Inhalt

FG München, Urteil v. 18.03.2021 – 14 K 2639/19
Titel:

Durchschnittsbesteuerung bei einem im Ausland ansässigen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb

Normenketten:
UStG § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
MwStSystRL Art. 295, Art. 296 Abs. 1, Art. 305
Leitsatz:
Den unionsrechtlichen Regelungen der Art. 295 ff MwStSystRL lässt sich keine Beschränkung der Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger auf im Inland ansässige Unternehmen entnehmen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Durchschnittsbesteuerung
Rechtsmittelinstanz:
BFH München, Urteil vom 22.03.2023 – XI R 14/21
Fundstellen:
UStB 2021, 316
EFG 2021, 1411
BeckRS 2021, 13570
LSK 2021, 13570

Tenor

1. Der Umsatzsteuerbescheid 2018 vom 5. August 2019 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 10. September 2019 und der Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2019 wird aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin ist Landwirtin. Ihr land- und forstwirtschaftlicher Betrieb mit Viehbestand (Ziegen) befindet sich in Österreich. Die Klägerin wird in Österreich als pauschalbesteuerte Landwirtin geführt (§ 22 Umsatzsteuergesetz Österreich). Sie verkaufte (erstmals) im Streitjahr 2018 selbst erzeugte Produkte aus eigener Ziegenhaltung auf einem Wochenmarkt in A (Inland).
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In der am 29. April 2019 beim Beklagten (Finanzamt) eingereichten Umsatzsteuererklärung errechnete die Klägerin eine Umsatzsteuer von 0 € für das Jahr 2018. Sie erklärte steuerpflichtige Umsätze nach § 24 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Höhe von 13.145 €, für die keine Steuer zu entrichten sei. Die Umsatzsteuererklärung führte zu einer Festsetzung der Umsatzsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
3
Mit Änderungsbescheid vom 5. August 2019 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer auf 920,15 € fest. Dabei ging es davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Besteuerung der Umsätze der Klägerin im Inland nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 UStG nicht vorliegen. Es unterwarf die von der Klägerin erklärten Umsätze in Höhe von 13.145 € dem ermäßigten Steuersatz von 7%.
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Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Mit Änderungsbescheid vom 10. September 2019 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer auf 859,95 € herab. Dabei ging es nunmehr davon aus, dass es sich bei dem von der Klägerin erklärten Umsätzen von 13.145 € um einen Bruttobetrag handele und die Umsatzsteuer von 7% herauszurechnen sei. Im Übrigen blieb der Einspruch der Klägerin erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2019). Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Besteuerung nach § 24 UStG einen im Inland belegenen landwirtschaftlichen Betrieb voraussetze. Diese Auslegung sei unionskonform. Nach Art. 295 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG - Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) sei ein “land-, forst- oder fischwirtschaftlicher Betrieb ein Betrieb, der in den einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen der in Anhang VII genannten Erzeugertätigkeiten als solcher gilt“. Ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb i.S. des § 24 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UStG liege somit nur vor, wenn der Unternehmer in diesem Mitgliedstaat eine Erzeugertätigkeit i.S. des Anhang VII der MwStSystRL ausübe. Im vorliegenden Fall übe die Klägerin unstreitig in Österreich eine solche Erzeugertätigkeit aus, nicht aber im Inland. Die Anwendung des § 24 UStG sei somit nicht möglich.
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Das Verbringen der Ware von Österreich nach Deutschland stelle grundsätzlich einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb nach § 1a Abs. 2 UStG dar, soweit die Ware in Deutschland veräußert werde. Der Ausnahmetatbestand des § 1a Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c UStG greife nicht, da dieser die Verwendung der Ware für Umsätze, für die die Steuer nach den Durchschnittssätzen des § 24 UStG festgesetzt sei, voraussetze. Da die Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG als Vorsteuer abziehbar sei, ergebe sich jedoch insoweit keine Beschwer für die Klägerin, so dass von einer weiteren Änderung des Umsatzsteuerbescheids für 2018 abgesehen werde.
