Inhalt

OLG München, Endurteil v. 25.01.2021 – 21 U 145/20
Titel:

Schadensersatzanspruch gegenüber der Audi AG wegen des Erwerbs eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Audi-Fahrzeugs (hier: Audi A4)

Normenketten:
BGB § 31, § 826
VO (EG) 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Zur VW-Abgasskandal-Thematik vgl. grundlegend BGH BeckRS 2020, 10555; vgl. auch OLG Celle BeckRS 2020, 35127; OLG Jena BeckRS 2020, 30910; OLG München BeckRS 2020, 34041; BeckRS 2020, 32848; BeckRS 2020, 34151; BeckRS 2020, 34153; BeckRS 2020, 36057; BeckRS 2020, 38370; OLG Bamberg BeckRS 2020, 29603; BeckRS 2020, 33045; BeckRS 2020, 33157; BeckRS 2020, 35123; sowie die Aufzählung ähnlich gelagerter VW-Diesel-Fälle bei OLG München BeckRS 2020, 25691 (dort Ls. 1); OLG München BeckRS 2020, 27215 (dort Ls. 1); OLG Köln BeckRS 2019, 42328 (dort Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2020, 14352 (dort Ls. 1), OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7002 (dort Ls. 1), OLG Jena BeckRS 2020, 8618 (dort Ls. 1), OLG Oldenburg BeckRS 2020, 6234 (dort Ls. 1) und KG BeckRS 2019, 29883 (dort Ls. 5); mit gegenteiligem Ergebnis noch: OLG München BeckRS 2019, 33738; BeckRS 2019, 33753; OLG Braunschweig BeckRS 2019, 2737. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs steht gegen die Herstellerin (hier: Audi AG), auch wenn diese den Motor nicht hergestellt hat (hier: Motorherstellerin VW AG), ein Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB nicht allein aufgrund einer Zurechnung fremden Fehlverhaltens, sondern aufgrund eigenen deliktischen Handelns zu aufgrund des von ihr zu verantwortenden Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einer manipulativen, auf Täuschung ausgerichteten unzulässigen Abschalteinrichtung. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Audi AG ist vorzuwerfen, dass die Abgabe einer eigenen Erklärung gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt als EG-Typgenehmigungsbehörde die Verpflichtung einschloss, den Motor eigenständig auf Funktionsmäßigkeit und Gesetzesmäßigkeit zu überprüfen, weil mit dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung zumindest konkludent erklärt wird, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorschriften einhält, insbesondere über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt, und der Hersteller im EG-Typengenehmigungsverfahren umfassend verantwortlich ist. (Rn. 45 und 49) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zu typischen Detailfragen aus VW-Dieselfällen hier: Gesamtlaufleistung 300.000 km; keine Verzugszinsen; kein Annahmeverzug. (Rn. 69, 74 – 76, 70 und 71) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
VW-Dieselabgasskandal, EA 189, Audi, Diesel-Fahrzeug, sittenwidrige Schädigung, Abschalteinrichtung, Schadensersatz, Kraftfahrt-Bundesamt, Typengenehmigungsverfahren, Inverkehrbringen des Fahrzeugs
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 20.12.2019 – 51 O 2152/18
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 1051

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 20.12.2019, Az. 51 O 2152/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21.024,47 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16.01.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs A. A 4 mit der Fahrgestellnummer …18 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen
II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten und des Klägers zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 60% und die Beklagte 40%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs geltend.
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Mit Kaufvertrag vom 25.08.2009 erwarb der Kläger von der R. GmbH & Co. KG in M. einen fabrikneuen A. A 4 zu einem Kaufpreis von 40.460,73 € brutto, vgl. Auftragsbestätigung, Anlage K 1. Bei Übergabe des Fahrzeugs hatte dieses einen Kilometerstand von 0 km, am 25.01.2021 (mündliche Verhandlung vor dem Senat) einen solchen von 144.112 km.
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Zum Zeitpunkt des Kaufs befand sich in dem Fahrzeug, das von der Beklagten hergestellt ist, ein von der Volkswagen AG (VW-AG) entwickelter und produzierter Dieselmotor des Typs EA 189 (EU5). Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Grundlage der Erteilung der Typgenehmigung waren die Abgasmessungen auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte wurden vorliegend nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
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Die Verwendung der von der Beklagten als „Umschaltlogik“ bezeichneten Steuerungssoftware wurde dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) weder von der VW-AG noch von der Beklagten im Rahmen der Tests bzw. Antragstellung zur Erreichung der EG-Typgenehmigung offengelegt. Erst am 22.09.2015 veröffentlichte die VW-AG eine Ad-hoc-Mitteilung, mit der Auffälligkeiten bei Fahrzeugen mit dem Motor vom Typ EA 189 eingeräumt wurden. Dem Kraftfahrt-Bundesamt war es mit den damals zur Verfügung stehenden Test nicht möglich, die Umschaltlogik zu erkennen.
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Nach Bekanntwerden der Softwareproblematik verpflichtete das KBA die Beklagte zur Entfernung der als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierten „Umschaltlogik“ und dazu, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Daraufhin wurde ein Software-Update entwickelt, welches auf das Fahrzeug der Klagepartei am 16.11.2016 aufgespielt worden ist.
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Die Klage vom 21.11.2018, bei Gericht eingegangen am 17.12.2018, wurde der Beklagten am 15.01.2019 zugestellt. Mit der Klage forderte die Klagepartei die Verurteilung zur Rückzahlung des vollen Kaufpreises ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten.
7
Der Kläger stützt seine Ansprüche auf verschiedene Anspruchsgrundlagen und vertritt die Ansicht, dass er von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden sei. Der Schaden des Klägers liege in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit, einem merkantilen Minderwert und darin, dass er das Fahrzeug nicht ohne Risiko eines Entzugs der Zulassung in Gebrauch habe nehmen können. Insgesamt sei der abgeschlossene Vertrag für den Kläger wirtschaftlich nachteilig und das Fahrzeug mangelhaft. Daran ändere auch das inzwischen aufgespielte Software-Update nichts. Der Kläger habe davon ausgehen können, dass das von ihm angeschaffte Fahrzeug den gesetzlichen emissionsrechtlichen Bestimmungen entsprach, was tatsächlich aber nicht zutrifft. Die Beklagte habe die Konformitätsbescheinigung bewusst falsch ausgestellt. Über eine wirksame EU-Typgenehmigung verfüge das Fahrzeug nicht. Das Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit einem Motor mit einer bewusst manipulierten Motorsteuerung unter Verschweigen der Manipulationssoftware sei als sittenwidrige Schädigungshandlung zu qualifizieren. Die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens ergebe sich aus dem Umstand, dass die Beklagte als großer Fahrzeughersteller Deutschlands die Manipulation in einer Vielzahl von Fällen vorgenommen habe, aus einem Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden. Die sittenwidrige Schadenszufügung sei der Beklagten als Herstellerin des Kfz auch zuzurechnen. Ihr obliege die sekundäre Darlegungslast dahingehend, dass sie keinerlei Verantwortung für das Aufspielen der Manipulationssoftware trifft. Da die Beklagte dem nicht nachgekommen sei, gelte der Vortrag der Klagepartei als zugestanden. Die Beklagte hafte nach § 31 BGB für ihre verfassungsmäßigen Vertreter, in deren Person der objektive und subjektive Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht worden sei. Die Beklagte habe vorsätzlich gehandelt, weil sie bewusst in Kauf genommen habe, dass ihre Kunden ein Fahrzeug erhielten, das nicht ihren Vorstellungen entsprach.
