Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 23.04.2021 – Au 8 K 20.525
Titel:

Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Identitätsfeststellung

Normenketten:
OWiG § 46 Abs. 1
StPO § 163b Abs. 1 S. 1
BayVersG Art. 13 Abs. 4, Art. 21 Abs. 1 Nr. 7
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
Leitsatz:
Der erforderliche Anfangsverdacht iSv § 163b Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO ist gegeben, wenn gewisse Anhaltspunkte vorliegen, die eine Täterschaft oder Teilnahme des Betroffenen an einer – auch versuchten – Straftat als möglich erscheinen lassen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fortsetzungsfeststellungsklage, Nicht angezeigte Versammlung, Polizeiliche Identitätsfeststellung, Feststellung, Rechtswidrigkeit, Identitätsfeststellung, Versammlung, Teilnehmerin, Spontanversammlung, Veranstalter, Banner, Straftat
Fundstelle:
BeckRS 2021, 10753

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer ihr gegenüber erfolgten polizeilichen Identitätsfeststellung.
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Am 8. Oktober 2019 nahm die Klägerin mit elf anderen Personen an einer Versammlung vor einem Restaurant in einem * Ferienort teil, in dem ein Stammtisch der AfD stattfand. Die Versammlungsteilnehmer trugen zwei ca. 1,5 x 3 m große Banner mit der Aufschrift „Unser * bleibt bunt“ bzw. „Keine Stimme für Rassismus“ vor ihren Körpern. Der Zugang zum Restaurant wurde durch die Versammlungsteilnehmer nicht behindert. Gegen 19:05 Uhr trafen zwei Polizeibeamte ein, nachdem über die Einsatzzentrale mitgeteilt worden war, dass durch die Demonstration der Zugang zum Lokal nicht mehr möglich sei. Vor Ort erkundigten sich die Beamten zunächst nach dem Verantwortlichen der Versammlung. Nachdem den Beamten kein Verantwortlicher mitgeteilt worden war, erhoben diese die Personalien aller Versammlungsteilnehmer, die aus unterschiedlichen Wohnorten, überwiegend aus Baden-Württemberg, stammten. Einzelne Personen, die sich entfernen wollten, wurden per mündlicher Anweisung festgehalten. Nach der Aufnahme der Personalien verließen alle Personen die Örtlichkeit. Gegen die Klägerin erging am 21. November 2019 ein Bußgeldbescheid.
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Am 18. März 2020 ließ die Klägerin Klage erheben.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, die handelnden Polizeibeamten hätten den Versammlungsteilnehmern auf deren Frage nach einer rechtlichen Grundlage für die Maßnahme sinngemäß mitgeteilt: „Wir schreiben jetzt alle auf, weil wir im Grenzgebiet sind, da dürfen wir das und wir dürfen auch nach dem neuen Polizeiaufgabengesetz immer ohne Begründung alle Personalien kontrollieren.“. Erst nach Abschluss der Maßnahme hätten die Beamten telefoniert und verkündet, dass nun gegen alle Personen ein Verfahren eingeleitet werde. Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO vor dem Verwaltungsgericht Augsburg zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg sei gemäß § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet, da die Polizeibeamten im Wesentlichen gefahrabwehrrechtlich tätig geworden seien.
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Auf die Klagebegründung wird im Einzelnen verwiesen.
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Die Klägerin lässt beantragen,
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Es wird festgestellt, dass die von den Beamten des Beklagten durchgeführte Personalienfeststellung der Klägerin am 8. Oktober 2019 rechtswidrig war.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Polizeibeamten seien mangels Information des zuständigen Landratsamtes von einer unangemeldeten Versammlung ausgegangen. Aufgrund der vorgefertigten Banner und der teils weiten Anreise seien sie weiter nicht von einer Spontanversammlung ausgegangen. Infolgedessen und aufgrund der fehlenden Anmeldung der Versammlung seien die Personalien aller Teilnehmer aufgenommen worden. Die Teilnehmer seien darüber aufgeklärt worden, dass gegen sie möglicherweise ein Bußgeldverfahren eingeleitet werde und deshalb ihre Personalien erhoben und dem zuständigen Landratsamt mitgeteilt würden. Nach Aufnahme der Personalien habe sich die Versammlung selbstständig aufgelöst. Im weiteren Fortgang habe sich herausgestellt, dass die Versammlung nicht beim zuständigen Landratsamt angezeigt worden war. Gegen alle Teilnehmer der Versammlung sei ein Bußgeldverfahren eingeleitet und ein Bußgeldbescheid erlassen worden. Ermächtigungsgrundlage für die Personalienfeststellung sei § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG gewesen. Jeder Versammlungsteilnehmer sei im Verdacht gestanden, eine Ordnungswidrigkeit i.S.d. Art. 21 Abs. 1 Nr. 7 BayVersG begangen zu haben. Zu deren Verfolgung sei es für die Polizeibeamten unerlässlich gewesen, die Personalien aller Teilnehmer festzustellen.
