Inhalt

AG Erding, Teilurteil v. 10.06.2021 – 9 C 1679/19
Titel:

Geltendmachung von Auskunfts- und Rückzahlungsansprüche hinsichtlich Steuern und Gebühren bei nicht angetretenen Flügen durch Dritten

Normenketten:
Brüssel-Ia-VO Art. 7 Abs. 1 Nr. 1 lit. a
ROM-I-VO Art. 3 Abs. 5, Art. 5 Abs. 2, Art. 10 Abs. 1
BGB § 242, § 648
Leitsätze:
1. Erfüllungsort eines Fluges im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Brüssel-Ia-VO sind nach Wahl des Fluggastes sowohl Abflugs- als auch Ankunftsort. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einem Vertrag über die Beförderung von Personen ist das das Recht des Staates anzuwenden, in dem die zu befördernde Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern sich in diesem Staat auch der Abgangsort oder der Bestimmungsort befindet (Art. 5 Abs. 2 Rom-I-VO), was nicht ohne weiteres durch Rechtswahl in AGB geändert werden kann. (Rn. 16 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Abtretungsverbot in AGB eines Anbieters von Billigflügen kann unwirksam sein, wenn kein schützenswertes Interesse des Fluganbieters erkennbar ist. (Rn. 19 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen von einem Monat ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beförderungsvertrag, Steuern und Gebühren, Nichtantritt des Fluges, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Erfüllungsort, Rechtswahl, Abtretungsverbot, Ausschlussfrist
Fundstelle:
BeckRS 2021, 15200

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, offen zu legen, in welcher Höhe gemäß Art. 23 der VO 1008/2008/EG als solche auszuweisende Steuern und Gebühren bei den folgenden Buchungen angefallen sind:
Nr. 1. - 37 ...
II. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.386,00 € vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin verlangt mit der vorliegenden Stufenklage auf erster Stufe Auskunft von der Beklagten aus abgetretenem Recht über die Höhe von Steuern und Gebühren, welche diese im Rahmen von gebuchten, aber nicht angetretenen Flugreisen in insgesamt 37 Fällen vereinnahmt hat.
2
Die Beklagte ist eine Fluggesellschaft mit Sitz in England ohne Niederlassung in Deutschland. Die Zedenten haben bei der Beklagten jeweils Flüge gebucht, die entweder in München starten oder in München landen sollten. Die Beklagte hat die jeweilige Buchung bestätigt, aber nicht angegeben, welcher Anteil des Flugentgelts auf Steuern und Gebühren entfiel. Die Buchenden zahlten das ausgewiesene Flugentgelt an die Beklagte, traten die Flüge jedoch nicht an. Auf das gezahlte Flugentgelt leistete die Beklagte keine Erstattung. Die Klägerin forderte die Beklagte jeweils schriftlich zur Offenlegung und Rückerstattung der nicht angefallenen Steuern und Gebühren auf. Die Beklagte kam den Aufforderungen nicht nach. Wegen der Buchungsunterlagen, Abtretungserklärungen der Buchenden und Anspruchsschreiben der Klägerin wird auf die Anlagen zur Klageschrift Bezug genommen.
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Bei der auf der Internetseite der Beklagten … findet sich in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen (AGB) in Art. 2.4 Satz 1 folgende Klausel:
„Sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen, unterliegen der Beförderungsvertrag, diese Beförderungsbestimmungen und unsere Regelungen dem irischen Recht“
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In Art. 4.2.1 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten findet sich ferner folgende Klausel:
„Flughafen-Abfertigungsgebühren, Sicherheitsabgaben, sämtliche vom Staat eingehobene Steuern (einschließlich aber nicht beschränkt auf Großbritanniens Fluggaststeuer) sowie von uns verrechnete Abgaben für Leistungen im Zusammenhang mit einem von uns betriebenen und von Ihnen in Anspruch genommenen Flug, müssen von Ihnen in der am Zeitpunkt Ihrer Buchung geltenden Höhe entrichtet werden.
