Inhalt

VGH München, Urteil v. 03.05.2021 – 15 N 21.433
Titel:

Erfolgloser Normenkontrollantrag gegen Freiflächengestaltungssatzung

Normenketten:
BayAGVwGO Art. 5 S. 2
BayBO Art. 81 Abs. 1
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2
BayGO Art. 23
Leitsätze:
1. Eine Teilnichtigkeit von Art. 5 Satz 2 BayAGVwGO wegen Verstoßes gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes hätte nur zu Folge, dass Normenkontrollanträge gegen die darin genannten bauordnungsrechtlichen Satzungen überhaupt nicht statthaft wären. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Frage, welche Pflanzen auf den unbebauten Teilen bebauter Grundstücke zulässig oder unzulässig sind, handelt es sich nicht um eine bodenrechtliche Frage, sondern um eine Frage der Gestaltung dieser Flächen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrolle gegen Freiflächengestaltungssatzung, Statthaftigkeit, Freiflächengestaltungssatzung, Kompetenzordnung, Teilnichtigkeit, Bodenrecht, Gestaltung, Abgrabungen, Aufschüttungen, Pflanzenarten
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 29.07.2021 – 4 BN 29.21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 10973

Tenor

I.Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.
II.Die Antragstellerin trägt die Kosten des Normenkontrollverfahrens.
III.Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags sofort vollstreckbar.
IV.Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