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Die beiden vor Ort handelnden Polizeibeamten, PHK K. und POK H., nahmen zu dem Vorfall Stellung. Laut den Stellungnahmen von POK H. vom 30. März 2020 und vom 20. April 2020 sei davon auszugehen gewesen, dass es sich bei der Demonstration um eine nicht angemeldete Versammlung gehandelt habe. Die Durchführung einer Identitätsfeststellung sei als verhältnismäßig und geringstes Einsatzmittel anzusehen gewesen. Nach Erläuterung der verschiedenen Möglichkeiten einer Identitätsfeststellung, also auch nach dem PAG, sei die Maßnahme durchgeführt worden. Aufgrund der bislang erlangten Informationen sei eine Identitätsfeststellung als ausreichend erachtet worden. PHK K. führte in seinen Stellungnahmen vom 26. März 2020 und vom 15. April 2020 aus, dass der Verdacht bestanden habe, es könne eventuell eine Straftat (Hausfriedensbruchs Lokal), eine Ordnungswidrigkeit (Teilnahme an einer nicht angemeldeten Versammlung) bzw. eine nicht genehmigte Versammlung vorliegen. Die Situation habe sich so dargestellt, dass es sich nicht um eine Spontanversammlung gehandelt habe. Daher sei als gegenüber der Auflösung milderes Mittel die Erhebung der Personalien durchgeführt worden. Den Teilnehmern sei wiederholt der aufgezeigte Grund für die Maßnahme erläutert worden. Sie seien sinngemäß darauf hingewiesen worden, dass sie möglicherweise mit einem Bußgeldverfahren rechnen müssten. Für dieses Verfahren würden ihre Personalien erhoben und dem zuständigen Landratsamt mitgeteilt.
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Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2020 trug der Klägerbevollmächtigte vor, dass es sich entgegen der Aussage des Beklagten ganz offensichtlich mindestens um doppelfunktionale Maßnahmen gehandelt habe. Die Polizeibeamten hätten in dem irrigen Glauben gehandelt, dass eine „nicht genehmigte“ Versammlung aufzulösen sei. Bei der Auflösung einer Versammlung handele es sich um eine gefahrenabwehrrechtliche Maßnahme nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz. Auch eine sog. Mindermaßnahme sei logischerweise im Gefahrenabwehrrecht anzusiedeln.
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Mit Beschluss vom 5. November 2020 wurde der beschrittene Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt.
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Auf telefonische Nachfrage des Gerichts teilte das zuständige Landratsamt mit, dass der gegen die Klägerin erlassene Bußgeldbescheid inzwischen aufgehoben worden ist.
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In der Sache wurde am 23. April 2021 mündlich vor Gericht verhandelt. Auf die in der mündlichen Verhandlung erfolgten Zeugenaussagen der Polizeibeamten wird im Einzelnen verwiesen, ebenso wegen der weiteren Einzelheiten auf das hierüber gefertigte Protokoll, den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte.

Entscheidungsgründe

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Die als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die polizeiliche Identitätsfeststellung rechtswidrig war (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
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1. Die Klage ist zulässig.
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a) Sie ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog statthaft, weil es sich bei der von der Klägerin beanstandeten Maßnahme der Polizei um einen Verwaltungsakt handelt (Art. 35 BayVwVfG). Da sich der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt hat, ist § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog anzuwenden.
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b) Die Klägerin hat ein berechtigtes Feststellungsinteresse. Für eine wie hier auf die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit bereits vollzogener und damit erledigter (s. auch Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG) polizeilicher Maßnahmen gerichtete Klage ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung erforderlich. Die Klägerin kann jedenfalls ein Rehabilitationsinteresse geltend machen. Mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG besteht ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen (BVerwG, U.v. 16.5.2013 - 8 C 14/12 - BVerwGE 146, 303 = juris Rn. 24 f.). Dies ist vorliegend der Fall. Durch die Feststellung der Identität der Klägerin auf öffentlichem Straßengrund wird der Eindruck erweckt, als habe sich die Klägerin in einer Weise rechtswidrig verhalten, dass das sofortige Einschreiten der Polizei erforderlich wurde. Dieser Makel kann durch eine Feststellung der Rechtswidrigkeit beseitigt werden.
