Titel:
Keine Abschiebungsverbote nach Sierra Leone
Normenkette:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c S. 3
Leitsätze:
1. Eine extreme Gefahrenlage bei der Rückkehr nach Sierra Leone ergibt sich weder aufgrund der Covid-19-Pandemie noch aufgrund der humanitären Verhältnisse. Auch wenn die Lebensumstände dort als äußerst schwierig zu bezeichnen sind, ist davon auszugehen, dass ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann ein Existenzminimum erwirtschaften kann. (Rn. 30 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Insbesondere ist es Rückkehrern zumutbar, Leistungen aus den – überwiegend an die freiwillige Ausreise anknüpfenden – Rückkehrprogrammen in Anspruch zu nehmen, um im Zielstaat drohende Gefahren abzuwenden. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herkunftsland: Sierra, Leone, Inländische Fluchtalternative, Existenzminimumsicherung (bejaht), Abschiebungsverbote (verneint), Drogenmissbrauch, Paranoide Schizophrenie, Fachärztliches Attest (nicht vorliegend), Sierra Leone, extreme Gefahrenlage, Covid-19-Pandemie, Lebensunterhalt, Rückkehrprogramm
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 01.06.2021 – 9 ZB 21.30682
Fundstelle:
BeckRS 2021, 16435
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger, nach eigenen Angaben sierraleonischer Staatsangehöriger vom Volke der Mandingo, stellte am 21. August 2015 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan: Bundesamt).
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Bei seiner Befragung durch das Bundesamt am 21 August 2015 gab der Kläger an, dass er am … … 1996 geboren sei und nicht mehr wisse wann er sein Herkunftsland verlassen habe. Er sei über Italien am 13. Juni 2015 nach Deutschland eingereist.
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Mit Bescheid vom 9. Januar 2016 (Dublin-Bescheid) lehnte das Bundesamt im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin III-VO den Antrag als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Des Weiteren wurde die Abschiebung nach Italien angeordnet. Mit Bescheid vom 16. August 2017 hob das Bundesamt den Dublin-Bescheid vom 9. Januar 2016, wegen Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 und 2 der Dublin-Verordnung und Übergang der Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens auf Deutschland, auf.
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Der Kläger gab bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 13. September 2017 an, dass er sein Heimatland Ende 2012 verlassen habe. Er sei über Guinea, Burkina Faso, Libyen und Italien nach Deutschland eingereist. Den Tag seiner Einreise in Deutschland wisse er nicht. Seine Fluchtroute habe er sich finanziert, indem er etwas Geld durch eine Erwerbstätigkeit angespart hätte. Er habe in Sierra Leone Hafencontainer be- und entladen. Seine damaligen finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse würde er als gut bezeichnen. Seine Eltern seien im Krieg verstorben, weshalb er bei einem Freund seines Vaters aufgewachsen sei. Er habe sechs Jahre lang eine Schule besucht. Befragt zu seinem Verfolgungsschicksal erklärt der Kläger, dass er Sierra Leone habe verlassen müssen, nachdem der Freund seines Vaters, bei welchen er aufgewachsen sei, zurück nach Indien gegangen sei. Es sei niemand mehr da gewesen, der ihm seine Medikamente hätte bezahlen können. Der Freund des Vaters sei Konsument von Kokain gewesen und er habe über mehrere Jahre für diesen immer wieder Rauschgift besorgt. Dabei habe er das Rauschgift auch probiert und sei langsam abhängig geworden. Eines Tages sei er in Sierra Leone im Krankenhaus behandelt worden, nachdem er gestürzt sei. Die Ärzte hätten ihm auch Medizin gegen seine psychischen Probleme gegeben. Wann der Freund seines Vaters das Land verlassen habe, wisse er nicht mehr, er selbst sei aus Sierra Leone aber drei Jahre nach der Ausreise des Freundes ausgereist. Während dieser Zeit habe er im Hafen Container beladen und entladen. Er sei in dieser Zeit jedoch öfters wegen seiner psychischen Erkrankung arbeitsunfähig gewesen und habe dann kein Gehalt bekommen. Wie oft dies geschehen sei, wisse er nicht mehr, die Abstände zwischen seinen depressiven Verstimmungen seien jedoch immer kürzer geworden, weshalb er ausgereist sei. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass er wegen seiner Krankheit getötet werde. Während seiner depressiven Phasen habe er nämlich auch aggressive Schübe. Die Leute seien ihnen gegenüber dann immer ungeduldig und reagierten auch aggressiv. Manchmal habe er auch Suizidgedanken.
