Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 10.06.2021 – Vf. 25-VII-21
Titel:

Einsetzung des Ferienausschusses als "Notparlament"

Normenketten:
BV Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 1
BayGO Art. 47a, Art. 120b Abs. 3
Leitsätze:
1. Aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) folgt in der repräsentativen Demokratie das Gebot, die gewählten Abgeordneten in Statusfragen sowie bei der Ausübung ihrer Rechte gleichzubehandeln. Das Gebot der Gleichbehandlung kommt gemäß Art. 12 Abs. 1 BV auch mit Blick auf die Mitwirkungsrechte der Gemeinderatsmitglieder zum Tragen. Obwohl der Gemeinderat kein Parlament, sondern ein Verwaltungsorgan ist, verkörpert er auf der kommunalen Ebene in gleicher Weise das System der repräsentativen Demokratie wie der Bayerische Landtag auf Landesebene. (Rn. 34 und 36 – 37)
2. Dies steht der Bildung von - auch beschließenden - Ausschüssen unter Wahrung des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit nicht entgegen, auch wenn durch die proportionale Sitzzuteilung und die jeweilige Ausschussgröße kleinere Fraktionen oder fraktionslose Ratsmitglieder bei der Zuteilung der Ausschusssitze leer ausgehen können. Die Übertragung von Befugnissen auf Ausschüsse darf jedoch nicht dazu führen, dass die dem Gemeinderat - also der Gesamtheit seiner Mitglieder - nach Art. 12 Abs. 1 BV vorbehaltene Rolle als zentrale Führungsinstanz der Gemeinde angetastet wird. (Rn. 39)
3. Die in Art. 120 b Abs. 3 GO enthaltenen Bestimmungen zur möglichen Erhöhung des Einsetzungszeitraums eines Ferienausschusses im Jahr 2021 und zur Einsetzung eines beschließenden Ausschusses mit den Befugnissen eines Ferienausschusses in sonstigen Zeiträumen des Jahres 2021 stellen eine weitgehende und schwerwiegende Durchbrechung des Grundsatzes der Wahlgleichheit dar, die sich nur als ultima ratio zur Aufrechterhaltung der Funktionen des Gemeinderats in den Zeiten des gegenwärtigen Pandemiegeschehens rechtfertigen ließe. Mangels darauf abstellender tatbestandlicher Ausgestaltung sind die Regelungen mit Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV unvereinbar. (Rn. 44 – 45)
Schlagworte:
repräsentative Demokratie, Gemeinderat, Ferienausschuss, beschließender Ausschuss, Grundsatz der Spiegelbildlichkeit, Abgeordnetenrechte, Wahlrechtsgleichheit, "Notparlament", Corona-Pandemie, Hybridsitzung
Fundstellen:
BayVBl 2021, 548
DÖV 2021, 896
BeckRS 2021, 13970
LSK 2021, 13970

Tenor

1.    Art. 120 b Abs. 3 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung – GO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1998 GVBl S. 796, BayRS 2020-1-1-I), die zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 9. März 2021 (GVBl S. 74) geändert worden ist, ist mit Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV unvereinbar und nichtig. Bis einschließlich 11. Juni 2021 von Ausschüssen im Sinn des Art. 120 b Abs. 3 GO gefasste Beschlüsse bleiben davon unberührt. Art. 120 b Abs. 3 Sätze 1 und 4 GO sind insoweit weiterhin anwendbar, als eine Gemeinde, die am 11. Juni 2021 für einen zurückliegenden Zeitraum im Jahr 2021 bereits einen Ferienausschuss von längstens sechs Wochen eingesetzt hatte, erneut gemäß Art. 32 Abs. 4 Satz 1 GO eine Ferienzeit bis zu sechs Wochen bestimmen kann.
2.    Den Antragstellern sind die durch das Popularklageverfahren entstandenen notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten.

Entscheidungsgründe

I.
1
1. Mit ihrer am 19. März 2021 eingegangenen Popularklage begehren die Antragsteller die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Art. 120 b Abs. 3 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung - GO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1998 (GVBl S. 796, BayRS 2020-1-1- I), die zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 9. März 2021 (GVBl S. 74) geändert worden ist. Zugleich beantragen sie die vorläufige Außervollzugsetzung des Art. 120 b Abs. 3 GO, der folgenden Wortlaut hat:
Art. 120 b Weitere Erleichterungen anlässlich der Corona-Pandemie
[…]
(3) 1Der Gemeinderat kann den Einsetzungszeitraum eines Ferienausschusses für das Jahr 2021 abweichend von Art. 32 Abs. 4 Satz 1 durch Beschluss auf drei Monate erhöhen. 2Für die Zeiträume, in denen er keinen Ferienausschuss einsetzt, kann er für die Dauer von bis zu drei Monaten, längstens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2021, einen beschließenden Ausschuss einsetzen, der die Befugnisse eines Ferienausschusses nach Art. 32 Abs. 4 hat. 3Der Gemeinderat kann den Einsetzungszeitraum durch Beschluss um jeweils bis zu weitere drei Monate, längstens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2021, verlängern. 4Beschlüsse nach den Sätzen 1 bis 3 bedürfen einer Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder des Gemeinderats. 5Endet die vom Deutschen Bundestag auf Grund der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 festgestellte epide-mische Lage von nationaler Tragweite nach den Bestimmungen des Infek-tionsschutzgesetzes, treten Beschlüsse nach den Sätzen 2 und 3 eine Woche nach dem Ende der epidemischen Lage mit Wirkung für die Zukunft außer Kraft.
2
Art. 120 b wurde durch § 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 9. März 2021 (GVBl S. 74) in die Gemeindeordnung eingefügt und trat gemäß dessen § 6 Abs. 2 Nr. 2 rückwirkend zum 12. Februar 2021 in Kraft.
3
2. Die Zahl der Mitglieder eines Gemeinderats bemisst sich nach der Einwohnerzahl der Gemeinde und reicht von acht in Gemeinden mit bis zu 1.000 Einwohnern bis zu 80 in der Landeshauptstadt München (Art. 31 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GO). Beschließende Ausschüsse wie der Ferienausschuss sind dadurch gekennzeichnet, dass sie (im Unterschied zu vorberatenden Ausschüssen im Sinn des Art. 32 Abs. 1 GO) nicht nur bezüglich der (Vor-)Beratung, sondern auch bezüglich der Entscheidung an die Stelle des Gemeinderats treten (Art. 32 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 GO). Ihre Zusammensetzung regelt der Gemeinderat in der Geschäftsordnung, wobei er dem Stärkeverhältnis der in ihm vertretenen Parteien und Wählergruppen Rechnung zu tragen hat (Art. 33 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GO).
4
Im Übrigen unterscheiden sich die beschließenden Ausschüsse und der Ferienausschuss in zweierlei Hinsicht. Die in Art. 32 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 bis 10 GO aufgelisteten besonders wichtigen Angelegenheiten können nicht vom Gemeinderat auf beschließende Ausschüsse übertragen werden. In prozeduraler Hinsicht ermöglicht Art. 32 Abs. 3 Satz 1 GO dem Gemeinderat zudem eine Kontrolle der in einem beschließenden Ausschuss erfolgten Willensbildung, indem der erste Bürgermeister oder sein Stellvertreter im Ausschuss, ein Drittel der stimmberechtigten Ausschussmitglieder oder ein Viertel der Gemeinderatsmitglieder binnen einer Woche die Nachprüfung durch den Gemeinderat beantragen kann (sog. Reklamationsrecht). Beide Kautelen gelten für die Tätigkeit des Ferienausschusses nicht, da Art. 32 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 GO die Absätze 2 und 3 der Vorschrift auf ihn für nicht anwendbar erklärt.