Wenn Sie die Reise nicht antreten, können Sie innerhalb eines Monats schriftlich die vollständige Rückerstattung der bezahlten staatlichen Steuern beantragen. Dafür fällt lediglich eine Verwaltungsgebühr für die Erstattung staatlicher Steuern in der in unserer Gebührentabelle festgesetzten Höhe an. Alle übrigen Entgelte sind nicht rückerstattbar.“
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Die Klägerin ist der Auffassung, das angerufene Gericht sei zuständig, da der Erfüllungsort am Flughafen München lag. Auf das Rechtsverhältnis der Parteien sei deutsches Recht anzuwenden. Die Beklagte sei verpflichtet, die Informationen gemäß Art. 23 der VO (EG) Nr. 1008/2008, die sich aus der Buchungsbescheinigung nicht ausdrücklich ergeben, offen zu legen. Ein Abtretungsverbot in den AGB der Beklagten sei unwirksam. Darüber hinaus seien die AGB der Beklagten nicht wirksam vereinbart worden. Die Beklagte sei zur Rückerstattung von Steuern und Gebühren verpflichtet; Bearbeitungsgebühren für die Rückerstattung könne die Beklagte nicht geltend machen. Sie meint weiterhin, eine Registrierung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz sei in ihrem Fall nicht erforderlich, da sie echtes Factoring betreibt. Ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten bestünde nicht, ferner sei eine Ausschlussfrist für die Geltendmachung der Rückerstattungsansprüche nicht wirksam.
6
Die Klägerin beantragt auf erster Stufe:
Die Beklagte wird verurteilt, offen zu legen, in welcher Höhe gemäß Art. 23 der VO 1008/2008/EG als solche auszuweisende Steuern und Gebühren bei den folgenden Buchungen angefallen sind:
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, die Allgemeinen Beförderungsbedingungen seien wirksam in den jeweiligen Beförderungsvertrag einbezogen worden, weil Flugbuchungen über ihr Internetportal nur dann durchgeführt werden könnten, wenn der jeweilige Buchende sich mit der Geltung ihrer AGB mittels Anklickens eines „Opt-in-Kästchens“ einverstanden erkläre.
9
Die Beklagte rügt die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Sie ist der Ansicht, auf das Rechtsverhältnis der Parteien sei irisches Recht anwendbar, weil in den AGB der Beklagten die Anwendbarkeit irischen Rechts vereinbart worden sei. Die Rechtswahl sei auch wirksam. Die Abtretung von Ansprüchen an die Klägerin sei nach irischem Recht unwirksam und werde darüber hinaus auch in den AGB der Beklagten ausgeschlossen. Weiterhin würden die AGB eine Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Rückerstattung von Steuern und Gebühren innerhalb eines Monats und die Zahlung einer Verwaltungsgebühr vorsehen, weshalb der Klägerin keine Zahlungsansprüche zustünden. Es bestehe auch kein Anspruch auf Offenlegung von Steuern und Gebühren. Im Übrigen wären die Abtretungen bereits deshalb nicht wirksam, da die Klägerin nicht über die notwendige Erlaubnis nach dem KWG bzw. dem ZAG verfüge. Überdies habe die Klägerin der Beklagten die angeblichen Abtretungen nicht wirksam angezeigt, weil die Abtretungsurkunde im Original vorzulegen sei. Insoweit stehe der Beklagten ein Leistungsverweigerungsrecht zu.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2021 (Bl. 184/187) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage erwies sich als begründet.
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I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das hiesige Gericht örtlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 5, Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO i.V.m. § 29 Abs. 1 ZPO. Danach richtet sich die Zuständigkeit nach dem Erfüllungsort der streitigen Verpflichtung. Sowohl der Abflugs- als auch der Zielort kann dabei nach Wahl des Fluggastes zur Bestimmung der Zuständigkeit herangezogen werden (vgl. etwa LG Kleve, Urteil vom 14.10.2020, Az. 2 O 252/19). § 29 Abs. 1 ZPO findet vorliegend auch Anwendung, da es sich um eine Streitigkeit handelt, die aus einem Vertragsverhältnis herrührt.
