Inhalt

LG München I, Endurteil v. 22.06.2021 – 33 O 6490/21
Titel:

Informationspflichten eines Musiklabel bei Compilation von Neueinspielungen von Schlagern

Normenkette:
UWG § 5a Abs. 2
Leitsatz:
Die Bewerbung und das Inverkehrbringen einer Tonträger-Compilation mit dem Titel „Die Hit Giganten. Die besten Schlager Hits aller Zeiten", ist gem. § 5a UWG unlauter, wenn auf der CD nicht mitgeteilt wird, dass ein Teil der dort enthaltenen Schlager nicht die Original-Aufnahmen sondern Neueinspielungen sind. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Irreführung
Fundstellen:
MittdtPatA 2021, 466
GRUR-RS 2021, 16797
LSK 2021, 16797

Tenor

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I vom 21.05.2021 (Az. 33 O 6490/21) wird bestätigt.
Die Antragsgegnerin trägt die weiteren Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Die Antragstellerin macht im einstweiligen Verfügungsverfahren einen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend.
2
Die Antragstellerin ist eine Tonträgerherstellerin und bezeichnet sich insoweit als sog. „Major“. Als Tonträgerherstellerin vermarktet sie u.a. Tonträger und Musikaufnahmen bekannter nationaler Künstler. In diesem Zusammenhang ist sie Inhaberin exklusiver Verwertungsrechte an Aufnahmen der Schlagertitel „Anita“ von Costa Cordalis, „Er gehört zu mir“ von Marianne Rosenberg und „Ein bisschen Frieden“ von Nicole (eidesstattliche Versicherung, Anlage ASt 1).
3
Bei der Antragsgegnerin handelt es sich ebenfalls um eine Tonträgerherstellerin (Internetauszug, Anlage ASt 2), die nach eigenem Vortrag vornehmlich im Bereich des Schlagers tätig ist.
4
Am 23.04.2021 brachte die Antragsgegnerin eine aus zwei CDs und 40 Musiktiteln bestehende Tonträger-Compilation im Musikgenre „Schlager“ unter ihrem Label Telamo auf den Markt (Internetauszug, Anlage ASt 3). Diese Compilation trägt die Bezeichnung „Die Hit Giganten. Die besten Schlager Hits aller Zeiten“. Das Cover ist auf Vorder- und Rückseite wie folgt gestaltet:
(vgl. CD-Exemplar, Anlage ASt 4).
5
Das streitgegenständliche Produkt wird von der Antragsgegnerin angeboten und ausgeliefert. Es ist im stationären Einzelhandel (vgl. Internetauszug, Anlage ASt 5) sowie in verschiedenen Online-Shops (vgl. Internetauszüge, Anlage ASt 6) für den Endverbraucher käuflich erwerbbar.
6
Die streitgegenständliche CD-Compilation enthält auch Aufnahmen der Titel „Anita“ von Costa Cordalis, „Er gehört zu mir“ von Marianne Rosenberg und „Ein bisschen Frieden“ von Nicole, allerdings in Form einer der Erstveröffentlichung zeitlich nachgelagerten Neuaufnahme (sog. Re-Recording). Die Erstveröffentlichung dieser Werke stammt aus den Jahren 1975 - 1982, die streitgegenständliche Neuaufnahme der Titel „Anita“ und „Ein bisschen Frieden“ stammt aus dem Jahr 2017, diejenige von „Er gehört zu mir“ aus dem Jahr 2004. Auf diesen Umstand weist die Antragsgegnerin weder auf der Vorder- noch auf der Rückseite des CD-Covers hin. Zwar sind einige der Titel auf der Rückseite der CD mit einem Klammerzusatz versehen, der bei dem Lied „Er gehört zu mir“ von Marianne Rosenberg „Radio Version“ lautet. Bei den Liedern „Ein bisschen Frieden“ und „Anita“ findet sich hingegen kein Zusatz.
7
Wegen dieses Sachverhalts ließ die Antragstellerin die Antragsgegnerin mit Anwaltsschreiben vom 30.04.2021 abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern (Abmahnung, Anlage ASt 8). Auf dieses Schreiben reagierte die Antragsgegnerin nicht.