5
3. Durch § 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 9. März 2021 wurde, ebenfalls mit Wirkung vom 12. Februar 2021 (§ 6 Abs. 2 Nr. 2), ein neuer Art. 47 a in die Gemeindeordnung eingefügt, der vorsieht, dass Gemeinderatsmitglieder an Sitzungen des Gemeinderats mittels Ton-BildÜbertragung teilnehmen können. Art. 47 a GO hat folgenden Wortlaut:
Art. 47 a Sitzungsteilnahme durch Ton-Bild-Übertragung
(1) 1Gemeinderatsmitglieder können an den Sitzungen des Gemeinderats mittels Ton-Bild-Übertragung teilnehmen, soweit der Gemeinderat dies in der Geschäftsordnung zugelassen hat. 2Der Beschluss bedarf einer Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder des Gemeinderats. 3Zugeschaltete Gemeinderatsmitglieder gelten in diesem Fall als anwesend im Sinn von Art. 47 Abs. 2. 4Der Gemeinderat kann die Anzahl der in einer Sitzung zuschaltbaren Gemeinderatsmitglieder in der Geschäftsordnung zahlen- oder quotenmäßig begrenzen. 5Er kann die Zuschaltmöglichkeit auch von weiteren Voraussetzungen abhängig machen, insbesondere von einer Verhinderung an der Teilnahme im Sitzungssaal. 6Bei einer Zuschaltung mittels Ton-Bild-Übertragung ist eine Teilnahme an Wahlen nicht möglich.
(2) Die Möglichkeit einer Sitzungsteilnahme mittels Ton-Bild-Übertragung ist ausgeschlossen, soweit die Sitzung als solche oder Beratungsgegenstände nach Art. 56 a Abs. 1 Satz 1 geheim zu halten sind oder nach den gemäß Art. 56 a Abs. 2 zu beachtenden Verwaltungsvorschriften und Richtlinien der Geheimhaltung unterliegen.
(3) 1Der erste Bürgermeister und die Gemeinderatsmitglieder müssen sich in der Sitzung gegenseitig optisch und akustisch wahrnehmen können. 2In öffentlichen Sitzungen müssen per Ton-Bild-Übertragung teilnehmende Gemeinderatsmitglieder zudem für die im Sitzungssaal anwesende Öffentlichkeit entsprechend wahrnehmbar sein. 3Für die Zwecke der Sätze 1 und 2 ist die Übertragung von Bild und Ton der an der Sitzung teilnehmenden Personen unabhängig davon zulässig, ob sie in die Übertragung einwilligen.
(4)1Die Gemeinde hat dafür Sorge zu tragen, dass in ihrem Verantwortungsbereich die technischen Voraussetzungen für eine Zuschaltung mittels Ton-Bild-Übertragung während der Sitzung durchgehend bestehen. 2 Ist dies nicht der Fall oder steht nicht fest, ob eine Nichtzuschaltung in den Verantwortungsbereich der Gemeindeverwaltung oder des Gemeinderatsmitglieds fällt, darf die Sitzung nicht beginnen oder ist sie unverzüglich zu unterbrechen. 3 Ein Verstoß ist unbeachtlich, falls die zunächst nicht zugeschalteten Gemeinderatsmitglieder rügelos an der Beschlussfassung teilnehmen. 4 Kommt eine Zuschaltung aus Gründen, die nicht im Verantwortungsbereich der Gemeinde liegen, nicht zu Stande oder wird sie unterbrochen, hat dies keine Auswirkung auf die Wirksamkeit eines ohne das betreffende Gemeinderatsmitglied gefassten Beschlusses. 5Soweit sich eine Gemeinde darauf beschränkt, die Plattform zur audiovisuellen Zuschaltung zur Verfügung zu stellen, und entweder mindestens ein Gemeinderatsmitglied zugeschaltet ist oder ein Test bestätigt, dass eine Zu-schaltmöglichkeit besteht, wird vermutet, dass der Grund für eine Nichtzuschaltung eines Gemeinderatsmitglieds nicht im Verantwortungsbereich der Gemeinde liegt.
(5) 1Lässt eine Gemeinde eine Zuschaltung mittels Ton-Bild-Übertragung bei nichtöffentlichen Sitzungen zu, haben die zugeschalteten Gemeinderatsmitglieder dafür Sorge zu tragen, dass die Übertragung in ihrem Verantwortungsbereich nur von ihnen wahrgenommen werden kann. 2Art. 20 Abs. 4 Satz 1 gilt entsprechend.
6
Die Antragsteller rügen, Art. 120 b Abs. 3 GO verstoße gegen das Grundrecht aus Art. 118 Abs. 1 BV, da die Regelung zur Folge habe, dass einzelne Gemeinderatsmitglieder oder kleine Fraktionen bei einer Beschlussfassung in den neu vorgesehenen beschließenden Ausschüssen gänzlich von der Teilnahme an Sitzungen ausgeschlossen seien. Darin liege eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Gemeinderatsmitgliedern, die in den beschließenden Ausschüssen mitarbeiteten. Zudem seien die von der Teilnahme an den vorgesehenen Ausschüssen ausgeschlossenen Gemeinderäte in der Regel der Opposition zuzuordnen; der über Art. 12 Abs. 1 BV auch für die Opposition in Gemeinderäten zur Geltung kommende Programmsatz des Art. 16 a BV beinhalte unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 118 Abs. 1 BV mindestens, die eigene Auffassung vertreten zu können, so wie es den an den beschließenden Ausschüssen teilnehmenden Gemeinderäten zugebilligt werde.
7
Die angegriffenen Regelungen seien nicht erforderlich. Die durch Art. 47 a GO ermöglichten Hybridsitzungen seien im Vergleich zu beschließenden Ausschüssen gemäß Art. 120 b Abs. 3 GO ein milderes Mittel, da sie (ebenso wie beschließende Ausschüsse nach Art. 120 b Abs. 3 GO) die Gesundheit der Gemeinderatsmitglieder schützten, gleichzeitig aber die Handlungs- und Beschlussfähigkeit des Gemeinderats wahrten. Die in der Begründung zum Gesetzentwurf (LT-Drs. 18/13024) enthaltenen Ausführungen dazu, dass Hybridsitzungen (im Sinn des Art. 47 a GO) nicht jederzeit möglich seien, da weder die technischen Voraussetzungen noch der Wille der Gemeinderatsmitglieder, an solchen Sitzungen teilzunehmen, sicherzustellen seien, seien angesichts der Anforderungen, die während der Corona-Pandemie an Familien mit schulpflichtigen Kindern gestellt würden, geradezu absurd. Die Verwaltungen der Kommunen seien zweifelsohne in der Lage, dem schulischen Bereich vergleichbar, solche Voraussetzungen herzustellen. Zudem sei es mit Blick auf die inzwischen vorgesehenen und überall ergriffenen Hygienemaßnahmen auch möglich, Präsenzsitzungen durchzuführen, ohne dadurch die Gesundheit der Gemeinderatsmitglieder in unzumutbarer Weise zu gefährden. Auch stellte es ein milderes Mittel dar, wenn die zeitliche Beschränkung der beschließenden Ausschüsse (Art. 120 b Abs. 3 Satz 5 GO) an den Fortbestand der Ausrufung des Katastrophenfalls in Bayern statt an den Fortbestand der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag angeknüpft würde. Dass die angegriffenen Bestimmungen nicht erforderlich seien, ergebe sich schließlich auch daraus, dass andere Länder keine derart weitreichenden Regelungen getroffen hätten. So sehe ein Gesetzentwurf der nordrheinwestfälischen Landesregierung vor, dass in bestimmten Ausnahmefällen eilbedürftige, der Beschlussfassung des Gemeinderats unterliegende Angelegenheiten im Umlaufverfahren behandelt werden können, wenn sich vier Fünftel der Gemeinderatsmitglieder damit einverstanden erklärten. In Niedersachsen und Sachsen dagegen könne im schriftlichen oder elektronischen Verfahren nur über Gegenstände einfacher Art und geringer Bedeutung beschlossen werden, und auch dies nur, wenn dem kein Gemeinderatsmitglied widerspreche. Zwar seien Umlaufbeschlüsse wegen der entfallenden Debatte und der ausgeschlossenen Öffentlichkeit unter Demokratiegesichtspunkten bedenklich; wegen der Beschränkung auf minder bedeutsame Angelegenheiten bei Widerspruchsmöglichkeit aller Gemeinderatsmitglieder handle es sich aber dennoch um ein im Vergleich zu den angegriffenen Bestimmungen milderes Mittel.
