Inhalt

SG München, Beschluss v. 28.04.2021 – S 38 KA 62/21 ER
Titel:

Vertragsärztliche Plausibilitätsprüfung - Betriebssystemwechsel 

Normenketten:
SGG § 86b
SGB V § § 106d
BMV-Ä § 57
Leitsätze:
1. Werden zeitliche Auffälligkeiten bei der Plausibilitätsprüfung festgestellt, ist es in erster Linie Aufgabe des Vertragsarztes, die von den Feststellungen ausgehende Indizwirkung zu widerlegen, insbesondere bei hohen Überschreitungen der Grenzwerte (vgl. BSG, Urteil vom 24.10.2018, Az B 6 KA 42/17 R).
2. Zweifel an der Prüfzeit können nicht damit begründet werden, es seien darin auch delegationsfähige Leistungen enthalten. Denn den Vertragsarzt trifft auch eine Aufsichts- und Überwachungspflicht für nichtärztliches Personal, die im Rahmen der Arbeitszeit des Vertragsarztes zu erbringen ist.
3. Nachträglich angefertigte Dokumentationen, vor allem solche, die nach einem langen Zeitraum erfolgen, werden dem Sinn und Zweck der Dokumentationen nicht gerecht. Wegen der zeitlichen Distanz können sie die erhobenen Diagnosen und stattgefundenen Therapien nur bedingt wiedergeben.
4. Ein Wechsel des Betriebssystems ist nicht dazu geeignet, nicht korrekte und unvollständige Dokumentationen ärztlicher Leistungen zu erklären. Jeder Vertragsarzt muss dafür Sorge tragen, dass es nicht zu einem Datenverlust kommt. Insofern ist eine Datensicherung laufend vorzunehmen.
5. Das Schätzungsermessen im Rahmen der Plausibilitätsprüfung ist nicht deshalb fehlerhaft ausgeübt, wenn die Zusammensetzung des Patientengutes (Anteil der Privatpatienten) nicht berücksichtigt wird, weil es sich um eine individuelle Besonderheit handelt.
Vertragsärzte müssen bei einem Wechsel des Betriebssystems sowie zur Abwehr und Bekämpfung von Computerviren sicherstellen, dass ärztlicher Leistungen insbesondere durch laufende Datensicherung korrekt und vollständig dokumentiert bleiben. (Rn. 59 – 61) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vertragsärztliche Versorgung, Abrechnungsauffälligkeit, Honorarrückforderung, Hautärztin, Quartalsstundenzahl, Dokumentationspflicht, Datensicherung, Betriebssystemwechsel
Fundstellen:
BeckRS 2021, 12202
MedR 2022, 63
LSK 2021, 12202

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 23.10.2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.10.2020 (Az .) wird abgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Mit dem zum Sozialgericht München eingelegten Antragsverfahrens begehrt die Antragstellerin, die als Hautärztin zur vertragsärztlichen Versorgung mit einem vollen Versorgungsauftrag zugelassen ist, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 23.10.2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.10.2020 (Az .) In dem genannten Bescheid wurden die Honorarbescheide für die Quartale 2/16 bis 1/20 zurückgenommen, soweit sie den Honoraranspruch für Regel Regionalund Ersatzkassen betrafen. Das Honorar wurde neu festgesetzt und ein Betrag in Höhe von 753.014,36 € zurückgefordert.
2
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Vertragsärztin habe gegen den Grundsatz der peinlich genauen Abrechnung verstoßen. Es sei eine auffällig hohe Stundenzahl in sämtlichen Quartalen festgestellt worden, d. h. mehr als 780 Stunden im Quartal, sowie Tageszeitüberschreitungen (mehr als 12 Stunden pro Tag). So habe die Zeitprüfung ergeben, dass die Vertragsärztin in den Quartalen 2/16 bis 1/20 zwischen 1.179,43 Stunden und 1.396,17 Stunden tätig gewesen sei. Außerdem sei eine extrem hohe Fallzahl, teilweise über 150% Abweichung zur Prüfgruppe festgestellt worden. Hinzu kämen Auffälligkeiten bei mehreren Gebührenordnungspositionen (GOP´s 02301, 02312, 02313, 30110, 30111, 30430, 31101, 31102, 31232, 32151, 32426, 32427 und 32688). Insgesamt seien Dokumentationen von 66 Patienten angefordert worden, um die abgerechneten Leistungen überprüfen zu können.
3
Was die Quartalsarbeitszeit betreffe, so hätten die den einzelnen Gebührenordnungspositionen im Anhang 3 des EBM unmittelbar zugeordneten Kalkulationsund Prüfzeiten normativen Charakter und müssten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts so bemessen sein, dass sie auch von erfahrenen und zügig arbeitenden Ärzten für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung benötigt würden (BSG, Urteil vom 24.10.2018, Az B 6 KA 42/17 R). Die Auffälligkeiten im Zeitprofil stellten einen Indizienbeweis für die Unrichtigkeit der Abrechnung dar. Im Einzelnen gebe es weitere Auffälligkeiten hinsichtlich einzelner Gebührenordnungspositionen.
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Zur GOP 02301 (kleinchirurgischer Eingriff II) führte die Antragsgegnerin aus, im Quartal 3/18 sei entsprechend der Dokumentationen bei nahezu allen Patienten die Eröffnung eines Abszesses erfolgt. Im Quartal 1/19 sei bei nahezu allen Patienten, mit Buchstaben A bis Ka aktinische Keratose auf der Stirn kauterisiert, bei den Patienten von Ki bis M würden laut den Aufzeichnungen überwiegend Abszesse und Paronychien eröffnet, bei den Patienten von S bis V Panaratien eröffnet und bei den Patienten mit W schließlich wieder Abszesse.
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Zur GOP 02313 (Kompressionstherapie) wurde ausgeführt, die Vertragsärztin habe in einem Großteil der Fälle die GOP 02313 neben der GOP 02312 abgerechnet, was nicht zulässig sei, weil der Leistungsinhalt der GOP 02312 die Kompressionstherapie bereits obligat fordere.
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Zur GOP 31101 (dermatochirurgischer Eingriff der Kategorie A1) wies die Antragsgegnerin darauf hin, in den Dokumentationen hätten sich mehrere Fälle gefunden, bei denen die erforderlichen Größenangaben (Flächen größer 4 cm² oder größer 1 Kubikzentimeter) nicht eingehalten worden seien. Vereinzelt sei der Ansatz unzulässigerweise auch für Nachresektionen erfolgt. Ferner werde in den OP-Berichten stets derselbe Text verwendet. Eine individuelle Beschreibung der Operationen fehle gänzlich. Ferner betrage die Operationsdauer in den meisten Fällen 10 Minuten, unabhängig von der durchgeführten Operation und der operierten Körperregion. Ferner würden sich Fälle finden, in denen weder ein OP-Bericht vorliege, oder bei welchen das Datum des OP-Berichtes und das Datum der Abrechnung der Leistungen nicht übereinstimmten oder das histologische Gutachten vor dem Datum des OP-Berichtes gelegen habe.
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Zur GOP 31102 (dermatochirurgischer Eingriff der Kategorie A2) wurde in dem angefochtenen Bescheid ausgeführt, auch hier seien die erforderlichen Größenangaben nicht eingehalten worden. In einigen Fällen habe auch ein maligner Befund, der Voraussetzung für die Abrechnung sei, nicht vorgelegen.
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Zur GOP 31232 (Eingriff der HNO-Chirurgie der Kategorie N2) wurde darauf hingewiesen, bei einigen Ansätzen habe keine histologische Kontrolle stattgefunden, weshalb die Gebührenordnungsposition nicht abrechenbar sei.
