Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 11.05.2021 – AN 16 K 20.01035
Titel:

Regelvermutung der Unzuverlässigkeit im Waffenrecht nach strafrechtlicher Verurteilung

Normenketten:
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, § 6 Abs. 2, § 45 Abs. 2 S. 1
StGB § 223, § 224 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Eine Abweichung von der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a WaffG kommt nur in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers idR durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bzgl. des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. (Rn. 19 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Abweichen von der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a WaffG bei rechtskräftiger Verurteilung wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung ohne Verwendung einer Waffe ist nicht deshalb schon begründet, weil die Tat unter Alkoholeinfluss und daraus resultierender Enthemmung begangen, ein Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt und die Entscheidung nicht in das Führungszeugnis aufgenommen wurde. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die waffenrechtliche Zuverlässigkeit gem. § 5 WaffG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, dessen Prüfung allein der Waffenbehörde bzw. dem Gericht obliegt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Waffen- und Sprengstoffrecht, Waffenbesitzkarte, Regelvermutung der Unzuverlässigkeit, persönliche Eignung, Ausnahmecharakter
Fundstelle:
BeckRS 2021, 13572

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf zweier Waffenbesitzkarten durch das Landratsamt … Der am … 1980 geborene Kläger ist als Sportschütze Inhaber einer vom Landratsamt … am 25. Januar 1999 ausgestellten Waffenbesitzkarte Nr. … und einer am 9. August 2001 vom Landratsamt … ausgestellten Waffenbesitzkarte Nr. …, auf die insgesamt zehn Schusswaffen eingetragen sind.
2
Am 11. Dezember 2018 wurde der Kläger vom Amtsgericht … wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verurteilt. Dieses Urteil ist seit 19. Dezember 2018 rechtskräftig. Ihm liegt folgender Sachvorhalt zugrunde: Am 23. Januar 2018 verletzte der Kläger gegen 0:30 Uhr während eines Skiurlaubs in der Stube des Wochenendhauses … am … am … (Österreich) den Geschädigten … indem er diesem mindestens einmal mit einem fast vollen 0,5 l Weizenglas wuchtig in das Gesicht schlug, sodass das Glas zerbrach. Der Geschädigte erlitt dadurch mehrere Schnittverletzungen im Wangenbereich und eine tiefe Schnittverletzung an der Oberlippe, die in der Klinik … mit fünf Stichen und in … noch einmal mit sechs Stichen genäht werden musste. Ein beim Kläger um 1:30 Uhr durchgeführter Atemalkoholtest ergab eine Atemalkoholkonzentration von 1,00 mg/l.
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Mit Schreiben vom 13. Februar 2020 gab das Landratsamt …dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem beabsichtigten Widerruf seiner Waffenbesitzkarten. Mit Schreiben vom 1. April 2020 trugen die Klägerbevollmächtigten vor, dass die Zweifel an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit ausgeräumt werden können. In tatsächlicher Hinsicht sei der Kläger am 11. Dezember 2018 wegen gefährlicher Körperverletzung zu 90 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt worden, der Sachverhalt vom 23. Januar 2018 habe sich allerdings bereits vor über zwei Jahren zugetragen. Vorliegend sei eine Ausnahme von der Regelvermutung der Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG zuzulassen. Denn die Umstände der Begehung der abgeurteilten Tat würden die Verfehlung des Klägers ausnahmsweise in einem derart milderen Licht erscheinen lassen, dass nach den Wertungen des Gesetzes die begründeten Zweifel an der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nicht gerechtfertigt seien. Grundlage für die Beurteilung, ob ein Regelfall vorliege, seien die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils. Allein die Tatumstände würden den Ausnahmecharakter der Angelegenheit begründen. Der Kläger habe sich während der Tat im Skiurlaub befunden, nicht in einer alltäglichen Situation oder einer Situation im Umgang mit Waffen. Es habe eine lockere Urlaubsatmosphäre und Apres Ski Stimmung geherrscht. Alle