Titel:
Ersatz entgangenen Gewinns bei unlauterer geschäftlicher Handlung
Normenketten:
UWG § 3 Nr. 1, § 3a, § 9
MPG § 4 Abs. 2 Nr. 3, § 6 Abs. 1, Abs. 2, § 7
BGB § 249, § 252
ZPO § 287, § 322 Abs. 1
Leitsätze:
1. Wer Ersatz des Gewinns verlangt, der ihm in Folge einer durch eine unlautere geschäftliche Handlung verursachten Verminderung seines Umsatzes entgangen ist, muss dem Gericht die Tatsachen vortragen, die es diesem ermöglichen, zu beurteilen, dass er den als Schadensersatz verlangten Betrag tatsächlich als Gewinn erzielt hätte, wenn der Konkurrent das beanstandete Verhalten nicht vorgenommen hätte. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 252 S. 2 BGB und § 287 ZPO entheben den Verletzten zwar der Notwendigkeit, den entgangenen Gewinn genau zu belegen. Sie ersparen es ihm aber nicht, dem Gericht eine tatsächliche Grundlage zu unterbreiten, die diesem eine wenigstens im Groben zutreffende Schätzung des entgangenen Gewinns ermöglicht (Anschluss BGH BeckRS 2016, 10542 Rn. 21). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Umsatz des Verletzers kann als Anhaltspunkt für die Gewinneinbußen des Berechtigten von Bedeutung sein (Anschluss BGH BeckRS 2016, 10542 Rn. 27). Es gibt allerdings keinen Erfahrungssatz, dass der entgangene Gewinn dem Verletzergewinn entspricht oder dass der Umsatz des Verletzers dem Verletzten zugutegekommen wäre. Die Umsatzentwicklung beim Verletzer kann deshalb allenfalls Anhaltspunkt, nicht hingegen alleinige Berechnungsgrundlage für den entgangenen Gewinn sein. (Rn. 37 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unlauterer Wettbewerb, Medizinprodukt, Schadensersatz, Tenor, Auslegung, entgangener Gewinn, Schätzung, Grundlage
Fundstelle:
BeckRS 2021, 15128
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht - nach vorangegangenem Schadensersatzfeststellungsurteil des LG München I vom 23.05.2017, Az. 33 O 9370/16, teilweise abgeändert durch Urteil des OLG München vom 01.02.2018, Az. 6 U 2255/17 - gegen die Beklagte einen bezifferten Schadensersatzanspruch - nach Teilklagerücknahme noch - in Höhe von 838.867,41 EUR geltend.
2
Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich des Micro-Needling.
3
Mit Ziffer I des Urteils des LG München I vom 23.05.2017, Az. 33 O 9370/16, teilweise abgeändert durch Urteil des OLG München vom 01.02.2018, Az. 6 U 2255/17, wurde die Beklagte auf Antrag der Klägerin verurteilt, es bei Meidung gesetzlicher Ordnungsmittel zu unterlassen:
„1. die gemäß Anlagen K 21, K 22, K 23 und K 24 […] unter den Artikelbezeichnungen geführten Produkte ‚R… SkinNeedler‘ und ‚R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule‘ im geschäftlichen Verkehr anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen, wie geschehen ausweislich Anlage K 10 […]
2. das Produkt ‚R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule‘ ohne die Kennzeichnung ‚STERIL‘ und ohne die Angabe des Sterilisationsverfahrens anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen, wenn das Produkt oder das Produkt ‚R… SkinNeedler‘ wie unter 1.1. wiedergegeben beworben wird.“
(vgl. Urteil des LG München I vom 23.05.2017, K 2 in der Fassung des Urteils des OLG München vom 01.02.2018, Az. 6 U 2255/17, K 3).
[Der im Urteil in Bezug genommenen Anlage K 10 entspricht im vorliegenden Verfahren Anlage B 2.]
Mit Ziffer IV. des landgerichtlichen Urteils wurde weiter festgestellt, dass
„die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den - noch näher zu beziffernden - Schaden zu ersetzen, der ihr aus Handlungen nach Maßgabe des Antrags zu I. entstanden ist und/oder künftig noch entstehen wird“.
4
Mit Anwaltsschreiben vom 18.05.2018 forderte die Klägerin die Beklagte auf, den durch das wettbewerbswidrige Inverkehrbringen ihrer Produkte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ im Zeitraum vom 1. Quartal 2016 bis einschließlich zum 2. Quartal 2018 bedingten Gewinnverlust, in dem Schreiben beziffert mit 848.884,21 EUR, bis spätestens 04.06.2018 an die Klägerin zu zahlen (vgl. Schreiben, K 4).
5
Mit Anwaltsschreiben vom 04.06.2018 ließ die Beklagte den geltend gemachten Schadensersatzanspruch zurückweisen (vgl. Schreiben, K 5).
