Titel:
inländische Fluchtalternative, Covid-19-Pandemie
Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c
Leitsätze:
1. Es besteht in allen größeren Städten von Sierra Leone eine inländische Fluchtalternative und die Möglichkeit dort weitgehend unbehelligt von der Poro Society zu leben (stRspr des VG München, u.a. zur Poro Society VG München BeckRS 2018, 20432; VG Augsburg BeckRS 2017, 106195; zur Gbangbani Society: VG München, U. v. 14.5.2018 – M 30 K 17.40892, M 30 K 17.40892). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die aktuelle Covid-19-Pandemie mit den diesbezüglich einhergehenden Einschränkungen steht einer Abschiebung nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass das öffentliche Leben in Sierra Leone derzeit derart eingeschränkt ist, dass es dem Kläger nicht möglich wäre, bei Rückkehr seine Existenz mit den elementaren Grundbedürfnissen zu sichern. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herkunftsland: Sierra, Leone, Zweitantrag i.S.v. § 71a AsylG (bejaht), Erfolglos abgeschlossenes Erstverfahren in Italien, Poro Society, Sicherung des Existenzminimums, inländische Fluchtalternative, Covid-19-Pandemie
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 11.05.2021 – 9 ZB 21.30577
Fundstelle:
BeckRS 2021, 12561
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger, eigenen Angaben zufolge sierraleonischer Staatsangehöriger, geboren am … … … in …Sierra Leone, vom Volke der Temne und islamischen Glaubens, begehrt die Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland unter Aufhebung eines seinen Asylantrag als unzulässig ablehnenden Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 5. Juni 2020 - Gesch.-Z.: … -, hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).
2
Seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt bzw. der Regierung von Oberbayern nach verließ der Kläger sein Heimatland Sierra Leone am 7. Februar 2016, da er wegen der Poro Society in Gefahr sei, deren Chef im Dorf … … und anderen Dörfen der Gegend sein Vater bis zu dessen Tod gewesen sei. Er habe die Position seines Vaters übernehmen sollen, aber abgelehnt und sei geflüchtet. Nun werde er von ihnen verfolgt. Vom 17. Juni 2017 bis 10. Juni 2019 habe er sich in Italien aufgehalten und am Einreisetag auch einen Asylantrag gestellt, der aber negativ beschieden worden sei. Er habe zuvor eine Anhörung gehabt und dort seine Fluchtgründe vortragen können. Warum sein Antrag abgelehnt worden sei und ob das Verfahren unanfechtbar abgeschlossen sei, könne er nicht sagen. Er habe keine Dokumente vom Asylverfahren in Italien. Da er gerne in die Schule gehen und etwas lernen wolle, dies aber in Italien nicht gehe, er in Italien auch nicht habe arbeiten können und er negativ bewertet worden sei, sei er nach Deutschland gekommen. Am 11. Juni 2019 sei er mittels Zug und Bus über die Schweiz in F* … angekommen. Neue Asylgründe habe er nicht. In Deutschland lebe sein Cousin. Er sei ledig, habe aber eine am … … 2012 geborene Tochter, die bei der Kindsmutter in Sierra Leone lebe. Außerdem lebten noch seine Mutter, die eine eigene Landwirtschaft habe, sowie drei Schwestern in Sierra Leone. Die Schule habe er zwölf Jahre lang besucht und abgeschlossen. Er habe einem Onkel in seiner Apotheke ausgeholfen und als Landwirt auf der Farm eines anderen Onkels gearbeitet. Sein Onkel habe ihn versorgt. In gesundheitlicher Hinsicht verwies er auf Schlaflosigkeit, bezüglich derer er aber weder in ärztlicher Behandlung sei noch Medikamente nehme. Zudem sei er von der Poro Society mit einem Messer an der Hand verletzt worden. Am 16. August 2019 teilte er dem Bundesamt mit, Medizin erhalten zu haben, um besser schlafen zu können, und einen Termin bei einer neurologischen Praxis im Hinblick auf seine Hand zu haben.
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Nach vorangegangenem, wegen Ablauf der Überstellungsfrist erfolglosen Dublin-Verfahren mit Bescheid vom 17. Juli 2019 bezüglich einer Abschiebung nach Italien teilte Italien mit Schreiben vom 21. April 2020 auf ein Info-Request vom 25. März 2020 aufgrund Eurodac-Treffer IT1* … in Verbania vom 8. August 2017 mit, dass das Begehren internationalen Schutzes des Klägers vom 8. August 2017 am 7. Mai 2019 erstinstanzlich abgelehnt und keine Beschwerde erhoben worden sei.
