Titel:
Anforderungen an die Wiederholungsgefahr bei der Ausweisung eines im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen Straftäters
Normenkette:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbes. die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei eingeschliffenen Verhaltensmustern kann verlangt werden, dass der Ausländer sich außerhalb des Justizvollzugs über einen längeren Zeitraum bewährt und durch gesetzeskonformes Verhalten gezeigt hat, dass er auch ohne den Druck des Strafvollzugs in Krisensituationen in der Lage ist, nicht erneut straffällig zu werden (BayVGH BeckRS 2016, 44267). (Rn. 66) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung (afghanischer Staatsangehöriger), Straftaten (Raub- und Gewaltdelikte), Wiederholungsgefahr, generalpräventives Ausweisungsinteresse, Abwägung, Ausweisung, Ausweisungsinteresse, Haft, Strafaussetzung zur Bewährung, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Drogenabstinenz, familiären Bindungen, Niederlassungserlaubnis, Herkunftsland Afghanistan
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 29.11.2018 – M 24 K 18.2905
Fundstelle:
BeckRS 2021, 12488
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klä¬ger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klage richtet sich gegen eine Ausweisung, die die Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 2018 verfügt hat.
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Der 1998 im Bundesgebiet geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Seine Eltern reisten mit seinem ältesten Bruder am 23. Mai 1993 als Asylbewerber in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26. März 1999 wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen. Diese Feststellung wurde mit bestandskräftig gewordenem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 5. September 2018 widerrufen.
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Seit dem 11. November 2014 besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis.
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Der Kläger hat fünf Geschwister. Sein Vater hat eine zweite Familie in Afghanistan und ist deshalb immer wieder für einige Monate in Afghanistan. Wegen der damaligen Gewalttätigkeit des Vaters gegenüber seiner Ehefrau und den Kindern ließen sich im Januar 2009 bzw. im September 2009 zunächst seine beiden älteren Brüder, im Juli 2011 auch der Kläger in die Obhut des Jugendamts nehmen. Er war sodann in mehreren Einrichtungen untergebracht; den Eltern war das Sorgerecht entzogen. Im Oktober 2013 wurde der Kläger wieder bei seiner Mutter untergebracht. Jugendhilferechtliche Betreuungsmaßnahmen scheiterten an mangelnder Zusammenarbeit. Der Kläger gab später an, das Verhältnis zum Vater habe sich gebessert, dieser sei nicht mehr gewalttätig.
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Der Kläger erreichte keinen Schulabschluss. In der Mittelschule und im Berufsvorbereitungsjahr schwänzte er sehr häufig die Schule.
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Seit seinem 14. Lebensjahr konsumierte der Kläger in erheblichem Umfang Cannabis. Ab dem Alter von etwa 17 Jahren wurde er straffällig.
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Mit Entscheidung vom 14. Juli 2015 sah die Staatsanwaltschaft München I wegen des Vorwurfs des vorsätzlichen unerlaubten Führens einer verbotenen Waffe in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln nach § 45 Abs. 3 JGG von der Verfolgung ab.
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Durch Urteil des Amtsgerichts München vom 3. Mai 2016 wurde er wegen Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Mittäterschaft, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchtem Raub in Tateinheit mit räuberischer Erpressung in Mitttäterschaft und wegen schwerer räuberischer Erpressung in Mittäterschaft zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
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Die festgestellten Straftaten betrafen Vorfälle am 20. November, 12. Dezember und 7. September 2015, bei denen der Kläger - jeweils mit mehreren Mittätern - im Rahmen von Drogengeschäften die Opfer unter Anwendung oder Androhung (massiver) Gewalt zur Herausgabe von Geld, Mobiltelefon und anderen Gegenständen gezwungen hatte.
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Seit 16. Dezember 2015 befand sich der Kläger in Untersuchungshaft und seit dem 16. März 2016 in einer Maßnahme der „Untersuchungshaftvermeidung Spurwechsel“; im Oktober 2016 brach er diese Maßnahme wieder ab. Deswegen und wegen neuerlicher Straftaten wurde die Bewährung widerrufen, der Kläger kam am 16. März 2017 wieder in Haft.
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Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 7. Dezember 2017 wurde der Kläger wegen des Erschleichens von Leistungen, wegen gemeinschaftlicher versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung, wegen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, wegen - jeweils gemeinschaftlich handelnd - Sachbeschädigung, wegen versuchtem schwerem Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Sachbeschädigung, wegen Diebstahls sowie wegen Hausfriedensbruchs unter Einbeziehung des Urteils vom 3. Mai 2016 zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt.
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Abgeurteilt wurden - neben einer „Schwarzfahrt“ mit der S-Bahn und dem Besitz von 0,33 g Marihuana-Gemisch - mehrere jeweils mit Mittätern begangene und mit teils heftiger Gewalteinwirkung begangene Raubüberfälle. Am 28. November 2016 griff der Kläger mit Mittätern sein Opfer an, um an dessen Wertsachen zu kommen; diesem gelang es jedoch trotz massiver Gewaltanwendung, zu flüchten, ohne dass die Täter an den Inhalt seines Rucksacks kamen. Am 10. Dezember 2016 überfiel er mit Mittätern eine Passantin an einem U-Bahnhof, um sie zu berauben; bei dem Gerangel wurde das Opfer die Rolltreppe hinuntergestützt, die Täter raubten ihre Handtasche mit Bargeld und Mobiltelefon. Weitere Übergriffe zielten auf ein Pfarr-/Jugendheim, das dem Kläger und seinen Mittätern bekannt war: Am 12. November 2016 drangen sie, nachdem sie zuvor des Gebäudes verwiesen worden waren, durch Eintreten der Tür wieder in die Jugendräume ein und beschädigten unter lautem Geschrei die Einrichtung, um die anwesenden Jugendlichen einzuschüchtern. Danach versuchten sie an Wertgegenstände, insbesondere Mobiltelefone, zu kommen, was ihnen jedoch nicht gelang, obwohl sie einen der anwesenden Jugendlichen verprügelten. Am 26. November 2016 drangen sie erneut in das Pfarrheim ein, nachdem sie zuvor die Überwachungskamera am Eingang zerstört hatten, und entwendeten aus aufgehängten Jacken verschiedene Gegenstände, darunter ein Mobiltelefon. Am 3. Februar 2017 erschienen sie erneut in dem Pfarrheim, um Gegenstände zu entwenden, entfernten sich jedoch wieder.