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2. Die Klage ist nicht begründet. Die von der Polizei getroffene Maßnahme in Gestalt einer Identitätsfeststellung war rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
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a) Zunächst ist festzuhalten, dass sich die gegenüber der Klägerin erfolgte Identitätsfeststellung weder auf Art. 13 Polizeiaufgabengesetz (PAG) noch auf Art. 15 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) stützen lässt.
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aa) Die Anwendbarkeit des Art. 13 PAG scheitert bereits daran, dass mit Art. 15 Abs. 4 BayVersG eine speziellere Norm vorliegt. Versammlungsspezifische Maßnahmen der Gefahrenabwehr richten sich nach den hierfür speziell erlassenen Versammlungsgesetzen (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 10.1.2020 - 10 B 19.2363 - juris Rn. 22). Die dort geregelten, im Vergleich zu dem allgemeinen Polizei- und Sicherheitsrecht besonderen Voraussetzungen für beschränkende Verfügungen (vgl. Art. 15 Abs. 4 bis Abs. 6 BayVersG) sind Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Dementsprechend gehen die Versammlungsgesetze als Spezialgesetze dem allgemeinen Polizei- und Sicherheitsrecht vor, mit der Folge, dass auf letztere gestützte Maßnahmen gegen eine Person ausscheiden, solange sich diese in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann. Im Zeitpunkt der polizeilichen Identitätsfeststellung war die Klägerin Teilnehmerin einer Versammlung i.S.d. Art. 8 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 BayVersG. Art. 13 PAG scheidet daher als Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung aus (sog. „Polizeirechtsfestigkeit“ des Versammlungsrechts).
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bb) Die Identitätsfeststellung konnte im vorliegenden Fall auch nicht auf Art. 15 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 BayVersG gestützt werden. Gemäß Art. 15 Abs. 1 Alt. 1 BayVersG kann eine Versammlung beschränkt oder verboten werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Gemäß Art. 15 Abs. 4 Alt. 1. BayVersG kann die zuständige Behörde nach Versammlungsbeginn eine Versammlung beschränken oder auflösen, wenn die Voraussetzungen für eine Beschränkung oder ein Verbot nach Abs. 1 oder 2 vorliegen. Zuständige Behörde ist nach Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVersG die Kreisverwaltungsbehörde. Ab Beginn der Versammlung und in unaufschiebbaren Fällen kann nach Satz 2 der Norm auch die Polizei Maßnahmen treffen.
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Unabhängig von der Frage, ob - wie hier - eine Identitätsfeststellung überhaupt eine „Beschränkung“ i.S.d. Art. 15 Abs. 1 und Abs. 4 BayVersG darstellen kann, fehlt es im vorliegenden Fall jedenfalls an einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Sowohl nach den in der Behördenakte befindlichen Sachverhaltsdarstellungen und Stellungnahmen der beiden handelnden Polizeibeamten als auch nach der Aussage des in der mündlichen Verhandlung als Zeugen vernommenen POK H. haben sich die Versammlungsteilnehmer ruhig und friedlich verhalten, die Versammlung sei friedlich abgelaufen (vgl. Protokoll S. 8; Behördenakte Bl. 23, 27). Insbesondere sei auch der Zugang zu dem Lokal, vor dem die Versammlung stattfand, möglich gewesen (vgl. Protokoll S. 8; Behördenakte Bl. 27). Anhaltspunkte für eine bei Durchführung der Versammlung bestehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sind damit nicht ersichtlich.
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b) Die polizeiliche Identitätsfeststellung findet jedoch in § 163b Abs. 1 Satz 1 HS. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG eine hinreichende Rechtsgrundlage. Das angerufene Verwaltungsgericht entscheidet den Rechtsstreit nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Die dadurch angeordnete umfassende Prüfung erstreckt sich somit auch auf rechtliche Gesichtspunkte, für die an sich ein anderer Rechtsweg gegeben wäre.