8
Art. 120 b Abs. 3 GO sei auch nicht verhältnismäßig im engeren Sinn. Der unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips massive Eingriff sei besonders schwerwiegend, weil die Situation bis zum 31. Dezember 2021 andauern könne. Das Ziel, durch die Einrichtung beschließender Ausschüsse nach dem Muster von Ferienausschüssen den Schutz der Gesundheit zu gewährleisten und Neuinfektionen zu verhindern, stehe in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Grundrechtseingriff, da neben der Möglichkeit von Hybridsitzungen oder Videokonferenzen auch Schnelltests zur Verfügung stünden, die eine unkomplizierte Maßnahme zur Feststellung einer Erkrankung gewährleisteten. Auch sei allein durch das Einhalten des Abstandsgebots und das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gemäß § 1 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung eine Infektionsgefahr derart gering, dass die Einrichtung beschließender Ausschüsse nicht gerechtfertigt sei. Von einer Gemeinderatssitzung gehe sicherlich keine höhere Infektionsgefahr aus als von den Tätigkeiten des alltäglichen Lebens wie dem Einkaufen oder der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.
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Die Problematik und die Dringlichkeit des Antrags lasse sich am Beispiel des Stadtrats der Stadt Regensburg illustrieren. Dieser habe am 25. März 2020 im Umlaufverfahren beschlossen, sämtliche Ausschüsse bis Ende April 2020 entfallen zu lassen und stattdessen einen Ferienausschuss mit drei Sitzungen in diesem Zeitraum einzusetzen, wobei nicht der gesamte fünfwöchige Zeitraum, sondern allein die drei Sitzungstage als Ferienzeit definiert worden seien; zugleich sei die sechswöchige Ferienzeit im Sommer um drei Tage verkürzt worden, um die sechswöchige Frist des Art. 32 Abs. 4 Satz 1 GO nicht zu überschreiten. Da der Ferienausschuss (bei einer Größe des Stadtrats von 50 Mitgliedern) nur 16 Mitglieder habe, seien im Ergebnis etwa zwei Drittel der Stadtratsmitglieder über einen Zeitraum von insgesamt drei Monaten von den Sitzungen des Stadtrats ausgeschlossen gewesen.
III.
10
1. Der Bayerische Landtag hält die Popularklage für unbegründet. Er hat im Hauptsacheverfahren - wie die Bayerische Staatsregierung bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - ausgeführt, dass Art. 120 b Abs. 3 GO kein durch die Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig einschränke; etwaige auf das Jahr 2021 begrenzte Einschränkungen seien verhältnismäßig und angemessen und aufgrund der Erwägungen des Gesetzgebers gerechtfertigt.
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a) Dass ein Gemeinderat Entscheidungsbefugnisse in weitem Umfang auf beschließende Ausschüsse übertragen könne, folge nicht erst aus Art. 120 b Abs. 3 GO, sondern bereits aus Art. 32 Abs. 2 GO, der nur bestimmte Gegenstände der Entscheidung des Gemeinderats vorbehalte, während der Ferienausschuss nach Art. 32 Abs. 4 GO in einem auf sechs Wochen im Kalenderjahr beschränkten Zeitraum grundsätzlich alle sonst dem Gemeinderat vorbehaltenen Entscheidungen treffen könne. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Befugnis zur Entscheidungsdelegation sei bisher nicht in Zweifel gezogen worden. Wenn diese Delegationsmöglichkeit schon in einer „Normallage“ zulässig sei, müsse dies umso mehr gelten, wenn in einer pandemiebedingten Krisenlage für einen nur eng begrenzt zugelassenen Zeitkorridor aus überragend wichtigen Gründen weitergehende Möglichkeiten geschaffen würden. Die Bedeutung und Wirkung des Art. 120 b Abs. 3 GO beschränke sich vor dem Hintergrund der bereits nach Art. 32 Abs. 2 GO bestehenden Übertragungsbefugnisse darauf, pandemiebedingt vorübergehend sonst dem Gemeinderat als Vollgremium vorbehaltene Entscheidungen treffen zu können. Die erweiterte Übertragungsmöglichkeit sei aufgrund ihrer Verknüpfung mit der vom Deutschen Bundestag aufgrund der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 nach dem Infektionsschutzgesetz festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Art. 120 b Abs. 3 Satz 5 GO) gerechtfertigt.
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b) Die mit Art. 120 b Abs. 3 Satz 1 GO eröffnete Möglichkeit, den Einsetzungszeitraum eines Ferienausschusses für das Jahr 2021 durch Beschluss auf drei Monate zu erhöhen, diene dazu, den Gemeinden, die den in Art. 32 Abs. 4 Satz 1 GO vorgesehenen Ferienzeitraum von sechs Wochen aus Gründen des Infektionsschutzes auf den Jahresbeginn verschoben haben, auch in der eigentlichen Ferienzeit die Einsetzung eines Ferienausschusses zu ermöglichen. Auch die Regelungen in Art. 120 b Abs. 3 Sätze 2 und 3 GO betreffend die Einsetzung eines beschließenden Ausschusses mit den Befugnissen eines Ferienausschusses sowie die Verlängerung dessen Einsetzungszeitraums spiegelten die Intention des Gesetzgebers wider. Sie seien geboten, da trotz mittlerweile verfügbarer Impfstoffe die weitere Entwicklung des Infektionsgeschehens nicht abgeschätzt werden könne und solange das Erfordernis bestehe, die Entscheidungsgremien auf kommunaler Ebene möglichst klein zu halten.
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c) Die auf der Grundlage des Art. 120 b Abs. 3 GO möglichen Einschränkungen seien erforderlich und angemessen und damit verhältnismäßig.
14
aa) Sie seien erforderlich, da gleich geeignete mildere Mittel nicht zur Verfügung stünden.
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(1) Durch die nun mit Art. 47 a GO eröffnete Möglichkeit, Hybridsitzungen zuzulassen, könne der vom Gesetzgeber erstrebte Zweck, die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Gemeinde bei einer Reduzierung von Kontakten sicherzustellen, nur in Grenzen erreicht werden. Diese Möglichkeit, die in vielen Gemeinden kurzfristig nicht zur Verfügung stehe, stelle eine geringere Zahl von Ratsmitgliedern im Sitzungssaal nicht sicher, da die Entscheidung, an der Sitzung per TonBildÜbertragung statt in Präsenz teilzunehmen, bewusst jedem einzelnen Ratsmitglied überlassen bleibe. Mit Art. 120 b Abs. 3 und Art. 47 a GO habe der Gesetzgeber mehrere, aber in keinem Vorrangverhältnis stehende Optionen eröffnet, um handlungs- und entscheidungsfähig zu bleiben und zugleich Infektionsrisiken reduzieren zu können.