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Das Gericht wertete zu Gunsten des Klägers in erheblichem Maße sein Geständnis sowie dass er sich in Haft gut geführt habe, zu seinen Lasten seine einschlägige Vorbelastung, die erhebliche Rückfallgeschwindigkeit sowie die Tatsache, dass es sich um einen Bewährungsversager handle und dass er eine Vielzahl von Taten begangen habe; schädliche Neigungen seien vorhanden.
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Auf Anhörung durch die Beklagte trug der Kläger mit Schreiben vom 19. Februar 2018 unter anderem vor: Er habe keinerlei Kontakte nach Afghanistan, das er nur einmal im Kleinkindalter besucht habe; da zuhause immer deutsch gesprochen worden sei, verstehe er die Sprache seiner Eltern - Paschto - nicht, abgesehen von einzelnen Worten. Weil er vorrangig Kontakt zu älteren Jugendlichen gehabt habe, sei er in Kontakt mit Drogen gekommen. Mit 14 Jahren habe er mit dem Konsum von Cannabis angefangen; um den Konsum zu finanzieren, habe er im Alter von 16 Jahren angefangen, Straftaten zu begehen. Die Taten habe er aufgrund der Betäubungsmittelabhängigkeit begangen, er habe letztendlich keine andere Möglichkeit mehr gesehen, um seine Sucht zu finanzieren. Er befinde sich nun seit dem 17. März 2017 in Haft, sei in einer Langstrafen-Wohngruppe untergebracht und führe sich sehr gut.
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Während der Haft erreichte der Kläger den Mittelschulabschluss sowie den Qualifizierenden Mittelschulabschluss. Der Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 16. April 2018 ist durchweg positiv, insbesondere sei der Kläger in keiner Weise disziplinarisch auffällig geworden.
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Mit Bescheid vom 30. Mai 2018 wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde unter der Bedingung, dass Drogen- und Straffreiheit nachgewiesen wird, auf fünf Jahre, bei Nichterfüllung der Bedingung auf sieben Jahre ab Ausreise befristet. Für den Fall, dass das (zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses noch bestehende) Abschiebungsverbot widerrufen werde, wurde seine Abschiebung angeordnet bzw. angedroht.
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Aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Bamberg vom 1. August 2018 wurde der Kläger am 2. August 2018 nach Aussetzung des Strafrests zur Bewährung nach § 88 JGG zu seiner Mutter nach München entlassen. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgelegt (bis 5.8.2021). Der Beschluss enthält Auflagen und Weisungen, jedoch keine Begründung.
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Im Rahmen des Klageverfahrens legte der Kläger einen Berufsausbildungsvertrag (Verkäufer; beginnend am 12.9.2018) bei einem Träger der freien Jugendhilfe vor. Eine „Bestätigung des bisherigen Ausbildungsverlaufs; Prognose“ vom 27. November 2018 war positiv.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 29. November 2018 wurde die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf fünf Jahre unter der Bedingung, dass Drogen- und Straffreiheit nachgewiesen wird, im Übrigen auf sechs Jahre abgeändert.
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Mit Urteil vom 29. November 2018 (M 24 K 18.2905) hob das Bayerische Verwaltungsgericht München den Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2018 in der Fassung vom 29. November 2018 in Nr. 2 auf und verpflichtete die Beklagte, über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
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Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt:
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Der Aufenthalt des Klägers gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Diese Gefahr sei auch noch gegenwärtig.
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Vom Kläger gehe weiterhin eine Wiederholungsgefahr aus. Hierbei sei zu sehen, dass er in einem relativ kurzen Zeitraum intensiv straffällig geworden sei und die erste Verurteilung mit Bewährungsaussetzung ihn nicht daran gehindert habe, weiterhin in enger zeitlicher Taktung Eigentumsdelikte mit Gewaltanwendung zu begehen. Er habe wegen seines anhaltenden Drogenkonsums ein starkes Motiv gehabt, durch Straffälligkeit im Eigentumsdeliktsbereich schnell an Geld zu kommen. Er habe in der Gruppe agiert und sei bei den Straftaten aggressiv und gewalttätig aufgetreten.
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Zwar könne die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr, erneut straffällig zu werden, mindern. Wenngleich der Kläger in der Haft eine gute Entwicklung und sich allseits sehr ruhig, freundlich und zuvorkommend gezeigt habe, sich erfolgreich schulisch bis zum Qualifizierenden Mittelschulabschluss fortgebildet habe, nach Haftentlassung in Ausbildung zum Verkäufer sei, also eine rundum positive Entwicklung aufweise, könne hieraus zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt prognostisch noch nicht geschlossen werden, dass vom Kläger keine Wiederholungsgefahr für die Begehung von Straftaten mehr ausgehe. Die gute Entwicklung in der Haft habe in einem im Vergleich zur Situation in Freiheit „schützendem Raum“ stattgefunden.
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Eine Wiederholungsgefahr entfalle auch nicht aufgrund der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung. Der Kläger habe sich bislang noch nicht über einen ausreichend langen Zeitraum in Freiheit bewährt. In Freiheit sei als gefährdendes Moment zu sehen, dass er durchaus wieder in das selbe Milieu mit den dort auch lebenden „Spezln“ zurückkehre, aus dem heraus er zuvor straffällig geworden sei. Über den vorliegend kurzen Zeitraum in Freiheit sei noch nicht absehbar, dass er stabil drogenfrei bleibe und damit der Zweck der Finanzierung des Drogenkonsums als Motiv der Straffälligkeit nicht wieder aufkomme. Gleichermaßen sei derzeit nicht absehbar, ob der Kläger persönlich so gefestigt sei, dass er keine Kontakte mehr zu seinem früheren Milieu aufnehme und auch nicht mehr die in ihm steckende Neigung zur Aggressivität und Gewalttätigkeit, die er bei der gemeinschaftlichen Straftatenbegehung als Verhalten an den Tag gelegt habe, lebe. Auch bei den aktuell optimistischen Ansätzen sei die Entwicklung des Klägers insoweit offen, als derzeit (noch) nicht davon ausgegangen werden könne, dass in ausländerrechtlicher Hinsicht keine Wiederholungsgefahr (mehr) bestehe, weil ein dauerhafter Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung während der Inhaftierung erfolgt sei und fortgesetzt werde.