6
Die Klägerin trägt vor, die Gesamtsumme der durch die Beklagte veräußerten Produkte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ im Zeitraum vom 1. Quartal 2016 bis einschließlich 07.03.2018 sei als wirtschaftlicher Absatzverlust resp. Umsatzverlust der Klägerin anzusehen. Im Zeitraum vom 1. Quartal 2016 bis einschließlich zum 07.03.2018 habe die Beklagte insgesamt 514 verkehrsunfähige Medizinprodukte „R… SkinNeedler“ und insgesamt 37.880 verkehrsunfähige und unsterile Medizinprodukte „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ veräußert. Ausweislich der Gewinn-/Verlustberechnung der Wirtschaftsprüfer P… Partnerschaft mbH, … (vgl. Anlage K 6), betrage der durch das wettbewerbswidrige Inverkehrbringen der Medizinprodukte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ durch die Beklagte entgangene Gewinn der Klägerin im Zeitraum vom 1. Quartal 2016 bis einschließlich 07.03.2018 insgesamt 848.884,24 EUR. Bei der konkreten Gewinn-/Verlustermittlung sei zu dem für den „R… SkinNeedler“ vergleichbaren Medizinprodukt „eD…®“ ein Einkaufspreis von 533,84 € (netto) je Stück sowie ein Verkaufspreis von 1.129,00 € (netto) zu Grunde gelegt worden, für den zu dem „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ vergleichbaren Medizinprodukt „eD…® Nadelmodul (NM 6…) für Micro-Needling“ sei ein Einkaufspreis von 20,60 EUR (netto) je Stück sowie ein Verkaufspreis von 35,00 EUR (netto) zugrunde gelegt worden.
7
Die Klägerin sei im Zeitraum vom 1. Quartal 2016 bis einschließlich 07.03.2018 (Datum der Rechtskraft des Urteils des OLG München, Az. 6 U 2255/17) der einzige deutsche Hersteller gewesen, der die zu den Produkten „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ nach Grundkonstruktion und Funktionsweise vergleichbaren Produkte „eD…®“ und „eD…® Nadelmodul (NM 6 xx) für MicroNeedling“ als konformitätsbewertete Medizinprodukte der Klasse II a in Deutschland in den Verkehr gebracht habe. Sofern die Beklagte auf eine Vielzahl von Micro-Needling Geräten Bezug nehme, welche im Internet zum Verkauf angeboten würden (vgl. Internetauszug, B 2), gelte es darauf hinzuweisen, dass für keines jener Gerätschaften die grundlegenden Anforderungen nach § 7 MPG erfüllt seien und kein für das jeweilige Medizinprodukt vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden sei. Darüberhinausgehend sei festzustellen, dass sämtliche Produkte im Anlagenkonvolut B2 entweder handbetrieben oder mittels einer Batterie anzuwenden seien, während die Produkte der Klägerin und der Beklagten mittels Strom (220 V) betrieben würden und damit eine vollkommen andere Leistungsintensität aufwiesen.
8
Die Klägerin habe eine Marktanalyse initiiert, in der über 100 Kosmetikerinnen aus Deutschland telefonisch kontaktiert und insgesamt 35 Kosmetikerinnen zum Micro-Needling befragt worden seien. 31 der 35 befragten Kosmetikerinnen seien vertraglich an die Beklagte als sogenannte „Konzeptanbieterin“ gebunden gewesen und verwendeten zum Micro-Needling die streitbefangene Medizinprodukte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ (vgl. Eidesstattliche Versicherungen, K 8 und K 9). 34 Kosmetikerinnen (97,14 %) verwendeten das Micro-Needling zur Behandlung von atrophen Narben (Akne-Narben), 29 Kosmetikerinnen (82,85 %) verwendeten das Micro-Needling zur Hautstraffung, 24 Kosmetikerinnen (68,57 %) verwendeten das Micro-Needling zur Hautpigmentierung; 23 Kosmetikerinnen (65,71 %) verwendeten das Micro-Needling zur Behandlung sonnengeschädigter Haut und 16 Kosmetikerinnen (45,71 %) verwendeten das Micro-Needling zur Behandlung der striae distensae (als Beispiel genannt: Schwangerschaftsstreifen). Sämtliche der 35 befragten Kosmetikerinnen (100 %) hätten angegeben, dass Micro-Needling zur Faltenbehandlung einzusetzen (vgl. Eidesstattliche Versicherungen, K 8 und K 9). Bereits aus der stichprobenartigen Befragung sei ersichtlich, dass 97,14 % der beteiligten Kosmetikerinnen die streitbefangenen Medizinprodukte der Beklagten u.a. zu einer medizinischen - nach ICD-10-GM L 90.6. krankheitsbezogenen - Behandlung von atrophen Narben und 45,71 % der beteiligten Kosmetikerinnen die streitbefangenen Medizinprodukte der Beklagten zu einem medizinischen - nach ICD-10-GM L 90.5. krankheitsbezogenen - Behandlung von Dehnungsstreifen verwendeten. Die Frage nach der Wichtigkeit der Sterilität der Micro-Needling-Produkte hätten 100 % der befragten Kosmetikerinnen mit „wichtig“ angegeben (vgl. Eidesstattliche Versicherungen, K 8 und K 9). Zur Frage, ob ein zertifiziertes resp. konformitätbewertetes Medizinprodukt ein ausschlaggebender Grund sei, um sich für diesen Kauf zu entscheiden, hätten 32 der befragten Kosmetikerinnen (91,42 %) mit „wichtig“ angegeben (vgl. Eidesstattliche Versicherungen, K 8 und K 9). Bereits angesichts jener signifikanten Befunde könne belegt werden, dass weit überwiegend aufgrund der streitgegenständlichen Werbeaussagen („atrophen Narben“ und „krankheitsbezogene Dehnungsstreifen“) und der ausgelobten Sterilität, die Kunden der Beklagten die Medizinprodukte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ erworben hätten und eben nicht „lediglich“ zur Verbesserung des Hautbildes.