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Etwas anderes folgt auch nicht aus der Gerichtsstandsvereinbarung in den AGB der Beklagten, da es sich bei den Zedenten ausschließlich um Verbraucher handelt. Durch die Abtretung bleibt die Forderung inhaltlich identisch, so dass auch nach der Abtretung an die Klägerin kein „Business-to-Business-Verhältnis“ vorliegt. Zwar ist die Person des jeweiligen Gläubigers für die Anwendbarkeit von Schutznormen, die auf bestimmte Merkmale wie etwas die Verbrauchereigenschaft, abstellen, relevant. Die Gerichtsstandsvereinbarung in den AGB der Beklagten stellt jedoch keine solche Schutznorm dar.
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II. Die Klage erwies sich auf der ersten Stufe auch als begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten Auskunft über im Rahmen der streitgegenständlichen Flugbuchungen von der Beklagten vereinnahmten Steuern und Gebühren verlangen. Ein Auskunftsanspruch aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben gem. § 242 BGB ist gegeben, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (vgl. BGH, Urteil vom 17.01.2002, Az. VIII ZR 6 64/01; BGH, Urteil vom 01.08.2013, Az. VII ZR 268/11).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin bedarf zur Geltendmachung ihres Anspruches der Auskunft der Beklagten, weil die Steuern und Gebühren entgegen Art. 23 Abs. 1 VO (EG) 1008/2008 in den jeweiligen Buchungsbestätigungen nicht ausgewiesen sind und die Klägerin keine weiteren Erkenntnisquellen hat, um die nötigen Auskünfte zu erlangen. Hingegen ist der Beklagten die Auskunft unschwer möglich, weil sie wissen muss, welche Steuern und Gebühren sie an die jeweiligen Zahlungsempfänger entrichten muss. Die Steuern und Gebühren sind Grundlage der Kalkulation des Flugentgelts, das sie von den jeweiligen Fluggästen erhebt. Die jeweiligen Beträge der abzuführenden Steuern und Gebühren sind in ihren Datenbanken abrufbar und können auch ohne weiteres abgerufen und beziffert werden. In der Auskunft liegt auch keine unzumutbare Offenlegung ihrer Kalkulation, weil es sich bei den Steuern und Gebühren um Fremdgeld handelt, das zu behalten die Beklagte nicht berechtigt ist (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 03.07.2020, Az. 24 O 100/19; LG Frankfurt, Urteil vom 19.11.2020, Az. 2-24 O 99/19).
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III. Das Rechtsverhältnis der Parteien unterliegt deutschem Recht. Grundsätzlich ist bei einem Vertrag über die Beförderung von Personen das anzuwendende Recht das Recht des Staates, in dem die zu befördernde Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern sich in diesem Staat auch der Abgangsort oder der Bestimmungsort befindet, vgl. Art. 5 Abs. 2 Rom-I-VO. Die zu befördernden Passagiere haben - wie aus den Abtretungsverträgen ersichtlich - ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und der Abflug- bzw. Zielflughafen lag hier ebenfalls in Deutschland.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten. Unabhängig von der Frage, ob die AGB überhaupt wirksam in den jeweiligen Vertrag einbezogen wurden, ist die dort enthaltene Rechtswahlklausel jedenfalls unwirksam. Zwar ist die Wirksamkeit der Rechtswahlabrede gem. Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom-I-VO nach irischen Recht zu beurteilen. Zum Kontrollmaßstab zählen aber entgegen der Auffassung der Beklagten auch die der Umsetzung der Klausel-RL dienenden Vorschriften, welche richtlinienkonform auszulegen sind. Gemäß Art. 3 der Richtlinie 93/13 ist eine Vertragsklausel als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten des Vertragspartners verursacht. Hieraus folgert der EuGH in seiner Entscheidung vom 28.7.2016 (Rs. C-191/15, Rn. 65), dass eine Klausel in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls den Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügen muss und dieses zu beurteilen dem nationalen Gericht obliegt.