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Die Ausweisung könne auch auf generalpräventive Gründe gestützt werden.
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Bei der Abwägung überwiege das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse, wobei beide besonders schwer wiegen würden (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).
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Hinsichtlich des Ausweisungsinteresses sei zunächst auf die Tatausführungen, wie sie im Einzelnen in der Bescheidsbegründung wiedergegeben würden, hinzuweisen. Die Delinquenz sei auch als Beschaffungskriminalität zur Finanzierung des Drogenkonsums erfolgt. Der Kläger sei bei seiner letzten Verurteilung Wiederholungstäter gewesen, der bei offener Strafbewährung weiter massiv straffällig geworden sei. Die Einheitsjugendstrafe sei mit drei Jahren als Ersthaftstrafenverbüßung hoch. Zu sehen sei, dass der Kläger als 16jähriger, also als Jugendlicher, früh und abrupt eine intensive Strafdelinquenz begonnen habe mit einer Straftatenbegehung in sehr kurzer Zeitabfolge, die mit seiner Inhaftierung am 16. März 2017 geendet habe. Hervorstechend bei seinem strafrechtlichen Inerscheinungtreten im Eigentumsdeliktsbereich seien, dass der Kläger gemeinschaftlich agiert habe und dabei als Führungspersönlichkeit aufgetreten sei, sowie sein aggressives und gegenüber seinen Opfern gewalttätiges Verhalten. Zu seinen Opfern hätten auch Jugendliche gezählt, und dies wiederholt in einem beschützenden Raum (Jugendräume des Pfarrheims).
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Hinsichtlich der Bewertung des Bleibeinteresses des Klägers sei zu bedenken gewesen, dass er sich Zeit seines Lebens, also 20 Jahre, in Deutschland aufhalte und faktischer Inländer sei. Dies verhindere seine Ausweisung nicht von vornherein, sondern erfordere lediglich eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall. Der volljährige Kläger sei ledig und kinderlos. Er habe zu seinen weiteren im Bundesgebiet lebenden Verwandten - Mutter, Vater und Geschwister - persönlichen Kontakt. Er sei an die Familienadresse aus der Haft entlassen worden; die Eltern hätten große Bereitschaft signalisiert, den Kläger in allen Belangen zu unterstützen, und ihre Beziehung zu ihm als gut und stabil bezeichnet. Während der Haftzeit sei der Kontakt im Besuchsumfang aus vorgetragenen finanziellen und familiären Gründen eingeschränkt gewesen; familiäre Besuche seien ausschließlich durch die Mutter erfolgt, ansonsten habe es Brief- und Telefonkontakt gegeben. Nach den Angaben des Klägers habe sich zum Vater, der sich über Monate hinweg auch bei seiner zweiten Familie in Afghanistan aufhalte, (wieder) ein funktionierendes Verhältnis entwickelt, wenn auch keine Vater-Sohn-Beziehung. Die Kindheit und frühe Jugend des Klägers und der älteren Brüder sei von der Gewalttätigkeit des Vaters ihnen gegenüber geprägt gewesen; der Kläger und seine beiden älteren Brüder hätten deshalb selbst um staatliche Inobhutnahme ersucht. Allen Angaben zufolge bestehe ein enges Verhältnis des Klägers zu seiner Mutter wie auch zum jüngsten Bruder im Kindergartenalter.
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Zu sehen sei auch, dass der Kläger deutlich erkennbar während seiner Inhaftierung einen Spurwechsel vollzogen und seinen Drogenkonsum eingestellt habe. Er habe den Qualifizierenden Mittelschulabschluss nachgeholt, nachdem er vor seiner Inhaftierung noch nicht einmal einen Hauptschulabschluss gehabt habe und seine schulischen Leistungen zuvor sehr schlecht gewesen seien. Er habe auch erfolgreich, entsprechend der Auflage in dem Beschluss zur Bewährungsaussetzung der Reststrafe, eine Ausbildung begonnen; die bisherige Ausbildungszeit des Klägers werde von seinem Ausbildungsverantwortlichen positiv bewertet.
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In den Blick zu nehmen sei bei der Abwägungsentscheidung auch die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Abschiebungszielstaat und insbesondere, ob der Ausländer über Kenntnisse der Sprache seines Herkunftsstaats verfüge. Das erkennende Gericht gehe bei seiner Abwägungsentscheidung davon aus, dass der Kläger die Sprache Paschto beherrsche, zumindest spreche. Zur kulturellen Bindung des Klägers an Afghanistan sei auf das für die Volksgruppe der Paschtunen identitätsstiftende und das Leben jedes Paschtunen, auch derjenigen, die außerhalb ihres Siedlungsgebiets lebten, prägende Paschtunwali hinzuweisen. Hinzu komme, dass der Vater des Klägers sich auch über Monate hinweg bei seiner in Afghanistan lebenden Zweitfamilie aufhalte. Ausgehend von den paschtunischen Familien- und Clanstrukturen mit dem Familienzusammenhalt als hohem Wert, der auch von der Familie des Klägers gelebt werde, habe er trotz seines 20-jährigen Aufenthalts im Bundesgebiet eine kulturelle wie auch soziale und familiäre Bindung in Afghanistan. Er könne auch auf Anlaufhilfe und Unterstützung in Afghanistan durch seinen Vater, dessen dortige Zweitfamilie wie auch durch den Clan im Rahmen der in Afghanistan herrschenden Lebensbedingungen rechnen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan sei der Kläger nicht isoliert auf sich allein gestellt. Selbst wenn er keine der Landessprachen sprechen würde, wäre es ihm als volljährigem Mann zuzumuten, diese zu lernen.