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Die Klägerin begründet ihre hiergegen gerichtete Klage wie folgt:
„§ 24 UStG setze lediglich voraus, dass Umsätze im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs ausgeführt werden. Eine Beschränkung nur auf Umsätze eines inländischen Betriebs sei dem Gesetzestext des § 24 UStG nicht zu entnehmen. Aus den Art. 295 ff MwStSystRL ergebe sich nichts anderes. Danach sei Voraussetzung für die Anwendung der Pauschalregelung, dass in dem Land, in dem sich der landwirtschaftliche Betrieb befinde, die Erzeugertätigkeit ausgeübt werden müsse. Nicht geregelt sei, dass die erzeugten Produkte unter Anwendung der Pauschalregelung nur im Erzeugerland veräußert werden dürften.“
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Das Verbringen der Erzeugnisse von Österreich nach Deutschland stelle grundsätzlich ein innergemeinschaftliches Verbringen i.S. des § 1a Abs. 2 UStG dar. Bemessungsgrundlage für diese Umsätze seien die Selbstkosten, die mit höchstens 70% der getätigten Umsätze - was auch seitens des Finanzamts nicht beanstandet wird - anzusetzen seien. Da jedoch die nach Deutschland verbrachten Erzeugnisse zur Ausführung von Umsätzen verwendet worden seien, für die die Steuer nach den Durchschnittssätzen des § 24 UStG zu ermitteln sei und die sog. Erwerbsschwelle von 12.500 € unterschritten werde, sei ein innergemeinschaftlicher Erwerb nach § 1a Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c und Nr. 2 UStG ausgeschlossen.
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Die Klägerin beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid 2018 vom 5. August 2019 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 10. September 2019 und der Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2019 aufzuheben.
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Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO).
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze und die vorgelegten Akten Bezug genommen.
II.
12
Die Klage ist begründet. Das Finanzamt hat die im Inland ausgeführten Umsätze der Klägerin zu Unrecht der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des UStG unterworfen. Die Veräußerung der selbsterzeugten landwirtschaftlichen Produkte der Klägerin auf einem Wochenmarkt im Inland unterliegt der Umsatzbesteuerung nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 UStG.
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1. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung wird für “die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze“ vorbehaltlich der Sätze 2 bis 4 die Steuer für die nicht näher bezeichneten - hier einschlägigen - “übrigen Umsätze“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG auf 10,7% der Bemessungsgrundlage festgesetzt. Die Vorsteuerbeträge werden, soweit sie den “übrigen Umsätzen“ zuzurechnen sind, auf 10,7% der Bemessungsgrundlage für diese Umsätze festgesetzt. Ein weiterer Vorsteuerabzug entfällt (§ 24 Abs. 1 Sätze 3 und 4 UStG). Durch diese Regelungen gleichen Steuer und Vorsteuer sich aus, so dass der Landwirt für diese Umsätze im Ergebnis keine Umsatzsteuer zu entrichten hat (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH vom 13. November 2013 XI R 2/11 BStBl II 2014, 543 und vom 10. September 2014 XI R 33/13, BStBl II 2015, 720). Als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb gelten insbesondere die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft (§ 24 Abs. 2 Nr. 1 UStG) und Tierzucht- und Tierhaltungsbetriebe (§ 24 Abs. 2 Nr. 2 UStG).
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2. § 24 UStG ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH richtlinienkonform entsprechend Art. 295 ff der MwStSystRL - bis 31. Dezember 2006 nach Art. 25 der Sechsten RL 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (RL 77/388/EWG) - auszulegen (vgl. BFH-Urteile vom 27. September 2018 V R 28/17, BStBl II 2019, 383, Rz 13 und vom 21. Januar 2015 XI R 13/13, BStBl II 2015, 730, Rz 17 m.w.N.). Die BFH-Rechtsprechung stellt darauf ab, dass § 24 UStG nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks 8/1779, 49) auf Art. 25 der RL 77/388/EWG (nunmehr Art. 295 ff MwStSystRL) beruht. Der deutsche Gesetzgeber hat die unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 25 der RL 77/388/EWG (lediglich) dadurch “umgesetzt“, dass er die bereits bestehende Regelung des § 24 UStG, abgesehen von einigen redaktionellen Änderungen, unverändert aus dem UStG 1973 übernommen und fortgeführt hat (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2015, 730, Rz 18).