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Gemessen an diesen Kriterien ist die Rechtswahlklausel in den AGB der Beklagten irreführend und intransparent. Denn sie bringt zum Ausdruck, dass nur Übereinkommen und einschlägige Gesetze der Geltung irischen Rechts entgegenstehen können. Diese Einschränkung der Geltung irischen Rechts ist aber unvollkommen, denn auf europäischer Rechtsebene, zu der auch Irland gehört, gehen auch europäische Verordnungen dem nationalen Recht vor. Für den Bereich der Personenluftbeförderung, auf die sich das Geschäftsfeld der Beklagten bezieht, spielt die Fluggastrechteverordnung (VO (EG) 261/2004) eine wesentliche Rolle, die aber als vorrangiges Recht bei der Rechtswahlklausel nicht genannt ist. Indem die Rechtswahlklausel nicht exakt bestimmt, welche übernationalen Regelungen der Anwendung irischen Rechts vorgehen, wird die Klausel intransparent, weil sie den Anwendungsbereich des irischen Rechts nicht mehr in einer transparenten Weise festlegt. Die Gültigkeit der europäischen Fluggastrechteverordnung als vorrangig anzuwendendes Recht wird von dem Verweis auf „Übereinkommen“ und „einschlägige Gesetze“ nicht erfasst. Das für den Flugverkehr maßgebliche Recht umfasst internationale Übereinkommen wie das Montrealer Übereinkommen. Das Rechtsverhältnis wird auch geregelt durch einschlägige Gesetze. Dass es darüber hinaus auch europäische Verordnungen gibt, die das Rechtsverhältnis im Flugverkehr regeln, wie die genannte Fluggastrechteverordnung, wird von den Begriffen der „Übereinkommen“ und der „Gesetze“ nicht erfasst. Der Verbraucher wird auch nicht davon ausgehen müssen, dass die Beklagte mit den in der Rechtswahlklausel verwendeten Begriffen die Verordnung mit einschließt. Denn an anderen Stellen ihrer AGB findet die Fluggastrechteverordnung ausdrücklich Erwähnung (vgl. AG Brühl, Urteil vom 11.11.2019, Az. 2 C 106/19; Staudinger, JM 2019, 134, 136). Indem die Fluggastrechteverordnung in der Rechtswahlklausel nicht genannt wird, in anderen Bereichen aber schon, suggeriert die Rechtswahlklausel, dass das irische Recht auch der Verordnung vorgeht, was aber nicht der Fall ist. Daraus folgt die Irreführung, die zur Unwirksamkeit der Rechtswahlklausel führt (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 03.07.2020, Az. 24 O 100/19; LG Frankfurt, Urteil vom 19.11.2020, Az. 2-24 O 99/19; LG Berlin, Urteil vom 12.10.2020, Az. 51 O 133/18; LG Baden-Baden, Urteil vom 27.10.2020, Az. 2 O 287/19; AG Brühl, Urteil vom 11.11.2019, Az. 2 C 106/19; Staudinger JM 2019, 134 ff.).
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IV. Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Die Fluggäste haben ihre jeweiligen Ansprüche wirksam an die Klägerin abgetreten.
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Das in den AGB der Beklagten enthaltene Abtretungsverbot ist unwirksam. Es verstößt gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, weil hierin eine unangemessene Benachteiligung der Fluggäste liegt. Zwar ist grundsätzlich eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Regelung, mit der der Verwender die Abtretung von gegen ihn gerichteten Forderungen ausschließt, wirksam, insbesondere wenn er die Hauptleistungspflichten des Verwenders betrifft (vgl. etwa BGH, Urteil vom 28. November 1968, Az. VII ZR 157/66).
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Jedoch ist eine solche Klausel dann unwirksam, wenn ein schützenswertes Interesse des Verwenders an einem Abtretungsausschluss nicht besteht oder die berechtigten Belange des Kunden an der Abtretbarkeit vertraglicher Forderungen das entgegenstehende Interesse des Verwenders überwiegen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. Dezember 1975, Az. II ZR 64/74). Für das Abwägen dieser einander gegenüberstehenden Interessen sind ein generalisierender, überindividueller Prüfungsmaßstab und eine typisierende Betrachtungsweise zugrunde zu legen; auf die speziellen Umstände des Einzelfalls kommt es insoweit nicht an, sondern darauf, wie die Klausel unter Berücksichtigung aller nicht fernliegender Fallgestaltungen verwendet werden kann (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 19.11.2020, Az. 2-24 O 99/19).