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Die Antragstellerin wendet sich gegen die am 10. Februar 2020 bekannt gemachte Satzung über die Gestaltung der unbebauten Flächen der bebauten Grundstücke, Einfriedungen und die Begrünung baulicher Anlagen in der Stadt R* … (Freiflächengestaltungssatzung - FGS) der Antragsgegnerin.
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Diese Satzung gilt nach ihrem § 1 Abs. 1 Satz 1 im gesamten Stadtgebiet der Antragsgegnerin für die unbebauten einschließlich der unterbauten Freiflächen der bebauten Grundstücke und für die äußere Gestaltung baulicher Anlagen. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 FGS ist sie für die nach Inkrafttreten der Satzung eingereichten Bauanträge sowie Vorhaben, die im Genehmigungsfreistellungsverfahren errichtet werden oder verfahrensfrei sind, anwendbar. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 FGS ist Voraussetzung, dass die Vorhaben unbebaute Flächen oder unterbaute Freiflächen der bebauten Grundstücke betreffen. Nach § 2 FGS ist ihr Ziel die Sicherstellung und Förderung einer angemessenen Begrünung und Gestaltung der Grundstücke und der baulichen Anlagen. Es werden in §§ 3 bis 7 FGS dazu Vorschriften hinsichtlich der Gestaltung von Flächen, der Zulässigkeit von Aufschüttungen und Abgrabungen, der Dach- und Fassadenbegrünung, der Einfriedungen und der Vorgärten getroffen. In § 8 FGS ist geregelt, dass abweichende Festsetzungen in Bebauungsplänen der Satzung vorgehen, andere örtliche Bauvorschriften i.S.d. Art. 81 Abs. 1 BayBO und die Baumschutzverordnung daneben uneingeschränkt gelten, soweit die Satzung nicht speziellere Regelungen enthält und die Belange des Naturschutzes, des Brandschutzes und des Denkmalschutzes unberührt bleiben. Nach § 9 FGS sind Abweichungen nach Art. 63 BayBO möglich. In § 10 FGS sind Verstöße gegen verschiedene Bestimmungen der Satzung mit einer Geldbuße von bis zu fünfhunderttausend Euro bedroht. In der Anlage zu § 3 Abs. 1 Satz 2 FGS ist eine Pflanzliste enthalten, nach der in der Negativliste „Bäume“ säulenförmige, hängende und pyramidale Formen ausgeschlossen werden. Als Rechtsgrundlage ist angegeben, die Satzung sei aufgrund Art. 23 der Gemeindeordnung und Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und 5 der Bayerischen Bauordnung erlassen.
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Die Antragstellerin macht geltend, als Eigentümerin verschiedener Grundstücke, die sie nicht gesondert benennt, durch die Satzung unmittelbar in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die Satzung sei nicht nur auf Art. 81 BayBO gestützt, sondern auch auf Art. 23 GO und enthalte auch bodenrechtliche Regelungen. Der Normenkontrollantrag sei daher trotz Art. 5 Satz 2 AGVwGO zulässig. Die Satzung sei unwirksam. Insbesondere verlasse die sehr detaillierte Pflanzliste den Ermächtigungsrahmen des Art. 81 BayBO und sei hinsichtlich des Ausschlusses bestimmter Formen von Bäumen nicht hinreichend bestimmt. Die Gemeinde dürfe keine bauplanerischen Regelungen im bauordnungsrechtlichen Gewand vornehmen. Die Pflanzliste erinnere aber an eine Artenauswahl zu einem Bebauungsplan. Regelungen zur Bepflanzung der unbebauten Flächen bebauter Grundstücke ließen kein Verbot der Anpflanzung einzelner Pflanzenarten zu. Zudem dürften nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 BayBO nur Regelungen hinsichtlich der unbebauten Flächen bebauter Grundstücke getroffen werden, die streitgegenständliche Satzung betreffe aber das ganze Stadtgebiet und damit eine schier endlose Zahl unbebauter Grundstücke. Teilweise seien die Vorschriften zu unbestimmt und teilweise nicht von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 81 BayBO gedeckt. Ein totales Verbot von Einfriedungen sei nicht zulässig und der Begriff „offene Zäune“ zu unbestimmt. Ob die Regelungen in faktischen Gewerbe- und Industriegebieten gelten sollten, sei fraglich. Bei den Regelungen bezüglich der Vorgärten handele es sich um eine gestalterische Regelung zu den überbaubaren Grundstücksflächen, die der Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers entzogen sei. Die maximale Höhe des Bußgelds sei völlig unangemessen. Darüber hinaus sei Art. 5 Abs. 2 AGVwGO teilweise mit Bundesrecht nicht vereinbar und untergesetzliches Landesrecht unterliege der Normenkontrolle. Eine abschließende Klärung sei dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten.
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Sie beantragt,
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die Satzung über die Gestaltung der unbebauten Flächen der bebauten Grundstücke, Einfriedungen und die Begrünung baulicher Anlagen in der Stadt R* … (Freiflächengestaltungssatzung - FGS) vom 3.2.2020, bekanntgemacht im Amtsblatt vom 10.2.2020, für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
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den Antrag abzuweisen.
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Der Antrag sei unzulässig, da nach Art. 5 AGVwGO über Satzungen nach Art. 81 Abs. 1 der Bayerischen Bauordnung der Verwaltungsgerichtshof nur entscheide, wenn der Antrag von einer Behörde gestellt werde und die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Alleine aus dem Zitat des Art. 23 GO ergebe sich kein Antragsrecht, denn es handele sich um eine Satzung nach Art. 81 Abs. 1 BayBO.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 14. und 21. April 2021 gemäß § 101 Abs. 2 VwGO darauf verzichtet haben.
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Der Normenkontrollantrag ist unzulässig, da er nach Art. 5 Satz 2 AGVwGO nicht statthaft ist. Danach entscheidet der Verwaltungsgerichtshof über Normenkontrollanträge gegen Satzungen nach Art. 81 Abs. 1 BayBO nur, wenn (1.) der Antrag von einer Behörde gestellt wird und (2.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist hier nicht der Fall.