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Wenn jemand einer Straftat verdächtig ist, können die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gemäß § 163b Abs. 1 Satz 1 HS. 1 StPO die zur Feststellung seiner Identität erforderlichen Maßnahmen treffen. Die Vorschrift gilt für Bußgeldverfahren sinngemäß (§ 46 Abs. 1 OWiG). Der erforderliche Anfangsverdacht ist gegeben, wenn gewisse Anhaltspunkte vorliegen, die eine Täterschaft oder Teilnahme des Betroffenen an einer - auch versuchten - Straftat als möglich erscheinen lassen (von Häfen in BeckOK StPO, 39. Ed. (Stand: 1.1.2021), § 163b Rn. 5). Stehen Eingriffe in die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG inmitten, haben die staatlichen Organe die grundrechtsbeschränkenden Normen der StPO im Lichte der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit im freiheitlich demokratischen Staat auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (BVerfG, B.v. 2.11.2016 - 1 BvR 289/15 - juris Rn. 14). Das bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Verdacht auf einer hinreichenden objektiven Tatsachengrundlage beruhen sowie individuell bezogen auf den konkreten Versammlungsteilnehmer bestehen muss.
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Im konkreten Fall war der Anfangsverdacht sowohl in Bezug auf das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit als auch im Hinblick auf eine Täterschaft der Klägerin gegeben.
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aa) Die beiden vor Ort handelnden Polizeibeamten sind zutreffend vom Vorliegen des Anfangsverdachts einer Ordnungswidrigkeit nach Art. 21 Abs. 1 Nr. 7 BayVersG ausgegangen. Danach kann mit Geldbuße bis zu dreitausend Euro belegt werden, wer als Veranstalter oder als Leiter eine Versammlung unter freiem Himmel ohne Anzeige nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 3 BayVersG durchführt, ohne dass die Voraussetzungen nach Art. 13 Abs. 4 BayVersG vorliegen. Dass die im konkreten Fall handelnden Beamten die Versammlung vor Ort nicht als Spontanversammlung i.S.d. Art. 13 Abs. 4 BayVersG eingestuft haben, ist nicht zu beanstanden. Wie sich aus der schriftlichen Stellungnahme des POK H. vom 30. März 2020 ergibt, war der zuständigen Polizeistation gegen 18:52 Uhr über das Einsatzleitsystem der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums mitgeteilt worden, dass vor der Pizzeria „B.“ eine Demonstration gegen die AfD stattfinden würde. Die AfD halte in der Pizzeria in diesem Moment einen Stammtisch ab. Die Versammlungsteilnehmer würden so nah an der Pizzeria stehen, dass der Zutritt dorthin nicht mehr möglich sei. Aufgrund dieser Mitteilung sei die damalige Streifenbesetzung, bestehend aus POK H. und PHK K., zum Ort des Geschehens gefahren. Mehrere Personen hätten zwei Transparente gehalten, die bei Annäherung der Polizeistreife eingerollt worden seien. Auf Nachfrage, wer Verantwortlicher der Versammlung sei, sei von den Teilnehmern erklärt worden, einen solchen gebe es nicht, es handele sich um eine Spontanversammlung. Soweit der als Zeuge vernommene POK H. in der mündlichen Verhandlung vom 23. April 2021 angegeben hat, bei Eintreffen vor Ort keine Banner gesehen zu haben, führt die Kammer dies darauf zurück, dass die Versammlung bereits über eineinhalb Jahre zurückliegt. Auch PHK K. hat sowohl in der von ihm gefertigten Ordnungswidrigkeitenanzeige vom 10. November 2019 als auch in seiner Stellungnahme vom 26. März 2020 ausgeführt, dass die Versammlungsteilnehmer zwei Banner vor dem Körper gehalten hätten, die bei Annäherung durch die Polizeistreife sofort eingerollt worden seien. Auch hinsichtlich der Mitteilung durch die Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums, dass in der Pizzeria „B.“ ein Stammtisch der AfD abgehalten würde, gegen den eine Demonstration stattfinde, stimmen die schriftlichen Stellungnahmen der Polizeibeamten überein. Nach diesen und den Aussagen der in der mündlichen Verhandlung als Zeugen vernommenen Polizeibeamten ist daher sowohl davon auszugehen, dass den Beamten aufgrund der Mitteilung der Einsatzzentrale der Anlass der Versammlung vor Ort bekannt war, als auch davon, dass die Beamten die Transparente der Versammlungsteilnehmer - wenn auch eingerollt - bei ihrem Eintreffen zur Kenntnis genommen haben. Damit waren den beiden Polizeibeamten objektive Tatsachen bekannt, aufgrund derer sie vom Nicht-Vorliegen einer Spontanversammlung i.S.d. Art. 13 Abs. 4 BayVersG ausgehen durften. Eine solche liegt vor, wenn sich die Versammlung aus einem unmittelbaren Anlass ungeplant und ohne Veranstalter entwickelt. So stellte sich die streitgegenständliche Versammlung den Polizeibeamten vor Ort aber nicht dar. Denn zum einen lag mit dem - den Polizeibeamten bekannten - AfD-Stammtisch kein unmittelbarer Anlass, sondern vielmehr eine geplante Veranstaltung vor. Zum anderen sprechen die beiden verwendeten ca. 1,5 m x 3 m großen Banner gegen eine Spontanversammlung. Selbst wenn die Banner nicht eigens für diese Versammlung angefertigt worden sind, spricht die allgemeine Lebenserfahrung - insbesondere bei Transparenten dieser Größe - dafür, dass deren Mitnahme nur geplant im Zusammenhang mit im vornherein organisierten Versammlungen erfolgt. Dass die Polizeibeamten ihre Einschätzung hinsichtlich der Versammlung im Nachgang zusätzlich damit begründeten, dass die Versammlungsteilnehmer aus verschiedenen Bundesländern angereist waren, ändert hieran nichts. Nachdem die Polizeibeamten somit nicht von einer Spontanversammlung i.S.d. Art. 13 Abs. 4 BayVersG ausgehen mussten, ist der Anfangsverdacht vom Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß Art. 21 Abs. 1 Nr. 7 BayVersG begründet.