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Vorliegend kann ein solches schützenswertes Interesse der Beklagten nicht erkannt werden. Die Bearbeitung von Anfragen von „Claim-Handling-Companies“ führt nicht erkennbar zu einem höheren Aufwand als die Bearbeitung von Anfragen von Naturalparteien (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 30.07.2018, Az. 5 S 8340/17; LG Baden-Baden; Urteil vom 27.10.2020, Az. 2 O 287/19; AG Brühl, Urteil vom 11.11.2019, Az. 2 C 106/19). Demgegenüber liegt es im Interesse der Fluggäste, wenn sie die Durchsetzung ihrer Ansprüche einem hieraus spezialisierten Dienstleister überlassen und sich nicht in die mühsame Auseinandersetzung mit dem Luftfahrtunternehmen einlassen wollen.
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V. Die Abtretungen sind entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht nach § 134 BGB unwirksam, weil die Klägerin nicht über eine Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 a S. 2 Nr. 9 KWG bzw. § 1 S. 2 Nr. 6 ZAG i.V.m. § 10 Abs. 1 ZAG verfügt. Eine solche Erlaubnis bedurfte die Klägerin nicht. Hinsichtlich einer Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 a S. 2 Nr. 9 KWG ist dies schon deswegen nicht der Fall, da nicht jede Form des Factoring den Tatbestand einer Finanzdienstleistung im Sinne dieser Norm erfüllt. Wie bereits unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut folgt, ist vielmehr erforderlich, dass der Ankauf laufend und auf der Grundlage von Rahmenverträgen erfolgen muss. Dass die Klägerin mit den abtretenden Buchenden vorliegend Rahmenverträge abgeschlossen haben soll, wird von der Beklagten nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich. Soweit die Beklagte sich auf eine fehlende Erlaubnis der Klägerin nach § 1 S. 2 Nr. 6 ZAG i.V.m. § 10 Abs. 1 ZAG beruft, greift auch dies vorliegend nicht durch, da ein Fall des echten Factorings vorliegt, wie sich aus den von der Klagepartei vorgelegten Forderungskauf- und Abtretungsverträgen ergibt. So heißt es beispielhaft in der Anlage K 44 unter Ziff. 1: „Sie verkaufen uns vollumfänglich sämtliche Ihnen aus Ihrer Flugbuchung bei der … mit der Buchungsnummer (…) zustehenden Rückerstattungsansprüche.“ Und weiter unter Ziff. 2: „Sie treten uns vollumfänglich sämtliche Ihnen aus Ihrer Flugbuchung bei der … mit der Buchungsnummer (…) zustehenden Rechte und Ansprüche, wie etwa Rückerstattungsansprüche, ab. Wir, die … GmbH, nehmen die Abtretung hiermit an.“ Das echte Factoring erfüllt den Tatbestand des § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 ZAG jedoch nicht. Denn beim echten Factoring trägt der Factor das Delkredererisiko und hat daher keine Möglichkeit, seinen Kunden in Regress zu nehmen. Er agiert gegenüber dem Zahler maßgeblich als Gläubiger und übermittelt daher keinen fremden Geldbetrag, so dass kein Finanztransfergeschäft gegeben ist. Im Übrigen führt das Fehlen einer Erlaubnis nach § 1 S. 2 Nr. 6 ZAG i.V.m. § 10 Abs. 1 ZAG ohnehin nicht zur Nichtigkeit des jeweils abgeschlossenen Rechtsgeschäfts (vgl. LG Kleve, Urteil vom 14.10.2020, Az. 2 O 252/19, LG Frankfurt, Urteil vom 12.10.2020, Az. 2-24 O 99/19).