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(2) Auch reine Videokonferenzen stellten kein gleich geeignetes milderes Mittel dar. Sie würden, anders als die durch Art. 47 a GO ermöglichten Hybridsitzungen, in die Rechte der Ratsmitglieder eingreifen, indem sie nur audiovisuell an der Sitzung teilnehmen könnten oder gar nicht. Zudem sei auch der Eingriff in den Grundsatz der Präsenzsitzung zu bedenken, der seinerseits mit dem Grundsatz der größtmöglichen Sitzungsöffentlichkeit in Zusammenhang stehe. Die Übertragung einer Ratssitzung im Internet sei zwar trotz Schwierigkeiten mit Blick auf den Datenschutz und die Wahrung von Persönlichkeitsrechten denkbar, erreichte jedoch nur einen Teil der Öffentlichkeit, nicht aber Bevölkerungsgruppen, die kein Internet nutzten oder aufgrund fehlender Infrastruktur davon abgeschnitten seien.
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(3) Der Einwand der Antragsteller, mit Hygienemaßnahmen sei es stets möglich, Präsenzsitzungen aller Gemeinderatsmitglieder abzuhalten, greife nicht durch. Hygienemaßnahmen könnten auch bei strenger Beachtung ein Infektionsrisiko nur reduzieren, aber nicht gänzlich vermeiden.
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(4) Die gewählte zeitliche Höchstgrenze für Delegationen gemäß Art. 120 b Abs. 3 GO halte sich im Rahmen des dem Gesetzgeber aufgrund seiner Einschätzungsprärogative zustehenden Ermessensspielraums.
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(5) Eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren komme als milderes Mittel nicht in Betracht, da sie mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz als einem tragenden Grundsatz des Kommunalverfassungsrechts nicht in Einklang stünde und die Transparenz der Entscheidungsfindung für die Akzeptanz der Entscheidungen gerade dann von großer Bedeutung sei, wenn die Gemeinden - wie in der gegenwärtigen Situation - teils weitreichende Entscheidungen zulasten ihrer Bürgerinnen und Bürger treffen müssten.
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bb) Die durch Art. 120 b Abs. 3 GO ermöglichten Einschränkungen seien auch angemessen.
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(1) Die Einsetzungs- und Verlängerungsbeschlüsse gemäß Art. 120 b Abs. 3 GO seien vom Gemeinderat selbst zu fassen, so dass sich jedes Gemeinderatsmitglied aktiv in die diesbezügliche Beratung und Beschlussfassung einbringen und so an der politischen Entscheidungsfindung mitwirken könne.
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(2) Der Gemeinderat müsse Beschlüsse gemäß Art. 120 b Abs. 3 GO mit einer Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder fassen und könne auch einen kürzeren Einsetzungszeitraum als die längstens vorgesehenen drei Monate festsetzen. Die Handlungsmöglichkeiten des Art. 120 b Abs. 3 GO bestünden längstens bis zum 31. Dezember 2021 und hingen von der vom Deutschen Bundestag aufgrund der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 nach dem Infektionsschutzgesetz festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite ab.
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(3) Das Recht eines jeden Gemeinderatsmitglieds, Anträge zu stellen, über die der Ferienausschuss bzw. ein beschließender Ausschuss zu beraten und zu beschließen habe, bleibe ebenso unberührt wie die Kompetenz des Gemeinderats, Beschlüsse eines Ferienausschusses oder eines nach Art. 120 b Abs. 3 GO eingesetzten beschließenden Ausschusses später aufzuheben oder zu ändern. Deshalb bestehe nicht die Gefahr, dass Gemeinderatsmitglieder von grundsätzlichen Angelegenheiten, die weder dringlich noch irreversibel sind, von vornherein ausgeschlossen wären.
24
2. Nach Ansicht der Bayerischen Staatsregierung ist die Popularklage jedenfalls unbegründet. Sie hat im Hauptsacheverfahren ergänzend Folgendes vorgetragen:
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a) Zur Frage der Zulässigkeit der Popularklage werde angemerkt, dass die Beteiligung des einzelnen Ratsmitglieds an Gemeinderatsausschüssen nicht an dem von den Antragstellern geltend gemachten Gleichheitssatz des Art. 118 Abs. 1 BV zu messen sei, sondern an dem aus dem Demokratieprinzip (Art. 2 und 4 BV) abzuleitenden Grundsatz der demokratischen Repräsentation und dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit nach Art. 12 Abs. 1 i.V. m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV. Überdies trete der allgemeine Gleichheitssatz hinter den speziellen Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit zurück. Auf das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung der Opposition nach Art. 12 Abs. 1 BV i.V. m. Art. 16 a BV könnten sich die Antragsteller nicht berufen, da Art. 12 Abs. 1 BV für die Gemeinden und Gemeindeverbände lediglich die Geltung der Wahlrechtsgrundsätze des Art. 14 Abs. 1 BV, nicht jedoch die entsprechende Geltung des Art. 16 a BV bestimme.
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b) Mit Blick auf die Erforderlichkeit der angegriffenen Bestimmungen verweist die Staatsregierung darauf, dass trotz mittlerweile erhöhten Impfaufkommens aufgrund des größeren Übertragungspotenzials der inzwischen vermehrt auftretenden Virusvarianten nach wie vor ein hohes Infektionsrisiko gerade in geschlossenen Räumen bestehe. Deshalb definiere das Robert Koch-Institut in seinem Leitfaden „Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei SARS-CoV-2-Infektionen“ in der Fassung vom 16. April 2021 als „enge Kontaktpersonen mit erhöhtem Infektionsrisiko“ nunmehr alle Personen, die sich gleichzeitig mit einer infizierten Person unabhängig vom Abstand länger als zehn Minuten im selben Raum mit wahrscheinlich hoher Konzentration infektiöser Aerosole aufhielten, selbst wenn durchgehend und korrekt Mund-Nasen-Schutz oder FFP2-Maske getragen wurde. Die Teilnahme einer infizierten Person an einer Sitzung könne somit zur Quarantäne sämtlicher anderer anwesenden Personen führen, was erhebliche Auswirkungen auf die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit einer Gemeinde haben könne. Trete eine solche Situation bei einer Ausschusssitzung ein, könnten hingegen die übrigen Ratsmitglieder vertretungsweise tätig werden; auch sei die Gefahr einer „hohen Konzentration infektiöser Aerosole“ im Sinn des Leitfadens des Robert Koch-Instituts bei einer Ausschusssitzung in den Sitzungsräumen des Vollgremiums wegen der verringerten Teilnehmerzahl geringer als bei Sitzungen des Vollgremiums.
27
c) Zur Angemessenheit der angegriffenen Bestimmungen hebt die Staatsregierung hervor, dass nach der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 18/13024 S. 18) die Einsetzung eines beschließenden Ausschusses und die Verlängerung seines Einsetzungszeitraums nicht in derselben Sitzung beschlossen werden könnten.
IV.
28
Die Popularklage ist zulässig.
29
1. Gemäß Art. 98 Satz 4 BV hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verfassungswidrig einschränken. Die Verfassungswidrigkeit kann jedermann durch Beschwerde (Popularklage) geltend machen. Gesetze und Verordnungen im Sinn des Art. 98 Satz 4 BV sind alle Vorschriften des bayerischen Landesrechts (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Zu diesen gehören die Bestimmungen des Art. 120 b Abs. 3 GO, gegen die sich die vorliegende Popularklage richtet.
