ihre Erhebung oder weitere Verarbeitung unzulässig war, (Nr. 2) sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen, oder (Nr. 3) bei der zu bestimmten Fristen oder Terminen vorzunehmenden Überprüfung oder aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgabe nicht mehr erforderlich ist. Ferner sind nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG personenbezogene Daten, die im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gewonnen wurden, unverzüglich zu löschen, wenn der der Speicherung zugrundeliegende Verdacht entfallen ist.
Der Tatverdacht ist entfallen, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist, ein Betroffener nicht als Täter in Betracht kommt oder ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Dagegen reicht zur weiteren Speicherung ein weiterhin bestehender Anfangsverdacht im strafprozessualen Sinne aus, es muss sich nicht um einen hinreichenden Tatverdacht i.S.d. § 203 StPO handeln. Eine Einstellung nach §§ 153 ff. StPO lässt den Tatverdacht nicht entfallen. Selbst bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO ist noch jeweils zu prüfen, ob die Einstellung wegen erwiesener Unschuld erfolgt ist, oder ob ein „Restverdacht“ fortbesteht, wenn etwa ein Tatnachweis vor Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geführt werden kann (stRspr, vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 30.1.2020 - 10 C 20.10 - juris Rn. 8 m.w.N.). In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist für die Eintragung im KAN unter Heranziehung der Strafakten festzustellen, dass noch ein Restverdacht besteht, zumal das Verfahren nach § 153a StPO eingestellt wurde, was einen fortbestehenden Tatverdacht voraussetzt (BayVGH, B.v. 10.6.2013 - 10 C 13.62 - juris Rn. 5.; B.v. 2.11.2020 - 10 C 20.2308 - juris Rn. 8).
Die Speicherung von personenbezogenen Daten für präventive Zwecke im KAN, welche die Polizei - wie hier - im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder von Personen gewonnen hat, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben, richtet sich nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 PAG i.V.m. § 484 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2013 - 10 C 11.1967 - juris Rn. 4). Daten, die für Zwecke des Strafverfahrens (§ 483 Abs. 1 StPO) gespeichert worden sind, dürfen nach § 484 Abs. 4 StPO i.V.m. Art. 54 Abs. 2 Satz 1 PAG zu präventiven Zwecken weiter aufbewahrt werden, soweit dies zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist.
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Denn nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG sind - der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur insoweit nahezu inhaltsgleichen Regelung des Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG a.F. folgend - die in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (zu repressiven Zwecken) gewonnenen und für präventive Zwecke genutzten Daten erst dann zu löschen, wenn der dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Tatverdacht (restlos) entfallen ist (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 21.1.2009 - 10 B 07.1382 - juris Rn. 35; B.v. 24.2.2015 - 10 C 14.1180 - juris Rn. 17 m.w.N.). Der für die weitere Aufbewahrung von Polizeiunterlagen erforderliche Tatverdacht im Sinne des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 bzw. Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG a.F. entfällt dabei nicht schon mit der Einstellung der Ermittlungen, sondern erst, wenn der Verdacht einer Straftat oder Tatbeteiligung des Betroffenen restlos ausgeräumt ist. Daher kann die Aufbewahrung der polizeilichen Unterlagen selbst im Falle eines rechtskräftigen Freispruchs zulässig bleiben, wenn ein Restverdacht fortbesteht (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2008 - 10 C 08.2087 - juris Rn. 5 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 16.5.2002 - 1 BvR 2257/01 - juris Rn. 10 ff.), etwa, wenn der Freispruch aus Mangel an Beweisen erfolgt ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2015 - 10 C 14.1180 - juris Rn. 18). Im Falle eines Freispruchs oder bei Verfahrenseinstellung bedarf es daher der Überprüfung, ob noch Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen, die eine Fortdauer der Speicherung der im Verfahren gewonnenen Daten zur polizeilichen Verbrechensbekämpfung rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2015 - 10 C 14.1180 - juris Rn. 19).
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Aus dem Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) folgt aber grundsätzlich ein Anspruch auf Löschung der über ihn gespeicherten Polizeidaten, soweit deren Aufbewahrung und Speicherung nicht auf gesetzlicher Grundlage gerechtfertigt ist, wenn der dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrundeliegende Verdacht (restlos) entfallen ist, wenn ihre Speicherung unzulässig gewesen ist oder ihre Kenntnis für die polizeiliche Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Werden Daten für die polizeiliche Aufgabenerfüllung aller Voraussicht nach nicht mehr benötigt, dann gebietet es nicht nur der Wortlaut des Gesetzes, sondern auch eine durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebotene Gesamtabwägung (vgl. VG München, U.v. 10.12.2014 - M 7 K 12.1563 - juris Rn. 45; U.v. 31.3.2021 - M 23 K 19.6237 - juris Rn. 28 m.w.N.), den mit der Speicherung personenbezogener Daten verbundenen Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung sofort und nicht erst nach Ablauf einer bestimmten Frist zu löschen.