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Das Bundesamt lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 9. Oktober 2017 Gesch.-Z.: …, zugestellt am 12. Oktober 2017, ab. Eine Flüchtlingseigenschaft wurde nicht zuerkannt (Nr. 1), der Antrag auf Asylanerkennung wurde abgelehnt (Nr. 2), der subsidiäre Schutzstatus wurde ebenfalls nicht zuerkannt (Nr. 3). Des Weiteren wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Nr. 4). Im Übrigen wurde die Abschiebung angedroht (Nr. 5) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung führt das Bundesamt aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Anerkennung als Asylbereich sowie die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht vorlägen. Ebenso wenig sei das Vorliegen von Abschiebungsverboten festzustellen. Bei dem Kläger handele sich um einen jungen erwerbsfähigen Mann, der in seinem Heimatland bereits mit Arbeiten beim Be- und Entladen von Containern seinen Lebensunterhalt habe finanzieren können. Im Herkunftsland unterstehe er auch keinen Unterhaltsverpflichtungen. Es seien daher zuzumuten, durch die Aufnahme von Hilfstätigkeiten seine Existenz zu sichern. Auch bestehe keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben. Zwar berufe sich der Kläger auf seine psychische Erkrankung. Ihr Vorliegen sei jedoch nicht ausreichend nachgewiesen worden. Aus dem vorgelegten ärztlichen Attest vom 31. August 2017 lasse sich weder nachvollziehbar feststellen, auf welcher Grundlage der Facharzt eine Diagnose gestellt habe, noch wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstelle. Zudem fänden sich im Attest keine Angaben über eine eigene ärztliche Exploration. Das vorgelegte ärztlicher Attest sowie die Aussagen des Betreuers seien daher nicht geeignet, um eine Pflicht zur Sachaufklärung auszulösen. Daher sei nicht ausreichend nachgewiesen, dass eine erhebliche psychische Erkrankung vorliege, die zu einem Abschiebungsverbot führen könne. Im Übrigen wird auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen.
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Der Kläger ließ durch seinen gesetzlichen Betreuer gegen diesen Bescheid am 16. Oktober 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben. Zur Begründung nimmt er zunächst Bezug auf seine bisherigen Angaben und verweist auf seinen gesundheitlichen Zustand sowie die mangelnde medizinische Versorgung im Herkunftsland. Ferner sei ihm entgegen seines Wunsches bei der Anhörung kein Dolmetscher in der Sprache Krio zur Verfügung gestellt worden. Die Angabe auf dem Kontrollbogen sei falsch. Die Übersetzung sei lediglich in Englisch erfolgt, zudem sei die Qualität der Übersetzung sehr schlecht gewesen. Er sei sich daher nicht sicher, ob er alles richtig verstanden habe. Hilfsweise trage er vor, dass er den Punkt 5 und 6 des Bescheides nicht erfüllen könne, da er weder Ausweispapiere besitze noch jemand in Sierra Leone seine dortige Staatsbürgerschaft und Identität bestätigen könne. Eine Einreise nach Sierra Leone sei ihm daher unmöglich.
I. Den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Gesch.-Z. …*) vom 09.10.2017 (zugestellt am 12.10.2017) in den Ziffern 4, 5, 6 und wegen grober Verfahrensfehler während der Anhörung vom 13.09.2017 in allen Punkten aufzuheben.
II. Die Beklagte zu verpflichten, mich als Asylberechtigten anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG zuzuerkennen, hilfsweise, subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylVfG zu gewähren, weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 V und VII 1 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte äußerte sich zum Gerichtsverfahren nicht.
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In der mündlichen Verhandlung vom 8. April 2021 ist von den Beteiligten niemand erschienen.