9
Insbesondere bedingt durch die krankheitsbezogene Vermarktung der Produkte der Beklagten für Kosmetiker resp.-Kosmetikstudios seien die Verkaufszahlen der Medizinprodukte „eD…®“ und „eD…® Nadelmodul (NM 6 xx) für MicroNeedling“ der Klägerin an Kosmetiker von 2016 - mit einer statistischen Steigerung in 2017 - bis 2018 um nahezu 100 % gefallen. Ein ähnlicher Befund ergebe sich auch bei einer Gegenüberstellung der Verkaufszahlen der Klägerin von 2016 bis 2018 bei der Vermarktung der Medizinprodukte an Ärzte (vgl. Übersicht, K 10).
10
Die Klägerin ist der Auffassung, die von der Beklagten in den Verkehr gebrachten Medizinprodukte seien mangels erfolgter CE-Zertifizierung (Konformitätsbewertungsverfahren) insgesamt nicht verkehrsfähig gewesen. Das für die Verkehrsfähigkeit von Medizinprodukten erforderliche Konformitätsbewertungsverfahren - insbesondere der Klasse IIa - sei für keines der streitbefangenen Produkte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ durchgeführt worden. Gleiches gelte für den Nachweis eines bestehenden und in jenem Verfahren zur Überprüfung zu stellenden Qualitätssicherungssystems. Darüber hinaus erfüllten die Produkte der Beklagten auch nicht die „Grundlegenden Anforderungen“ für Medizinprodukte (§§ 6 Abs. 2, 7 Abs. 1 MPG i.V.m. Anhang I der RiLi 93/42/EWG). Zudem hätten nach Ziffer 8.4 des Anhangs I der RiLi 93/42/EWG in sterilem Zustand gelieferte Produkte - so das Medizinprodukt „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ - nach einem geeigneten validierten Verfahren hergestellt und sterilisiert sein müssen. Die hierfür erforderliche (Steril-) Verpackung hätte auch den weiteren Anforderungen nach Ziffer 8.5 des Anhangs I der RiLi 93/42/EWG insbesondere in Bezug auf ein geeignetes Verpackungsverfahren entsprechen müssen. Dies sei nicht der Fall gewesen, insbesondere wegen der fehlenden Bezeichnung „STERIL“. Demnach sei die Gesamtsumme der durch die Beklagte veräußerten Produkte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ im Zeitraum vom 1. Quartal 2016 bis einschließlich 07.03.2018 als wirtschaftlicher Absatzverlust resp. Umsatzverlust der Klägerin nach § 9 UWG anzusehen.
11
Ihre Medizinprodukte „eD…®“ und „eD…® Nadelmodul (NM 6 xx) für MicroNeedling“ dürfe die Klägerin - entgegen der Ansicht der Beklagten - grundsätzlich auch an qualifizierte resp. geschulte Kosmetikerinnen abgeben. Vor dem Hintergrund von Anhang XVI der Verordnung EU 2017/745 zu „Verzeichnis der Gruppen von Produkten ohne medizinischen Verwendungszweck gemäß Art. 1 Abs. 2“ habe die Klägerin - durch eine zulässige Änderung der subjektiven Zweckbestimmung - ihren Anwenderkreis erweitert. Nach dem Entwurf „Europäische Norm prEN 16708: 2015 E - Dienstleistungen in Kosmetiksalons, Anforderungen an und Empfehlungen für die Dienstleistungserbringung“, welcher als derzeitiger Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bzw. momentaner Stand der Technik anzusehen sei, werde dem neuen Anwenderkreis der Produkte der Klägerin (nicht medizinisches Fachpersonal, zum Beispiel Kosmetikerinnen) eine Micro-Needling-Kompetenz zugewiesen (vgl. Normentwurf, K 11).
12
Mit Schriftsatz vom 21.02.2020 (Bl. 66 d.A.) hat die Klägerin ihre ursprüngliche Gewinnkalkulation korrigiert (vgl. K 12) und ihre Klage in Höhe von 10.016,83 EUR zurückgenommen. Die Beklagte hat der Teilklagerücknahme in der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2021 (Bl. 100 d.A.) zugestimmt.
13
Die Klägerin beantragt zuletzt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 838.867,41 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
14
Die Beklagte beantragt:
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Die Beklagte trägt vor, sie vertreibe das streitgegenständliche Produkt fast ausschließlich an Kosmetikerinnen. Der Kundenkreis setzte sich dabei zu ca. 95 % aus Kosmetikerinnen und zu ca. 5 % aus Ärzten zusammen. Kosmetikerinnen dürften keine Heilbehandlungen vornehmen. Der Kundenkreis der Kosmetikerinnen werde die Geräte der Beklagten niemals wegen der unzulässigen Werbeaussagen gekauft haben, da sie gar keine Behandlungen auf diesem Gebiet durchführen dürften.
