Titel:
Verwaltungsgerichtsbarkeit keine "Superrevisionsinstanz"
Normenketten:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, § 43, § 88
GVG § 17a Abs. 2 S. 1
ZPO § 578 Abs. 1, § 579
Leitsätze:
1. Die Rüge des gesetzlichen Richters, Ablehnungsgesuche wegen Befangenheit etc. sind im Rahmen der Regelungen der jeweiligen Prozessordnung geltend zu machen; die Verwaltungsgerichtsbarkeit dient nicht dazu, als "Superrevisionsinstanz" die Einhaltung der grundgesetzlichen sowie gesetzlichen Vorgaben für die Prozesse anderer Rechtswege zu überprüfen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten unzulässig, ist grundsätzlich an das zuständige Gericht zu verweisen. Dies kommt jedoch nicht in Betracht, wenn für das Klagebegehren kein Rechtsweg offensteht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Isolierte Feststellung / Rüge gesetzlicher Richter, Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, Keine Verweisung bei fehlendem Rechtsweg, keine Verweisung bei fehlendem Rechtsweg, Superrevisionsinstanz, Rechtsweg unzulässig, Klage unzulässig, Verwaltungsrechtsweg unzulässig, gesetzlicher Richter, Ablehnungsgesuch, Befangenheit
Fundstelle:
BeckRS 2021, 14097
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Klägerin begehrt mit ihrer Klage zum Verwaltungsgericht München eine verwaltungsgerichtliche Feststellung in Bezug auf Verfahren beim Amtsgericht sowie Landgericht München I, dass die dortigen Richter nicht der gesetzliche Richter seien.
2
Sie begründet ihr Klagebegehren im Wesentlichen mit Fehlern in Geschäftsverteilungsplänen des Gerichts, gehäuften Verfahrensfehlern oder Nichtbeachtung obergerichtlicher Rechtsprechung durch die genannten Richter bzw. deren Nebentätigkeiten. Im Klageschriftsatz vom 31. Dezember 2019 führt die Klägerin aus, keine Abänderung der zivilgerichtlichen Entscheidungen zu begehren. Sie begehre die Klärung von Rechtsverhältnissen, deren Folgen in die Zukunft fortwirkten. In weiteren Schriftsätzen vom 23. Januar 2020, 11. Februar 2020, 17. April 2020, 22. Juni 2020, 20. Juli 2020, 23. Februar 2021, 8. April 2021, 9. April 2021, 10. April 2021 und 16. Mai 2021 erweitert die Klägerin ihre Klage um weitere Feststellungsanträge bzw. führt umfangreich zur Begründung aus. Die Feststellungsklage zum Verwaltungsgericht sei die richtige Klageart zur Feststellung der Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit oder der Verletzung der Fürsorgepflicht. Ein Richter, der nicht unabhängig sei bzw. seine Fürsorgepflicht verletze, sei systemimmanent nicht der gesetzliche Richter. Es liege eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art i.S.v. § 40 Abs. 1 VwGO vor. Das Prozessrechtsverhältnis sei ein öffentlich-rechtliches Sonderverhältnis zwischen den Parteien eines Prozesses und dem Gericht. Das Gericht sei aus dem Prozessrechtsverhältnis verpflichtet, einen Richter zu stellen, welcher den Anforderungen des gesetzlichen Richters entspreche. Die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter könne nicht nur im jeweils konkreten Verfahren gerügt werden. In jedem Fall habe der Rechtssuchende Anspruch darauf, dass er mit seiner Rüge vollumfänglich gehört werde. Sollte das Gericht Zweifel an seiner Zuständigkeit haben, möge es die Vorfrage der Zuständigkeit dem Europäischen Gerichtshof vorlegen.
3
Die Klägerin beantragt in der mündlichen Verhandlung, hinsichtlich deren Einzelheiten auf die Niederschrift Bezug genommen wird, bezugnehmend auf ihre bisherigen Schriftsätze:
dass in den Verfahren am Amtsgericht München
432 C 29093/13 der RiAG …
432 C 16299/14 der RiAG …
425 C1491/13 die RiinAG … sowie in den Verfahren am Landgericht München I
14 S 23048/14 der VorsRiLG …, der Ri … … sowie der RiLG …
14 S 9822/18 jedenfalls der VorsRiLG … jeweils nicht der gesetzliche Richter ist. Der jeweilige Richter hat gegen seine Unabhängigkeit bzw. Fürsorgepflicht bzw. gegen Dienstpflichten, Gesetz und Rechte verstoßen.
a) dass in der Berufungssache am Landgericht München I mit dem Aktenzeichen 15 S 20655/15 bzw. 31 S 20655/15, zuvor Amtsgericht München 425 C 1491/13 jedenfalls der Vorsitzende Richter am Landgericht … … und die Richterin am Landgericht … jedenfalls nicht der gesetzliche Richter ist - und dass der jeweilige Richter gegen seine Pflicht zur Unabhängigkeit verstoßen hat - sowie gegen seine Fürsorgepflicht bzw. gegen Dienstpflichten, Gesetz und Recht.
