Titel:
Widerruf einer Reisegewerbekarte und erweiterte Gewerbeuntersagung wegen gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit
Normenketten:
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
GewO § 35 Abs. 1, § 57 Abs. 1
AO § 1 Abs. 2, § 225
ZPO § 882e Abs. 3 Nr. 1
Leitsätze:
1. Die Kriterien zur Feststellung der zur Versagung bzw. zum Widerruf einer Reisegewerbekarte führenden Unzuverlässigkeit entsprechen grundsätzlich denjenigen, die die Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO zu rechtfertigen vermögen (Anschluss an BVerwG BeckRS 1992, 31268660). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Unzuverlässigkeit kann sich hierbei insbesondere aus der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung ergeben (Anschluss an BVerwG BeckRS 2015, 48135 Rn. 14; BeckRS 1982, 30431244). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach diesen Maßstäben kann sich eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit daraus ergeben, dass der Gewerbetreibende erhebliche Steuerrückstände hat, ohne dass er nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet, und mehrfach die Abgabe der Vermögensauskunft verweigert hat (unter Hinweis auf VGH München BeckRS 2013, 55736). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit liegt vor, wenn der Gewerbetreibende Verpflichtungen verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur einen Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies ist bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen der Fall (Anschluss an BVerwG BeckRS 2015, 48135 Rn. 17; BeckRS 1982, 30431244; stRspr). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf der Reisegewerbekarte, Erweiterte Gewerbeuntersagung, Unzuverlässigkeit, Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen, Nichtabgabe der Vermögensauskunft, Reisegewerbekarte, Widerruf, erweiterte Gewerbeuntersagung, gewerberechtliche Unzuverlässigkeit, Zahlungsverpflichtungen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.10.2021 – 22 ZB 21.1862
Fundstelle:
BeckRS 2021, 14035
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Reisegewerbekarte sowie gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
2
Die Beklagte erteilte dem Kläger am 24. September 2008 eine unbefristete Reisegewerbekarte für das „Feilbieten von Weihnachtsbäumen, Feilbieten von Blumen, Pflanzen und Gestecken, Feilbieten von Bier und Wein in fest verschlossenen Behältnissen (ohne Verzehr an Ort und Stelle), Feilbieten und Abgabe/Ausschank von zubereiteten Speisen und Feilbieten und Ausschank von alkoholfreien Getränken (Reisegastwirt)“. Des Weiteren zeigte der Kläger zum 1. Juni 2016 bei der Beklagten die Ausübung des Gewerbes „Durchführung von Gütertransporten mit Kraftfahrzeugen, deren zulässiges Gesamtgewicht einschließlich Anhänger bis zu 3,5 t beträgt “ an.
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Das Kassen- und Steueramt der … … teilte der Beklagten mit Schreiben vom 28. Februar 2019 mit, dass beim Kläger ein Rückstand in Höhe von 16.755,40 Euro bestehe. Laut Mitteilung des Kassen- und Steueramt belaufe sich der Rückstand zum 16. Mai 2019 auf 14.123,22 Euro. Die Reduzierung der Forderung sei, abgesehen von einer freiwilligen Zahlung in Höhe von 205,- Euro im Mai 2019, auf eine teilweise Niederschlagung bzw. eine Einbehaltung von Sicherheitsleistungen zurückzuführen. Eine Zahlungsvereinbarung bestehe nicht. Nach den weiteren Ermittlungen der Beklagten bestanden beim Kläger sowohl am 20. März 2019 und als auch am 16. Mai 2019 vier Eintragungen im Schuldnerverzeichnis, davon drei Eintragungen wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft und eine Eintragung wegen Ausschlusses der Gläubigerbefriedigung.
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Mit Schreiben vom 20. März 2019 wurde der Kläger zu einem beabsichtigten Widerruf der Reisegewerbekarte und einer beabsichtigten erweiterten Gewerbeuntersagung angehört. Zugleich wurde der Industrie- und Handelskammer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Auf Bitte des Klägers um Fristverlängerung wurde das Verwaltungsverfahren bis zum 9. Mai 2019 ausgesetzt, um dem Kläger Gelegenheit zur Vorlage einer Bestätigung über die Löschung der Einträge im Schuldnerverzeichnis bzw. über das Einverständnis der Gläubiger hierzu sowie zur Vorlage einer Bestätigung über die Tilgung der Rückstände bzw. über eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Kassen- und Steueramt zu geben. Derartige Bestätigungen wurden nicht vorgelegt.
