Titel:
Keine Anwendung der Vermutungsregel des Art. 21 Abs. 5 der Whistleblower-RL vor Ablauf der Umsetzungsfrist
Normenketten:
KSchG § 1
BGB § 134, § 612a
Whistleblower-RL Art. 21 Abs. 5, Art. 26
Leitsatz:
Vor Ablauf der Umsetzungsfrist des Art. 26 der RL (EU) 2019/1937 ist es weder veranlasst noch zulässig - auch nicht im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts -, im Hinblick auf die Vermutungsregel des Art. 21 Abs. 5 dieser RL eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers anzunehmen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kündigung, Begründungspflicht, Wartezeit, Hinweisgeber, Whistleblower, Beweislastumkehr
Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Endurteil vom 30.06.2020 – 14 Ca 5982/19
Fundstelle:
BeckRS 2021, 13407
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 30.06.2020, Az.: 14 Ca 5982/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung vom 25.10.2019 zum 30.11.2019.
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Der am ...1968 geborene Kläger ist seit 01.06.2019 bei der Beklagten als Data-Architect im Bereich Data Analytics Center (DA) in der Abteilung DataGovernance, Research and Development (DAG) zu einem Bruttomonatsgehalt von 9.000,00 € zuzüglich Unternehmensbonus beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wird geregelt durch den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 05./08.04.2019 (Bl. 8 d.A.). In VII Nr. 1 Probezeit, Beendigung des Dienstverhältnisses ist eine Probezeit von 6 Monaten vereinbart, während dieser Zeit kann das Dienstverhältnis beiderseits mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden.
3
Am 19.07.2019 stellte der Kläger einen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen fest und benachrichtigte Mitarbeiter der Beklagten. Im Folgenden wurde der Fehler bei der Beklagten behoben und das Bayerische Landesamt für Datenaufsicht als Aufsichtsbehörde teilte am 13.08.2019 mit, dass nach Prüfung des Sachverhalts die ergriffenen Abhilfemaßnahmen als zielführend und ausreichend erachtet würden und dass damit der Vorgang seitens der Behörde abgeschlossen sei (Anlage B3, Bl. 42 d.A.).
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Am 02.09.2019 stellte der Kläger einen „Austauschtermin“ für eine Besprechung mit seinem Vorgesetzten R… ein und teilte mit: „Hallo R…, wie bereits angerissen, möchte ich mich gerne mit Dir persönlich über die weitere Zusammenarbeit austauschen. Ich bin immer, momentan aber irgendwie noch mehr als sonst, unter Trommelfeuer sowohl von Headhuntern als auch von Projektanbietern, deren teils krasse Angebote ich gerne pauschal ablehnen würde. Dazu müssten wir kurz besprechen, ob wir im beidseitigem Interesse hinsichtlich meinem Gehalt und Ende der Probezeit nochmal Änderungen vornehmen wollen und können“.
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Mit E-Mail vom 06.09.2019 (Anlage B6, Bl. 46 d.A.) bat der Kläger Herrn R… um eine Kündigung im Rahmen der Probezeit. Er führte dort u.a. aus: „Es tut mir sehr leid, denn ich habe sicherlich mein Bestes gegeben und über weite Strecken auch große Freude an den Aufgaben und besonders auch an der Zusammenarbeit mit Euch gehabt.
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Auch wenn ich mich mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr schnell neuen Aufgaben widmen kann, wird durch eine Arbeitgeberkündigung meine soziale Sicherheit erhöht. Deshalb meine freundliche Bitte an Euch, die Kündigung auszusprechen.“ Mit E-Mail vom gleichen Tag teilte der Vorgesetzte dem Kläger mit, dass er dessen Entscheidung bedauere und wies auf die Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende hin: „Das heißt, wir können Deinen Vertrag zum 31.10.2019 kündigen. Du kannst allerdings auch selbst kündigen, dann können wir Dir mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnis entsprechend entgegen kommen.“
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Mit Mail vom 09.09.2019 (Anlage B8, Bl. 48 d.A.) schlug der Kläger vor, das Thema zunächst einmal ruhen zu lassen, bis Zeit für einen Austausch gefunden worden sei.
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Die Beklagte hörte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 24.10.2019 (Bl. 49 d.A.) zur beabsichtigten Kündigung an. Mit Schreiben vom selben Tag (Bl. 51 d.A.) stimmte der Betriebsrat der Kündigung zu. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich mit Schreiben vom 25.10.2019 unter Einhaltung der Probezeitkündigungsfrist zum 30.11.2019.
