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VG Regensburg, Gerichtsbescheid v. 09.03.2021 – RO 4 K 20.2146
Titel:

Bescheid, Gemeinde, Vollziehung, Zwangsgeld, Hundehaltung, Kostenentscheidung, Wiedereinsetzung, Auflagen, Vollstreckung, Gerichtsbescheid, Ermessen, Verschulden, Hund, Anordnung, Kosten des Verfahrens, sofortige Vollziehung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Schlagworte:
Bescheid, Gemeinde, Vollziehung, Zwangsgeld, Hundehaltung, Kostenentscheidung, Wiedereinsetzung, Auflagen, Vollstreckung, Gerichtsbescheid, Ermessen, Verschulden, Hund, Anordnung, Kosten des Verfahrens, sofortige Vollziehung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.05.2021 – 10 ZB 21.1128
Fundstelle:
BeckRS 2021, 12505

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.      
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen eine ihre Hundehaltung betreffende sicherheitsrechtliche Anordnung.
2
Aus einem Aktenvermerk der Beklagten über ein Telefonat mit Frau … vom 7.5.2020 ergibt sich folgendes:
„Am 30.4.2020 ging Herr … mit seinem Mischlingsrüden „…“ spazieren. Höhe … Weg trifft er auf …, die ihre beiden Hündinnen „…“ (Wolfshund) und …(Labrador) ebenfalls spazieren führt. Alle drei Hunde werden zu diesem Zeitpunkt an der Leine geführt. Die Wolfshündin „…“ schlüpft aus ihrem Halsband und attackiert „…“. Herr … lässt „…“ daraufhin von der Leine, dass dieser flüchten kann. „…“ rennt nach Hause, wird jedoch von „…“ verfolgt und bei der Garage der Familie … nochmals angegriffen, bis Herr … es schafft, den Rüden in den Garten zu heben. „…“ weist an der linken Bauchseite, am linken Ohr und am Hinterkopf oberflächliche Verletzungen auf. Die Familie … entscheidet sich, nicht zum Tierarzt zu gehen.
Frau … erzählt weiter, dass sie bereits einige Male während des Spazierengehens auf die beiden Hunde getroffen sei. Frau … kann die beiden großen Hunde alleine nicht unter Kontrolle halten. Wenn ihr Lebensgefährte Herr … einen der beiden Hunde hält, verhalten sich die Hunde ruhiger. Weiterhin hätte Frau … gehört, dass die Hunde bereits andere Vierbeiner attackiert hätten. Sie weiß jedoch nicht, um welche Hunde es sich handelt. Sie wollte nur tätig werden, damit solche Situationen künftig vermieden werden können.“
3
Mit Schreiben vom 7.7.2020 wurde die Klägerin aufgefordert, sich aufgrund des von Frau … geschilderten Vorfalls bei der Beklagten zu melden.
4
Aus einem Aktenvermerk der Beklagten über ein Telefonat mit der Klägerin am 11.5.2020 ergibt sich Folgendes:
„… Weder Frau … noch die beiden Hündinnen sahen Herrn … kommen und erschraken deshalb, als dieser das Grundstück passierte. „…“ wollte sofort auf den Rüden zustürmen, um ihr Grundstück zu verteidigen und das Halsband öffnete sich durch den Ruck. Die Hunde begannen sich zu attackieren und Herr … ließ „…“ los, damit er sich besser verteidigen bzw. wegrennen konnte. „…“ rannte sofort nach Hause, „…“ verfolgte ihn und griff nochmal an. Frau … und Herr … liefen zum Haus und trennten die Hunde. … Herr … war der Ansicht, dass ein Tierarztbesuch übertrieben wäre, da „…“ nur einen Kratzer hätte, der nicht blute. … Frau … erklärte weiter, dass sie denkt, dass das Halsband vorab beim Spielen mit „…“ kaputt gegangen war und es sich deshalb geöffnet hatte. Sie hat das Halsband sofort entsorgt und ein schlupfsicheres Geschirr gekauft. Auch für die Labradorhündin „…“ hat sie sofort ein schlupfsicheres Geschirr gekauft. …“
5
Unter dem 14.5.2020 erließ die Beklagte gegenüber der Klägerin folgenden Bescheid. Dessen Aufgabe zur Post oder ein Zustellungsdatum ergibt sich aus der vorgelegten Behördenakte nicht.