30
2. Die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsvorschrift des bayerischen Landesrechts kann von jedermann beim Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG), wobei die Partei- und Prozessfähigkeit des Antragstellers vorausgesetzt wird (VerfGH vom 18.12.2007 VerfGHE 60, 234/244). Diese Voraussetzungen erfüllen die Antragsteller zu 2 bis 30 als volljährige natürliche Personen; die Antragstellerin zu 1 kann als Landesverband einer politischen Partei unter ihrem Namen klagen und verklagt werden (§ 3 PartG) und ist somit ebenfalls antragsbefugt (vgl. VerfGH vom 12.7.1990 VerfGHE 43, 100/103).
31
3. Die Antragsteller haben gemäß Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG hinreichend sub stanziiert dargelegt, aus welchen Gründen diese Bestimmungen nach ihrer Auffassung gegen Art. 118 Abs. 1 BV verstoßen, der verbietet, gleiche Sachverhalte in willkürlicher Weise ungleich zu behandeln, und darüber hinaus ein allgemeines Willkürverbot enthält (vgl. VerfGH vom 19.2.2015 VerfGHE 68, 55 Rn. 30; vom 17.12.2020 ─ Vf. 110-VII-20 ─ juris Rn. 33). Die Antragsteller machen geltend, die Anwendung des Art. 120 b Abs. 3 GO hätte zur Folge, dass einzelne Gemeinderatsmitglieder oder kleine Fraktionen bei einer Beschlussfassung in den neu vorgesehenen beschließenden Ausschüssen gänzlich von der Teilnahme an Sitzungen ausgeschlossen seien, obwohl ihnen die gleiche Stellung zukomme wie den an den Sitzungen teilnehmenden Gemeinderatsmitgliedern. Sie berufen sich auch darauf, dass der Gemeinderat auf der kommunalen Ebene das System der repräsentativen Demokratie in gleicher Weise repräsentiere wie der Bayerische Landtag auf Landesebene und dem die Rechtsstellung der Gemeinderatsmitglieder entsprechen müsse. Eine Art. 118 Abs. 1 BV verletzende willkürliche Behandlung von nicht in Ausschüssen gemäß Art. 120 b Abs. 3 GO vertretenen Gemeinderatsmitgliedern ist damit nicht ausgeschlossen. Dass, worauf die Bayerische Staatsregierung hingewiesen hat, der Grundsatz der Wahlgleichheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) gegenüber dem allgemeinen Gleichheitssatz vielfach als vorrangig erachtet wird, steht der Berufung der Antragsteller auf Art. 118 Abs. 1 BV schon deshalb nicht entgegen, weil sich ein solches Vorrangverhältnis der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht eindeutig entnehmen lässt und einzelne Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs die Anwendbarkeit des Art. 118 Abs. 1 BV neben dem Grundsatz der Wahlgleichheit zumindest nahelegen (vgl. VerfGH vom 15.5.1997 VerfGHE 50, 76/95).
32
4. Ist die Popularklage in zulässiger Weise erhoben, so erstreckt der Verfassungs gerichtshof die Überprüfung der angefochtenen Vorschriften auf alle in Betracht kommenden Normen der Bayerischen Verfassung, selbst wenn insofern keine Rügen geltend gemacht worden sind oder wenn sie keine Grundrechte verbürgen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 9.2.2021 - Vf. 6-VII-20 - juris Rn. 37; vom 21.4.2021 - Vf. 85-VII-20 - juris Rn. 32).
V.
33
Die Popularklage ist begründet.
34
1. Die angegriffenen Bestimmungen des Art. 120 b Abs. 3 GO sind mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit (Art. 12 Abs. 1 i.V. m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) unvereinbar. Auf eine etwaige Verletzung auch des Willkürverbots nach Art. 118 Abs. 1 BV kommt es daneben nicht an.
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a) Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) betrifft nicht nur den gesamten Wahlvorgang (vgl. dazu VerfGH vom 21.7.1976 VerfGHE 29, 143/147), sondern kann auch für die Tätigkeit der gewählten Abgeordneten im Parlament relevant werden, weil aus der Wahlgleichheit in der repräsentativen Demokratie das Gebot folgt, die gewählten Abgeordneten in Statusfragen sowie bei der Ausübung ihrer Rechte gleichzubehandeln (VerfGH vom 26.11.2009 VerfGHE 62, 208/218). Freilich besteht insoweit ein größerer Spielraum für Differenzierungen als für die Phase des Wahlvorgangs selbst, da nicht die staatsbürgerliche Gleichheit (der Wahlbürger) inmitten steht, sondern in Einklang mit der Funktionsfähigkeit des Parlaments zu bringende Rechte der Abgeordneten und Fraktionen betroffen sind (vgl. VerfGH vom 30.4.1976 VerfGHE 29, 62/94 f.).
36
b) Der Grundsatz der Wahlgleichheit gilt gemäß Art. 12 Abs. 1 BV auch für die Wahl der Gemeinderäte (vgl. etwa VerfGH vom 7.3.1991 VerfGHE 44, 23/25; vom 15.2.1996 VerfGHE 49, 11/16; vom 26.3.2018 BayVBl 2018, 623 Rn. 75). Zwar ist zu beachten, dass der Gemeinderat kein Parlament, sondern ein Verwaltungsorgan ist, sodass Rechte der Abgeordneten, welche die parlamentarischpolitische Auseinandersetzung sichern oder im System der Gewaltenteilung der Gesetzgebung dienen, für Gemeinderatsmitglieder verfassungsrechtlich nur mit Einschränkungen aus dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie hergeleitet werden können (VerfGH vom 23.7.1984 VerfGHE 37, 119/123). Wegen des in Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV wie auch in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG vorgezeichneten Gleichlaufs der demokratischen Legitimationsgrundlage verbietet es sich aber, Kernanforderungen der demokratischen Legitimation, zu denen auch der Grundsatz der Wahlgleichheit gehört, bei Kommunalwahlen generell abzusenken (Wollenschläger in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 12 Rn. 34 m. w. N.). Die unmittelbare demokratische Legitimation der gemeindlichen Organe ist vielmehr kennzeichnend für das Wirken der Gemeinden im Rahmen der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (VerfGH vom 13.4.2000 VerfGHE 53, 81/94).
37
Damit kommt das aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit folgende Gebot, Abgeordnete bei der Ausübung ihrer Rechte gleichzubehandeln, auch mit Blick auf die Mitwirkungsrechte der Gemeinderatsmitglieder (und der Fraktionen als Zusammenschlüssen von Mitgliedern) zum Tragen. Art. 12 Abs. 1 BV (wie Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG) überträgt die Grundentscheidung der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie auf die Ebene der Gemeinde (vgl. BVerfG vom 31.10.1990 BVerfGE 83, 37/53; BVerwG vom 7.12.1992 BayVBl 1993, 437; vom 9.12.2009 NVwZ 2010, 834 Rn. 18; jeweils zu Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG), sodass die Gemeindevertretung, auch wenn sie kein Parlament, sondern Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft ist, die Gemeindebürger repräsentiert (BVerwG vom 27.3.1992 BVerwGE 90, 104/105; vom 10.12.2003 BVerwGE 119, 305/307). Somit verkörpert der Gemeinderat auf der kommunalen Ebene in gleicher Weise das System der repräsentativen Demokratie wie der Bayerische Landtag auf Landesebene (VerfGHE 37, 119/122).