8
Auf Antrag der Antragstellerin vom 12.05.2021 hat die Kammer am 21.05.2021 die auf Blatt 32/37 der Akte befindliche Beschlussverfügung erlassen und mit dieser der Antragsgegnerin bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel in Ziffer I. verboten, geschäftlich handelnd eine Tonträger Compilation unter dem Titel „Die Hit-Giganten: Die besten Schlager Hits aller Zeiten“ anzubieten und in den Verkehr zu bringen, wenn sich auf der Compilation auch Aufnahmen von Schlagern befinden, bei denen es sich nicht um die Originalaufnahmen der Erstveröffentlichung der Darbietungen der betreffenden Künstler, sondern um danach noch einmal neu eingespielte Neuaufnahmen der Schlager handelt und hierauf auf der Vorderseite des Covers der Compilation nicht klar und unmissverständlich hingewiesen wird, wenn dies geschieht wie weiter oben abgebildet.
9
Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Antragsgegnerin.
10
Die Antragsgegnerin bringt vor, es sei bereits nicht klar, was die Antragstellerin unter „Originalaufnahmen“ verstanden wissen wolle, die Gegenstand einer angeblichen Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise seien. Es gebe augenscheinlich so viele verschiedene Versionen der streitgegenständlichen Titel durch die gleichen Originalinterpreten (vgl. Laufzeiten der Aufnahmen bei Apple, Anlage AG 8), dass der Verkehr aufgrund der eigenen Wahrnehmung von Aufnahmen etwa im Radio oder Fernsehen gar nicht mehr wissen könne, ob die Aufnahme, die er erwarte, die Originalaufnahme sei oder schon eine Neuaufnahme. Auch aus der Verwendung des Wortes „Hit“ folge nichts Gegenteiliges. In diesem Zusammenhang erwarte der Verbraucher keine Erstveröffentlichung. Die Antragstellerin unterschlage bei ihrem Vortrag zudem, dass die Antragsgegnerin in einer Pressemitteilung, die auf ihrer Homepage vorgehalten worden sei, in Bezug auf die betreffende CD angekündigt habe, dass sich auf dieser „Originalversionen, Neuinterpretationen und auch Songraritäten“ bestens gemischt abwechseln würden (Pressemitteilung, Anlage AG 5). Die Antragsgegnerin trägt schließlich vor, bei den von der Antragstellerin angeführten Internetangeboten handele es sich nicht um solche der Antragsgegnerin. Soweit die Antragstellerin insoweit ausführe, bei Online-Händlern würde typischerweise nur die Vorderseite einer angebotenen CD abgebildet werden, sei dies zu bestreiten.
11
Die Antragsgegnerin meint, auf Grundlage dieser und weiterer Erwägungen scheide die Annahme einer Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise aus, weshalb der Antragstellerin der geltend gemachte lauterkeitsrechtliche Unterlassungsanspruch nicht zustehe. Schaue sich nämlich der angesprochene Verbraucher das Cover des streitgegenständlichen Tonträgers an, gehe er davon aus, dass die „Hit Giganten“ im Schlagerbereich die auf der Vorderseite der CD genannten Künstler seien. Ferner gewinne der Verbraucher den Eindruck, dass Hits genau dieser Künstler auf den CDs zu finden seien. Dies sei in tatsächlicher Hinsicht auch der Fall. Keineswegs gehe der Verbraucher aber davon aus, dass es sich hierbei um die ursprünglichen Hits handele. Die von der Antragstellerin angeführten Tonaufnahmen von Marianne Rosenberg, Costa Cordalis und Nicole seien weder auf der Vorder- noch auf der Rückseite als Originalaufnahmen bezeichnet. Der Titel „Er gehört zu mir“ sei zudem als „Radio Version“ gekennzeichnet, weshalb der Verbraucher ohnehin nicht davon ausgehen könne, es handele sich insoweit um eine Originalaufnahme. Soweit die Antragstellerin zur Begründung ihrer Rechtsauffassung auf ein Urteil des OLG Hamburg verweise, sei dem entgegenzuhalten, dass der Entscheidung ein mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrundegelegen habe. Weiter sei darauf hinzuweisen, dass das LG Berlin in einem vergleichbaren Verfahren, in dem die Antragstellerin wegen der streitgegenständlichen Compilation gegen einen Abnehmer der Antragsgegnerin vorgegangen sei, zu erkennen gegeben habe, dass ein Unterlassungsanspruch nur dann bestehe, wenn eine erhebliche Abweichung zwischen der Originalaufnahme und den Neuaufnahmen der Antragsgegnerin bestehe (Verfügung des LG Berlin, Anlage AG 10). Diese Voraussetzungen seien aber nach einem initiativ von der Antragsgegnerin eingeholten Sachverständigengutachten nicht gegeben (Sachverständigengutachten, Anlage AG 10). Die Anträge der Antragstellerin seien schließlich zu weit und zu unbestimmt, weil völlig unklar bleibe, was eine „Originalaufnahme“ sei und wie dies überhaupt entschieden werden solle.
