Titel:
Zum Erfordernis einer Berufungsbegründung
Normenketten:
VwGO § 60 Abs. 1, § 124a Abs. 3, Abs. 6, § 125 Abs. 2, § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 117 Abs. 2
Leitsatz:
Nach der Zulassung der Berufung ist zwingend ein gesonderter Schriftsatz zur Berufungsbegründung einzureichen. Es genügt nicht, dass die Anträge und die Begründung der Berufung schon im Antrag auf Zulassung der Berufung enthalten waren. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltsrecht, Verwerfung einer Berufung als unzulässig durch Beschluss, Notwendigkeit einer Berufungsbegründung, Ablehnung von Prozesskostenhilfe wegen Fehlens von vollständigen prüfbaren Unterlagen, Berufungsbegründungsschriftsatz, Berufungsbegrüdungsfrist, Wiedereinsetzung, Prozesskostenhilfe, Bedürftigkeit
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 14.11.2019 – M 27 K 19.2377
Fundstelle:
BeckRS 2021, 16240
Tenor
I. Die Berufung wird verworfen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
VI. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren unter Beiordnung des Bevollmächtigten wird abgelehnt.
Tatbestand
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Die Klägerin, eine türkische Staatsangehörige, wendet sich gegen den Bescheid der Landratsamts Al. vom 12. April 2019, mit dem dieses das Erlöschen ihrer Niederlassungserlaubnis festgestellt und ihr unter Bestimmung einer Ausreisefrist die Abschiebung angedroht hat. Ihre Klage mit dem Antrag, diesen Bescheid aufzuheben und festzustellen, dass sie weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland aufenthaltsberechtigt sei, wies das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 14. November 2019 (M 27 K 19.2377) ab.
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Mit Beschluss vom 18. Februar 2021 (10 ZB 20.959), der dem Bevollmächtigten der Klägerin am 24. Februar 2021 zugestellt wurde, ließ der Senat die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
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Mit Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 19. März 2021 beantragte dieser unter Vorlage des entsprechenden Formblatts die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung. Der Senat teilte mit Schreiben vom 22. März 2021 mit, dass die Angaben unvollständig und teilweise widersprüchlich bzw. unrichtig seien, und forderte die Klägerseite auf, die Erklärung zu vervollständigen und Belege vorzulegen. Der Bevollmächtigte der Klägerin machte mit Schreiben vom 30. März 2021 weitere Angaben und erklärte, falls das Gericht der Auffassung sei, dass aufgrund dieser Angaben keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen wäre, werde der Antrag zurückgenommen. Der Senat teilte mit Schreiben vom 31. März 2021 erneut mit, dass die Angaben unvollständig seien; der Verweis auf früher vorgelegte Unterlagen genüge nicht, weil es auf die aktuelle Bedürftigkeit der Klägerin ankomme. Es werde nochmals gebeten, die Erklärung zu vervollständigen und Belege vorzulegen, oder aber den Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückzunehmen.
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Mit weiterem Schreiben vom 31. März 2021 wies der Senat darauf hin, dass die Frist für die Berufungsbegründung am 24. März 2021 abgelaufen sei, ohne dass eine Berufungsbegründung oder ein Antrag auf Fristverlängerung eingegangen sei. Der Senat beabsichtige, gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO die Berufung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen; die Klägerseite könne sicher hierzu bis zum 18. April 2021 äußern.
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Der Bevollmächtigte der Klägerin trug mit Schriftsatz vom 6. April 2021 vor, nach seiner Auffassung sei die Berufungsbegründung bereits mit dem Schriftsatz vom 20. Mai 2020 im Zulassungsverfahren erfolgt. Aufgrund des Zulassungsbeschlusses vom 18. Februar 2021 sei er der Auffassung gewesen, diese Ausführungen mit den Anträgen und der Begründung nicht nochmals wiederholen zu müssen, weil es sich um wortgleiche Ausführungen gehandelt hätte; auch habe sich an der Sachverhaltssituation nichts geändert. Es sei daher nicht zu erkennen, dass ein Fristversäumnis vorliege. Vorsorglich wiederhole er nochmals die Anträge und die Begründung in dem Schriftsatz vom 20. Mai 2020 und beantrage wiederum vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen.
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Der Beklagte ist der Meinung, die Berufungsbegründungsfrist sei versäumt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Behördenakten verwiesen.
Gründe
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Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. November 2019 ist gemäß § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 5 und § 125 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, weil die Berufung nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO begründet worden ist. Die Beteiligten wurden hierzu angehört (§ 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
9
Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Februar 2021, mit dem die Berufung in dem vorliegenden Verfahren zugelassen worden ist, wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 24. Februar 2021 zugestellt. Dem Beschluss war eine Belehrung über die Notwendigkeit der Berufungsbegründung, deren Frist und sonstige Modalitäten beigefügt.
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Die Frist von einem Monat für die Begründung der zugelassenen Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) lief damit am 24. März 2021 ab, ohne dass eine Begründung oder ein Antrag auf Verlängerung der Frist (§ 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 VwGO) eingegangen ist.