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a) Nach Art. 296 Abs. 1 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten auf landwirtschaftliche Erzeuger, bei denen die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder ggf. der vereinfachten Regelung des Kapitels 1 der MwStSystRL auf Schwierigkeiten stoßen würde, als Ausgleich für die Belastung durch die Mehrwertsteuer, die auf die von Pauschallandwirten bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen gezahlt wird, eine Pauschalregelung anwenden. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat hinsichtlich der Bestimmung der von dieser Regelung erfassten Betriebe u.a. die Begriffe “landwirtschaftlicher Erzeuger“, “land-, forst- oder fischwirtschaftlicher Betrieb“ und “landwirtschaftliche Erzeugnisse“ definiert. Landwirtschaftlicher Erzeuger ist nach Art. 295 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL ein Steuerpflichtiger, der seine Tätigkeit im Rahmen eines land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betriebs ausübt. Ein land-, forst- oder fischwirtschaftlicher Betrieb ist nach Art. 295 Abs. 1 Nr. 2 MwStSystRL ein Betrieb, der in den einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen der in Anhang VII genannten Erzeugertätigkeiten als solcher gilt. Landwirtschaftliche Erzeugnisse sind gemäß Art. 295 Abs. 1 Nr. 4 MwStSystRL die Gegenstände, die im Rahmen der in Anhang VII zur Richtlinie aufgeführten Tätigkeiten von den land-, forst,- oder fischwirtschaftlichen Betrieben der einzelnen Mitgliedstaaten erzeugt werden. Die in Anhang VII aufgelisteten Tätigkeiten umfassen den Anbau, die Tierzucht und Tierhaltung in Verbindung mit der Bodenbewirtschaftung, die Forstwirtschaft und die Fischwirtschaft.
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b) § 24 UStG gilt seinem Wortlaut nach für „die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze“. Dies ist in richtlinienkonformer Auslegung dahin zu verstehen, dass damit nur die Lieferungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse und landwirtschaftliche Dienstleistungen gemeint sind, auf die die Pauschalregelung der Art. 295 ff. MwStSystRL Anwendung findet (vgl. BFH-Urteile vom 23. Januar 2013 XI R 27/11, BStBl II 2013, 458, Rz 21 und vom 14. Juni 2007 V R 56/05, BStBl II 2008, 158, Rz 35 m.w.N.; Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH vom 15. Juli 2004 C-321/02, Harbs, BFH/NV 2004, Beilage 4, 371 und vom 26. Mai 2005 C-43/04, Stadt Sundern, BFH/NV 2005, Beilage 4, 320).
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3. Hiervon ausgehend sind im Streitfall die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG erfüllt. Die Klägerin hat auf einem inländischen Wochenmarkt Produkte aus eigener Ziegenhaltung veräußert. Damit hat sie - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - im Rahmen ihres land- und forstwirtschaftlichen Betriebs selbst erzeugte landwirtschaftliche Erzeugnisse im Inland gegen Entgelt geliefert (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1, 3 Abs. 7 Satz 1 UStG). Der Anwendung des § 24 UStG steht nicht entgegen, dass der land- und forstwirtschaftliche Betrieb der Klägerin im Ausland (Österreich) ansässig ist.
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a) Den unionsrechtlichen Regelungen der Art. 295 ff MwStSystRL lässt sich keine Beschränkung der Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger auf im Inland ansässige Unternehmen entnehmen.
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Eine derartige Einschränkung ergibt sich auch nicht aus Art. 295 Abs. 1 Nr. 2 MwStSystRL. Diese Regelung definiert den land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betrieb als einen Betrieb, der in den einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen der in Anhang VII genannten Erzeugertätigkeiten als solcher gilt. Nach der Rechtsprechung des EuGH folgt hieraus, dass der Mitgliedstaat nur innerhalb des ihm von Art. 295 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. mit Anhang VII der MwStSystRL vorgegebenen Rahmens einen landwirtschaftlichen Betrieb inhaltlich definieren darf. Der Gemeinschaftsgesetzgeber wollte für die Anwendung der Art. 295 ff nicht auf das alleinige Kriterium der formalen Eigenschaft als landwirtschaftlicher Erzeuger abstellen, sondern er hat die Anwendung denjenigen landwirtschaftlichen Erzeugern vorbehalten, die sämtliche Bestimmungen der Art. 295 ff MwStSystRL erfüllen (vgl. BFH-Urteil vom 25. November 2004 V R 8/01, BStBl II 2005, 896 Rz 45; EuGH-Urteil vom 15. Juli 2004 C-321/02, Harbs, BFH/NV 2004, Beilage 4, 371). Die Abgrenzung im Einzelnen überlässt die MwStSystRL dabei dem jeweiligen nationalen Recht (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2008, 158, Rz. 53). Über diese inhaltlichen Vorgaben hinaus enthält weder die Regelung des Art. 295 Abs. 1 Nr. 2 MwStSystRL noch der Anhang VII eine unionsrechtliche Vorgabe, dass die Besteuerung nach Durchschnittssätzen den im Inland ansässigen landwirtschaftlichen Betrieben vorbehalten ist.
