Inhalt

LG Hof, Endurteil v. 23.04.2021 – 25 O 24/20
Titel:

Leistungen aus Betriebsschließungsversicherung nach behördlicher Maßnahme wegen der Corona-Pandemie

Normenketten:
IfSG § 6, § 7
BGB § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1
AVB Betriebsschließungsversicherung
Leitsatz:
Verspricht der Versicherer einer Betriebsschließungsversicherung in seinen AVB Leistungen für Betriebsschließungen, die die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern vornimmt, und verweisen die AVB hinsichtlich der meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger mittels Klammerzusatzes auf eine Klausel, in der diese als "die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger" definiert sind, handelt es sich um eine abschließende Aufzählung, so dass kein Versicherungsschutz für eine Betriebsschließung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie besteht, wenn weder COVID-19 noch SARS-CoV-2 in der nachfolgenden Aufzählung benannt sind. Eine solche Regelung ist als Teil der Definition und gerade nicht als Einschränkung des Leistungsumfangs zu verstehen und damit einer Inhaltskontrolle entzogen (s. auch OLG Stuttgart BeckRS 2021, 2002 und BeckRS 2021, 2001 sowie OLG Oldenburg BeckRS 2021, 3248). (Rn. 24 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, Coronavirus, COVID-19, SARS-CoV-2, abschließende Aufzählung, dynamische Verweisung, Inhaltskontrolle, Analogie
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Urteil vom 28.10.2021 – 1 U 196/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 10230

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie 2020.
2
Die Klägerin betreibt in Hof das Restaurant …. Für dieses Restaurant schloss die Klägerin bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung unter der Versicherungsschein-Nr. … mit Versicherungsbeginn … ab (vgl. Anlage K 1). Die vereinbarte Tagesentschädigung beträgt … € für maximal … Schließungstage, in der Höchstsumme also … €. Der jährliche Versicherungsbeitrag beläuft sich auf … € zzgl. Versicherungssteuer.
3
Vereinbart wurde die Geltung der „Mannheimer Bedingungen 2009 für die Betriebsschließungsversicherung“ in der Fassung VB-BSV '09 (Anlage K 2, im Folgenden: VB-BSV 09). Nach § 1 Ziff. 1 der VB-BSV 09 besteht bedingungsgemäßer Versicherungsschutz für Betriebsschließungen, die die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern vornimmt. Die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger sind dabei in § 1 Ziff. 2 VB-BSV 09 wie folgt definiert:
„Meldepflichtige Krankheiten oder meldepflichtigen Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
a) Krankheiten …
b) Krankheitserreger …“
4
Unter lit. a) und lit. b) werden die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger sodann im Einzelnen aufgezählt. Weder die neuartige Coronavirus-Krankheit 2019 (Covid-19) noch der diese verursachende Krankheitserreger Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2; nachfolgend auch: neuartiges Coronavirus) werden in der Aufzählung des § 1 Ziff. 2 VB-BSV 09 namentlich genannt. Wegen der Einzelheiten der weiteren Versicherungsbedingungen wird auf die Anlage K 2 Bezug genommen.
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Mit Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16.03.2020, die am 18.03.2020 zunächst bis zum 30.03.2020 für Gastronomiebetriebe in Kraft trat und die im Folgenden bis 17.05.2020 verlängert wurde, wurden unter Ziffer 3. Gastronomiebetriebe jeder Art untersagt. Ausgenommen hiervon wurden in der Zeit von 6.00 Uhr bis 15.00 Uhr Betriebskantinen sowie Speiselokale und Betriebe, in denen überwiegend Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden. Ausgenommen war zudem die Abgabe von Speisen zum Mitnehmen bzw. die Auslieferung. Diese war jederzeit zulässig. Die Maßnahmen nach dieser Allgemeinverfügung wurden mit der weltweiten Verbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 sowie, dass die WHO am 11.03.2020 das Ausbruchsgeschehen als Pandemie bewertet hat, begründet. Bei SARS-CoV-2 handelt es sich um einen Krankheitserreger im Sinne des § 2 Nr. 1 IfSG, der sich in Bayern derzeit stark und immer schneller verbreitet. Die Schließung von Gastronomiebetrieben nach Nr. 3 der Allgemeinverfügung diente insbesondere dem Zweck, eine Ausbreitung sowie Weiterverbreitung von COVID-19 zu verlangsamen.