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1. Ob Art. 5 Satz 2 AGVwGO gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verstößt, da damit Regelungen zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren getroffen werden, die nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegen und die der Bundesgesetzgeber mit der Verwaltungsgerichtsordnung abschließend geregelt hat, kann dahinstehen (vgl. zum Streitstand Oestreicher/Decker in Praxis der Kommunalverwaltung, Band A 17 Bay, Stand Januar 2016, Art. 5 AGVwGO Nr. 4.2), denn Ergebnis einer solchen Teilnichtigkeit wäre nur, dass Normenkontrollanträge gegen die genannten bauordnungsrechtlichen Satzungen überhaupt nicht statthaft wären (vgl. Panzer in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 47 VwGO Rn. 22). Art. 5 Satz 2 AGVwGO kann durch Auslegung entnommen werden, dass der Landesgesetzgeber eine Normenkontrolle nach § 47 VwGO gegen diese Vorschriften nicht uneingeschränkt anordnen wollte. Sollte die Einschränkung nicht zulässig sein, müsste daher davon ausgegangen werden, dass es an einer ordnungsgemäßen Bestimmung nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO hinsichtlich der Satzungen nach Art. 81 Abs. 1 BayBO fehlt und diese damit insgesamt nicht der Normenkontrolle unterliegen.
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2. Der Normenkontrollantrag ist auch nicht deshalb statthaft, weil die Freiflächengestaltungssatzung zugleich auf Art. 23 GO gestützt ist. Danach können die Gemeinden zur Regelung ihrer Angelegenheiten Satzungen erlassen. Zwar erstreckt sich damit die Satzungsgewalt der Gemeinden auf alle Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises (vgl. Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand Februar 2020, Art. 23 Rn. 2). Bei grundrechtsrelevanten Eingriffen ist aber wegen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts ein förmliches Gesetz als Rechtsgrundlage erforderlich (vgl. Glaser a.a.O. Rn. 7). Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin die Satzung nicht alleine auf Art. 23 GO, sondern zugleich auf Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und 5 BayBO gestützt und damit zum Ausdruck gebracht, dass Art. 23 GO nur als allgemeine Ermächtigungsgrundlage und Art. 81 BayBO als speziellere Regelung eingreifen soll. Es muss daher nicht darüber entschieden werden, ob ein Normenkontrollantrag entgegen Art. 5 Satz 2 AGVwGO zulässig wäre, wenn es sich zwar materiell um eine Satzung nach Art. 81 Abs. 1 BayBO handelt, als Rechtsgrundlage aber nur Art. 23 GO angegeben ist.
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3. Soweit die Antragstellerin vorträgt, die einzelnen Regelungen der Satzung würden teilweise über die Ermächtigungsgrundlage des Art. 81 BayBO hinausgehen und deshalb der Normenkontrolle unterliegen, kann dem nicht gefolgt werden. Dabei muss nicht entschieden werden, ob gegen die gesamte Satzung nach Art. 81 Abs. 1 BayBO oder einzelner Regelungen darin, ein Normenkontrollantrag zulässig ist, wenn einzelne Bestimmungen der Satzung nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt sind, denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
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Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FGS gilt die Satzung entsprechend der Ermächtigung in Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 BayBO nur für die unbebauten Flächen der bebauten Grundstücke. Die Auffassung der Klägerin, die Satzung gelte demgegenüber für eine große Zahl unbebauter Grundstücke, trifft ersichtlich nicht zu. Soweit die Satzung in Form einer Pflanzliste bestimmte Formen von Bäumen ausschließt, wird damit keine von Art. 81 Abs. 1 BayBO nicht mehr gedeckte, unzulässige bodenrechtliche Regelung getroffen, denn das Bodenrecht regelt nur, welcher Nutzung der Boden zugeführt werden darf oder muss (z.B. Anpflanzen von Bäumen usw. in § 9 Abs. 1 Nr. 25 Buchst. a BauGB oder Flächen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB). Bei der Frage, welche Pflanzen auf den unbebauten Teilen bebauter Grundstücke zulässig oder unzulässig sind, handelt es sich demgegenüber um eine Frage der Gestaltung dieser Flächen. Auch das Verbot von Abgrabungen und Aufschüttungen auf den unbebauten Flächen der bebauten Grundstücke ist von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 BayBO gedeckt, denn dabei handelt es sich ebenfalls um Gestaltungsfragen (vgl. Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand Februar 2021, Art. 81 Rn. 187). Dass damit das Bayerische Abgrabungsgesetz abgeschafft wäre, das nach seinem Art. 1 für Abgrabungen zur Gewinnung von nicht dem Bergrecht unterliegenden Bodenschätzen und sonstigen Abgrabungen Anwendung findet, ist nicht ersichtlich, denn solche Abgrabungen erfolgen regelmäßig nicht auf bebauten Grundstücken. Ein Verbot von Einfriedungen, das durch die Rechtsänderung im Jahr 2007 nicht mehr von der Satzungsermächtigung in Art. 81 BayBO (früher Art. 91 BayBO) umfasst ist, wird mit der Freiflächengestaltungssatzung nicht ausgesprochen. Nach § 6 FSG sind Einfriedungen nicht grundsätzlich verboten, sondern sie sind nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FGS in Form von Gehölzpflanzungen (z.B. Hecken) oder als offene Zäune herzustellen. Auch die Regelung in § 7 Satz 2 FGS, dass Vorgärten nicht als Arbeits- oder Lagerflächen genutzt werden dürfen, entspricht der Ermächtigung in Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 BayBO. Alle übrigen aufgeworfenen Fragen, insbesondere hinsichtlich der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit einzelner Regelungen, können allenfalls in einem Verfahren vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof (ein Verfahren ist anhängig unter Vf. 27-VII-21) auf ihre Verfassungsmäßigkeit oder in konkreten Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Rechte und Pflichten aus der Freiflächengestaltungssatzung auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden. Der Antragstellerin sind damit auch keine Rechte abgeschnitten, denn auf ihre Grundstücke bezogene konkrete Anordnungen und Maßnahmen kann sie jederzeit anfechten.
16
Es kann daher offenbleiben, ob die Antragstellerin überhaupt antragsbefugt ist, da sie keine konkreten Grundstücke benannt hat, an denen ihr Eigentum zusteht und die in den Geltungsbereich der Satzung fallen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).