9
Beim Ansatz der GOP 32688 (morphologische Differenzierung) sei in einigen Fällen keinerlei Differenzierung erkennbar. So seien für das Quartal 1/2019 laut den ersten eingereichten Dokumentationen stets unterschiedliche Pilzarten mit unterschiedlichen Beschreibungen angegeben worden, später (zweite eingereichte Dokumentationen) nur wenige unterschiedliche Pilzarten, die nach Quartalen Anfangsbuchstaben des Nachnamens des Patienten differierten. So sei im Quartal 2/16 bei allen Patienten, deren Nachname mit den Buchstaben A bis Hi beginne, ein Schimmelpilz festgestellt worden. Die Beschreibung bei allen Patienten habe exakt gleich gelautet, nämlich „Schimmelpilz wächst schnell, bildet zimtbraunes Pigment, Bildet rauhwandige dicke Mikrokonidien in Ketten“. Bei Patienten mit Buchstaben Hö bis Ö sei überwiegend derselbe Schimmelpilz festgestellt worden. Bei den übrigen Patienten (R bis Z) sei bis auf einen Fall stets wieder dieselbe Kultur mit der Beschreibung „M gypseum, bildet sandige, teils zimtfarbige Kolonien) festgestellt worden. Im Quartal 4/17 wiesen ca. 70% der geprüften Patienten Pilz T. Rubrum auf. Bei einem Großteil dieser werde die Kultur mit exakt dem gleichen Wortlaut und denselben Rechtschreibfehlern dokumentiert, nämlich mit T. Rubrum - Anthropophiler Dermatophyt - wächst langsa (3-4 Wochen) bilder orangegelb bis rote Pigmente + bildet Pilzhyphen mit wenigen Mikrokonidien. Im Quartal 3/18 zeigten sich drei verschiedene Pilzarten, die sich je nach Anfangsbuchstaben des Nachnamens des Patienten unterschieden. Im Quartal 1/19 hätten die meisten Patienten aus den nachträglich eingereichten Dokumentationen wieder die Pilzarten T. rubrum.
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Zum Nachweis bezog sich die Antragsgegnerin auf mehrere Beispiele, die ihrer Auffassung nach die falsche Abrechnung belegten.
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Die Vertragsärztin habe auch schuldhaft gegen ihre Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen. Diese habe mit ihrer Unterschrift die sachliche Richtigkeit bestätigt. Die Garantiefunktion dieser Sammelerklärung sei durch die nicht korrekte Abrechnung von Leistungen und nicht ordnungsgemäß dokumentierten Leistungen entfallen. Die Vertragsärztin hätte die Dokumentationen in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung vornehmen müssen. Das Erstellen von Aufzeichnungen aus Anlass einer Plausibilitätsprüfung entspreche diesen Anforderungen nicht. Die Vertragsärztin habe die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und deshalb zumindest grob fahrlässig gehandelt.
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Was die Honorarneufestsetzung und Rückforderung betreffe, so habe die Prüfung für die Quartale 3/16 - 3/17, 1/18 - 2/18, 4/18 und 2/19 bis 1/20 ergeben, dass das Abrechnungsverhalten in Bezug auf die dargestellten Sachverhalte nach Art und Umfang mit dem Abrechnungsverhalten in den Referenzquartalen 2/16, 4/17, 3/18 und 1/19 vergleichbar sei. Die Rückforderungssumme werde anhand einer Kürzung der Quartalsarbeitszeit je Quartal errechnet. Der Vertragsärztin werde, da sie mehr Patienten als die Fachgruppe im Durchschnitt behandle, ein Sicherheitsabschlag in Höhe von 20% auf die so ermittelten Rückforderungsbeträge gewährt. Insgesamt ergebe sich dann eine Gesamtrückforderung für die gegenständlichen Quartale in Höhe von 753.014,36 €.
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Mit Schreiben vom 16.03.2021 an das Sozialgericht München ließ die Antragstellerin durch ihre Prozessbevollmächtigte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.10.2020 eingelegten Widerspruchs beantragen. Zur Begründung führte sie aus, es liege ein Anordnungsanspruch vor. Denn prognostisch werde die Hauptsache Erfolg haben, da der Honoraraufhebungs -und Rückforderungsbescheid der Antragsgegnerin vom 20.10.2020 rechtswidrig sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletze.
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So sei es schon unzulässig, dass die Antragsgegnerin das Honorar pauschal auf die anzuerkennenden 780 Stunden aufgrund einer Stundensatzberechnung kürze. Die Honorarkürzung müsse sich vielmehr auf den Fehlansatz einzelner Leistungspositionen beziehen, die aus der Sicht der Antragsgegnerin nicht oder nicht vollständig erbracht worden sind. Im Grundsatz müsse stets eine konkrete Berechnung vorgenommen werden (BSG, Urteil vom 19.08.2015, Az B 6 KA 36/14 R). Die Plausibilitätsprüfung allein ersetze nicht das Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung. Hinzu komme, dass die Vorgehensweise auch deshalb unzulässig sei, weil die Plausibilitätsprüfung keine Form der Wirtschaftlichkeitsprüfung sei, für die die Antragsgegnerin auch nicht zuständig sei. Die Berechnungsweise bewege sich auch nicht im Rahmen des zugebilligten Schätzungsermessens. Selbst wenn die pauschale Kürzung zulässig wäre, sei die Rückforderung im konkreten Fall rechtswidrig. Es sei zwar einzuräumen, dass die Antragstellerin die Vergleichswerte der Fachgruppe um bis zu 100% überschreite. Sie behandle damit fast doppelt so viele Patienten wie der Fachgruppendurchschnitt. Dies hänge damit zusammen, dass im angrenzenden Planungsbereich Landkreis H. für Fachärzte für Hautund Geschlechtskrankheiten eine drohende Unterversorgung vom Landesausschuss Ärzte und Krankenkassen am 30.11.2015 festgestellt und der Antragstellerin außerdem aus Sicherstellungsgründen eine Aussetzung der Fallwertminderung zugebilligt worden sei. Diesen Umstand habe die Antragsgegnerin nicht ausreichend gewürdigt.
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Im Übrigen sei die Quartalsarbeitszeit von 780 Stunden nur ein Aufgreifkriterium. Nach § 8 Abs. 4 S. 1 der Abrechnungsrichtlinien sollten bei einer Arbeitszeit von mehr als 780 Stunden je Quartal weitere Prüfungen nach § 12 erfolgen. In § 12 Abs. 3 Nr. 1 b Abrechnungsrichtlinien seien eine überdurchschnittliche Fallzahl und eine fachliche Spezialisierung zu berücksichtigen. Im Übrigen schlage die Abrechnung der hautärztlichen Grundpauschalen (GOP 10210 bis 10212) bei der Antragstellerin allein schon mit 544,67 Stunden im Quartal 1/20 bei der Quartalsprüfzeit zu Buche. Die Quartalsprüfzeit von 780 Stunden werde somit angesichts der hohen Fallzahl der Antragstellerin rasch erreicht. Auch gebe es viele delegationsfähige Leistungen, die auch vom Personal erbracht werden könnten und die in die Quartalprüfzeit mit eingerechnet würden, ohne dass jedoch die Abrechnung implausibel wäre.
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Ferner sei darauf hinzuweisen, dass die Prüfzeiten des EBM seit Jahren in großer Kritik stünden. Deshalb sei es zum 01.04.2020 zu einer Korrektur durch den Bewertungsausschuss gekommen. In der vorliegend durchgeführten Prüfung seien jedoch die alten Prüfzeiten angewandt worden. Die Prüfquote im Quartal 1/19 liege bei lediglich 2% der abgerechneten Fälle und sei daher auch nicht repräsentativ. Dies betreffe auch die Quartale 4/17, 3/18 und 1/16. Dort liege die Prüfquote unter 3% der abgerechneten Fälle.
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Aber auch inhaltlich sei das von der Antragsgegnerin gewonnene Ergebnis nicht nachzuvollziehen.
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Die von der Antragsgegnerin monierten Ungereimtheiten seien auf dem Wechsel des Betriebssystems zum 11.07.2019 zurückzuführen. Es sei nicht möglich gewesen, auf alle elektronischen Dokumente zuzugreifen, weshalb die Antragstellerin die angeforderte elektronische Dokumentation mit der Papierdokumentation ergänzen und vervollständigen habe müssen.