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Die Klägerin machte gegenüber der Beklagten Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung geltend. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 17.04.2020 ab (Anlage K3). Daraufhin ließ die Klägerin die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 18.06.2020 (Anlage K4) erneut zur Leistung auffordern, was die Beklagte wiederum mit Schreiben vom 30.06.2020 (Anlage K5) ablehnte.
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Die Klägerin ist der Auffassung, ihre Gaststätte sei aufgrund einer Betriebsschließungsanordnung der zuständigen Behörde im Sinne § 1 Ziff. 1 lit. a) der VB-BSV 09 geschlossen worden. Ein Außerhausverkauf von Speisen zur Mitnahme stelle für einen Restaurantbetrieb ein vollkommen untergeordnetes Geschäft dar, auf das sich die Klägerin nicht verweisen lassen müsse.
8
Die Klägerin meint, bei Covid-19 bzw. dem Coronavirus handele es sich um eine Krankheit bzw. einen Krankheitserreger nach § 1 Ziff. 2 VB-BSV 09. Bei der Regelung in § 1 Ziff. 2 VB-BSV 09 handele es sich um einen dynamischen Verweis auf die bei Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalles geltende Gesetzesfassung der §§ 6, 7 IfSG. Den Versicherungsbedingungen lasse sich an keiner Stelle eine klare Regelung entnehmen, dass die Aufzählung in § 1 Ziff. 2 VB-BSV 09 abschließend sein solle. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer dürfe daher auf eine Verweisung auf das jeweils gültige IfSG schließen. Darüber hinaus sei § 1 Ziff. 2 VB-BSV 09 intransparent und daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil für den Versicherungsnehmer nicht erkennbar werde, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel bestehe, insbesondere auch, da in § 4 VB-BSV 09 Ausschlüsse konkret geregelt seien.
9
Staatliche Unterstützungsmaßnahmen seien nicht auf die Versicherungsleistung anzurechnen, da sie nicht der Entlastung der Beklagten dienten.
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Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin … € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 27.06.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die die …, Schadennummer … einen Betrag von … € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und an die Klägerin weitere … € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
11
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte vertritt die Auffassung, es habe aufgrund des gestatteten Außerhausverkaufs keine behördliche Betriebsschließung, sondern nur eine Betriebseinschränkung bzw. Teilschließung stattgefunden. Ein Versicherungsfall sei aber nur bei einer vollständigen Schließung gegeben.
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Darüber hinaus bestehe auch deshalb kein Versicherungsschutz, weil es keine wirksame behördliche Anordnung im Sinne von § 1 Ziff. 1 lit. a) der VB-BSV 09 gegeben habe, da die Allgemeinverfügung wegen Angabe einer unzutreffenden Ermächtigungsgrundlage unwirksam gewesen sei. Es handele sich auch nicht um eine Verfügung, die gerade gegen den Betrieb der Klägerin oder die dort tätigen Betriebsangehörige gerichtet sei, was nach den AVB aber Voraussetzung sei.
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Vor allem aber bestehe schon deshalb kein Versicherungsschutz, weil die Auflistung der Krankheiten in § 1 Ziff. 2 der VB-BSV 09 abschließend sei. Das Coronavirus (SARS-CoV-2) oder die hierdurch ausgelöste Krankheit (COVID-19) seien unstreitig nicht in der Auflistung der § 1 Ziff. 2 der VB-BSV 09 enthalten. Es liege weder eine statische noch eine dynamische Verweisung auf das IfSG vor.
15
Des Weiteren fehle es auch an einer betriebsinternen Gefahr. Abstrakt-generelle präventive Gesundheitsmaßnahmen seien nicht Gegenstand der Betriebsschließungsversicherung, bei der es nur um betriebsinterne Gefahren gehen könne.
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Schließlich bestreitet die Beklagte den Anspruch der Höhe nach. Der tatsächliche Schaden weiche evident von der vereinbarten festen Taxe ab, weshalb diese nicht bindend sei. Außerdem sei das versicherungsvertragliche Bereicherungsverbot zu beachten und die Klägerin müsse sich staatliche Unterstützungsleistungen anrechnen lassen. Die Beklagte vertritt ferner die Auffassung, der Klägerin müsse vorrangig Schadensersatzansprüche gegen den Staat gelten machen.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
18
Das Gericht hat mit Beschluss vom 22.03.2021 bestimmt, dass mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren entschieden wird. Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten ist der 09.04.2021 bestimmt worden.