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Soweit die Klägerin geltend mache, die eigenen Umsätze seien im Jahr 2018 gefallen, fehle jeglicher Nachweis dazu, dass sie selbst in gleichem Umfang Werbung gemacht habe, wie in den Vorjahren. Denn möglicherweise sei der Einbruch auch einfach dadurch zu erklären, dass sie ihre Produkte nicht beworben habe.
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Die Beklagte ist der Ansicht, die Klage sei unschlüssig und unbegründet. Es bestehe kein kausaler Zusammenhang zwischen der unlauteren Wettbewerbshandlung und dem vermeintlichen Schaden in Höhe von 848.884,24 EUR.
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Der der Klage zugrunde liegende Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch bestehe nur im Hinblick auf die konkrete Verletzungsform und nicht per se. Die Beklagte habe seinerzeit für die Produkte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ in der als Anlage B 1 beigefügten Werbebroschüre geworben. In dieser Broschüre finde sich auf Seite 3 unter der Überschrift „DIE (R)EVOLUTION DES MICRO-NEELDINGS“ ein Hinweis auf eine medizinische Zweckbestimmung, und zwar „Atrophe Narben und Dehnungsstreifen“. Durch die Angabe dieser (einzigen) medizinischen Zweckbestimmung in der besagten Werbebroschüre unterfielen die Produkte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ nach Ansicht des OLG den Regelungen des MPG und würden damit zu Medizinprodukten mit den entsprechenden Kennzeichnungsregelungen. Konkret bedeute dies: die wettbewerbswidrige Handlung der Beklagten bestehe lediglich in der Angabe „Atrophe Narben und Dehnungsstreifen“ in der besagten Werbebroschüre.
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Von der Schadensersatzpflicht würden nur solche Schäden erfasst, die auf der Verletzungshandlung beruhten. Konkret bedeute dies, dass die Klägerin als Schaden nur diejenigen Verluste ersetzt verlangen könne, die ihr durch die unlautere Angabe „Atrophe Narben und Dehnungsstreifen“ in der besagten Werbebroschüre entstanden seien. Kurzum, wenn ein Käufer sich zum Kauf der Produkte der Beklagten aufgrund der Angabe „Atrophe Narben und Dehnungsstreifen“ entschieden habe, dann sei dieser Absatz- bzw. Gewinnverlust ein kausaler Schaden der Klägerin. Für den Erwerb des Produktes der Beklagten dürfe also keine andere Ursache vorliegen. Solche Gründe seien indes viele denkbar.
20
Ferner sei darauf hinzuweisen, dass sich die Klägerin den Schaden mit den anderen am Markt befindlichen Anbietern von Mikro-Needling Systemen teilen müsse. Auf dem Markt befinde sich derzeit eine Vielzahl von Mikro-Needling Geräten (vgl. Internetauszug, B 2).
21
Die Darlegungs- und Beweislast für den Eintritt und die Höhe des Schadens trage die Klägerin. Wer Ersatz des Gewinns verlange, der ihm infolge einer durch eine unlautere geschäftliche Handlung verursachten Verminderung seines Umsatzes entgangen sei, müsse allerdings die Tatsachen vortragen, die es dem Gericht ermöglichten, zu beurteilen, dass er den als Schadensersatz verlangten Betrag tatsächlich als Gewinn erzielt hätte, wenn der Konkurrent das beanstandete Verhalten nicht vorgenommen hätte. Hierzu lasse sich die Klägerin in ihrer Klage aber nicht aus.
22
Die von der Klägerin initiierte Marktanalyse enthalte keine Informationen, die für die Ermittlung eines Schadens der Klägerin hilfreich seien. U.a. enthalte die „Marktanalyse“ keine Aussage dazu, zu welchem Zeitpunkt die Befragten die Produkte der Beklagten erworben hätten und seien die Befragten der Marktanalyse nicht gefragt worden, ob sie die streitgegenständliche Werbebroschüre der Beklagten kennen würden. Ferner habe die Klägerin in ihrer Marktanalyse eine Vielzahl an Personen befragt, die gar keine Investitionsentscheidung träfen. Darüber hinaus hätten die Kosmetikerinnen das Produkt der Beklagten offensichtlich gekauft, da sie ohnehin vertraglich an die Beklagte gebunden gewesen seien und gerade nicht wegen der verbotenen Werbeaussage. Die Beklagte habe durch eine ihrer Mitarbeiterinnen eine Umfrage bei den 349 deutschen Kunden der Beklagten durchgeführt und diese gefragt, was sie getan hätten wenn sie das streitgegenständliche Produkt der Beklagten nicht gekauft hätten. Bis zum 23.03.2020 hätten 170 Befragte die Umfrage beantwortet. Lediglich einer der Befragten habe geantwortet, dass er das Produkt der Firma D… statt des „R… SkinNeedler“ erworben hätte.