Personen seien an dem besagten Abend stark angetrunken gewesen. Der Kläger habe zur Tatzeit über 2,0 Promille gehabt, dieser Umstand habe sein Urteilsvermögen, die Hemmschwelle und vor allem die körperliche Koordination stark beeinträchtigt. Es sei eine ungewöhnliche Enthemmung aufgetreten, welche Ausnahmecharakter habe. Mit dem Geschädigten habe der Kläger keinen Streit gehabt. Man habe in einer extrem engen Berghütte dicht gedrängt an einem Tisch gesessen, in der alkoholbedingt wahrscheinlich stark ungelenken Bewegung in Richtung des Geschädigten sei es dazu gekommen, dass der Geschädigte durch das Glas des Klägers verletzt worden sei. Das Strafgericht habe dies als Angriff gegen den Geschädigten gewertet, habe aber einen Grund hierfür nicht feststellen können. Der Kläger habe niemanden verletzen wollen und sich sofort bei dem Geschädigten entschuldigt und diesem geholfen. Allenfalls sei vorliegend ein bedingter Vorsatz anzunehmen, der allerdings von der bewussten Fahrlässigkeit schwer abzugrenzen sei. Jedenfalls liege hier gerade keine typische Vorsatztat gegen die körperliche Unversehrtheit vor. Zudem sei der Kläger nur wegen eines minderschweren Falles der gefährlichen Körperverletzung verurteilt worden. Unglücklicherweise seien der Kläger und der Geschädigte mit ihren Gläsern „zusammen gerumpelt“. Der Kläger habe einen Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt und erheblich Ersatz für die entstandenen Schmerzen geleistet. Er stehe mit dem Geschädigten in gutem Kontakt, dieser hege keinen Groll gegen den Kläger. Es handle sich nicht um eine klassische Vorsatzstraftat. Das Gericht sei jedoch an die Mindeststrafe für den Fall der gefährlichen Körperverletzung im minderschweren Fall in Höhe von 90 Tagessätzen gebunden gewesen. Der Kläger habe sich nach der Tat intensiv mit dieser auseinandergesetzt. Er sei auch stets ehrlich mit der Sache umgegangen. Er sei seit 20 Jahren Mitglied im Veteranen- und Militärverein in … und als Sportschütze erfolgreich. Als Vereinsmitglied dieses Schützenvereins sei es der Kläger gewohnt, sich mit vielen Personen gesellschaftlich auseinanderzusetzen, körperliche Auseinandersetzungen seien ihm allerdings, noch dazu im privaten Bereich, absolut fremd. Zur Bescheinigung der Mitgliedschaft und waffenrechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers werde ein Schreiben des 1. Vorsitzenden … in Vorlage gebracht. Es werde um wohlwollende Ermessenüberprüfung durch die Behörde gebeten. Zudem sei der Entzug sämtlicher waffenrechtlicher Erlaubnisse nicht das mildeste denkbare Mittel, es käme auch ein teilweiser Widerruf in Betracht, der eine Fortführung der sportlichen Aktivitäten des Klägers innerhalb der Schützenvereine möglich mache. Weiter werde darauf verwiesen, dass der Kläger beabsichtige, zur Prüfung seiner Zuverlässigkeit ein fachpsychologisches Gutachten in Vorlage zu bringen.
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Am 8. Mai 2020 legte der Kläger beim Landratsamt … ein nervenärztliches Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie …vom 29. April 2020 vor, auf welches Bezug genommen wird.
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Mit Bescheid vom 27. April 2020 widerrief das Landratsamt … die dem Kläger erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse in Form der Waffenbesitzkarten Nr. … und Nr. …, jeweils ausgestellt vom Landratsamt …(Nr. 1) und forderte den Kläger auf, die in seinem Besitz befindlichen Waffen samt Munition 14 Tage nach Zustellung dieses Bescheides einem Berechtigten zu überlassen oder unbrauchbar zu machen und dem Landratsamt … hierüber einen Nachweis zu erbringen (Nr. 2). Unter Nr. 3 des Bescheides verfügte das Landratsamt …, dass der Kläger die in Nr. 1 genannten Originalausfertigungen der Waffenbesitzkarten innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides dem Landratsamt …zu übergeben habe. Unter Nr. 4 findet sich eine Sofortvollzugsanordnung von Nrn. 2 und 3 des Bescheides. Unter Nr. 5 drohte das Landratsamt dem Kläger im Fall der nicht vollständigen Erfüllung aus Nr. 2 des Bescheides an, die Gegenstände durch die Waffenbehörde kostenpflichtig sicherzustellen, im Fall der Nichterfüllung von Nr. 3 werde ein Zwangsgeld fällig. Unter Nr. 6 des Bescheides findet sich eine Kostenentscheidung.