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Auch gebe es einen Anordnungsgrund. Denn die sofortige Vollziehung des Bescheids vom 20.10.2020 stelle für die Antragstellerin eine unbillige Härte dar. Eine entsprechende Bürgschaft bei ihrer Bank habe die Antragstellerin nicht erhalten. Auch sei der Antrag des Steuerberaters der Antragstellerin vom 10.02.2021 auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung von Antragsgegnerin am 25.02.2021 abgelehnt worden. Nachdem die Antragstellerin keine entsprechende Besicherung habe beibringen können, sei eine Stundung bzw. Ratenzahlungsvereinbarung mit der Antragsgegnerin wohl nicht zu erreichen. Bei einer sofortigen Vollziehung des Bescheides müsste die Antragstellerin ihre Praxis schließen, weil sie nicht mehr in der Lage sei, die laufenden Kosten für den Praxisbetrieb zu decken. Die Antragsteller habe monatliche Ausgaben in Höhe von 34.603,18 €. Das zu versteuernde Einkommen im Jahr 2019 belaufe sich auf 445.576 €, das im Jahr 2020 auf 480.000 €. Es sei auch mit einer Steuernachzahlung von ca. 88.000 € zu rechnen. Wegen der Ehescheidung und einer Ausgleichszahlung an den Ehn habe auch ein Darlehen aufgenommen werden müssen. Insgesamt sei eine sofortige Rückzahlung aufgrund der Gesamtrückforderungssumme unmöglich, weil die Antragstellerin auch über keine ausreichenden finanziellen Reserven verfüge, um die Rückforderungssumme begleichen zu können. Die Forderung sei aber insgesamt grundsätzlich nicht gefährdet.
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Ferner würden grundsätzliche öffentliche Interessen der sofortigen Vollziehung entgegenstehen. Denn die Antragstellerin versorge auch Patienten aus dem Planungsbereich H. mit, sodass das Wegfallen der Antragstellerin zu einer langfristigen Versorgungsverschlechterung in beiden Planungsbereichen führen würde. Daher müsse das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides zurückstehen.
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In ihrer Replik machte die Antragsgegnerin geltend, es bestünden keine Erfolgsaussichten in einem Hauptsacheverfahren. Bereits in der Vergangenheit (Quartale 3/01 bis 1/05 und Quartale 1/12 bis 2/14) habe es Plausibilitätsverfahren gegeben, die zu einer Gesamtrückforderung in Höhe von 370.641,59 € (Quartale 3/01 bis 1/05) bzw. zu einer Gesamtrückforderung in Höhe von 24.288,08 € (Quartale 1/12 bis 2/14) geführt hätten. Aufgreifkriterium für die Plausibilitätsprüfung der Quartale 1/12 bis 2/14 seien auch zeitliche Auffälligkeiten gewesen.
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Es stehe fest, dass die Antragstellerin gegen den Grundsatz der peinlich genauen Leistungsabrechnung verstoßen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 24.10.2018, Az B 6 KA 42/17 R, BSG; Urteil vom 21.03.2018, Az B 6 KA 47/16 R; Beschluss vom 18.08.2011, Az B 6 KA 27/11 B) seien Zeitprofile zweifelsfrei dazu geeignet, die Fehlerhaftigkeit einer Abrechnung aufzudecken. Es sei nochmals zu betonen, dass den im Anhang 3 EBM hinterlegten Prüfzeiten ein normativer Charakter zukomme und die Auffälligkeiten im Zeitprofil ein Indizienbeweis für die Unrichtigkeit der Abrechnung darstelle. Die Antragstellerin habe in allen Quartalen die Quartalsarbeitszeit von 780 Stunden überschritten.
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Soweit geltend gemacht werde, die Prüfzeiten des EBM hätten sich geändert, sei darauf hinzuweisen, dass die geänderten Prüfzeiten erst ab dem Abrechnungsquartal 2/2020 zur Anwendung gelangten. In dem Zusammenhang wies die Antragsgegnerin auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Marburg (SG Marburg, Urteil vom 21.08.2020, Az S 12 KA 1/18) hin, wonach keine Umstände ersichtlich seien, dass die hier maßgeblichen Prüfzeiten im streitgegenständlichen Zeitraum bereits unvertretbar oder willkürlich festgesetzt worden wären. Allein aus einer anderen Einschätzung oder Festlegung der Prüfzeiten zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt könne auf eine Fehlerhaftigkeit in der Vergangenheit kein Rückschluss gezogen werden. Abgesehen davon führten geänderte Prüfzeiten auch nicht zu großen Veränderungen bei den Zeitprofilen der Antragstellerin. So liege die Quartalsarbeitszeit im Quartal 1/20 bei 1.209,57 Stunden (= vor Änderung der Prüfzeiten) und im Quartal 3/20 bei 1.111,54 Stunden (= nach Änderung der Prüfzeiten). Als weitere Auffälligkeiten seien zu nennen, dass neben der überdurchschnittlich hohen Fallzahl der Praxis (Quartal 1/19: 136,8% über dem der Prüfgruppe; Quartal 2/19: 154,9% über dem der Prüfgruppe) auch die Fallwerte der Fachgruppe deutlich überschritten würden (Quartal 1/19: 52,54% über dem der Fachgruppe; Quartal 2/19: 40,94% über dem der Fachgruppe). Dies bedeute, dass die Antragstellerin deutlich mehr Fälle und pro Behandlungsfall insgesamt auch mehr Leistungen abrechne.
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Was die Mitversorgung des Planungsbereichs H. betreffe, so sei die Feststellung der drohenden Unterversorgung mit Beschluss des Landesausschusses vom 30.11.2017 wieder aufgehoben worden. Damit liege ab dem Quartal 1/18 keine drohende Unterversorgung mehr vor. Die Fallzahlen der Klägerin hätten daher zurückgehen müssen, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Deshalb könnten die kontinuierlich hohen Fallzahlen nicht mit einer angeblichen Unterversorgung des Nachbarlandkreises erklärt werden.
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Die Antragstellerin habe die Auffälligkeiten in den Zeitprofilen und die statistischen Auffälligkeiten (Indizienbeweis für eine Implausibilität) nicht entkräften können. Denn die Auswertung der Patientendokumentationen habe erhebliche Ungereimtheiten aufgezeigt. Im Einzelnen ging die Antragsgegnerin nochmals auf die einzelnen Gebührenordnungspositionen (GOP´s 02301, 02313, 31101, 31102, 31232, 32688) ein und wiederholte ihre bereits im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachte Auffassung. Danach seien die Leistungen, die die Antragstellerin abgerechnet habe, nachweislich nicht bzw. nicht vollständig erbracht worden. Aufgrund der oftmals identischen bzw. systematischen und in sich unschlüssigen Dokumentationen sei davon auszugehen, dass diese in großem Umfang nachträglich von der Antragstellerin angefertigt wurden, um die Abrechnung zu rechtfertigen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin seien die festgestellten Ungereimtheiten auch nicht auf den Wechsel des Betriebssystems zurückzuführen. Es handle sich um eine reine Schutzbehauptung, die erstmals im Rahmen der Widerspruchsbegründung vorgetragen worden sei. Das IT-Unternehmen habe bestätigt, dass alle verfügbaren und auslesbaren Daten der Altsoftware in das neue System übernommen worden seien. Deshalb erscheine es nicht nachvollziehbar, dass ein Zugriff auf diese Daten angeblich nicht mehr möglich gewesen sei. Außerdem habe die Vertragsärztin auch dafür Sorge zu tragen, dass die alten Daten auch entsprechend gesichert und in das neue System übertragen werden. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin auch fernmündlich (u.a. Telefonate vom 16.11.2020, 04.02.2021) immer wieder unterschiedliche Gründe für die Unstimmigkeiten in den Patientendokumentationen angegeben habe (an Corona erkrankte Arzthelferinnen, eine Arzthelferin in psychiatrischer Behandlung, Operation an der Gallenblase, Palliativbehandlung des Ehnes, Tod des Hundes, Computervirus im Quartal 2/17). Die Begründungen seien aber aus Sicht der Antragsgegnerin nicht geeignet, die Ungereimtheiten zu rechtfertigen. Zudem erkläre ein angeblicher Computervirus im Quartal 2/17 nicht die Ungereimtheiten in den Dokumentationen in den Quartalen ab 3/17 ff.
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In den herangezogenen Referenzquartalen 2/16, 4/17,3/18 und 1/19 seien mindestens 10% der Ansätze überprüft worden. Somit handle es sich um eine repräsentative Anzahl an Leistungen.
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Zur Rückforderungsberechnung führte die Antragsgegnerin aus, die Patientendokumentationen seien wegen der Ungereimtheiten nicht heranzuziehen. Somit bestehe ein weites Schätzungsermessen der Antragsgegnerin. Die Kürzungsmethode entspreche auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 24.10.2018, Az B 6 KA 42/17 R). Dem Umstand, dass die Antragstellerin mehr Patienten als der Fachgruppendurchschnitt behandle, sei durch den hier gewährten Sicherheitsabschlag in Höhe von 20% Rechnung getragen worden. Im Übrigen sei auch eine Doppelberichtigung, wie von der Antragstellerin behauptet, ausgeschlossen.