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Hiergegen wandte sich der Kläger mit Kündigungsschutzklage vom 14.11.2019, beim Arbeitsgericht Nürnberg am selben Tag eingegangen, und der Beklagten am 19.11.2019 zugestellt.
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Wegen der Anträge der Parteien und ihres näheren Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen,
11
Mit Endurteil vom 30.06.2020 hat das Arbeitsgericht Nürnberg die Kündigungsschutzklage abgewiesen.
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Die Kündigung sei nicht nach § 1 KSchG unwirksam, da sie noch vor Ablauf der Wartezeit erfolgt sei. Die Kündigung sei auch nicht aus sonstigen Gründen unwirksam, insbesondere nicht nach §§ 612a, 134 BGB. Dem Vortrag des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägers sei nicht zu entnehmen, dass die seinerseits erfolgte Meldung eines Datenschutzverstoßes tragender Beweggrund für die streitgegenständliche Kündigung gewesen sei. Auch eine Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis könne der Kläger nicht beanspruchen, da insbesondere gerade kein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der Rechtsausübung bestünde. Die Beklagte habe schlüssige und nachvollziehbare Anhaltspunkte dargetan, auf die sie die während der Probezeit ausgesprochene Kündigung stütze. Eine Substantiierung verhaltensbedingter Kündigungsgründe sei außerhalb des Anwendungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes gerade nicht erforderlich.
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Eine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers ergebe sich nicht aufgrund der Regelung in Artikel 21 Absatz 5 der Richtlinie (EU) 2019/1937 (i.F. „Richtlinie“).
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Die Richtlinie bedürfe der Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten. Davor entfalte sie auch unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben und der praktischen Wirksamkeit keine unmittelbare Wirkung. Auch eine richtlinienkonforme Auslegung hin zu einer Beweislastumkehr beginne erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist, nicht schon mit Erlass der Richtlinienbestimmung. Hier gelte es auch die Wertung des § 1 KSchG zu beachten, wonach der Ausspruch einer Kündigung vor Ablauf der Wartezeit gerade keines Grundes im Sinne des § 1 KSchG bedürfe und insoweit auch keine Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers bestehe. Die Kündigung sei nicht nach § 102 Absatz 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
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Die Beklagte habe den Betriebsrat mit Schreiben vom 24.10.2019 in ausreichender Form über die Gründe, die sie zur Kündigung des Klägers veranlasst hätten, informiert und die Sozialdaten des Klägers mitgeteilt. Der Betriebsrat habe mit Schreiben vom 24.10.2019 der Kündigung zugestimmt, womit das Anhörungsverfahren abgeschlossen gewesen sei.
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Gegen das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 11.08.2020 zugestellte Endurteil hat dieser mit Schriftsatz vom 09.09.2020, der beim Landesarbeitsgericht am 10.09.2020 eingegangen ist, Berufung eingelegt und sie innerhalb der bis zum 11.11.2020 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 10.11.2020, eingegangen am Folgetag, begründet.
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Der Kläger vertieft seinen erstinstanzlichen Sachvortrag und macht geltend, er habe im Verlauf seiner Arbeitstätigkeit schwere Verstöße gegen die DSGVO festgestellt und Mitarbeiter der Beklagten darüber informiert. Nach den entsprechenden Meldungen habe sich die Zusammenarbeit innerhalb des Arbeitsverhältnisses verschlechtert, ohne dass der Kläger Anlass zur Beanstandungen seiner Tätigkeit oder seines Verhaltens gegeben habe. Nach Aufdeckung der Verstöße hätte sich der Kläger einer deutlichen Verschlechterung des Betriebsklimas sowie Repressalien ausgesetzt gesehen und sei zu sachfremden Arbeiten herangezogen worden. Ein Mitarbeiter aus der Abteilung Datenschutz habe in einer unmittelbar auf die Aufdeckung der vorgenannten Verstöße folgenden Besprechung dem Kläger gegenüber geäußert: „Na Glückwunsch, noch in der Probezeit“.