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Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegten Behördenakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8. April 2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. April 2021 trotz Ausbleibens der Beteiligten entschieden werden. Die Beklagte wurde ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 2. März 2021 ordnungsgemäß geladen. Der Bevollmächtigte des Klägers wurde ebenso ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 2. März 2021 ordnungsgemäß geladen. In den Ladungsschreiben hat das Verwaltungsgericht jeweils darauf hingewiesen, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamts vom 9. Oktober 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG hat. Ebenso wenig liegen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich einer Abschiebung des Klägers nach Sierra Leone vor. Die auf der Ablehnung des Asylantrags als unbegründet beruhende Ausreiseaufforderung mit 30tägiger Ausreisefrist und die Abschiebungsandrohung gemäß §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG und dessen Befristung sind ebenfalls nicht zu beanstanden.
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1. Die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten gemäß Art. 16a GG scheitert bereits an der Einreise des Klägers auf dem Landweg über Italien gemäß Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a Abs. 1 und 2 i.V.m. Anlage I AsylG.
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2. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG Münster, U.v. 28.3.2014 - 13 A 1305/13.A - juris Rn. 21 f. m.w.N.). Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen (§ 3e AsylG), deren Inanspruchnahme zumutbar ist. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
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Subsidiärer Schutz ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die §§ 3c bis 3e AsylG gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
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Die Furcht vor Verfolgung sowie die Gefahr eines ernsthaften Schadens ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32). Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gem. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
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Hinsichtlich einer individuellen Verfolgung oder Bedrohung muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich ein Ausländer insbesondere hinsichtlich individueller Gründe für einen asylrechtlichen Schutzstatus befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung. Dabei sind die Herkunft, der Bildungsstand und das Alter des Asylsuchenden sowie sprachliche Schwierigkeiten zu berücksichtigen. Dem Ausländer obliegt es aber dennoch, gegenüber dem Tatsachengericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Daher ist Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ein geeigneter Vortrag, welcher den Asylanspruch hinsichtlich der in die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallenden Ereignissen - insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen - lückenlos trägt (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 - 9 C 141/83 - juris Rn. 11). Der Ausländer muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen; er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - NVwZ 1990, 171; BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109/84 - NVwZ 1985, 658; BVerwG, U.v. 8.5.1984 - 9 C 141/83 - juris Rn. 11). Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag sowie in Fällen, in welchen der Vortrag nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, kann dem Asylsuchenden in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. VGH Kassel, U.v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris Rn. 15; VGH Mannheim, U.v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris Rn. 35; BVerwG, B.v. 23.5.1996 - 9 B 273/96 - juris Rn. 2; B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - NVwZ 1990, 171; U.v. 8.2.1989 - 9 C 29/87 - juris Rn. 8; U.v. 23.2.1988 - 9 C 273/86 - juris Rn. 11; B.v. 12.9.1986 - 9 B 180/86 - juris Rn. 5; U.v. 16.4.1985 - 9 C 109/84 - NVwZ 1985, 658).
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In Anwendung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff AsylG oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG beim Kläger nicht vor. Insoweit wird vollumfänglich auf den Bescheid gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen. Die klägerseits vorgetragene bloße Vermutung reicht zur Begründung einer formellen Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheides nicht aus. Der Kläger hat weder konkret vorgetragen, dass es ihm unmöglich gewesen sein soll, seine Fluchtgeschichte umfänglich vorzutragen, noch hat der Kläger die Klagebegründungsfrist und die mündliche Verhandlung als Möglichkeit wahrgenommen, etwaige vorgetragene Aussagen vor dem Bundesamt zu revidieren oder zu ergänzen. Das Gericht ist daher überzeugt, dass die Anhörung des Klägers hinreichend ordentlich durchgeführt worden ist.
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3. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen nicht.
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3.1 Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erfasst sind davon nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben‚ wenn diese sich im Heimatstaat wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert. Es ist aber nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Es kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben‚ dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung miteinzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände‚ die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Von einer konkreten Gefahr ist in Krankheitsfällen dann auszugehen, wenn die erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 17.3.2016 - 13a B 16.30007 - juris; BVerwG‚ U.v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712).
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Allerdings hat der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG glaubhaft zu machen. Diese soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlichmedizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Diese Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG an ein ärztliches Attest sind dabei auf die Substantiierung der Voraussetzungen an ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu übertragen (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 24.1.2018 - 10 ZB 18.30105 - juris Rn 7 m.w.N.; B.v. 4.10.2018 - 15 ZB 18.32354 - beckonline; B.v. 26.4.2018 - 9 ZB 18.30178 - juris). Dies ergibt sich seit der Gesetzesänderung mit Wirkung vom 21. August 2019 auch ausdrücklich aus § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.
