Inhalt

LG Ansbach, Endurteil v. 23.04.2021 – 3 O 1239/20 Ver
Titel:

Begründung der Prämienerhöhung in der privaten Krankenversicherung

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2 S. 1, Abs. 5
VAG § 155 Abs. 3, Abs. 4
BGB § 306 Abs. 2
Leitsatz:
Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für eine Prämienerhöhung in der privaten Krankenversicherung erfordert lediglich die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung veranlasst hat, nicht aber die Angabe, in welcher Höhe sich die Rechnungsgrundlage verändert hat und inwieweit weitere Faktoren die Prämienhöhe beeinflusst haben (Anschluss an BGH BeckRS 2020, 37388). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Prämienerhöhung, Begründung, Rechnungsgrundlage, Unwirksamkeit, Schwellenwert
Fundstelle:
BeckRS 2021, 13236

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
4. Der Streitwert wird auf 11.334,92 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Erhöhung von Prämien in einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung.
2
Der in … E… wohnhafte Kläger unterhält bei der Beklagten seit 01.05.1982 eine Kranken- und Pflegeversicherung. In den Vertrag einbezogen sind die zugehörigen AVB (auszugsweise Anlage BLD 1).
3
Die Beklagte passte zum 01.01.2016 die Beiträge im Tarif ambulante Heilbehandlung (…) durch eine Erhöhung von 24,88 € an. In dem Anschreiben führte die Beklagte zur Begründung aus: „Warum erhöhen wir Ihren Beitrag?
(…) medizinischer Fortschritt führt jedoch im Laufe der Zeit zu einem Anstieg der Krankheitskosten - davon sind wir alle betroffen. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, einmal jährlich für jeden Tarif das Verhältnis von Beitragseinnahmen und Leistungsausgaben zu prüfen. Zeigt sich dabei - wie in diesem Jahr bei Ihrem Tarif - eine deutliche Abweichung, passen wir die Beträge an. (…)“
Zusätzlich ist in dem neuen Versicherungsschein ausgeführt „Anpassungsgrund: die Gegenüberstellung der erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen ergab eine Abweichung von mehr als 10 %.“
4
Zum 01.01.2018 erhöhte die Beklagte ebenfalls im Tarif ambulante Heilbehandlung (…) den Beitrag um 18,45 € sowie im Tarif stationäre Heilbehandlung … um 33,35 €. Im dem Anschreiben führte die Beklagte hierzu aus:
„Der Gesetzgeber verpflichtet uns, für jeden Tarif die medizinischen Ausgaben zu prüfen und ggf. die Beiträge anzupassen. Diese Prüfung hat ergeben, dass in Ihrem Tarif bzw. Ihren Tarifen eine Anpassung notwendig ist. (…) Diese fortschrittliche Medizin geht einher mit höheren Ausgaben, die alle Versicherten in ihrem Tarif gemeinsam tragen.“ Zusätzlich heißt es im Versicherungsschein: „Auslösender Faktor für die Beitragsanpassung: Versicherungsleistungen“.
5
Zum 01.01.2019 erhöhte die Beklagte im Tarif ambulante Heilbehandlung (…) den Beitrag um 36,98 € und im Tarif stationäre Heilbehandlung (…) um 12,56 €. Zur Begründung führt die Beklagte in dem Anschreiben unter anderem aus:
„Warum kommt es überhaupt zu einer Erhöhung? (…) Volle Teilhabe am medizinischen Fortschritt hat aber auch ihren Preis. Zielgenaue Verfahren kosten oft mehr Geld, individuelle Therapien erfordern mehr Aufwand.“
6
Zudem führt die Beklagte in dem neuen Versicherungsschein aus: „Auslösender Faktor für die Beitragsanpassung: Versicherungsleistungen“
7
Zum 01.01.2020 erhöhte die Beklagte die Beiträge im Tarif ambulante Heilbehandlung (…) um 39,02 € und im Tarif Pflegezusatztagegeld um 0,82 €. In dem Anschreiben hierzu führte die Beklagte unter anderem aus:
„Die A… ermöglicht ihren Kunden, am medizinischen Fortschritt teilzuhaben. Das ist ein großes Versprechen, das Sicherheit gibt. Dies führte im letzten Jahr aber auch zu gestiegenen Leistungsausgaben in Ihrem Tarif bzw. Ihren Tarifen.“
8
Zudem führte die Beklagte in dem neuen Versicherungsschein aus:
„Auslösender Faktor für die Beitragsanpassung: Versicherungsleistungen“.
9
Der Kläger bezahlte jedenfalls bis zum 19.08.2020 die erhöhten Beiträge an die Beklagte.
10
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 19.08.2020 machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Unwirksamkeit der Prämienerhöhung geltend und forderte diese zur Rückzahlung der auf die Erhöhungen zurückzuführenden Prämien einschließlich daraus gezogener Nutzungen auf.
11
In der Klageerwiderung wendet die Beklagte Verjährung hinsichtlich der bis 2016 entstandenen Ansprüche ein.
12
Der Kläger ist der Ansicht, die vorgenommenen Beitragserhöhungen sei in formeller und materieller Hinsicht rechtswidrig. So seien die jeweiligen Beitragsanpassungen unter Verstoß gegen § 203 Abs. 5 VVG nicht ausreichend begründet worden. Der Kläger meint weiter, die von der Beklagten verwendeten Versicherungsbedingungen seien insoweit wegen Verstoßes gegen § 155 Abs. 3 S. 2 VAG unwirksam, als eine Beitragsanpassung auch bei einer Abweichung hinsichtlich der kalkulierten Versicherungsleistungen von weniger als 10 % ermöglicht wird.
13
Der Kläger beantragt:
1)
Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer … unwirksam sind:
2)
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 4.360,40 € € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3)
Es wird festgestellt, dass die Beklagte
4)
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.074,16 € € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
14
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
15
Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei bei den einzelnen Beitragserhöhungen jeweils ihrer Mitteilungspflicht aus § 203 Abs. 5 VVG nachgekommen. Zudem seien die von ihr verwendeten Versicherungsbedingungen hinsichtlich der Abweichung vom gesetzlich in § 155 Abs. 3 S. 2 VAG vorgesehenen Schwellenwert wirksam. Im Übrigen sei jedenfalls ein Teil des Rückzahlungsanspruchs bereits verjährt.
16
Im Übrigen wird auf die in der Akte befindlichen Schriftsätze und insbesondere das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 19.03.2021 (Bl. 122 ff. d.A.) umfassend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17
Die zulässige Klage ist vollumfänglich nicht begründet.
A. Zulässigkeit
18
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Ansbach gemäß § 215 VVG örtlich und gemäß §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.
B. Begründetheit
19
Die Klage ist vollumfänglich nicht begründet.
20
I. Der mit dem Klageantrag Ziffer 1 geltend gemachte Feststellungsantrag ist unbegründet.
21
Die von der Beklagten vorgenommenen streitgegenständlichen Beitragserhöhungen sind wirksam und verstoßen insbesondere nicht gegen § 203 Abs. 5 VVG.
22
1. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie im Sinne dieser Vorschrift fordert lediglich die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 S. 1 VVG veranlasst hat (BGH, NJW 2021, 378, Rn 26; IV ZR 314/19, BeckRS 2020, 37388, Rn. 21). Demgegenüber muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich die Rechnungsgrundlage verändert hat und inwieweit weitere Faktoren die Prämienhöhe beeinflusst haben (BGH, a.a.O.). Anzugeben ist nur, ob eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten die in §§ 155 Absätze 3 und 4 VAG oder in den allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelten Schwellenwerte überschreitet (BGH, a.a.O.). Der Umfang der Überschreitung der Schwellenwerte ist hingegen nicht anzugeben (vgl. BGH, a.a.O.). Ebenso wenig muss angegeben werden, ob der Schwellenwert des Gesetzes oder ein davon abweichend in allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelter Schwellenwert überschritten wurde (vgl. BGH, a.a.O.).
23
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte unstreitig in sämtlichen streitgegenständlichen Beitragsanpassungen zur Begründung ausgeführt, dass die Anpassung auf einer Veränderung der Versicherungsleistungen beruht und damit nach den vom BGH gesetzten Maßstäben, denen sich das Gericht anschließt, ihre Informationspflichten erfüllt.
24
2. Die von der Beklagten verwendeten allgemeinen Versicherungsbedingungen sind jedenfalls soweit sie eine Herabsetzung des Schwellenwertes von 10 % auf 5 % ermöglichen wirksam.
25
Der Auffassung der Klagepartei, dass aufgrund der Unwirksamkeit des Absatzes 2 der Klausel zwingend auch der Absatz 1, in dem die Abweichung von der 10 % Schwelle geregelt ist, unwirksam sein muss, überzeugt nicht. Die Klagepartei argumentiert dahingehend, dass aufgrund des Wegfalles des Absatz 2 nunmehr nicht mehr zum Ausdruck kommt, dass eine Anpassung bei einer nur vorübergehenden Veränderung der Versicherungsleistungen ausgeschlossen ist. Nach § 306 Abs. 2 BGB treten jedoch die gesetzlichen Vorschriften an die Stelle einer unwirksamen Klausel. Vorliegend kann damit ohne Weiteres auf § 155 Abs. 3 VAG zurückgegriffen werden und ist die Regelung in Absatz 1 eindeutig abtrennbar und für sich genommen verständlich (vgl. hierzu auch LG München I - Vfg. vom 01.02.2021, 12 O 6179/20).
26
II. Aufgrund der Wirksamkeit der Beitragsanpassungen hat der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 4.360,40 € aus §§ 812 ff. BGB oder sonstigen Vorschriften.
27
III. Aufgrund der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Beitragsanpassungen ist auch der Feststellungsantrag aus Ziffer 3 der klägerischen Anträge nicht begründet.
28
IV. Schließlich hat der Kläger aufgrund dessen, dass die geltend gemachten Ansprüche gegenüber der Beklagten, wie ausgeführt, nicht bestehen, auch keinen Anspruch gegen die Beklagtenpartei auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
29
V. Mangels Hauptforderung hat der Kläger auch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf die begehrten Nebenforderungen.
C. Nebenentscheidungen
30
I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
31
II. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
32
III. Der Streitwertbeschluss beruht auf § 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit §§ 3 ff. ZPO.
Verkündet am 23.04.2021