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Die Beklagte hingegen hält Schadensersatzansprüche der Klagepartei nicht für gegeben und verweist darauf, dass sie den Motor nicht entwickelt habe. Die Beklagte habe den Kläger nicht über Eigenschaften des im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors getäuscht und den Kläger auch nicht in sonstiger Weise vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Eine Schädigung des Klägers sei nicht erkennbar, denn der Kläger habe ein voll funktionsfähiges, sicheres und fahrbereites Fahrzeug erworben, das auch stets über eine wirksame EG-Typgenehmigung verfügt habe. Der Kläger könne das Fahrzeug uneingeschränkt nutzen. Die in der Motorsteuerungssoftware vorhandene Fahrzykluserkennung sei keine unzulässige Abschalteinrichtung, weil sie nicht auf das Emissionskontrollsystem einwirke. Im Übrigen beseitige das Software-Update die vom Kläger gerügten Eigenschaften der Motorsteuerungssoftware umfassend und ohne für das Fahrzeug nachteilige Auswirkungen. Der Kläger habe nicht substantiiert vorgetragen, dass Personen, deren Kenntnisse der Beklagten zuzurechnen wären, mit Vorsatz hinsichtlich eines angeblichen Schadens des Klägers gehandelt hätten. Gleiches gelte für die Umstände, die angeblich die Sittenwidrigkeit begründen sollen. Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass einzelne Mitglieder des Vorstands der Beklagten im aktienrechtlichen Sinne von der Programmierung oder von der Verwendung der streitgegenständlichen Software in Fahrzeugen mit einer EG-Typgenehmigung Kenntnis hatten bzw. die Entwicklung oder Verwendung der Software in Auftrage gegeben haben, an ihrer Entwicklung beteiligt waren oder von der Entwicklung der Software wussten bzw. deren Einsatz billigten. Die Beklagte treffe keine sekundäre Darlegungslast. Selbst wenn man einen Schaden des Klägers bejahen wollte, würde eine Haftung der Beklagten an der fehlenden Kausalität zwischen Täuschung und Schaden scheitern. Eine Fehlvorstellung des Klägers über die Schadstoffemissionen sei für dessen Kaufentscheidung nicht maßgeblich gewesen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
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Das Landgericht hat mit Urteil vom 20.12.2019 der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Vom zurück zu gewährenden Kaufpreis wurde eine Nutzungsentschädigung abgezogen, so dass insoweit der Urteilsausspruch hinter dem Klageantrag zurückblieb. Zur Begründung der Haftung der Beklagten führte das Landgericht aus, dass sich der klägerische Anspruch schon aus § 826 BGB, aber auch aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 27 EG-FGV ergebe. Die Handlung, durch die die Beklagte die Klagepartei geschädigt habe, liege in dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung. Die Unterscheidung der Software zwischen einem Prüfstand und dem realen Fahrbetrieb sei eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die schädigende Handlung sei der Beklagten zuzurechnen. Die jeweils verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten hätten zunächst die unzulässige Software aufgespielt und weiter vorsätzlich eine falsche Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug ausgestellt, dass tatsächlich die gesetzlichen Voraussetzungen der Typenzulassung nicht erfüllt habe. Die Zurechnung des Verhaltens der Mitarbeiter als Repräsentanten erfolge über § 831 BGB und 31 BGB. Es bedürfe keiner konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich gehandelt habe. Dies festzustellen sei der Klagepartei, die keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten hat, dezidiert nicht möglich. Sie habe aber substantiiert vorgetragen, so dass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen, was beides nicht erfolgt sei. Der Schaden sei der Klagepartei vorsätzlich zugefügt worden und das Verhalten der Beklagten verstoße auch gegen die guten Sitten. Durch die Bindung an einen nicht erwartungsgerechten Vertrag sei ein Schaden entstanden. Alle Erwerber seien interessiert daran, ein Fahrzeug zu erwerben, dessen Produktion und Inverkehrgabe keinen rechtlichen Bedenken unterlag.
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Gegen dieses Urteil richten sich die von beiden Parteien eingelegten Berufungen.
12
Ursprünglich verfolgte der Kläger sein erstinstanzliches Ziel der vollen Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises zuzüglich deliktischer Zinsen für die Jahre 2009 bis 2018 weiter, mit Schriftsatz vom 12.11.2020 begrenzte der Kläger jedoch sein Berufungsziel auf die Höhe der vom Landgericht in Abzug gebrachten Nutzungsentschädigung. Es sei von einer höheren Gesamtlaufleistung als der vom Landgericht angenommenen 300.000 km auszugehen. Das Landgericht verkenne, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Grundes und der Höhe der vom Kläger gezogenen Nutzungen treffe. Da diese aber keinerlei Angaben zu der Gesamtlaufleistung getätigt habe, müsse der Vortrag der Klagepartei zugrunde gelegt werden. Der Kläger rügt ferner die Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil das Landgericht keinen Hinweis gegeben habe, dass es die Schätzung der Beklagten blind ohne konkreten Sachvortrag übernehmen werde. Die Annahme einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km beruhe auf einer durch nichts fundierten Schätzung der Beklagten und sodann des Gerichts. Die Voraussetzungen für eine Schätzung des Gerichts hätten nicht vorgelegen. Außerdem hätte die individuelle Gesamtlaufleistung durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens ermittelt werden müssen. Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung, Schriftsatz vom 26.02.2020, Bl. 247 ff. d.A., Bezug genommen.
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Im Übrigen verteidigt der Kläger die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts, vgl. Schriftsatz vom 12.11.2020, Bl. 352 ff. d.A.
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Der Kläger beantragte im Berufungsverfahren zuletzt:
Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt, Az. 51 O 2152/18, verkündet am 20.12.2019 und zustellt am 27.12.2019, wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 2.569,51 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.11.2018 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragte,
das am 20.12.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az. 51 O 2152/18 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollständig abzuweisen.
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Beide Parteien beantragten weiter,
die jeweilige Berufung der anderen Partei zurückzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Landgericht der Klage rechtsfehlerhaft stattgegeben und zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch bejaht habe. In der Berufungsbegründung vom 25.03.2020, Bl. 264 ff. d.A., wiederholt und vertieft die Beklagten im Wesentlichen ihren bereits erstinstanzlich erfolgten Vortrag und hebt insbesondere nochmals hervor, dass sie nur Herstellerin des Fahrzeugs ist, den im Fahrzeug verbauten Motor EA 189 aber nicht entwickelt habe.
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In den Schriftsätzen vom 08.07.2020, Bl. 318 ff. d.A., und vom 24.11.2020, Bl. 365 ff. d.A., vertieft die Beklagte ihren Vortrag weiter und macht Ausführungen zur Entwicklung und Produktion ihrer Fahrzeuge. Sie legt außerdem dar, weshalb aus ihrer Sicht die inzwischen ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Haftung der VW-AG auf die vorliegende Fallgestaltung nicht übertragen werden könne.