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Die Überprüfung, ob die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen diesen Anforderungen entsprechen, ist dabei Aufgabe des erkennenden Gerichts. Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist insoweit nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 24.1.2018 - 10 ZB 18.30105 - beckonline).
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Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, wie etwa eine unzureichende Versorgungslage, sind hingegen bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324/328; U.v. 19.11.1996 - 1 C 6/95 - BVerwGE 102, 249/258 f.; U.v. 8.12.1998 - 9 C 4/98 - BVerwGE 108, 77/80 f.; U.v. 12.7.2001 - 1 C 2/01 - BVerwGE 114, 379/382; U.v. 29.6.2010 - 10 C 10/09 - BVerwGE 137, 226/232 f.). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extreme zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die neue Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2006 - 1 B 60/06 (1 C 21/06) - juris).
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3.2 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe droht dem Kläger keine erheblich konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit.
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3.2.1 Die vorgetragene paranoide Schizophrenie begründet keine erheblich konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Klägers. Der Kläger hat eine der Abschiebung entgegenstehende Erkrankung nicht mittels qualifizierter ärztlicher Bescheinigung gemäß § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG glaubhaft gemacht.
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Die Schreiben der … …Klinik vom 18. März 2016, 27. Juli 2016 und 31. August 2017 erfüllen schon offensichtlich nicht die gesetzlichen Anforderungen. Darüber hinaus sind sie veraltet, weshalb ihnen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kein hinreichender Beweiswert mehr zukommt.
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Das ärztliche Gutachten von Dr. med. W* … vom 13. Dezember 2016 ist ebenfalls nicht geeignet eine abschiebungsverbotsrelevante Erkrankung hinreichend glaubhaft zu machen. Das Gutachten ist hierzu bereits wegen unzureichender Facharztqualifikation nicht geeignet, da der Gutachter kein Facharzt für Psychiatrie bzw. Psychotherapie ist (vgl. BayVGH, U.v. 14.11.2019 - 13a B 19.31153 - juris Rn. 53; B.v. 2.12.2013 - 11 ZB 13.30303 - juris Rn. 8). Ferner kommt das Gutachten selbst auf S. 11 zu dem Ergebnis, dass längerfristig die Prognose in Bezug auf die betreuungsrechtlich relevante Erkrankung als unsicher einzuschätzen sei und daher zunächst eine Verfahrenslaufzeit von zwei Jahren vorgeschlagen werde. Damit ist das Gutachten im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung, nämlich weit mehr als vier Jahre nach seiner Erstellung veraltet und nicht in der Lage den körperlichen und geistigen Zustand des Klägers im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung wiederzugeben.
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Auch in der Gesamtschau aller Atteste ist für das Gericht nicht ausreichend erkennbar, dass der Kläger an einer derart schweren Erkrankung leidet, die sich bei Rückkehr nach Sierra Leone alsbald wesentlich bis gar lebensbedrohlich verschlechtern wird. Insbesondere ist hier darauf abzustellen, das sämtliche ärztlichen Bescheinigungen mehrere Jahre alt sind, der Kläger keine neuen ärztlichen Bescheinigungen vorgelegt hat oder sonst zu seinem aktuellen Gesundheitszustand vorgetragen hat.
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3.2.2 Anhaltspunkte für eine extreme Gefahrenlage für den Kläger sind nach den nachfolgenden Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht ersichtlich. Damit liegt die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger alsbald existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wäre, nicht vor.
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3.2.3 Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich ebenfalls nicht aufgrund der Covid-19-Pandemie. Unabhängig von der Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wonach es bei allgemeinen Gefahren einer - vorliegend nicht bestehenden - Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG bedürfte, wäre der Kläger nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet, insbesondere nicht derart, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2015 - 9 ZB 14.30457 - juris Rn. 11; OVG NRW, B.v. 17.12.2014 - 11 A 2468/14.A - juris Rn. 14). Bei dem Großteil der Bevölkerung verläuft eine vom Coronavirus verursachte Erkrankung in der Regel eher mild. Ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben ältere Personen und Personen mit Vorerkrankungen, auch wenn schwere Verläufe auch bei Personen ohne bekannte Vorerkrankung auftreten können und auch bei jüngeren Patienten beobachtet wurden (vgl. Steckbrief des RKI, Stand 18.3.2021, https://www.rki.de/DE/Content/ InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html). Der Kläger gehört zu keiner Risikogruppe. Eine solche Eigenschaft ist auch weder klägerseits vorgetragen noch aus den Umständen ersichtlich. Der Kläger wäre daher bei einer Rückkehr nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet.