23
Darüber hinaus dürfe die Klägerin die Medizinprodukte, welche sie zur Begründung des vermeintlichen Schadens heranziehe, aus rechtlichen Gründen nicht an Kosmetikerinnen verkaufen. Die Klägerin habe sich vor dem Inverkehrbringen der eigenen Produkte als Medizinprodukte an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gewandt, damit dieses die Einstufung bestätige. Das BfArM habe dies auch getan, allerdings habe es einschränkend in seinem Verwaltungsakt ausgeführt, dass die Produkte nur von geschultem medizinischen Fachpersonal verwendet werden dürften (vgl. Schreiben, B3). Nach § 3 Abs. 1 MPAV sei eine Abgabe von Medizinprodukten, die nicht zur Anwendung durch Laien vorgesehen seien, an andere Personen als Fachkreise im Sinne von § 3 Nr. 17 MPG nicht zulässig. Kosmetikerinnen gehörten nicht zu diesen Fachkreisen.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen und die Sitzungsniederschriften vom 14.05.2019 (Bl. 30/32 d.A.), vom 26.11.2019 (Bl. 60/62 d.A.) und 11.05.2021 (Bl. 93/101 d.A.) Bezug genommen.
25
Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2019 (Bl. 31 d.A.), mit Beschluss vom 04.02.2020 (Bl. 63/65 d.A.) sowie mit Verfügung vom 01.07.2020 (Bl. 77/78 d.A.) Hinweise erteilt.
26
In der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2021 hat die Kammer Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeuginnen Dr. C… B…, D… H… und S… R…. Hinsichtlich des Inhalts der Zeugenaussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11.05.2021 (Bl. 93/101 d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
27
A. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat nicht nachzuweisen vermocht, dass ihr der auf Grundlage von § 9 UWG geltend gemachte Schaden in Höhe von 838.867,41 EUR entstanden ist. Für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO fehlt es an ausreichenden Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen.
28
I. Der Klägerin steht dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu. Dieser ist beschränkt auf den Umfang der Rechtskraft des Urteils des Vorprozesses. Die Klägerin kann deshalb nur Ersatz des Schadens verlangen, der ihr durch die konkrete, rechtskräftig untersagte wettbewerbswidrige Handlung der Beklagten entstanden ist.
29
1. Auf Grund des rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses steht zwischen den Parteien fest, dass die Beklagte gemäß §§ 9, 3 Nr. 1, 3a UWG i.V.m. §§ 4 Abs. 2 Nr. 3, 6 Abs. 1 und 2, 7 MPG zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, welcher ihr dadurch entstanden ist, dass die Beklagte die Produkte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ im geschäftlichen Verkehr angeboten und/oder in den Verkehr gebracht hat, wie geschehen mit „Anlage K 10“ [im hiesigen Verfahren vorgelegt als Anlage B 1] (vgl. Urteil des LG München I vom 28.03.2017, Az. 33 O 9370/16). Ferner wurde sie zum Ersatz des Schadens verpflichtet, welcher ihr dadurch entstanden ist, dass sie das Produkt „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ ohne die Kennzeichnung „STERIL“ und ohne die Angabe des Sterilisationsverfahrens angeboten und/oder in den Verkehr gebracht hat, während es wie mit Anlage K 10 [vorliegend: Anlage B 1] beworben wurde.
30
2. Die Bindungswirkung des Feststellungsurteils ergibt sich aus dem Umfang der Rechtskraft. Diese reicht gemäß § 322 Abs. 1 ZPO so weit, wie das Feststellungsurteil über den durch die Feststellungsklage erhobenen Anspruch entschieden hat. Reicht die Urteilsformel allein nicht aus, um den Rechtskraftgehalt der Entscheidung zu erfassen, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend heranzuziehen (vgl. BGH GRUR 2008, 933 Tz. 13 - Schmiermittel; BGH GRUR 2002, 915, 916 - Wettbewerbsverbot in Realteilungsvertrag).
31
3. Vorliegend lässt sich bereits der Urteilsformel entnehmen, dass der Verbotstenor (Ziffer I. des Urteils des LG München I vom 23.05.2017, Az. 33 O 9370/16, in der Fassung des Urteils des OLG München vom 01.02.2018, Az. 6 U 2255/17) - und der hierauf rückbezogene Schadensersatzfeststellungsausspruch (Ziffer IV. des landgerichtlichen Urteils) - auf die konkrete Verwendungsform beschränkt ist, die streitgegenständlichen Produkte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ mithin keinem „per-se“-Verbot unterliegen.
32
Die Entscheidungsgründe stützen dieses Ergebnis. Das LG München I führt insoweit aus, dass „[d]er SkinNeelder […] erst durch die in Anlage K 10 vorgenommene Zweckbestimmung, nämlich die Behandlung von Dehnungsstreifen und atrophen Narben, zu einem Medizinprodukt [wird], so dass ein über diese konkrete Verletzungsform hinausgehender Verbotsantrag nicht durchgreifen kann“ (vgl. Urteils des LG München I vom 23.05.2017, Az. 33 O 9370/16 S. 35, 36). Das OLG München hat hat eine entsprechende Beschränkung auch für den Verbotsantrag Ziffer I.2. vorgenommen (vgl. Urteils des OLG München vom 01.02.2018, Az. 6 U 2255/17, S. 11, 12).