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Die Beklagte habe als Herstellerin des Fahrzeugs in den Jahren 2005/2006 durch ihr Produkt-Strategie-Komitee, welches sich aus Mitgliedern des Vorstands sowie Mitgliedern aus den Fachbereichen zusammensetzte, beschlossen, dass der von VW entwickelte Motor in bestimmten Fahrzeugen der Beklagten serienmäßig eingebaut wird. Der erste Einsatz sei im Jahr 2007 erfolgt. Im Nachgang zu der grundsätzlichen Entscheidung zur Verwendung des Motors EA 189 habe die Beklagte jeweils mit der Entwicklung weiterer Fahrzeugtypen erneut die Entscheidung zum Einsatz des Motors EA 189 getroffen. Die Beklagte habe den Motor samt Software als externes Produkt von der VW-AG zur Verwendung in ihren Fahrzeugen erworben. Die Hardware der Motorsteuerungsgeräte habe die Beklagte von den Zulieferern Bosch und Continental erhalten. Ohne Einflussmöglichkeit von Mitarbeitern der Beklagten sei die auf das jeweilige Fahrzeug abgestimmte Software ab 2008 auf den automatisierten Fertigungslinien der Beklagten vom Konzernserver der VW-AG heruntergeladen worden. Die Software sei dabei zur Vermeidung von Einflussnahme außerhalb der Entwicklungsverantwortung verriegelt und verschlossen gewesen.
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Im Auftrag der Beklagten habe die Konzernmutter das Emissions-Typgenehmigungsverfahren organisiert. Von Mitarbeitern der VW-AG seien die entsprechenden Fahrzeuge der Beklagten dem Technischen Dienst vorgestellt worden, die Beklagte habe lediglich die Rechnung und die Protokolle mit den Testergebnissen bekommen.
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Die Beklagte habe keinen Anlass gesehen, die von der VW-AG entwickelten Motoren im Rahmen oder in Vorbereitung des Typgenehmigungsverfahrens eigenständig zu überprüfen. Eine entsprechende Verpflichtung habe nicht bestanden. Im Rahmen der Qualitätskontrolle der laufenden Produktion sei das grundsätzliche Funktionieren des Emissionskontrollsystems überprüft und überwacht worden, dass die Serienfahrzeuge mit den EG-Typgenehmigungsunterlagen übereinstimmen. Im Rahmen dieses „Conformity of Production (CoP)“ Tests habe die „Umschaltlogik“ nicht erkannt werden können.
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Die Beklagte habe von der Programmierung keine Kenntnis gehabt, weil sie nicht an der Entwicklung des Motors beteiligt gewesen sei. Es handele sich um ein bloßes Zulieferprodukt wie auch andere von der Beklagten bezogene Bauteile von Zulieferern. Sie habe der VW-AG vertrauen können und keine Verpflichtung gehabt, eigene Tests durchzuführen.
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Die Haftung der Beklagten könne weder auf angebliche Sorgfaltspflichtverletzungen, vermeintliches Organisationsverschulden noch auf eine konzernweite Wissenszusammenrechnung gestützt werden. Insoweit verweist die Beklagte auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten von Prof. Dr. G. vom 21.09.2020. Sie habe im EG-Typengenehmigungsverfahren keine Angabepflichten verletzt; insbesondere sei in dem Antrag auf Erteilung der EG-Typengenehmigung keine Erklärung dahingehend zu sehen, dass das Fahrzeug sämtlichen gesetzlichen Anforderungen entspricht; im Rahmen des EG-Typengenehmigungsverfahrens sei vielmehr nur relevant gewesen, dass die erforderlichen Grenzwerte in den vorgeschriebenen Prüfstandstestverfahren eingehalten würden. Die Anträge auf Typengenehmigung enthielten gerade nicht die Aussage, dass das Fahrzeug über keine Abschalteinrichtungen verfügt.
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Die Beklagte verteidigt hilfsweise die Entscheidung des Landgerichts dahingehend, dass die vom Kläger gezogenen Nutzungen im Rahmen des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigen sind. Die Berechnung hätte jedoch nicht linear, sondern stufenweise degressiv erfolgen müssen, vgl. Schriftsatz vom 12.10.2020, Bl. 342. Auch hätte man für das streitgegenständliche Fahrzeug nur eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km annehmen dürfen. Insoweit sei auch die Berufung des Klägers unbegründet.
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Die Beklagte hält ferner wegen der Frage der Kausalität die Einvernahme des Klägers als Partei für erforderlich.
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Sie ist weiter der Ansicht, dass der Annahmeverzug vom Landgericht fehlerhaft festgestellt worden und im Hinblick auf die von der Klagepartei zu viel verlangten deliktischen Zinsen ein fiktiver Streitwert zur Ermittlung der Kostenquote hätte gebildet werden müssen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
28
Der Senat hat über den Rechtsstreit am 25.01.2020 mündlich verhandelt. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
II.
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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet, die Berufung der Beklagten hat nur insoweit Erfolg als sich die vom Kaufpreis in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung aufgrund der unstreitig erfolgten weiteren Nutzung des Fahrzeugs erhöht hat und die vom Landgericht erfolgte Feststellung des Annahmeverzugs aufzuheben war.
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Im Ergebnis hat das Landgericht aber zur Recht angenommen, dass die Beklagte der Klagepartei wegen des Inverkehrbringens des von ihr hergestellten Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zum Schadensersatz verpflichtet ist. Die Haftung beruht jedoch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, weil die Normen der EG-FGV nicht das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht von einzelnen Käufern schützt, vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20, sondern auf § 826 BGB.
A. Berufung der Beklagten:
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Der Senat berücksichtigt bei seiner Entscheidung auch den ergänzenden Sachvortrag der Beklagten in den Schriftsätzen vom 08.07.2020 und 24.11.2020, den die Klagepartei mit Nichtwissen bestritten hat und für verspätet hält, vgl. Schriftsätze vom 05.10.2020, Bl. 334 ff. und 04.01.2021, Bl. 413 ff. d.A. Auch erstinstanzlich hat die Beklagte sich wiederholt dazu geäußert, dass und warum sie ihrer Ansicht nach nicht für den Einsatz der manipulierten Software in von ihr hergestellten Fahrzeugen verantwortlich ist. Mit den genannten Schriftsätzen wurde dieser Vortrag lediglich vertieft. Zur Überzeugung des Senats ist aber auch auf der Basis des ergänzenden Vortrags der Beklagten zu den Arbeitsabläufen und der arbeitsteiligen Aufgabenverteilung zwischen der Beklagten und der VW-AG eine Haftung der Beklagten zu bejahen.
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1. In weiten Teilen kann bezüglich der Haftung der Beklagten nach § 826 BGB auf die grundsätzliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf die Konzernmutter, die VW-AG, Bezug genommen werden, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19. Die dort getroffenen Aussagen zur Frage der Täuschung, der Sittenwidrigkeit, des Vorliegens eines Schadens, der Kausalität, der Verpflichtung zu einer sekundären Darlegungslast und Teilen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen können auch auf vorliegende Fallgestaltung übertragen werden. Gründe, die Sach- und Rechtslage vorliegend anders zu beurteilen, sind nicht ersichtlich. Anders als die Beklagte meint, ist die Frage der sekundären Darlegungslast hier nicht abweichend zu beurteilen im Hinblick auf die von ihr geltend gemachte fehlende Schutzbedürftigkeit der Klagepartei wegen des Bestehens eines anderen Schuldners, nämlich der VW-AG. Die Reichweite der sekundären Darlegungslast unter dem Aspekt des fairen Verfahrens ist bezogen auf das konkrete Prozessrechtsverhältnis zu beurteilen; Dritte spielen dabei keine Rolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.02.2019, Az.: 1 BvR 2556/17, Rdnr. 12 f.).