Entscheidungsgründe

I.
19
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen aus der zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherung.
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1. Die Voraussetzungen eines Versicherungsfalles liegen nicht vor. Eine Betriebsschließung wegen Auftretens der neuartigen Krankheit Covid-19 bzw. des neuartigen Erregers SARS-CoV-2 ist nicht von der in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung umfasst.
21
a) Der Versicherungsfall ist im Versicherungsvorschlag selbst nur allgemein als „Betriebsschließung aufgrund behördlicher Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz“ grob umrissen (Anlage K 1). Die nähere Konkretisierung des Vertragsinhalts einschließlich der unter den Versicherungsschutz fallenden Betriebsschließungen erfolgt durch die VB-BSV 09. Dies ist für den Versicherungsnehmer aus dem Versicherungsvorschlag auch zweifelsfrei erkennbar, da unter dem Punkt „Vertragsgrundlagen“ explizit formuliert wird, dass sich die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien unter anderem nach den VB-BSV 09 richten.
22
b) Der Versicherungsumfang wird in § 1 VB-BSV 09 definiert. Danach fällt eine Betriebsschließung wegen des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 nicht in unter den vertraglichen Versicherungsschutz.
23
aa) Bei der Auslegung von Versicherungsverträgen und -bedingungen ist vom Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszugehen, der ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und dabei die Interessen der Beteiligten und den erkennbaren Sinnzusammenhang berücksichtigt (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, Einleitung Rn. 116; Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 4).
24
bb) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ist § 1 VB-BSV 09 dahingehend auszulegen, dass die neuartige Erkrankung Covid-19 ebenso wenig von den Versicherungsbedingungen erfasst ist wie das neuartige Coronavirus, weil die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 abschließend ist.
25
(1) Nach der mit „Gegenstand der Versicherung“ überschriebenen Klausel § 1 Nr. 1 lit. a) VB-BSV 09 leistet der Versicherer Entschädigung, „wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger (siehe Nr. 2)“ den Betrieb schließt. Durch den Klammerzusatz „siehe Nr. 2“ wird dabei für den verständigen Versicherungsnehmer nachvollziehbar verdeutlicht, dass § 1 Nr. 1 und Nr. 2 VB-BSV 09 zusammengelesen werden müssen und folglich nur solche Krankheiten und Krankheitserreger eine Einstandspflicht des Versicherers auslösen sollen, die der Regelung des § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 unterfallen. Mit anderen Worten versteht der verständige Versicherungsnehmer diese Systematik so, dass es sich bei § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 um eine Konkretisierung bzw. nähere inhaltliche Definition von § 1 Nr. 1 VB-BSV 09 und nicht, wie die Klagepartei meint, um eine Einschränkung des Versicherungsumfangs handelt.
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(2) Die unter der Überschrift „meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“ stehende Regelung des § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 enthält schon dem Wortlaut nach („Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind“) sowie aufgrund der genannten Inbezugnahme in § 1 Nr. 1 VB-BSV 09 erkennbar eine Definition jener Krankheiten und Erreger, für welche im Falle einer behördlichen Betriebsschließung Versicherungsschutz besteht. Diese Definition erfolgt unter Voranstellung der Formulierung „die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ mittels Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern. Diese beiden Aufzählungen erfassen weder die Krankheit Covid-19 (unter Nr. 2 lit. a)) noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 (unter Nr. 2 lit. b)).
27
(3) Entscheidend kommt es daher darauf an, ob die Aufzählungen in § 1 Nr. 2 lit. a) und lit. b) VB-BSV 09 als abschließend zu verstehen sind oder aber der Einbeziehung neu aufgetretener Krankheiten und Erreger gegenüber offen sind. Diese Frage ist im erstgenannten Sinne zu entscheiden.