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Auf eine unbillige Härte komme es im hier einschlägigen Fall des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG nicht an. Im Übrigen habe die Antragstellerin einen Stundungsantrag gestellt, über den die Antragsgegnerin noch nicht entschieden habe. Voraussetzung sei jedoch, dass der Anspruch der Antragsgegnerin durch die Stundung nicht gefährdet werde. Von der angeforderten Zahlung in Höhe von 10.000 € sei bisher lediglich ein Teilbetrag in Höhe von 4.000 € bezahlt worden. Nach dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 20.04.2021 sei eine weitere Zahlung in Höhe von 2.000 € angewiesen worden, sodass dann 6.000 € von den angeforderten 10.000 € bezahlt worden seien. Die von der Antragsgegnerin hierzu angeforderte selbstschuldnerische Bürgschaft habe nicht beigebracht werden können, weshalb die Antragstellerin aufgefordert worden sei, alternative Besicherungsmöglichkeiten zu benennen und anzubieten. Ferner sei die Antragstellerin darüber informiert worden, dass die beantragte Sonderzahlung in Höhe von 46.300 € am 29.01.2021 mit dem Restzahlungslauf 3/20 zur Erhaltung der Praxisexistenz ausbezahlt worden sei. Durch Verrechnung der Rückforderung mit dem Honorar und unter Berücksichtigung der Sonderauszahlung sei der noch zu begleichende Rückforderungsbetrag von 753.014,36 € auf 733.014,36 € reduziert worden. Der Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung sei mit Schreiben vom 25.02.2021 abgelehnt worden.
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Soweit die Antragstellerin geltend mache, die Unbilligkeit der Härte der Vollstreckung sei auch am öffentlichen Interesse an der Rückzahlung zu messen, sei darauf hinzuweisen, dass die unrechtmäßige Ausbezahlung aufgrund des vertragsarztrechtlichen Vergütungssystems unmittelbar zulasten der bayerischen Ärzteschaft gehe. Der Anspruch auf Rückzahlung sei nach aktuellem Stand als gefährdet anzusehen, zumal aufgrund der eingereichten Unterlagen eine monatliche Rate in Höhe von maximal 2.200 € leistbar sei, was zu einer inakzeptablen Rückzahlungslaufzeit von fast 28 Jahren führen würde, die Rückforderung nicht ausreichend gesichert werden könne und von dem offenen Gesamtbetrag in Höhe von derzeit noch 733.014,36 € nicht einmal eine Teilzahlung in Höhe von 10.000 € geleistet werden könne. Deshalb bestehe ein erhebliches Interesse an einer baldigen Rückzahlung.
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Hierzu nahm die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin Stellung. Vorab sei zu betonen, die Antragsgegnerin hätte im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht nach § 20 Abs. 1 SGB X nicht nur be-sondern auch entlastende Umstände ermitteln und berücksichtigen müssen.
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Sie wiederholte ihre Auffassung, dass im vorliegenden Fall der Nachweis der Unrichtigkeit der Abrechnung nicht allein anhand von Zeitprofilen geführt werden könne. Denn dem vom Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 24.10.2018, Az B 6 KA 42/17 R) entschiedenen Verfahren habe ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Anders als dort - geprüft wurden Leistungen einer psychologischen Psychotherapeuten - gebe es für die von der Antragstellerin abgerechneten Gebührenordnungspositionen keine obligaten Mindestzeiten. Die Ermittlung von Quartalsarbeitszeiten weise erhebliche Schwächen auf, zumal in die Berechnung auch Leistungen einfließen würden, die delegationsfähig seien. Auch sei die Prüfzeit für die Grundpauschale deutlich zu hoch bemessen.
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In diesem Zusammenhang bezog sich die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin auf eine von ihr angefertigte Tabelle zum Quartalszeitprofil 1/19 über Leistungen, die nach Ansicht der Prozessbevollmächtigten teilweise delegationsfähige Leistungen seien bzw. für die Überschreitung relevante Leistungen darstellten. Die Prozessbevollmächtigte gelangte zu 1.367,04 Stunden unter Berücksichtigung des EBM vor der Anpassung und zu 1.078,36 Stunden unter Berücksichtigung des EBM nach der Anpassung (Anhang 3 EBM). Auch machte sie darauf aufmerksam, dass die Prüfzeiten für Operationen noch angepasst würden.
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Nochmals betonte sie, allein die hohe Fallzahl stelle keinen Verstoß gegen die peinlich genaue Abrechnung oder andere Abrechnungsvorschriften dar. Dies folge auch daraus, dass die Honorarverteilungsregelungen neben der Fallzahlzuwachsbegrenzung eine Fallwertminderung vorsehen würden. Offensichtlich sei das Phänomen der Überschreitung der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe um sogar mehr als 200% nicht unüblich. Hohe Fallzahlen würden auch im Rahmen der Zuweisung der Obergrenze durch Fallwertminderungen ausreichend berücksichtigt und sanktioniert.
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Zum Hinweis der Antragsgegnerin, der Landesausschuss habe ab dem 30.11.2017 die Feststellung der drohenden Unterversorgung aufgehoben, bemerkte die Prozessbevollmächtigte, es werde verkannt, dass die KVB anschließend dennoch aus Sicherstellungsgründen weiterhin eine Aussetzung von der Fallwertminderung erteilt habe. Somit habe die Antragstellerin (Anm. gemeint ist wohl Antragsgegnerin) selbst anerkannt und bestätigt, dass die hohen Fallzahlen der Antragstellerin durch die (schlechte) Versorgung vor Ort bedingt seien. Hervorzuheben sei ferner, dass die Antragstellerin anders als andere hautärztliche Praxen kaum Privatpatienten behandle und kaum IgeL-Leistungen anbiete. Daher seien diese Praxen nicht mit der Praxis der Antragstellerin vergleichbar. Auch die Fallwerte würden nicht im offensichtlichen Missverhältnis liegen. Soweit die Antragsgegnerin ausführe, die Antragstellerin habe sortiert nach Anfangsbuchstaben der Patienten immer die gleichen Diagnosen angegeben, sei dies in keinster Weise aussagekräftig. Denn es sei davon auszugehen, dass dies schlichtweg Zufälle seien. Es handle sich mitunter auch um sehr häufig auftretende Erkrankungen, sodass die Abrechnung nicht auffällig erscheine. Auch die Verwendung standardisierter OP-Berichtstexte sei bei einfachen Eingriffen nicht zu beanstanden und diene der Straffung der Organisation. Was die Umstellung der Praxissoftware im Mai 2019 betreffe, sei diese nicht reibungslos verlaufen. So habe die IT-Firma lediglich bestätigt, dass nur die verfügbaren und auslesbaren Daten der Altsoftware übernommen wurden. Auch sei die Antragstellerin im Jahr 2017 Opfer eines Computervirus (sogenannter Kryptovirus) geworden. Dies habe dazu geführt, dass die Daten zwar noch vorhanden seien, aber aufgrund der Verschlüsselung nicht mehr lesbar gewesen seien.
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Außerdem sei die Berechnung der Rückforderung nicht korrekt erfolgt. Die Antragsgegnerin habe es unterlassen, die Abrechnung konkret zu prüfen, fehlerhaft abgerechnete Leistungen konkret zu benennen, zahlenmäßig zu beziffern und zu berichtigen. Selbst wenn man der Antragsgegnerin ein Schätzungsermessen zubilligen würde, sei dieses fehlerhaft ausgeübt worden. Der Umstand, dass die Antragstellerin teilweise über Jahre hinweg unbeanstandet doppelt so viele Patienten behandelt habe wie der Fachgruppendurchschnitt und die Antragsgegnerin die Überschreitung auch aufgrund der drohenden Unterversorgung bzw. Sicherstellungsgründen für gerechtfertigt erachtet habe, müsse bei der Schätzung berücksichtigt werden. Bei der Bemessung des Sicherheitsabschlags wäre zugunsten der Antragstellerin zu berücksichtigen, dass lediglich eine Stichprobe von 2-3% der Fälle aus 4 von 16 Quartalen geprüft worden sei. Schließlich sei die Auffassung der Antragsgegnerin, wonach es auf eine unbillige Härte einer sofortigen Vollziehung nicht ankomme, unzutreffend. Denn bei einer Interessenabwägung seien die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers, gegebenenfalls auch eines drittbetroffenen Beteiligten zu prüfen, insbesondere eine unbillige Härte. Zur unbilligen Härte habe die Antragstellerin bereits vorgetragen und nachgewiesen, dass die Rückzahlungsforderung in Höhe von 753.014,36 € aus bestehenden Liquiditätsreserven nicht beglichen werden könne.