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Das Bundesamt lehnte daraufhin den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 5. Juni 2020 - Gesch.-Z. … als unzulässig ab (Nr. 1). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Nr. 2) und der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, sonst werde er nach Sierra Leone abgeschoben (Nr. 3). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger bereits in Italien ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe. Erfolglos abgeschlossen sei ein Asylverfahren, wenn nach einer negativen Entscheidung über den Asylantrag oder eine Rücknahme weder der Flüchtlingsstatus noch subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Es handle sich daher bei dem erneuten Asylantrag der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag im Sinne von § 71a AsylG. Dieser sei unzulässig, da im Falle eines Folgeantrages ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen sei, wenn die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) mit Wiederaufgreifensgründen vorlägen. Der Kläger habe ausschließlich Gründe vorgetragen, die sich vor seiner Ausreise ereignet haben sollen. Eine nachträgliche Änderung der Sachlage i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liege daher nicht vor. Neue Beweismittel i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG seien ebenfalls nicht eingereicht worden. Auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bezüglich Sierra Leone wurde verneint. Bei Würdigung der gesamten Umstände seines Falles sei weder aus dem Sachvortrag des Klägers noch aufgrund von Erkenntnissen des Bundesamtes ersichtlich, dass dem Kläger nach einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Die Aussagen, dass er aufgrund seines Glaubens nicht für die Poro Society tätig geworden sei, seien nicht nachvollziehbar. Zudem habe er die Möglichkeit, in Sierra Leone gegen kriminelle Handlungen staatliche Hilfe und Schutzmaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Auch die derzeitigen humanitären Bedingungen in Sierra Leone führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Diesbezüglich wird zu den humanitären und wirtschaftlichen Verhältnissen in Sierra Leone ausgeführt. Der Kläger sei im erwerbsfähigen Alter, gesund, verfüge über eine sehr gute schulische Bildung über zwölf Schulklassen und habe in seinem Heimatland bereits in der Landwirtschaft gearbeitet. Zudem könne er in Sierra Leone auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen, sodass nicht ersichtlich sei, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland in eine existenzielle Notsituation geraten wird. Diese Einschätzung werde auch nicht durch die aktuelle Covid- 19-Pandemie in Frage gestellt. Dafür, dass der Kläger als erwerbsfähiger junger Mann in Sierra Leone so schwer an dem Virus erkranken könnte, dass er, auch aufgrund mangelhafter medizinischer Versorgung, in eine existenzielle Gesundheitsgefahr geraten könnte, gebe es aktuell keine Anhaltspunkte. Ebenfalls keine belastbaren Anhaltspunkte gebe es bei einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse des Klägers dafür, dass sich Wirtschaft und Versorgungslage der Bevölkerung trotz internationaler humanitärer Hilfe und lokaler Hilfsbereitschaft im Zuge der Pandemie derart verschlechtern, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt in Sierra Leone sicherzustellen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Gefahr liefe, in Sierra Leone auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde, seien aus dem Sachvortrag des Klägers nicht ersichtlich. Es sei auch nicht zu erkennen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland einer, im Vergleich zur dortigen Bevölkerung, wesentlich schlechteren humanitären Lage ausgesetzt sein wird. Gefahren für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG, die dem Kläger bei einer Rückkehr nach Sierra Leone drohen könnten, seien nicht vorgetragen worden und lägen nach Erkenntnissen des Bundesamtes ebenfalls nicht vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Bescheid Bezug genommen.
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Am … Juni 2020 haben die Bevollmächtigten des Klägers beim Verwaltungsgericht München Klage gegen den Bescheid vom 5. Juni 2020 erhoben. Zur Begründung wurde am 3. Dezember 2020 ausgeführt, der Kläger sei alleinstehend und habe niemanden, der ihn in Italien oder in seinem Heimatland unterstützen könnte. Hinsichtlich der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift hierüber Bezug genommen.
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Die Bevollmächtigten haben in der mündlichen Verhandlung bezugnehmend auf die Klageschrift vom 19. Juni 2020 beantragt,
- 1.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 05.06.2020, Geschäftszeichen …, zugestellt am 15.06.2020, wird aufgehoben.
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Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG bestehen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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und mit Schreiben vom 26. Juni 2020 die Abschiebungsandrohung insoweit geändert, als der Kläger nunmehr aufgefordert wird, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen.