28
Bereits der Umstand einer namentlichen Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 legt nahe, dass der Versicherer nur für diese besonderen aufgezählten und vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen will (tendenziell weitergehend LG Ellwangen, COVuR 2020, 639 Rn. 34 und Schreier, VersR 2020, 513 (515)). Zugleich wird der Versicherungsnehmer durch die Aufzählung der Krankheiten und Erreger in die Lage versetzt, im Falle einer behördlichen Anordnung schnell feststellen zu können, ob ein potentieller Versicherungsfall vorliegt.
29
Die eigentliche Auslegung der Regelung hat vom Wortlaut auszugehen. Bereits dieser macht durch die Voranstellung der Formulierung „die folgenden“ vor der Aufzählung an Krankheiten und Krankheitserreger deutlich, dass letztere definitorisch-abschließend aufgelistet werden (ebenso Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 62; Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250 (253); a.A. Fortmann, VersR 2020, 1073 (1075)).
30
Aus Sicht eines verständigen Verbrauchers wäre zu erwarten, dass für den Fall, dass bestimmte Krankheiten enumerativ aufgezählt werden, für die der Versicherungsfall gelten soll, es ausdrücklich klargestellt würde, wenn diese Aufzählung nicht abschließend sein soll, etwa durch Verwendung der Wörter „insbesondere“, „beispielsweise“ oder „etwa“ (ähnlich LG Ellwangen, a.a.O. Rn. 36). Derartige verbalisierte Einschränkungen enthält § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 gerade nicht.
31
Eine solche Klarstellung kann entgegen Stimmen in der Literatur (Rolfes, VersR 2020, 1021 (1023); Korff, COVuR 2020, 246 (248); Reiff, COVuR 2020, 536 (537)) insbesondere nicht in der Verwendung des Wortes „namentlich“ in § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 gesehen werden. Der Gebrauch des Wortes „namentlich“ kann nur in dem Kontext der Verwendung interpretiert werden. Aus diesem Kontext erschließt sich, dass „namentlich“ vorliegend gerade nicht als Synonym anstelle von „insbesondere“ o.ä. verwendet wurde: So spricht § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 von „die folgenden, in §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“. Die Kombination des bestimmten Artikels „die“, die kumulative Verwendung von „namentlich“ und „folgende“ sowie die Bezugnahme auf §§ 6 und 7 IfSG machen hierbei deutlich, dass das Wort „namentlich“ im Sinne von „mit ihrem Namen benannt“ gebraucht wird, also jene Krankheiten gemeint sind, die (auch) in §§ 6 und 7 IfSG mittels ihrer Namensbezeichnung aufgeführt werden (so im Ergebnis auch Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 63). Umgekehrt wäre, wenn „namentlich“ tatsächlich als Synonym für „insbesondere“ hätte verwendet werden sollen, von der Satzstellung her zu erwarten gewesen, dass das Wort zu Beginn der Satzkonstruktion stehen würde, beispielsweise also formuliert worden wäre: „Namentlich die folgenden Krankheiten“. Dass allein die hier vorgenommene Auslegung des Wortes namentlich überzeugen kann, zeigt sich letztlich ganz einfach, wenn man „namentlich“ im verwendeten Kontext schlicht durch „insbesondere“ ersetzt: Der Satz „die folgenden, in den §§ 6 und 7 [IfSG] insbesondere genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ ergibt schlichtweg keinen Sinn.
32
Ein verständiger Versicherungsnehmer bezieht schließlich auch mit in die Betrachtung ein, dass Versicherer ihren Versicherungsbedingungen eine Risikoanalyse zu Grunde legen und hierbei insbesondere den Umfang der versicherten Risiken in Relation zur Höhe der zu zahlenden Prämie setzen. Einem solchen verständigen Versicherungsnehmer muss es sich geradezu aufdrängen, dass bei einer verhältnismäßig geringen Versicherungsprämie - vorliegend … € netto im Jahr - einerseits und einer Leistungspflicht im Versicherungsfall im fünfstelligen Bereich - vorliegend bis zu … € pro Schließungsfall - andererseits schon wegen der extremen Diskrepanz der Beträge bei gleichzeitig fehlender Kalkulierbarkeit des Risikos im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unbekannte Krankheiten nicht vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen.