33
Zentraler und höchstrichterlich noch nicht geklärter Streitpunkt des Verfahrens ist die Frage, ob für den unstreitigen Einsatz der „Umschaltlogik“ im Fahrzeug der Klagepartei auch die Beklagte deliktisch haftet oder nur die in diesem Verfahren nicht beteiligte VW-AG. Der Senat sieht eine Haftung der hiesigen Beklagten nach §§ 826, 31 BGB gegenüber der Klagepartei nicht allein aufgrund einer Zurechnung fremden Fehlverhaltens, sondern im Kern aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dies beruht auf dem von der Beklagten zu verantwortenden Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer manipulativen, auf Täuschung ausgerichteten unzulässigen Abschalteinrichtung.
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a) Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einem Motor, der über eine nicht offen gelegte Abschalteinrichtung bzw. Umschaltlogik verfügt, stellt eine konkludente Täuschung der Klagepartei durch die Beklagte dar, weil die Käufer der bemakelten Fahrzeuge, gleichgültig, ob sie das Fahrzeug neu oder gebraucht erwarben, arglos davon ausgingen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Käufer durften darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind. Tatsächlich enthielt der Motor - wie dargelegt - zum Zeitpunkt des Kaufs eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007, weil der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb gezielt durch den Einsatz einer entsprechenden Motorsteuerungssoftware reduziert worden ist. Die Technik war nicht nur zweifelsfrei unzulässig, sie diente vielmehr der gezielten Täuschung über die Einhaltung der zulässigen Abgaswerte. Dies hatte zur Folge, dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand und ein weiterer Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr möglicherweise nicht (mehr) möglich war, vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19.
35
b) Durch diese Täuschung entstand der Klagepartei als Käuferin eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs ein Schaden, der in dem Abschluss des Kaufvertrags als ungewollte Verbindlichkeit zu sehen ist. Dieser Schaden ist auch nicht durch das später durchgeführte Softwareupdate entfallen, vgl. BGH, Urteil vom 25.05.20, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 44 ff.
36
c) Der Schaden in Form des Kaufvertragsabschlusses wurde durch das Handeln der Beklagten verursacht. Die haftungsbegründende Kausalität zwischen schädigender Handlung der Beklagten und dem Eintritt des Schadens bei der Klagepartei ist zu bejahen, weil bereits die allgemeine Lebenserfahrung die Annahme rechtfertigt, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte, vgl. BGH, a.a.O., Rdnr. 51. Die von der Beklagten begehrte Parteieinvernahme des Klägers war vor diesem Hintergrund nicht veranlasst. Ferner war der Kläger in erster Instanz vor Gericht anwesend und hätte bereits damals von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur Kausalität befragt werden können, wovon aber trotz Gelegenheit, kein Gebrauch gemacht worden ist. Auch hat der Senat im Zuge der Terminierung mit Verfügung vom 09.09.20 (Bl. 332 d.A.) darauf hingewiesen, dass er vor dem Hintergrund der Ausführungen der Beklagten in der Berufung und der zwischenzeitlich ergangenen BGH-Entscheidung eine Ladung des Klägers zum Termin nicht für erforderlich hält. Binnen der gesetzten Frist hat die Beklagte hierzu keine Stellungnahme abgegeben. Erst im Schriftsatz vom 24.11.2020 hat die Beklagte (am Ende des 47-seitigen Schriftsatzes) den Standpunkt eingenommen, es müsse auf ihren Antrag hin eine Parteieinvernahme durchgeführt werden. Der Beweisantrag ist verspätet, da er bereits in erster Instanz hätte gestellt und auch vollzogen werden können, was die Beklagte versäumt hat. Er wurde zudem weder in der Berufungsbegründung gestellt und auch zum Hinweis erging - wie dargelegt - keine Stellungnahme innerhalb der gesetzten Frist. Für eine Nachladung des Klägers zum Termin bestand vor diesem Hintergrund ebenso wenig Veranlassung (zumal die Anordnung auch pandemiebedingt nicht vertretbar erschien), wie für eine Terminsverlegung, die zu weiterer Verzögerung geführt hätte. Im Übrigen gab die Beklagte auf den Hinweis des Senats im Termin, wonach er für eine Parteieinvernahme keinen Anlass sehe, keine weitere Erklärung mehr ab.
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d) Das Verhalten der Beklagten war sittenwidrig, auch wenn sie - anders als die VW-AG - den Motor EA 189 nicht entwickelt hat.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft, vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (ständige Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az.: VI ZR 536/15, vom 07.05.2019, Az.: VI ZR 512/17, zuletzt 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19).
39
Nicht nur das Verhalten der VW-AG, sondern auch der hiesigen Beklagten ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren, weil auch die beklagte A.-AG auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse Fahrzeuge in den Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgaswerte auf dem Prüfstand nur mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung eingehalten wurden. Damit ging eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden einher und es bestand die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren, BGH, a.a.O. Rdnr. 16. Auch die hier beklagte A.-AG hat nach Überzeugung des Senats das an sich erlaubte Ziel der Gewinnerhöhung ausschließlich dadurch erreicht, dass sie auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung die zuständige EG-Typgenehmigungsbehörde und die für sie handelnden Technischen Dienste arglistig getäuscht hat. Die Einwände der Beklagten, dass das Emissions-Zulassungsverfahren durch die VW-AG erfolgt ist und die Beklagte nur die Rechnung und die beanstandungsfreien Prüfberichte erhalten hat, greifen aus nachfolgenden Gründen nicht durch.
40
aa) Verantwortlich für alle Belange des EG-Typgenehmigungsverfahrens und für die Übereinstimmung der Produktion ist die Beklagte als Herstellerin der Fahrzeuge, vgl. Art. 5 der RL 2007/46/EG, § 3 Abs. 5 S. 1 EG-FGV. Sie kann sich nicht darauf berufen, dass allein die VW-AG Pflichten verletzt hätte, was ihr verborgen geblieben sei und ihr nicht zurechenbar sei, obwohl erklärt wird, dass die VW-AG im Auftrag der Beklagten gehandelt hat.
41
Die europäischen Vorgaben lassen keinen Zweifel an der umfassenden Verantwortlichkeit des Herstellers im Typengenehmigungsverfahren, derer die Beklagte sich als weltweit tätiger, großer Motoren- und Automobilhersteller zur Überzeugung des Senats bewusst war: Art. 3 Nr. 27 RL 2007/46/EG (früher ähnlich bereits in Art. 2 RL 70/156/EWG) definiert den Hersteller als die „Person oder Stelle, die gegenüber der Genehmigungsbehörde für alle Belange des Typengenehmigungsverfahrens- oder … verantwortlich ist. Die Person oder Stelle muss nicht notwendigerweise an allen Stufen der Herstellung des Fahrzeugs, des Systems, des Bauteils oder der selbständigen technischen Einheit, das bzw. die Gegenstand des Genehmigungsverfahrens ist, unmittelbar beteiligt sein.“ Dies wird unter der Überschrift „Pflichten des Herstellers“ in Art. 5 Abs. 1 RL 2007/46/EG wiederholt. Nach Art. 4 „Pflichten des Herstellers“ der VO (EG) 715/2007 bzw. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 6 VO (EG) 692/2008 „weist (der Hersteller) nach“, dass alle von ihm verantworteten Neufahrzeuge über eine Typengenehmigung verfügen, die Grenzwerte eingehalten werden und die Fahrzeuge den ausführlichen Prüfanforderungen entsprechen, bzw. er „gewährleistet, dass die bei der Emissionsprüfung ermittelten Werte unter den in dieser Verordnung angegebenen Prüfbedingungen den geltenden Grenzwert nicht überschreiten.“ (Anm.: Hervorhebungen durch den Senat).
