Inhalt

VG München, Urteil v. 26.02.2021 – M 9 K 18.4896
Titel:

Duldungsanordnung gegen Mieter

Normenketten:
BayBO Art. 76 S. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 2
BayVwZVG Art. 31, 36
Leitsätze:
1. Da die Anordnung der Duldung einer verfügten Maßnahme ein Minus zu der Maßnahme selbst ist, folgt hieraus, dass die Befugnisnorm für eine Duldungsanordnung diejenige Norm sein muss, die zur Handlung selbst berechtig. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der bloß obligatorisch Berechtigte, der sich gegen eine Duldungsanordnung wendet, kann sich nicht auf die Rechtswidrigkeit der Beseitigung gegenüber dem Eigentümer berufen, da er von diesem seine Rechte lediglich ableitet und deswegen nicht besser stehen kann als der Eigentümer. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das private Interesse in einer durch Dachgauben größeren Wohnung eine Familie gründen zu wollen, ist deutlich weniger gewichtig als das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Duldungsanordnung gegen Mieter, Duldungsanordnung, Minus zur verfügten Maßnahme, obligatorisch Berechtigter, Rückbau von Dachgauben, eingeschränkter Prüfungsmaßstab, Zwangsgeldandrohung, bauaufsichtliche Beseitigungsverfügung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 17010

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger ist Mieter einer Wohnung auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung O. und wendet sich gegen die Anordnung, den gegenüber den Eigentümern angeordneten Rückbau der Dachgauben zu dulden.
2
Das Grundstück liegt im unbeplanten Innenbereich. Früher lag das Grundstück im Geltungsbereich der Ortsgestaltungssatzung der Gemeinde O. vom 11. Oktober 1995. Inzwischen liegt es im Geltungsbereich der Ortsgestaltungssatzung der Gemeinde O. vom 4. Dezember 2018 (OGS vom 4. Dezember 2018), welche am 1. Januar 2019 in Kraft getreten ist. Diese enthält zu Dachaufbauten folgende Regelungen:
3
Mit Bescheid vom 25. April 2012 wurden die Eigentümer unter anderem zum Rückbau der Dachgauben an der Ost-, Süd- und Westseite des Hauses auf das genehmigte Maß verpflichtet, da die planabweichend errichteten Dachaufbauten nicht mit der Ortsgestaltungssatzung der Gemeinde O. vom 11. Oktober 1995 übereinstimmten. Der Bescheid ist bestandskräftig und gerichtlich durch das Bayerische Verwaltungsgericht München und den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bestätigt worden (VG München, U.v. 18.9.2013 - M 9 K 12.2486; BayVGH, B.v. 10.11.2014 - 2 ZB 13.2429 - juris). Wegen der weiteren Einzelheiten zu den Dachgauben und insbesondere deren Maße wird auf das Urteil vom 18. September 2013 und die Gerichtsakte in diesem Verfahren Bezug genommen.
4
Nach Mitteilung der Eigentümer in 2015, dass die Wohnung im Dachgeschoss an Herrn A. B. vermietet sei, wurde mit Bescheid vom 31. März 2017 dieser zur Duldung des Rückbaus verpflichtet. Der hiergegen gerichtet Eilantrag wurde durch die erkennende Kammer mit Beschluss vom 14. August 2017 abgelehnt (VG München, B.v. 14.8.2017 - M 9 S 17.1935). Die Beschwerde wurde mit Beschluss vom 11. Januar 2018 zurückgewiesen (BayVGH, B.v. 11.1.2018 - 2 CS 17.1775). Die dazugehörige Klage wurde am 23. März 2018 zurückgenommen.
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Danach teilten die Eigentümer mit, dass sich im Dachgeschoss, abweichend von der Baugenehmigung, noch eine weitere vermietete Wohnung befinde. Nachdem das Landratsamt den Kläger und Sohn der Eigentümerin als Mieter ermitteln konnte, wurde dieser am 21. Juni 2018 zum beabsichtigten Erlass einer Duldungsanordnung angehört.
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Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 3. September 2018 wurde der Kläger verpflichtet den gegenüber den Eigentümern angeordneten Rückbau der Dachgauben auf der Ost-, Süd- und Westseite auf das genehmigte Maß zu dulden (Ziffer 1). In Ziffer 2 wurde die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 angeordnet und in Ziffer 3 wurde für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1 ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 € angedroht.
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Am 2. Oktober 2018 hat der Kläger Klage erhoben. Er beantragt,
den Bescheid vom 3. September 2018 aufzuheben.