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Einen am 19. Juni 2020 gestellten Eilantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht mit Beschluss vom 30. Juni 2020 - M 30 S 20.31809 - abgelehnt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren M 30 S 20.31809 und M 30 K 20.31808 sowie die in elektronischer Form beigezogene Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 5. Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Asylantrag des Klägers ist unzulässig. Abschiebungsverbote nach Sierra Leone gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG wurden vom Bundesamt zutreffend abgelehnt.
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1. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Nr. 1 des Bescheids verbunden mit der Einstufung als Zweitantrag i.S.v. § 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist rechtmäßig.
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Voraussetzung für das Vorliegen eines Zweitantrags ist gemäß § 71a AsylG der erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat, für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat. Die Auskunft Italiens vom 21. April 2020 über die Ablehnung des Asylantrags des Klägers am 7. Mai 2019 in Verbindung mit den - übereinstimmenden - eigenen Angaben des Klägers über den Erhalt einer negativen Entscheidung ist ausreichend zur Annahme eines erfolglos abgeschlossenen Asylverfahrens in Italien.
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2. An der Ablehnung des Vorliegens von Wiederaufgreifensgründen i.S.v. § 51 VwVfG bestehen im Hinblick auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären Schutzes keine ernstlichen Zweifel. Der klägerische Vortrag lässt nicht erkennen, inwieweit Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes vorliegen sollen, die der Kläger nicht bereits in Italien vortragen konnte. In seinen Angaben beim Bundesamt hat der Kläger dies ausdrücklich bestätigt und in keinerlei Weise - mit Ausnahme seiner gesundheitlichen Situation - erkennen lassen, dass er neue, in Italien noch nicht geltend gemachte Gründe habe. Der Kläger genügt daher jedenfalls nicht den Anforderungen an die Darlegungslast für einen Wiederaufgreifensgrund nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung (vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 71 Rn 44 ff.).
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3. Die Ablehnung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist zum maßgeblichen Zeitpunkt gemäß § 77 Abs. 1 AsylG ebenfalls nicht zu beanstanden, sondern rechtmäßig.
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a) Bei einer Rückkehr nach Sierra Leone würde der Kläger durch die Poro Society von keiner derartigen landesweiten Gefahr bedroht, dass eine Abschiebung gegen Art. 3 EMRK i.V.m. § 60 Abs. 5 AufenthG verstieße. Vielmehr wäre der Kläger im Hinblick auf sein geschildertes Verfolgungsschicksal durch die Poro Society jedenfalls auf eine inländische Fluchtalternative - vergleichbar § 3e AsylG - zu verweisen, wenn nicht bereits den Ausführungen des Bundesamtes zur fehlenden Glaubhaftigkeit gefolgt würde.
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Es wäre dem Kläger zumindest in allen größeren Städten von Sierra Leone möglich, weitgehend unbehelligt von der Poro Society zu leben (std. Rspr. des VG München, u.a. zur Poro Society VG München, U.v. 14.5.2018 - M 30 K 17.40892 - beckonline; VG Augsburg, U.v. 22.03.2017 - Au 4 K 16.32061 - juris Rn 38 ff.; zur Gbangbani Society: VG München, U.v. 14.5.2018 - M 30 K 17.40892 - beckonline).
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So erscheint bereits fraglich, wie es einem Geheimbund wie Poro oder Gbangbani grundsätzlich überhaupt möglich sein soll, von ihm gesuchte Personen zu finden. Schließlich existiert in Sierra Leone kein ausreichendes Melderegister (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2017). Wie das Auffinden von Personen gelingen soll, vermag das Gericht trotz der verhältnismäßig geringen Landesgröße Sierra Leones und einer zu unterstellenden gewissen Vernetzung der Societies untereinander nicht nachzuvollziehen. Dabei lassen sich den Erkenntnismitteln keine Erkenntnisse über gezielte überörtliche (Organisations-)Strukturen der Poro oder Gbangbani Society entnehmen, aufgrund derer von den örtlichen Societies gesuchte Personen aufgefunden werden können. Vielmehr ist das Gericht auch davon überzeugt, dass die Mitglieder des Geheimbunds den Kläger nicht noch einige Jahre später in ganz Sierra Leone und allen größeren Städten suchen werden, selbst wenn sie ihn damals an die Stelle seines Vaters hätten setzen wollen. Der Aufwand für die Geheimbünde in Sierra Leone, alle Personen, die sich ihrem Vortrag nach einer Nachfolge ihrer Väter oder Zwangsmitgliedschaft entziehen und entzogen haben, in ganz Sierra Leone zu suchen - ohne zentrales Melderegister -, wäre enorm, vor allem im Vergleich zu der Chance, tatsächlich jemanden zu finden. Zudem ist für den Geheimbund bereits nicht bekannt, ob sich die Person überhaupt in Sierra Leone aufhält. Dabei ist zu unterstellen, dass gewisse, immer wieder berichtete Vodoo-Praktiken u.ä. dem Bereich des Okkulten und des Aberglaubens zuzuordnen sind und zur Überzeugung des Gerichts nicht funktionieren. Auch der Kläger vermochte keine Kommunikationsstruktur der Poro Society zu benennen außer einer Art spirituellen Kommunikation.