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Vielmehr spricht die Regelung des Art. 296 Abs. 2 MwStSystRL dagegen, dass die Art. 295 ff MwStSystRL den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnen, die Pauschalregelung auf im Inland ansässige Betriebe zu beschränken. Nach Art. 296 Abs. 2 MwStSystRL kann jeder Mitgliedstaat bestimmte Gruppen landwirtschaftlicher Erzeuger sowie diejenigen landwirtschaftlichen Erzeuger, bei denen die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder gegebenenfalls der vereinfachten Bestimmungen des Art. 281 keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten mit sich bringt, von der Pauschalregelung ausnehmen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Art. 296 Abs. 2 MwStSystRL dahin auszulegen, dass er abschließend regelt, wann ein Mitgliedstaat einen landwirtschaftlichen Erzeuger von der gemeinsamen Pauschalregelung ausnehmen kann. Weder die Ziele der Pauschalregelung noch der Kontext, in den sich Art. 296 Abs. 2 MwStSystRL einfügt, implizieren die Annahme, dass der Gesetzgeber andere Gründe für einen Ausschluss zulassen wollte (EuGH-Urteil vom 12. Oktober 2017 C-262/16, Shields & Sons Partnership, MehrwertSteuerrecht - MwStR 2018, 32).
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Schließlich spricht auch die Regelung des Art. 305 MwStSystRL dagegen, dass die Pauschalbesteuerung unionsrechtlich auf landwirtschaftliche Erzeuger im Inland beschränkt ist. Art. 305 MwStSystRL gibt vor, dass die Mitgliedstaaten - bei Anwendung der Pauschalregelung - alle zweckdienlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse zwischen den Mitgliedstaaten unter den Voraussetzungen des Art. 33 MwStSystRL immer in derselben Weise besteuert wird, unabhängig davon, ob die Erzeugnisse von einem Pauschallandwirt oder von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert werden. Dies bedeutet, dass bei innergemeinschaftlichen Versendungslieferungen, bei denen der Ort der Lieferung gemäß Art. 33 MwStSystRL im Bestimmungsland liegt, eine Pauschalierung nach den Art. 295 ff MwStSystRL ausgeschlossen ist. Die Regelung des Art. 305 MwStSystRL setzt somit voraus, dass auch die nicht im Inland ansässigen landwirtschaftlichen Erzeuger Zugang zur Pauschalbesteuerung haben. Erst wenn die Möglichkeit besteht, dass ausländische landwirtschaftliche Erzeuger im Inland pauschal besteuert werden, kommt der Regelung des Art. 305 MwStSystRL Bedeutung zu.
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Selbst wenn man davon ausginge, dass die Art. 295 ff MwStSystRL den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumen, eine Pauschalbesteuerung nur den im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässigen landwirtschaftlichen Erzeugern zu gewähren - was jedoch die Frage der Vereinbarkeit dieser Beschränkung mit dem freien Dienstleistungsverkehr (Art. 49) aufwirft (vgl. EuGH-Urteil vom 26. Oktober 2010 C-97/09, BFH/NV 2010, 2380 zur Beschränkung der Mehrwertsteuerbefreiung auf diejenigen Kleinunternehmen, die in dem Mitgliedstaat, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird, ansässig sind) - so hat der deutsche Gesetzgeber jedenfalls hiervon keinen Gebrauch gemacht.