33
Der Beklagten wurde der Vertrieb ihrer Produkte ohne vorherige Durchführung eines für Medizinprodukte vorgesehenen Konformitätsbewertungsverfahrens folglich (nur) in Kombination mit einer Bewerbung gemäß Anlage B 1 untersagt (vgl. Urteil des LG München I vom 23.05.2017, Az. 33 O 9370/16, S. 30, 35, 36; OLG München vom 01.02.2018, Az. 6 U 2255/17, S. 11 f.). Ersatzfähig ist mithin auch nur der hiermit in kausalem Zusammenhang stehende Schaden.
34
II. Die Klägerin hat den ihr obliegenden Nachweis dafür, dass ihr durch die wettbewerbswidrige Handlung der Beklagten ein Schaden in Form entgangenen Gewinnes in Höhe von 838.867,41 EUR entstanden ist, nicht erbracht. Mangels greifbarer Anknüpfungstatsachen für eine Schadensschätzung waren ferner weder eine Schätzung des Schadens in vollem Umfang noch die Ermittlung eines gewissen Mindestschadens nach § 287 Abs. 1 ZPO möglich. Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
35
1. Hinsichtlich der Höhe des konkret entstandenen Schadens ist die Klägerin darlegungs- und beweisbelastet (vgl. BGH GRUR 2016, 860 Tz. 19 - Deltamethrin II). Dabei gelten für die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs die §§ 249 ff. BGB. Dem von einem Wettbewerbsverstoß unmittelbar Betroffenen kommen bei der Darlegung und dem Nachweis eines entgangenen Gewinns jedoch die Erleichterungen gemäß § 252 S. 2 BGB und § 287 ZPO zugute (vgl. BGH GRUR 2016, 860 Tz. 21 - Deltamethrin II; BGH GRUR 2008, 933 Tz. 19 - Schmiermittel). Demzufolge ist ein Gewinnentgang bereits dann zu bejahen, wenn es nach den gewöhnlichen Umständen des Falls wahrscheinlicher ist, dass der Gewinn ohne das haftungsbegründende Ereignis erzielt worden, als dass er ausgeblieben wäre (BGH GRUR 2016, 860 Tz. 21 - Deltamethrin II; BGH GRUR 2008, 933 Tz. 19 - Schmiermittel).
36
2. Sowohl § 287 ZPO als auch § 252 BGB verlangen für die Schadensberechnung die schlüssige Darlegung von Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen (vgl. BGH GRUR 2016, 860 Tz. 26 - Deltamethrin II; BGH GRUR 2008, 933 Tz. 19 - Schmiermittel). Wer Ersatz des Gewinns verlangt, der ihm in Folge einer durch eine unlautere geschäftliche Handlung verursachten Verminderung seines Umsatzes entgangen ist, muss dem Gericht die Tatsachen vortragen, die es diesem ermöglichen, zu beurteilen, dass er den als Schadenersatz verlangten Betrag tatsächlich als Gewinn erzielt hätte, wenn der Konkurrent das beanstandete Verhalten nicht vorgenommen hätte. Die Bestimmung des § 252 S. 2 BGB, nach welcher der Gewinn als entgangen gilt, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte und die Vorschrift des § 287 ZPO, nach der das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung darüber entscheidet, wie hoch sich ein unter den Parteien streitiger Schaden beläuft, entheben den Verletzten zwar der Notwendigkeit, den entgangenen Gewinn genau zu belegen. Sie ersparen es ihm jedoch nicht, dem Gericht eine tatsächliche Grundlage zu unterbreiten, die diesem eine wenigstens im Groben zutreffende Schätzung des entgangenen Gewinns ermöglicht (BGH GRUR 2016, 860 Tz. 21 - Deltamethrin II).
37
3. Der Umsatz des Verletzers kann als Anhaltspunkt für die Gewinneinbußen des Berechtigten von Bedeutung sein (vgl. BGH GRUR 2016, 860 Tz. 27 - Deltamethrin II; BGH GRUR 2008, 933 Tz. 20 - Schmiermittel; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann, UWG, 4. Auflage, § 9 Rdn. 138a).
38
Grundsätzlich begegnet es deshalb keinen Bedenken, wenn die Klägerin zur Darlegung ihres entgangenen Gewinns die Umsätze heranzieht, die die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum erzielt hat.
39
Allerdings gibt es keinen Erfahrungssatz dahin, dass der entgangene Gewinn dem Verletzergewinn entspricht, oder dass der Umsatz des Verletzers dem Verletzten zugutegekommen wäre. Die Umsatzentwicklung beim Verletzer kann allenfalls Anhaltspunkt, nicht alleinige Berechnungsgrundlage sein (vgl. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann, UWG, 4. Auflage, § 9 Rdn. 138b; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Auflage, § 9 Rdn. 1.35).