b) dass in der Berufungssache am Landgericht München I mit dem Aktenzeichen 31 S 10052/16, zuvor 433 C 32060/15 Amtsgericht München, jedenfalls der Vorsitzende Richter am Landgericht … … und die Richterin am Landgericht … jeweils nicht der gesetzliche Richter ist - und dass der jeweilige Richter gegen seine Pflicht zur Unabhängigkeit verstoßen hat - sowie gegen seine Fürsorgepflicht bzw. gegen Dienstpflichten, Gesetz und Recht.
c) dass in den Verfahren am Amtsgericht mit dem Aktenzeichen 433 C 32060/15 sowie 432 C 1202/20 die Richterin am Amtsgericht … nicht der gesetzliche Richter ist - und dass sie gegen ihre Pflicht zur Unabhängigkeit verstoßen hat/verstößt - sowie gegen ihre Fürsorgepflicht bzw. gegen Dienstpflichten, Gesetz und Recht.
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Es wird festgestellt, dass die im Verfahren 15 O 18985/19 am Landgericht München I sowie dem Verfahren 15 O 18389/20 am Landgericht München I tätigen Richter nicht die gesetzlichen Richter sind, insbesondere sind der Vorsitzende Richter am Landgericht … …, die Richterin am Landgericht … sowie der Richter am Landgericht … … nicht der gesetzliche Richter. Es wird festgestellt, dass in den Verfahren am Amtsgericht München mit dem Aktenzeichen 1533 M 57565/20 - die Rechtspflegerin …, 1513 M 12278/20 - die Richterin am AG …, 1533 M 58014/20 - die Rechtspflegerin …, 1507 M 6430/20,1508 M 11225/20, 1513 M 12278/20 nicht der gesetzliche Richter bzw. Rechtspfleger tätig sind.
- 1.
-
der Richter am Landgericht … ist in der Sache am Landgericht München I 16 T 3663/21 nicht der gesetzliche Richter.
- 2.
-
der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht … …, der Richter am Oberlandesgericht … und die Richterin am Oberlandesgericht … … sind im Verfahren am Oberlandesgericht 1 W 1734/20 nicht der gesetzliche Richter.
- 3.
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die Richterin am Amtsgericht … ist im Verfahren 512 F 9796/18 Amtsgericht München nicht der gesetzliche Richter. Die Richterin am Amtsgericht … ist im Verfahren 512 F 9796/18 Amtsgericht München der gesetzliche Richter.
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Hilfsweise wird beantragt, das Verwaltungsgericht möge die Sache dem zuständigen Gericht zur Entscheidung vorlegen.
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Es wird die Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nummer 3 VwGO beantragt.
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Die Beklagtenvertreter beantragen,
die Klage abzuweisen sowie die Berufung nicht zuzulassen.
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Mit Schriftsätzen vom 4. März 2020 und 19. März 2021 hat die Präsidentin des Amtsgerichts München Stellung genommen, mit Schriftsätzen vom 13. März 2020, 21. Januar 2021 und 3. März 2021 die Präsidentin des Landgerichts München I. Die Klage sei bereits unzulässig.
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig und daher abzuweisen. Der Verwaltungsrechtsweg ist nicht eröffnet (1.). Mangels eröffneten Rechtswegs für die begehrte Feststellung kommt eine Verweisung an ein anderes Gericht nicht in Betracht (2.).
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1. Der Verwaltungsrechtweg ist nicht eröffnet.
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Nach § 40 Abs. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
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Vorliegend mag die Klägerin mit dem Gericht in den genannten Verfahren in einem Prozessrechtsverhältnis stehen, soweit sie in diesen Verfahren Verfahrensbeteiligte ist. Dieses Rechtsverhältnis wird jedoch im Wesentlichen durch die Prozessordnungen und darin enthaltenen Verfahrensvorschriften des jeweiligen Rechtswegs bestimmt, in zivilgerichtlichen Verfahren somit im Wesentlichen durch die Zivilprozessordnung (ZPO). Soweit Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes, Gerichtskostengesetzes oder anderer Gesetze bzw. des Grundgesetzes dieses Prozessrechtsverhältnis mitbestimmen, gilt dies im Licht der jeweiligen Regelung des eröffneten Rechtswegs. Die Rüge des gesetzlichen Richters, Ablehnungsgesuche wegen Befangenheit etc. sind somit im Rahmen der Regelungen der jeweiligen Prozessordnung geltend zu machen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit dient gerade nicht dazu, als eine Art „Superrevisionsinstanz“ die Einhaltung der grundgesetzlichen sowie gesetzlichen Vorgaben für die Prozesse anderer Rechtswege zu überprüfen. Hierfür stehen (nur) die nach der jeweiligen Prozessordnung gegebenen Rechtsmittel und ggf. im Anschluss an die Ausschöpfung des Rechtswegs die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung. Insoweit entfalten die jeweiligen Prozessordnungen eine abdrängende Sonderzuweisung i.S.v.§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, soweit das Prozessrechtsverhältnis im Streit steht.