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(4) Aus der Inbezugnahme der §§ 6 und 7 IfSG ergibt sich nichts anderes. Der in Teilen der Literatur gezogene Schluss, dass es der Nennung der §§ 6 und 7 IfSG nicht bedurft hätte, wenn die Aufzählung einen abschließenden Katalog darstelle, weshalb die Inbezugnahme der §§ 6, 7 IfSG als dynamische Verweisung verstanden werden müsse (Armbrüster, VersR 2020, 577 (583); Fortmann, VersR 2020, 1073 (1075); Reiff, COVuR 2020, 536 (538); im Ergebnis ebenso Rolfes, VersR 2020, 1021 (1023) und Korff, COVuR 2020, 4246 (2048)), ist nicht zwingend, lässt er doch die bereits vom Wortlaut der Klausel her naheliegende Möglichkeit, dass lediglich für beide Vertragsparteien aus Gründen der Klarstellung und Transparenz wiederholend die bereits in §§ 6, 7 IfSG namentlich benannten Krankheiten aufgezählt werden, völlig außer Betracht. Eine solche Interpretation wiederholende Erwähnung fügt sich in den Gesamtkontext der Norm (kumulative Verwendung mit der definitorischen Einschränkung „folgende“, Syntax der Regelung; vgl. bereits unter (3)), während eine dynamische Verweisung im Gegensatz zur vorangehenden Formulierung „die folgenden“ stünde.
34
Gegen eine dynamische Verweisung auf §§ 6, 7 IfSG spricht ferner, dass die an die fragliche Formulierung anschließende Aufzählung gerade nicht die gesamte, zum Zeitpunkt der Verfassung der VB-BSV 09 (Stand 01.01.2009) im Jahr 2009 geltende Regelung der §§ 6 und 7 IfSG a.F. in Bezug nimmt, sondern nur die dort seinerzeit explizit in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-4 IfSG a.F. aufgeführten Krankheiten weitestgehend wiederholend aufzählt, während der Auffangtatbestand des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 IfSG („Auftreten a) einer bedrohlichen Krankheit oder b) von zwei oder mehr gleichartigen Erkrankungen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird“) in § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 gerade keinen Widerhall findet (ebenso LG Ellwangen, a.a.O. Rn. 35). Anders gesagt findet gerade der dynamischen Entwicklungen Rechnung tragende Teil des § 6 IfSG (vgl. hierzu BeckOK-Infektionsschutzrecht/Thiery, 1. Ed. Stand 01.07.2020, § 6 IfSG Rn. 17; Kießling/Müllmann, IfSG, 1. Aufl. 2020, § 6 Rn. 15) in § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 keine Entsprechung. Hieraus ist zu folgern, dass die Verweisung gerade keinen dynamischen Charakter haben soll, jedenfalls keinen solchen, der auf die jeweils geltenden Normen in ihrer Gesamtheit Bezug nimmt. Auch der Umstand, dass die Aufzählung in § 1 Nr. 2 lit. a) VB-BSV 09 jedenfalls insofern eigenständigen definitorischen Charakter hat, als sie - wenn auch geringfügig - hinter § 6 Abs. 1 IfSG a.F. zurückbleibt, indem sie die seinerzeit in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. d) aufgeführte humane spongiforme Enzephalopathie nicht nennt, spricht gegen das Vorliegen einer dynamischen Verweisung auf §§ 6 und 7 IfSG in der jeweils gültigen Fassung. Wenn eine dynamische Verweisung gewollt gewesen wäre, hätte es schließlich nahegelegen, gänzlich auf eine Aufzählung zu verzichten und allgemein auf die Regelungen der §§ 6 und 7 IfSG zu verweisen (so etwa in dem der Entscheidung LG Mannheim, BeckRS 2020, 7522 zugrunde liegenden Fall („sind die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“)).