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Mit Bescheid vom 16. Mai 2019, ausweislich der Postzustellungsurkunde zugestellt am 21. Mai 2019, wurde die Reisegewerbekarte des Klägers für das „Feilbieten von Weihnachtsbäumen, Feilbieten von Blumen, Pflanzen und Gestecken, Feilbieten von Bier und Wein in fest verschlossenen Behältnissen (ohne Verzehr an Ort und Stelle), Feilbieten und Abgabe/Ausschank von zubereiteten Speisen und Feilbieten und Ausschank von alkoholfreien Getränken (Reisegastwirt)“ widerrufen (Nummer 1). Zudem untersagte die Beklagte dem Kläger die Ausübung des Gewerbes „Durchführung von Gütertransporten mit Kraftfahrzeugen, deren zulässiges Gesamtgewicht einschließlich Anhänger bis zu 3,5 t beträgt“ als selbständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe (Nummer 2) sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher gewerblicher Tätigkeit im stehenden Gewerbe (Nummer 3). Dem Kläger wurde aufgegeben, seine Tätigkeit spätestens zehn Tage nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung einzustellen und die Reisegewerbekarte bei der Beklagten abzugeben (Nummer 4). Für den Fall, dass der Kläger dieser Verpflichtung nicht nachkommt, wurde die Anwendung unmittelbaren Zwangs sowie die zwangsweise polizeiliche Einziehung der Reisegewerbekarte angedroht (Nummern 5 und 6). Die Kosten des Verwaltungsverfahrens in Höhe von 554,98 Euro wurden dem Kläger auferlegt (Nummer 7).
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Zur Begründung führt die Beklagte im Wesentlichen aus, der Kläger besitze nicht die zur selbständigen Ausübung seines Gewerbes und des Reisegewerbes erforderliche Zuverlässigkeit. Sein bisheriges Verhalten biete keine Gewähr für eine künftige ordnungsgemäße Ausübung seiner Gewerbe. Seine Unzuverlässigkeit ergebe sich insbesondere aus der Tatsache, dass er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachkomme. Aus der Eintragung im Schuldnerverzeichnis wegen Ausschlusses der Gläubigerbefriedigung ergebe sich, dass sich der Kläger in ungeordneten Vermögensverhältnissen befinde. Die Eintragungen wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft würden zudem die Leistungsunwilligkeit des Klägers zeigen. Ausgehend von seinem bisherigen Verhalten könne nicht davon ausgegangen werden, dass er seinen Verpflichtungen zukünftig ordnungsgemäß nachkomme. Aufgrund dessen müsste eine neu beantragte Reisegewerbekarte versagt werden. Der Widerruf der bereits erteilten Reisegewerbekarte diene der Beseitigung und Verhinderung eines unmittelbar drohenden Schadens für den Staat und die Allgemeinheit, da mit einem weiteren Anwachsen der Forderungen zu rechnen sei. Auch bedinge das Schutzinteresse der Allgemeinheit die Gewerbeuntersagung. Bei Abwägung aller Umstände sei der Widerruf der Reisegewerbekarte in Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens erforderlich und verhältnismäßig. Die Gewerbeuntersagung sei verhältnismäßig. Sie werde nach pflichtgemäßem Ermessen erweitert, da der Kläger gewerbeübergreifend unzuverlässig sei und ein Ausweichen auf anderweitige Gewerbetätigkeiten zu erwarten sei. Die Ausdehnung der Gewerbeuntersagung sei sachgerecht und geboten. Das Interesse des Gewerbetreibenden an der Ausübung jeglicher selbständiger Gewerbetätigkeit habe hinter dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit zurückzutreten. Die Androhung des unmittelbaren Zwangs und der zwangsweisen Einziehung der Reisegewerbekarte stütze sich auf Art. 29, 30, 34 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz.
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Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 14. Juni 2019, bei Gericht eingegangen am selben Tag, ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2019 aufzuheben.