11
Die Klägerin hätte nach der Zulassung der Berufung in jedem Fall einen gesonderten Schriftsatz zur Berufungsbegründung einreichen müssen. Diese Anforderung ist unverzichtbar, es genügt nicht, dass die Anträge und die Begründung der Berufung schon im Antrag auf Zulassung der Berufung enthalten waren. Das Erfordernis einer fristgebundenen, nach Zulassung der Berufung einzureichenden Berufungsbegründung gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ist kein bloßer Formalismus. Es dient in erster Linie der Klarstellung durch den Berufungsführer, ob, in welchem Umfang und weshalb er an der Durchführung des Berufungsverfahrens ggf. auch unter veränderten tatsächlichen Verhältnissen festhalten will. Da bei einem erfolgreichen Zulassungsantrag das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt wird und es keiner Einlegung der Berufung bedarf (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO), hat das durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz in den Rang einer Zulässigkeitsvoraussetzung erhobene Erfordernis der Berufungsbegründung an Bedeutung gewonnen. Mit dem Berufungsbegründungsschriftsatz dokumentiert der Berufungskläger nach Erlass des Zulassungsbeschlusses, dass er an dem Berufungsverfahren ggf. auch bei nur teilweise zugelassener Berufung noch interessiert ist. Unzumutbares wird ihm damit nicht abverlangt. Soweit er im Zulassungsantrag bereits erschöpfend vorgetragen hat, genügt es, wenn er darauf in einem innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO eingehenden Schriftsatz Bezug nimmt und seine Berufungsanträge formuliert (§ 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Es wird von ihm daher in solchen Fällen gerade nicht verlangt, eine völlig gleichlautende Berufungsbegründungsschrift (nochmals) einzureichen. Die Notwendigkeit eines gesonderten fristgebundenen Schriftsatzes nach Erlass des Zulassungsbeschlusses dient (auch) der Verwirklichung des Beschleunigungsgedankens, denn es entlastet das Berufungsgericht beim Ausbleiben der Berufungsbegründung von der häufig aufwendigen Sichtung und Prüfung, ob schon die Begründung des Zulassungsantrags die erforderlichen Elemente einer Berufungsbegründung enthält. Andernfalls träten an die Stelle klarer prozessualer Kriterien Elemente wertender Würdigung (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, B.v. 18.9.2013 - 4 B 41.13 - juris Rn. 5 ff.; BVerwG, U.v. 7.1.2008 - 1 C 27.06 - juris Rn. 11 ff., jeweils m.w.N.; ferner Roth in Posser/Wolf, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2021, § 124a Rn. 94ff.; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 98 f.; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 124a Rn. 148).
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Auch der Schriftsatz vom 19. März 2021 mit dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe genügt den inhaltlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründung nicht (BVerwG, U.v. 7.1.2008 - 1 C 27.06 - juris Rn. 14).
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungfrist kann nicht gewährt werden, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 VwGO nicht vorliegen. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat schon nichts dazu vorgetragen, warum er ohne Verschulden verhindert gewesen sein könnte, die Berufungsbegründungfrist einzuhalten. Auf einen Rechtsirrtum kann er sich nicht berufen. Als Rechtsanwalt musste ihm die Notwendigkeit einer fristgerecht einzureichenden gesonderten Berufungsbegründung bekannt sein, zumal er mit dem Zulassungsbeschluss darüber ordnungsgemäß und eingehend belehrt worden war; bei eventuellen Unklarheiten hätte er sich etwa durch eine Einsicht in einen gängigen Gesetzeskommentar (siehe z.B. oben) Gewissheit verschaffen können und müssen.
14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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Auch Prozesskostenhilfe kann nicht gewährt werden, weil es bereits an einem vollständigen, prüfbaren Antrag fehlt (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO). Nach der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 17. März 2021 hat die Klägerin ebenso wie ihr Ehemann keinerlei Einkommen und keinerlei Vermögen; die Klägerin verneint sogar einen Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem Ehemann. Der Bevollmächtigte wurde mit gerichtlichen Schreiben vom 22. März 2021 und vom 31. März 2021 darauf hingewiesen, dass derartige Angaben nicht nachvollziehbar und unschlüssig sind, und gebeten, die Angaben zu vervollständigen und Belege vorzulegen. Der pauschale Verweis auf die früher im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Lohnabrechnungen des Vaters der Klägerin genügt nicht. Mit diesen Unterlagen sollte belegt werden, dass der Lebensunterhalt der Klägerin im Zeitpunkt der Ausreise im Sinn des § 51 Abs. 2 AufenthG gesichert gewesen sei. Für den Antrag auf Prozesskostenhilfe ist jedoch auf die aktuelle Bedürftigkeit der Klägerin abzustellen (BayVGH, B.v. 20.6.2012 - 8 C 12.653 - juris Rn. 8 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 41). Da die Erklärung des Bevollmächtigten in dem Schriftsatz vom 30. März 2021, dass der Antrag zurückgenommen werde, wenn das Gericht der Auffassung sei, dass keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen wäre, prozessual nicht eindeutig ist, war der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten abzulehnen.