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Die Duldungsanordnung stelle einen Eingriff in die Rechte des zivilrechtlich Berechtigten dar. Die Duldungsanordnung könne deswegen nur ergehen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 BayBO vorliegen und das eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden sei. Die Dachaufbauten könnten durch eine Baugenehmigung nachträglich legalisiert werden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 1 BayBO seien deswegen nicht gegeben. Überall im Gemeindegebiet seien Dachgauben entstanden, obwohl diese gemäß der Ortsgestaltungssatzung vom 11. Oktober 1995 nicht gestattet seien. Die Beseitigungsanordnung und die Duldungsanordnung seien auch unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft. Der Kläger und seine Lebensgefährtin müssten während des Umbaus aus der Wohnung ausziehen. Beide hätten in der Wohnung aufgrund von Corona ihr Homeoffice. Nach dem Rückbau sei die Wohnung schlechter nutzbar. Der Wohnraum würde sich verkleinern. Die vom Kläger geplante Familiengründung müsste nach einem Rückbau der Dachgauben zurückgestellt werden. Ohne die Dachgauben sei die Wohnung mit einem Kind ungünstig zu bewohnen. Für die bereits seit 2011 existierenden Dachgauben liege kein öffentliches Interesse am Rückbau vor. Die Behörde zerstöre mit der Duldungsanordnung die Keimzelle des Lebens des Klägers.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Durch die gerichtlichen Entscheidungen über die Beseitigungsanordnung (M 9 K 12.2486 und 2 ZB 13.2429) sei über die materielle Baurechtswidrigkeit abschließend entschieden worden. Eine Überprüfung der Beseitigungsanordnung sei nicht mehr angezeigt. Die gleichen Bezugsfälle seien schon in den damaligen Verfahren vorgetragen worden. Eine nur noch eingeschränkte Nutzbarkeit der Wohnung könne den rechtswidrigen Zustand nicht rechtfertigen. Die vorhandenen Gauben seien auch nach der neuen OGS vom 4. Dezember 2018 unzulässig.
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Nach den von der Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 18. Januar 2021 vorgelegten Grundrissen (Bl. 48. d. Gerichtsakte) ist das Dachgeschoss in eine östliche und eine westliche Wohnung aufgeteilt worden. Der Kläger soll die östliche Wohnung gemietet haben.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und insbesondere auf die Sitzungsniederschrift zur mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Anfechtungsklage hat keinen Erfolg, da sie unbegründet ist.
14
Der Bescheid vom 3. September 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Duldungsanordnung in Ziffer 1 des Bescheides vom 3. September 2018 ist rechtmäßig.
16
Rechtsgrundlage für die Duldungsanordnung ist Art. 76 Satz 1 BayBO. Mit der Duldungsanordnung wird ein Dritter verpflichtet, die seine Rechte berührende Vollziehung der Ausgangsverfügung zu dulden. Da die Anordnung der Duldung einer nach Art. 76 BayBO verfügten Maßnahme ein Minus zu der Maßnahme selbst ist, folgt hieraus, dass die Befugnisnorm für eine Duldungsanordnung diejenige Norm sein muss, die zur Handlung selbst berechtigt (vgl. Decker in: Busse/Kraus, 140. EL Februar 2021, BayBO Art. 76 Rn. 412 m.w.N.). Für den Rückbau der Dachgauben ist dies Art. 76 Satz 1 BayBO.
17
Die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Duldungsanordnung gegen den Kläger und Mieter setzt lediglich voraus, dass die Beseitigungsanordnung, deren Vollzug sie ermöglichen soll, wirksam ist und wegen fehlenden Einverständnisses des Klägers nicht durchgesetzt werden kann. Der bloß obligatorisch Berechtigte kann sich nicht auf die Rechtswidrigkeit der Beseitigung gegenüber dem Eigentümer berufen, da er von diesem seine Rechte lediglich ableitet und deswegen nicht besser stehen kann als der Eigentümer (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2012 - 1 CS 12.282 - juris Rn. 13 ff.; BayVGH, B.v. 11.1.2018 - 2 CS 17.1775 - Rn. 2 n.V.; VG München, B.v. 14.8.17 - M 9 S 17.1935 - n.V.). Seine zivilrechtlich abgeleiteten Rechte sind bereits durch die bestandskräftige Beseitigungsanordnung belastet. Soweit der Kläger die unzutreffende Bejahung der Voraussetzungen für eine Beseitigung nach Art. 76 Satz 1 BayBO rügt, kann dies deswegen der Klage gegen die Duldungsanordnung nicht zum Erfolg verhelfen. Der klägerische Vortrag zur Unwirksamkeit der Ortsgestaltungssatzung vom 11. Oktober 1995 der Gemeinde O. und dem Vorliegen von Bezugsfällen ist aus diesem Grundunbeachtlich. An der Wirksamkeit der Beseitigungsanordnung 25. April 2012 bestehen keine Bedenken.
