Titel:
Klage gegen Untersagung der Nutzung eines unbebauten Grundstücks als Stellplatz
Normenkette:
BayBO Art. 76 S. 2
Leitsatz:
Zu der Frage, ob eine gekieste Fläche eine bauliche Anlage darstellt, wenn sie als Abstellplatz für ein Fahrzeug genutzt wird. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nutzungsuntersagung, Grundstück gewerblich nutzbar, LKW über Nacht geparkt, bauliche Anlage, Ermessen, gewerbliche Nutzung, Stellplatz
Fundstelle:
BeckRS 2021, 16941
Tenor
I. Der Bescheid des Landratsamtes Miesbach vom 19. Mai 2020 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen die Untersagung der Nutzung des unbebauten Grundstücks Fl.Nr. 533/4 zum Abstellen eines LKWs.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. 533/4, das unbebaut ist. Ausweislich des Bebauungsplans Nr. 26 „E. Weg Süd“, 3. Änderung, Stand: 22. Mai 2014, liegt das Grundstück in einem Mischgebiet und enthält ein Baufenster für eine gemäß 10.3 der textlichen Festsetzungen geschlossene zeilenartige Bebauung aus Lärmschutzgründen. Im nördlichen Teil des Grundstücks sind Stellplätze vorgesehen. Die vorgesehene Bebauung hat den Zweck, die südlich angrenzende Wohnbebauung vor dem Lärm der nördlich verlaufenden Autobahn zu schützen.
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Ausweislich der Akten gab es Beschwerden wegen eines dort abgestellten LKWs, der täglich gegen 5.30 Uhr für etwa 10 Minuten warmlaufe (1/2019); auf dem Grundstück hätten bis zu 6 LKWs gestanden.
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Mit Schreiben des Landratsamtes Miesbach (Landratsamt) vom 15. März 2019 wurde die Klägerin zum Unterlassen aufgefordert. Drei Baukontrollen wurden durchgeführt. Am 29. September 2019 stand auf dem Grundstück 1 LKW, in der übrigen Zeit war das Grundstück leer (Bl. 46 d. Behördenakte - BA).
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Die Klägerin nahm am 14. Oktober 2019 Stellung. Es handele sich nicht um die Nutzung als Stellplatz für LKWs, sondern ihr Ehemann parke seinen eigenen LKW auf dem eigenen Grundstück, das ausweislich des Bebauungsplans gewerblich genutzt werden dürfe.
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In den Akten befindet sich ein Schriftwechsel zwischen dem Landratsamt und dem Bevollmächtigten der Klägerin über die Nutzung als Stellplatz und den Bebauungsplan, der dort keinen Stellplatz vorsehe.
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Mit Bescheid vom 19. Mai 2020 untersagte das Landratsamt der Klägerin die Nutzung als Stellplatz, gestützt auf Art. 76 Satz 2 BayBO. Das Abstellen des LKWs verstoße gegen den Bebauungsplan, Nr. 6 der textlichen Festsetzungen, da Stellplätze nur innerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Flächen vorgesehen seien und der LKW dort nicht stehe. Der Bebauungsplan sehe hier eine Lärmschutzbebauung und keine Nutzung als Stellplatz vor. Aus immissionsschutzfachlicher Sicht wäre bei Nacht der Lärm wegen der Nähe zur Wohnbebauung problematisch, unter anderem wegen den Druckluftbremsen und dem Abkoppeln von Anhängern. Nach der Begründung des Bebauungsplans solle die Gewerbebebauung einen Abschirmriegel für das Allgemeine Wohngebiet und die Wohnungen im Mischgebiet bilden. Der LKW bewirke das Gegenteil. Die Nutzung als Stellplatz sei nicht genehmigungsfähig. Der Bescheid enthält Ausführungen zum pflichtgemäßen Ermessen.
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Mit Schriftsatz vom 22. Juni 2020 erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage und beantragte,
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Aufhebung des Bescheides.
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Zur Begründung wird ausgeführt:
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Die Nutzungsuntersagung verletze das Eigentumsrecht der Klägerin. Der Bebauungsplan enthalte keine Aussagen über Lärmschutz und enthalte kein Baugebot für die auf dem Grundstück vorgesehene Riegelbebauung. Ein Lärmschutzgutachten sei trotz der in der Nähe verlaufenden Autobahn nicht eingeholt worden. Regelmäßig stehe dort nur der LKW des Ehemanns der Klägerin, der in etwa 200 m Entfernung wohne und den LKW auf dem leeren Grundstück über Nacht parke. Das Transportunternehmen des Ehemanns der Klägerin befände sich woanders und wäre im Übrigen als Gewerbe gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO zulässig. Ein LKW sei weder unzumutbar noch rücksichtslos, da dieser nur über Nacht abgestellt werde. Es handele sich nicht um eine bauliche Anlage.