1. Die Tamaskan Hündin „…“, geb. 27.11.2014, Geschlecht weiblich, Ident.-Merkmale: wolfsgrau, ist außerhalb des Halteranwesens in bewohnten Gebieten auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen, in öffentlichen Anlagen und/ oder in der Nähe von Hunden fremder Personen an einer reißfesten Leine (nicht länger als 3 m), mit schlupfsicherem Geschirr von einer dazu befähigten und zuverlässigen Person zu führen.
2. Die Tamaskan Hündin „…“ und die im gemeinsamen Haushalt lebende Labrador Hündin „…“ sind von Frau … entweder getrennt voneinander auszuführen oder wenn diese gemeinsam ausgeführt werden sollen, muss eine weitere dazu befähigte und zuverlässige Person, eine der beiden Hündinnen führen.
3. Die sofortige Vollziehung der Verpflichtungen nach Ziffer 1 und 2 wird angeordnet.
4. Im Falle des Zuwiderhandelns gegen die Ziffer 1 dieses Bescheides wird ein Zwangsgeld in Höhe von 100,- €
die Ziffer 2 dieses Bescheides wird ein Zwangsgeld in Höhe von 100,- € angedroht und fällig.
5. Für diesen Bescheid wird eine Gebühr von 15,- € erhoben.
6
Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, in der Hundehalterverordnung der Beklagten vom 5.3.2001 sei vorgeschrieben, dass große Hunde in allen öffentlichen Anlagen und auf allen öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen so zu führen seien, dass sie keine Gefahr für Leben, Gesundheit, Eigentum oder die öffentliche Reinlichkeit darstellten. Hierzu seien große Hunde (ab 50 cm Schulterhöhe) in den im Zusammenhang bebauten Ortsteilen stets an einer reißfesten Leine von höchstens drei Meter Länge zu führen. Die Person, die einen leinenpflichtigen Hund führe, müsse dabei jederzeit in der Lage sein, das Tier körperlich zu beherrschen. Die Tamaskan Hündin „…“ zähle aufgrund ihrer Größe zu den großen Hunden und müsse daher wie in der Verordnung beschrieben geführt werden. Der Beißvorfall vom 30.4.2020 habe gezeigt, dass „…“ in der Lage sei, sich aus ihrem Halsband zu befreien. Durch die Auflage zum Tragen eines schlupfsicheren Geschirrs solle dies zukünftig vermieden werden. Der Beißvorfall vom 30.4.2020 habe gezeigt, dass zwei große Hunde in einer für sie schwierigen Situation nicht nur von einer einzigen Person kontrolliert werden könnten. Um einen solchen Beißvorfall künftig zu vermeiden, sei es deshalb notwendig, dass die beiden im gleichen Haushalt lebenden Hunde „…“ und „…“ entweder getrennt voneinander geführt würden oder bei einem gemeinsamen Spaziergang jeder der beiden Hunde von einer dazu befähigten und zuverlässigen Person geführt werde. Die Anordnungen lägen im pflichtgemäßem Ermessen der Gemeinde. Bei Abwägung der Interessen der Klägerin gegenüber dem öffentlichen Interesse, erschienen die Auflagen durchaus gerechtfertigt. Weiterhin sei der freie Auslauf der Hündin „…“ außerhalb geschlossener Ortschaften gewährleistet und durch die Auflagen würden die artgemäßen Bedürfnisse des Tieres im Sinne von § 2 Tierschutzgesetz auch nicht beeinträchtigt.