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b) Der Wortlaut des § 24 UStG ist insoweit eindeutig. Der Regelung des § 24 UStG ist keine Beschränkung zu entnehmen, dass er auf land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die nicht im Inland ansässig sind, nicht anzuwenden ist. Zwar ist generell zu berücksichtigen, dass die Wortauslegung nur eine von mehreren anerkannten Auslegungsmethoden ist (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 2010 IV R 23/08, BStBl II 2011, 277). Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 1988 1 BvR 243/86, BVerfGE 79, 106). Der Feststellung des objektiven Willens dienen nicht nur die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, sondern auch die Auslegung aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus dem die Vorschrift prägenden Regelungszweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (BFH-Urteil vom 25. September 2013 XI R 41/12, BStBl II 2014, 135 Rz. 23 m.w.N.). Dabei kann die Entstehungsgeschichte keine Auslegung rechtfertigen, die mit dem Gesetzestext nicht im Einklang steht, da eine Intention des Gesetzgebers, die keine hinreichende Grundlage im Wortlaut der Norm gefunden hat, bei der Auslegung keine Beachtung finden kann (BFH-Urteil vom 28. Juli 2011 VI R 5/10, BStBl II 2012, 553).
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Die Entstehungsgeschichte des § 24 UStG lässt gleichfalls nicht auf eine Beschränkung auf inländische land- und forstwirtschaftliche Betriebe schließen (vgl. auch Finanzgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. Februar 1974 III 130/73, EFG 1974, 289). Zwar enthielt § 4 Nr. 19 UStG 1951 (in der Fassung des Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 26. März 1965 - Umsatzsteueränderungsgesetz 1965, BStBl I 1965, 107) eine Steuerbefreiung für inländische land- und forstwirtschaftliche Betriebe. Steuerfrei waren demnach die Lieferungen und der Eigenverbrauch von Gegenständen, die der Unternehmer innerhalb eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs erzeugt hat und selbst liefert, wenn solche Gegenstände im Inland erzeugt zu werden pflegen, sowie solche Leistungen, die in der Aufzucht von Vieh innerhalb eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs bestehen. Mit dem UStG 1967 (vom 29. Mai 1967, BStBl I 1967, S. 224) erfolgte jedoch ein Systemwechsel. Die Land- und Forstwirtschaft wurde in die Besteuerung einbezogen und die Besteuerung nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 UStG eingeführt. Bereits § 24 Abs. 1 Satz 1 i.d.F. des UStG 1967 stellte für die Besteuerung nach Durchschnittssätzen auf Unternehmen ab, “die Umsätze im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausführen“ und enthielt somit keine Beschränkung auf inländische Betriebe. In der Folge unterlag § 24 UStG nur noch geringen Änderungen und ist in seiner Grundstruktur nahezu unverändert geblieben (vgl. hierzu im Einzelnen Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, Kommentar zur Umsatzsteuer, § 24 Rz 7). Die unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 25 der RL 77/388/EWG vom 17. Mai 1977 hat der Gesetzgeber - wie bereits ausgeführt - lediglich dadurch umgesetzt, dass er die bereits bestehende Regelung des § 24 UStG, abgesehen von einigen redaktionellen Änderungen, unverändert übernommen und fortgeführt hat.
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Auch der mit der Einführung des § 24 UStG verfolgte Zweck rechtfertigt keine von seinem Wortlaut abweichende Auslegung. Der Gesetzgeber ging bereits bei Einführung des § 24 im UStG 1967 davon aus, dass land- und forstwirtschaftliche Betriebe in der Regel überfordert wären, wenn sie die Aufzeichnungen machen müssten, die Voraussetzungen für die Anwendung des Mehrwertsteuersystems sind (vgl. schriftlicher Bericht des Finanzausschusses zur BT-Drucks V 1581, S. 3). Dieser Zweck - Vereinfachung des Mehrwertsteuersystems - vermag eine Beschränkung auf im Inland ansässige Land- und Forstwirte nicht zwingend zu begründen, da diese Überlegungen grundsätzlich auch für nicht im Inland ansässige Betriebe Gültigkeit haben.