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Zur Begründung stützte sich das Landratsamt … in tatsächlicher Hinsicht auf die strafrechtliche Verurteilung des Klägers vom 11. Dezember 2018 durch Urteil des Amtsgerichts …wegen gefährlicher Körperverletzung zu 90 Tagessätzen Geldstrafe. In rechtlicher Hinsicht stütze sich der Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse auf § 45 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG. Hiernach sei eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen, insbesondere, wenn der Inhaber der Erlaubnis die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitze. Diese besäßen Personen in der Regel nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 60 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden sind und seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. Der Behörde stehe kein Ermessen zu. Die Erlaubnisse seien in der Regel zu widerrufen, von dieser Regel dürfe nur in ganz seltenen Ausnahmefällen abgewichen werden. Ein solcher Ausnahmefall sei vorliegend nicht gegeben. Der Kläger habe in stark alkoholisiertem Zustand eine gefährliche Körperverletzung begangen. Sein Verhalten sei nicht geeignet, die Tat in einem milden Licht erscheinen zu lassen, um ausnahmsweise von der Regelunzuverlässigkeitsvermutung abzuweichen. Eine unterschiedliche Gewichtung der verschiedenen Vorsatztypen kenne das Waffengesetz nicht, der Tatbestand des Vorsatzes sei auch bei Handeln im untersten Vorsatzbereich erfüllt.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 30. Mai 2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht … per Telefax vorab eingegangen am 2. Juni 2020, hat der Kläger Klage erhoben.
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Diese begründet sein Bevollmächtigter im Wesentlichen damit, dass die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG widerlegt sei. Eine Ausnahme von der Regelvermutung komme in Betracht, wenn die Umstände der Begehung der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milderen Licht erscheinen ließen, dass die nach der Wertung des Gesetzes in der Regel begründeten Zweifel an der für den Waffenbesitz und Waffenumgang vorausgesetzten Vertrauenswürdigkeit nicht gerechtfertigt seien. Die Prüfung erfordere eine Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Täters, wie sie in seinem damaligen Verhalten zum Ausdruck gekommen sei. Grundlage seien die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils. Zu den konkreten Umständen der Tat wiederholt der Klägerbevollmächtigte im Wesentlichen seine Ausführungen im Rahmen des behördlichen Verwaltungsverfahrens und führt zudem an, dass der Geschädigte kein Strafverfolgungsinteresse gegen den Kläger gehabt habe. Da die österreichische Polizei gerufen worden sei, und Körperverletzung auch in Österreich ein Offizialdelikt sei, habe in Deutschland eine Verfolgung ohne Strafantrag des Geschädigten stattgefunden. Auch wenn das Gericht trotz der Alkoholisierung aller Beteiligten nicht von einer bewussten Fahrlässigkeit des Klägers und damit einem Unfall ausgegangen sei, liege dennoch gerade keine typische Vorsatztat gegen die körperliche Unversehrtheit vor. In Deutschland wäre die Sache rein zivilrechtlich zu klären gewesen, hätte die österreichische Polizei die Angelegenheit nicht pflichtbewusst aufgenommen. Der Bescheid verletze den Kläger in seinen Rechten. Im Gegensatz zur absoluten Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 WaffG ermögliche § 5 Abs. 2 WaffG eine Widerlegung der Regelunzuverlässigkeit. Diese dürfe nicht von vornherein praktisch unmöglich und für jedermann unerreichbar sein, der Zweck des § 5 Abs. 2 WaffG liefe andernfalls leer. Bei der Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung seien sämtliche Gesichtspunkte des konkreten Einzelfalls in der Gesamtschau im Hinblick auf eine rein waffenrechtlich zu beurteilende Zuverlässigkeit zu betrachten. Die konkrete Verfehlung des Klägers wiege nicht besonders schwer, die Tat sei im absolut privaten Bereich geschehen und es habe sich eine Kette von unglücklichen Begleitumständen realisiert. Vor allem sein Verhalten nach dem schädigenden Ereignis zeige, dass er keine Persönlichkeit besitze, der die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit fehle. Der Bescheid greife zudem erheblich in die Grundrechte des Klägers ein. Der Kläger besitze Waffen im Wert von 10.000,00 bis 12.000,00 EUR, er sei seit über 20 Jahren Mitglied in verschiedenen Schützenvereinen und nehme sehr erfolgreich an sportlichen Wettkämpfen teil. Dies sei ihm ohne eigene Waffe praktisch unmöglich. Schließlich komme auch ein teilweiser Widerruf in Betracht, der ein Fortführen der sportlichen Aktivitäten des Klägers möglich mache. Auch das freiwillig auf Kosten des Klägers eingeholte fachpsychologische Gutachten sei ein zusätzlicher, für das behördliche Ermessen wichtiger Hinweis auf die Zuverlässigkeit des Klägers, der einen Widerruf ausschließe.