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Mit Beschluss vom 27. August 2019 (10 ZB 19.593) hat der Senat die Berufung zugelassen, weil die Rechtssache besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Tragfähigkeit der Gefahrenprognose aufweise.
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Der Kläger hat die Berufung mit Schriftsatz vom 28. September 2019 im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Die Prognose zur Wiederholungsgefahr sei fehlerhaft; eine Wiederholungsgefahr bestehe zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr. Der Kläger nehme keine Drogen mehr, daher gehe der Vorhalt, er habe von daher ein Motiv für seine Straftaten gehabt, ins Leere. Er habe in der erstmaligen Verbüßung der Haftstrafe eine gute Entwicklung gezeigt, erfolgreich den Qualifizierenden Mittelschulabschluss erreicht und sei bemüht, nach der vorzeitigen Haftentlassung einen Ausbildungsplatz oder zumindest einen Arbeitsplatz zu finden, auch wenn die Beklagte durch Auflage die Aufnahme eine Erwerbstätigkeit ausgeschlossen habe. Die gute Entwicklung in einem „schützenden Raum“ - der Haft - habe er nunmehr auch in der Realität fortgesetzt. Er sei bis heute drogenfrei. Auch habe er schon während der Haft, aber insbesondere danach jeglichen Kontakt zu seinen „Spezln“ abgebrochen und sei eben nicht mehr in dasselbe alte Milieu zurückgekehrt. Er wohne zuhause bei seiner Mutter und dem jüngsten Bruder und halte sich beanstandungsfrei an die Auflagen des Bewährungsbeschlusses; das Risiko eines Rückfalls habe sich gerade nicht realisiert.
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Zwar habe die Ausweisung auch auf generalpräventive Gründe gestützt werden dürfen, doch habe der Kläger mit seinem vorbildlichen Verhalten während der Haft und nach der Haftentlassung anderen Ausländern auch ein gutes Beispiel gegeben.
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Bezüglich seiner Bleibeinteressen sei sein lebenslanger Aufenthalt in Deutschland zu nennen sowie die Tatsache, dass er immerhin erst ab 2015 strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, also nicht über eine jahrelange, sich im Regelfall dann auch noch ständig steigernde kriminelle Karriere verfüge. Er sei faktischer Inländer, sei an die Familienadresse (d.h. zu Mutter und jüngstem Bruder) entlassen worden und lebe dort bis heute; er habe den Drogenkonsum eingestellt und den Qualifizierenden Mittelschulabschluss in der Haft nachgeholt.
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Er beherrsche die Sprache Paschto nicht, er verstehe nur einzelne Worte. Es bestehe keine kulturelle, soziale oder familiäre Bindung an Afghanistan. Der Ehrenkodex Paschtunwali möge für Paschtunen gelten, die außerhalb des Siedlungsgebiets, aber in Afghanistan oder Pakistan lebten, aber nicht für Paschtunen, die nie in Afghanistan, sondern immer im westlichen Ausland gelebt hätten. Er könne auch nicht auf Anlaufhilfe und Unterstützung durch seinen Vater und die dortige Zweitfamilie rechnen. Dies gehe an der gesellschaftlichen Realität in Afghanistan völlig vorbei.
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 29. November 2018 den Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2018 (in der Fassung vom 29. November 2018) auch im Übrigen aufzuheben.
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Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 22. Oktober 2020 - das noch nicht rechtskräftig ist (Berufung eingelegt) - wurde der Kläger wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15,- Euro verurteilt. Er hatte am 3. November 2019 in einer Grünanlage in München 31,27 g Marihuana mit sich geführt, um durch einen späteren Verkauf Gewinn zu erzielen.
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Gemäß dem Protokoll der Hauptverhandlung hatte der Kläger die Tat einschließlich der Verkaufsabsicht hinsichtlich eines Teils der Drogen eingeräumt. Ferner räumte er ein, dass er „auch selbst zum damaligen Zeitpunkt in erheblichen Mengen Marihuana konsumiert“ habe, und zwar täglich 3 bis 5 Gramm. Seit 6 oder 7 Monaten habe er damit aufgehört.
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Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Amtsgericht zu Lasten des Klägers, dass er bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und während einer noch offenen Bewährung gehandelt habe. Zudem sei er bereits zuvor im Laufe einer offenen Bewährung einschlägig erneut straffällig geworden, was mit einer dreijährigen Jugendstrafe geahndet worden sei. Somit habe weder die offene Bewährung noch die Verhängung der Jugendstrafe den Kläger von der Begehung einer erneuten Straftat abgehalten. Zu seinen Gunsten spreche, dass er zumindest teilweise geständig gewesen sei und es sich bei dem Marihuana um eine weiche Droge mit eher geringer Gefährlichkeit gehandelt habe. Zwar sei der Kläger einschlägig vorbestraft und habe in offener Bewährung mit nicht unerheblicher Rückfallgeschwindigkeit gehandelt, jedoch erscheine angesichts seiner aktuellen Lebensumstände mit fester Wohnanschrift und Arbeit in einem Minijob sowie des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe als gerade noch nicht unerlässlich im Sinn des § 47 Abs. 1 StGB und unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit die verhängte Geldstrafe als tat- und schuldangemessen.
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Die Beklagte ermittelte ferner, dass die am 12. September 2018 aufgenommene Berufsausbildung als Verkäufer am 11. Januar 2019 beendet worden ist, nachdem der Kläger im Dezember 2018 an 27 Tagen unentschuldigt gefehlt hatte und im Januar 2019 gar nicht mehr erschienen war.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Ausweisung sei nach wie vor rechtmäßig, insbesondere sowohl spezialwie generalpräventiv gerechtfertigt.