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Darüber hinaus wird die Ausländerbehörde etwaige Veränderungen in den humanitären Verhältnissen Sierra Leones vor einer Abschiebung prüfen und ggf. berücksichtigen müssen 32 4. Auch bestehen keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG.
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Eine Unzumutbarkeit der Niederlassung ergibt sich vorliegend auch nicht aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Sierra Leone unmenschlichen Verhältnissen i.S.v. Art. 3 EMRK ausgesetzt würde. Es wird dem Kläger trotz der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Sierra Leone möglich sein, sein Existenzminimum zu sichern. Ein außergewöhnlicher Fall, wonach unter dem allgemeinen Gesichtspunkt schwieriger humanitärer Bedingungen im Herkunftsland von einer Abschiebung entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ abzusehen wäre, liegt nicht vor. Dabei ist § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG auch im Rahmen der Prüfung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzuwenden, wenn sich der Ausländer auf eine Erkrankung beruft, aufgrund derer er im Zielstaat seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern könne (OVG Lüneburg, B.v. 13.3.2020 - 9 LA 46/20 BeckRS 2020, 4520 Rn. 13 ff; Zimmerer in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Edition Stand: 1.7.2020, § 60 AufenthG Rn. 23; vgl. ferner BVerwG, B.v. 22.1.2020 - 1 B 3.20 - juris Rn. 4 unter Hinweis auf OVG SH, B.v. 1.11.2019 - 4 LB 18/17 - n.v. wohl zu § 60 Abs. 5 AufenthG).
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Sierra Leone gehört trotz seines Rohstoffreichtums zu den ärmsten Ländern der Erde. Nach den Jahren des Bürgerkriegs erholt sich das Land wirtschaftlich nur langsam. Sierra Leone ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,2 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 539,1 US-Dollar (FCDO, Foreign, Commonwealth & Development Office, Economic Factsheet, Stand Oktober 2020) eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2019 Rang 181 der 189 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 70%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 1,25 bis 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung; die Arbeitslosenrate im Land ist sehr hoch wobei die Jungendarbeitslosigkeit ein besonderes Problem darstellt (Bertelsmann Stiftung, Bertelsmann Stiftung’s Transformation Index (BTI) 2020 - Sierra Leone Country Report, Gütersloh, Bertelsmann Stiftung, 2020; Westphal in LIPortal, Sierra Leone, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Stand Dezember 2020). Staatliche oder nichtstaatliche finanzielle Fördermöglichkeiten wie Sozial- oder Arbeitslosenhilfe existieren nicht. Erwerbslose, Kranke, Behinderte und ältere Menschen sind ganz besonders auf die Unterstützung der traditionellen Großfamilie angewiesen. Auch nichtstaatliche oder internationale Hilfsorganisationen bieten in der Regel keine konkreten Hilfen zum Lebensunterhalt. Die Wirtschaft wird mit etwa 57,4% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert; der Dienstleistungssektor trägt mit 32,8% und der Industriesektor mit 5,6% zum Bruttoinlandsprodukt bei (FCDO ebd.). Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 4.7.2018). Ungelernten Arbeitslosen gelingt es nur durch Hilfstätigkeiten, Gelegenheitsarbeiten (z.B. im Transportwesen), Kleinhandel (z.B. Verkauf von Obst, Süßigkeiten, Zigaretten) und ähnlichen Tätigkeiten etwas Geld zu verdienen und in bescheidenem Umfang ihren Lebensunterhalt sicher zu stellen (vgl. zu damals noch prekäreren Verhältnissen: OVG NRW, B.v. 6.9.2007 - 11 A 633/05.A - juris Rn 28). Die Lebensumstände in Sierra Leone sind also als äußerst schwierig zu bezeichnen. Man geht aber davon aus, dass sich ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann in Sierra Leone ein Existenzminimum - wenn auch nur durch Gelegenheitsjobs - erwirtschaften kann. (vgl. VG Regensburg, U.v. 11.02.2019 - RN 14 K 17.3514 - juris).