12
Die Antragsgegnerin beantragt daher:
Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 12.05.2021, Az: 33 O 6490/21, und Zurückweisung des ihr zugrundeliegenden Antrags auf Erlass.
13
Die Antragstellerin beantragt,
Bestätigung der einstweiligen Verfügung vom 12.05.2021.
14
Die Antragstellerin trägt vor, bei den auf der streitgegenständlichen CD enthaltenen Aufnahmen „Anita“, „Er gehört zu mir“ und „Ein bisschen Frieden“ handele es sich nicht um die Originalversionen, also die Aufnahmen der ursprünglichen Hits, wie diese seinerzeit in den Charts vertreten gewesen seien. Auf diesen Umstand weise die Antragsgegnerin an keiner Stelle hin. Soweit die Titelliste auf der Rückseite der CD verschiedene Klammerzusätze enthalte, sei diese auf verschiedenen OnlineAngeboten entweder überhaupt nicht einsehbar oder nur sehr klein abgebildet (Screenshots, Anlage ASt 7). Die Antragsgegnerin bringt weiter vor, von der streitgegenständlichen Verletzungshandlung habe sie am 23.04.2021 erstmals Kenntnis erlangt (eidesstattliche Versicherungen, Anlagen ASt 1, ASt 1A).
15
Die Antragstellerin meint, Inverkehrbringen und Angebot der CD Compilation ohne klarstellenden Hinweis, dass diese auch sog. Re-Recordings enthalte, verstoße gegen §§ 3, 5, 5a Abs. 1, 2 UWG, weshalb ihr ein entsprechender Unterlassungsanspruch zustehe. Der angesprochene Verkehr dürfe erwarten, dass ihm dieser Umstand mitgeteilt werde. Bei der streitgegenständlichen Compilation gingen die für einen potentiellen Kauf relevanten Verbraucher davon aus, dass es sich bei allen Aufnahmen tatsächlich um die Aufnahmen der ursprünglichen Hits handele, wie diese seinerzeit in den Charts vertreten gewesen seien. Hierfür spreche, bereits der Titel „Die besten Schlager Hits aller Zeiten (…)“. Gekennzeichnet sei ein Hit aber durch eine ganz bestimmte Aufnahme. Auch das OLG Hamburg habe in einem vergleichbaren Fall eine Irreführung angenommen (Urteil des OLG Hamburg, Anlage ASt 10). Die Klammerzusätze auf der Rückseite der CD führten nicht aus dem Vorwurf der Irreführung heraus, da zum einen für die Kaufentscheidung das Frontcover der CD entscheidend sei und zum anderen auch auf der Rückseite kein Hinweis zu finden sei, dass es sich bei den in Frage stehenden Versionen um Re-Recordings handele. Soweit die Antragsgegnerin zur Begründung ihrer Rechtsansicht auf eine Verfügung des LG Berlin verweise, sei diese mittlerweile bereits überholt, weil das Gericht zu erkennen gegeben habe, dass es deutliche Unterschiede zwischen den Originalaufnahmen und den Neuaufnahmen der betreffenden Musikstücke habe erkennen können (Verfügung des LG Berlin, Anlage ASt 12). Ein entsprechendes Ergebnis lasse sich auch dem Gutachten des Musiksachverständigen Dr. entnehmen (Sachverständigengutachten, Anlage ASt 14).
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 22.06.2021 (Bl. 52/55 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17
Die einstweilige Verfügung war zu bestätigen, weil im maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund glaubhaft gemacht sind.
A.