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Die Wiederholungsgefahr sei keineswegs weggefallen. Auch wenn das Strafverfahren, in dem der Kläger zuletzt verurteilt wurde, noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei, belegten die vorliegenden Erkenntnisse eindeutig eine konkrete Wiederholungsgefahr. Die strafrechtliche Unschuldsvermutung hindere die Heranziehung der Erkenntnisse nicht, weil dieser Grundsatz im Gefahrenabwehrrecht nicht gelte; im Übrigen sei der Sachverhalt bereits aufgrund der Angaben des Klägers und seines teilweisen Geständnisses hinreichend klar. Nach seinen eigenen Angaben habe er den Drogenkonsum nach seiner Haftentlassung und darüber hinaus auch noch nach der Tat am 3. November 2019 monatelang fortgesetzt und ihn erst - nach eigenen Angaben - frühestens im März 2020 eingestellt. Dies sei trotz der laufenden Straf-, Bewährungs-, Ausweisungs- und Berufungsverfahren erfolgt.
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Selbst wenn der Kläger - was bisher in keiner Weise belegt sei - nun seit einem Dreivierteljahr keine Drogen mehr konsumieren sollte, sei davon auszugehen, dass jedenfalls bis vor wenigen Monaten eine Drogensucht bestanden habe. Eine Therapie sei noch nicht einmal begonnen worden.
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Auch die Behauptung in der Berufungsbegründung, dass der Kläger den Kontakt zu seinen „Spezln“ abgebrochen habe und nicht in das vorherige Milieu zurückgekehrt sei, sei angesichts der Feststellungen in dem neuerlichen Strafurteil zu bezweifeln. Auch habe der Kläger durch eigenes Verschulden seine Ausbildungsstelle verloren. Unwahr sei die Behauptung in der Berufungsbegründung, der Kläger sei daran gehindert gewesen, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden, weil die Beklagte die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgeschlossen habe; die sei lediglich in der Zeit vom 9. August 2018 bis 25. Oktober 2018 der Fall gewesen.
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Die Ausweisung könne auch auf generalpräventive Gründe gestützt werden. Das Argument in der Berufungsbegründung, der Kläger habe sich während und nach der Haft als vorbildlich erwiesen, gehe offenkundig fehl.
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Die Ausweisung sei auch verhältnismäßig. Der Kläger sei wiederholt und gravierend straffällig geworden und im Alter von 22 Jahren nicht mehr auf die Unterstützung seiner Familie angewiesen.
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Der Kläger trug mit Schriftsatz vom 15. Januar 2021 noch vor, er habe zwei Monate als Gebäudereiniger auf Minijob-Basis gearbeitet; er sei entlassen worden, weil sich die Firma dies finanziell nicht mehr habe leisten können. Er hab dann versucht, anderswo Arbeit zu finden. Das sei daran gescheitert, dass er Grenzübertrittsbescheinigungen mit einer Gültigkeitsdauer von lediglich drei Monaten gehabt habe.
53
Die beteiligte Landesanwaltschaft stellt keinen eigenen Antrag, hält aber die Zurückweisung der Berufung für rechtens.
54
Der Senat hat am 12. April 2021 mündlich verhandelt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere zum persönlichen Werdegang des Klägers, wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Behördenakten, einschließlich der dort enthaltenen umfangreichen Auszüge aus den Strafakten, verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die noch verfahrensgegenständliche Klageabweisung durch das Verwaltungsgericht ist zu Recht erfolgt.
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Gegenstand der im Berufungsverfahren noch anhängigen Klage sind die gegen den Kläger verfügte Ausweisung und die Androhung der Abschiebung in dem Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2018. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots wurde vom Verwaltungsgericht aufgehoben und die Beklagte insoweit zur Neuverbescheidung verpflichtet.
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1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der der Entscheidung des Senats (stRspr, vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 1 C 21.18 - juris Rn. 11).
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Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage im Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an seiner Ausreise mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
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a) Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet ergibt sich sowohl aus spezialpräventiven als auch aus generalpräventiven Gründen.
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Anlass der Ausweisung ist die Verurteilung des Klägers vom 7. Dezember 2017 zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren wegen einer Anzahl von Straftatbeständen, darunter Raub- und Gewaltdelikten. Damit hat der Kläger ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verwirklicht.
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b) Die mit der Verwirklichung des genannten Ausweisungsinteresses indizierte Gefährdung öffentlicher Interessen im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG besteht auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats fort, weil eine Wiederholungsgefahr besteht und vom Kläger somit nach wie vor eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht.
64
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 12.10.2020 - 10 B 20.1795 - juris Rn. 28; BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18).
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Nach diesem Maßstab geht vom Kläger auch in Zukunft eine erhebliche Wiederholungsgefahr der Begehung weiterer gewichtiger Straftaten aus. Bereits das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass er in einem relativ kurzen Zeitraum intensiv straffällig wurde, die erste Verurteilung mit Strafaussetzung zur Bewährung ihn nicht daran gehindert hat, weiterhin in schneller Abfolge erneut Eigentumsdelikte unter Gewaltanwendung zu begehen und er wegen seines anhaltenden Drogenkonsums ein starkes Motiv hatte, durch seine Straftaten schnell an Geld zu kommen. Dem Senat drängt sich dabei auch deutlich der Eindruck auf, dass der Kläger bevorzugt Gewalttaten aus der Gruppe mit seinen Mittätern heraus gerade gegen Schwächere begangen hat; er neigt offensichtlich vor allem dann zu derartigen Taten, wenn er sich in Gesellschaft seiner „Spezln“ befindet, während er ohne Kontakt mit diesen - etwa in der Haft - durchaus Wohlverhalten zeigt und zeigen kann.