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Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung ergibt sich auch nicht aus der systematischen Stellung des § 24 UStG, der als Sonderregelung einen besonderen Steuersatz für land- und forstwirtschaftliche Umsätze sowie eine Pauschalierung der Vorsteuer vorsieht. Die allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes bleiben hiervon jedoch unberührt. Der Unternehmerbegriff nimmt keine Rücksicht auf die Ansässigkeit des Unternehmens. Wird ein Umsatz im Inland ausgeführt, so kommt es für die Besteuerung insbesondere nicht darauf an, ob der Unternehmer deutscher Staatsangehöriger ist, oder seinen Wohnsitz oder Sitz im Inland hat (§ 1 Abs. 2 Satz 3 UStG).
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c) § 24 UStG ist somit keine Einschränkung dahingehend zu entnehmen, dass die Regelung nur auf im Inland ansässige land- und forstwirtschaftliche Betriebe anzuwenden ist (so auch BeckOK UStG/Müller, 28. Ed. 16.2.2021, UStG § 24 Rn. 116; a.A. Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, § 24 Rz 213 ohne Begründung; entgegen der früher in Sölch-Ringleb vertretenen Auffassung: Schöll in Sölch/Ringleb, 41. EL, § 24 Rz 18).
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4. Durch das Verbringen ihrer selbst erzeugten Produkte von Österreich nach Deutschland verwirklichte die Klägerin zwar grundsätzlich einen Umsatz durch innergemeinschaftlichen Erwerb im Inland (§ 1 Abs. 1 Nr. 5, § 1a Abs. 2, § 3d Satz 1 UStG). Da sie jedoch die nach Deutschland verbrachten Produkte zur Ausführung von Umsätzen verwendet hat, für die die Steuer nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 UStG berechnet wird (§ 1a Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c UStG) und die sog. Erwerbsschwelle nach § 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG nicht überschritten wird, erfolgt keine Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs.
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a) Als innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt gilt nach § 1a Abs. 2 Satz 1 UStG das Verbringen eines Gegenstandes des Unternehmers aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat. Der Unternehmer gilt als Erwerber (§ 1a Abs. 2 Satz 2 UStG). Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 1a Abs. 2 Satz 1 UStG - worüber zwischen den Beteiligten auch kein Streit besteht - erfüllt. Insbesondere hat die Klägerin ihre Produkte zu ihrer Verfügung in das Inland verbracht, da sie weiterhin Verfügungsmacht über sie hatte und ihre Produkte (erst) nach dem Verbringen ins Inland auf einem inländischen Wochenmarkt veräußerte.
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b) § 1a Abs. 3 UStG ordnet jedoch an, dass ein innergemeinschaftlicher Erwerb i.S. des Abs. 2 nicht vorliegt, wenn der Erwerber - hier die Klägerin - ein Unternehmer ist, der den Gegenstand zur Ausführung von Umsätzen verwendet, für die die Steuer nach den Durchschnittssätzen des § 24 festgesetzt ist (§ 1a Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c) und die Erwerbsschwelle (§ 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG) nicht überschritten wird. Die Erwerbsschwelle wird nicht überschritten, wenn der Gesamtbetrag der Entgelte für Erwerbe im Sinne des § 1a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 den Betrag von 12.500 € im vorangegangenen Kalenderjahr nicht überstiegen hat und diesen Betrag im laufenden Kalenderjahr voraussichtlich nicht übersteigen wird (Erwerbsschwelle). Für den innergemeinschaftlichen Erwerb i.S. des § 1a Abs. 2 UStG bemisst sich das Entgelt nach dem Einkaufpreis zuzüglich der Nebenkosten für den Gegenstand oder einen gleichartigen Gegenstand oder mangels eines Kaufpreises - wie im Streitfall - nach den Selbstkosten, jeweils zum Zeitpunkt des Umsatzes (§ 10 Abs. 4 Nr. 1 UStG). Die Umsatzsteuer gehört nicht zur Bemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 4 Satz 2 UStG). Im Streitfall gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die Ermittlung der Selbstkosten mit 70% der Umsatzsteuerlöse nicht zu beanstanden ist. Demnach ergeben sich Selbstkosten in Höhe von 8.599 (70% der (Netto) Umsätze von 12.285 €). Die Erwerbsschwelle des § 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG wurde somit nicht überschritten.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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6. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.
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7. Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).