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Auf den sonstigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG ist zulässig, erweist sich aber als nicht begründet.
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Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Antrag steht im Zusammenhang mit dem Bescheid der Beklagten vom 20.10.2020, gegen den die Antragstellerin Widerspruch eingelegt hat. Hierüber hat die Antragsgegnerin noch nicht entschieden. In dem genannten Bescheid wurden die Honorarbescheide für die Quartale 2/16 bis 1/20 zurückgenommen, soweit sie den Honoraranspruch für Regel Regionalund Ersatzkassen betrafen. Außerdem wurde das Honorar neu festgesetzt und ein Betrag in Höhe von 753.014,36 € zurückgefordert.
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Der gegen den Bescheid der Antragsgegnerin eingelegte Widerspruch entfaltet gemäß § 86a Abs. 2 Ziff. 4 SGB V i.V.m. § 87b Abs. 2 S. 6 SGB V keine aufschiebende Wirkung. Gerichtlichen Rechtsschutz kann die Antragstellerin gem. § 86b Abs. 1 Ziff. 2 SGG vorläufig nur erlangen, indem das Gericht die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnet. Eine Aussetzung der Vollziehung gem. § 86a Abs. 3 SGG durch die Antragsgegnerin, die allerdings - wenn ein solcher Antrag bei der entsprechenden Behörde nicht gestellt wird - nicht zur Unzulässigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 87b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG führt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Komment zum SGG, Rn 7a zu § 86b), wurde von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25.02.2021 abgelehnt.
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Im Rahmen der summarischen Prüfung der Begründetheit des Antrags sind die öffentlichen und privaten Interessen abzuwägen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nur dann gerechtfertigt, wenn eine umfassende Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange zum Ergebnis kommt, dass das Interesse an der aufschiebenden Wirkung überwiegt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, Rn. 20 a zu § 86 a.). Bei der Abwägung der gegenteiligen Interessen sind vor allem die Erfolgsaussichten in einem Hauptsacheverfahren von Bedeutung. Leitlinie ist, dass bei einem offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakt, wenn der Betroffene in seinen subjektiven Rechten verletzt ist, das Gericht die aufschiebende Wirkung wiederherstellt. Denn am Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, ist von einem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug auszugehen. Zu beachten ist die Wertung des Gesetzgebers. Hat der Gesetzgeber für bestimmte Fallgruppen bestimmt (§ 86a Abs. 2 Nr. 2 - 4 SGG), dass Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung entfalten, ist daraus der grundsätzliche Vorrang des Vollziehungsinteresses herzuleiten. In den übrigen Fällen entsteht durch Widerspruch oder Anfechtungsklage die aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 SGG). Hier kann von dieser Regel/Ausnahmeverhältnis nur abgewichen werden, wenn ein öffentliches Vollzugsinteresse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten vorliegt.
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Bei summarischer Prüfung des Bescheides der Antragsgegnerin vom 20.10.2020 sind zunächst keine formellen Mängel erkennbar. Ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nach § 20 Abs. 1 SGB X liegt nicht vor. Der Antragsgegnerin kann nicht vorgeworfen werden, sie habe im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht nicht nur be-sondern auch entlastende Umstände ermitteln und berücksichtigen müssen. Denn es ist in erster Linie Aufgabe des Vertragsarztes, der festgestellte Auffälligkeiten in Frage stellen will, Gesichtspunkte zu nennen, aus denen sich ergeben kann, dass sein Abrechnungsverhalten korrekt war. Nur dann kann die sich aus der Überschreitung der Zeitgrenzen ergebende Indizwirkung in Bezug auf eine Unkorrektheit der Abrechnung widerlegt werden. Dies gilt insbesondere, wenn wie hier, die Quartalsarbeitszeit in allen Quartalen so deutlich überschritten wird. Je mehr die Quartalsarbeitszeit den Grenzwert überschreitet, umso höhere Anforderungen sind an einen substantiierten Vortrag des Vertragsarztes zu richten (BSG, Urteil vom 24.10.2018, Az B 6 KA 42/17 R).
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Aber auch materielle Mängel sind, vorbehaltlich einer detaillierteren Prüfung in einem eventuellen Hauptsacheverfahren nicht festzustellen.
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Die Antragsgegnerin ist zuständig für die in den Quartalen 2/16 bis 1/20 vorgenommene Plausibilitätsprüfung. Rechtsgrundlagen des Bescheides der Antragsgegnerin vom 20.10.2020 sind §§ 75 Abs. 1, § 106a Abs. 1 und 2 SGB V aF (§ 106d Abs. 1 und 2 SGB V nF) in Verbindung mit der Richtlinie nach § 106a Abs. 6 SGB V aF (§ 106d Abs. 6 nF) und § 50 Abs. 1 SGB X. Danach ist die Antragsgegnerin generell berechtigt, die Abrechnungen der Vertragsärzte auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen, die Honorarbescheide aufzuheben, die Honorare neu festzusetzen und eine sich daraus ergebende Differenz vom Vertragsarzt zurückzufordern. Im Fall der Antragstellerin hat eine solche Prüfung in den Quartalen 2/16 bis 1/20 stattgefunden.
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Der Gesetzgeber hat in § 106a Abs. 2 SGB V aF (§ 106d Abs. 2 nF) geregelt, dass Gegenstand der arztbezogenen Plausibilitätsprüfung insbesondere der Umfang der je Tag abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand des Arztes ist. Bei der Prüfung ist ein Zeitrahmen für das pro Tag höchstens abrechenbare Leistungsvolumen zugrunde zu legen; zusätzlich können Zeitrahmen für die in längeren Zeitperioden höchstens abrechenbaren Leistungsvolumina zugrunde gelegt werden (§ 106a Abs. 2 S. 2, 3 SGB V aF; § 106d Abs. 2 S. 2, 3 SGB V nF). Nach § 7 Abs. 1 der Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung von Prüfungen gemäß § 106a Abs. 6 SGB V aF (§ 106d Abs. 6 SGB V nF), im folgenden Richtlinien genannt, werden Plausibilitätsprüfungen von der Kassenärztlichen Vereinigung als regelhafte (Abs. 2), als ergänzende Plausibilitätsprüfungen (Abs. 3) und als anlassbezogene Prüfungen (Abs. 4) durchgeführt. Nach § 8 Abs. 1 der Richtlinien sind für die Festlegung der Abrechnungsauffälligkeiten nach § 7 Abs. 2 die im Anhang 3 zum Einheitlichen Bewertungsmaßstab in der jeweils gültigen Fassung aufgeführten Prüfzeiten für die ärztlichen Leistungen zugrunde zu legen. In § 8 Abs. 4 der Richtlinien werden bei Vertragsärzten und Psychotherapeuten mit einem vollen Versorgungsauftrag sogenannte Kalkulationszeiten festgelegt. Genannt werden eine arbeitsteilige Zeit bei Tagesprofilen von mehr als 12 Stunden an mindestens drei Tagen im Quartal und bei Quartalsprofilen mehr als 780 Stunden/Quartal. Ergibt die regelhafte Plausibilitätsprüfung Abrechnungsauffälligkeiten, werden ergänzende Plausibilitätsprüfungen nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 durchgeführt.
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Die Antragsgegnerin hat anhand der Prüfzeit festgestellt, dass die Antragstellerin in allen Quartalen die Quartalsarbeitszeit von 780 Stunden als sog. Aufgreifkriterium erheblich überschritten hat. Diese bewegt sich zwischen 1.179,43 Stunden im Quartal 4/16 und 1.396,17 Stunden im Quartal 2/16. Damit besteht in allen Quartalen der Verdacht der Implausibilität. Rechnet man die Quartalsstundenzahl auf die Tagesarbeitszeit um, ergibt sich eine Tagesarbeitszeit von bis nahezu 24 Stunden im Durchschnitt. Insofern besteht eine zeitliche Auffälligkeit, die eine Überprüfung nach sich ziehen muss.