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Der Kläger sehe den Grund für seine Kündigung innerhalb der Probezeit ausschließlich in der Aufdeckung der Verstöße gegen die DSGVO. Bei den von der Beklagten zitierten Kündigungsgründen handele es sich nur um pauschale Wertungen und es fehle insoweit jeglicher schlüssiger Tatsachenvortrag zu den Wertungen. Der Kläger wendet sich gegen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts und macht geltend, dass die Feststellungen zur Darlegungs- und Beweislast angesichts der EU-RL 2019/1937 nicht mehr aufrechtzuerhalten seien. Der Anwendbarkeit der EU-Richtlinie stünde auch nicht entgegen, dass sie noch nicht in das nationale Recht umgesetzt sei. EU-Richtlinien entfalteten bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist insoweit Rechtswirkungen, als nationale Rechtsnormen im Wege einer „europarechtskonformen Auslegung“ soweit möglich unter Beachtung der Vorgaben der Richtlinie zu interpretieren seien, um Kollisionen zwischen europarechtlichen Vorgaben und innerstaatlichem Recht zu vermeiden.
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Die Anwendung der Richtlinie dürfe nur vor deren Umsetzung nicht zu einer Auslegung „Contra legem“ des nationalen Rechtes führen. Dies sei bei Anwendung dieser Richtlinie innerhalb des § 612a BGB deswegen nicht der Fall, weil dort nicht die Frage einer Beweislastverteilung enthalten oder geregelt sei. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Aufdeckung der DSGVO-Verstöße und der Kündigung ergebe sich trotz des zeitlichen Zwischenraums von drei Monaten daraus, dass die Beklagte in Kenntnis der kurz vor dem Erlass am 23.10.2019 stehenden EU-Richtlinie eine Arbeitgeberkündigung unbedingt vermeiden wollte und deshalb versucht habe, durch die geschilderten Repressalien eine Arbeitnehmerkündigung herbeizuführen. Dies wäre der Beklagten beinahe auch gelungen, nachdem der stark unter Druck gesetzte Kläger die Beklagte zunächst um Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen der Probezeit gebeten habe. Diesen Wunsch habe der Kläger rückgängig gemacht, als ihm klar wurde, dass sein Vorgesetzter durch Druckausübung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfolgte. Ungeachtet dessen, dass bereits nach bisher geltendem Recht bei engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen Aufdeckung und Kündigung ein „Prima-Facie-Beweis“ zugunsten des Klägers anzunehmen sei, gelte zusätzlich nach der EU-Richtlinie eine Beweislastumkehr als „Maßnahme zum Schutz vor Repressalien“. Diese Beweislastumkehr greife in keiner Weise in die nationalen Gesetze ein, sondern konkretisiere den bereits nach dem allgemeinen Verfahrensrecht bei „typischen Geschehensabläufen“ eintretenden „Prima-Facie-Beweis“.
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Die von der Beklagten als Kündigungsgründe vorgeschobenen Wertungen seien als unsubstantiiert und damit wirkungslos zurückzuweisen. Die Beklagte habe nicht einmal schlüssig vorgetragen, dass die Kündigung ungeachtet der Aufdeckung des DSGVO-Verstoßes erfolgt wäre. Die dem Kläger gegenüber erklärte Kündigung sei daher wegen Verstoßes gegen die EU-Richtlinie unwirksam. Hilfsweise solle die Frage der Bindungswirkung der Beweislastumkehr vor Umsetzung der Richtlinie dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt werden.
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Der Kläger und Berufungskläger stellt folgende Anträge:
I. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 30.06.2020, Az.: 14 Ca 5982/19, wird aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Arbeitgeberkündigung der Beklagten vom 25.10.2019 zum 30.11.2019 nicht aufgelöst wurde, sondern unverändert darüber hinaus fortbesteht.
III. Hilfsweise wird beantragt, die im hiesigen Verfahren anstehende, Frage, ob und ggf. inwieweit die EU-RL 2019/1937 schon vor ihrer Umsetzung in das nationale Recht für die Gerichte bei ihren Entscheidungen anwendbar ist, insbesondere die Frage, ob und ggf. inwieweit die Beweislastumkehr gem. Art. 21 (5) der Richtlinie bereits für die Gerichte bei ihren Entscheidungen vor Umsetzung in das nationale Recht bindend ist, gem. Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorzulegen.
IV. Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.
22
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
Die Berufung des Klägers sowie der neuerlich gestellte Hilfsantrag zu III. sind vollumfänglich zurückzuweisen.
23
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Vertiefen ihres Sachvortrages erster Instanz. Der Kläger habe keinen schweren Verstoß gegen die DSGVO aufgedeckt, sonst hätte die Aufsichtsbehörde den Vorgang nicht ohne Weiteres abgeschlossen, ohne auch nur eine Verwarnung oder ein Bußgeld zu erteilen. Der Kläger habe sich nicht an die vorgeschriebene Meldekette gehalten.