42
Fahrzeuge dürfen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie einer amtlichen Genehmigung für das Gesamtfahrzeug entsprechen. Dabei ist für Personenkraftwagen die RL 2007/46/EG maßgeblich. Diese enthält eine Vielzahl von Einzelvorschriften für die verschiedenen technischen Systeme und Bauteile der Fahrzeuge. Die an die Abgasemissionen der Fahrzeuge zu stellenden Anforderungen regelt die VO (EG) 715/2007 und die dazu erlassene Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008. Diese Vorgaben sind in nationales Recht umgesetzt durch die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung.
43
Die VO (EG) 715/2007 verpflichtet den Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten, dass die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussenden Bauteile so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsvorschriften entspricht. Gemeint sind damit die realen Bedingungen, die sich unter Umständen im Labor nicht vollständig nachbilden lassen. Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 bestimmt weiter, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern grundsätzlich unzulässig ist.
44
Vor der Erteilung einer EG-Typgenehmigung ist das in den Anhängen der (EG) Nr. 692/2008 geforderte Prüfverfahren durchzuführen, das näher in der UN-Regelung Nr. 83 beschrieben ist. Dabei prüft der Technische Dienst im Auftrag der Genehmigungsbehörde das Fahrzeug nach den Vorgaben der Vorschriften und erstellt über die ermittelten Ergebnisse einen Bericht. Obwohl Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 das Verbot unzulässiger Abschalteinrichtungen deklariert, gab es aber damals kein Prüfverfahren, mit dem das Vorhandensein der hier verwendeten unzulässigen Abschalteinrichtung hätte bemerkt werden können. Das erleichterte die Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes.
45
bb) Zur Überzeugung des Senats hat die Beklagte mit dem Antrag auf EG-Typengenehmigung gleichzeitig konkludent erklärt, dass der Fahrzeugtyp den materiell-rechtlichen Genehmigungsanforderungen genügt, mithin die vorgeschriebenen Grenzwerte auf dem Prüfstand gerade nicht nur mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung eingehalten werden, § 4 Abs. 4 EG-FGV i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Anhang IV Teil I Nr. 2a der RL 2007/46/EG i.V.m. Art. 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 und Abs. 2 VO (EG) 715/2007. Diese eigene Erklärung der Beklagten war vorliegend entweder vorsätzlich falsch oder ins Blaue hinein abgegeben.
46
Dem Anhang III Teil I Ziffer 3 zu RL 2007/46/EG lässt sich entnehmen, dass bei der Antragstellung auch zur Antriebsmaschine eine ausführliche Beschreibung jedenfalls des Systems zu erfolgen hat. Diese Beschreibungsbögen waren zu unterzeichnen und mit Datum sowie Dienststellung des Unterzeichners zu versehen (siehe am Ende [nach dortigem Teil III] der eben genannten Fundstelle).
47
Ferner lassen die europäischen Bestimmungen - anders als die Beklagte meint - schon nach Wortlaut, Sinn und Zweck keinen Raum für die von der Beklagten vorgenommene Auslegung, der Antrag auf Erteilung der Typengenehmigung habe nur den Erklärungswert, dass das Fahrzeug die vorgeschriebenen Abgaswerte in den Testprüfstandsverfahren einhalte und umfasse gerade nicht die Erklärung, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen vorliegen. Zwar hat der europäische Gesetzgeber die Anforderungen im Laufe der Zeit weiter verschärft und stellt nunmehr das Abgasverhalten im realen Betrieb in den Vordergrund. Gleichwohl war schon nach der bis dahin geltenden Rechtslage klargestellt, dass Abschalteinrichtungen grundsätzlich unzulässig sind, mithin Grenzwerte in den vorgeschriebenen Testverfahren gerade nicht allein wegen einer solchen Abschalteinrichtung eingehalten werden dürfen.
48
Ausgangspunkt der europäischen Rechtssetzung bereits in den 1970er Jahren war die Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Gemeinsamen Marktes; unter anderem die deutschen Bestimmungen in der Straßenverkehrszulassungsordnung zu Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Kraftfahrzeugmotoren gaben den Anstoß (Erwägungsgründe der Richtlinien 70/156/EWG und 70/220/EWG). Mit dem ersten Aktionsprogramm der EG für den Umweltschutz, das bereits 1973 vom Rat gebilligt wurde, wurde dazu aufgerufen, den neuesten wissenschaftlichen Fortschritten bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung durch Abgase von Fahrzeugen Rechnung zu tragen und das bereits bestehende europäische Recht entsprechend anzupassen (Erwägungsgrund Nr. 2 der RL 98/69/EG). Seither und bis heute ist das Ziel der Verbesserung der Luftqualität durch Verringerung von Abgasen mittels Verschärfung von Emissionsvorschriften - unter anderem Stickoxidemissionen - fortwährend Teil der Agenda der europäischen Rechtsetzung (Erwägungsgründe Nr. 3, 4, 5, 11, 12 RL 98/69/EG, Erwägungsgründe 4, 5, 6 Verordnung (EG) 715/2007). Ziel der Maßnahmen ist die Eindämmung der Luftverschmutzung und damit die Reduktion der Emissionen bei normalem Fahrzeugbetrieb und -gebrauch. Bereits mit der RL 98/69/EG, d.h. schon Ende der 1990er Jahre, sah sich der Europäische Gesetzgeber gezwungen, Abschalteinrichtungen für emissionsmindernde Einrichtungen zu begrenzen und nur dann nicht als solche zu werten, wenn sie u.a. zum Motorschutz notwendig sind (Art. 1 Nr. 2 i.V.m. Anhang zur Änderung der Anhänge der RL 70/220/EWG - Anhang I, dort Nr. 4 der RL 98/69/EG). Im Rahmen der VO (EG) 715/2007 fand dies seinen Niederschlag in Art. 5. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 (so auch bereits Art. 1 Nr. 2 i.V.m. Anhang zur Änderung der Anhänge der RL 70/220/EWG - Anhang I, dort Nr. 4 der RL 98/69/EG) definiert „Abschalteinrichtungen“ als ein Konstruktionsteil, das bestimmte Parameter ermittelt, um die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, zu verringern. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 bestimmt, dass die Verwendung solcher Abschalteinrichtungen grundsätzlich unzulässig ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten zitierten Erwägungsgrund Nr. 5 der VO (EU) 2016/646 (Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20. April 2016 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 6)). Dieser lautet: „‘Abschalteinrichtungen‘ im Sinne von Artikel 3 Absatz 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zur Verringerung der Emissionsminderungsleistung sind verboten. (…)“
49
Die Abgabe einer eigenen Erklärung gegenüber der EG-Typgenehmigungsbehörde schloss die Verpflichtung ein, den Motor eigenständig auf Funktionsmäßigkeit und Gesetzesmäßigkeit zu überprüfen, weil - wie ausgeführt - mit dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung zumindest konkludent erklärt wird, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorschriften einhält, insbesondere über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt, und der Hersteller im EG-Typengenehmigungsverfahren umfassend verantwortlich ist. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.