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Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sind Zeitprofile, wie sie in § 8 Abs. 4 der Richtlinien vorgesehen sind, ein geeignetes Beweismittel, dass ein Verstoß gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung vorliegt. Es handelt sich um einen Indizienbeweis. Den Richtlinien kommt, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist, normativer Charakter zu (Bundessozialgericht, Urteil vom 21.03.2018, Az B 6 KA 47/16 R; BSG, Urteil vom 24.10.2018, Az B 6 KA 42/17 R). Richtig ist allerdings, dass es sich bei der Plausibilitätsprüfung um keine eigenständige Prüfung handelt oder gar um eine Art von Wirtschaftlichkeitsprüfung. Die Plausibilitätsprüfung ersetzt auch keine sachlich-rechnerische Berichtigung, sondern kann dieser vorgeschaltet sein. Derartiges behauptet auch die Antragsgegnerin nicht. Auch führt die von ihr durchgeführte Plausibilitätsprüfung im Sinne einer sogenannten Aufgreifprüfung zunächst nur zu der Feststellung, dass Abrechnungsauffälligkeiten bestehen. Es verhält sich auch nicht so, dass lediglich aufgrund einer Plausibilitätsprüfung mit der Feststellung, dass die Quartalsarbeitszeiten erheblich überschritten wurden, das Honorar gekürzt wurde. Denn erst im Anschluss daran erfolgte nach ergänzender Plausibilitätsprüfung eine sachlich-rechnerische Richtigstellung. Damit entspricht das Vorgehen der Antragsgegnerin den Richtlinien, insbesondere §§ 7, 8 und 12 der Richtlinien.
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Soweit die Antragstellerin vortragen lässt, die Quartalsprüfzeiten in § 8 der Richtlinien seien kritisch zu hinterfragen, ist hierzu folgendes zu bemerken: Die Antragstellerin lässt in dem Zusammenhang vortragen, bereits mit den Grundpauschalen sei beispielsweise im Quartal 1/20 eine Stundenzahl von 544 Stunden erreicht und somit bereits ein erheblicher Anteil der im Quartal zu gestatteten 780 Stunden belegt. Dies trifft zu und rührt von der sehr hohen Patientenzahl der Antragstellerin. Bei deutlich weniger Patienten wäre noch wesentlich mehr Raum für die Erbringung zusätzlicher Leistungen. Die in § 8 genannte Quartalsstundenzahl ist aber ein zeitlicher Gradmesser für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung durch erfahrene und zügig arbeitende Ärzte, unabhängig von den einzelnen Leistungen. Insofern besteht keine Veranlassung, an der Richtigkeit der zugestandenen Quartalsarbeitszeit zu zweifeln.
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Was den Hinweis der Antragstellerin betrifft, in der Quartalsstundenzahl seien auch delegationsfähige Leistungen enthalten, mag dies der Fall sein. Dies betrifft jedoch nicht nur die Fachgruppe der Hautärzte, sondern auch andere Fachgruppen. Das Gericht geht davon aus, dass dies bereits bei der Festlegung der Quartalstundenzahl berücksichtigt ist. Hinzu kommt auch, dass auch auf nichtärztliches Personal delegationsfähige Leistungen als ärztliche Leistungen anzusehen sind, auch wenn sie nicht vom Vertragsarzt selbst erbracht werden. Denn den Vertragsarzt trifft eine Aufsichtsund Überwachungspflicht für nichtärztliches Personal, die im Rahmen der Arbeitszeit des Vertragsarztes zu erbringen ist. Es besteht auch deshalb keine Veranlassung, das Tätigwerden von nichtärztlichem Personal mit Sachverhalten gleichzusetzen, die in § 12 aufgeführt sind, wie die Beschäftigung eines genehmigten Assistenten, Job-Sharing und berechtigte Vertreterfälle gemäß Muster 19 der Vordruckvereinbarung. Ebenfalls vermag der Hinweis der Antragstellerin nicht zu überzeugen, die Existenz von Fallzahlzuwachsbegrenzungen würde zeigen, dass die Überschreitung der Fallzahl nicht unüblich sei. Daraus kann zumindest nicht geschlossen werden, Zeitprofile seien ungenügend und nicht angemessen.
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Schließlich ist zwar einzuräumen, dass die Angemessenheit der Prüfzeiten immer wieder angezweifelt wurde und eine Änderung der Prüfzeiten ab dem Abrechnungsquartal 2/20 erfolgte. Im konkreten Fall wurde im Hinblick auf die Geltung der Änderung ab dem Quartal 2/20 noch die ursprüngliche Prüfzeit in Ansatz gebracht. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, die Prüfzeiten vor dem Abrechnungsquartal 2/20 seien unangemessen. Denn es sind keine Umstände ersichtlich, dass die bisherigen Prüfzeiten bereits unvertretbar oder willkürlich festgesetzt worden sind (vgl. SG Marburg, Urteil vom 21.08.2020, Az S 12 KA 1/18). In dem Zusammenhang ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die Anwendung der Prüfzeiten ab dem Quartal 2/20 die Prüfzeit lediglich in geringem Umfang reduzieren und die Antragstellerin selbst bei Anwendung der Prüfzeiten ab dem Quartal 2/20 die Quartalstundenzahl von 780 Stunden erheblich überschreiten würde. So hat die Antragsgegnerin ausgeführt, die Quartalsarbeitszeit im Quartal 1/20 liege bei 1.209,57 Stunden (= vor Änderung der Prüfzeiten) und im Quartal 3/20 bei 1.111,54 Stunden (= nach Änderung der Prüfzeiten). Auch bei Anwendung der neuen Prüfzeit würde sich somit eine erhebliche Abrechnungsauffälligkeit ergeben.
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§ 12 der Richtlinien bezieht sich auf die weiteren Prüfungen, welche zum Ziel haben, mit Hilfe ergänzender Tatsachenfeststellungen und Bewertungen unter Berücksichtigung der Merkmale nach Abs. 3 festzustellen, ob gegen die rechtliche Ordnungsmäßigkeit nach § 6 verstoßen worden ist oder nicht (vgl. § 12 Abs. 2 der Richtlinien). Im Rahmen dieser weiteren Prüfungen sind auch Feststellungen und Umstände zu berücksichtigen, um zu prüfen, ob sich die Abrechnungsauffälligkeiten zugunsten des Arztes erklären lassen. § 12 Abs. 3 der Richtlinien zählt beispielhaft fünf Sachverhalte auf, die bei einem erhöhten Stundenaufkommen berücksichtigt werden können. Es handelt sich, wie sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt, um keine abschließende Regelung. Unter § 12 Abs. 3 Ziff. 1e der Richtlinien ist auch eine überdurchschnittliche Fallzahl als möglicher zu berücksichtigender Sachverhalt genannt. Eine solche überdurchschnittliche Fallzahl liegt bei der Antragstellerin vor. Allerdings hat die Antragsgegnerin im Rahmen des Sicherheitsabschlags (20%) diesen Sachverhalt berücksichtigt. Es stellt sich aber die Frage, ob der gewährte Sicherheitsabschlag ausreicht. Die Antragstellerin hat darauf hingewiesen, sie versorge auch Patienten aus dem Nachbarlandkreis H. mit. Dies ist nachvollziehbar, zumal zunächst der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen eine Unterversorgung für den Nachbarlandkreis festgestellt hat. Allerdings wurde der Beschluss des Landesausschusses ab dem 30.11.2017 aufgehoben, sodass ab diesem Zeitpunkt von keiner Unterversorgung mehr auszugehen war. Gleichwohl ist festzustellen, worauf die Antragsgegnerin hinweist, dass die Fallzahlen kontinuierlich, also auch ab diesem Zeitpunkt überdurchschnittlich waren. Wenn in diesem Zusammenhang weiter vorgetragen wird, die Antragsgegnerin habe der Antragstellerin aus Sicherheitsgründen die Obergrenze mit Bezug zur Fallwertminderung aufgrund der Überschreitung von 150% der durchschnittlichen Fallzahl ihrer Fachgruppe bei festgestellter (drohender) Unterversorgung im angrenzenden Planungsbereich erhöht, bezieht sich diese Entscheidung auf das Regelleistungsvolumen, ohne dass hiermit eine Aussage zur Rechtmäßigkeit der Honoraranforderungen verbunden wäre. Zudem ist dem Umstand der hohen Fallzahl, sollte sie auf die Mitversorgung des Nachbarlandkreises zurückzuführen sein, durch Gewährung eines Sicherheitsabschlags von 20% angemessen Rechnung getragen worden, der sonst bei durchschnittlich 5-10% liegt. Ein Ermessensfehler oder gar ein Ermessensausfall bei der Anwendung der Vorschrift des § 12 Abs. 3 der Richtlinien ist nicht ersichtlich.