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Zur Klagebegründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, es sei zu berücksichtigen, dass die Tätigkeiten des Klägers saisonal beschränkt seien. Der Rückstand beim Kassen- und Steueramt habe sich inzwischen verringert. Grund für den Rückstand sei ein Fehler des ehemaligen Steuerberaters, der sich insbesondere bei der Gewerbesteuer für das Jahr 2009 ausgewirkt habe. Zudem sei nicht nachgewiesen, dass das Kassen- und Steueramt die Zahlungen des Klägers richtigerweise auf die Hauptschuld und nicht fälschlicherweise auf die Zinsen und Zuschläge angerechnet habe. Insofern werde beantragt, der Beklagten aufzugeben, Rückstandsaufstellungen per 16. Mai 2019, per 28. Januar 2020 und per heute vorzulegen, die Entwicklung der Zahlungsrückstände des Klägers von 2013 bis heute darzustellen, die Zahlungen des Klägers von 2013 bis heute darzustellen und entsprechende Kontoauszüge vorzulegen, aus denen sich die Verwendung der Zahlungen ergebe. Der Kläger sei zahlungsfähig und zahlungswillig, was sich darin zeige, dass er Zahlungen an das Kassen- und Steueramt geleistet und sich seit Jahren um ein Sanierungskonzept bemühe habe. Am 31. Juli 2019 habe er eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Kassen- und Steueramt getroffen. Die Schulden des Klägers beim Kassen- und Steueramt seien in ihrer absoluten Höhe nicht geeignet, die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit zu begründen. Bei der Höhe des Zahlungsrückstands sei auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht anzunehmen, dass dieser nicht mehr in überschaubarer Zeit zurückgezahlt werden könne. Zudem sei ein etwaiger Erlassantrag auf (wenigstens) Halberlass der Säumniszuschläge erfolgversprechend, wodurch sich der Rückstand weiter reduzieren würde. Da einerseits das Kassen- und Steueramt der Beklagten mit dem Kläger eine Ratenzahlungsvereinbarung treffe, andererseits die Beklagte dem Kläger aber die gewerberechtliche Zuverlässigkeit abspreche, sei das Verhalten der Beklagten widersprüchlich. Auch der Schutz der Allgemeinheit erfordere die Gewerbeuntersagung nicht. Die Gewerbeuntersagung sei zudem unverhältnismäßig. So seien die Besonderheiten der Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf den Gewerbebetrieb des Klägers zu berücksichtigen. Auch habe die Beklagte den Sachverhalt nicht hinreichend ausermittelt, da ein Nachweis über die Höhe der Forderung des Kassen- und Steueramts und deren Aufschlüsselung fehle und nicht nachvollziehbar sei, welche Zahlungen dem Kläger seit 2013 zuzurechnen seien und wie diese verwendet worden seien.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung führt die Beklagte mit Schreiben vom 14. Februar 2020 im Wesentlichen aus, für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit sei auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen, etwaige nachträgliche Änderungen würden außer Betracht bleiben. Die gewerberechtliche Zuverlässigkeit beurteile sich allein nach objektiven Maßgaben, subjektive Aspekte seien nicht entscheidungserheblich.
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Mit Beschluss vom 14. Dezember 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Das Gericht hat am 26. Januar 2021 zur Sache mündlich verhandelt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb der Klagefrist von einem Monat gemäß § 74 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erhoben. Die Klage ist aber nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Rechtsgrundlage für den Widerruf der Reisegewerbekarte ist Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise widerrufen werden, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt zu versagen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre. Gemäß § 57 Abs. 1 Gewerbeordnung (GewO) ist die Reisegewerbekarte zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für die beabsichtigte Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Die Kriterien zur Feststellung der Unzuverlässigkeit entsprechen dabei grundsätzlich denjenigen, die die Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO zu rechtfertigen vermögen (vgl. BVerwG, B.v. 27.11.1992 - 1 B 204.92 - juris Rn. 3; Schönleiter in Landmann/Rohmer, GewO, Stand September 2020, § 57 Rn. 11). Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheidserlasses (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2017 - 22 C 16.1107 - juris Rn. 8).
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a) Die Beklagte ist zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers ausgegangen.
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Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung ergeben (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17.79 - juris). Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen (BVerwG, B.v. 16.2.1998 - 1 B 26.98 - juris).
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Auf die Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände und die Nichterfüllung von Erklärungspflichten kommt es nicht an, da sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit nach objektiven Kriterien bestimmt. Daher ist es grundsätzlich unerheblich, ob den Gewerbetreibenden hinsichtlich der Umstände, derentwegen ihm eine negative Prognose hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit seines künftigen gewerblichen Verhaltens ausgestellt werden muss, ein Verschuldensvorwurf trifft oder ihm „mildernde Umstände“ zur Seite stehen (BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17.79 - juris; BayVGH, B.v. 8.5.2015 - 22 C 15.760 - juris).
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Vielmehr muss im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Diese - durch die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gewerbeausübung begründete - Erwartung ist der eigentliche Grund, den wirtschaftlich leistungsunfähigen Gewerbetreibenden als unzuverlässig zu bewerten (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 146.80 - juris). Dieser Grund entfällt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 146.80 - juris). Ein er-folgversprechendes Sanierungskonzept setzt grundsätzlich voraus, dass mit den Gläubigern eine Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen und ein Tilgungsplan auch effektiv eingehalten wird (BayVGH, B.v. 8.7.2013 - 22 C 13.1163 - juris).