38
Diese Repräsentation vollzieht sich nicht nur im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen des Gemeinderats (zu Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG BVerwGE 119, 305/307; BVerwG NVwZ 2010, 834 Rn. 18; jeweils m. w. N.), die daher in ihrer Zusammensetzung als verkleinerte Abbilder des Plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln müssen (BVerwG NVwZ 2010, 834 Rn. 19 m. w. N.). Diese Verkleinerung nach dem Maßstab der relativen Fraktionsstärken hat zur Folge, dass Fraktionen, die so klein sind, dass auf sie nach den maßgeblichen proportionalen Sitzzuteilungsregeln und der jeweils gegebenen Ausschussgröße kein Sitz entfällt, bei der Zuteilung der Ausschusssitze trotz ihres grundsätzlichen Anspruchs auf gleichberechtigte Mitwirkung leer ausgehen, da sie ansonsten überproportional berücksichtigt würden (BVerwG BayVBl 1993, 437). Die Gemeinde ist auch grundsätzlich nicht gehalten, zur Vermeidung eines solchen Ausschlusses die Ausschussgröße so zu bemessen, dass auch jeder kleinen Fraktion ein Sitz zukommt, da sich die Zahl der Ausschussmitglieder nicht beliebig erhöhen lässt, ohne dass hierunter die Effektivität der Ausschussarbeit litte (vgl. BVerfG [als Verfassungsgericht des Landes Schleswig-Holstein] vom 13.2.2008 BVerfGE 120, 82/121; BVerwG BayVBl 1993, 437; NVwZ 2010, 834 Rn. 29). Abgesehen davon, dass sich auf diese Weise ein Ausschluss einzelner fraktionsloser Gemeinderatsmitglieder ohnehin nicht vermeiden ließe, kann die Gemeinde vielmehr bei der Bemessung der Ausschussgröße den Anspruch der Vertretung auch kleinerer Fraktionen mit dem gegenläufigen Belang einer effizienten Ausschussarbeit abwägen (Wollenschläger in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 12 Rn. 36).
39
Der aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie folgende Grundsatz der Spiegelbildlichkeit der Zusammensetzung von Ratsplenum und Ratsausschüssen gilt auch für beschließende Ausschüsse und gewinnt insoweit sogar erhöhte Bedeutung, weil beschließende Ausschüsse in ihrem Aufgabenbereich die Repräsentationstätigkeit der Gesamtheit der vom Volk gewählten Ratsmitglieder nicht nur teilweise vorwegnehmen, sondern insgesamt ersetzen (BVerwGE 90, 104/109; BVerwG BayVBl 1993, 437/438). Der durch den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit bedingte Verlust des Rechts nicht im beschließenden Ausschuss vertretener Fraktionen und fraktionsloser Ratsmitglieder, im Ratsplenum mitzuentscheiden, darf jedoch nicht dazu führen, dass die dem Rat - also der Gesamtheit seiner Mitglieder - nach Art. 12 Abs. 1 BV und Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG vorbehaltene Rolle als zentrale Führungsinstanz der Gemeinde (BVerfG vom 15.2.1978 BVerfGE 47, 253/275) angetastet wird (vgl. BVerwG BayVBl 1993, 437/438). Die von der Verfassung geforderte unmittelbar demokratisch legitimierte örtliche Volksvertretung muss trotz der grundsätzlich möglichen Aufgabenübertragung auf Ausschüsse für die grundlegenden Entscheidungen der Gemeinde zuständig sein (vgl. Staatsgerichtshof Baden-Württemberg vom 4.6.1976 NJW 1976, 2205/2208). Vor diesem Hintergrund ist von Bedeutung, dass bestimmte Materien gemäß Art. 32 Abs. 2 Satz 2 GO nicht auf beschließende Ausschüsse übertragen werden können und im Übrigen die Ersetzung des Gemeinderats durch einen beschließenden Ausschuss unter dem Vorbehalt des Reklamationsrechts (Art. 32 Abs. 3 Satz 1 GO) steht. Für den bisher praktisch nur für die Zeit der Schulsommerferien vorgesehenen Ferienausschuss (Art. 32 Abs. 4 GO) gelten beide Einschränkungen zwar nicht, jedoch ist seine auf längstens sechs Wochen befristete Kompetenz durch seinen Sinn und Zweck inhaltlich begrenzt, sodass gemeindeorganisatorisch und gemeindeverfassungsrechtlich gewichtige Entscheidungen von ihm nicht vorgenommen werden dürfen (Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, Kommunalrecht in Bayern, Art. 32 GO Rn. 22).
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c) Hieran gemessen erweisen sich die angegriffenen Regelungen des Art. 120 b Abs. 3 GO als verfassungswidrig.
41
aa) Die Bestimmungen zum verlängerten Ferienausschuss einerseits (Art. 120 b Abs. 3 Sätze 1 und 4 GO) sowie zur Einsetzung und Verlängerung eines beschließenden Ausschusses mit den Befugnissen eines Ferienausschusses andererseits (Art. 120 b Abs. 3 Sätze 2 bis 5 GO) sind einheitlich zu betrachten. Zwar soll der beschließende Ausschuss im Sinn des Art. 120 b Abs. 3 Sätze 2 bis 5 GO nach der Vorstellung des Gesetzgebers, die allerdings im Gesetzeswortlaut keinen eindeutigen Niederschlag gefunden hat, nicht der Ferienausschuss sein können (LT-Drs. 18/13024 S. 18). Der Funktion und der Wirkung auf die nicht im Ausschuss vertretenen Gemeinderatsmitglieder nach ist ein beschließender Ausschuss, „der die Befugnisse eines Ferienausschusses nach Art. 32 Abs. 4 [GO] hat“ (Art. 120 b Abs. 3 Satz 2 GO), jedoch nichts anderes als ein Ferienausschuss. Insgesamt erlauben die angegriffenen Vorschriften also im praktischen Ergebnis, den Gemeinderat im Sinn der Gesamtheit seiner Mitglieder für das gesamte Jahr 2021 durch einen Ausschuss zu ersetzen, der, soweit er nicht selbst Ferienausschuss ist, „die gleichen umfassenden Rechte wie der Ferienausschuss hat“ (LT-Drs. 18/13024 S. 2).
42
bb) Die durch die angegriffenen Bestimmungen ermöglichte Abweichung von dem aus der Wahlgleichheit folgenden Grundsatz, gewählte Gemeinderatsmitglieder gleich zu behandeln, wiegt in mehrfacher Hinsicht schwer. Gemeinderatsmitglieder, die weder dem Ferienausschuss noch dem beschließenden Ausschuss im Sinn des Art. 120 b Abs. 3 Satz 2 GO angehören, können im Fall eines auf den Jahresbeginn vorgezogenen Ferienausschusses (mit unter Umständen erhöhtem Einsetzungszeitraum) und von Verlängerungsbeschlüssen gemäß Art. 120 b Abs. 3 Satz 3 GO für das gesamte Jahr 2021 und damit für ein Sechstel der Wahlzeit (vgl. Art. 23 Abs. 1 GLKrWG) von jeglicher Beratung und Beschlussfassung im Gemeinderat über Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde (vgl. Art. 11 Abs. 2, Art. 83 Abs. 1 BV) ausgeschlossen werden; Gleiches gilt für Fraktionen, die so klein sind, dass kein Sitz im jeweiligen Ausschuss auf sie entfällt. Das Bundesverwaltungsgericht hat (zu Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG) in seinem Beschluss vom 7. Dezember 1992 (BayVBl 1993, 437/438) im Ausschluss kleinerer Fraktionen auch von beschließenden Ausschüssen vor allem deshalb keine Verletzung der Rolle des Gemeinderats als zentraler Führungsinstanz der Gemeinde gesehen, weil die dort beurteilte Übertragungsermächtigung ausschließlich Verwaltungsangelegenheiten von minderer Bedeutung betraf. Für den (verlängerten) Ferienausschuss und den in Art. 120 b Abs. 3 Satz 2 GO vorgesehenen beschließenden Ausschuss mit den Befugnissen eines Ferienausschusses hingegen gilt der in Art. 32 Abs. 2 Satz 2 GO normierte Ausschluss der Übertragung einzelner besonders bedeutsamer Angelegenheiten auf beschließende Ausschüsse gemäß Art. 32 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 GO ausdrücklich nicht, sodass sie - vorbehaltlich der Beschränkungen gemäß Art. 32 Abs. 4 Satz 3 GO - dieselben umfassenden Entscheidungsbefugnisse haben wie der Gemeinderat selbst.