17
2. Zwar ist nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG das Verfahren grundsätzlich an das zuständige Gericht zu verweisen, wenn die Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs festgestellt wird. Dies kommt jedoch nicht in Betracht, wenn für das Klagebegehren kein Rechtsweg offensteht. Ein solcher ist vorliegend für das klägerische Begehren nicht eröffnet.
18
Die Klägerin begehrt ausdrücklich nicht die Abänderung der zivilgerichtlichen Entscheidungen. Insoweit kommt für das Gericht eine Verweisung an das Amtsgericht München bzw. Landgericht München I oder gar Oberlandesgericht München zum jeweiligen Verfahren als Rechtsmittel nicht in Betracht. Für die konkret formulierten Feststellungsbegehren findet sich darüber hinaus in der Zivilprozessordnung kein zulässiges Klagebegehren. Vielmehr wäre die Rüge des gesetzlichen Richters im jeweiligen Verfahren mit etwaiger Ausschöpfung der Rechtsmittel geltend zu machen. Für die Geltendmachung von Dienstpflichtverletzungen steht darüber hinaus (nur) die Dienstaufsichtsbeschwerde zur Verfügung, um die es sich vorliegend ebenso wenig handelt.
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Die Klage kann auch nicht als jeweilige Nichtigkeitsklage i.S.v. § 579 ZPO verstanden werden. Zwar ist das Gericht an die konkrete Antragstellung gemäß § 88 VwGO nicht gebunden und das Klagebegehren vielmehr in Bezug auf das dahinterliegende Rechtsschutzziel auszulegen. Eine Auslegung der erhobenen Klage als Nichtigkeitsklage zu den jeweilig genannten Aktenzeichen würde jedoch die Grenzen der Auslegung überschreiten. Die Nichtigkeitsklage zielt schließlich auf die Wiederaufnahme eines durch rechtkräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens ab, vgl. § 578 Abs. 1 ZPO. Das Begehr der Abänderung der zivilgerichtlichen Entscheidungen hat die Klägerin in ihrer Klageschrift jedoch ausdrücklich verneint. Der Klägerin geht es ausweislich der Klageschrift nicht um die Wiederaufnahme der jeweiligen zivilrechtlichen Verfahren, sondern um Feststellungen aus dem Prozessrechtsverhältnis, da diese in die Zukunft fortwirkten. Die Frage der Auslegungsmöglichkeit des Klagebegehrens als Nichtigkeitsklage wurde in der mündlichen Verhandlung diskutiert und der richterliche Hinweis erteilt, dass eine entsprechende Auslegung des Klagebegehrens vom Gericht nicht als einschlägig gesehen werde. Die Klägerin hat daraufhin von der - in der mündlichen Verhandlung angesprochenen - Möglichkeit einer Klageänderung keinen Gebrauch gemacht.
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Die Hauptanträge sind somit unzulässig. Der Hilfsantrag auf Verweisung an das zuständige Gericht geht ebenso ins Leere.
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Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass das Feststellungsbegehren - selbst für den Fall der Bejahung des Verwaltungsrechtswegs - unzulässig wäre. Für ein isoliertes Begehren im Wege einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO außerhalb des jeweiligen Verfahrens besteht kein berechtigtes Interesse an der Feststellung, ob der jeweilige Richter der gesetzliche Richter in diesem Verfahren ist. Hierzu können bereits die Rüge im jeweiligen Verfahren erhoben und Rechtsmittel eingelegt werden, zudem besteht die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage nach § 579 ZPO. Für eine isolierte Feststellungsklage besteht somit kein berechtigtes Interesse. Auch an einem Rechtsschutzbedürfnis würde es entsprechend fehlen.
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Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Das Gericht macht von der Möglichkeit der Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO trotz Antrags der Klägerin keinen Gebrauch. Zu einer Nichtzulassung ist das Gericht gemäß § 124 Abs. 1 Satz 3 VwGO nicht befugt. Sind nach Auffassung des Gerichts die Voraussetzungen der Berufungszulassung nicht gegeben, so darf es weder im Urteilstenor noch in den Entscheidungsgründen ausführen, dass und warum die Berufung nicht zuzulassen sei (vgl. Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2021, § 124a VwGO Rn. 15 m.w.N.)
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Auch dem Antrag auf Vorlage des Verfahrens an den Europäischen Gerichtshof ist keine Folge zu geben. Eine Vorlagepflicht besteht bereits nicht, da das Rechtsmittel des Antrags auf Zulassung der Berufung gegen die vorliegende Entscheidung besteht.