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Nach der Rechtsprechung des Senats kann die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr, erneut straffällig zu werden, mindern. Es müssen aber Anhaltspunkte dafür ersichtlich sein, dass ihn die Verbüßung der Freiheitsstrafe auch tatsächlich nachhaltig beeindruckt, er sich mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandersetzt und es zu einem nachhaltigen Einstellungswandel gekommen ist, dass also ein positiver Einfluss der Strafhaft auf die Persönlichkeitsentwicklung festzustellen ist. Insbesondere bei eingeschliffenen Verhaltensmustern kann verlangt werden, dass der Ausländer sich außerhalb des Justizvollzugs über einen längeren Zeitraum bewährt und durch gesetzeskonformes Verhalten gezeigt hat, dass er auch ohne den Druck des Strafvollzugs in Krisensituationen in der Lage ist, nicht erneut straffällig zu werden (siehe z.B. BayVGH, B.v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris Rn. 15).
67
Der Kläger hat auch zunächst eine positive Entwicklung genommen, indem er sich in der Haft beanstandungsfrei geführt und den Qualifizierenden Hauptschulabschluss erworben hat; nach seiner Haftentlassung unter Aussetzung des Strafrests zur Bewährung am 2. August 2018 hat er alsbald eine Berufsausbildung begonnen, für die ihm noch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht seitens des Ausbildungsbetriebs eine positive Prognose erteilt wurde. Schon das Verwaltungsgericht hat jedoch darauf hingewiesen, dass die gute Entwicklung in der Haft in einem „schützenden Raum“ stattgefunden habe und der Kläger sich noch nicht über einen ausreichend langen Zeitraum in Freiheit bewährt habe; es sei noch nicht absehbar, ob er auch in Freiheit stabil drogenfrei bleiben, keine Kontakte in sein früheres Milieu (zu seinen „Spezln“) aufnehmen und auch nicht mehr die in ihm steckende Neigung zur Aggressivität und Gewalttätigkeit, die er bei der gemeinschaftlichen Straftatenbegehung an den Tag gelegt habe, ausleben werde. Die Entwicklung des Klägers sei noch offen, so dass noch nicht von einem dauerhaften Einstellungswandel und einer innerlich gefestigten Verhaltensänderung ausgegangen werden könne.
68
Diese Einschätzung des Verwaltungsgerichts hat der Kläger durch sein zwischenzeitliches Verhalten, insbesondere durch seine erneute Straffälligkeit, in vollem Umfang bestätigt und damit die positiven Erwartungen, die etwa zur Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung geführt haben, letztlich widerlegt.
69
Schon kurz nach der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat er die begonnene Berufsausbildung abgebrochen, indem er unentschuldigt nicht mehr an der Ausbildungsstelle erschienen ist, und danach nur noch zweitweise (zwei Monate) in einem Minijob als Gebäudereiniger gearbeitet.
70
Sodann wurde er am 22. Oktober 2020 wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt, weil er am 3. November 2019 in einer Grünanlage in München 31,27 g Marihuana mit sich geführt hatte, um durch einen späteren Verkauf Gewinn zu erzielen. Auch wenn dieses Urteil noch nicht rechtkräftig ist, ergibt sich doch aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung, dass der Kläger die Tat einschließlich der Verkaufsabsicht hinsichtlich eines Teils der Drogen eingeräumt hatte. Ferner gab er zu, dass er auch selbst zum damaligen Zeitpunkt in erheblichen Mengen Marihuana konsumiert habe, und zwar 3 bis 5 g täglich; erst seit sechs oder sieben Monaten habe er damit aufgehört.
71
Damit hat sich gezeigt, dass die mit der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung verbundene Erwartung, der Verurteilte werde keine Straftaten mehr begehen, sich im Fall des Klägers nicht erfüllt hat. Der Vortrag in der Berufungsbegründung, der Kläger verhalte sich auch in Freiheit beanstandungsfrei, und eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht mehr, erweist sich damit als unzutreffend.
72
Ebenso wenig tragfähig ist die Behauptung in der Berufungsbegründung, der Kläger sei nunmehr drogenfrei und habe auch die Kontakte in sein früheres Milieu abgebrochen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger eingeräumt, er habe nach dem negativen Ausgang des (erstinstanzlichen) verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wegen zunehmender Frustrierung wieder mit dem Drogenkonsum angefangen, den er teilweise mit Geld von zuhause finanziert habe und zu dem ihn teilweise ein Freund eingeladen habe. Wegen Finanzierungsproblemen habe er mit dem Konsum „auch immer wieder aufgehört“. Damit erweist sich, dass sein früher möglicherweise tatsächlich vorhandener Wille zur Drogenabstinenz sich angesichts erfahrener Frustration alsbald verflüchtigt hat und dass er andererseits mit seinem Verweis auf die von dem erstinstanzlichen Urteil hervorgerufene Frustration und die Einladung durch einen Freund dazu neigt, die Verantwortung für den Rückfall weniger bei sich selbst als bei anderen zu suchen. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung hat er offenbar auch erst jetzt erkannt, dass er eine Drogentherapie absolvieren müsste; bisher habe er sich nicht darum bemüht, weil er „immer wieder viel Stress“ gehabt und auch keine Notwendigkeit dafür gesehen habe.
73
Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung eines Ausländers beruhen oder dadurch (wie im vorliegenden Fall durch die Notwendigkeit der Geldbeschaffung) gefördert wurden, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogen-, Alkohol- oder sonst einschlägige Therapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat, insbesondere indem er sich außerhalb des Straf- oder Maßregelvollzugs bewährt hat (stRspr des Senats, siehe z.B. BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 B 14.1613 - juris Rn. 32). Hiervon kann im Fall des Klägers keine Rede sein.
74
Schließlich ist auch noch anzuführen, dass gegen den Kläger am 18. Mai 2020 und am 24. Juni 2020 noch jeweils ein Bußgeldbescheid über 150 Euro wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz am 3. April 2020 bzw. am 22. April 2020 erlassen wurde. Wenn auch die Anlasstaten (jeweils Verlassen der eigenen Wohnung ohne triftigen Grund) als solche nicht überbewertet werden dürfen, vervollständigen sie jedoch das Bild des Klägers im Hinblick auf seine Einstellung zur Rechtsordnung.
75
c) Unabhängig davon gefährdet der Aufenthalt des Klägers auch im Hinblick auf generalpräventive Erwägungen die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland.