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Für das Vorliegen von Auffälligkeiten spricht auch der Umstand, dass nicht nur die Fallzahl extrem hoch ist, sondern auch die Fallwerte in den Quartalen 1/19 und 2/19 deutlich über denen der Fachgruppe liegen (Quartal 1/19: 52,54% über dem der Fachgruppe; Quartal 2/19: 40,94% über die in der Fachgruppe). Damit rechnet die Antragstellerin auch mehr Leistungen bei den Patienten ab als der Durchschnitt der Fachgruppe; dies, obwohl angesichts der hohen Fallzahl eher mit einem unterdurchschnittlichen Fallwert zu rechnen wäre.
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In dem mit Widerspruch angegriffenen Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.10.2020 hat die Antragsgegnerin nach Durchsicht der angeforderten Dokumentationen weitere Auffälligkeiten festgestellt, die sich auf die Gebührenordnungspositionen 02301 (kleinchirurgischer Eingriff II), 02313 (Kompressionstherapie), 31101 (dermatochirurgischer Eingriff der Kategorie A1), 31102 (dermatochirurgischer Eingriff der Kategorie A2), 31232 (Eingriff der HNO-Chirurgie der Kategorie N2) und 32688 (morphologische Differenzierung) beziehen. In den meisten Fällen hat die Antragsgegnerin Dokumentationsmängel bzw. Ungereimtheiten im Zusammenhang mit den Dokumentationen, aber auch die Nichterfüllung des Leistungsinhalts festgestellt.
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Bei summarischer Prüfung sind diese Feststellungen, die die Fehlerhaftigkeit der Abrechnungen aus Sicht der Antragsgegnerin belegen, nachzuvollziehen und zu bestätigen. Danach fällt bei den Gebührenordnungspositionen 02301 und 32688 auf, dass ein Zusammenhang zwischen den Anfangsbuchstaben der Nachnamen der Patienten in der Abfolge und den Diagnosen besteht. Bis zu einem bestimmten Anfangsbuchstaben der Nachnamen wird dieselbe Diagnose genannt. Der Ansatz der Gebührenordnungsposition 02313 ist deshalb fehlerhaft, weil in einem Großteil der Fälle diese neben der Gebührenordnungsposition 02312 abgerechnet wurde, was unzulässig ist, da der Leistungsinhalt der GOP 02312 die Kompressionstherapie bereits beinhaltet.
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Hinsichtlich der Gebührenordnungspositionen 31101 und 31102 ist der Leistungsinhalt deshalb in vielen Fällen nicht erfüllt, weil die Dokumentation nicht die erforderliche Größenangabe enthält.
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Schließlich hat die Antragsgegnerin festgestellt, bei einigen Ansätzen der Gebührenordnungspositionen 31232 sei keine histologische Kontrolle erfolgt.
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Allgemein ist darauf hinzuweisen, dass nach § 57 BMV-Ä bzw. § 10 Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns und Art. 18 Abs. 1 Ziffer 3. Heilberufekammergesetz (HKaG) für alle erbrachten Leistungen eine allgemeine Dokumentationspflicht besteht. Dies bedeutet, der Vertragsarzt hat die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassen Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung in geeigneter Weise zu dokumentieren. Der Dokumentation ärztlicher Leistungen kommt große Bedeutung zu. Sie hat Beweisfunktion, beispielsweise dient sie dem Patienten im Rahmen von Strafverfahren oder im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses, aber auch dem Vertragsarzt im Rahmen der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen zur Nachweisführung. Selbstverständlich dient sie auch dem Arzt als Gedächtnisstütze, aber auch als Informationsquelle für den Fall, dass Mitbehandler oder Nachbehandler die Behandlung des Patienten begleiten oder fortsetzen (SG Düsseldorf, Urteil vom 20.12.2006, Aktenzeichen S. 2 (17) KA 276/03). Folglich dient die Dokumentation auch der Qualitätssicherung. Erfolgt keine Dokumentation oder kann der Nachweis einer Dokumentation nicht geführt werden, gelten die Leistungen als nicht erbracht (BayLSG, Urteil vom 7.7.2004, Az L 3 KA 510/02; SG Marburg, Urteil vom 13.9.2017, S 12 KA 349/16; SG Stuttgart, Urteil vom 14.09.2016, Az S 24 KA 235/14; SG München, Urteil vom 25.07.2018, Az S 38 KA 645/16). Dokumentationen müssen zeitnah in unmittelbaren Zusammenhang mit der vorgenommenen Leistung vorgenommen werden. Nachträglich angefertigte Dokumentationen, vor allem solche, die nach einem langen Zeitraum erfolgen, werden dem Sinn und Zweck der Dokumentationen nicht gerecht, wie sich im Fall der Antragstellerin eindrucksvoll zeigt. Es handelt sich um eine nahezu identische und systematische Dokumentation, die, da offenbar erst im Zusammenhang mit der Plausibilitätsprüfung nachträglich erstellt, wegen der zeitlichen Distanz die erhobenen Diagnosen und stattgefundenen Therapien nur bedingt wiedergeben kann und die jegliche Individualität vermissen lässt. Für das Gericht ist die Einlassung der Antragstellerin, es handle sich lediglich um Zufälligkeiten, nicht nachvollziehbar. Vielmehr spricht viel dafür, dass nachträglich die Dokumentationen erstellt wurden und dabei aus Gründen der Vereinfachung dieselbe Bezeichnung abschnittsweise gewählt wurde.
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Die Antragsgegnerin hat auch mehrere Beispiele zu den einzelnen Abrechnungsziffern genannt, aus denen hervorgeht, dass die Abrechnung fehlerhaft war. Die Überprüfung der in den Quartalen 2/16, 4/17, 3/18 und 1/19 (Referenzquartale) angeforderten Fälle erscheint auch im Rahmen der summarischen Prüfung ausreichend repräsentativ. Denn es wurden in den genannten Quartalen mindestens 10% der Ansätze überprüft.
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Insgesamt ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit den Feststellungen der Antragsgegnerin zu den einzelnen Gebührenordnungspositionen durch die Antragstellerin, die die Auffälligkeiten erklären könnte, nicht erfolgt.
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Die von der Antragstellerin angeführte Begründung, etwaige Ungereimtheiten seien auf einen Wechsel im Betriebssystem im Juli 2019 zurückzuführen, bei dem nicht alle Daten aus der Altsoftware übernommen werden konnten, weshalb es notwendig gewesen sei, die angeforderte elektronische Dokumentation mit der Papierdokumentation zu ergänzen und zu vervollständigen, vermag aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. Hierbei ist einzuräumen, dass der Wechsel des Betriebssystems oftmals nicht gänzlich reibungslos verläuft. Die IT Firma hat bestätigt, dass die verfügbaren und auslesbaren Daten der als Software übernommen wurden, was darauf hindeutet, dass nicht alle Daten übertragen werden konnten. Andererseits ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Daten aus der Altsoftware in die Neusoftware ohne Probleme übernommen werden konnten, so dass sich die Ungereimtheiten nur zu einem geringen Teil erklären ließen. Darauf kommt es aber letztendlich nicht an. Denn jeder Vertragsarzt muss dafür Sorge tragen, dass es nicht zu einem Datenverlust kommt. Insofern ist eine Datensicherung laufend vorzunehmen. Findet eine solche nicht statt, fällt dies in den Verantwortungsbereich des Vertragsarztes. Er riskiert damit, dass ihm bei einer Nachprüfung seiner Abrechnung Dokumentationsfehler vorgeworfen werden. Deshalb ist der Vortrag der Antragstellerin nicht geeignet, die von der Antragsgegnerin aufgezeigten Ungereimtheiten zu widerlegen.
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Entsprechendes gilt für den Vortrag der Antragstellerin, ihr Computersystem sei im Jahr 2017 von einem Kryto-Virus befallen worden. Auch hier hätte eine rechtzeitige Datensicherung einen Datenverlust vermeiden helfen. Hinzu kommt, dass sich dann die Ungereimtheiten nach Behebung ab dem Quartal 3/17 nicht mehr erklären lassen.