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Der Kläger beantragt,
1.
Der Bescheid des Landratsamtes … vom 21. April 2020 wird aufgehoben.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, die in Nr. 1 des Bescheides des Landratsamtes … vom 21. April 2020 genannten Originalausfertigungen der Waffenbesitzkarten an den Kläger herauszugeben.
3.
Hilfsweise für den Fall der Vernichtung der Originalausfertigungen der in Nr. 1 des Bescheides des Landratsamtes … vom 21. April 2020 genannten Originalausfertigungen der Waffenbesitzkarten wird die Beklagte verurteilt, diese erneut an den Kläger zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Klageerwiderung bezieht sich das Landratsamt … auf die Begründung des angefochtenen Bescheides.
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Mit Beschluss vom 27. Januar 2021 ist der Rechtsstreit der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen worden.
13
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Beklagtenakten und die Gerichtsakte Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet, weil der Bescheid des Landratsamtes … vom 27. April 2020 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Der Widerruf der Waffenbesitzkarten Nrn. … des Klägers stützt sich auf §§ 45 Abs. 2 Satz 1, 4 Abs. 1 Nr. 2, 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG.
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Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zwingend zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. In diesen Fällen sieht das Waffengesetz mildere Mittel als einen Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis nicht vor. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG setzt eine Erlaubnis unter anderem voraus, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit (§ 5 WaffG) besitzt. Letztere besitzen nach dem Regeltatbestand der Unzuverlässigkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG in der Regel Personen nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen rechtkräftig verurteilt worden sind, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind.
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a) Der Kläger erfüllt den Regeltatbestand der Unzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG, weil er durch Urteil des Amtsgerichts …vom 11. Dezember 2018 rechtskräftig wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verurteilt worden ist und zwischen dem Eintritt der Rechtskraft dieser Verurteilung am 19. Dezember 2018 und der angefochtenen Widerrufsentscheidung des Beklagten am 27. April 2020 noch keine fünf Jahre verstrichen sind.
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b) Es liegt vorliegend auch kein Ausnahmefall von der Regelunzuverlässigkeit vor.
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aa) Eine Abweichung von der Vermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit kommt nur in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bzgl. des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind (stRspr, vgl. etwa BVerwG, U.v. 13.12.1994 - 1 C 31/92 - NVwZ-RR 1995, 525; B.v. 21.7.2008 - 3 B 12/08 - juris Rn. 5). Erforderlich ist danach eine tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt. Die zuständige Behörde braucht nicht zu prüfen, ob der Betroffene die Straftat tatsächlich begangen hat. Sie darf grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und sich auf die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder die Regelvermutung auf Grund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist (Gade, Waffengesetz, 2. Auflage 2018, § 5 Rn. 21).