76
Eine Ausweisung kann auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht regelmäßig (zu Ausnahmen bei durch § 53 Abs. 3 bis 4 AufenthG besonders geschützten Personenkreisen BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16/17 - juris Rn. 19 unter Verweis auf BT-Drs. 18/4097 S. 49) auf generalpräventive Gründe gestützt werden, denn vom weiteren Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 1 C 21.18 - juris Rn.17; BayVGH, U.v. 12.10.2020 - 10 B 20.1795 - juris Rn. 32 ff.). Zur Annahme eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG bedarf es - anders als unter Geltung von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG a.F. - nicht der Verurteilung wegen besonders schwerwiegender Delikte für die öffentliche Sicherheit und Ordnung wie Drogendelikte, Delikte im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität oder im Zusammenhang mit Terrorismus. Erforderlich ist lediglich, dass die Ausweisung an Straftaten oder Verhaltensweisen anknüpft, bei denen sie nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet erscheint, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, U.v. 3.5.1973 - I C 33.72 - juris Rn. 34; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 64; Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Auflage 2020, § 7 Rn. 27; Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.1.2021, § 53 AufenthG Rn. 32). Auch muss das Ausweisungsinteresse noch aktuell sein (BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 1 C 21.18 - juris Rn.17). Darüber hinaus sind Art und Schwere der jeweiligen Anlasstat lediglich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen (so auch Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 63).
77
Gemessen daran besteht im Falle des Klägers ein generalpräventives Ausweisungsinteresse. Gerade bei den abgeurteilten Straftaten aus dem Gewalt- und Eigentumsbereich, die mit mehreren Mittätern gemeinschaftlich und innerhalt kurzer Zeit serienweise begangen wurden, können nach allgemeiner Lebenserfahrung aufenthaltsbeendende Maßnahmen eine generalpräventive Wirkung entfalten; im vorliegenden Fall geht es auch um potentiell aufsehenerregende Taten wie den Raub an einer Passantin in einem U-Bahnhof, wobei das Opfer eine Rolltreppe hinunterstürzte, sowie das wiederholte Eindringen in Raub- und Diebstahlsabsicht in ein Pfarr-Jugendheim.
78
Das generalpräventive Ausweisungsinteresse ist im Falle des Klägers auch noch aktuell. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 23) für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020 - 10 ZB 20.666 - juris Rn. 8). Da die hier vornehmlich im Raum stehenden Raubtaten (§§ 249, 255 StGB) mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr (und bis zu 15 Jahren, § 38 Abs. 2 StGB) bedroht sind, verjähren sie gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 StGB) frühestens nach 20 Jahren. Ob eine derart lang andauernde „Aktualität“ eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses in Fällen wie dem vorliegenden tatsächlich zu bejahen ist, kann dahingestellt bleiben. Im Fall des Klägers ist jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats die Aktualität des generalpräventiven Ausweisungsinteresses noch zu bejahen. Denn die letzte der mit dem Urteil vom 7. Dezember 2017 geahndeten Straftaten ereignete sich im Februar 2017 und liegt damit lediglich etwas mehr als vier Jahre zurück; auch die strafrechtlichen Folgen sind noch nicht beendet, da die Bewährungszeit des Klägers (nach derzeitigem Stand) noch bis zum 5. August 2021 läuft. Schließlich ergibt sich ein andauerndes generalpräventives Ausweisungsinteresse auch aus den Umständen einiger der abgeurteilten Taten, so aus dem Eindringen mit Mittätern in einen geschützten Raum (Jugendheim), um dort von Jugendlichen durch Gewaltandrohung und -anwendung Geld und Mobiltelefone zu erlangen, sowie aus dem Überfall auf eine Passantin in einem U-Bahnhof, wobei das Opfer eine Rolltreppe hinunterstürzte.
79
d) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet führt dazu, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise die Bleibeinteressen des Klägers überwiegt.
80
Voraussetzung für eine Ausweisung bei einer bestehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den weiteren Aufenthalt des Ausländers ist gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Dieser Grundsatz des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch § 54 und § 55 AufenthG weitere Konkretisierungen. Einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen wird von vornherein ein spezifisches bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen. Bei der Abwägung des Interesses an der Ausreise mit den Bleibeinteressen sind darüber hinaus die in § 53 Abs. 2 AufenthG aufgeführten Umstände (näher dazu etwa BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3.16 - juris Rn. 24 f.) in die wertende Gesamtbetrachtung einzubeziehen.
81
Der Kläger erfüllt - wie bereits dargestellt - ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Von ihm geht auch in Zukunft eine erhebliche konkrete Gefahr aus, dass er weiterhin schwere Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelsowie der Eigentums- und Gewaltkriminalität begehen wird, von daher ergibt sich auch ein entsprechendes generalpräventives Ausweisungsinteresse.
82
Das Bleibeinteresse des Klägers wiegt nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ebenfalls besonders schwer. Dennoch muss im Rahmen der Gesamtabwägung, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie der Grundrechte und Wertentscheidungen insbesondere aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, sein Interesse am weiteren Verbleib im Bundesgebiet hinter das öffentliche Interesse an seiner Ausreise zurücktreten.