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Es werde bestritten, dass sich nach der Meldung des Klägers das Betriebsklima verschlechtert und sich der Kläger Repressalien ausgesetzt gesehen habe. Es werde bestritten, dass der Kläger branchenfremde und nicht zu bewältigende Aufgaben von seinem Vorgesetzten erhalten habe. Die Beklagte habe die der Kündigung zugrundeliegenden subjektiven Werturteile nicht näher konkretisieren müssen. Sie sei jedenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit aufgrund der in der Betriebsratsanhörung genannten Gründe nicht erwartet werden könne. Diese Begründung sei außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes vollkommen ausreichend. Im Gespräch des Klägers mit Herrn D… sei keine wie von der Klägerseite geschilderte Aussage gefallen. Herr D… sei weder fachlich noch disziplinarisch dem Kläger vorgesetzt noch habe er in sonstiger Weise auf die Kündigung des Klägers hingewirkt oder auch nur hätte hinwirken können. Weder Herr W… noch Herr R… hätten die Kündigungsentscheidung getroffen, diese aber durchaus befürwortet. Die finale Kündigungsentscheidung sei in einem Gespräch zwischen dem Leiter Personalmanagement und dem Personalreferent getroffen worden. Beide hätten keinerlei Kenntnis davon gehabt, dass der Kläger einen Datenschutzverstoß gemeldet habe. Daher habe dies bei ihrer Entscheidung keine Rolle spielen können.
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Die Kündigung sei in der Probezeit wirksam erfolgt. Einer Vorlage an den EuGH bedürfe es nicht. Es ergebe sich bereits aus Artikel 288 AEUV, dass Richtlinien im Gegensatz zu Verordnungen nicht unmittelbar anzuwenden seien. Die Richtlinie gebe den Mitgliedsstaaten das normativ verbindliche Regelungsziel vor. Wie die Umsetzung konkret erfolge, entschieden jedoch die Mitgliedsstaaten. Die Richtlinie sei noch nicht in nationales Recht umgesetzt, daher seien allein die nationalen Rechtsvorschriften, insbesondere das Kündigungsschutzgesetz, heranzuziehen. Die nationalen Gerichte seien grundsätzlich nicht verpflichtet, die während der Umsetzungsfrist erlassenen Vorschriften, die Bestandteil des nationalen Rechts geworden seien, bzw. Vorschriften, die beim Inkrafttreten der Richtlinie bereits Bestandteil des nationalen Rechts gewesen seien, vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist richtlinienkonform auszulegen. Die Herstellung einer richtlinienkonformen Rechtslage sei bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist nicht geboten. Somit müssten die kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften nicht richtlinienkonform ausgelegt werden. Eine einfache Auslegung der Richtlinie sei nicht möglich, da ein Gericht derzeit nicht sagen könne, wie die Sanktionen aussehen würden.
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Darüber hinaus sei fraglich, ob der Kläger tatsächlich Hinweisgeber im Sinne der Richtlinie sei. Bei der Beklagten existiere ein internes Hinweisgebersystem, das der Kläger jedenfalls nicht genutzt habe. Unabhängig davon liege kein Verstoß gegen die Richtlinie vor. Zwischen der Meldung des Datenschutzvorfalls und der Kündigung des Klägers bestünde keinerlei Zusammenhang. Der Kläger habe in E-Mails bestätigt, dass es zu Kompetenzstreitigkeiten und Eskalationen innerhalb des Teams gekommen sei und seinen Wunsch nach einer Kündigung zudem damit gerechtfertigt, dass ihm nicht genügend Befugnisse zukämen. Er habe nicht geäußert, dass er von seinem Vorgesetzten „gemobbt“ oder auch nur ungerecht behandelt worden sei. Im Gegenteil habe der Kläger erklärt, über weite Strecken auch große Freude an den Aufgaben, besonders an der Zusammenarbeit, gehabt zu haben.
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Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 24.02.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Absatz 2 c) ArbGG statthaft, und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG, 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 Absatz 3 ZPO.
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Die Berufung ist aber unbegründet. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg schließt sich nach eigener Prüfung den zutreffenden und ausführlich begründeten Erwägungen des Arbeitsgerichts Nürnberg in vollem Umfang an und sieht von einer bloß wiederholenden Darstellung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab.