7
Die Klägerin ließ mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 8.9.2020, bei Gericht eingegangen am 9.9.2020, Klage erheben. Vorgetragen wird, der Klägerin sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da sie ohne Verschulden an der fristgemäßen Einreichung der Klage gehindert gewesen sei. Die Klägerin habe fernmündlich den Rechtsanwalt …, …, …, mit der Erhebung der Klage beauftragt. Dieser habe bei einem weiteren Telefonat bestätigt, dass die Angelegenheit „am Laufen“ sei. Nach Fristablauf habe jener Rechtsanwalt jegliche Kommunikation mit der Klägerin blockiert. Der Rechtsanwalt habe bei der Klägerin den Eindruck erweckt, dass er sie rechtlich vertrete und insbesondere die Klagefrist eingehalten werde. Entgegen der Zusage des Rechtsanwalts sei keine Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid eingereicht worden. Darüber befand sich die Klägerin in Unkenntnis, weshalb sie eine eigenständige Einreichung einer Klage oder ein sonstiges Tätigwerden nicht für notwendig gehalten habe. Erst durch einen Anruf beim Gericht am 26.8.2020 habe die Klägerin davon Kenntnis erlangt. Daraufhin habe sie den Prozessbevollmächtigten beauftragt. Die Unkenntnis der Klägerin von der unterlassenen Einreichung der Klage sei zudem unverschuldet gewesen. Die Klägerin habe sich unmittelbar nach Kenntnis von dem streitgegenständlichen Bescheid rechtlichen Beistand gesucht und habe von diesem die Bearbeitung der Angelegenheit erwarten dürfen. Die Versäumnis der Klagefrist sei der Klägerin in dieser atypischen Fallkonstellation nicht zuzurechnen.
8
Die Klägerin beantragt,
1.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist.
2.
Der Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2020 wird aufgehoben.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Ausgeführt wird, die Klage sei wegen Verfristung unzulässig. Der Wiedereinsetzungsantrag bleibe ohne Erfolg. Die Klägerin habe einen Rechtsanwalt mit der Klageerhebung beauftragt, der ihr das auch zugesagt habe, dann aber offenbar nicht erledigte und auch eine Kontaktaufnahme mit der Klägerin verhindert habe. Gem. § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO habe sich die Klägerin diesbezügliches Verschulden des von ihr zunächst beauftragten Bevollmächtigten ohne Weiteres zurechnen zu lassen.
11
Mit gerichtlichem Schreiben vom 12.1.2021 wurden die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13
Das Gericht konnte nach erfolgter Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
14
Die Klage ist unzulässig. Die Klage wurde nicht innerhalb der gem. § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO einzuhaltenden Klagefrist von einem Monat erhoben (dazu 1). Ein Anspruch der Klägerin auf Wiedereinsetzung in die Klagefrist gem. § 60 VwGO besteht nicht (dazu 2.).
15
1. Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Hier ergibt sich aus der vorgelegten Behördenakte zwar nicht, wann genau der streitgegenständliche Bescheid vom 14.5.2020 an die Klägerin zugestellt wurde. Aus dem gesamten Vorbringen der Beteiligten ist aber ersichtlich, dass die einmonatige Klagefrist nach Bekanntgabe des Bescheids im Zeitpunkt der Klageerhebung am 9.9.2020 bereits abgelaufen war. Dies wird insbesondere seitens der Klägerin nicht in Frage gestellt.
16
2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO liegen nicht vor. Die Klägerin war nicht ohne Verschulden verhindert, die Klagefrist einzuhalten.
17
Entgegen den Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin bestand nach den eigenen Einlassungen der Klägerin in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 8.9.2020 ein Mandatsverhältnis zwischen ihr und dem Rechtsanwalt …, …, … Die Klägerin hat angegeben, sie habe den Rechtsanwalt …, …, … angerufen, der ihr gute Erfolgschancen ausgerechnet habe. Bei einem weiteren Telefonat vor Ablauf der Klagefrist sei ihr versichert worden, dass die Angelegenheit am Laufen sei. Diese Einlassungen der Klägerin können nach Ansicht des Gerichts nur so ausgelegt werden, dass sie Herrn Rechtsanwalt …, …, … mit der Erhebung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid beauftragt und dieser das Mandat auch insoweit angenommen hatte. Für die Erteilung dieser Prozessvollmacht ist eine Form auch nicht mehr vorgeschrieben (siehe hierzu Schoch/Schneider VwGO/Schenk, 39. EL Juli 2020, VwGO § 67 Rn. 90). Unerheblich ist, warum es der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin unterlassen hat, entgegen der gegenüber der Klägerin erteilten Auskunft, innerhalb der laufenden einmonatigen Klagefrist, die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid zu erheben. Die Klägerin hat sich jedenfalls das Verschulden ihres damaligen Bevollmächtigten gem. § 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 173 VwGO zurechnen zu lassen. Eine Wiedereinsetzung gemäß § 60 VwGO scheidet daher aus.
18
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
19
4. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.