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Dabei ist zu beachten, dass das mit jedem Waffenbesitz vorhandene Sicherheitsrisiko möglichst gering gehalten werden soll. Es soll nur bei Personen hingenommen werden, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit der Waffe jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Personen, die wegen einer in § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG aufgeführten Straftat rechtskräftig verurteilt worden sind, besitzen „in der Regel“ nicht die erforderliche Zuverlässigkeit, wenn die gesetzlich festgelegte Frist noch nicht abgelaufen ist. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG mithin grundsätzlich eine Wertung getroffen, wonach die Begehung einer dort genannten Straftat ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass es dem Waffenbesitzer an der erforderlichen Fähigkeit oder Bereitschaft fehlt, (auch) mit Waffen gewissenhaft umzugehen. Dies entspricht gefestigter Rechtsprechung des BayVGH (vgl. B.v. 5.3.2008 - 19 CS 07.2786 - juris Rn. 22; B.v. 13.10.2005 - 19 CS 05.2394; B.v. 23.3.2006 - 19 CS 06.456; B.v. 12.2.2007 - 19 CS 06.2178).
21
Ein Ausnahmefall von der Regelvermutung kann nicht damit begründet werden, dass die konkrete Straftat keinen Waffen- bzw. Jagdbezug hatte (OVG Münster, B.v. 4.4.2013 - 16 A 2905/11 - juris; Adolph/Brunner/Bannach, WaffG, Stand: Oktober 2019, § 5 Rn. 58; Gade, Waffengesetz, 2. Auflage 2018, § 5 Rn. 22). Wann die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit eingreift, wird nämlich nicht mehr vorrangig nach der Art der begangenen Straftat bestimmt, sondern es wird allgemein auf die Rechtsfolgenseite, nämlich auf die Höhe der verhängten Strafe, abgestellt (BT-Drs. 14/7758 S. 128; BVerwG, B.v. 21.7.2008 - 3 B 12/08 - juris Rn. 5). Weiter begründet bereits eine einzige Verurteilung wegen einer der in § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a bis c WaffG genannten Straftaten die Regelvermutung, wenn eine Geldstrafe in Höhe von mindestens 60 Tagessätzen verhängt worden ist. Die Vermutung kann daher grundsätzlich auch nicht schon dann entkräftet sein, wenn der Betroffene ansonsten strafrechtlich nicht aufgefallen ist (BVerwG, a.a.O.). Dass sich der Betroffene seit Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung bewährt hat, ist ebenso selbstverständlich und vermag keine Ausnahme von der Regelvermutung zu begründen (Adolph/Brunner/Bannach, WaffG, Stand: Oktober 2019, § 5 Rn. 58).
22
bb) Nach diesen Maßgaben hat die vom Kläger begangene Straftat keinen Ausnahmecharakter, der ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen könnte.
23
Der Kläger ist durch Urteil des Amtsgerichts … vom 11. Dezember 2018 wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verurteilt worden. Er schlug am 23. Januar 2018 dem Geschädigten … mindestens einmal mit einem fast vollen Weizenglas wuchtig in das Gesicht, sodass das Glas zerbrach, und fügte diesem hierdurch mehrere Schnittverletzungen im Bereich der Wange und Oberlippe zu, welche mehrfach genäht werden mussten. Dieses Tatgeschehen ereignete sich während eines Skiurlaubs am späten Abend in geselliger Runde, wobei dem Verhalten des Klägers keinerlei Provokationen seitens seines Opfers vorausgegangen sind. Die Verurteilung des Klägers zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen bewegt sich bereits deutlich nicht mehr im unteren Bereich des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG. Aus dem Tatverhalten des Klägers lassen sich weder im Einzelnen noch in der Gesamtschau Gesichtspunkte ableiten, welche die Tat in einem derart milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers durch eine solche Straftat regelmäßig begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Klägers bzgl. des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Dass der Kläger zum Zeitpunkt der Tatbegehung unter erheblichem Alkoholeinfluss stand, streitet waffenrechtlich nicht für, sondern gegen ihn. Denn eine Enthemmung, die der Kläger nach eigenen Angaben durch übermäßigen Alkoholkonsum herbeigeführt hat und als wesentlich tatursächlich