50
cc) Im Übrigen hält der Senat die Übertragung des EG-Typgenehmigungsverfahrens auf die Konzernmutter nicht für zulässig und sieht darin ein Organisationsverschulden. Juristische Personen sind verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete, hier dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge, ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig sein muss, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft, vgl. BGH, Urteil vom 08.07.1980, Az.: VI ZR 158/78, Rdnr. 61 ff. Die Beklagte kann damit einen so elementaren Teilbereich wie das Emissions-Typgenehmigungsverfahren nicht auf die Konzernmutter übertragen und sich so einer Haftung entziehen. Sie muss sich dann das Wissen der VW-AG von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Denn die Beklagte schildert selbst, dass die VW-AG in ihrem Auftrag im behördlichen Verfahren tätig geworden ist, mithin eine rechtsgeschäftliche Handlung des Vertreters vorliegt, vgl. Art. 3 Nr. 28 RL 2007/46/EG. Wer sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr bei der Abgabe von Willenserklärungen, hier dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung, eines Vertreters bedient, muss es im schutzwürdigen Interesse des Adressaten hinnehmen, dass ihm die Kenntnis des Vertreters als eigene zugerechnet wird. Oder anders ausgedrückt, wer sich zur Erledigung eigener Angelegenheiten Dritter bedient, muss sich deren Wissen zurechnen lassen, vgl. BeckOK, BGB Hau/Poseck, 55. Edition, Stand 01.08.2020, Rdnr. 1 zu § 166 BGB.
51
dd) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass im Zulassungsverfahren die Emissionsgrenzwerte nur auf dem Rollenprüfstand geprüft werden und ihr es nicht möglich gewesen wäre, Prüfungen im realen Fahrbetrieb vorzunehmen bzw. es damals kein Prüfverfahren gab, mit dem das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen hätte ermittelt werden können. Unabhängig von den zur Verfügung stehenden Überprüfungsmöglichkeiten hätte die Beklagte jedenfalls bei der VW-AG nachfragen können und müssen, wie die Motorsteuerungssoftware programmiert ist, damit die vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden können. Die Beklagte hätte sich auch ohne Weiteres von der Konzernmutter die entsprechenden Unterlagen geben lassen können. Insoweit wird nicht vorgetragen, dass man dies versucht hätte, aber von Seiten der Konzernmutter dies abgelehnt worden sei oder dass man solche Unterlagen bekommen hätte, die aber geschönt gewesen seien. Selbst das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. Dr. G. geht auf S. 23 davon aus, dass „die Möglichkeit der Aufdeckung der Abschalteinrichtung durch die AUDIeigene Entwicklungsabteilung - vermittels einer grundlegenden Prüfung der Software bzw. einer Neuentwicklung von Testverfahren - nicht vollständig ausgeschlossen werden kann…“.
52
Zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Einbaus des streitgegenständlichen Motors war das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und Begrenzung der Stickoxidemissionen - notwendig wegen der strengen EU-Vorgaben - außerdem allgemein bekannt, was die Beklagte, die selbst aufgrund ihrer eigenen Entwicklung und Herstellung von anderen Dieselmotoren sachkundig ist, zum Anlass für eine genaue Prüfung hätte nehmen müssen, als aus Sicht der für die Motorenentwicklung zuständigen Konzernmutter die Auflösung dieses Konflikts angeblich gelungen war. Zudem stand bereits zum Zeitpunkt der Entwicklung des streitgegenständlichen Motors, dem der Einbau durch die Beklagte folgte, die Problematik der Verwendung von Abschalteinrichtungen lange und fortwährend auf der Agenda des europäischen Gesetzgebers (auf die vorstehenden Ausführungen wird Bezug genommen), was der Beklagten als weltweit tätiger (Diesel-)Motoren- und Fahrzeughersteller zur Überzeugung des Senats bekannt war. Aber auch unabhängig hiervon ist der Senat davon überzeugt, dass eine entsprechende Kenntnis von der Funktionsweise der Software bei der Beklagten vorhanden war.
53
Die Beklagte schildert nämlich, dass die grundsätzliche Entscheidung in Bezug auf die Verwendung des Motors EA 189 in den Jahren 2005/2006 von dem Produkt-Strategie-Komitee getroffen worden ist, dem auch Vorstandsmitglieder angehört haben. Dass das vorgenannte Komitee der Beklagten keine Kenntnis von den Details des Motors - das Herzstück eines Autos, und eben nicht nur ein Zulieferteil wie jedes andere - gehabt hat, dessen serienmäßiger Einsatz ab 2007 beschlossen worden ist, hält der Senat nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Einsatz des Motors in einer großen Vielzahl von Fahrzeugen angeordnet wird, die beteiligten Vorstandsmitglieder sich bei dieser Entscheidung, die die Beklagte selbst als „Meilenstein“ bezeichnet, - trotz der im Raum stehenden auch persönlichen Haftungsrisiken - nicht darüber informieren, welche Eigenschaften der Motor hat und wie es gelingt, den bekannten Zielkonflikt zwischen kostengünstiger Produktion und strengen EU-Vorgaben zu Stickoxidwerten zu lösen.
54
Die Beklagte trägt hier aber nicht einmal vor, welche Vorstandsmitglieder dem Produkt-Strategie-Komitee angehört haben, ob diese in Bezug auf ihren Kenntnisstand befragt worden sind und was gegebenenfalls die Antwort war. Der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast ist die Beklagte hier nicht in ausreichendem Maß nachgekommen. Die Kenntnis gilt damit als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO.
55
ee) Auch die Käufer von Fahrzeugen der hiesigen Beklagten vertrauten darauf, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden und wurden darin arglistig getäuscht. Die Sittenwidrigkeit des Handelns ergibt sich aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Kunden, der Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt allein im Profitinteresse.
56
e) Die subjektiven Voraussetzungen der Haftung nach § 826 BGB sind ebenfalls erfüllt. In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB einen Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Kausalität des eigenen Verhaltens für den Eintritt des Schadens und der das Sittenwidrigkeitsurteil begründenden tatsächlichen Umstände voraus. Der Schädigungsvorsatz enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben, BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az.: VI ZR 536/15.
57
Die Haftung einer juristischen Person nach § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB setzt zudem voraus, dass ihr „verfassungsmäßig berufender Vertreter“ den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat. Die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente müssen dabei kumuliert bei einem solchen Vertreter vorliegen, der auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat, eine mosaikartige Zusammensetzung der kognitiven Elemente bei verschiedenen Personen ist hingegen nicht zulässig, vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2019, Az.: VI ZR 536/15. Darauf weist zutreffend auch das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten hin, S. 15.
58
Der Senat geht nicht davon aus, dass eine Wissenszurechnung im Konzern die Haftung der Beklagten begründet. Der Umstand, dass die beteiligten Gesellschaften in einem Konzern verbunden sind, genügt nämlich für sich genommen nicht, um eine Wissenszurechnung zu begründen, vgl. BGH, Urteil vom 13.12.1989, Az.: IV a ZR 177/88, Rdnr. 14, OLG Stuttgart, Urteil vom 04.09.2019, Az.: 13 U 136/18, Müko-BGB, 7. Auflage 2018, § 166 Rdnr. 61.