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Die medizinische Versorgung ist in Sierra Leone nach wie vor schwierig und es herrscht ein ausgeprägter Mangel an Fachärzten (vgl. BFA Republik Österreich a.a.O.;
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Informationszentrum Asyl und Migration, Glossar Islamische Länder - Band 17 Sierra Leone, Mai 2010).
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Auch angesichts der aktuellen Covid-19-Pandemie liegen keine Erkenntnisse vor, dass sich die Verhältnisse in Sierra Leone derart verschlechtert haben, dass es dem Kläger unzumutbar wäre, den Lebensunterhalt zu verdienen.
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Die tatsächlichen individuellen Umstände des Klägers werden es ihm daher ermöglichen, trotz dieser humanitären Verhältnisse in Sierra Leone seinen Lebensunterhalt zu sichern. Der Kläger ist jung, erwerbsfähig und mit der Sprache und den Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut. Die vorgebrachte paranoide Schizophrenie ist nicht glaubhaft gemacht - insoweit wird auf obige Ausführungen zu § 60 Abs. 7 AufenthG Bezug genommen. Der Kläger hat sechs Jahre lang eine Schule besucht und von seiner Arbeit als Be- und Entlader von Containern im Schiffshafen gelebt. Er ist niemanden zum Unterhalt verpflichtet. Weder die Betreuung noch die vorgetragenen psychischen Probleme stehen einer Erwerbstätigkeit oder Existenzsicherung entgegen. So hat der Kläger selbst vorgetragen, dass er bereits im Herkunftsland mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte, aber trotzdem einer Erwerbstätigkeit nachgehen konnte, die sein Existenzminium sichert. Es ist daher davon auszugehen und vom Kläger zu erwarten, dass er in der Lage ist, sich durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, mag diese auch nur in Form von Gelegenheitsarbeiten bestehen, ein Existenzminimum aufzubauen und dauerhaft zu sichern. Daran ändert auch der klägerische Vortrag, er habe Sierra Leone auch deshalb verlassen, weil er kein Geld für Medikamente gehabt hätte, nichts. Der Kläger hat nicht mittels qualifizierten oder sonstigen ärztlichen Bescheinigungen glaubhaft gemacht bzw. vorgetragen, dass er im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auf Medikamente angewiesen ist.
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Ferner ist es dem Kläger insbesondere zumutbar, Leistungen aus den - überwiegend an die freiwillige Ausreise anknüpfenden - Rückkehrprogrammen wie dem REAG/GARP-Programm in Anspruch zu nehmen. Der Kläger wurde im behördlichen Asylverfahren auch auf die Rückkehrprogramme hingewiesen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten - wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr - im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 - juris Rn. 27). Derzeit sehen die Rückkehrprogramme für Sierra Leone folgende finanzielle Unterstützungsleistungen: Zahlung von Flug- oder Bustickets, Reisebeihilfen i.H.v. EUR 200,00 pro volljähriger Person und EUR 100,00 pro minderjähriger Person, medizinische Unterstützungen während der Reise sowie im Zielland (maximal EUR 2.000,00 für bis zur drei Monate nach Ankunft) sowie eine einmalige Förderung i.H.v. EUR 1000,00 pro Person bzw. EUR 500,00 pro minderjähriger Person bzw. maximal EUR 3.500,00 pro Familie. Hinzu kommen die Corona-Zusatzzahlung II („2. Starthilfe“) in einem Zeitraum von sechs bis acht Monaten nach der Ausreise i.H.v. EUR 1.500,00 für Einzelpersonen bzw. EUR 3.000,00 für Familien.
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5. Im Übrigen wird auf die Bescheidsbegründung nach § 77 Abs. 2 AsylG, insbesondere hinsichtlich der Ausreisefrist von 30 Tagen und der Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie dem gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG, Bezug genommen. Soweit der Kläger vorträgt nicht im Besitz von Ausweispapieren und Reisedokumenten zu sein, ändert dies grundsätzlich nichts an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheids. Vielmehr hat es der Kläger in der Hand sich entsprechende Papiere bei der Botschaft seines Herkunftslandes zu besorgen.
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Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.