Inhalt

VGH München, Beschluss v. 02.06.2021 – 20 NE 21.1383
Titel:

Untersagung des Betriebs von Sonnenstudios wegen Corona-Pandemie

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 6
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14, Abs. 3, § 32
BayIfSMV § 11 Abs. 5 S. 1, § 12
Leitsätze:
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen, wobei die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren erlangen, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Verordnungsgeber hat, wenn er eine Schutzmaßnahme dem Grunde nach für erforderlich hält, zu prüfen und darzulegen (§ 28 Abs. 5 S. 1 IfSG), ob gerade diese landesweit angeordnet werden muss oder ob insoweit differenziertere Regelungen in Betracht kommen; hat der Verordnungsgeber zu einem früheren Zeitpunkt bereits landesweite Regelungen getroffen, ist er zudem - wie stets - von Verfassungs wegen dazu verpflichtet, fortlaufend und differenziert zu prüfen, ob diese und die dadurch bewirkten konkreten Grundrechtseingriffe auch weiterhin gerechtfertigt oder aufzuheben sind. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einer aktuellen landesweiten Sieben-Tage-Inzidenz von 37,5 sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die eine landesweit geltende vollständige Betriebs- und Nutzungsuntersagung von Sonnenstudios rechtfertigen könnten. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Betriebsschließung (hier: Sonnenstudios/Solarien), Sieben-Tage-Inzidenz, Aufrechterhaltung von Schutzmaßnahmen trotz Schwellenwertunterschreitung, Betriebsschließung, Betriebs- und Nutzungsuntersagung, Sonnenstudio, Solarium, Schwellenwertunterschreitung, Schutzmaßnahme, Prüfungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2021, 12835

Tenor

I. § 11 Abs. 5 Satz 1 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV vom 5. März 2021, BayMBl. 2021 Nr. 171), zuletzt geändert mit Verordnung vom 19. Mai 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 351) wird bis zur Entscheidung über die Hauptsache vorläufig außer Vollzug gesetzt, soweit darin die Öffnung und der Betrieb von Solarien untersagt wird.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin betreibt ein Sonnenstudio in A.. Mit ihrem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO wendet sie sich gegen § 11 Abs. 5 Satz 1 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV vom 5. März 2021, BayMBl. 2021 Nr. 171), zuletzt geändert mit Verordnung vom 19. Mai 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 351), soweit darin die Öffnung und der Betrieb von Solarien untersagt werde.
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1. Zur Begründung trägt sie u.a. vor, die angegriffene Vorschrift greife in nicht gerechtfertigter Weise in ihre Grundrechte ein. Die Behandlung von Sonnenstudios durch den Verordnungsgeber sei weder nachvollziehbar noch sachgerecht. Die aktuelle Regelung berücksichtige nicht, dass Sonnenstudios weder Freizeiteinrichtungen noch mit den in § 11 Abs. 5 12. BayIfSMV ebenfalls aufgeführten Badeanstalten, Thermen, Wellnesszentren oder Saunen vergleichbar seien. Vielmehr handele es sich bei Sonnenstudios um körperbezogene, jedoch nicht körpernahe Dienstleistungsbetriebe. Der gewöhnliche Betrieb von Sonnenstudios bringe Kontakte lediglich beim Buchungs- und Bezahlvorgang mit sich. Ansonsten seien die Kunden bei Inanspruchnahme der Dienstleistung vollständig separiert. Bei körpernahen Dienstleistungen und im Einzelhandel seien die Kundenkontakte deutlich zahlreicher und intensiver.
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2. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen.
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Der Senat hat den Antragsgegner mit Schreiben vom 19. Mai 2021 um Stellungnahme gebeten, wie die Betriebsuntersagung von Sonnenstudios im Hinblick auf die ab dem 21. Mai 2021 geltende (Wieder-)Zulassung des Betriebs von Fitnessstudios und die Möglichkeit der Zulassung des Betriebs der Wellness-Bereiche von Hotels nach § 27 Abs. 1 Nr. 4 12. BayIfSMV gerechtfertigt werde. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 20. Mai 2021 dazu ausgeführt, die Einordnung von Solarien unter die noch vollständig geschlossenen Freizeiteinrichtungen entspreche der Einordnung durch den Bundesgesetzgeber in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IfSG. Außerdem unterscheide der Aspekt der Verzichtbarkeit Sonnenstudios von den unter „Corona-Bedingungen“ erlaubten Angeboten. Es sei auf die „zeitlich versetzte Öffnung der verschiedenen Lebensbereiche“ hinzuweisen, bei der Solarien noch „etwas“ zurückständen. Der Aspekt der Verzichtbarkeit werde gerade bei Solarien dadurch flankiert, dass ihre Nutzung gesundheitlichen Bedenken unterliege, was in verschiedenen Betriebsregularien zum Ausdruck komme. Darüber hinaus beruhe die differenzierende Behandlung von Sonnen- und Fitnessstudios darauf, dass regelmäßiger Sport vor einem schweren Krankheitsverlauf schützen könne und das Sterberisiko senke. Vor diesem Hintergrund erscheine eine Öffnung der Fitnessstudios früher geboten als eine Öffnung von Solarien. Von der Öffnungsmöglichkeit des § 27 Abs. 1 Nr. 4 12. BayIfSMV werde die Nutzung hoteleigener Solarien durch Übernachtungsgäste ausdrücklich umfasst. Die Öffnung nicht-hoteleigener Solarien müsse allerdings trotz sinkender Inzidenzzahlen im Zuge vorsichtiger Öffnungsschritte noch zurückstehen. Es bestehe keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, sämtliche Freizeiteinrichtungen (sofort) zu öffnen. Zur Sicherung der abnehmenden Fallzahlen halte es der Verordnungsgeber nicht für vertretbar, nicht-hoteleigene Solarien zu öffnen, da hiermit zusätzliche Kontaktsituationen verbunden wären. Die Nutzung der hoteleigenen Solarien sei dagegen nicht für die Allgemeinheit gedacht, sondern den bereits anwesenden Hotelgästen vorbehalten. Ein zusätzlicher An- und Abreiseverkehr durch den öffentlichen Raum mit weiteren Sozialkontakten sei damit nicht verbunden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung des § 11 Abs. 5 Satz 1 12. BayIfSMV vom 5. März 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 171) i.d.F. der Verordnung vom 19. Mai 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 351), soweit darin die Öffnung und der Betrieb von Solarien untersagt wird, ist begründet.
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Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen hinsichtlich § 11 Abs. 5 Satz 1 12. BayIfSMV vor, soweit dieser die Öffnung und den Betrieb von Solarien untersagt.
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1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 - 4 B 480/19.NE - NVwZ-RR 2019, 993 - juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 12).
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Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 u.a. - juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
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2. Nach diesen Maßstäben ist die angegriffene Norm im tenorierten Umfang einstweilen außer Vollzug zu setzen. Ein in der Hauptsache noch zu erhebender Normenkontrollantrag hätte voraussichtlich Erfolg. Soweit die Antragstellerin § 11 Abs. 5 Satz 1 12. BayIfSMV angreift, ist die Vorschrift bei summarischer Prüfung nicht mit höherrangigem Recht vereinbar. Die Norm steht nicht in Einklang mit der Ermächtigungsgrundlage aus § 32 Satz 1 i.V.m. § 28a Abs. 1 Nr. 14 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG (a), und der Erlass der einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten (b).
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a) Die nur im Hinblick auf die Untersagung des Betriebs und der Nutzung von Sonnenstudios angegriffene Norm wird insoweit den besonderen Voraussetzungen nach § 28a Abs. 3 Satz 11 IfSG nicht gerecht.
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aa) Mit den Regelungen des § 28a Abs. 3 IfSG hat der Bundesgesetzgeber die verfassungsrechtlich determinierte Grundentscheidung getroffen, dass bei dem Erlass und der Aufhebung von Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie grundsätzlich ein differenziertes, gestuftes Vorgehen geboten ist, das sich an dem regionalen (oder regional übergreifenden) Infektionsgeschehen orientieren soll (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2020 - 20 NE 20.2907 - juris Rn. 39; VGH BW, B.v. 5.2.2021 - 1 S 321/21 - juris Rn. 39 ff.; NdsOVG, B.v. 18.1.2021 - 13 MN 11/21 - juris Rn. 32). Das wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 35: „Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist folglich ein gestuftes Vorgehen geboten, das sich an dem tatsächlichen regionalen Infektionsgeschehen orientiert.“) und kommt insbesondere in der Grundnorm des § 28a Abs. 3 Satz 2 IfSG zum Ausdruck. Daraus folgt auch, dass der Verordnungsgeber, wenn er eine Schutzmaßnahme dem Grunde nach für erforderlich hält, zu prüfen und darzulegen (§ 28 Abs. 5 Satz 1 IfSG) hat, ob diese gerade landesweit angeordnet werden muss oder ob insoweit differenziertere Regelungen in Betracht kommen (vgl. VGH BW, B.v. 11.5.2021 - 1 S 1048/21 - juris Rn. 35). Hat der Verordnungsgeber zu einem früheren Zeitpunkt bereits landesweite Regelungen getroffen, ist er zudem - wie stets - von Verfassungs wegen dazu verpflichtet, fortlaufend und differenziert zu prüfen, ob diese und die dadurch bewirkten konkreten Grundrechtseingriffe auch weiterhin gerechtfertigt oder aufzuheben sind (stRspr., vgl. nur BayVGH, B.v. 30.3.2020 - 20 NE 20.632 - juris Rn. 63).
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Zum Maßstab des Infektionsgeschehens hat der Bundesgesetzgeber insbesondere die auf Landkreis-, Bezirks-, Landes- und Bundesebene zu ermittelnde und vom Robert Koch-Institut laufend unter „http://corona.rki.de“ veröffentlichte Sieben-Tages-Inzidenz von Neuinfektionen auf 100.000 Einwohnern bestimmt (vgl. § 28a Abs. 3 Sätze 4 und 13 IfSG). Damit verpflichtet der Bundesgesetzgeber die zur Entscheidung berufenen öffentlichen Stellen - vor allem die nach § 32 Satz 1 IfSG zum Erlass von Verordnungen ermächtigten Landesregierungen -, bei der Entscheidung über den Erlass oder die Aufrechterhaltung von Schutzmaßnahmen u.a. zu berücksichtigen, ob der Schwellenwert von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen regional (Satz 5), landesweit (Satz 10) oder gar bundesweit (Satz 9) überschritten ist. Für den Fall eines Absinkens der Inzidenz unter den Schwellenwert regelt § 28a Abs. 3 Satz 11 IfSG weitgehend deklaratorisch, dass die erlassenen Schutzmaßnahmen (nur) aufrechterhalten werden können, „soweit und solange dies zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erforderlich ist“, wobei auch die Zahl der geimpften Personen und die zeitabhängige Reproduktionszahl zu berücksichtigen sind (§ 28a Abs. 3 Satz 12 IfSG). Damit stellt der Bundesgesetzgeber klar, dass es bei Unterschreitung der gesetzlichen Schwellenwerte zwingend weiterer infektionsschutzrechtlicher - wenn auch nicht inzidenzbezogener - Rechtfertigungsgründe bedarf, um einmal erlassene Schutzmaßnahmen aufrecht zu erhalten.
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bb) Gemessen daran sind keine Gesichtspunkte erkennbar oder vom Antragsgegner vorgetragen worden, die angesichts der aktuellen landesweiten Sieben-Tage-Inzidenz von 37,5 eine landesweit geltende vollständige Betriebs- und Nutzungsuntersagung von Sonnenstudios rechtfertigen könnten.
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Bei Inkrafttreten der angegriffenen Norm - hier die Ergänzung des § 11 Abs. 5 Satz 1 12. BayIfSMV um „Solarien“ durch § 1 Nr. 5 Buchst. a) der Änderungsverordnung vom 27. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 290) mit Wirkung zum 28. April 2021 - betrug die bayernweite Sieben-Tage-Inzidenz 171,8. Nachdem sich die Untersagung des Betriebs von Solarien in Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen die 7-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Schwellenwert von 100 überschritten hat, seit dem Inkrafttreten des § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IfSG am 23. April 2021 (vgl. BGBl. I 2021 S. 802) bereits unmittelbar aus Bundesrecht ergibt und im Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Norm keine bayerischen Landkreise oder kreisfreien Städte mit einer Sieben-Tage-Inzidenz unter 50 existierten, beschränkte sich der Anwendungsbereich der angegriffenen Norm bei ihrem Erlass auf Landkreise und kreisfreie Städte mit einer Sieben-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 100. Anhaltspunkte, der Verordnungsgeber hätte die Untersagung des Betriebs von Sonnenstudios - mit der er ausweislich seiner Begründung der „bundesrechtlichen Einordnung“ nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IfSG folgen wollte (vgl. BayMBl. 2021 Nr. 291 S. 4) - von vornherein auch im Hinblick auf Inzidenzwerte unterhalb von 50 für erforderlich gehalten, sind auch im Übrigen nicht erkennbar.
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Seit Unterschreitung der landesweiten 7-Tage-Inzidenz von 50 am 26. Mai 2021 steht die angegriffene Norm im Hinblick auf die Betriebsuntersagung von Sonnenstudios unter dem besonderen gesetzlichen Vorbehalt ihrer fortdauernden Erforderlichkeit zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (§ 28a Abs. 3 Satz 11 IfSG). Für eine solche - vom Normgeber nachzuweisende - Erforderlichkeit unter Berücksichtigung der Impfquote und der zeitabhängigen Reproduktionszahl (§ 28a Abs. 3 Satz 12 IfSG) fehlt es jedoch an hinreichenden Anhaltspunkten. Für den vom Antragsgegner genannten Aspekt, eine „zeitlich versetzte Öffnung der verschiedenen Lebensbereiche“ mit einem „vorsichtigen Handeln und herantastenden Verhalten“ bei Lockerungen zu begründen, fehlt es im Rahmen des Entscheidungsprogramms nach § 28a Abs. 3 IfSG - unbeschadet des Art. 3 Abs. 1 GG - an einer gesetzlichen Grundlage. Auch wenn § 28a Abs. 3 Sätze 11 und 12 IfSG dem handelnden Hoheitsträger nicht verwehren, einmal erlassene Schutzmaßnahmen trotz Unterschreitung der sie begründenden gesetzlichen Schwellenwerte vorerst weiter aufrecht zu erhalten, bedarf es in einem solchen Fall einer spezifischen Erforderlichkeitsprüfung der einzelnen Maßnahmen, die durch die pauschalen Gesichtspunkte des „Herantastens“ und der „Vorsicht“ - die sich zudem bereits in den vom Bundesgesetzgeber normierten Schwellenwerten niederschlagen - nicht ersetzt werden kann. Warum konkret die Untersagung des Betriebs von Sonnenstudios trotz Unterschreitung der landesweiten Inzidenz von 50 weiterhin erforderlich sein sollte, um die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern, ist nicht ersichtlich. Weder die vom Antragsgegner vorgetragenen Aspekte der „Verzichtbarkeit“ von Sonnenstudios und gesundheitlicher Bedenken gegen ihre Nutzung noch die von ihm herausgehobene besondere Bedeutung von Fitnessstudios zum Schutz vor schweren Krankheitsverläufen und für die Gesundheit der Bevölkerung sind geeignet, eine spezifische infektionsschutzrechtliche Gefährdungslage beim Betrieb von Sonnenstudios zu begründen und deren Untersagung zu rechtfertigen. Angesichts der mittlerweile generell oder - über § 27 12. BayIfSMV - zumindest regional (wieder) zugelassenen Betriebsformen und Angeboten bleibt vielmehr offen, worin die spezifischen, über das allgemeine Risiko hinausgehenden Gefahren einer COVID-19-Infektion beim Betrieb und der Nutzung von Sonnenstudios liegen sollten. Wie die Antragstellerin unwidersprochen vorgetragen hat und der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, findet die Nutzung von Solarien in einzelnen, abgeschlossenen Kabinen und regelmäßig ohne Kontakte zwischen den Kunden statt. Zudem hat der Antragsgegner durch den ausdrücklichen Vortrag, über § 27 Abs. 1 Nr. 4 12. BayIfSMV sei schon bei einer stabilen oder rückläufigen 7-Tage-Inzidenz unter dem Schwellenwert von 100 auch die Nutzung von hoteleigenen Solarien durch Übernachtungsgäste zulässig, zu erkennen gegeben, dass der Betrieb eines Sonnenstudios als solcher - bei Beachtung geeigneter Hygienekonzepte - keinen besonderen infektionsschutzrechtlichen Bedenken begegnet. Dem vom Antragsgegner insofern vorgebrachten Aspekt der Vermeidung von Sozialkontakten im Rahmen des An- und Abreiseverkehrs durch den öffentlichen Raum dürfte in der gegenwärtigen Situation - insbesondere außerhalb des räumlichen und zeitlichen Geltungsbereichs allgemeiner Ausgangsbeschränkungen - keine gesonderte Bedeutung zukommen.
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b) Der Erlass der einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten, weil die Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht bereits nach Prüfung im Eilverfahren anzunehmen ist und das Verbot daher außer Vollzug zu setzen ist. Bereits die offensichtliche Rechtswidrigkeit indiziert den schweren Nachteil, weil in der Regel kein Interesse am Vollzug einer rechtswidrigen Norm besteht (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 107). Unabhängig davon ist der mit der angegriffenen Norm verbundene Eingriff in die Rechte der Normadressaten auch nicht nur geringfügig. Da es sich beim Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO um ein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren handelt, ist für die Frage, ob eine vorläufige Außervollzugsetzung zur Abwehr eines schweren Nachteils geboten ist, grundsätzlich auf den von der Norm unmittelbar betroffenen Personenkreis und nicht nur auf die Person des Antragstellers abzustellen (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 47 Rn. 168). Die hier angegriffene Norm unterwirft sämtliche Betreiber von Solarien einem vollständigen Betriebsverbot und greift damit intensiv in deren Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG ein.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von der Antragstellerin angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 6. Juni 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 hier nicht angebracht erscheint.