40
Auch im vorliegenden Fall bieten die Umsatzzahlen der Beklagten allein keine ausreichende Grundlage für eine Schadensberechnung oder Schadensschätzung. Dies gilt selbst dann, wenn man mit der Klägerin davon ausgeht, dass sie im maßgeblichen Zeitraum der einzige deutsche Hersteller war, der zu den Produkten „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ nach Grundkonstruktion und Funktionsweise vergleichbare Produkte als konformitätsbewertete Medizinprodukte der Klasse II a in Deutschland in den Verkehr gebracht hat. Denn auch in diesem Fall kann nicht angenommen werden, dass jeder Kaufentschluss - und damit der gesamte Umsatz der Beklagten - allein durch die übereinstimmenden Konstruktions- und Funktionsmerkmale und nicht durch andere wesentliche Umstände - wie eine bereits bestehende Vertragsbindung an die Beklagte - verursacht worden ist (vgl. BGH NJW 1992, 2753, 2756 - Tchibo/Rolex II).
41
So hat denn auch die Beklagte ausgeführt, dass eine von ihr durchgeführte Umfrage ergeben habe, dass nur eine/r von 170 Befragten auf die Frage „was sie getan hätten, wenn sie den R… SkinNeedler nicht gekauft hätten“ geantwortet habe, dass er das Produkt der Klägerin statt des Produktes der Beklagten erworben hätte (vgl. eidesstattliche Versicherung, B 6). Die Zeugin R… hat bei ihrer Zeugenvernehmung glaubhaft bekundet, die von der Beklagten initiierte Umfrage versandt und die in Anlage B 6 wiedergegebenen Ergebnisse erhalten zu haben.
42
4. Die Produkte der Beklagten unterlagen im haftungsrechtlich relevanten Zeitraum keinem per-se Verbot (siehe A.I.). Für die Ermittlung des Schadens der Klägerin kommt es folglich maßgeblich darauf an, welche Umsatzzahlen der Beklagten ursächlich darauf zurückzuführen sind, dass die Beklagte ihre Produkte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ mit einer medizinischen Zweckbestimmung, namentlich mit den Angaben „Erfolgreich gegen: […] atrophe Narben und Dehnungsstreifen“, wie geschehen in Anlage B 1, beworben hat.
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Dass alle von der Beklagten im Zeitraum vom 1. Quartal 2016 bis einschließlich 07.03.2018 veräußerten Produkte (514 „R… SkinNeedler“ und 37.880 „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“) von den Kunden der Beklagten ausschließlich wegen der Bewerbung der Produkte mit einer medizinischen Zweckbestimmung, wie geschehen mit Anlage B 1, erworben wurden, und nicht wegen anderer wesentlicher Umstände (etwa einer bestehenden Vertragsbindung), hat die Klägerin nicht nachzuweisen vermocht. Auch für eine Schadensschätzung fehlt es an ausreichenden Anhaltspunkten.
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a) Die Klägerin hat zum Nachweis der Kausalität eine Marktanalyse initiiert, in welcher sie im Zeitraum 03.06.2019 bis 07.06.2019 insgesamt 35 Kosmetikerinnen u.a. dazu befragt hat, in welchen Bereichen sie das Micro-Needling angewendet haben, und ob ein zertifiziertes Medizinprodukt ein ausschlaggebender Grund sei, um sich für den Kauf zu entscheiden. Die einvernommenen Zeuginnen D… H… und Dr. C… B… welche die Marktanalyse im Auftrag der Klägerin durchgeführt haben, haben glaubhaft und in Übereinstimmung mit den als Anlage K 8 und K 9 vorgelegten Unterlagen ausgesagt, dass 97,14 % der befragten Kosmetikerinnen angegeben haben, das Micro-Needling zur Behandlung von atrophen Narben und 45,71 % zur Behandlung von Dehnungsstreifen zu verwenden (vgl. Zeugenaussage H…, Protokoll Bl. 3 d.A.; Zeugenaussage Dr. B… Protokoll Bl. 5 d.A.). Ferner hätten fast alle Befragten angegeben, dass ihnen ein zertifiziertes Medizinprodukt sowie die Sterilität der Produkte wichtig seien (vgl. Zeugenaussage H…, Protokoll Bl. 3 d.A.; Zeugenaussage Dr. B… Protokoll Bl. 5 d.A.).
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b) Allerdings waren nach dem - insoweit unstreitigen - Vortrag der Klägerin 31 der 35 befragten Kosmetikerinnen vertraglich als „sog. Konzeptanbieter“ an die Beklagte gebunden. Dies haben die Zeuginnen H… und Dr. B… bestätigt (vgl. Zeugenaussage H…, Protokoll Bl. 3 d.A.; Zeugenaussage Dr. B… Protokoll Bl. 5 d.A.). Die Zeugin H… hat zudem ausgesagt, dass die vertragliche Bindung von den Befragten als ausschlaggebender Grund für den Kauf der streitgegenständlichen Produkte angegeben worden sei (vgl. Zeugenaussage H…, Protokoll Bl. 3 d.A.). Bereits aus diesem Grund trifft die seitens der Klägerin durchgeführte Umfrage keine ausreichende Aussage darüber, welcher Anteil der Kunden der Beklagten die streitgegenständlichen Produkte tatsächlich aufgrund der Bewerbung mit einer medizinischen Zweckbestimmung gemäß mit Anlage B 1 - und nicht etwa allein wegen der vertraglichen Bindung zur Beklagten - erworben hat.