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Der Beklagte beantragte am 27. Oktober 2020:
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Zur Begründung wird ausgeführt:
Die Nutzung sei formell illegal, da erkennbar mehr als 300 m² genutzt würden (Art. 57 Nr. 15 BayBO) und deshalb für Stellplätze eine Genehmigungspflicht bestehe. Es läge keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit im Mischgebiet vor, da nach typisierender Betrachtungsweise erhebliche Zweifel an der Mischgebietsverträglichkeit der gewerblichen Nutzung bestünden und da ohne einen Antrag auf Genehmigung der Störgrad - je nach Betriebsstruktur - nicht geprüft werden könne. Der Bebauungsplan sei unerheblich.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat Erfolg.
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Die Nutzungsuntersagung mit Bescheid vom 19. Mai 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO liegen nicht vor.
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Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Nutzung von Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden, untersagt werden. Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an der Voraussetzung, dass es sich um eine bauliche Anlage handeln muss, die entgegen öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt wird. Nach dem Ergebnis des Augenscheins handelt es sich vorliegend um ein leeres Grundstück, das in Teilen gekiest ist und das ausweislich des Bebauungsplans gewerblich genutzt werden darf. Entgegen der Annahme im Bescheid vom 19. Mai 2020 wurden keine Stellplätze außerhalb der dafür im Bebauungsplan festgesetzten Flächen errichtet, sondern lediglich der LKW des Ehemanns der Eigentümerin über Nacht dort abgestellt. Der Hinweis im Bescheid auf den Bebauungsplan, dass hier eine Lärmschutzbebauung vorgesehen sei und die Gewerbebebauung eine Abschirmwirkung haben solle, geht fehl, da keine bauliche Anlage errichtet wurde und wird. Die Festsetzungen des Bebauungsplans können erst dann Geltung beanspruchen, wenn gebaut wird. Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt, dass dies aktuell nicht der Fall ist. Aktuell ist es deshalb unerheblich, dass der Bebauungsplan eine Lärmschutzbebauung vorsieht. Die Ausführungen zur Lärmbelastung bei Nacht - unter anderem wegen des Geräuschs der Druckluftbremsen und des Abkoppelungsvorgangs des Anhängers - ist nicht weiter schlüssig belegt. Nach dieser Sach- und Rechtslage ist die Annahme, dass keine Genehmigungsfähigkeit vorliegt, auf der Grundlage einer unzutreffenden Subsumtion des Lebenssachverhalts getroffen worden. Es erschließt sich nicht, warum die Nutzung eines gewerblich nutzbaren Grundstücks zum Abstellen eines LKW, der ansonsten auch vor dem Wohnhaus der Eigentümerin auf der Straße abgestellt werden könnte, nicht genehmigungsfähig sein sollte. Der LKW wird in dem hier maßgeblichen Zusammenhang auch nicht betrieblich und damit auch nicht gewerblich geparkt, sondern privat. Die Klägerin hat überzeugend dargelegt, dass alle Mitarbeiter des Betriebs ihres Ehemanns die LKWs mit nach Hause oder über Nacht an die auswärtigen Arbeitsstellen nähmen. Das Abstellen eines Fahrzeugs nach Arbeitsschluss ist ein privater Parkvorgang und keine gewerbliche Nutzung.
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Die Nutzungsuntersagung ist auch ermessensfehlerhaft.
Nach dem Ergebnis des Augenscheins ist das Grundstück nicht befestigt und nicht eingefriedet und kann von jedermann betreten, aber nicht als Parkplatz genutzt werden. Die Steine im Bereich der Straße genügen nicht den Anforderungen an eine Einfriedung als einer fest mit dem Boden verbundenen Anlage, die nach dem Willen des Eigentümers auf Dauer das Betreten des Grundstücks verhindern soll, sondern sind ein durch das Verfahren ausgelöstes Provisorium. Da eine Einfriedung fehlt und auch der Kies nicht den Eindruck einer auf Dauer künstlich mit dem Erdboden verbundenen Anlage vermittelt, geht das Gericht davon aus, dass es hier bereits an einer baulichen Anlage fehlt (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 29 Rn. 12). Aufgrund der Lage in einem festgesetzten Bebauungsplangebiet ist die in Art. 76 Satz 3 BayBO vorgesehene Aufforderung, einen Bauantrag zu stellen, in jedem Fall das mildere und damit das verhältnismäßigeres Mittel zur Überprüfung der Gesamtsituation. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass dort weitere Anhänger stehen, war der Bescheid deshalb aufzuheben.
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Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO stattzugeben.
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Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selber trägt, da sie keinen Antrag gestellt hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V.m. §§ 708 ff. ZPO.