18
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, insbesondere sind die gestellten Anträge hinreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
19
I. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf vor allem ein Verbotsantrag nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Antragsgegner deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem Antragsgegner verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (st. Rspr.; vgl. BGH NJW 2011, 2657 - Doubleoptin-Verfahren).
20
II. Diesen Anforderungen genügt der von der Antragstellerin formulierte Unterlassungsantrag, indem er jeweils die konkrete Verletzungsform umschreibt und zudem auf die konkrete Kennzeichnung bestimmter Produkte der Antragsgegnerin ausdrücklich Bezug nimmt. Eine Unbestimmtheit folgt entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht aus dem Umstand, dass nicht hinreichend deutlich wird, was eine „Originalaufnahme“ ist. Denn die Antragstellerin konkretisiert ihr Begehren dadurch, dass sie auf die Originalaufnahme der Erstveröffentlichung, also eine konkret bestimmbare Liedversion abstellt.
B.
21
Der Antrag ist auch begründet, weil die Antragstellerin Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund glaubhaft gemacht hat (§§ 935, 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO).
22
I. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Verfügungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG zu.
23
1. Die Antragstellerin ist als Mitbewerberin der Antragsgegnerin gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktivlegitimiert. Die Mitbewerbereigenschaft folgt aus dem Umstand, dass beide Parteien Tonträger aus dem Bereich Schlager, also gleichartige Waren innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen suchen. Sie stehen folglich zueinander im Substitutionswettbewerb (vgl. BGH WRP 2014, 1307 - nickelfrei; BGH WRP 2018, 1322 Rn. 17 - Werbeblocker II).
24
2. Das von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellte Anbieten und Inverkehrbringen der streitgegenständlichen Compilation stellt zudem eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Nr. 1 UWG dar.
25
3. Das Angebot sowie Inverkehrbringen der streitgegenständlichen CD in der angegriffenen Produktgestaltung ist unlauter gem. § 5a Abs. 2 S. 1 UWG, weil die angesprochenen Verkehrskreise auf der Produktverpackung nicht in angemessener Weise darauf hingewiesen werden, dass die streitgegenständliche CD auch Neueinspielungen bestimmter Schlagertitel enthält. Auf die Frage, ob die von Antragstellerseite angeführten Vermarktungshandlungen im Einzelhandel oder in bestimmten Online-Shops der Antragsgegnerin zuzurechnen sind, kommt es somit nicht an.
26
Nach § 5 Abs. 1 S. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang, dass durch die jeweils in Streit stehende Werbung, Aufmachung oder Produktgestaltung eine Vorstellung bei den angesprochenen Verkehrskreisen erweckt wird, die mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht in Einklang steht (BGH GRUR 2016, 521 Rn. 10 - Durchgestrichener Preis II; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39.
27
Aufl. 2021, § 5 Rn. 1.56). Eine Irreführung kann nach § 5a Abs. 2 UWG auch darin bestehen, dass im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthalten wird, die der Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Diese Voraussetzungen liegen vor.
28
a. Bei dem Umstand, dass die streitgegenständliche CD auch Neueinspielungen bekannter Schlagertitel enthält, handelt es sich um eine wesentliche Information i.S.d. § 5a Abs. 2 UWG.
29
aa. Eine Information ist nicht allein schon deshalb wesentlich i.S.d § 5a Abs. 2 UWG, weil sie für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers von Bedeutung sein kann, sondern nur dann, wenn ihre Angabe unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen vom Unternehmer erwartet werden kann und ihr für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers zudem ein erhebliches Gewicht zukommt (BGH GRUR 2016, 1076 Rn. 31 - LGA tested; BGH GRUR 2017, 1265 Rn. 19 - Preisportal). Die Frage, ob eine Information für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers von besonderem Gewicht ist, ist nach dem Erwartungs- und Verständnishorizont des Durchschnittsverbrauchers zu beurteilen (BGH GRUR 2017, 1265 Rn. 19 - Preisportal).
30
Dieses Verständnis kann die Kammer selbst feststellen, weil ihre Mitglieder als Durchschnittsverbraucher und zumindest potentielle Nachfrager entsprechender Schlagercompilations zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören (BGH GRUR 2004, 244, 245 - Marktführerschaft).