83
Der Senat nimmt hierzu zunächst Bezug auf die Rechtsausführungen und die fallbezogenen Erwägungen in dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts (UA S. 17-21), die er sich zu eigen macht (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 117 Abs. 5 VwGO entspr.). Ergänzend sind für den Senat noch folgende Erwägungen maßgeblich:
84
Ohne Zweifel spricht für den Kläger, dass er im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen ist und sein Herkunftsland Afghanistan nur von einem Besuchsaufenthalt im Kindesalter (nach eigenen Angaben) sowie wohl auch durch Vermittlung seiner Eltern kennt. Gleichwohl besteht auch für sog. faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot; vielmehr ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 19). Hier ist auch festzustellen, dass trotz des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet letztlich keine nachhaltige Integration in die Gesellschaft des Bunderepublik Deutschland gelungen ist. Seine vor allem berufliche Integration ist gescheitert; bereits ab dem Alter von 12 Jahren begann er in erheblichem Umfang die Schule zu schwänzen, einen Schulabschluss erreichte er zunächst nicht. Zwar gelang es ihm dann im Justizvollzug, den Mittelschulabschluss und sodann den Qualifizierenden Mittelschulabschluss nachzuholen, die nach Haftentlassung begonnene Berufsausbildung brach er jedoch schon nach kurzer Zeit wieder ab. Ab dem 14. Lebensjahr begann er auch mit dem Konsum von Betäubungsmitteln (Cannabis / Marihuana), im Alter von 17 Jahren wurde er erstmals straffällig. Die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch bestehenden Erwartungen, er werde nach seiner Haftentlassung drogen- und straffrei bleiben, was das Verwaltungsgericht in seiner Abwägung noch zu Gunsten des Klägers angeführt hatte, haben sich nach seinem weiteren Verhalten noch während der Bewährungszeit zerschlagen. Derzeit sind keine tragfähigen Anhaltspunkte erkennbar, dass der Kläger in absehbarer Zeit in seinen Lebensumständen eine dauerhafte Wende zum Positiven erreichen könnte.
85
Hinsichtlich seiner familiären Bindungen macht der Kläger die Beziehungen zu seiner Mutter und zu seinen Geschwistern geltend; eine eigene Kernfamilie hat er nicht. Allerdings ist der Kläger mittlerweile mehr als 22 Jahre alt, und es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass er aus besonderen Gründen auf den Beistand seiner Mutter und seiner (teils ebenfalls volljährigen) Geschwister angewiesen wäre, oder umgekehrt diese auf ihn.
86
Eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisungsverfügung ergibt sich auch nicht aus der Situation, die der Kläger voraussichtlich in seinem Herkunftsland Afghanistan vorfinden wird. Soweit zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse in Betracht kommen, ist der Senat an die Feststellung in dem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 5. September 2018, dass solche nicht bestehen, gebunden (§ 42 Satz 1 AsylG). Der Kläger hat auch Kenntnisse in Paschto (Paschtunisch), einer der Amtssprachen Afghanistans. Während er in der Anhörung vor der Ausweisung noch angab, nur vereinzelte Wörter verstehen zu können, räumte er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ein, sich mit seinen Eltern immer „gemischt“ auf Paschto und Deutsch unterhalten zu haben; seine Mutter könne erst jetzt aufgrund mehrerer Deutschkurse besser deutsch sprechen. Er selbst habe als Kind ganz gut Paschto sprechen können. Der Senat ist daher überzeugt, dass der Kläger soweit ausbaufähige Kenntnisse des Paschto besitzt, dass von ihm erwartet werden kann, sich nach einiger Zeit wieder in dieser Sprache ausreichend (mündlich und schriftlich) verständlich machen zu können.
87
Eine gewisse Unterstützung dürfte der Kläger auch von seinem Vater erfahren, der in Afghanistan eine Zweitfamilie besitzt und sich immer wieder längere Zeit dort aufhält. Nach den Feststellungen der Jugendgerichtshilfe, die in dem Strafurteil vom 7. Dezember 2017 wiedergegeben sind und die auch das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, lebte der Vater nach einer zwischenzeitlichen Trennung seit ca. 2014 wieder in der Familienwohnung; der Kläger hatte angegeben, sein Verhältnis zu ihm habe sich wieder gebessert, sein Vater sei nicht mehr gewalttätig, und sie würden sich besser verstehen. Der Vater halte sich immer für mehrere Monate bei seiner Zweitfamilie in Afghanistan auf. Das Verwaltungsgericht hat daraus geschlossen, dass der Kläger auf Anlaufhilfe und Unterstützung in Afghanistan durch seinen Vater, die dortige Zweitfamilie des Vaters wie auch durch den dortigen Clan im Rahmen der in Afghanistan herrschenden Lebensbedingungen rechnen könne, jedenfalls nicht auf sich allein gestellt wäre. Im Berufungsverfahren war sodann deutlich das Bestreben des Klägers erkennbar, die Angaben zu seiner Beziehung zu seinem Vater zu relativieren und dessen mögliche Hilfestellung herunterzuspielen. Während in der Berufungsbegründung noch pauschal eine mögliche Hilfestellung durch seinen Vater und seine Zweitfamilie in Afghanistan bestritten wurde, gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat an, ihr Verhältnis sei wieder so schlecht, dass er keinen Kontakt zu seinem Vater mehr wolle. Er bestätigte, dass sein Vater immer wieder für längere Zeit „verschwinde“, wohin, wisse er nicht. Erst auf weitere Nachfragen räumte er ein, dass ihm die Zweitfamilie in Afghanistan bekannt sei; er behauptete aber, nicht zu wissen, ob sich der Vater dort aufhalte. Dieser Vortrag erscheint dem Senat jedoch jedenfalls insoweit unglaubhaft, als der Kläger behauptet, auf keinerlei Unterstützung durch seinen Vater zurückgreifen zu können, zu deutlich ist das Bemühen des Klägers zu erkennen, der vom Verwaltungsgericht gezogenen Schlussfolgerung einer „Anlaufstelle“ die Grundlage zu entziehen. Der Senat ist der Überzeugung, dass durch die verwandtschaftlichen Bindungen insoweit jedenfalls eine erste Anlaufstelle gegeben ist. Die Rolle des Paschtunwali (Stammesgesetz der Paschtunen), das das Verwaltungsgericht weiter herangezogen hat, lässt der Senat dabei ausdrücklich offen.
88
2. Aufgrund der rechtskräftig gewordenen Aufhebung der Befristung durch das Urteil des Verwaltungsgerichts wird die Beklagte alsbald (erneut) ein Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) mit einer der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entsprechenden Befristung (§ 11 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 AufenthG) zu erlassen haben.
89
5. Die Abschiebungsandrohung entspricht §§ 58, 59 AufenthG. Die Bedingung hinsichtlich des Widerrufs des Abschiebungsverbots ist mittlerweile gegenstandslos.
90
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
91
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
92
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
93
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.