59
Die Haftung der Beklagten beruht vielmehr - wie schon ausgeführt - auf ihrem eigenen deliktischen Handeln, dem von ihr zu verantwortenden Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
60
Im Hinblick auf den neuen Vortrag im Schriftsatz vom 24.11.2020 ist die Beklagte der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast in größerem Umfang als bisher nachgekommen, weil sie zur Organisationsstruktur, der Arbeitsorganisation, den damaligen internen Zuständigkeiten, den Berichtspflichten und den von ihr veranlassten Ermittlungen näher vorgetragen hat. Die Beklagte argumentiert allerdings damit, dass schon keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinn oder von potentiellen Repräsentanten bestünden, weshalb ein vertieftes Vorgehen nicht angezeigt sei und keine Verpflichtung zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen von Seiten des Aufsichtsrats bestehe. Dies teilt der Senat in Bezug auf die Vorstandsmitglieder, die in dem Produkt-Strategie-Komitee mitgewirkt haben, aus nachfolgenden Gründen nicht:
61
Zur Produktion erklärt die Beklagte nunmehr, dass bereits in den Jahren 2005/2006 vom Produkt-Strategie-Komitee, dem auch nicht namentlich benannte Vorstandsmitglieder angehört haben, die grundsätzliche Entscheidung getroffen worden ist, dass in bestimmten Fahrzeugen der Beklagten der von der Konzernmutter entwickelte Motor vom Typ EA 189 eingebaut wird, was letztlich ab 2007 zu einem serienmäßigen Einsatz geführt hat. Die Beklagte behauptet dazu weiter, dass weder Organe noch Repräsentanten, nicht einmal Werksmitarbeiter der Beklagten Kenntnis von den Details des Motors, insbesondere der Software gehabt hätten, weil diese verriegelt und verschlossen war und so vom Konzernserver in der Fertigung aufgespielt worden ist. Dies hält der Senat - wie oben bereits ausgeführt - nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das oben genannte Komitee, dem auch ein Organ der Beklagten angehört hat, den Einsatz eines Motors in eigenen Fahrzeugen befürwortet, sich aber keine Gedanken darüber macht, wie der Motor funktioniert, welche Eigenschaften er hat und wie es gelingt, die entsprechenden Stickoxidgrenzwerte einzuhalten. Bei dem Motor handelt es sich um das Kernstück des Fahrzeugs und bei der Verwendung um eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende Strategieentscheidung, die mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden ist. Da die Beklagte auch selbst Dieselmotoren entwickelt und die Frage, wie die gesetzlichen Grenzwerte technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden können, unter Kfz-Herstellern zu der damaligen Zeit ein Hauptthema war, kann nicht nachvollzogen werden, dass die Beklagte kein Interesse daran hatte zu wissen, wie es der Mutterkonzern geschafft hat, die strengen Grenzwerte einzuhalten. Es scheint ausgeschlossen, dass die Beklagte den von der Konzernmutter entwickelten Motor ohne eigene Prüfung und Kenntnis der wesentlichen Merkmale „blind“ in ihre eigenen Fahrzeuge eingebaut hat. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt war. Dies folgt schon aus der Tragweite der Entscheidung, aber auch aus den gesamten Umständen.
62
Deshalb kann auch vorliegend - entgegen den Ausführungen im Rechtsgutachten Grigoleit, Seite 17 ff. - in Bezug auf die Frage der personalen Anknüpfung - wie es der BGH in dem Urteil vom 25.05.2020 getan hat - auf die bewusste Beteiligung eines Organmitglieds an der grundlegenden strategischen Entscheidung abgestellt werden.
63
Die Beklagte kann sich nicht darauf zurückziehen, dass sie den Motor samt Software nur als externes Produkt von der VW-AG zugekauft hat und dieser vertrauen durfte. Der Bundesgerichtshof hat in der von der Beklagten zitierten Entscheidung vom 03.06.1975, Az.: VI ZR 192/73, ausgeführt, dass einem Unternehmer, der für die von ihm hergestellten Geräte vorgefertigte Einbauteile verwendet, grundsätzlich die Sorgfaltspflichten eines Herstellers obliegen. Davon kann es zwar Ausnahmen geben, wovon hier allerdings schon wegen der Bedeutung des Motors für das Fahrzeug keine Rede sein kann. Der Motor eines Fahrzeugs ist eben nicht bloß ein Zuliefererteil wie jedes andere. Die Beklagte durfte sich vorliegend nicht allein auf die fachliche Betriebserfahrung ihrer Konzernmutter und deren durchgeführte Prüfungen verlassen. Sie hätte vielmehr die konkreten Eigenschaften bei der VW-AG erfragen müssen und sich selbst von der mangelfreien Beschaffenheit des Motors im Hinblick auf ihre eigene Verantwortlichkeit im EG-Typgenehmigungsverfahren überzeugen müssen. Der Auffassung von Prof. Dr. G. auf Seite 22 ff. des Gutachtens folgt der Senat aus den obigen Gründen, letztlich wegen der abweichenden Wertung des Sachverhalts, nicht.
64
Was das Zulassungsverfahren betrifft, zu dem die Beklagte vorträgt, dass hier in Bezug auf den Motor nur Mitarbeiter der VW-AG gehandelt hätten, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die Beklagte hat gegenüber der EG-Typgenehmigungsbehörde eine eigene Erklärung abgegeben und zumindest konkludent erklärt, dass die dem Technischen Dienst von der VW-AG vorgestellten Fahrzeuge keine unzulässigen Abschalteinrichtungen enthalten und den Gesetzen entsprechen. Da dies tatsächlich nicht zutraf, ist das Verhalten der Beklagten als vorsätzlich zu bewerten, weil die Folgen des Handelns bewusst in Kauf genommen worden sind. Selbst wenn man dies nicht so sehen wollte, hält der Senat aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte sich im Hinblick auf das Emissions-Typengenehmigungsverfahren vollständig und ohne weitere Kontrolle auf die Konzernmutter verlassen hat, eine Zurechnung des bei der WV-AG zweifelsfrei vorhandenen Täuschungs- und Schädigungsvorsatzes entsprechend § 31 BGB für gerechtfertigt.
65
f) Auf der Basis der getroffenen Feststellungen ist damit von einem Schädigungsvorsatz der handelnden Personen auszugehen, die von den sittenwidrigen, strategischen Unternehmensentscheidungen Kenntnis hatten. Nicht nur der objektive Tatbestand, sondern auch sämtliche für den Vorsatz nach § 826 BGB erforderlichen Wissens- und Wollenselemente sind damit bei den entsprechenden Entscheidungsträgern verwirklicht. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in eigener oder zurechenbarer Kenntnis der Funktionsweise der Software ihren serienmäßigen Einsatz in Motoren anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
66
2. Die Beklagte hat gemäß §§ 826, 31, 249 ff. BGB der Klagepartei sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden zu ersetzen. Die Klagepartei kann damit den von ihr aufgewendeten Kaufpreis zurückverlangen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs.
67
Sie muss sich aber dasjenige anrechnen lassen, was ihr durch das schädigende Ereignis zugeflossen ist. Dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch bei einem Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB anzuwenden sind, hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, ausdrücklich bestätigt, Rdnr. 66 ff. Er hat auch ausgeführt, dass dem weder die Wertungen des nationalen Rechts noch europarechtliche Normen entgegenstehen. Der Senat nimmt auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs Bezug, a.a.O., Rdnr. 73 ff. Geklärt ist mit dieser Entscheidung weiter, dass eine lineare Berechnungsweise nach der Formel Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / Gesamt- bzw. Restlaufleistung - wie vom Landgericht durchgeführt - keinen rechtlichen Bedenken unterliegt und die Höhe der gezogenen Vorteile nach § 287 ZPO geschätzt werden kann.