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Das Gericht geht nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes zudem davon aus, dass es jedenfalls in den größeren Städten Sierra Leones - mit Ausnahme ggf. der Stadt des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts - möglich ist, grundsätzlich unbehelligt von der Poro Society und anderen Geheimgesellschaften zu leben (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 an das VG Augsburg). Dort gebe es viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind und ohne Probleme leben könnten. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass jemand gefoltert werde oder seinen Arbeitsplatz verliere, wenn er offen bekenne, die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft abzulehnen. Die Religionsfreiheit erstrecke sich auch auf traditionelle Glaubensvorstellungen, so das Auswärtige Amt.
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b) Ebensowenig begründen die allgemeinen wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse in Sierra Leone ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.Vm. Art. 3 EMRK. Insoweit wird weitgehend auf die Ausführungen des Bundesamtes Bezug genommen, vgl. § 77 Abs. 2 AsylG.
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Das Bundesamt hat nachvollziehbar und zutreffend unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Klägers angenommen, dass der Kläger bei Rückkehr nach Sierra Leone imstande sein werde, sein Existenzminimum zu sichern. Dass der Kläger angesichts seiner vorgetragenen Verletzung an der Hand nicht voll erwerbsfähig wäre, ist ebensowenig erkennbar wie Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit durch die klägerisch angegebenen Schlafstörungen, die im Übrigen wie die Verletzung der Hand nicht hinreichend ärztlich belegt sind. Zutreffend hat das Bundesamt zudem auf die in Sierra Leone noch vorhandenen familiären Strukturen des Klägers hingewiesen, die selbst bei Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative unterstützend wirken können. Selbst bei deren Ausfall wird es dem Kläger angesichts der guten Schulbildung und bisherigen beruflichen Erfahrungen jedoch möglich sein, seine Existenz zumindest durch Gelegenheitsarbeiten etc. in einer der größeren Städte Sierra Leones zu sichern.
22
Die aktuelle Covid-19-Pandemie mit den diesbezüglich einhergehenden Einschränkungen steht dem nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass das öffentliche Leben in Sierra Leone derzeit derart eingeschränkt ist, dass es dem Kläger nicht möglich wäre, bei Rückkehr seine Existenz mit den elementaren Grundbedürfnissen zu sichern. Auf die Ausführungen des Bundesamtes wird im Übrigen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen.
23
c) Auch die Ablehnung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht zu beanstanden.
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(1) In Bezug auf seine Schlafstörungen bzw. die Verletzung seiner Hand oder die in der mündlichen Verhandlung genannten Alpträume und Flashbacks hat der Kläger keine den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG genügenden ärztlichen Bescheinigungen vorgelegt, aus denen sich hinreichend darauf schließen ließe, dass eine Rückkehr des Klägers zu einer erheblichen bis gar lebensbedrohlichen Verschlimmerung führen würde.
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(2) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich für den Kläger auch nicht aus der weltweiten Covid-19 Pandemie.
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Unabhängig von der Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wonach es bei allgemeinen Gefahren einer - vorliegend nicht bestehenden - Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG bedürfte, wäre der Kläger nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet, insbesondere nicht derart, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2015 - 9 ZB 14.30457 - juris Rn. 11; OVG NRW, B.v. 17.12.2014 - 11 A 2468/14.A - juris Rn. 14).
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Darüber hinaus sind Aspekte wie aktuelle Reisebeschränkungen, die die Durchführung einer Abschiebung betreffen, asylrechtlich nicht von Belang und von der Ausländerbehörde vor Durchführung der Abschiebung zu prüfen. Der Verweis der Bevollmächtigten des Klägers im Klageschriftsatz auf die „derzeitigen Covid-Pandemie-Beschränkungen“ verfängt somit nicht.
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Im Übrigen wird auf die Ausführungen im Bescheid verwiesen und von einer wieder holenden Darstellung gemäß § 77 Abs. 2 AsylG abgesehen.
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Der Bescheid des Bundesamtes vom 5. Juni 2020 ist daher rechtmäßig und die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).