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Insbesondere auf die Ausführungen zu der Nichtanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes und der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung wird verwiesen. Der Kläger hat insoweit das Ersturteil auch nicht gerügt.
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Zu Recht hat das Erstgericht die Nichtigkeit der Kündigung wegen §§ 612a, 134 BGB verneint.
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Lediglich im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind folgende Anmerkungen erforderlich:
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Nach der gesetzlichen Konzeption des § 1 Absatz 1 KSchG entsteht der Schutz gegenüber ordentlichen Kündigungen durch den Arbeitgeber erst, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat. Eine Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate bedarf also individualrechtlich keinerlei Begründung. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Darlegung der Kündigungsgründe durch das Gericht würde damit der gesetzlichen Regelung widersprechen. Dementsprechend kann dem Arbeitgeber nach derzeitiger Rechtslage auch nicht im Rahmen der Prüfung des § 612a BGB eine originäre Darlegungslast auferlegt werden. Deshalb trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Maßregelung im Sinne des § 612a BGB.
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Eine Abstufung und Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, wie sie § 611a Absatz 1 und 3 a.F. vorsah, ist nicht auf § 612a übertragbar. Dies gilt auch für § 22 AGG. In Betracht kommt jedoch für den Arbeitnehmer eine Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis, wenn ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und der Rechtsausübung besteht (ErfK/Preis 21. Auflage 2021, BGB § 612a Rn. 22 m.w.N.).
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Auch die erkennende Kammer des Berufungsgerichts folgt dieser in den gesetzlichen Regelungen in § 1 Absatz 1 KSchG und § 612a BGB angelegten Rechtsansicht. Es ist weder veranlasst noch zulässig, im Hinblick auf Artikel 21 Absatz 5 Richtlinie (EU) 2019/1937 eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers vor Ablauf der Umsetzungsfrist des Artikels 26 der Richtlinie anzunehmen. Dies würde unmittelbar zu einer Begründungspflicht des Arbeitgebers auch für eine Kündigung in der Wartezeit führen, wenn der Arbeitnehmer geltend macht, eine Benachteiligung infolge seiner Meldung erlitten zu haben. Zu Recht weist das Erstgericht darauf hin, dass die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 den Mitgliedsstaaten unter Einräumung eines Ermessensspielraums obliegt.
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Artikel 23 „Sanktionen“ bestimmt: „Die Mitgliedsstaaten legen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für Hinweisgeber fest“. Dabei erscheint durchaus möglich, dass der nationale Gesetzgeber als entsprechende Sanktion die Unwirksamkeit einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung festlegen wird. Es obliegt aber der Legislative, bei der Umsetzung der Richtlinie das Verhältnis von wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen zu anderen nationalen gesetzlichen Regelungen auszugestalten. Derzeit jedenfalls besteht keine Verpflichtung der Gerichte, bei der Beurteilung einer behaupteten Maßregelung durch Ausspruch einer Kündigung bereits jetzt im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung im Hinblick auf Artikel 21 Absatz 5 Richtlinie (EU) 2019/1937 eine Beweislastumkehr vorzunehmen und damit für Fälle wie dem vorliegenden faktisch eine Begründungspflicht in der Wartezeit gegen die gesetzliche Regelung zu postulieren.
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Dafür besteht auch im vorliegenden Fall kein Anlass, da die derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen (§ 1 KSchG, § 612a BGB) zusammen mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung eine sachgerechte Entscheidung ohne Weiteres ermöglichen.
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Nach der unstreitigen Sachlage kann ein Zusammenhang zwischen der Meldung des Datenschutzverstoßes und der Probezeitkündigung nicht angenommen werden, geschweige denn ein „offensichtlicher Zusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und der Rechtsausübung“ (Erfurter Kommentar a.a.O. m.w.N.).
39
Schon der zeitliche Ablauf spricht klar gegen einen solchen Zusammenhang: Wie der Kläger selbst vorträgt, ist die Meldung des Datenschutzverstoßes zu Beginn des Arbeitsverhältnisses erfolgt. Auch das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass jedenfalls mit der Mitteilung der Aufsichtsbehörde vom 13.08.2019 der datenschutzrechtliche Vorgang abgeschlossen war. Die Probezeitkündigung ist 2,5 Monate später ausgesprochen worden. Zwar hat der Kläger vorgetragen, dass sich im Folgenden die Arbeitsbedingungen aufgrund von Handlungen von Mitarbeitern der Beklagten verschlechtert hätten. Dem ist die Beklagte jedoch mit Hinweis auf ein „dominantes und belehrendes Auftreten“ des Klägers entgegengetreten, und hat dies untermauert mit Vorlage einer E-Mail des Klägers vom 08.10.2019 (Anlage B4, Bl. 44 d.A.), in der sich der Kläger selbst bei Herrn W… für ein Verhalten im Review Board entschuldigt und angekündigt hat, sich in Zukunft mit solchen Anmerkungen stark zurückzuhalten.