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Gemessen hieran ist festzustellen, dass vorliegend von den vorgenannten Fallgruppen lediglich die letzte in Betracht zu ziehen war/ist, denn weder wurde bei der vorgenommenen strafgerichtlichen Verfahrenseinstellung - wie dargelegt - ein Resttatverdacht gänzlich ausgeräumt noch wäre die Datenerhebung aus einer derartigen letztverbindlichen gerichtlichen Entscheidung von vornherein unzulässig.
Zwar wurde hier die individuelle Überprüfung des Bedürfnisses am Fortbestand der über den Kläger eingetragenen Daten unter Berücksichtigung seiner individuellen Interessen und seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung bzw. eine derartige datenschutzrechtliche Prüfung erst mit dem Schreiben des Landeskriminalamts vom 29.3.2021 vorgenommen. Zuvor war lediglich auf die gesetzlich geregelte typisierte Aufbewahrungsfrist hingewiesen worden. Mit der nunmehr verbindlich vorgenommenen Verkürzung der Aufbewahrung auf etwa die Hälfte der Regelaufbewahrungsfrist hat der Beklagte eine nachvollziehbare abwägende Entscheidung getroffen, die weiterer bzw. eingehenderer gerichtlicher Kontrolle nicht (mehr) zugänglich ist (entspr. § 114 Satz 1 VwGO). Die nunmehr verbindlich zugesagte Löschung der Daten mit Endes des laufenden Jahres ist eine Entscheidung, die sowohl die präventivpolizeiliche Erforderlichkeit als auch die persönlichen Aspekte des Klägers, insbesondere sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, in ein angemessenes Verhältnis bringt und hierbei insbesondere auch die - allseits anerkannte - damalige Ausnahmesituation des Klägers, daneben auch die Tatsache, dass der Kläger keinen Anlass zu anderweitigen Ermittlungen o.ä. gab/ gibt, thematisiert und würdigt. Einen Abwägungsfehler vermag das Gericht nicht festzustellen, insbesondere keine Ermessensdisproportionalität. Das Gericht vermag zwar den mit der Klage verfolgten Ansatz des Klägers individuell nachzuvollziehen, mit einem Obsiegen im vorliegenden Verfahren eine als im Nachhinein bzw. nach wie vor als ungerecht empfundene Verfahrenseinstellung im Strafverfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO korrigieren zu wollen, es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das vorliegende Verfahren bereits vom Ansatz nicht geeignet ist, eine Genugtuung des Klägers - rückwirkend - bewirken zu können. Insbesondere ist weder die Polizei befugt noch die erkennende Kammer verpflichtet, die im Strafverfahren vorgenommene abschließende Entscheidung nochmals auf deren „Richtigkeit“ zu überprüfen, wie es der Klägerbevollmächtigte meint. Die polizeiliche Prüfkompetenz und -pflicht (und damit einhergehend die gerichtliche Überprüfungspflicht) beschränkt sich bei der beanspruchten Löschung in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden auf prognostische Aspekte der Erforderlichkeit präventiver Gefahrenabwehr (vgl. auch: Schmidbauer/ Steiner, Polizeiaufgabengesetz, 5. Auflage 2020, Art. 62 Anm. 13 ff., 32). Erfolgt die Einstellung im Strafverfahren - wie hier - nach § 153 Abs. 2 StPO, verbleibt ein (wenngleich möglicherweise auch sehr geringer und noch unter einem Anfangsverdacht liegender) Resttatverdacht und rechtfertigt dies - anders als bei einer dem Strafgericht erwiesenen Unschuld - die präventivpolizeiliche Datenspeicherung, ohne dass hieraus ein auch nachträglicher (General-)tatverdacht der Polizei ihrerseits verbunden wäre. Die Datenspeicherung ist somit im Rahmen der präventiven polizeilichen Aufgaben weiterhin gerechtfertigt, sodass auch eine der Verhältnismäßigkeit geschuldete Gesamtabwägung die umgehende Löschung nicht zwingend erforderlich macht.
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Der dem Kläger zustehende Anspruch auf individuelle Prüfung vorzeitiger Löschung wurde demzufolge bereits erfüllt, wie im Übrigen ein unmittelbarer Anspruch auf Löschung - wie an sich beantragt - bereits deswegen nicht in Betracht kam, da weder eine Ermessensreduzierung auf Null im Raum steht noch ein unmittelbarer gesetzlicher Anspruch gemäß Art. 54 Abs. 2 Satz 2, Art. 62 Abs. 4 (i.V.m. Abs. 1 bis 3) PAG besteht (vgl. hierzu auch: Ziff. 38.4 der Vollzugsbekanntmachung zu Art. 38 a.F., jetzt Art. 54; vgl. auch: Schmidbauer/ Steiner, a.a.O., Art. 62 Anm. 13 ff., 32).
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Die Klage war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und mit dem Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO abzuweisen.