Hinzu kommt, dass diese gegenüber Art. 32 Abs. 2 GO erweiterte Kompetenz des beschließenden Ausschusses gemäß Art. 32 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 GO keiner Kontrollmöglichkeit durch das in Art. 32 Abs. 3 Satz 1 GO normierte Reklamationsrecht unterliegt, das sonst die Erledigung einer Angelegenheit durch einen beschließenden Ausschuss unter den Vorbehalt stellt, dass nicht der erste Bürgermeister oder sein Stellvertreter im Ausschuss, ein Drittel der stimmberechtigten Ausschussmitglieder oder ein Viertel der Gemeinderatsmitglieder binnen einer Woche die Nachprüfung durch den Gemeinderat beantragt.
43
Damit können die nicht im Ferienausschuss oder im beschließenden Ausschuss mit den Befugnissen eines Ferienausschusses vertretenen Gemeinderatsmitglieder zwar gleichberechtigt mit den anderen Gemeinderatsmitgliedern an der Beschlussfassung über die Einsetzung solcher Ausschüsse bzw. über die Erhöhung oder Verlängerung ihres jeweiligen Einsetzungszeitraums (Art. 120 b Abs. 3 Sätze 1 bis 3 GO) mitwirken. Während des Einsetzungszeitraums sind die Mitwirkungsbefugnisse der in den Ausschüssen nicht vertretenen Gemeinderatsmitglieder und Fraktionen aber darauf beschränkt, die Aufnahme von Angelegenheiten in die Tagesordnung zu beantragen (vgl. dazu Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Gemeindeordnung, Art. 46 Rn. 15 und 16), über die der Ausschuss dann (ohne Mitwirkung der jeweiligen Antragsteller) beraten und beschließen muss.
44
cc) Eine so weitgehende Durchbrechung des Grundsatzes der Mandatsgleichheit wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sie zwingend erforderlich wäre, um die ansonsten vom Gemeinderat wahrgenommenen Aufgaben und Funktionen auch in den Zeiten des gegenwärtigen Pandemiegeschehens zu gewährleisten. Die getroffenen Regelungen müssten gleichsam als ultima ratio erscheinen. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen genügen auch mit Blick auf den Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, den der Gesetzgeber grundsätzlich bei der Ausgestaltung rechtlicher Materien hat (vgl. etwa VerfGH vom 6.12.2017 BayVBl 2018, 338 Rn. 39 [zum Besoldungs- und Versorgungsrecht]; vom 1.2.2021 - Vf. 14-VII-19 - juris Rn. 37 [zum Wahlrecht]), nicht.
45
Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Bestimmungen nicht gerecht.
46
(1) Die Möglichkeit, den Einsetzungszeitraum eines Ferienausschusses im Jahr 2021 von sechs Wochen (Art. 32 Abs. 4 Satz 1 GO) auf drei Monate zu erhöhen (Art. 120 b Abs. 3 Satz 1 GO), steht unter der einzigen tatbestandlichen Voraussetzung, dass eine solche Verlängerung mit einer Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder des Gemeinderats beschlossen wird (Art. 120 b Abs. 3 Satz 4 GO); anders als für die Einsetzung oder Verlängerung eines beschließenden Ausschusses mit den Befugnissen eines Ferienausschusses (Art. 120 b Abs. 3 Sätze 2 und 3 GO) kommt es insbesondere nicht auf den Fortbestand der vom Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite (vgl. Art. 120 b Abs. 3 Satz 5 GO) an. Zwar wird die Bestimmung des Art. 120 b Abs. 3 Satz 1 GO damit begründet, dass ein Teil der Gemeinden den sechswöchigen Ferienzeitraum gemäß Art. 32 Abs. 4 Satz 1 GO wegen des Pandemiegeschehens auf den Beginn des Jahres 2021 vorgezogen habe und trotzdem die Möglichkeit erhalten solle, in der eigentlichen Ferienzeit (nochmals) einen Ferienausschuss einzusetzen (vgl. LT-Drs. 18/13024 S. 18). Eine entsprechende Beschränkung der Befugnis findet sich in Art. 120 b Abs. 3 Satz 1 GO aber nicht. Dieser erlaubt es nach seinem eindeutigen Wortlaut vielmehr allen Gemeinden ─ unabhängig davon, ob sie die Einsetzung des Ferienausschusses auf den Jahresbeginn vorgezogen haben oder nicht ─, den Einsetzungszeitraum von sechs Wochen auf drei Monate mehr als zu verdoppeln, sofern sich dafür nur die in Art. 120 b Abs. 3 Satz 4 GO normierte Zweidrittelmehrheit findet, ohne dass diese Ausweitung den Fortbestand der vom Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite voraussetzte. Damit stünde es einer Gemeinde, die den Ferienausschuss nicht auf den Jahresbeginn vorgezogen hat, frei, etwa für die Monate August bis Oktober 2021 die Einsetzung eines Ferienausschusses selbst dann zu beschließen, wenn die Feststellung des Deutschen Bundestags zur epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht mehr bestünde. Eine solch weitreichende Möglichkeit, den Einsetzungszeitraum des Ferienausschusses (abgesehen von der nötigen Zweidrittelmehrheit) ohne tatbestandliche Voraussetzungen erheblich zu verlängern, kann mit Blick auf die Schwere des Eingriffs in das Gebot der Gleichbehandlung der gewählten Gemeinderatsmitglieder auch unter Berücksichtigung des Umstands keinen Bestand haben, dass ein entsprechender Beschluss im Nachhinein auf einen Fehlgebrauch des Rechtsfolgeermessens hin gerichtlich überprüfbar wäre. Da die Problematik gerade im Fehlen tatbestandlicher Voraussetzungen besteht, ist auch kein Raum für eine verfassungskonforme Auslegung; der normative Gehalt einer Vorschrift darf nicht erst durch die Auslegung festgesetzt oder grundlegend neu bestimmt werden (vgl. Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 98 Rn. 29 m. w. N.).
47
(2) Auch die Möglichkeit, für bis zu drei Monate einen beschließenden Ausschuss mit den Befugnissen eines Ferienausschusses einzusetzen und diese Einsetzung in späteren Sitzungen um jeweils bis zu drei Monate, längstens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2021, zu verlängern (Art. 120 b Abs. 3 Sätze 2 und 3 GO), genügt den dargelegten Anforderungen nicht. Tatbestandliche Voraussetzung ist insoweit lediglich die Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Ratsmitglieder (Art. 120 b Abs. 3 Satz 4 GO) sowie der Fortbestand der Feststellung des Deutschen Bundestags zum Bestehen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Art. 120 b Abs. 3 Satz 5 GO). Darüber hinaus gibt es keinerlei Einschränkungen, mit denen dem Umstand Rechnung getragen würde, dass die Regelung zur Einsetzung eines beschließenden Ausschusses mit außerordentlichen Befugnissen lediglich als ultima ratio zur Aufrechterhaltung der Funktionen des Gemeinderats in der Pandemie in Betracht kommt.