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Auch die weiteren schriftlichen Stellungnahmen des Klägers widerlegen ihn selbst: So gibt die Buchung einer Besprechung vom 02.09.2019 (Anlage B5, Bl. 45 d.A.) gerade nicht wider, dass sich der Kläger im Arbeitsverhältnis unwohl fühlt. Vielmehr weist er darauf hin, dass er „immer, momentan aber irgendwie noch mehr als sonst unter Trommelfeuer sowohl von Headhuntern als auch von Projektanbietern [ist], deren teils krasse Angebote [er] gerne pauschal ablehnen würde.“ Er regt dann an, zu besprechen, ob im beiderseitigen Interesse hinsichtlich seines Gehaltes und Ende der Probezeit nochmal Änderungen vorzunehmen seien. Er gibt damit klar zu verstehen, bei der Beklagten weiter arbeiten zu wollen, jeglicher Hinweis auf verschlechterte Arbeitsbedingungen fehlt. Auch aus dem E-Mail-Wechsel, beginnend mit dem E-Mail des Klägers vom 06.09.2019 (Anlage B6, Bl. 46 d.A.), lassen sich keinerlei Beeinträchtigungen des Klägers aus der Meldung eines lange zurückliegenden Datenschutzverstoßes und folgend verschlechterten Arbeitsbedingungen ersehen. Vielmehr bittet der Kläger um eine Kündigung der Beklagten, weil er zwar weitreichende Verantwortung für die Datenarchitektur der Beklagten tragen solle, jedoch über keinerlei Befugnisse verfüge, die ein kraftvolles Durchsetzen der notwendigen Schritte gegenüber der IT und den Fachbereichen ermöglichen würden. Er sei für diese Situation nicht der richtige Mann: „Wir werden daher in jedem Einzelfall sowie jetzt bei perobs, sofort zu Kompetenzstreitigkeiten, Eskalationen und unangenehmen Situationen kommen.“ Damit geht die Initiative zur Beendigung des Probearbeitsverhältnisses allein vom Kläger aus.
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Anhaltspunkte für eine Benachteiligung durch die Beklagte fehlen völlig, vielmehr führt der Kläger aus: „Es tut mir sehr leid, denn ich habe sicherlich mein Bestes gegeben und über weite Strecken auch große Freude an den Aufgaben und besonders auch an der Zusammenarbeit mit Euch gehabt.“ Diese zeitnahen schriftlichen Äußerungen des Klägers stehen in eklatantem Widerspruch zu den nunmehr behaupteten Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen.
42
Damit ist jedenfalls ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und der Meldung des Datenschutzverstoßes nicht gegeben.
43
Darüber hinaus ist die Kammer aber auch der Ansicht, dass aufgrund der vorgelegten E-Mails des Klägers die Beklagte nachgewiesen hätte, dass die Kündigung „auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte“ (Artikel 21 Absatz 5 Satz 2 Richtlinie (EU) 2019/1937).
44
Ein Arbeitgeber, dem ein Arbeitnehmer zunächst eine Verkürzung der Probezeit und Erhöhung des Gehalts wegen „teils krasser Angebote“ von anderen Arbeitgebern anträgt, kurz darauf aber, „weil er nicht der richtige Mann“ für die Situation sei, vorschlägt, durch eine Arbeitgeberkündigung seine „soziale Sicherheit“ zu erhöhen, hat hinreichend gerechtfertigte Gründe, das Arbeitsverhältnis eines herausgehobenen Mitarbeiters in der Probezeit zu beenden.
45
Damit ist die Berufung auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens unbegründet. Die hilfsweise beantragte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union war angesichts der Regelungen des Artikels 288 Absatz 3 AEUV und der hierzu ergangenen Rechtsprechung nicht erforderlich.
46
1. Die Klagepartei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen,
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2. Für die Zulassung der Revision bestand kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Absatz 1 und 2 ArbGG.