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Die Vertragsärztin hat auch schuldhaft gegen ihre Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen. Denn mit ihrer Unterschrift hat sie die sachliche Richtigkeit der Abrechnung bestätigt. Durch die Nichterfüllung des Leistungsinhalts einzelner Ziffern und/oder nicht ordnungsgemäßer Dokumentation ist die der Sammelerklärung innewohnende Garantiefunktion entfallen. Aufgrund des langen Zeitraums und dem Umfang der zu berichtigenden Leistungen hat die Vertragsärztin die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und deshalb zumindest grob fahrlässig gehandelt.
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Ferner kann auch dem Einwand der Antragstellerin, eine pauschale Kürzung sei unzulässig, kann nicht gefolgt werden. Denn der Antragsgegnerin steht ein weites Schätzungsermessen zu. Wenn auch der Sachverhalt in der von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 24.10.2018, Az B 6 KA 42/17 R), in der sich das Gericht mit einer Plausibilitätsprüfung eines psychologischen Psychotherapeuten zu befassen hatte, abweicht, so hat es in dieser Entscheidung auch deutlich gemacht, dass eine Kürzung sogar über das höchstens im Quartal abrechenbare Leistungsvolumen hinausgehend nicht ausgeschlossen ist. Deshalb ist es im Rahmen des summarischen Verfahrens rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin ihr Schätzungsermessen dahingehend ausübt, dass sie sich an dem höchstens im Quartal abrechenbaren Leistungsvolumen orientiert und darüber hinaus einen angemessenen Sicherheitsabschlag in Höhe von 20% im Hinblick auf die hohe Fallzahl gewährt. Das Bundessozialgericht hat in der genannten Entscheidung außerdem ausgeführt, es sei nicht erforderlich, eine Berechnung anhand von einzelnen Leistungspositionen vorzunehmen. Insofern ist die vorgenommene pauschale Kürzung als zulässig anzusehen.
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Das der Antragsgegnerin einzuräumende Schätzungsermessen wurde auch nicht deshalb fehlerhaft ausgeübt, weil die Antragsgegnerin weitere Umstände, wonach nach der Darstellung der Antragstellerin deren Praxis über wesentlich weniger Privatpatienten verfügt als der Durchschnitt der hautärztlichen Praxen und keine IgeLleistungen erbringt, nicht berücksichtigt hat. Abgesehen davon, dass hierzu ein substantiierter Vortrag durch die Antragstellerin nicht erfolgt ist, dieser Sachverhalt nicht den in § 12 Abs. 3 der Richtlinien genannten Sachverhalten gleichgesetzt werden kann, ist für die Berücksichtigung der Zusammensetzung des Patientengutes als individuelle Besonderheit der Praxis kein Raum.
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Auch kann nicht berücksichtigt werden, dass die Antragstellerin über Jahre hinweg doppelt so viele Patienten unbeanstandet abgerechnet hat wie der Durchschnitt der Fachgruppe. Nachdem eine länger andauernde Verwaltungspraxis für die Annahme eines Vertrauensschutzes als nicht ausreichend anzusehen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 28.8.2013, Az B 6 KA 50/12 R), ist auch kein Grund ersichtlich, diesen Umstand im Rahmen des Schätzungsermessens zu würdigen.
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Nach summarischer Prüfung durch das Gericht ist die Antragsgegnerin zu Recht zum Ergebnis der Implausibilität der Honorarabrechnungen gelangt und hat im Anschluss daran eine sachlich-rechnerische Richtigstellung vorgenommen. Dementsprechend sind die Erfolgsaussichten in einem Hauptsacheverfahren eher als gering einzuschätzen.
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Was den Gesichtspunkt einer unbilligen Härte der sofortigen Vollziehung für den Vertragsarzt betrifft, ist dieser aber entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin grundsätzlich zu berücksichtigen. Zwar ist die Vorschrift des § 86a Abs. 3 S. 2 SGB V bei einem Antrag nach § 86b SGB V nicht entsprechend anwendbar (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, Komment. zum SGG, Rn 12c zu § 86b), jedoch ist eine eventuell bestehende unbillige Härte im Rahmen der Interessenabwägung zu würdigen.
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Die Antragstellerin verweist auf ihre Darlehensverbindlichkeiten, die damit monatlich verbundene Belastung, die sonstigen Ausgaben und ihr zu versteuerndes Einkommen in den Jahren 2019 und 2020. Danach werden die Ausgaben monatlich mit 34.603,18 € veranschlagt, die Privatsteuern (Einkommensteuer) in Höhe von 15.000 € mit enthalten. Das zu versteuernde Einkommen der Antragstellerin beläuft sich nach deren Angaben im Jahr 2019 auf 445.576 € und im Jahr 2020 auf 480.000 €. Es ist einzuräumen, dass die monatlichen Ausgaben hoch sind und sich hochgerechnet auf ein Kalenderjahr auf 415.238,60 € belaufen. Dem stehen allerdings auch hohe Einnahmen in Höhe von 445.576 € im Jahr 2019 und von 480.000 € im Jahr 2020 gegenüber. Bei letzteren Einnahmen soll es sich das zu versteuernde Einkommen handeln. Nachdem bereits bei den angegebenen Ausgaben die steuerliche Belastung mit monatlich 15.000 € (Einkommensteuer) angegeben wurde, verbietet es sich, von den angegebenen Einkünften steuerliche Abzüge vorzunehmen. Die Beträge brutto entsprechen damit netto. Bei Gegenüberstellung ergibt sich für das Jahr 2019 ein Überschuss von 26.557 € und im Jahr 2020 sogar von 65.000 €. Es ist daher nachvollziehbar, dass eine völlige Rückzahlung des von der Antragsgegnerin geforderten Betrages in Höhe von ursprünglich 753.014,36 €, nunmehr reduziert unter Berücksichtigung einer Sonderzahlung auf 733.014,36 € oder Rückzahlung eines Großteils des geforderten Betrages aufgrund der Einnahmen/Ausgabensituation bei der Antragstellerin nicht möglich ist. Letztendlich hätte dies für die Antragstellerin große existenzielle Auswirkungen. Dies ist auch der Antragsgegnerin bewusst, wie sich darauf ergibt, dass diese in Verhandlungen mit der Antragstellerin über eine Stundungs-/Ratenzahlungsvereinbarung steht.
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Andererseits muss auch Berücksichtigung finden, dass zu Unrecht ausgezahlte Honorare zulasten der bayerischen Ärzteschaft gehen. Bei einer ernsthaften Gefährdung der Rückzahlungsforderung ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im Rahmen der Interessenabwägung von hohem Gewicht. Eine solche ernsthafte Gefährdung der Rückzahlungsforderung ist aber hier zu besorgen, zumal sich - die Angaben der Antragstellerin als richtig unterstellt - bei einer Ratenzahlung in Höhe von monatlich 2.200 € eine sich über mehrere Jahrzehnte erstreckende Rückzahlungslaufzeit ergeben würde und aktuell noch keine tragfähige Besicherung seitens der Antragstellerin angeboten wurde. Nach einer Überprüfung der Ausgabenlast und Korrektur derselben müsste es aber möglich sein, den Rückzahlungszeitraum deutlich zu verkürzen, sodass dann von einer Gefährdung der Rückzahlung nicht mehr auszugehen wäre. Dass die Antragsgegnerin bislang über den Antrag auf Stundung noch nicht entschieden hat, ist im Hinblick auf die noch nicht geklärte Besicherung nachvollziehbar. Auch hat der Gesetzgeber in § 87b Abs. 2 S. 6 SGB V bestimmt, dass Widerspruch und Klage gegen Honorarbescheide und Änderungen derselben keine aufschiebende Wirkung entfalten. Daraus ist der Vorgang des Vollziehungsinteresses abzuleiten.
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Soweit durch die Antragstellerin geltend gemacht wird, es bestehe auch ein öffentliches Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, weil durch die Antragstellerin der Nachbarlandkreis H. mit versorgt werde, mag dies solange zu treffen, als durch den Landesausschuss eine Unterversorgung festgestellt wurde. Ab dem 30.11.2017 wurde aber der Beschluss aufgehoben, sodass von einer Unterversorgung nicht mehr auszugehen ist und eine Mitversorgung der Patienten aus dem Nachbarlandkreis H. durch die Antragstellerin nicht mehr notwendig erscheint.
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Insgesamt überwiegen daher die Interessen an der sofortigen Vollziehung des Bescheides der Antragsgegnerin vom 20.10.2020. Aus den genannten Gründen war der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.