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Nach diesen Maßstäben rechtfertigt sich die negative Prognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers aus der Zusammenschau der im Zeitpunkt des Bescheidserlasses vorliegenden Tatsachen. So hatte der Kläger erhebliche Rückstände beim Kassen- und Steueramt, ohne dass er nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitete. Wie der Kläger erklärte, wurde die Zahlungsvereinbarung mit dem Kassen- und Steueramt erst nach Bescheidserlass getroffen. Hinzu kommt, dass der Kläger ausweislich der Eintragungen im Schuldnerverzeichnis mehrfach die Vermögensauskunft nicht abgegeben hat. Hieraus wird deutlich, dass der Kläger die zur Erfüllung der ihm im Vollstreckungsverfahren obliegenden Pflicht, seinen Gläubigern den notwendigen Überblick über seine Vermögensverhältnisse zu verschaffen, freiwillig nicht bereit und daher nicht nur leistungsunfähig, sondern auch leistungsunwillig ist (BayVGH, B.v. 28.8.2013 - 22 ZB 13.1419 - juris).
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Soweit der Kläger ausführt, es sei nicht nachgewiesen, dass das Kassen- und Steueramt die Zahlungen des Klägers bzw. die aus Pfändungen erlösten Beträge auf die Hauptforderung gebucht habe, wird auf die Vorschrift des § 225 Abgabenordnung (AO) hingewiesen, die gemäß § 1 Abs. 2 AO auch auf die Gewerbesteuer als Realsteuer, deren Verwaltung nach Art. 18 Kommunalabgabengesetz (KAG) den Gemeinden übertragen ist, anwendbar ist (vgl. BayVGH, U.v. 14.7.2016 - 4 BV 15.1540 - juris Rn. 17). Danach wird im Fall, dass ein Steuerpflichtiger mehrere Beträge schuldet und bei freiwilliger Zahlung der gezahlte Betrag nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden ausreicht, die Schuld getilgt, die der Steuerpflichtige bei der Zahlung bestimmt. Trifft der Steuerpflichtige keine Bestimmung, so werden mit einer freiwilligen Zahlung, die nicht sämtliche Schulden deckt, zunächst die Geldbußen, sodann nacheinander die Zwangsgelder, die Steuerabzugsbeträge, die übrigen Steuern, die Kosten, die Verspätungszuschläge, die Zinsen und die Säumniszuschläge getilgt. Wird die Zahlung im Verwaltungsweg erzwungen und reicht der verfügbare Betrag nicht zur Tilgung aller Schulden aus, derentwegen die Vollstreckung oder die Verwertung der Sicherheiten erfolgt ist, so bestimmt die Finanzbehörde die Reihenfolge der Tilgung. Hinweise darauf, dass das Kassen- und Steueramt dieser Vorschrift zuwidergehandelt hat, liegen nicht vor und wurden auch seitens des Klägers nicht substantiiert dargetan.
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b) Wie die Beklagte zu Recht ausgeführt hat, wäre ohne den Widerruf das öffentliche Interesse im Sinne von Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG gefährdet.
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Die Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden indiziert die konkrete Gefährdung wichtiger Gemeinschaftsgüter. Das öffentliche Interesse wird somit gefährdet, wenn gewerberechtlich unzuverlässige Gewerbetreibende nicht vom Markt ferngehalten werden (vgl. BVerwG, B.v. 17.8.1993 - 1 B 112.93 - juris Rn. 6; B.v. 6.9.1991 - 1 B 97.91 - juris; BayVGH, B.v. 21.3.2018 - 22 ZB 17.2358 - juris Rn. 14). So liegt es auch hier. Durch die Verletzung seiner steuerlichen Zahlungspflichten verschafft sich der Kläger insbesondere einen unlauteren Wettbewerbsvorteil gegenüber den konkurrierenden Gewerbetreibenden, die ihre Steuern pünktlich entrichten, und gefährdet die finanzielle Funktionsfähigkeit der öffentlichen Kassen sowie die Fairness des Wettbewerbs als Gemeinwohlgüter. Schon deswegen ist der Widerruf zur Abwehr einer Gefährdung des öffentlichen Interesses geboten (vgl. BayVGH, B.v. 19.1.2015 - 22 ZB 14.2220 - juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 14.8.2014 - 22 B 14.880 - juris Rn. 24, 27; BayVGH, B.v. 25.9.2012 - 22 ZB 12.731 - juris Rn. 13). Unabhängig davon wäre das öffentliche Interesse ohne den Widerruf auch deswegen konkret gefährdet, weil der Kläger, wie die im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses vorhandenen Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zeigen, in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt. Damit sind andere Geschäftspartner, insbesondere Lieferanten, der Gefahr von Zahlungsausfällen ausgesetzt, wenn sie mit dem Kläger in geschäftliche Beziehung treten (vgl. VG München, U.v. 16.9.2014 - 16 K 14.220 - juris).