68
Da das Landgericht hier eine vom Bundesgerichtshof ausdrücklich gebilligte Berechnungsmethode angewendet hat, braucht nicht entschieden zu werden, ob - wie die Beklagte meint - auch eine stufenweise degressive Berechnung in Betracht kommt, die vom Landgericht Ingolstadt teilweise herangezogen wird.
69
Vorliegend hat der Kläger das Fahrzeug als Neufahrzeug erworben. Zum Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Senat hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 144.112 km, was vom Beklagtenvertreter unstreitig gestellt worden ist. Unter Zugrundelegung des Kaufpreises von 40.460,73 € und einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km ergibt sich damit eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer in Höhe von 19.436,26 €. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung schätzt der Senat - wie das Landgericht - im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km, da von einer durchschnittlichen Laufleistung des hier verbauten Dieselmotors auszugehen ist. Es verbleibt damit ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 21.024,47 €.
70
3. Der Klagepartei stehen Zinsen nur aufgrund der Rechtshängigkeit, ab 16.01.2019 zu, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Die Voraussetzungen des § 286 Abs. 1, 2 BGB sind nicht gegeben, weil der Kläger die ihm obliegende Gegenleistung nicht ordnungsgemäß angeboten hat, vgl. nachfolgende Ziffer 4.
71
4. Die Rüge der Beklagten, dass das Landgericht zu Unrecht einen Annahmeverzug festgestellt hat, ist berechtigt, weil der Kläger in dem außergerichtlichen Anwaltsschreiben vom 21.11.2018, Anlage K 10, zwar die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs unter Abzug einer Nutzungsentschädigung angeboten hat, ein Kilometerstand wurde aber nicht mitgeteilt, so dass die Voraussetzungen für die Feststellung des Annahmeverzugs nicht gegeben sind. Es ist Sache des Gläubigers, dem Schuldner ein zur Begründung des Annahmeverzugs geeignetes Angebot zu übermitteln, nicht Sache des Schuldners, zu ermitteln, welchen Inhalt ein solches Angebot haben müsste. Im Übrigen hat der Kläger durch die Erhebung der Klage mit dem Verlangen der vollständigen Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises zu erkennen gegeben, dass er an dem zuvor gemachten Angebot nicht mehr festhält. Damit hat der Kläger aber die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als er hätte beanspruchen können. Ein zur Begründung von Annahmeverzug aufseiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben, vgl. auch BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 84 ff.
B. Berufung des Klägers:
72
Die vom Landgericht getroffene Entscheidung zum Abzug einer Nutzungsentschädigung ist weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden.
73
1. Wie oben bereits ausgeführt, hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass sich der Kläger im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen muss, vgl. BGH in dem Urteil vom 25.05.2020, aaO, Rdnr. 64 ff. Dies wurde vom Kläger zuletzt auch nicht mehr weiter angegriffen.
74
Zur Höhe des Schadensersatzanspruchs hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass die Bemessung in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters ist. Nicht beanstandet wurde in der genannten Entscheidung, dass dort das Berufungsgericht die vom Kläger gezogenen Vorteile gemäß § 287 ZPO geschätzt hatte und bei einem VW Sharan 2.0 TDI eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km zugrunde gelegt hatte. In anderen Entscheidungen nahm der Bundesgerichtshof Schätzungen zur Gesamtlaufleistung in Höhe von 250.000 km (Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 354/19) und sogar von 200.000 km (Urteil vom 20.07.2020, Az. VI ZR 397/19) im Rahmen der tatrichterlichen Schätzung nach § 287 ZPO hin. Die vom Landgericht angenommenen 300.000 km Gesamtlaufleistung, die auch der Senat vorliegend annimmt, bewegt sich damit in der vom Bundesgerichtshof gebilligten Bandbreite.
75
2. Nicht richtig ist der Vortrag des Klägers, dass die Beklagte nichts zu der zu erwartenden Gesamtlaufleistung vorgetragen hätte. Insoweit wird auf die Klageerwiderung vom 26.03.2019, Seite 53 oben verwiesen. Dort führt die Beklagte aus, dass bei der hier betroffenen Fahrzeugkategorie (Mittelklasse-Diesel-Personenkraftwagen) eine Gesamtlaufleistung von 200.000 bis 250.000 km anzusetzen sei.
76
3. Die vom Landgericht vorgenommene Schätzung auf 300.000 km Gesamtlaufleistung ist unter Berücksichtigung der oben zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Bandbreite zwischen 200.000 und 300.000 km) nicht zu beanstanden. Die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung lassen sich dem Urteil entnehmen, weil bereits im unstreitigen Tatbestand mitgeteilt wird, um welches Fahrzeug es sich hier handelt. Die genaue Angabe der im Einzelnen leitenden Gründe war nicht erforderlich, vgl. Thomas, Putzo, ZPO, 40. Auflage 2019, Rdnr. 11 zu § 288 ZPO. Grundsätzlich falsche oder unrichtige Erwägungen wurden nicht angestellt und auch das Parteivorbringen nicht unberücksichtigt gelassen. Es ist nicht ersichtlich, dass unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt worden wären oder die Schätzung völlig abstrakt erfolgt wäre. Der Senat schätzt die Gesamtlaufleistung unter Berücksichtigung der bekannten Faktoren ebenfalls auf 300.000 km.
77
4. Die exakte Berechnung der Gesamtlaufleistung eines bestimmten Fahrzeugs mag eine schwierige, technische Fragestellung sein und nur durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu lösen sein. Der Gesetzgeber hat sich aber mit der Vorschrift des § 287 ZPO dafür entschieden, auf das Erfordernis des Strengbeweises bei der Feststellung der Schadenshöhe zu verzichten und hat dem Tatrichter erlaubt, Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen anzustellen und zu Schätzungen zu greifen. Ob und wie der Tatrichter Beweis erhebt, wird in sein Ermessen gestellt. Dabei wird in Kauf genommen, dass die richterliche Schätzung unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht exakt übereinstimmt. Eine ausreichende Schätzgrundlage war vorliegend gegeben, weil der Fahrzeugtyp und die Motorisierung bekannt ist.
III.
78
Die Kostenquote entspricht dem jeweiligen Obsiegen bzw. Unterliegen der Parteien, §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
79
In Bezug auf die von der Klagepartei in beiden Instanz zunächst geltend gemachten deliktischen Zinsen war ein fiktiver Streitwert anzusetzen, um der Zuvielforderung Rechnung zu tragen. Der fiktive Streitwert beträgt 55.026,59 € (40.460,73 € Kaufpreis plus 14.565,86 € Zinsen für 9 Jahre). Dies führt zu einer Kostenquote in beiden Instanzen von 60% zu Lasten des Klägers und 40% zu Lasten der Beklagten.
80
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, Nr. 711, 713 ZPO.
81
Die Revision ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Einige wesentliche Punkte sind zwar durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 geklärt, offen ist jedoch die Frage, ob auch die Konzerntöchter der VW-AG, hier die Beklagte, für die von ihnen hergestellten, mit einem Motor des Typs EA 189 (nebst unzulässiger Abschalttechnik) ausgestatteten Fahrzeuge deliktisch haften. Diese Frage ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten.