Titel:
Erfolglose Klage gegen Nutzungsuntersagung: Genehmigte Nutzung war Laden, betrieben wurde ein Wettbüro
Normenketten:
BayBO § 54 Abs. 4, § 76 S. 2
BauGB § 30 Abs. 1, Abs. 3, § 34 Abs. 1
12. BayInfektionsschutzmaßnahmenVO § 11 Abs 6
Leitsätze:
1. Die Nutzungsänderung von „Laden“ zu „Wettbüro“ ist nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig: Die typische Variationsbreite der genehmigten Nutzung „Laden“ wird verlassen. Ein Wettbüro stellt evident andere, in einem Genehmigungsverfahren zu prüfende Anforderungen. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Nutzungsänderung von „Laden“ zu „Wettbüro“ ist nicht offensichtlich genehmigungsfähig - eine ausgesprochene Nutzungsuntersagung nicht ermessensfehlerhaft. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist irrelevant, dass die Nutzung des Wettbüros aktuell nach § 11 Abs. 6 der 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung ohnehin untersagt ist. Es handelt sich dabei nur um eine nur zeitweise Betriebseinstellung - nicht eine dauerhafte Nutzungsaufgabe - zumal letzteres auch die Räumung beinhalten würde, wofür hier nichts spricht. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nutzungsuntersagung, Nutzungsänderung von Laden zu Wettbüro, Baurecht, Wettbüro, Sportwetten, Corona, Infektionsschutz, Betriebsschließung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.03.2022 – 9 ZB 21.1850
Fundstelle:
BeckRS 2021, 12807
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist mit Blick auf die Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine Verfügung der Beklagten, die ihr die Nutzung eines Ladenlokals als Wettbüro untersagt und für den Fall der Nichteinhaltung des Gebots innerhalb eines Monats ein Zwangsgeld von 10.000 EUR androht.
2
Die Klägerin ist Betreiberin eines Wettbüros im Erdgeschoss des Anwesens … in … Grundstück Flurnummer … - Gemarkung … Als Freizeiteinrichtung ist das Wettbüro in der … … aufgrund der SARS-CoV-2- Pandemie seit einiger Zeit geschlossen.
3
Das genannte Anwesen wurde 1898 als Wohnhaus baurechtlich genehmigt; am 22. Mai 1997 wurde die Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung im Erdgeschoss des Anwesens von „Wohnen“ zu „Laden“ erteilt.
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Das Anwesen liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans …der Beklagten vom 18. August 1898. Dieser setzt für das betreffende Grundstück eine Baulinie fest; weitere Festsetzungen bestehen nicht. Zudem liegt das Anwesen im Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans Nr. …„…“ (Verfahrenseinleitung am 21. Januar 2010). Dieses Bebauungsplanverfahren zielt auf die Nachnutzung des unter Denkmalschutz stehenden Hauptgebäudes an der … … (ehem. …) und die Sicherung des Plangebiets als Wohn- und Gewerbestandort.
5
Im Rahmen einer Ortseinsicht am 2. Juli 2014 stellte die Beklagte im Ladenlokal im Erdgeschoss des Anwesens … … in … den Betrieb eines Wettbüros der Nutzfläche von ~ 94 m2 fest; eine Baugenehmigung hatte sie vor Nutzungsaufnahme nicht erteilt.
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Mit Schreiben vom 18. November 2014 wandte sich die Beklagte an die damaligen Eigentümer des Ladenlokals im Erdgeschoss … und … sowie die damals nach der Gewerbeanmeldung ab dem 30. Juli 2014 als Vermittlerin der Sportwetten auftretende ehemalige Betreiberin … Darin erklärte sie, der Betrieb des Wettbüros sei nach ihrer Ansicht baugenehmigungspflichtig - eine Baugenehmigung könne aber aus rechtlichen Gründen nicht erteilt werden. Zudem forderte sie jeweils die Auflassung der Nutzung als Sportwettenlokal bis Ende 2014.
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Am 15. Januar 2015 stellte die damalige Betreiberin …als Bauherrin und Betreiberin einen Bauantrag zur Genehmigung einer Nutzungsänderung von Laden zu Wettbüro. Indes beurteilte die Beklagte das Vorhaben weiter negativ. In der Folge entspann sich Korrespondenz mit dem zwischenzeitlich bestellten anwaltlichen Vertreter der Bauherrin. Am 2. Oktober 2017 trat die Klägerin als Mit-Gesellschafterin in die nunmehrige Betreibergesellschaft „… …, … … GbR“ ein. Am 27. Februar 2018 unterrichtete die Beklagte unter anderem die Klägerin sowie die Bauherrin …, dass sie weiter von fehlender Genehmigungsfähigkeit des Wettbüros ausgehe. Zugleich forderte sie beide auf, die Nutzung als Sportwettannahmestelle binnen vier Wochen aufzulassen. Im Übrigen ermöglichte sie beiden, Stellung zu beziehen.
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Nach weiteren Stellungnahmen sonstiger Beteiligter des Verwaltungsverfahrens stellte die Beklagte am 10. April 2018 im Rahmen einer Ortseinsicht fest, dass das Wettbüro weiter betrieben wurde. So war noch immer wettbürotypische Ausstattung wie an der Wand hängende Flachbildschirme, Sitzgelegenheiten und ein Kassenbereich vorhanden; zudem lagen Wettscheine aus. Im Übrigen war das Ladenlokal mit Beklebungen wie „Sportwetten - Livewetten - Bundesliga live - Soccer home“ versehen. Über der Eingangstür befand sich in roten Buchstaben der Schriftzug „tipico“; ferner waren Öffnungszeiten von 10:00 bis 23:00 Uhr verzeichnet.
9
Am 24. April 2018 erließ Beklagte jeweils einen Bescheid an die Bauherrin und damalige GbR-Gesellschafterin …sowie die damalige GbR-Gesellschafterin und hiesige Klägerin … Darin versagte sie der Bauherrin die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung von Laden zu Wettbüro. Im Übrigen untersagte sie beiden Gesellschafterinnen der „… …, … … GbR“ (Aktenzeichen bezüglich der Klägerin: …*) die Nutzung der Räumlichkeiten im Erdgeschoss des Anwesens … … als Wettbüro; die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Weiter forderte sie die Einstellung der Nutzung binnen eines Monats ab Bescheidszustellung. Im Übrigen drohte sie der Klägerin für den Fall der Nichteinhaltung der Nutzungsuntersagung ein Zwangsgeld von 10.000 EUR an; der auf die Klägerin als Gesellschafterin der Betreiber GbR entfallende Teil sollte dabei 5.000 EUR betragen.
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Gegen diese Bescheide erhoben die Klägerin und die Bauherrin … als Mitgesellschafterin der GbR jeweils am 11. Mai 2018 Klage. Darin beantragte die Bauherrin … die Verpflichtung der Beklagten zu Erteilung einer Baugenehmigung für ein Wettbüro. Daneben wendete sich diese wie auch die hiesige Klägerin …gegen den an sie als Gesellschafterin der Betreiber GbR gerichteten Nutzungsuntersagungsbescheid. Zudem stellten beide am 30. Mai 2018 einen Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
11
Am 5. September 2018 stellte das Verwaltungsgericht Ansbach die aufschiebende Wirkung der Klagen vom 11. Mai 2018 wieder her; zudem ordnete es mit Blick auf die jeweilige Zwangsgeldandrohung eben diese Wirkung an. Seine Entscheidung stützte das Verwaltungsgericht dabei im Wesentlichen darauf, dass die Störerauswahl nach summarischer Prüfung nicht ausschließbar fehlerhaft erfolgt sei. Die damalige Antragsgegnerin und hiesige Beklagte habe sowohl die Klägerin …, als auch deren damalige GbR-Mitgesellschafterin …in ihrer Funktion als Gesellschafterin herangezogen; sie habe dabei übersehen, dass die Betreiber GbR als sog. Außengesellschaft infolge mittlerweile gefestigter Überzeugung selbst Trägerin eigener Rechte und Pflichten sein könne. Aus diesem Grund habe sie nicht berücksichtigt, dass die GbR ordnungsrechtlich als Störerin in Anspruch habe genommen werden können. Im Übrigen sei mit Blick auf die hiesige Klägerin …auch fraglich gewesen, ob diese allein aufgrund ihrer Funktion als Gesellschafterin als Störerin in Anspruch genommen werden könne, ohne einen darüberhinausgehenden eigenständigen Störerbeitrag geleistet zu haben.
12
Über die Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung von Laden zu Wettbüro ist bislang nicht entschieden.
13
Nach der Gewerberegister-Auskunft vom 8. Januar 2019 schied die Gesellschafterin … zum 31. Juli 2018 aus der GbR aus; die ehemalige Betreiber-Gesellschaft „…, … … GbR“ existiert nicht mehr. Wenn im Baugenehmigungsverfahren auch weiter die frühere Gesellschafterin … als Bauherrin auftritt, so ist die frühere Mitgesellschafterin und hiesige Klägerin … seit 1. August 2018 Allein-Betreiberin des Wettbüros in der … … Sonach hob die Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 2019 (Aktenzeichen: …) den an die Klägerin gerichteten Ausgangsbescheid vom 24. April 2018 auf (Aktenzeichen: …) und die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt.
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Ebenfalls mit Bescheid vom 24. Januar 2019 (Aktenzeichen: …) untersagte die Beklagte der Klägerin die Nutzung der Räumlichkeiten im Erdgeschoss des Anwesens …Straße … als Wettbüro und forderte die Nutzungseinstellung binnen eines Monats ab Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides (Ziffer 1). Im Übrigen drohte sie der Klägerin für den Fall der Nichteinhaltung der Nutzungsuntersagung ein Zwangsgeld von 10.000 EUR an (Ziffer 2).
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Zur Begründung trug sie vor, die Klägerin betreibe im Anwesen …Straße …in … ein Wettbüro, obwohl sie nicht über die nötige Baugenehmigung für die Nutzungsänderung von Laden zu Wettbüro verfüge. Daher könne sie der Klägerin als aktueller Betreiberin die Nutzung als Wettbüro untersagen. Entscheidend sei, dass keine Baugenehmigung vorliege und aus planungsrechtlichen Gründen auch nicht erteilt werden könne.
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Die planungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzungsänderung von Laden zu Wettbüro richte sich nach § 30 Abs. 3 BauGB in Verbindung mit dem Bebauungsplan … und im Übrigen nach § 34 Abs. 1 BauGB. Zu fragen sei, ob sich das Wettbüro nach der Art der Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge und ob die Erschließung gesichert sei.
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Im Bereich des Anwesens … Straße …sei von einem Mischgebiet im Sinne des § 6 BauNVO auszugehen. Die maßgebende Bezugsumgebung bestehe aus der vorhandenen Bebauung des Bauquartiers, das durch die … …, die …, die … und die …begrenzt werde. Dieses Quartier kennzeichne überwiegend geschlossene Blockrandbebauung von bis zu fünf Geschossen. Es handele sich um insgesamt dreizehn Gebäude inklusive Nebengebäuden, von denen vier Anwesen vollständig dem Wohnen dienten. Vier der weiteren Anwesen verfügten über erdgeschossige Nutzungen (Gaststätte, Handyshop) sowie Nutzungen in den Obergeschossen (Praxis für Krankengymnastik, Rechtsanwalt, Zahnarzt, Labor) die im Allgemeinen Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO allgemein zulässig seien. Ausnahmsweise sei das Hotel entsprechend § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO genehmigt worden. Einzig das sich in der … befindliche Fitnessstudio habe als sonstiger Gewerbebetrieb nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO Mischgebietscharakter. Das Mischgebiet des Bauquartiers sei nahezu ein Allgemeines Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO.
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Nach § 6 Abs. 1 BauNVO dienten Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich störten: Die räumliche Nähe des Wettbüros zum Fitnessstudio rechtfertige nicht die Einstufung als gewerblich geprägter Teil des Mischgebietes, da sich im betroffenen Anwesen selbst und in den benachbarten Anwesen ab dem 1. Obergeschoss Wohnungen befänden.
19
Über das definierte Quartier hinaus habe die …Straße aufgrund ihrer Dimensionierung, Begrünung und Funktion mit U-Bahnlinie eine trennende Wirkung. Die gegenüberliegende Straßenseite sei daher nicht für die Beurteilung der Gebietseinstufung heranzuziehen. Weiter sei für den betreffenden Bereich der - oben beschriebene - Bebauungsplan … in Aufstellung. Dieser Plan solle dem sog. trading-down-Effekt entgegenwirken, den Wettbüros auslösen könnten.
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Es sei im Übrigen nicht endgültig zu entscheiden, ob das Bauquartier als Mischgebiet im Sinne des § 6 BauNVO zu qualifizieren sei. Jedenfalls liege das Anwesen … Straße … weder im Kerngebiet, noch im gewerblich geprägten Teil eines Mischgebiets, wo Wettbüros als Vergnügungsstätten nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO bzw. § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO zulässig sein könnten. Damit fehle die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit der Nutzungsänderung von Laden zu Wettbüro.
21
Hinzu komme, dass das Wettbüro als Bauvorhaben nach der Satzung über die Herstellung und Bereithaltung von Kraftfahrzeugstellplätzen und Fahrradabstellplätzen der Beklagten einen Stellplatzbedarf von sechs zusätzlichen Stellplätzen auslöse. Einen Stellplatznachweis habe die Bauherrin aber bis dato nicht geführt.
22
Dagegen hat die Klägerin am 31. Januar 2019 Klage erhoben. Ohne diese zu begründen, beantragt die Klägerin zuletzt, den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2019 (* …, Anlage K1) aufzuheben. Die Beklagte trat der Klage ohne eine über den Inhalt ihrer angegriffenen Verwaltungsentscheidung hinausgehende Begründung sowie ohne expliziten Klageantrag entgegen.
23
Am 24. März 2021 verzichtete die Klägerin auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Mit bei Gericht am 19. April eingegangenem Schreiben verzichtete auch die Beklagte auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, die Inhalte der Verfahrensakte und die insoweit beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Bezug genommen wird daneben auf die Akte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens AN 9 S 18.01014, in dem die Bauherrin …und die Klägerin … um die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Nutzungsuntersagung nebst Zwangsgeldandrohung vom 24. April 2018 (die Klägerin … betreffendes Aktenzeichen: …*) suchten. Bezug genommen wird schließlich auf das Gerichtsverfahren AN 9 K 21.00170 (ehem. AN 9 K 18.00892), in dem die Bauherrin …die Verpflichtung zur Erteilung einer Baugenehmigung für das Wettbüro in der …Straße … beantragt und sich die hiesige Klägerin … gegen die im zwischenzeitlich aufgehobenen Bescheid vom 24. April 2018 ausgesprochene Untersagung der Nutzung als Wettbüro nebst Zwangsgeldandrohung (Aktenzeichen: …*) wendet.
Entscheidungsgründe
25
Die Klage vom 31. Januar 2019 ist zwar zulässig, aber unbegründet. Die angegriffenen Verwaltungsakte erweisen sich als rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
26
1. Aufgrund der beiderseitigen Verzichtserklärungen konnte die Kammer gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden.
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2. Streitgegenstand der vorliegenden Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO sind die im Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2019 (Aktenzeichen: …*) ausgesprochene Nutzungsuntersagung (Ziff. 1) und die Zwangsgeldandrohung (Ziff. 2).
28
Der Prozessvertreter der Klägerin beantragte die Aufhebung des Bescheids vom 24. Januar 2019. Dies war im Sinne des § 88 VwGO so auszulegen, dass es ihm um die Kassation der im genannten Bescheid verfügten Verwaltungsakte im Sinne des Art. 35 Abs. 1 BayVwVfG und damit sowohl um die Nutzungsuntersagung, als auch um die Zwangsgeldandrohung ging.
29
Die Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 24. Januar 2019 ist unbegründet.
30
Die in Ziffer 1.) des Bescheides der Beklagten vom 24. Januar 2019 verfügte Nutzungsuntersagung auf der Grundlage von Art. 76 Satz 2 BayBO ist rechtmäßig.
31
Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Nutzung einer Anlage untersagt werden, wenn sie öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Dabei ist es der Zweck der Nutzungsuntersagung, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen.
32
Insofern liegt der genannte Widerspruch gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften bei genehmigungspflichtigen Vorhaben generell vor, wenn das Vorhaben ohne Baugenehmigung ausgeführt wird (formelle Baurechtswidrigkeit). Dem Grunde nach ist nicht zu prüfen, ob das Vorhaben gegen materielles Recht verstößt.
33
Die Bauaufsichtsbehörde entscheidet beim Ausspruch einer Nutzungsuntersagung nach pflichtgemäßem Ermessen. Letzteres gebraucht sie regelmäßig in einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise, wenn sie rechtswidrig errichteten oder genutzten Anlagen die unzulässige Benutzung untersagt, da nur so die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann; das Ermessen ist intendiert (Busse/Kraus/Decker, 140. EL Februar 2021, BayBO Art. 76 Rn. 301).
34
Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung nicht untersagt werden, wenn sie evident genehmigungsfähig ist. Es wäre unverhältnismäßig, eine offensichtlich materiell rechtmäßige Nutzung zu untersagen‚ ohne den Bauherrn zuvor vergeblich zur Stellung eines Bauantrags aufgefordert zu haben, Art. 76 Satz 3 BayBO (vgl. etwa BayVGH, U.v. 19.5.2011 - 2 B 11.353 - BayVBl. 2012, 86 = juris Rn. 30 ff.; U.v. 16.2.2015 - 1 B 13.648 - NVwZ-RR 2015, 607 = juris Rn. 22; B.v. 23.04.2015 - 15 ZB 13.2378 - juris Rn. 5 f.; B.v. 8.6.2015 - 2 ZB 15.61 - juris Rn. 3; Busse/Kraus/Decker BayBO, 140 EL Februar 2021, Art. 76 Rn. 282 m.w.N.).
35
Offensichtlich genehmigungsfähig ist ein Vorhaben, wenn es sich gewissermaßen aufdrängt, dass das Vorhaben die materiell-rechtlichen Anforderungen erfüllt - wenn die Nicht-Erteilung der Baugenehmigung fast willkürlich erscheint.
36
Dabei ist die Nutzungsuntersagung ein Dauerverwaltungsakt. Daher ist für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit die Sach- und Rechtslage zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (vgl. BayVGH, U. v. 16.2.2015 - 1 B 13.648 -- juris, Rn. 24). Für die Rechtmäßigkeit einer Nutzungsuntersagungsverfügung ist daher nicht entscheidend, ob die Bauaufsichtsbehörde das Vorhaben für genehmigungsfähig hält, sondern, ob das Vorhaben evident genehmigungsfähig ist (BayVGH, B.v. 19.5.2016 - 15 CS 16.300 - juris Rn. 21f).
37
Das Gericht kann aber nicht das nötige Genehmigungsverfahren vorwegnehmen; mithin gilt auch für seine Prüfung die Maßgabe der offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit.
38
Im Übrigen beinhaltet eine Nutzungsuntersagungsverfügung nicht nur das Gebot, die beanstandete Nutzung (einmalig) einzustellen, sondern auch das Verbot, auf Dauer dieselbe oder eine vergleichbare Nutzung wiederaufzunehmen (zum Ganzen: Busse/Kraus/Decker, 140. EL Februar 2021, BayBO Art. 76 Rn. 292 m.w.N). Insofern tritt mit Blick auf eine Nutzungsuntersagung jedenfalls keine Erledigung i.S.d. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG ein, wenn die Nutzung, deren Aufgabe verfügt wurde, nur vorübergehend eingestellt worden ist. a)
39
Danach ist die inmitten stehende Nutzungsuntersagung nicht zu beanstanden. Die Nutzung der streitgegenständlichen Räume als Wettbüro widerspricht öffentlich-rechtlichen Vorschriften, da es sich um eine genehmigungspflichtige, aber nicht genehmigte Nutzungsänderung handelt.
40
Dabei erging die Anordnung der Nutzungsuntersagung ermessensfehlerfrei; insbesondere ist sie verhältnismäßig, da die geänderte Nutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist.
41
Auch die Auswahl des in Anspruch genommenen Adressaten ist nicht zu beanstanden (1).
42
Wie die Beteiligten hält auch das Gericht die Nutzungsänderung von „Laden“ zu „Wettbüro“ im Erdgeschoss des Anwesens … Straße … in … - Grundstück Flurnummer … - Gemarkung … nach Art. 55 Abs. 1 BayBO für genehmigungspflichtig: Die typische Variationsbreite der genehmigten Nutzung „Laden“ wird verlassen. Ein Wettbüro stellt evident andere, in einem Genehmigungsverfahren zu prüfende Anforderungen: So ist ein Laden anders als ein Wettbüro nicht auf längere Kundenaufenthalte ausgerichtet - die hier vorliegende Ausstattung mit Sitzgelegenheiten wurde bereits dargelegt. Auch weist ein Verkaufsladen schon wegen des in Bayern geltenden Ladenschlussgebots ab 20:00 Uhr für allgemeine Verkaufsstellen andere Öffnungszeiten auf, als ein Wettbüro - vorliegend 10:00 bis 23:00 Uhr. Mithin sind angesichts des anders gearteten Publikumsverkehrs möglicherweise andere Anforderungen an den Schutz der Anlieger zu stellen. Im Übrigen sind auch die Fragen nach den notwendigen Stellplätzen oder dem Vorhalten sanitärer Einrichtungen neu zu prüfen.
43
Indes wurde das genehmigungspflichtige Vorhaben hier zu keiner Zeit baurechtlich genehmigt.
44
b) Schließlich sind keine Fehler in der Ermessensausübung i.S.d. § 114 Satz 1 VwGO ersichtlich. Insbesondere ist die Nutzungsänderung von „Laden“ zu „Wettbüro“ nicht offensichtlich genehmigungsfähig.
45
Vielmehr ist die Antwort auf die Frage der Genehmigungsfähigkeit sehr komplex und das Ergebnis einer Reihe nicht ohne Weiteres zu treffenden Beurteilungen. Im Übrigen konnte die Beklagte über die Erteilung der bereits beantragten Baugenehmigung für die Nutzungsänderung von „Laden“ zu „Wettbüro“ wegen des fehlenden Stellplatznachweises nicht entscheiden.
46
(1) Die Klägerin geht in ihrer Klageschrift des Verfahrens AN 9 K 21.00170 (ehem. AN 9 K 18.00892) davon aus, dass die Sportwettenannahmestelle in der …Straße … in … eine Vergnügungsstätte im Sinne der BauNVO ist. Die Beklagte teilt diese Einordnung in ihrer dortigen Erwiderung. Ohne daran gebunden zu sein, vermag das Gericht diese Einordnung als Vergnügungsstätte nicht in Zweifel zu ziehen: Ein Betrieb zur Vermittlung von (Sport-) Wetten ist als Vergnügungsstätte einzustufen, wenn - in Abgrenzung zu einer bloßen Wettannahmestelle vergleichbar einer Lotto-Toto-Annahmestelle als Laden - in den Räumlichkeiten nicht nur Gelegenheit zur Abgabe von Wetten und zur Entgegennahme von Gewinnen besteht, sondern diese auch zur kommerziellen Unterhaltung dienen. Dabei reicht es insoweit für die Annahme einer Vergnügungsstätte nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bereits aus, wenn im Wettbüro Livewetten vermittelt werden und die Möglichkeit besteht, sich in den Räumlichkeiten aufzuhalten, um die aktuellen Quotenergebnisse live zu verfolgen. Schon daraus folgt der vergnügungsstättentypische Verweilcharakter und die Annahme einer kommerziellen Unterhaltung. Gerade Livewetten bieten eine rasche Aufeinanderfolge ständig aktualisierter Wettmöglichkeiten, sprechen den Spieltrieb besonders nachhaltig an und sind auf Unterhaltung an Ort und Stelle angelegt. Etwa die Ausstattung der Räumlichkeiten mit Sitzgruppen oder TV-Bildschirmen und ähnliches sind weitere Indizien für das Vorliegen eines als Vergnügungsstätte zu qualifizierenden Wettbüros (zum Ganzen BayVGH, B.v. 21.5.2015 - 15 CS 15.9 - juris Rn. 15; B.v. 15.1.2016 - 9 ZB 14.1146 - juris Rn. 8; B.v. 19.5.2016 - 15 CS 16.300 - juris Rn. 24; OVG NRW, U.v. 13.12.2017 - 7 A 880/16 - juris Rn. 47).
47
Die in den Behördenakten befindlichen Fotos zeigen, dass die bereits betriebenen Räumlichkeiten die typischen Charakteristika eines als Vergnügungsstätte zu klassifizierenden Wettbüros aufweisen. So finden sich zahlreiche Bildschirme, auf denen Livewettquoten sichtbar sind bzw. Sportveranstaltungen übertragen werden. Für den Verweilcharakter spricht auch, dass dem Publikum Sitzgelegenheiten angeboten werden. Im Übrigen werden Live-Wetten angeboten, was schon die Beklebungen des Ladenlokals zeigen: „Sportwetten - Livewetten - Bundesliga live - Soccer home“. Insoweit zeigt sich, dass für das Leistungsangebot des klägerischen Betriebs gerade die kommerzielle Unterhaltung der Gäste durch die Teilnahme am Wettspiel in geselliger Runde prägend ist.
48
(2) Vergnügungsstätten sind nur in einzelnen Baugebieten der BauNVO zulässig - vergleiche etwa § 4a (besonderes Wohngebiet), 6 Abs. 2 Nr. 8 (gewerblich geprägtes Mischgebiet) oder auch § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO (Kerngebiet).
49
Im Übrigen sind sie auch im unbeplanten Innenbereich nur zulässig, wenn sie sich im Sinn des § 34 Abs. 1 in die Eigenart der näheren Umgebung einpassen. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung dabei einem der Baugebiete der BauNVO, so ist die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art der Nutzung gemäß § 34 Abs. 2 BauGB nur danach zu beurteilen, ob es nach der BauNVO in dem jeweiligen Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der BauNVO ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
50
Es ist aber jedenfalls nicht ohne Weiteres zu beantworten - mithin nicht offensichtlich - ob das verfahrensgegenständliche Grundstück … Straße … in … - Flurnummer … Gemarkung … - in einem Gebiet liegt, in dem eine Vergnügungsstätte zulässig ist.
51
So hat die Beklagte im betreffenden Gebiet nicht mittels bauplanungsrechtlicher Festsetzung ein bestimmtes Baugebiet bestimmt. Folglich kommt es für die Frage der offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit darauf an, ob die nähere Umgebung faktisch einem Baugebiet der BauNVO entspricht (§ 34 Abs. 2 BauGB) oder von einer Gemengelage auszugehen ist.
52
Weiter ist zu entscheiden, ob die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO entspricht, in denen Vergnügungsstätten allgemein zulässig sind. Sollte dies nicht der Fall sein, ist fraglich, ob sie nach der BauNVO im betreffenden Gebiet ausnahmsweise zulässig sein können. Sind beide vorstehenden Punkte zu verneinen, müsste eine entsprechende Anwendung der Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB denkbar sein, wobei vor allem zu beantworten wäre, ob Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Zulassung erfordern, die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder die Nicht-Zulassung zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde, wobei die Zulassung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein müsste.
53
Als die für ein Vorhaben maßgebliche „nähere Umgebung“ nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der umliegende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des betroffenen Grundstücks prägt oder beeinflusst (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 - IV C 9.77 = BVerwGE 55, S. 369 ff. sowie BVerwG, B.v. 13.5.2014 - 4 B 38/13 - juris Rn. 7 m.w.N; B.v. 28.7.2004 - 2 B 03.54 - juris; B.v. 2.5.2006 - 2 B 05.787 - juris; B.v. 2.10.2014 - 15 ZB 13.819 - juris Rn. 6) . Auch für die Beurteilung eines Bereichs als sog. faktisches Baugebiet ist die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB maßgeblich (BVerwG, B.v. 11.2.2000 - 4 B 1/00 - juris Rn. 16).
54
Um die Genehmigungsfähigkeit eines Wettbüros im Erdgeschoss des Anwesens* …Straße …in … zu beurteilen, ist somit die Eigenart der näheren Umgebung des Vorhabens einzuordnen. Ohne Inaugenscheinnahme kann die Beantwortung der Rechtsfrage hinsichtlich des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nicht erfolgen.
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(3) Zuletzt streitet gegen die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit, dass der im vereinfachten und regulären Genehmigungsverfahren zu prüfende Stellplatznachweis nach den unwidersprochenen Angaben der Beklagten nicht geführt wurde, Artt. 47 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 59; 60; 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO.
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(4) Schließlich ist die Klägerin taugliche Adressatin der Nutzungsuntersagung. Als Betreiberin des nicht genehmigten Wettbüros ist sie die sachnächste Störerin im Rechtssinn. Es sind keine Gründe ersichtlich, dass eine Heranziehung des Grundstückseigentümers effektiver wäre.
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(5) Im Ergebnis ist die Nutzungsuntersagung rechtmäßig.
58
Dabei ist nach dem Vorstehendem irrelevant, dass die Nutzung des Wettbüros aktuell nach § 11 Abs. 6 der 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung ohnehin untersagt ist. Es handelt sich dabei nur um eine nur zeitweise Betriebseinstellung - nicht eine dauerhafte Nutzungsaufgabe - zumal letzteres auch die Räumung beinhalten würde, wofür hier nichts spricht. Vielmehr teilte der Prozessvertreter der Klägerin mit, diese habe weiterhin ein Interesse an der Aufhebung der Untersagung der Nutzung als Wettbüro habe - mithin an dessen Betrieb.
59
b. Schließlich ist auch die Anfechtungsklage gegen die Zwangsgeldandrohung aus Ziffer 2 des Bescheides vom 24. Januar 2019 unbegründet, da der Bescheid auch insoweit rechtmäßig ist.
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Insbesondere ist die Höhe des angedrohten Zwangsgelds von 10.000,00 EUR angesichts des Rahmens des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG von bis zu 50.000 EUR angemessen.
61
Insbesondere bewegt sich die Höhe noch eher am unteren Rand des gesetzlichen Rahmens. Im Übrigen war das wirtschaftliche Interesse der Klägerin berücksichtigen.
62
Auch die Erfüllungsfrist von einem Monat ab Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 24. Januar 2019 ist angemessen (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG), insbesondere da die Klägerin als Betreiberin der Handlungspflicht leicht nachkommen kann.
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4. Nach alledem war die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid abzuweisen. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.