48
(a) So wird insbesondere nicht als Voraussetzung gefordert, dass Präsenzsitzungen mit Blick auf die Größe des jeweiligen Gemeinderats und die ihm zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten unter den Bedingungen der Pandemie nicht sicher durchführbar sind. Der Umstand, dass eine Ausschusssitzung aufgrund der geringeren Zahl der Teilnehmer stets ein quantitativ geringeres Infektionsrisiko begründet als eine Sitzung des gesamten Gemeinderats, genügt auch mit Blick auf den von der Bayerischen Staatsregierung angeführten Leitfaden des Robert KochInstituts in der Fassung vom 16. April 2021 und die durch dessen Handhabung begründete Gefahr von Quarantäneanordnungen nicht zur Rechtfertigung der angegriffenen Regelung. Zum einen ist auch dieser Fassung des Leitfadens (und der insoweit unveränderten Fassung vom 20. Mai 2021) zu entnehmen, dass nicht jeder mehr als zehn Minuten lange Aufenthalt mehrerer Personen in einem geschlossenen Raum zu „wahrscheinlich hoher Konzentration infektiöser Aerosole“ im Sinn des Leitfadens führt, sondern dass es insoweit unter anderem auf die Zahl der infektiösen Personen im Raum, die Enge des Raums und die Frischluftzufuhr ankommt (vgl. Abschnitt C des Anhangs 1 des Leitfadens). Wenn etwa der achtköpfige Gemeinderat einer Gemeinde mit bis zu 1.000 Einwohnern in einer gut durchlüfteten Sporthalle tagen kann, wäre auch nach dem Leitfaden des Robert Koch-Instituts nicht zu befürchten, dass alle Mitglieder des Gemeinderats von einer Quarantäneanordnung betroffen würden, sollte ein Teil der Gemeinderatsmitglieder infektiös gewesen sein. Zum anderen und vor allem aber sind die Vorgaben der jeweiligen Fassung des Leitfadens des Robert Koch-Instituts zur Kontaktnachverfolgung keine tatbestandliche Voraussetzung für die Ersetzung des Gemeinderats durch einen beschließenden Ausschuss. Die Ersetzung ist (und war) nach der angegriffenen Bestimmung vielmehr auch in Situationen zulässig, in denen das Robert Koch-Institut im Zeitpunkt des Einsetzungsbeschlusses den Begriff der engen Kontaktperson mit erhöhtem Infektionsrisiko (mit entsprechend weitreichender Gefahr von Quarantäneanordnungen) nicht so weit definiert(e) wie in den Fassungen des Leitfadens vom 16. April und 20. Mai 2021. Auch insoweit zeigt sich, dass die angegriffene Bestimmung nicht als ultima ratio konzipiert ist.
49
(b) Zudem kämen etwa Hybridsitzungen, bei denen ein Teil der Gemeinderatsmit glieder der Präsenzsitzung per Ton-BildÜbertragung zugeschaltet ist, als milderes Mittel in Betracht. Zwar hat die Bayerische Staatsregierung zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Verfahren nach Art. 47 a GO nicht gewährleisten kann, dass die Zahl der in der Sitzung präsenten Gemeinderatsmitglieder geringer ist als in den bisherigen Präsenzsitzungen, da Art. 47 a GO lediglich die Möglichkeit, nicht aber die Pflicht einzelner Gemeinderatsmitglieder normiert, an einer Gemeinderatssitzung per Ton-Bild-Übertragung statt in Präsenz teilzunehmen. Der Gesetzgeber ist jedoch nicht auf die in Art. 47 a GO gewählte Bestimmung beschränkt. So wäre beispielsweise eine Regelung, die es dem Gemeinderat - etwa auf der Grundlage einer interfraktionellen Vereinbarung - erlaubte, dass nur ein Teil seiner Mitglieder in Präsenz an den Sitzungen teilnimmt, während den übrigen Gemeinderatsmitgliedern die Teilnahme per Ton-BildÜbertragung ermöglicht wird, ein erheblich geringerer Eingriff in die Mandatsgleichheit gewesen als der vollständige Ausschluss eines Teils der Gemeinderatsmitglieder von jeglicher Teilnahme an den Beratungen und Abstimmungen über einen längeren Zeitraum von bis zu einem Jahr. Die Ersetzung des Gemeinderats durch einen beschließenden Ausschuss hätte dann (auch) unter den tatbestandlichen Vorbehalt gestellt werden können, dass sich eine solche Hybridsitzung im jeweiligen Gemeinderat nicht verwirklichen lässt.
50
2. Erachtet der Verfassungsgerichtshof eine Rechtsvorschrift für verfassungswid rig, erklärt er sie im Allgemeinen für nichtig. Die Entscheidung wirkt grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Erlasses dieser Vorschrift zurück. Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens, insbesondere des Vertrauensschutzes, können es jedoch ausnahmsweise erfordern, dass die Ungültigkeit einer Norm nicht mit ex tunc-Wirkung, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt wird (VerfGH vom 28.11.2007 VerfGHE 60, 184/222). Im vorliegenden Fall ist es geboten, die bis zur Bekanntgabe dieser Entscheidung von Ausschüssen im Sinn des Art. 120 b Abs. 3 GO gefassten Beschlüsse (dem Rechtsgedanken des Art. 50 Abs. 6 GLKrWG entsprechend) von der Nichtigkeit der ihrer Bildung zugrunde liegenden Bestimmungen unberührt zu lassen. Wären alle Beschlüsse, welche die in Art. 120 b Abs. 3 GO vorgesehenen Ausschüsse bisher gefasst haben, als kompetenzwidrig ergangen anzusehen, wären darauf beruhende Maßnahmen rechtswidrig, was einen Aufhebungsanspruch der Betroffenen begründen kann (vgl. allgemein BVerwG vom 9.3.2005 NJW 2005, 2330/2332). Die Folge wäre, dass etwa auf der Grundlage bewehrter Satzungen (Art. 24 Abs. 2 Satz 2 GO) verhängte Bußgeldbescheide auch dann anfechtbar wären, wenn die Satzung materiell rechtmäßig wäre. Es ist geboten, die Rückabwicklung einer nicht absehbaren Zahl zwischenzeitlich von Ausschüssen im Sinn des Art. 120 b Abs. 3 GO getroffener Entscheidungen zu vermeiden.
51
Des Weiteren ist es geboten, Gemeinden, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung im Jahr 2021 bereits einen Ferienausschuss eingesetzt hatten, die Möglichkeit zu geben, für die eigentliche Ferienzeit erneut die Einsetzung eines Ferienausschusses gemäß Art. 32 Abs. 4 GO zu beschließen. Andernfalls könnte die Verhinderung zahlreicher Gemeinderatsmitglieder dazu führen, dass die Funktionsfähigkeit der Gemeindeverwaltung in der Zeit der Ferien nicht im erforderlichen Maß gewährleistet wäre. Mit Blick auf die unter 1. b) dargelegten praktischen Beschränkungen des Ferienausschusses nach der bisherigen Rechtslage wöge eine solche erneute Einsetzung auch nicht besonders schwer.
VI.
52
Durch die Entscheidung über die Popularklage hat sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt.
VII.
53
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Den Antragstellern sind die durch das Popularklageverfahren entstandenen notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten (Art. 27 Abs. 3 VfGHG).