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c) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, § 114 Abs. 1 VwGO. Auch erscheint der Widerruf der Reisegewerbekarte nicht unverhältnismäßig. Die Beklagte ist in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse, gewichtigen Pflichtverletzungen durch den Kläger als Gewerbetreibenden vorzubeugen, das vom Grundrecht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz (GG) geschützte private Interesse des Klägers an der Fortführung seiner selbstständigen gewerblichen Tätigkeit überwiegt.
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d) Auch die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 i.V.m. Art. 49 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG ist gewahrt.
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2. Rechtsgrundlage für die Untersagung des vom Kläger ausgeübten stehenden Gewerbes ist § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO. Danach ist die Ausübung eines Gewerbes ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebs beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.
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a) Wie bereits ausgeführt, ist die Beklagte aufgrund der Rückstände beim Kassen- und Steueramt sowie der Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers ausgegangen.
28
b) Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung des Gewerbes bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zu untersagen. Ein Ermessensspielraum steht der zuständigen Behörde insoweit grundsätzlich nicht zu. In Anbetracht der erheblichen Rückstände beim Kassen- und Steueramt sowie der Eintragungen im Vollstreckungsportal war die Untersagung der Gewerbeausübung auch zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich.
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c) Die Gewerbeuntersagung ist nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen kann (BVerwG, B.v. 19.1.1994 - 1 B 5/94 - juris). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen ex-tremen Ausnahmefalls sind, auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers, im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
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3. Rechtsgrundlage für die Erweiterung der Gewerbeuntersagung auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf die Ausübung jeglicher gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe ist § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO. Danach kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist.
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a) Die Beklagte hat aus überzeugenden Gründen eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit des Klägers angenommen.
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Eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Gewerbetreibende Verpflichtungen verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur einen Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies ist bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen der Fall (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff).
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Indem der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Kassen- und Steueramt nicht nachgekommen ist und ausweislich der Eintragungen im Vollstreckungsportal mehrfach die Vermögensauskunft nicht abgegeben hat, hat er Pflichten verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten. Dies rechtfertigt die Annahme, dass er ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes oder anderer gewerblicher Tätigkeiten an den Tag legen würde.
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b) Die Erstreckung der Gewerbeuntersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten ist auch erforderlich.
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Erforderlich ist die Erstreckung der Gewerbeuntersagung, wenn zu erwarten ist, dass der Gewerbetreibende auf entsprechende andere gewerbliche Tätigkeiten ausweichen wird. Dabei folgt die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung schon daraus, dass der Gewerbetreibende trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festgehalten hat, wodurch er regelmäßig seinen Willen bekundet hat, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt, eine anderweitige Gewerbeausübung nach Lage der Dinge also ausscheidet (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff). Solche besonderen Umstände sind im vorliegenden Fall weder vorgetragen noch ersichtlich.
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c) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, § 114 Abs. 1 VwGO.
37
Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO steht im Ermessen der Behörde. Ist ein Gewerbetreibender in Bezug auf andere - nicht ausgeübte - gewerbliche Betätigungen unzuverlässig und ist die Untersagung auch hinsichtlich dieser Betätigungen erforderlich, so ist eine Ermessensentscheidung, die von der Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung Gebrauch macht, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht rechtswidrig, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken soll (BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff). Eine Ermessenserwägung dieser Art lässt sich der angefochtenen Untersagungsverfügung entnehmen.
38
d) Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung ist nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Ausschluss eines gewerbeübergreifend unzuverlässigen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung durch Art. 12 Grundgesetz in Einklang steht. Sind die Voraussetzungen auch der erweiterten Gewerbeuntersagung erfüllt, kann die Untersagung grundsätzlich nicht hinsichtlich der Folgen unverhältnismäßig sein (BVerwG, B.v. 12.1.1993 - 1 B 1/93 - juris). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines extremen Ausnahmefalls sind, auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers, im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
39
4. Hinsichtlich der Bemessung der Frist zur Einstellung der Gewerbeausübung und zur Abgabe der Reisegewerbekarte sowie hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung bestehen keine rechtlichen Bedenken.
40
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.