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(5) Selbst wenn man eine dynamische Verweisung des § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 auf §§ 6, 7 IfSG in der jeweils gültigen Fassung unterstellt, könnte der Kläger hierauf seine Ansprüche nicht stützen. Die Coronavirus-Krankheit 2019 (Covid-19) und der Erreger SARS-CoV-2 waren im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht explizit im IfSG erwähnt und wurden erst zum 23.05.2020 unter lit. t) in § 6 Abs. 1 Nr. 1 IfSG bzw. unter Nr. 44a in § 7 Abs. 1 Satz 1 IfSG aufgenommen. Dass Covid-19 unter § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG i.d.F. vom 01.03.-22.05.2020 („einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, die nicht bereits nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig ist“) subsumiert werden konnte (siehe dazu BeckOK-Infektionsschutzrecht/Thiery, 1. Ed. Stand 01.07.2020, § 6 IfSG Rn. 18-20; Rolfes, VersR 2020, 1021 (1022)), führt zu keinem anderen Ergebnis. Aufgrund der nachvollziehbaren Aussparung einer dynamischen Entwicklungen Rechnung tragenden Auffangklausel (siehe dazu bereits (4)) und dem Kriterium der definitorischen Einschränkung auf die „folgenden, namentlich“ genannten Krankheiten in § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 könnte sich eine dynamische Verweisung hinsichtlich ihrer Reichweite allenfalls auf die jeweils in der jeweils aktuellen Fassung der §§ 6, 7 IfSG namentlich bezeichneten Krankheiten und Erreger beziehen.
36
(6) Insgesamt ergibt sich für einen verständigen Versicherungsnehmer aus dem Gesamtbild der Regelung des § 1 VB-BSV 09 im relevanten Zeitpunkt des Vertragsschlusses ohne hinreichenden Zweifel, dass der Versicherer nicht für im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannte Infektionskrankheiten einstandspflichtig sein wollte, sondern eben nur hinsichtlich jener Krankheiten und Erreger, die bereits bekannt waren und explizit im Rahmen der Aufzählung aufgeführt wurden. Gerade im Zeitpunkt des Vertragsschlusses liegt auch der grundlegende, wesentliche Unterschied zur Entscheidung LG München I vom 01.10.2020, COVuR 2020, 640, auf welche die Klägerseite in ihrem Schriftsatz vom 09.04.2021 offenbar Bezug nimmt. Im dortigen Fall wurde ausweislich des Versicherungsbeginns am 01.03.2020 (siehe a.a.O. Rn. 4) der Versicherungsvertrag bereits in Kenntnis der neuartigen Krankheit bzw. des neuartigen Coronavirus geschlossen.
37
c) Da § 1 Nr. 2 VB-BSV 09 als Teil der Definition und gerade nicht als Einschränkung des Leistungsumfangs zu verstehen ist (siehe b) bb) (1)), stellt sich die Frage einer überraschenden oder den Versicherten unangemessen benachteiligenden Klausel überhaupt nicht. Der klägerische Verweis auf §§ 305 c Abs. 2, 307 Abs. 1 BGB geht mithin fehl (für eine Vereinbarkeit der Klausel mit beiden Normen indessen Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250 (253)).
38
d) Eine analoge Anwendung des § 1 VB-BSV 09 wegen der Neuartigkeit des Coronavirus bzw. der von ihm ausgelösten Krankheit Covid-19 auf den Versicherungsvertrag scheidet von vornherein aus. Versicherungsbedingungen sind einer Analogie grundsätzlich nicht zugänglich (BGH, NJW 2006, 1876 Rn. 8; Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 1.7; vgl. auch BGH, NJW 1992, 753). Auch unvorhergesehene pandemische Ausbrüche zuvor unbekannter Krankheitserreger und damit die Coronavirus-Pandemie als Großschadensereignis ändern daran nichts (ebenso Rixecker, a.a.O. Rn. 18 u. 62; Rolfes, VersR 2020, 1021 (1022)). Ließe man eine Analogie zu, würde das Risiko des Versicherers trotz Verwendung eines abschließenden Katalogs (siehe b) bb)) für diesen im Ergebnis unkalkulierbar (Rixecker, a.a.O. Rn. 62).
39
2. Da jedenfalls kein versicherter Fall einer Betriebsschließung vorliegt, kann dahinstehen, ob die Allgemeinverfügungen vom 16./17.03.2020 wirksam waren, ob der Betrieb der Klägerin vollständig oder nur teilweise geschlossen war und ob vorliegend eine Summen- oder eine Schadensversicherung abgeschlossen wurde.
40
3. In Ermangelung eines Hauptsacheanspruchs besteht auch kein Anspruch auf Zinsen oder Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
41
4. Die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 07.04.2021 sowie der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 09.04.2021 gaben keine Veranlassung, wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten (§ 156 ZPO).
II.
42
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
III.
43
Der Streitwert war in der Höhe des geltend gemachten Leistungsanspruchs festzusetzen, §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.