31
bb. Auf Grundlage der vorstehenden Erwägungen ist die Tatsache, dass sich auf der streitgegenständlichen Compilation auch Neueinspielungen bzw. Re-Recordings bestimmter Schlagertitel befinden, als wesentliche Information anzusehen.
32
Hierfür spricht der Umstand, dass die angesprochenen Verkehrskreise gerade mit Musikstücken, die der Kategorie „Schlager“ unterfallen, gewisse Erwartungen verbinden. Schlagerlieder sind den angesprochenen Verkehrskreisen regelmäßig aus dem Radio oder bestimmten Hitparaden bekannt. In beiden Fällen sind die Verbraucher daran gewöhnt, dass dort jeweils Grundversionen eines Liedes aus der Zeit dargeboten werden, in dem es erstmals gesteigerte Bekanntheit erlangte bzw. die Charts oder Hitparaden stürmte. Diesen Fassungen ist in der Regel gemein, dass sie sich durch ein bestimmtes Liedtempo, ein bestimmtes Stimmniveau sowie ein individuelles Instrumentenarrangement auszeichnen. Auch verbinden die angesprochenen Verbraucher oftmals gerade mit Schlagertiteln ein Nostalgie- oder „Heile Welt“-Gefühl, das insbesondere nur dadurch entstehen kann, dass der betreffende Schlagertitel in einer bestimmten Version die Konstante in einer immer schnelllebigeren Welt ist. Den angesprochenen Verkehrskreisen ist somit wichtig, dass im Falle des käuflichen Erwerbs einer Schlager-Compilation die dort enthaltenen Titel im Wesentlichen denjenigen Fassungen entsprechen, die sie aus dem Radio kennen und die seinerzeit in den Hitparaden Spitzenplätze eingenommen haben. Die angesprochenen Verkehrskreise sind indes gerade nicht an Neueinspielungen gerade vergangener Schlagerhits - auch mangels Verbreitung in Funk- und Fernsehen - gewöhnt und sie bringen solchen gerade nicht eine vergleichbare Wertschätzung entgegen wie den ursprünglichen Fassungen. Somit erwarten die angesprochenen Verkehrskreise gerade, wenn - wie hier - auf einem Cover eines Tonträgers „Die besten Schlager Hits aller Zeiten“ angepriesen werden, jedenfalls keine Neueinspielungen älterer Titel.
33
Ob die Neuaufnahmen in musikalischer Hinsicht erheblich von den (auch von Antragsgegnerseite vielfach so bezeichneten [vgl. insbes. Schutzschrift S. 3, Bl. 23 d.A, Schriftsatz vom 15.06.2021, S. 1, Bl. 45 d.A., Screenshot Pressemitteilung, Anlage AG 5]) Originalaufnahmen oder - fassungen abweichen, ist für die Annahme einer Irreführung somit ohne Belang. Der Auffassung des LG Berlin in seiner Verfügung vom 07.06.2021 (vgl. Anlage AG 10) vermag sich die Kammer daher nicht anzuschließen, weshalb auch das von der Antragsgegnerin vorgelegte Sachverständigengutachten ohne rechtliche Relevanz bleibt.
34
b. Diese wesentliche Information enthält die Antragsgegnerin den angesprochenen Verbrauchern vor.
35
aa. Eine wesentliche Information wird dem Verbraucher vorenthalten, wenn sie zum Geschäfts- und Verantwortungsbereich des Unternehmers gehört oder dieser sie sich mit zumutbarem Aufwand beschaffen kann und der Verbraucher sie nicht oder nicht so erhält, dass er sie bei seiner geschäftlichen Entscheidung berücksichtigen kann (BGH GRUR 2016, 1076 Rn. 27 - LGA tested).
36
bb. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Antragsgegnerin war positiv bekannt, dass sich auf der von ihr herausgegebenen Schlager-Compilation auch Aufnahmen befinden, bei denen es sich um Neuaufnahmen bekannter Hits handelt. Dies folgt bereits auf der mit Anlage AG 5 vorgelegten Pressemitteilung. Allerdings findet sich an keiner Stelle auf der streitgegenständlichen CD, die dem Verkehr jedenfalls im Einzelhandel in der aus Anlage AG 4 ersichtlichen Form entgegentritt, ein Hinweis auf das Vorhandensein von bestimmten Re-Recordings. Ob bereits die Vorderseite der CD einen entsprechenden Hinweis enthalten muss, kann vorliegend dahinstehen, weil sich auch auf der Rückseite, auf der sich die Liste der enthaltenen Titel befindet, nicht in geeigneter Weise auf diesen Umstand hingewiesen wird.