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c) Die Zeuginnen H… und Dr. B… haben ferner ausgesagt, bei der durchgeführten Umfrage nicht erfragt zu haben, zu welchem Zeitpunkt die streitgegenständlichen Produkte von den Befragten erworben wurden und/oder, ob sie die Werbebroschüre, in welcher die Beklagte die medizinische Zweckbestimmung getroffen hat, kennen (vgl. Zeugenaussage H…, Protokoll Bl. 4 d.A.; Zeugenaussage Dr. B… Protokoll Bl. 5 d.A.). Nicht ausgeschlossen werden kann deshalb, dass ein Teil der Kunden die streitgegenständlichen Produkte zu medizinischen Zwecken eingesetzt hat, ohne von der entsprechenden Zweckbestimmung durch die Beklagte überhaupt Kenntnis erlangt zu haben. Auch dieser Teil der Kunden kann in die Schadensberechnung nicht einfließen.
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d) Die Zeugin H… hat schließlich den Vortrag der Klägerin gestützt, dass alle Befragten angegeben haben, die Produkte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ auch zu nicht-medizinischen Zwecken, namentlich zur Faltenbehandlung eingesetzt zu haben (vgl. Zeugenaussage H…, Protokoll Bl. 3 d.A.). Diese Aussage lässt sich ebenso der mit Anlage K 9 vorgelegten Tabelle entnehmen, welche nach Angaben der Zeugin Dr. B… von ihr erstellt und deren Inhalt von ihr als zutreffend anerkannt wurde (vgl. Zeugenaussage Dr. B…, Protokoll Bl. 5). Es ist deshalb davon auszugehen, dass ein Teil der Erwerber die streitgegenständlichen Produkte der Beklagten auch ohne eine medizinische Zweckbestimmung erworben hätte.
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e) Soweit die Klägerin darauf verweist, dass ein Großteil der Befragten in der von ihr initiierten Umfrage angegeben hat, dass ein zertifiziertes Medizinprodukt ein ausschlaggebender Grund für die Kaufentscheidung sei, ist dem entgegenzuhalten, dass der Umfrage wegen der geschlossenen, konkrete Antworten vorgebenden Fragestellung nur eingeschränkte Aussagekraft zukommt (vgl. BGH GRUR 1997, 669, 671 - Euromint). Vor allem aber steht diese Aussage im Widerspruch zu der Tatsache, dass die Produkte der Beklagten von den Kunden im streitgegenständlichen Zeitraum erworben wurden, obwohl sie gerade nicht zertifiziert waren.
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f) Welchen Einfluss die Bewerbung der Produkte „R… SkinNeedler“ und „R… SkinNeedler Precision Liner, sterilisierte Nadelmodule“ mit einer medizinischen Zweckbestimmung auf die Kaufentscheidung der Erwerber hatte, lässt sich danach nicht - auch nicht mit der für einen Mindestschaden ausreichenden Sicherheit - sagen.
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Eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens, auch in Form der Schätzung eines Mindestschadens, lässt § 287 ZPO aber nicht zu (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Auflage, § 9 Rdn. 1.35).
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5. Ausreichende Anknüpfungstatsachen für eine Schadensschätzung ergeben sich schließlich auch nicht aus den vorgetragenen Umsatzeinbußen der Klägerin im Jahr 2018 (vgl. Übersicht, K 10). Denn die Umsatzentwicklung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. So lassen sich auch der als Anlage K 10 vorgelegten „Übersicht der Verkaufszahlen eDs und eDs Tips“ Schwankungen entnehmen. Zwar verkaufte die Klägerin danach im Jahr 2016 und 2017 deutlich höhere Stückzahlen „eD…“ als im Jahr 2018, indes lagen die verkauften Stückzahlen im Jahr 2015 (noch) unterhalb der verkauften Stückzahlen im Jahr 2018.
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6. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung der notwendigen Anknüpfungstatsachen kam nicht in Betracht. Ein Sachverständiger ist erst dann hinzuzuziehen, wenn aus feststehenden Tatsachen kraft besonderer Fachkunde Schlussfolgerungen gezogen werden sollen. Der Sachverständige darf die Tatsachen, auf deren Grundlage er seine sachkundige Beurteilung vorzunehmen hat, grundsätzlich nicht von sich aus ermitteln. Das Beibringen dieser Tatsachen ist Sache der beweispflichtigen Partei (vgl. Zöller/Greger, § 404a Rdn. 3; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020 Rn. 7, ZPO § 355 Rn. 7).
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7. Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Klägerin ihre Produkte an Kosmetikerinnen hätte verkaufen dürfen, kommt es nach alledem nicht an, da die Klägerin den Schadensnachweis unabhängig von dieser Frage nicht zu führen vermochte.
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B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 269 ZPO.
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D. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1 und 2 ZPO.