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bb) Der Begehung dieser Ordnungswidrigkeit war die Klägerin verdächtig. Sowohl aus den schriftlichen Stellungnahmen der Polizeibeamten als auch aus deren Zeugenaussagen in der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass sich trotz polizeilicher Nachfrage kein Veranstalter bzw. Leiter der Versammlung zu erkennen gegeben hat (s. Behördenakte Bl. 19 und 27; Protokoll S. 3 und 7). Nachdem nach zutreffender Auffassung der Beamten keine Spontanversammlung i.S.d. Art. 13 Abs. 4 BayVersG vorgelegen hat, musste es aus polizeilicher Sicht - entgegen der Angaben der Versammlungsteilnehmer - einen Veranstalter der Versammlung geben. Beruhend auf dieser Tatsache bestand daher gegenüber jedem der elf Versammlungsteilnehmer der Verdacht, als Veranstalter oder Leiter der Versammlung eine Ordnungswidrigkeit gemäß Art. 21 Abs. 1 Nr. 7 BayVersG begangen zu haben. Anhaltspunkte dafür, dass gerade die Klägerin nicht die Veranstalterin bzw. Leiterin der Versammlung gewesen sein könnte, waren für die Beamten nicht ersichtlich. Ein Anfangsverdacht lag somit auch individuell auf die Klägerin bezogen vor. Nach § 163b Abs. 1 Satz 1 HS. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG waren die Polizeibeamten daher befugt, die zur Feststellung ihrer Identität erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dass die handschriftliche Aufnahme der Personalien der Klägerin (vgl. Behördenakte Bl. 20) nicht erforderlich oder sonst unverhältnismäßig gewesen ist, ist auch unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit der Klägerin nicht ersichtlich.
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cc) Die Klägerin ist auch ordnungsgemäß belehrt worden. Gemäß § 163b Abs. 1 Satz 1 HS. 2 i.V.m. § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG ist dem Verdächtigen zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Wie den schriftlichen Stellungnahmen des PHK K. vom 26. März 2020 und vom 15. April 2020 (s. Behördenakte Bl. 19 und 55) sowie seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung (s. Protokoll S. 5) zu entnehmen ist, wurden die Versammlungsteilnehmer darüber aufgeklärt, dass gegen sie möglicherweise ein Bußgeldverfahren eingeleitet werde, wofür die Personalien erhoben und dem zuständigen Landratsamt mitgeteilt würden. Auch POK H. bestätigte in der mündlichen Verhandlung, es sei auf das mögliche Bestehen einer Ordnungswidrigkeit und die Weiterleitung der Personalien an die Versammlungsbehörde hingewiesen worden. Das Gericht sieht keinen Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln. Dass PHK K. in der mündlichen Verhandlung angab, aufgrund mehrfacher Nachfragen der Teilnehmer nach dem Grund der Personalienfeststellung und der insgesamt unübersichtlichen Situation nicht ausschließen zu können, die Personalien der Klägerin bereits festgestellt und sie im weiteren Verlauf nochmals belehrt zu haben, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn insoweit war die anfängliche Aufklärung aller Teilnehmer über den Grund der Identitätsfeststellung ausreichend. Ob die Polizeibeamten gegenüber der Klägerin auch eine Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung benannt haben, kann dahinstehen. Da § 163b Abs. 1 Satz 1 HS. 2 StPO lediglich auf § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO verweist, ist ein Hinweis auf die in Betracht kommenden Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitsvorschriften nicht erforderlich.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.