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AG München, Endurteil v. 15.04.2021 – 233 C 17955/20
Titel:

Unterkunft, Anzahlung, Anspruch, Pauschalreise, Widerklage, Erstattung, Zahlung, Reisepreis, Festsetzung, Ehefrau, Vertretung, Hotel, Feststellungsantrag, Klage, Kosten des Rechtsstreits, kein Anspruch, nicht ausreichend

Schlagworte:
Unterkunft, Anzahlung, Anspruch, Pauschalreise, Widerklage, Erstattung, Zahlung, Reisepreis, Festsetzung, Ehefrau, Vertretung, Hotel, Feststellungsantrag, Klage, Kosten des Rechtsstreits, kein Anspruch, nicht ausreichend
Fundstelle:
BeckRS 2021, 13589

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 584,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.09.2020 zu zahlen.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 14 %, die Beklagte 86 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.212,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Anspruch auf Rückzahlung der für eine Reise geleisteten Anzahlung geltend. Die Beklagte macht im Wege der Widerklage Anspruch auf Entschädigung geltend.
2
Bei der Beklagten handelt es sich um einen Reiseveranstalter, der im Wege des „Dynamik Packaging“ im Moment der Buchungsanfrage die besten und günstigsten Angebote für die vom Kunden gewünschte Pauschalreise in Echtzeit abruft. Entscheidet sich der Kunde dann online für ein Angebot und bucht dieses, so ist die erfolgte Buchung verbindlich und die Beklagte hat an die Leistungsträger entsprechende finanzielle Vorleistungen zu erbringen, die in der Regel nicht von den Leistungsträgern erstattet werden.
3
Der Kläger buchte am 27.02.2020 zusammen mit seiner Ehefrau … bei der Beklagten eine Pauschalreise für den Zeitraum vom 07.09.2020 bis zum 16.09.2020 mit Flug, Unterkunft und Verpflegung in das Hotel … nahe Antalya/Türkei zum Reisepreis von 1.459,00 EUR. Vereinbart war eine Anzahlung in Höhe von 584,00 EUR. Die vereinbarte Anzahlung wurde an die Beklagte geleistet.
4
Mit Schreiben vom 26.08.2020 erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers für den Kläger den Rücktritt vom Reisevertrag. Mit Schreiben vom 04.09.2020 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte um Rückerstattung der geleisteten Anzahlung bis zum 17.09.2020. Am 07.09.2020 forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung bis zum 23.09.2020 auf.
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Für das Zielgebiet bestand bis zum 03.08.2020 eine Reisewamung des auswärtigen Amtes. Die Reise wurde ohne den Kläger und seine Ehefrau wie geplant durchgeführt.
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In den AGB der Beklagten waren Stornokosten in Höhe von 95 % bei Rücktritt der Reise ab dem 29. Tag vor Reiseantritt vereinbart.
7
Die Beklagte erhielt eine Erstattung für die Transferkosten im Zielland sowie hinsichtlich des Rückflugs. Die Kosten für den nicht angetretenen Hinflug in Höhe von 120,06 EUR und die Kosten für das gebuchte Hotel in Höhe von 964,08 EUR erhielt die Beklagte nicht erstattet.
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Der Kläger macht geltend, er sei zum kostenlosen Rücktritt von der Reise aufgrund der Corono-Pandemie berechtigt gewesen. Die Türkei habe die Infektionszahlen manipuliert, Während der Touristiksaison Mai bis November 2020 sei die Zahl der Infizierten herunter gespielt und nicht zutreffend gemeldet worden. Da die Aufhebung der Reisewarnung nur für die Touristenhotspots gegolten habe, habe weiterhin eine Gefahr für die Gäste bestanden. Es müsse damit gerechnet werden, dass das Personal aus den von der Reisewamung weiterhin betroffenen Gebieten komme und nicht ausreichend getestet sei. Fahrten in die Umgebung würden zu einem Glücksspiel werden. Ein Urlaubsfeeling könne nicht aufkommen.
9
Der Kläger beantragte zunächst:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 584,00 EUR nebst 5 %-Punkte über dem gesetzlichen Basiszinssatz seit 23.09.2020 zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass der Kläger zur Zahlung etwaiger Stomogebühren in Höhe von 628,00 EUR nicht verpflichtet ist.
3.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger außergerichtliche, nicht anderweitig festsetzbare Kosten der anwaltlichen Vertretung in Höhe von 196,62 EUR zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
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Die Parteien haben nach Erhebung der Widerklage durch die Beklagte Ziffer 2 des Klageantrags übereinstimmend für erledigt erklärt.
11
Ziffer 3 der Klage wurde durch den Kläger zurück genommen.
12
Der Kläger beantragte zuletzt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 584,00 EUR nebst 5 %-Punkte über dem gesetzlichen Basiszinssatz seit 23.09.2020 zu zahlen.
13
Die Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
14
Sie beantragt im Wege der Widerklage:
Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 628,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p. a. über dem Basiszinssatz zu bezahlen.
15
Der Kläger beantragt:
Abweisung der Widerklage.
16
Die Beklagte macht geltend, dass dem Kläger kein kostenfreies Rücktrittsrecht zugestanden habe. Die multiplen chronischen Erkrankungen stammten aus dem Verantwortungsbereich des Klägers und könnten nicht zu einer kostenfreien Stornierung der Reise führen.
17
Die Beklagte macht geltend, dass für einen kostenlosen Rücktritt einer Reise einzig und allein die amtliche Reisewarnung des auswärtigen Amtes maßgeblich sei.
18
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19
Die zulässige Klage ist begründet.
20
Die zulässige Widerklage ist unbegründet.
I.
21
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Amtsgericht München gem. § 23 Nr. 1, 71 GVG sachlich und gem. § 17 ZPO örtlich zuständig.
II.
22
Die Klage ist begründet.
23
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 584,00 EUR gem. § 651 h Abs. 1 Satz 2, Abs. 5, 346 Abs. 1 BGB.
24
a) Der Kläger ist vor Reisebeginn vom Reisevertrag zurückgetreten. Die Beklagte hat damit den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verloren.
25
b) Der Beklagten steht kein Anspruch auf Entschädigung gem. § 651 h III BGB zu.
26
Gem. § 651 h III BGB kann der Reiseveranstalter keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Es müssen zum Zeitpunkt des Rücktritts außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Beeinträchtigung der Pauschalreise begründen. Es kommt insoweit auf eine Prognoseentscheidung an.
27
Die Covid-19-Pandemie kann als unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand zu bewerten sein, der die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt. Allein die Tatsache der Pandemie ist jedoch nicht ausreichend, um jeglichen Rücktritt von allen Pauschalreisen zu jedem Zeitpunkt ohne Anfall von Entschädigungszahlungen zuzulassen. Es ist vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen. Eine Reisewarnung des auswärtigen Amtes ist ein starkes Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist eine Reisewamung für einen entschädigungsfreien Rücktritt nach § 651 h III BGB nicht erforderlich.
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Es ist gerichtsbekannt, dass die gesamte Türkei zum Zeitpunkt des Rücktritts der Kläger Risikogebiet war. Die Reisewamung für die Türkei wurde für den Bereich Antalya und drei weitere Regionen der Türkei am 04.08.2020 aufgehoben. Hintergrund war ein von der Türkischen Regierung vorgelegtes Schutzkonzept, das unter anderem eine verpflichtende PCR-Testung für alle Reisenden in der Türkei innerhalb von 48 Stunden vor Rückreise nach Deutschland vorsah. Dies ändert jedoch nichts daran, dass aufgrund der hohen Infektionszahlen in der Türkei, die zu einer Einstufung der gesamten Türkei als Risikogebiet durch das RKI führten, bei einer Reise in die Türkei ein erhebliches Risiko für eine Ansteckung mit dem Corona-Virus bestand. Die verpflichtenden PCR-Tests bei Ausreise, waren nicht geeignet, das in der Türkei aufgrund der hohen Infektionszahlen bestehende Anstreckungsrisiko zu minimieren, sondern konnten allenfalls dazu beitragen, dass positiv getestete Person das Virus nicht in Deutschland verbreiten.
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Der Anspruch der Beklagten auf Entschädigung ist damit gem. § 651 h III BGB entfallen.
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2. Die Verurteilung zur Zahlung der Zinsen beruht auf §§ 280 I, II, 286, 288 BGB. Die Beklagte ist spätestens mit Ablauf der im Mahnschreiben gesetzten Zahlungsfrist in Verzug gekommen.
III.
31
Die zulässige Widerklage ist unbegründet. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Stornokosten besteht gemäß § 651 h III BGB nicht (s. o.). Da der mit der Widerklage geltend gemachte Hauptanspruch nicht besteht, besteht auch kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen.
IV.
32
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 a, 92 I 1, 269 III 2 ZPO.
33
Der Kläger hat hinsichtlich der Klage und der Widerklage obsiegt. Soweit der Rechtsstreit für erledigt erklärt wurde, sind der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, da sie insoweit unterlegen wäre. Der Feststellungsantrag des Klägers war ursprünglich zulässig und begründet Durch die Erhebung der Widerklage durch die Beklagte wurde der Feststellungsantrag unzulässig.
34
Der Kläger hat die Kosten jedoch insoweit zu tragen, als er die Klage zurück genommen hat. Der ursprüngliche Antrag auf Zahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 196,62 EUR war im Verhältnis zur Hauptforderung nicht geringfügig im Sinne von § 92 II Nr. 1 ZPO. Die Kosten des Rechtsstreits waren daher verhältnismäßig zu teilen. Es war insoweit ein fiktiver Streitwert zu bilden. Der Kläger hat danach 14 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen (196,62 EUR/1.408,62 EUR).
V.
35
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
36
Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt gemäß §§ 48 I, 45 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. §§ 3, 4, 5 ZPO.