37
Zwar finden sich hinter einigen Titeln Klammerzusätze. Nach den für den Bereich der Blickfangwerbung von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen - die auf den vorliegenden Fall nach Auffassung der Kammer wegen vergleichbarer Interessenlage übertragbar sind - beseitigt ein aufklärender Hinweis eine etwaige Irreführung nach §§ 5, 5a UWG allerdings nur dann, wenn die angesprochenen Verkehrskreise darin in zureichender Weise über den genauen Inhalt des Angebots informiert werden, mithin der Hinweis klar und unmissverständlich ist (BGH GRUR 2015, 698 Rn. 16 - Schlafzimmer komplett; BGH GRUR 2016, 207 Rn. 16 f. - All Net Flat). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Insbesondere aus dem Klammerzusatz „Radio Version“, der sich hinter dem Titel von Marianne Rosenberg „Er gehört zu mir“ befindet, sind für den Verbraucher keinerlei Rückschlüsse dahingehend möglich, dass es sich insoweit um eine Neuaufnahme handeln könnte, die sich von der Ursprungsversion des Songs unterscheiden kann. Nach Auffassung der Kammer wird durch diesen Klammerzusatz die Irreführungsgefahr für das Publikum sogar noch verstärkt, weil die angesprochenen Verbraucher aufgrund der Kennzeichnung des Titels als „Radio Version“ denken könnten, es handele sich um diejenige Fassung, die ihnen aus Radiosendungen bekannt ist, nämlich die Ursprungsversion des infrage stehenden Titels.
38
c. Der Verbraucher benötigt die Information, dass die streitgegenständliche Schlager-Compilation auch Neuaufnahmen bekannter Titel enthält, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen (§ 5a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UWG). Nur wenn er die infrage stehende Information enthält, ist er in der Lage, die individuelle Werthaltigkeit der Titelzusammenstellung zu überprüfen.
39
d. Das Vorenthalten dieser Informationen ist geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Handlung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (§ 5a II 1 Nr. 2 UWG). Ohne die in Rede stehende Information besteht die Möglichkeit, dass der Verbraucher schon aufgrund des Titels „Die Hit Giganten: Die besten Schlager Hits aller Zeiten“ davon ausgeht, auf der CD befänden sich nur die Ursprungsversionen der betreffenden Titel und seinen Kaufentschluss aufgrund dieser Anpreisung fasst.
40
4. Die Wiederholungsgefahr ist durch die erfolgte Verletzungshandlung indiziert. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung hat die Antragsgegnerin nicht abgegeben.
41
5. Der Verbotsantrag ist auch nicht zu weit gefasst, da die Antragstellerin lediglich ein Verbot eines bestimmten Tonträgers in einer konkreten Gestaltung ohne konkret benannten aufklärenden Hinweis auf das Vorhandensein von Neuaufnahmen bestimmter Titel begehrt.
42
II. Das Bestehen eines Verfügungsgrundes wird gem. § 12 Abs. 1 UWG vermutet. Unabhängig davon hat die Antragstellerin unbestritten vorgetragen und glaubhaft gemacht, sie habe von den antragsgegenständlichen Verletzungshandlungen erstmals am 23.04.2021 Kenntnis erlangt. Damit ist mit Einreichung des Antrags am 12.05.2021 bei Gericht die im Bezirk des OLG München geltende strenge Monatsfrist zwischen erstmaliger Kenntniserlangung von dem antragsgegenständlichen Verstoß und der Beantragung einer einstweiligen Verfügung (vgl. OLG München, GRUR-RR 2017, 89, 94 m.w.N.) gewahrt.
C.
43
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 ZPO. D. Einer gesonderten Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht. Es folgt aus der Natur der Sache, dass die einstweiligen Rechtsschutz gewährende Entscheidung sofort vollstreckbar sein muss (Musielak/Voit/Huber, ZPO, 18. Aufl., § 935 Rn. 9).