anführt, vermag sein Tatverhalten nicht zu entschuldigen und damit in ein milderes Licht zu rücken. Körperverletzungsdelikte werden vielmehr häufig unter Alkoholeinfluss und daraus resultierender Enthemmung begangen. Dieser Umstand vermag die nach der gesetzgeberischen Wertung begründeten Zweifel an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers mithin nicht auszuräumen. Dasselbe gilt für den Einwand des Klägers, er habe nicht mit direktem Vorsatz, sondern allenfalls bedingt vorsätzlich gehandelt. Dass der Kläger die erheblichen Verletzungen des Geschädigten jedenfalls billigend in Kauf genommen hat, rückt seine Tat nämlich ebenso wenig derart in ein mildes Licht, dass Zweifel an seiner waffenrechtlichen Vertrauenswürdigkeit nicht gerechtfertigt sind. Auch der strafmildernde Umstand des klägerseits durchgeführten Täter-Opfer-Ausgleichs führt nicht dazu, dass die Tat keinen typischen Fall eines vorsätzlichen Verstoßes gegen Strafvorschriften darstellt. Eine Ausnahme von der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG besteht auch nicht deshalb, weil der Kläger bei der gefährlichen Körperverletzung keine Waffe verwendet hat. Ein Zusammenhang der Straftat, welche die Vermutung der Unzuverlässigkeit begründet, mit dem Umgang mit Waffen oder Munition ist nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht erforderlich. Ebenso begründet der Umstand, dass die strafrechtliche Verurteilung des Klägers nicht in sein Führungszeugnis aufzunehmen ist, keine Ausnahme von der Regelvermutung der Unzuverlässigkeit. Dies folgt daraus, dass die Maßstäbe des § 32 BZRG und des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG verschieden sind, wie schon die unterschiedlichen Schwellenwerte der Mindeststrafe zeigen. Schließlich stellt auch der Umstand, dass dem Kläger neben der beklagtenseits angeführten Straftat keine weiteren Verfehlungen zur Last liegen, keinen Gesichtspunkt dar, der die Regelvermutung vorliegend widerlegen kann. Denn ein straffreies Leben wird für den Inhaber einer waffenrechtlichen Erlaubnis grundsätzlich vorausgesetzt und begründet keinen Ausnahmefall.
24
c) Die Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit erfordert vorliegend auch nicht die Einholung eines fachpsychologischen Gutachtens (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 13.12.1994 - 1 C 31/92 - juris Rn. 30). Das Waffenrecht selbst sieht die Einholung eines Gutachtens nur bei Zweifeln an der hier nicht einschlägigen persönlichen Eignung i.S.d. § 6 Abs. 2 WaffG vor (vgl. VG Ansbach, U.v. 9.5.2007 - AN 15 K 07.00726 - juris; VG Würzburg, U.v. 23.10.2015 - W 5 K 15.623 - juris Rn. 36). Die waffenrechtliche Zuverlässigkeit des Klägers gemäß § 5 WaffG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, dessen Prüfung allein der Waffenbehörde bzw. dem Gericht obliegt. Dies gilt umso mehr, als es hier um die Frage einer Ausnahme einer kraft Gesetzes eingetretenen Vermutung der fehlenden Zuverlässigkeit und damit um die rechtliche Würdigung und Bewertung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie „in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt“, nicht aber um die Prognose künftigen Verhaltens geht (VG Würzburg, a.a.O.). Der aufgeworfene Prüfungsmaßstab setzt keine der Behörde bzw. dem Gericht nicht zur Verfügung stehende Sachkunde voraus, die Anlass zur Einholung eines Sachverständigengutachtens geben könnte. Demgemäß erweisen sich auch das vom Kläger in Vorlage gebrachte nervenärztliche Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. … vom 29. April 2020 und dessen rechtliche Annahme der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers als nicht entscheidungserheblich.
25
2. Die in dem angefochtenen Bescheid des Landratsamtes … vom 27. April 2020 getroffenen waffenrechtlichen Nebenverfügungen begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Ziffern 2 und 3 des Bescheides beruhen auf § 46 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WaffG und erweisen sich als rechtmäßig.
26
Die Klage ist nach alledem insgesamt abzuweisen.
27
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.