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VI. Darüber hinaus steht einer wirksamen Abtretung entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht entgegen, dass die Ansprüche zum Teil bereits vor dem Flugdatum abgetreten wurden. Eine Abtretung ist bereits vor Entstehung des Anspruchs zulässig (vgl. Roth/Kieninger, MüKoBGB, 8. Aufl., 2019, § 398, Rn. 78).
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VII. Ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 410 BGB besteht nicht. Gem. § 410 Abs. 2 BGB findet die Vorschrift keine Anwendung, wenn der Zedent dem Schuldner die Abtretung schriftlich anzeigt. Dies muss nicht durch ein unmittelbares Anschreiben des Zedenten an den Schuldner erfolgen, vielmehr genügt eine verschriftliche Information der Abtretung des Zedenten, die dem Schuldner wissentlich und willentlich zugeht, wobei dies auch durch den Zessionar übermittelt werden kann. Die vorliegenden jeweiligen Abtretungsbestätigungen genügen einer solchen Abtretungsanzeige.
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Dem steht auch nicht entgegen, dass die jeweiligen Abtretungsverträge nicht im Original vorgelegt worden sind. Das Gericht schließt sich der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur an, wonach auch eine Kopie der Abtretungsurkunde genügt (vgl. hierzu LG Kleve, Urteil vom 14.10.2020, Az. 2 O 252/19). Das Original kann nur bei verständlichen Bedenken gegen die Zuverlässigkeit einer Kopie gefordert werden (vgl. Roth/Kieninger, in: MüKoBGB, 8. Aufl, 2019, § 410, Rn. 5), welche von der Beklagten nicht dargetan wurde.
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VIII. Die in den AGB der Beklagten enthaltene Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen ist gem. § 307 Abs. 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung der Zedenten unwirksam. Ein schützenswertes Interesse der Beklagten, eine derart kurze Ausschlussfrist zu vereinbaren und damit eine Rückforderung schon deutlich vor dem Eintreten der gesetzlichen Verjährungsfrist auszuschließen, ist nicht zu erkennen. Darüber hinaus ist die Klausel auch intransparent, da sie den Vertragspartner über den Fristbeginn im Unklaren lässt. Dies ergibt sich aus der Formulierung, nach der innerhalb eines Monats die vollständige Rückerstattung der gezahlten Steuern beantragt werden kann. Ab welchem Zeitpunkt dieser Monat allerdings beginnt, bleibt unklar (vgl. LG Berlin, Urteil vom 12.10.2020, Az. 51 O 133/18; LG Baden-Baden, Urteil vom 27.10.2020, Az. 2 O 287/19).
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IX. Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht dem Grunde nach auch ein Anspruch auf Rückzahlung der Steuern und Gebühren aus § 648 BGB zu. In dem Nichtantritt der jeweiligen Flüge ist eine Kündigung des jeweils zugrunde liegenden Beförderungsvertrags zu sehen. Der Beförderer behält zwar seinen Anspruch auf das Flugentgelt, jedoch muss er sich das anrechnen lassen, was er durch Nichtausführung des Fluges erspart hat. Dies betrifft insbesondere die auf den Fluggast entfallenden Steuern und Gebühren, da diese nur anfallen, wenn der Fluggast den Flug tatsächlich antritt. Ein Grund dafür, dass die Beklagte das Entgelt für solche Steuern und Gebühren behalten darf, auch wenn sie nicht anfallen, ist nicht ersichtlich.
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X. Hinsichtlich der Berechtigung der Beklagten zur Erhebung einer Verwaltungsgebühr bedarf es im Rahmen der Auskunftsklage keiner Entscheidung, da unklar ist, in welcher Höhe Rückforderungsansprüche bestehen. Es kann daher erst nach Auskunftserteilung überprüft werden, ob gegebenenfalls nach Abzug der beklagtenseits angeführten Gebühr dennoch Rückforderungsansprüche verbleiben würden.
30
XI. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits ist dem Schlussurteil vorbehalten.
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XII. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 ZPO.