18
Dieser eingeschränkte Prüfungsmaßstab bei der Duldungsanordnung gegenüber obligatorisch Berechtigten dürfte grundsätzlich im Falle nachträglicher Änderung zugunsten des zum Rückbau Verpflichteten ebenfalls zur Anwendung kommen. Dies kann vorliegend aber sogar offenbleiben, da die streitgegenständlichen Dachgauben auch nach der am 1. Januar 2019 in Kraft getretenen OGS vom 4. Dezember 2018 nicht genehmigungsfähig sind. Die Schleppgauben nach Osten und Westen überschreiten jeweils die nach Nr. 7.4.1 Satz 3 Spiegelstrich 5 der OGS vom 4. Dezember 2018 zulässige Breite von 1/5 der Gebäudelänge. Nach Osten und Westen hat das Gebäude jeweils eine Länge von ca. 14,60 m. Maximal zulässig sind deswegen Dachaufbauten mit einer Summe der Breite von ca. 2,12 m. Die zwei Schleppgauben pro Gebäudeseite haben in Summe jeweils eine Breite von 5 m (2 x 2,50 m). Nach Nr. 7.4.1. Satz 3 Spiegelstrich 6 der OGS vom 4. Dezember 2018 ist ein Zwerchgiebel auf maximal 3,50 m beschränkt. Der Balkon mit Zwerchgiebel auf der Südseite ist 5,30 m breit. Für keine der streitgegenständlichen Dachaufbauten sind Anhaltspunkte für einen Anspruch auf eine satzungsimmanente Ausnahme oder eine Abweichung von der Ortsgestaltungssatzung ersichtlich.
19
Der Kläger hat weder sein ausdrückliches Einverständnis mit der Vollziehung der bauaufsichtlichen Beseitigungsverfügung erklärt, noch fehlt ihm offensichtlich eine Berechtigung sie zu verhindern; nur in diesen Fällen wäre die Duldungsanordnung überflüssig und daher rechtswidrig (vgl. OVG RhPf, B.v. 8.12.2003 - 8 B 11827/03 - juris; VG München, U.v. 25.7.2011 - M 8 K 11.160 - BeckRS 2011, 31335, beck-online). Dies gilt auch soweit die Beseitigungsanordnung die westliche Seite betrifft, da außer den selbstgefertigten Grundrissen (Bl. 48 d. Gerichtsakte) keine Erkenntnisse über die beiden nicht genehmigten Wohnungen im Dachgeschoss vorliegen. Das Landratsamt musste und durfte deswegen davon ausgehen, dass der Kläger den Rückbau auf allen Seiten verhindern kann. Die Lage der zwei nicht genehmigten Wohnungen wurde dem Landratsamt durch die Eigentümer vor Bescheiderlass nicht mitgeteilt.
20
Die Duldungsanordnung ist ermessensfehlerfrei (§ 114 Satz 2 VwGO) und verhältnismäßig. Die Ausführungen zur „Keimzelle des Lebens“ des Mieters führen nicht zu einem Ermessensfehler, da der Mieter insoweit auf seine zivilrechtlichen Ansprüche gegenüber dem Vermieter und Eigentümer zu verweisen ist (vgl. diesbezüglich BayVGH, B.v. 11.1.2018 - 2 CS 17.1775 - Rn. 4 für den anderen Mieter, der im streitgegenständlichen Dachgeschoss ebenfalls die Keimzelle seines Lebens hatte). Das private Interesse in einer durch die Dachgauben größeren Wohnung eine Familie gründen zu wollen, ist deutlich weniger gewichtig als das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände. Die bisherige lange Verfahrensdauer lässt das öffentliche Interesse nicht entfallen. Das Landratsamt hat mit diversen Anordnungen seit der ursprünglichen Baueinstellung im Jahr 2011 versucht, die rechtswidrigen Zustände zu beenden. Ein schützenswertes Vertrauen in den Bestand der Dachgauben konnte deswegen nicht entstehen.
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2. Rechtsgrundlage für die Zwangsgeldandrohung in Höhe von 1.000 € ist Art. 31, 36 VwZVG. Gründe für eine Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohung sind nicht ersichtlich oder vorgetragen.
22
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.